Leseprobe August und Elisabeth Macke
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Abb. 51<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Farbige Kompositionen I (Hommage à J. S. Bach), 1912,<br />
Ölfarbe auf Karton, 101 x 82 cm, Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Museum<br />
AUGUST MACKE UND<br />
DIE MUSIK<br />
Peter Vergo<br />
»Was die Musik so rätselhaft schön macht, wirkt auch in der<br />
Malerei bezaubernd. Nur gehört eine unmenschliche Kraft<br />
dazu, die Farben in ein System zu bringen, wie die Noten. In<br />
den Farben gibt es geradezu Kontrapunkt, Violon-, Baßschlüssel,<br />
moll, dur wie in der Musik.« 1 <strong>August</strong> <strong>Macke</strong> an <strong>Elisabeth</strong><br />
Gerhardt, 1907<br />
Abb. 52<br />
<strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, Flöte spielend, Fotografie,<br />
um 1904, Münster, LWL-Museum für Kunst <strong>und</strong><br />
Kultur, <strong>Macke</strong>-Archiv, MA-015,121LM<br />
Ein altes Archivfoto Abb. 52 aus der Zeit um 1904<br />
zeigt einen sehr jungen <strong>August</strong> <strong>Macke</strong>, der nackt im Schilfrohr<br />
sitzt <strong>und</strong> eine scheinbar kunstvoll gefertigte Doppelflöte<br />
spielt. 2 Hat er vielleicht den großen Gott Pan verkörpert,<br />
»da unten im Schilfrohr«, den Elizabeth Barrett Browning<br />
(1806–61) in ihrem Gedicht A Musical Instrument (Ein<br />
Musikinstrument) so w<strong>und</strong>erschön beschrieben hat? 3 Eines<br />
seiner späteren Skizzenbücher, das er wahrscheinlich um<br />
1911–12 verwendete, enthält detaillierte Notizen zum Üben<br />
bestimmter Passagen einiger sehr schwieriger Klavierstücke,<br />
darunter Beethovens »Waldstein«-Sonate. 4 Diese Notizen wurden<br />
jedoch wahrscheinlich von <strong>Macke</strong>s Frau <strong>Elisabeth</strong>, einer<br />
sehr begabten Pianistin, angefertigt; jedenfalls scheint die<br />
Handschrift die ihre zu sein. Abgesehen von diesen winzigen<br />
Indizien deutet wenig darauf hin, dass der Künstler selbst ein<br />
praktizierender Musiker war.<br />
Es steht jedoch außer Frage, dass <strong>Macke</strong> von<br />
Musik <strong>und</strong> Musiktheorie fasziniert war. Diese Begeisterung<br />
war wahrscheinlich den Neigungen <strong>und</strong> Interessen vieler<br />
seiner Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Familienmitglieder geschuldet. Paul Klee<br />
(1879–1940), der ihn 1914 auf seiner Reise nach Tunesien<br />
begleitete, war ein hervorragender Geiger, der die Musik ohne<br />
Weiteres zu seinem Beruf hätte machen können. Im Briefwechsel<br />
<strong>Macke</strong>s mit einem anderen Malerfre<strong>und</strong>, Franz Marc<br />
(1880–1916), finden sich zahlreiche Betrachtungen über die<br />
»Schwesterkünste« der Malerei <strong>und</strong> der Musik. In einem Brief<br />
vom Dezember 1910 erläuterte er für Marc seine eigenen<br />
Theorien über das Verhältnis von Farben <strong>und</strong> Linien einerseits,<br />
Melodien <strong>und</strong> musikalischen Tönen andererseits.<br />
»Alle Linien (bzw. Melodien) bestimmen die Folge<br />
der Farben (bzw. Klänge). Aufsteigende, absteigende Melodien<br />
[...] Dabei kann das absteigende schon in Teilen im<br />
aufsteigenden enthalten sein <strong>und</strong> umgekehrt. Der durch die<br />
Linien (Melodien) geführte Farbkomplex ist die Frage auf die<br />
Antwort des Gegenkomplexes [...] Dabei spielt hell <strong>und</strong> dunkel<br />
sehr oft die Rolle der Melodieführung, ebenso gelb <strong>und</strong><br />
violett, orange, blau, grün <strong>und</strong> rot.« 5<br />
<strong>Macke</strong>s Brief enthielt auch Zeichnungen von Farbkreisen,<br />
die die gegenüberliegenden Paare von Komplementärfarben<br />
zeigten <strong>und</strong> die darauf hinweisen, wie die Farbabfolge<br />
von hell nach dunkel den verschiedenen Oktaven auf<br />
dem Klavier entsprechen könnte, höher oder tiefer.<br />
Einige Wochen später äußerte Marc seine eigene<br />
Meinung darüber, wie die jüngsten Entwicklungen in der<br />
Malerei jene in der Musik widerzuspiegeln schienen. In einem<br />
Brief an <strong>Macke</strong> von Januar 1911 beschrieb er ein Konzert,<br />
das er zusammen mit Kandinsky (1866–1944) <strong>und</strong> anderen<br />
Mitgliedern der Neuen Künstler-Vereinigung München besucht<br />
hatte. Auf dem Programm standen Werke des Wiener<br />
Avantgarde-Komponisten Arnold Schönberg (1874–1951):<br />
Klavierstücke, Lieder <strong>und</strong> seine beiden frühen Streichquartette.<br />
6 Marc schrieb: »Kannst Du Dir eine Musik denken,<br />
in der die Tonalität (also das Einhalten irgendeiner Tonart)<br />
völlig aufgehoben ist? Ich musste stets an Kandinskys grosse<br />
Komposition denken, der auch keine Spur von Tonart zulässt<br />
114 IM KREIS DES BLAUEN REITER<br />
115