Naturhistorica 160
Naturhistorica 160 (2018) der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover (NGH) Themen: - Josef Paul: Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland. - Lea Weßel: Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover. Ein Tauchgang durch die Ur-Nordsee. - Jannik Weidtke: Moschusochsenschädel (Ovibos moschatus) aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen - Vergleich und Interpretation. - Sven Sachs, Christian J. Nyhuis: Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim. - Burkhard Schäfer: Schottisches Flugwild in Ostfriesland. Ein Beitrag zur frühen Geschichte des Knyphauser Waldes.
Naturhistorica 160 (2018) der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover (NGH)
Themen:
- Josef Paul: Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland.
- Lea Weßel: Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover. Ein Tauchgang durch die Ur-Nordsee.
- Jannik Weidtke: Moschusochsenschädel (Ovibos moschatus) aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen - Vergleich und Interpretation.
- Sven Sachs, Christian J. Nyhuis: Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim.
- Burkhard Schäfer: Schottisches Flugwild in Ostfriesland. Ein Beitrag zur frühen Geschichte des Knyphauser Waldes.
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Subrosionssenken
zwischen Harz und Leine-Bergland
Abgetaucht: Ur-Nordsee im Oligozän
Schwierig: Moschusochsenschädelvergleiche
Selten: Plesiosaurierfunde in Hildesheim
Verflogen: Huhn mit Migrationshintergrund
160 · 2018
Ausgabe 160
2018
Herausgegeben von der
Naturhistorischen Gesellschaft Hannover
Naturhistorica
BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER
Ausgabe 160 (2018)
Erschienen 2019
Hannover · Germany
ISSN 1868-0828
www.Naturhistorica.de
Herausgeber
Naturhistorische Gesellschaft Hannover
Redaktion
Dieter Schulz
Lektorat
Franz-Jürgen Harms (Geowissenschaften)
Hansjörg Küster (Botanik und Ökologie)
Annette Richter (Paläontologie, Geologie, Zoologie)
Dieter Schulz (Biologie)
Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren verantwortlich.
Design, Satz, Umschlag
Matthias Winter, vemion.de
Druck
Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza
Umschlagbild Duderstadt © 12019 · pixabay
Bild S. 1 Plesiosaurierzahn © Sven Sachs, Christian J. Nyhuis
© Naturhistorische Gesellschaft Hannover
Gesellschaft zur Pflege der Naturwissenschaften
Willy-Brandt-Allee 5
30169 Hannover
Germany
E-Mail: info@N-G-H.org
www.N-G-H.org
Naturhistorica
BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER
160 ·2018
Dieter Schulz
Vorwort
5
Josef Paul
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland
(Känozoikum, Niedersachsen)
7
Lea Weßel
Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover
Ein Tauchgang durch die Ur-Nordsee
43
Jannik Weidtke
Moschusochsenschädel (Ovibos moschatus) aus
dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark
Münchehagen – Vergleich und Interpretation
69
Sven Sachs, Christian J. Nyhuis
Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim
115
Burkhard Schäfer
Schottisches Flugwild in Ostfriesland
Ein Beitrag zur frühen Geschichte des Knyphauser Waldes
129
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
4
Aufstellung des Schweden-Findlings am Deisterkamm
am 6. Mai 2018
136
Exkursionsberichte
139 Ein Idyll in der (Groß)stadt. „1001 Rosenblüte in einem
Stadtgarten in Ricklingen“ (2. und 30. Juni 2018)
148 „Geest, Marsch, Watt und Meer – Nordsee, Weser und
Elbe bei Cuxhaven“ (15. – 17. Juni 2018)
154 „Von Hexen, Teufeln und romanischen Kirchen im
Harzvorland bei Quedlinburg“ (11. August 2018)
156 „Lüneburg – eine Perle unter den Hansestädten.
NatUrgeschichtliche Exkursion VIII“ (1. September 2018)
158 „Von der Rübe zum Kristallzucker in nur 12 Stunden –
Die Zuckerfabrik Nordstemmen“ (6. Oktober 2018)
Nachruf Heiner Engel (21.3.1959 – 5.12.2017)
162
Die Naturhistorische Gesellschaft
Hannover
164
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
5
Vorwort
Niedersachsen ist in diesem Band 160
der Naturhistorica Grundlage für die vorliegenden
Arbeiten. Wir könnten ihn den
„kleinen Niedersachsenband“ nennen.
Veränderungen in der Landschaft durch
das Salz der Zechstein-Formation sind den
meisten Lesern durch die hohen fast weißen
Abraumhalden in Niedersachsen, auch
in unmittelbarer Nähe zum Stadtgebiet
Hannover, bekannt. Dass es auch andere
morphologische Oberflächenformen gibt,
die durch das Salz entstanden sind und
immer noch entstehen ist weitgehend unbekannt.
Der Artikel von Josef Paul über
Subrosionssenken macht in verständlicher
Sprache und gut zu lesen darauf aufmerksam
wie zum Beispiel der Seeburger See bei
Göttingen und weitere Senken im Harzrandgebiet
entstanden sind und wie deren
weitere Entwicklung abgelaufen ist. Er
streift dabei auch die zum Teil recht kurzsichtigen,
der Landwirtschaft geschuldeten
Trockenlegungen von Seen und Mooren.
Paul erzählt anschaulich den dadurch entstandenen
Landschaftswandel und daraus
folgend den Schaden für die Natur.
Als eine unserer vornehmsten Aufgaben
sehen wir die wissenschaftliche Aufarbeitung
der Sammlungen des Niedersächsischen
Landesmuseums Hannover
an. Dabei legen wir Wert darauf, dass junge
Wissenschaftler in unserer Zeitschrift
zu Wort kommen. Das gilt auch für die
Bestimmung der Objekte von Zustiftungen,
die das Landesmuseum erhalten hat.
Lea Weßel hat in diesem Zusammenhang
fossiles Material aus dem Oligozän der
Sammlung Harms bestimmt und für die
Sammlung archiviert, eine Arbeit, die in
Dem Ochs’ in den Kopf geschaut – siehe Artikel
über Moschusochsenschädel ab S. 69
besonders vorbildlicher Weise für die Synergien
zwischen der NGH, dem Landesmuseum
und den beteiligten Universitäten
steht.
Ebenfalls im paläontologischen Bereich
sind die folgenden zwei Arbeiten angesiedelt.
Jannik Weidtke hat sich ausführlich
mit rezenten und fossilen Moschusochsenschädeln
aus dem Landesmuseum, dem
Dinosaurier-Freilichtmuseum Münchehagen
und dem Landesamt für Bergbau,
Energie und Geologie (LBEG) beschäftigt.
Nach akribischen Untersuchungen
vergleicht er die Schädel miteinander und
stellt Alter und Geschlecht der Tiere fest –
ein interinstitutionelles Forschungsprojekt,
das in der 3D-Darstellung von drei der am
besten erhaltenen Schädeln gipfelt.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
6
Sven Sachs und Christian Nyhuis haben
Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren
Jura von Hildesheim untersucht und
weisen sie bereits vorhandenen Dinosaurier-Gattungen
(Liopleurodon) bzw. Familien
(Pliosauridae, Cryptoclididae) zu.
Es handelt sich bei dem gefundenen Zahn
und diversen postcranialen Resten um die
ersten Belege für diese Saurier-Guppe aus
dem Mittleren Jura Niedersachsens.
Erinnern Sie sich noch an das Computerspiel
„Moorhuhn“? Im Artikel von
Burkhard Schäfer erfahren Sie, welche
Bedeutung dieses Spiel hatte und wie es
entstanden ist, und wie der Begriff Moorhuhnjagd
in den Duden gelangte. Schäfer
beleuchtet auch den Versuch, dieses
schottische Flugwild in Ostfriesland im
ausgehenden 19. Jahrhunderts heimisch
zu machen – natürlich zu Jagdzwecken. Er
verschweigt auch nicht, dass dieser Versuch
misslang. Im Weiteren macht er auf den
starken Landschaftswandel in diesem Teil
Niedersachsens zu jener Zeit aufmerksam.
Ein gut zu lesender kurzer Artikel.
Und dann haben wir noch eine Überraschung
für Sie bereit. Mit diesem Band
starten wir eine Serie „Exkursionsberichte“
zunächst aus dem Jahr 2018, jedenfalls
für die Exkursionen für die wir eine Nachlese
bekommen haben. Urteilen Sie selbst,
und lassen Sie uns wissen, ob wir die Idee
weiterführen sollen.
Dieter Schulz
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
7
Subrosionssenken zwischen Harz und
Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
Josef Paul
Zusammenfassung
Zwischen Harz und Leine-Bergland
wurden im Untergrund die Salzablagerungen
des Zechstein seit dem Miozän gelöst
(subrodiert). Es werden zunächst die Ursachen,
Grundlagen und Mechanismen
geschildert, die zur Entstehung von Subrosionssenken
führen. Eine Auswahl der
entstandenen Senken wird im Einzelnen
beschrieben: Willershäuser Becken, Westerhöfer
Senke, Denkershäuser Teich, Bilshäuser
Becken, Bodensee-Senke, Seeburger
See, Luttersee, Seeanger, Schweckhäuser
Wiesen, Pöhlder Becken, Rollshäuser Ziegeleigrube
und Duderstädter Becken. Ihre
räumliche Verbreitung, Schichtenfolge,
Fossilinhalt, Alter und geschichtliche Entwicklung
werden dargestellt. Allgemeine
Schlüsse zur räumlichen und zeitlichen
Entwicklung der Subrosionsfront bzw. zur
Lage des Salzhangs werden gezogen.
Schlüsselwörter: limnische Sedimente,
Subrosion, Zechstein, Tertiär, Quartär,
Eichsfeld
Einleitung
Das Leine-Bergland im südlichen Niedersachsen
ist ein zum großen Teil bewaldetes
hügeliges Gebiet mit einem
lebhaften Relief, das von Gesteinen des
Muschelkalk und des Buntsandstein gebildet
wird. Im Unterem Eichsfeld dagegen,
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
8 Josef Paul
Abb. 1 Subrosionssenken und Salzhang im
Unteren Eichsfeld zwischen Göttinger Wald und
Harz. Subrosionssenken: 1 Willershäuser Senke;
2 Westerhöfer Senke; 3 Denkershäuser Teich;
4 Bilshäuser Becken; 5 Bodensee-Senke;
6 Seeburger See; 7 Luttersee; 8 Seeanger;
9 Schweckhäuser Wiesen; 10 Pöhlder Becken;
11 Rollshäuser Ziegeleigrube; 12 Duderstädter
Becken. Nach Dietz (1925), Sobotha (1933) und
Jordan et al. (1973); verändert und ergänzt.
das zwischen dem Leine-Bergland und
dem Harz liegt, trifft man auf eine relativ
ebene, ausgeräumte, intensiv landwirtschaftlich
genutzte Landschaft, obwohl
auch hier vor allem Gesteine des
Buntsandstein im Untergrund anstehen.
Charakteristisch für das Eichsfeld sind
zahlreiche kleine Erdfälle und größere Depressionen.
In solch einer sanften Depression
liegt der Seeburger See, der seinen
Namen von einem Dorf an seiner Westseite
hat (Abb. 1). Es ist der größte natürliche
See im südlichen Niedersachsen. Noch bis
zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es im
Unteren Eichsfeld eine Reihe von kleineren
Seen, Teichen oder Feuchtflächen, die
aber fast alle der Entwässerung zum Opfer
fielen, teils um Ackerland zu gewinnen,
teils wegen des Abbaus von Torf. Das Dorf
Bodensee, das einige km nördlich des Seeburgers
See liegt, führt seinen Namen auf
einen heute verschwundenen See zurück.
Viele topografisch mehr oder weniger gut
zu erkennende größere Senken ziehen sich
in einiger Entfernung parallel zum Harz
hin. Sie alle verdanken ihre Existenz der
unterirdischen Lösung oder Subrosion von
Steinsalzen des paläozoischen Zechstein.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
9
Das gesamte südwestliche Harzvorland
ist von dieser Subrosion geprägt. Auch die
weniger leicht löslichen Sulfate (Anhy drit,
Gips) und Karbonate (Calcit, Dolomit)
sind von dieser Subrosion betroffen. Auf
die Unterschiede zur Subrosion des Salzes
wird weiter unten eingegangen.
In dieser Arbeit werden zunächst die
Ursachen, Grundlagen und Mechanismen
beschrieben, die zur Entstehung der
Subrosionssenken führten. Dann werden
einzelne größere Senken vorgestellt und
schließlich allgemeine Schlüsse zur räumlichen
und zeitlichen Entwicklung der Subrosionsfront
bzw. zur Lage des Salzhangs
gezogen. Es wird vor allem auf die Subrosion
des Steinsalzes näher eingegangen,
nicht auf die des Gipses und Karbonats.
Über die Laugung von Gipsgesteinen und
die dadurch verursachten Erdfälle berichteten
Priesnitz (1972), Herrmann (1969,
1981), Hohm (1979) und Ricken (1982).
Erforschungsgeschichte
Die älteste geologische Untersuchung im
südwestlichen Harzvorland ist die Kartierung
des Meßtischblattes Duderstadt durch
Speyer (1884), der allerdings den Subrosionssenken
keine besondere Aufmerksamkeit
schenkte. Grupe (1909) und Dietz
(1925) und später Jordan (1979) veröffentlichten
die Ergebnisse von Bohrungen, die
am Ende des 19. Jahrhunderts auf der Suche
nach Kali und ab 1970 zur Sicherung
der Trinkwasserqualität im nordwestlichen
Eichsfeld abgeteuft wurden. Untersuchungen
der quartären und tertiären Oberflächensedimente
führten Sobotha (1923,
1933) und Bismarck (1942) durch. Weitere
Arbeiten, die zum Teil auch andere Zielsetzungen
hatten, stammen von Ahrens &
Steinberg (1943), Steinberg (1944), Frechen
(1952) und Rohlmann (1958). Eine
kartografische Darstellung der Senken veröffentlichten,
nach Vorarbeiten von Herrmann
(1956), Jordan et al. (1973). Die
quartären Kiesterrassen und die zwischen
ihnen gelagerten Lösse und Lössderivate
des Unteren Eichsfeldes wurden von Selzer
(1936), Jordan (1976, 1995), Vladi (1976)
und Ricken (1980, 1982, 1983) stratigrafisch
gegliedert. Die Senke des Seeburger
Sees wurde umfassend limnogeologisch
von Streif (1970) untersucht.
Einen besonderen Fall bildet die Tongrube
Willershausen, die durch ihre zahlreichen
und außerordentlich gut erhaltenen
Fossilien schon früh die Aufmerksamkeit
auf sich zog (Wegele 1914, Straus 1930,
1992, Schmidt 1932 und Klähn 1932).
Zahlreiche neuere Arbeiten widmeten sich
vor allem den verschiedenen Fossilgruppen
und der organischen Biochemie, aber
nur wenige der Genese dieser einzigartigen
Fossil-Lagerstätte. Ebenfalls zog die ehemalige
Tongrube Bilshausen auf Grund
der Funde von Großsäugern und der guten
Erhaltung der Pollen eine große Anzahl
von Bearbeitungen auf sich (Schmidt
1934, Bismarck 1942, Lüttig & Rein 1954,
Chanda 1962, Averdieck & von der Brelie
1963, Müller 1965, 1992, Lüttig 1965,
Meischner & Schneider 1967, Streif 2001,
Pfeiffer 2002, Diehl 2007, Kühl 2008).
In den Jahren 1975 bis 1993 wurden
einige der zwischen dem Harz und dem
Leinebergland liegenden Subrosionssenken
und ihr Umfeld von Diplomanden des
damaligen Geologisch-Paläontologischen
Instituts der Universität Göttingen kartiert,
beschrieben und ihre Entwicklungsgeschichte
interpretiert (Sauerland 1976,
Vollbrecht 1976, Petersen 1979, Ricken
1980, Ay 1980, Schwedhelm 1980, Pöhlig
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
10 Josef Paul
Abb. 2 Schematisches Profil der Eichsfeld-Altmark-Schwelle
zwischen Seesen und Duderstadt.
cu-d Unterkarbon — Devon; r Rotliegend;
Ca1 Werra-Karbonat; A1 Werra-Sulfat;
1981, Puteanus 1982, Löffler 1986, Diesing
& Ledendecker 1986, Daume 1992,
Lessmann 1993). Angeleitet wurden die
Diplomanden von D. Meischner† und
dem Autor. Finanziell gefördert wurde das
Projekt „Salinartektonik“ durch Lottomittel
des Landes Niedersachsen. Die Ergebnisse
dieser Arbeiten sind bislang nur in
Vorträgen und veröffentlichten Kurzfassungen
vorgestellt worden (Meischner &
Paul 1977, 1982, 1992, Paul & Meischner
1991, Meischner 2000).
Es gibt bislang keine moderne zusammenfassende
Darstellung der verschiedenen
Subrosionssenken und ihrer zeitlichen
Entwicklung zwischen Harz und
Leine-Bergland. Die jüngsten Übersichten
zu den Subrosionssenken und der rezenten
Salzauslaugung im niedersächsischen
Bergland verfassten Seedorf (1955) – vorwiegend
aus geographisch-botanischer
Sicht – und Benda et al. (1968).
Ca2 Staßfurt-Karbonat; A2 Staßfurt-Sulfat;
Na2 Staßfurt-Salz; Ca3 Leine Karbonat;
A3 Leine-Sulfat; Na3 Leine-Salz;
z4 Aller-Tonstein und Aller-Salz.
Der präquartäre Untergrund
Der präquartäre Untergrund des Gebiets
zwischen dem Harz und dem Leine-
Bergland besteht fast ausschließlich aus
Gesteinen des Zechstein und des Unteren
und Mittleren Buntsandstein (Tab. 1).
Die Mächtigkeit und Fazies der Schichten
des Zechstein wird von der Eichsfeld-Altmark-Schwelle
kontrolliert, die
vom Rotliegend bis zum Ende der Trias
die Sedimentation am südlichen und
nördlichen Harzrand steuerte (Paul &
Klarr 1988, Paul 1987, 1993, 2018, Röhling
1991). Die Scheitelzone der Schwelle
streicht NNE – SSW und befindet sich zwischen
Bad Lauterberg und Duderstadt. Bei
Duderstadt wurde ein direkt auf das paläozoische
Grundgebirge transgredierendes
Staßfurt-Karbonat unter Ausschluss
der Werra-Formation erbohrt (Grupe
1909). Der südwestliche Harzrand und das
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
11
Untere Eichsfeld liegen am Westhang dieser
Schwelle (Abb. 2). Zwar haben schon
eine Reihe von Bohrungen den Zechstein
durchteuft, aber leider reicht ihre Zahl
im bedeckten Karst nicht aus, den genauen
Verlauf der Schwelle und Änderungen
der Fazies und Mächtigkeit der einzelnen
Schichten detailliert zu erfassen.
Genaue Daten zur ursprünglichen
Mächtigkeit der Salzschichten des Zechstein
sind leider nicht zu erhalten, da im
näheren Umfeld des Harzes die Salze entweder
vollständig oder teilweise subrodiert
worden sind. Die nächsten Bohrungen
oder Schächte die man heranziehen
kann, befinden sich zwischen Göttingen
Tab. 1 Die Schichten des Perm und der Unteren Trias am südwestlichen Harzrand. Kürzel nach
Richter-Bernburg (1955). Mächtigkeiten nach Herrmann (1956), Paul & Klarr (1988) und Paul (1993).
Stratigraphie Kürzel Mächtigekeit (m)
Solling-Formation
25 – 60
Mittlerer
Buntsandstein
Hardegsen-Formation 0 – 25
sm
Detfurth-Formation 0 – 20
Volpriehausen-Formation 80 – 100
Unterer
Buntsandstein
Bernburg-Formation
140
su
Calvörde-Formation 180
obere Zechstein-Formation z5 – z7 50
Aller-Salz Na4 40
Aller-Sulfat A4 0,5
Aller-Tonstein T4 10 – 20
Leine-Salz Na3 0 – 100
Leine-Sulfat A3 40 – 70
Leine-Karbonat Ca3 2 – 10
Zechstein
Leine-Tonstein T3 5 – 10
Staßfurt-Salz Na2 0 – 200
Staßfurt-Sulfat A2 0 – 30
Staßfurt-Karbonat Ca2 5 – 70
Werra-Salz Na1 0 – 5
Werra-Sulfat A1 40 – 250
Werra-Karbonat Ca1 10 – 80
Kupferschiefer 0 – 2
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
12 Josef Paul
und Northeim, im Ohmgebirge oder nordwestlich
des Harzes (Tab. 2). Aber auch
hier ist die Mächtigkeit der Salze sehr variabel,
da sie in vielen Fällen halotektonisch
verändert sind. Auf jeden Fall werden die
Evaporite in Annäherung an die Altmark-
Eichsfeld-Schwelle geringer mächtig. Das
Staßfurt-Salz, die wichtigste Salz-Schicht,
ist am nordwestlichen Harzrand etwa
200 m mächtig und keilt schwellenwärts
aus. Auch die Sulfat-Schichten werden
schwellenwärts geringmächtiger. Das Werra-Sulfat
erreicht die größte Mächtigkeit
mit über 200 m nördlich Osterode und
geht auf weniger als 50 m – im Extremfall
keilt es auch aus – auf der Schwelle
zurück (Paul 1993). Ähnlich verhält sich
auch das Staßfurt-Sulfat, dessen Mächtigkeit
von 0 m auf dem Scheitel der Schwelle
bis 30 m am Schwellenrand variiert. Umgekehrt
verhalten sich die Mächtigkeiten
der Karbonat-Schichten, die auf der
Tab. 2 Mächtigkeiten der Zechstein-Salze im Leine-Bergland und nördlich des Harzes in Metern.
S = Schacht. Nach Grupe (1909), Fabian (1957), Langbein & Seidel (1960), Löffler (1976), Arp et al. (2004),
Pöhlig (1981) und Klarr et al. (1990). Die Mächtigkeiten der Salze können durch Salinartektonik und Subrosion
stark verändert sein.
Bohrungen, Schächte Werra-Salz Staßfurt-Salz Leine-Salz Aller-Salz
Sudheim III – 1 7 41
Sudheim II – 4,5 23 11
Sudheim I – 60 34
Reinhardsbrunn – 48 43 29
S. Oberhof – 24
Tückemühle – 5 – 32 69 70
Nörtener Wald – 67 61 40
S. Hindenburg – 54 63 45
S. Königshall – 44 70 49
Holzerode – 76 111 27
Northeim 1 – 595 50 49
Northeim 3 246
Dransfeld 1 – 17 – –
Lutter – 200 55
Fuhrbach/
Duderstadt
– 10 ? ?
Brehme 2, 3 – 27 51 5
Mittelwert 0 0 – 200 60 40
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
13
Schwelle am mächtigsten sind und im Becken
auf wenige Meter zurückgehen. Erst
durch die Ausfällung des mächtigen Staßfurt-Salzes
wird der Unterschied zwischen
Becken und Schwelle weitgehend ausgeglichen.
Das Leine-Sulfat und möglicherweise
auch das Leine-Salz ziehen mit etwa
gleichbleibender Mächtigkeit über die
Schwelle hinweg. Die darüber folgenden
Formationen des oberen Zechstein, die Aller-,
Ohre-, Friesland- und Fulda-Formation
bestehen neben dem Aller-Salz aus
geringmächtigen Ton- und Schluffsteinen.
Leine- und Aller-Salz sind zwar im Unteren
Eichsfeld nicht direkt nachgewiesen
worden, aber alle Bohrungen weisen zwischen
dem Leine-Sulfat und dem Unteren
Buntsandstein ausgeprägte Brekzienhorizonte
auf, ein direkter Hinweis auf die subrodierten
Salzschichten. Insgesamt kann
man für die Salzschichten des Zechstein
im westlichen Harzvorland je nach der paläogeografischen
Position mit einer Gesamtmächtigkeit
zwischen unter 100 und
300 m rechnen und zwar ist sie am Scheitel
der Schwelle am geringsten und steigt
flankenwärts an.
Über dem Zechstein folgt der Untere
Buntsandstein, der sich aus der Calvördeund
der Bernburg-Formation zusammensetzt
(Tab. 1). Die etwa 180 m mächtige
Calvörde-Formation ist vorwiegend tonig,
untergeordnet auch sandig ausgebildet.
Die ebenfalls tonig-siltige Bernburg-Formation
ist 140 m mächtig. Am westlichen
Rand des beschriebenen Gebiets kommt
auch der Mittlere Buntsandstein vor, der
im Gegenteil zum tonigen, wenig sandigen
Unteren Buntsandstein vorwiegend sandig
ausgebildet ist. Nach der Ablagerung der
Hardegsen-Formation wurde die Eichsfeld-Altmark-Schwelle
wieder tektonisch
reaktiviert (Paul & Klarr 1988). Die sogenannte
Hardegsen-Diskontinuität führte
auf der Eichsfeld-Schwelle zur Erosion der
gesamten Hardegsen-Formation und von
Teilen der Detfurth- und Volpriehausen-
Formation. Erst die Solling-Formation
geht wieder über die Schwelle hinweg.
Tertiäre Sedimente sind auf Erdfälle und
Senkungsgebiete bzw. Subrosionssenken
beschränkt, von denen aber viele wahrscheinlich
wieder verschwunden sind, da
in der Zwischenzeit die Erosionsbasis tiefer
gelegt worden ist. Die Füllungen der
Senken bestehen hauptsächlich aus limnischen
Sedimenten des jüngeren Tertiär. Es
gibt bislang keinen Hinweis, dass tertiäre
Sedimente zwischen dem Harz und dem
Leine-Bergland flächendeckend abgelagert
wurden oder sie sind inzwischen wieder
vollständig erodiert worden.
Die quartären Schichten
Ablagerungen des Pleistozän kommen
im südwestlichen Harzvorland hauptsächlich
in Form von Terrassen-Schottern vor,
dem groben Abtragungsschutt des Harzes
(Tab. 3). Dem für das Quartär charakteristischen
klimatischen Wechsel von Glazial-
und Interglazial-Zeiten entspricht
der Wechsel von Schotterkörpern und geringmächtigen
Ablagerungen von Löss,
Lössderivaten und Bodenbildungen, die
aber auch infolge späterer Erosion fehlen
können. Hinzu kommen größere Mächtigkeitsänderungen
und Störungen des
Gefüges durch die Subrosion, so dass die
zeitliche Zuordnung der einzelnen Kieskörper
zu den Terrassen sehr erschwert
ist (Weißermel et al. 1932). In verschiedenen
Senken treten limnisch-telmatische
Sedimente zu Tage oder sie wurden erbohrt.
Jordan (1976a, 1976b, 1995), Ricken
(1980, 1982, 1983) und Ricken & Meyer
(1982) ordneten im Unteren Eichsfeld die
quartären Schichten den unterschiedlichen
Terrassen und Boden-Komplexen zu.
Ricken (1980) nahm an, dass die
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
14 Josef Paul
Tab. 3 Stratigrafie und Alter der Pleistozän-Schichten. Jahre vor heute. Vereinfacht nach Streif (2004).
Internationale Gliederung Dauer (a) Alter (a)
Ober-Weichsel 2300 11 560 – 13 860
Ober-
Pleistozän
Weichsel-Kaltzeit
Mittel-Weichsel 43 000 14 000 – 57 000
Unter-Weichsel
Eem-Warmzeit 11 000 120 000
Saale-Komplex
Mittel-
Pleistozän
Holstein-Warmzeit 16 000 310 000
Elster-Komplex
Cromer-Komplex Rhume-Warmzeit 25 000 400 000
Bavel-Komplex
Menap-Komplex
Unter-
Pleistozän
Waal-Komplex
Eburon-Kaltzeit
Tegelen-Komplex
Prätegelen-Kaltzeit
2,6 Mio
heutigen Harztäler schon zur Zeit der ältesten
Terrasse, der Oberterrasse, voll entwickelt
waren. Allgemein fallen die Terrassen
vom westlichen Harz weg zunächst
relativ steil (0,8 %), dann im Unterlauf
mit 0,2 – 0,4 % nach Westen ein ( Jordan
1995). Die nur noch in Relikten erhaltene
bis 17 m mächtige Oberterrasse wurde
von Jordan (1976, 1995) und Ricken (1980,
1982) mit Vorbehalt in die Elster-Eiszeit
gestellt. Zwischen Herzberg und Hattorf
liegt sie in Gebieten außerhalb der flächenhaften
Subrosion des Werra-Sulfats
auf Höhen von 240 – 270 m üNN. Auf den
Schottern der Oberterrasse liegen wenige
Meter mächtige Lösse, die durch die Bildung
von Böden überprägt sind. Die wahrscheinlich
saalezeitliche Mittelterrasse
kann nach Ricken (1980) in eine Ältere
und eine Jüngere unterteilt werden. Auch
die Ältere Mittelterrasse ist nur in Relikten
vorhanden. Sie liegt etwa 20 m unter
dem Niveau der Oberterrasse und weist
eine Mindestmächtigkeit von vier Metern
auf. Dagegen ist die Jüngere Mittelterrasse
weit verbreitet. Im Raum Hattorf ist sie
etwa 9 m mächtig und liegt dort in einem
Niveau um 200 m üNN. Die darüber folgenden
Lössböden wurden möglicherweise
im Eem-Interglazial gebildet. Die
Ablagerungen von Lössen auf der Mittelterrasse
und die Bodenbildungen reichen
bis in das Jung-Pleistozän. Die weichselzeitliche
Niederterrasse hat im Eichsfeld
eine größere Verbreitung. Sie bedeckt fast
vollständig das Pöhlder Becken, füllt die
Täler der Oder, Sieber und Söse und ist
durch eine Bodenbildung, dem Lohner
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
15
Boden, zweigeteilt (Rohdenburg & Meyer
1966, Ricken 1980). Die jüngsten Ablagerungen
des südwestlichen Harzvorlandes
bestehen aus Löss, Schwemmlöss
und dem mittelalterlichen Auelehm.
Tektonik und Hydrogeologie
Im Unteren Eichsfeld wurden im ausstreichenden
Buntsandstein von den kartierenden
Geologen – die meisten geologischen
Meßtischblätter stammen aus der
Zeit vor 1900 – nur wenige Störungen festgestellt.
Eine Ursache mag sein, dass viele
der hier vorhandenen Störungen nicht erkannt
werden, da der größte Teil des Buntsandstein
unter quartären Terrassen oder
einem dünnen Schleier von Löss verborgen
ist. Wenn der Verwerfungsbetrag oft
nur Dekameter oder weniger beträgt, sind
Störungen nur schwer zu erkennen, da es
in der Schichtenfolge keinen Markerhorizont
gibt und außerdem die Subrosion
der Zechsteinsalze die hangenden Schichten
häufig verstellt und zerrüttet hat. Es ist
deshalb mit mehr Störungen des Gefüges
zu rechnen, als in den meist älteren geologischen
Karten dokumentiert sind.
Die Karbonate und Sulfate der Werra-
und der Staßfurt Formation sind sehr
gute Aquifere. Die Karbonate sind Kluft-
Wasserleiter, in den schwellennahen Gebieten
auch Poren-Wasserleiter. Der undurchlässige,
aber relativ geringmächtige
Leine-Tonstein schließt die durchlässigen
Schichten der Werra- und Staßfurt-Formation
nach oben hin ab. Die in den Bohrkernen
leicht zu erkennende Umwandlung
von Anhydrit in Gips ist ein guter Zeiger
für die beginnende Subrosion. Durch die
Lösung des Sulfatgesteins bilden sich ausgezeichnete
Wegsamkeiten, die in Karstphänomene
übergehen können (Priesnitz
1972).
Der Untere Buntsandstein ist hingegen
eher ein Aquitard oder Grundwasser-
Geringleiter. Er bildet ein knapp 350 m
mächtiges Hemmnis für den Zutritt und
Austausch von Wässern. Der sandige Mittlere
Buntsandstein ist wiederum ein guter
Festgesteins-Leiter, der durch stärker tonige
Abschnitte in drei Grundwasserleiter
aufgespalten ist: den Volpriehausen-,
Detfurth- und Solling-Sandstein (Frank
1987). Hervorragende Wasserleiter sind
naturgemäß die quartären grobkiesigen
Terrassenschotter der Flüsse.
Zunächst fallen das Aller- und Leine-
Salz der Subrosion zum Opfer, da sie den
Top der Zechsteinablagerungen bilden.
Entscheidend für die Subrosion von Salz
oder Gips ist sowohl der Zutritt von Wasser
als auch die Möglichkeit, die gelösten
Stoffe abzutransportieren, das heißt die
Wässer müssen mit dem zu lösenden Gestein
in Kontakt treten und es muss eine,
wenn auch langsame Bewegung der Lösungen
stattfinden; das Grundwasser muss
fließen können. Der Zutritt von Wässern
zu den Salzen kann zum Einen über den
Ausstrich der Karbonate und Sulfate am
Harzrand erfolgen und zum Anderen über
Störungen des Festgesteins, die Auflockerungen
des Gefüges und damit Wegsamkeiten
zur Folge haben.
Entstehung und Umfang der
Subrosion
Alle ehemaligen Seen und jetzigen
Feuchtgebiete entstanden infolge der unterirdischen
Lösung, der Subrosion, von
Salzen des Zechstein, insbesondere der
Steinsalz-Schichten der Staßfurt- und der
Leine-Formation (Tab. 1). Die Subrosion
von Salz findet, da es im hiesigen Klima
leicht löslich ist, in größerer Tiefe statt
als diejenige von Sulfaten und Karbonaten.
In Norddeutschland liegt der Salzspiegel
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
16 Josef Paul
zwischen 300 und 500 m unter Flur. Eine
Subrosion von Sulfaten in Tiefen über 100
m wurde recht selten beschrieben. Aber
auch Karbonate können noch in größeren
Tiefen unter der heutigen Oberfläche
gelöst werden. So wurde in der Bohrung
Aue 1 im Harzvorland bei Herzberg
im Staßfurt-Karbonat ein mehrere Meter
mächtiger offener Hohlraum in einer Tiefe
von 106 m unter Flur erbohrt (Daume
1992).
Herrmann (1956) unterschied eine flächenhafte
und eine lokale Subrosion, die
letztere ist an Störungen gebunden und
beginnt von der Oberfläche her. Sie entspricht
wohl der irregulären Auslaugung
Webers (1952). Über Störungen des Gefüges
gelangen Grundwässer zu den Salzschichten
und können dann flächendeckend
subrodieren. Die Subrosion der
Gips- und Karbonat-Gesteine führt im
Allgemeinen eher zu kleineren lokalen
steilwandigen Erdfällen, deren Durchmesser
oft 20 m nicht übersteigt, während
die Lösung von Salz häufig großräumigere
Senken oder Wannen verursacht, deren
Größe mehrere km 2 erreichen. Ursache
dieses unterschiedlichen Verhaltens liegt in
der besseren Löslichkeit der Chloride.
Um das Ausmaß der Subrosion beurteilen
zu können, ist zwischen der synsedimentären
faziellen Mächtigkeitsreduktion
der Salze und der tertiär-quartären Subrosion
zu unterscheiden. Langbein & Seidel
(1968) haben Kriterien erarbeitet, die
beiden Faktoren zu trennen. Dies kann an
Hand der Ausbildung von Brekzien, Änderungen
des Mineralbestandes oder typischen
Rückstandsbildungen geschehen.
Im südlichen Niedersachsen wurden vor
etwa 100 Mio Jahren durch die Fernwirkung
der Alpidischen Gebirgsbildung große
Teile der Kruste gehoben. Insbesondere
die paläozoisch gefaltete Harzscholle
wurde an ihrer Nordflanke um mehr als
5 km gehoben und in der Folge die mesozoischen
und obersten paläozoischen
Schichten erosiv entfernt (von Eynatten
et al. 2008). Auch die westliche und südliche
Umgebung des Harzes wurde in diese
Hebung einbezogen, so dass rezent die
permischen und triassischen Schichten des
Unteren Eichsfeldes mit einigen Grad vom
Harz weg in Richtung Westen bzw. Süden
einfallen. Gelangten bei der Hebung und
der nachfolgenden Erosion die Salze des
Zechstein in Tiefen von weniger als etwa
500 m unter Flur, so kamen sie mit Grundwässern
in Kontakt und wurden gelöst,
ein Prozess, der auch heute noch abläuft.
Die über dem Salz liegenden Schichten
des Unteren und Mittleren Buntsandstein
sackten nach und zerbrachen in Schollen
und kleinere Trümmer, formten ein Schollenmosaik.
An der Erdoberfläche bildeten
sich infolge der Lösung der Salze Depressionen
oder Subrosionswannen, die sich im
humiden Klima mit Wasser füllten.
Der eingangs erwähnte Wechsel der
Landschaft zwischen Leine-Bergland und
Unterem Eichsfeld ist auf die Lösung des
Salzes im Untergrund zurückzuführen.
Westlich der Linie Northeim-Waake ist –
wie die Bohrungen zeigen – das Zechstein-Salz
noch intakt. Östlich anschließend
befindet sich ein relativ schmaler
Streifen von einigen Kilometern Breite in
dem das Salz nur noch teilweise vorhanden
ist. Dieser Streifen wird als „Salzhang“
bezeichnet, der das intakte Salzlager vom
teilsubrodierten und weiter zum Harzrand
hin vom vollständig salzfreien Raum
trennt (Abb. 1). Ein entsprechender Salzhang
zieht sich östlich und südlich von
Duderstadt um das Ohmgebirge hin. Fast
alle erkennbaren Subrosionssenken liegen
am Rande oder in der Nähe des Salzhangs.
Auf der Hochfläche des Göttinger Waldes,
der aus Unterem Muschelkalk besteht,
liegen in einer Höhe von 400 m üNN
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Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
17
in einem verkarstetem fossilen Bachlauf
oder einer fossilen Karstspalte bis zu
0,5 cm Durchmesser erreichende Bohnerze
und Gerölle von Quarzit, Kieselschiefer
und Buntsandstein (Hempel 1954, Ritzkowski
1999)). Auch an anderen Stellen
des nordöstlichen Göttinger Waldes, die
durch leichte Depressionen im Gelände
gekennzeichnet sind, wurden ebenfalls
Bohnerze gefunden. Die Bohnerze, kleine
Konkretionen von Limonit und Goethit,
bildeten sich in einem warmen wechselfeuchten
Klima, wie es im Oligozän und
Miozän vorherrschte. Ein genaues Alter
der Vorkommen kann leider nicht angegeben
werden, aber da sich im rezenten Klima
Norddeutschlands keine Bohnerze bilden,
müssen sie präquartären Alters sein.
Die Vorkommen auf dem Göttinger Wald
sind auf Grund ihrer Rundung und Politur
sicher fluviatil transportiert worden.
Die Quarzit- und Kieselschiefer-Gerölle
können nur aus dem Bereich des Harzes
stammen und müssen fluviatil auf den
Muschelkalk des Göttinger Waldes transportiert
worden sein, das heißt, das Untere
Eichsfeld, das rezent eine Höhe von
etwa 200 bis 220 m üNN aufweist, muss
zur Zeit der Ablagerung der Gerölle eine
allgemeine Höhe von 400 m nicht unterschritten
haben. Seit dieser Zeit, dem jüngeren
Tertiär, ist das Untere Eichsfeld um
minimal 180 m abgesenkt worden. Da ein
Gefälle vom Harz zum Göttinger Wald
anzunehmen ist, dürfte der Betrag um den
das Untere Eichsfeld gegenüber dem Göttinger
Wald und dem Harz abgesenkt worden
ist, etwa 200 m und mehr betragen.
Dieser Wert liegt in der gleichen Größenordnung
wie die Mächtigkeit der Zechsteinsalze
plus eines Anteils von erodierten
Sand- und Tonsteinen des Buntsandstein.
Das kleinräumige Zerbrechen und Verstellen
der hangenden Schichten förderte
die Erosion, die zu einer Nivellierung des
Reliefs führte. Zusätzlich lagerte sich während
des Pleistozän Löss ab, der den Böden
des Eichsfeldes eine besondere Fruchtbarkeit
bringt, die zu der dortigen intensiven
Landwirtschaft führte. Außerdem wurde
der Löss im ausgehenden Pleistozän bei
fehlender Pflanzendecke durch Niederschläge
als Schwemmlöss leicht verlagert.
Beschreibung ausgewählter
Subrosions-Senken und ihre
zeitliche Entwicklung
Die Füllungen einzelner Subrosionssenken
weisen je nach Standort, Größe und
Alter sehr unterschiedliche Fazies und
Entwicklungen auf, so dass hier nur einzelne
ausgewählte charakteristische Beispiele
beschrieben werden. Viele der in Abbildung
1 eingetragenen Senken sind geologisch
jedoch bislang noch nicht näher untersucht
worden. Außerdem gibt es sicher
eine Reihe von wahrscheinlich älteren Subrosionssenken,
die bislang nicht erkannt
worden sind, da sie mit fluviatilen Schottern
der Oder, Hahle oder Rhume gefüllt
und von Löss bedeckt sind. Allen Senken
gemeinsam ist, dass ihre präquartäre Unterlage
von Gesteinen des Buntsandstein
gebildet wird. Die untersuchten Subrosions-Senken
werden von Norden nach Süden
vorgestellt, wobei die Senken von Willershausen,
Denkershausen und Westerhof
noch im Bereich des Leine-Berglands liegen.
Die einzelnen Senken werden unterschiedlich
als Senke, Becken, Teich oder
See bezeichnet. Es werden hier die traditionell
gebräuchlichen Namen verwendet.
Daneben gibt es im Unteren Eichsfeld
noch kleinere Erdfälle, die meist holozänen,
weichsel- oder eem-zeitlichen Alters
sind (Ricken & Grüger 1988). Sie sind
sehr wahrscheinlich das Resultat der Gipslösung
und werden hier nicht behandelt.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
18 Josef Paul
Willershäuser Senke
Die Senke von Willershausen ist die älteste
und bekannteste Subrosionssenke am
Harzrand. Sie liegt am nördlichen Ende
des hier beschriebenen Gebiets (Abb. 1,
Nr. 1). Bekannt ist die ehemalige Tongrube
von Willershausen infolge ihrer zahlreichen
und hervorragend erhaltenen Fossilien,
die einen umfassenden Einblick in
die Umwelt des Harzrandes kurz vor der
Eiszeit ermöglichen. Insgesamt ist das Tertiärvorkommen
von Oldenrode – Düderode
– Willershausen etwa 5,5 km 2 groß
(Vinken 1967). Es bildet ein V-förmiges
nach Norden geöffnetes Vorkommen mit
dem Ort Willershausen in der Spitze. Es
grenzt nach der Kartierung von Jordan
(1996) im Westen mit Störungen an den
Lias und Unteren Keuper und im Osten an
den Unteren und Mittleren Buntsandstein.
Bohrungen der Harz-Lahn-Erzbergbau
AG nördlich von Willershausen ergaben
nach Norden abtauchende bis zu 270 m
mächtige tertiäre sandig-tonige Ablagerungen
mit mehreren bis zu 17 m mächtigen
Braunkohlenflözen, deren unterer
Teil untermiozäne Pollen enthält (Vinken
1967, Jordan 1996).
Die ehemalige Tongrube der Willershäuser
Ziegelei, in der die Fossil-Lagerstätte
liegt, befindet sich im südlichsten Zipfel
des Tertiärvorkommens. Die zum größten
Teil bereits abgebauten Tone nehmen ein
Gebiet von 300 m Länge und weniger als
150 m Breite ein. Am südlichen Rand der
Grube sind Sandsteine der Volpriehausen-
Formation (Mittlerer Buntsandstein), im
Westen und Osten sandige tertiäre Randfazies
aufgeschlossen. Die tonige Beckenfazies
ist auf das Zentrum der Grube beschränkt.
Sie besteht aus gut geschichteten
bis laminierten, dunkelgrauen Tonsteinen,
die sich randlich mit sandigen Sedimenten
verzahnen. In dieser 15 bis 20 m
mächtigen Abfolge tritt eine etwa 30 cm
mächtige laminierte Karbonatschicht auf,
die im Becken aus Dolomit und zum Rand
hin aus Calcit und schließlich aus mit Calcit
zementiertem Sand besteht. Die Laminae
sind 0,05 – 0,2 cm mächtig (Abb. 3). In
dieser laminierten Schicht sind in bester
Erhaltung zahlreiche Fossilien archiviert
worden. Insgesamt wurden wohl hauptsächlich
aus Blättern bestehende 30 000
Fossilien gesammelt und mehr als 300
Arten diverser Lebewesen beschrieben.
Die Blätter enthalten zahlreiche tertiäre
Elemente, wie Liriodendron, den Tulpenbaumm
und Liquidambar (Amberbaum)
beides Arten, die heute im südöstlichen
Nordamerika vorkommen. Eine Zusammenfassung
der Arten des Willershäuser
Tertiärwaldes gibt Knobloch (1998). Die
Spannweite der tierischen Fossilien reicht
vom Riesensalamander (An drias scheuchzeri),
über Mäuse mit Haut und Haaren,
Frösche mit Laichschnüren bis zu einer
Gottesanbeterin. Interessant ist ein Backenzahn
des Mastodonten Anancus arvernensis,
der ein Leitfossil für das Pliozän ist,
obwohl in jüngster Zeit A. arvernensis auch
Abb. 3 Dolomitische Laminite im Pliozän von
Willershausen. Foto: Paul.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
19
Abb. 4 Die Westerhöfer Senke. Der grüne Streifen
links von der Bildmitte bildet den Entwässerungsgraben
des ehemaligen Sees. Foto: Paul.
im ältesten Pleistozän gefunden wurde
(Garrido & Arribas 2014). Aber die Flora
von Willershausen weist zahlreiche tertiäre
Arten auf, die in Mitteleuropa in der Eiszeit
ausstarben.
Hohe Natrium-Gehalte, die in das Kristallgitter
des Dolomits eingebaut sind,
und zahlreiche Diatomeen der halophilen
Gattung Stephanodiscus beweisen, dass das
meromikte Wasser des Teiches zumindest
zeitweise salzhaltig war. Insgesamt zeigen
Flora, Fauna und Klima ein Environment
an, wie es kurz vor dem Eintritt der Eiszeit
in Mitteleuropa herrschte. Bemerkenswert
ist, dass ein Flurname nordöstlich von
Willershausen „Über der Salzwiese“ heißt
und damit indirekt ein Nachweis für die
noch andauernde Subrosion ist. Über die
Sedimentologie und Fazies der Willershäuser
Fossil-Lagerstätte wird in einer gesonderten
Arbeit berichtet (Paul in Vorbereitung).
Der Abbau der Tone wurde 1974 eingestellt.
1976 wurde die Grube von Willershausen
unter Naturschutz gestellt und zum
Schutz vor Raubgräbern eingezäunt.
Westerhöfer Senke
Der Ort Westerhof liegt etwa 1,5 km
südöstlich von Willershausen. Die Westerhöfer
Senke (Abb. 1, Nr. 2) befindet
sich knapp 2 km südlich Westerhof zwischen
der Erhebung des aus Oberem Muschelkalk
bestehenden Imbshäuser Waldes
im Westen und dem aus Mittleren Buntsandstein
aufgebauten Westerhöfer Bergland
(Sauerland 1976). Die Senke erstreckt
sich in einer Höhe von 147 m üNN etwa
1 km in nordöstlicher Richtung und 600 m
senkrecht dazu (Abb. 4). Bis 1840 befand
sich hier ein 0,6 km 2 großer See, der dann
trocken gelegt wurde, um Äcker und Wiesen
zu gewinnen.
Nur die obersten 60 m der Füllung dieser
Senke sind bislang mittels Bohrungen
erkundet worden. Jordan (1996) beschrieb
braune bis dunkelgraue, bituminöse Tone
und Silte, die Süßwasser-Ostracoden führten.
Petersen (1979) erbohrte in 12 m Tiefe
graue Tone, die Pollen der Reuver-Stufe,
der obersten Stufe des Pliozän, enthielten
(mündliche Mitteilung Prof. H.-J. Beug,
Göttingen). Ältere Bohrungen in der
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
20 Josef Paul
Westerhöfer Senke erbrachten unter 10 m
mächtigen Lehm- und Sand-Schichten
50 – 60 m mächtige blaue Tone mit einem
30 – 80 cm mächtigen Braunkohlen-Zwischenmittel.
Diese Tone gehören mit einiger
Wahrscheinlichkeit ins Miozän.
Die Westerhöfer Senke weist eine etwas
andere Entstehung als die meisten anderen
Subrosionsenken des westlichen Harzrandes
auf. Petersen (1979) wies in seiner
Kartierung des Imbshäuser Waldes, der im
Westen an die Senke grenzt nach, dass der
Untere Keuper am Kontakt zur Senke steil
bis überkippt nach Osten einfällt. Sauerland
(1976) konnte belegen, dass östlich
und nordöstlich der Senke mehrere große
Schollen von Oberem und Unterem Muschelkalk
und Unterem Keuper allochthon
unter Ausfall von Röt und Unterem Muschelkalk
auf Mittlerem Buntsandstein
liegen, darunter die mehr als 1,5 km lange
Scholle des Ziegenbergs nordöstlich
der Westerhöfer Senke. Sowohl die Lagerung
dieser bis 40 m mächtigen Schollen
als auch die des unterlagernden Mittleren
Buntsandstein sind nahezu horizontal.
Das heißt, es fehlen dazwischen mehr als
300 m der normalen Schichtenfolge. Ferner
stellte Nielsen (in Vinken 1967) an
Hand von Schwefel-Isotopen fest, dass ein
Gipsvorkommen, das etwa 1,5 km östlich
der Senke in einem kleinen aufgegebenen
Steinbruch im Niveau des Unteren Röt
aufgeschlossen ist, die isotopische Signatur
der Zechstein-Gipse aufweist. Aus diesen
Befunden kann geschlossen werden, dass
im heutigen Gebiet der Westerhöfer Senke
Zechstein-Salz diapirartig bis an oder nahe
an die Oberfläche aufstieg und bei dem
Aufstieg einzelne mitgeschleppte Schollen
des Zechstein lateral in das Niveau des
Röt- und Muschelkalk-Salinars verfrachtete.
Nach oder bereits während des Aufstiegs
wurde das Salz subrodiert und es bildete
sich eine Subrosionssenke.
Auch in der Westerhöfer Senke liegen
wie in Willershausen Anzeichen für eine
Lösung von Salz noch in historischer Zeit
vor. Peter (1901) gab für die Wiesen des
ehemaligen Westerhöfer Teiches salzliebende
Pflanzen an. Klingner (1930) führte
versalzene Brunnen im Ort Westerhof an.
Zusammenfassend ist anzunehmen, dass
der Subrosion der Westerhöfer Senke eine
Diapirphase vorausging, die vermutlich
durch eine Störung induziert wurde. Die
Subrosion setzte spätestens im Miozän ein
und dauert noch an. Allerdings sind pleistozäne
Ablagerungen bislang nicht entdeckt
worden. Möglicherweise pausierte
die Subrosion während der Kaltzeiten oder
ging nur sehr langsam vonstatten.
Denkershäuser Teich
In der Kurhannoverschen Landesaufnahme
von 1784 befand sich einige Kilometer
nördlich von Northeim, direkt westlich
des Ortes Denkershausen, ein etwa
70 ha großer Teich, dessen Oberfläche bei
etwa 150 m üNN lag (Abb. 1, Nr. 3). Vom
18. bis zum 20. Jahrhundert wurde er, um
Äcker und Wiesen zu gewinnen, durch
mehrmalige Drainagen und Tieferlegung
der Vorflut bis auf einen kleinen Restteich
von 8 ha verkleinert (Abb. 5). Die jetzige
Oberfläche des Teiches liegt bei 146 m
üNN, die umliegenden Berge werden bis
250 m hoch. Insgesamt umfasst die Senke
eine Fläche von etwa 4,5 km 2 .
Die Umgebung des Denkershäuser Teiches
besteht im Süden aus dem kuppelförmig
gelagerten Unteren Muschelkalk des
Rethobergs (Vollbrecht 1976, Ay 1980,
Jordan 1996). Im Westen und Norden befinden
sich Unterer und Mittlerer Keuper,
die fast vollständig von einer dünnen Lössschicht
bedeckt sind. Im Nordosten grenzt
die Senke an den Oberen Muschelkalk des
Klimp-Bergs. Im Osten steht eine stark
gestörte Folge vom Oberen Buntsandstein
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
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Abb. 5 Der Denkershäuser Teich reichte früher
vom rechten bis an den linken Bildrand. Infolge
mehrfacher Dränierung ist nur noch ein Restteich
vorhanden. Foto Paul.
bis zum Oberen Muschelkalk an. Tektonisch
ist die Senke fast von allen Seiten
von Störungen umgeben ( Jordan 1996).
Sie liegt zwischen dem Northeim-Langenholtensener
Graben und der Denkershäuser
Störung. Reliefbildend sind vor allem
diapirartige Aufwölbungen, so bilden
der Rethoberg und der Echter Wald bzw.
Imbshäuser Wald Beulen, die auf die Intrusion
von Zechsteinsalzen in das Niveau
des Mittleren Muschelkalk zurückgeführt
werden.
Zahlreiche Peilstangen-Bohrungen und
einige bis 95 m tiefe Drill- und Kernbohrungen
erlauben eine detaillierte Rekonstruktion
der Geschichte des Teiches
(Puteanus 1982, Jordan 1996). Ein N-S-
Schnitt zeigt die räumliche Entwicklung
der Denkershäuser Senke. Durch eine Barre
ist die Senke in einen kleineren Nordund
einen größeren Südbereich unterteilt
(Abb. 6). Der mesozoische Untergrund der
tiefsten Bohrung DHT 1 besteht aus verstürztem
und zum Teil brekziertem Unterund
Mittelkeuper (38 – 95 m Teufe), den
Jordan (1996) als Folge der Subrosion von
Zechsteinsalz ansah. Darüber liegen bis
27 m mächtige pleistozäne Fließerden, deren
Klasten vorwiegend aus Keupermergel,
untergeordnet auch Muschelkalk, bestehen.
Es folgen ein 5 m mächtiger Schwemmlöss,
dessen Alter mangels überlieferten
Pollen nicht bestimmt werden konnte.
Die darüber liegenden bis 13 m mächtigen
Mudden und Torfe wurden in mehreren
Bohrungen detailliert untersucht. Die
limnisch-telmatische Folge setzt mit einer
mineralischen Mudde ein, die in der Pollenzone
(PZ) IV (Präboreal) beginnt und
sich in PZ V (Boreal) fortsetzt, zeitweise
unterbrochen von Mudden mit höheren
Karbonat-Gehalten, die bis zum Stadium
der Seekreide reichen. Mit dem Atlantikum
(PZ VI und VII) nimmt die Produktion
organischer Substanzen stark zu. Es
bilden sich Torfe und organische Mudden,
im Norden des Beckens auch Seekreide.
In den PZ VIII (Subboreal) und PZ IX
(Subatlantikum) kam es hauptsächlich zur
Bildung von bis zu sieben Meter mächtigen
Torfen und Torfmudden. Die PZ X
(s. Tab. 5) ist durch einen starken Anstieg
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22 Josef Paul
Abb. 6 Querprofil durch die Sedimente des
Denkershäuser Teiches. DHT1 Bohrung Denkershäuser
Teich 1. Nach Puteanus (1982).
der Nichtbaumpollen gekennzeichnet, der
eine Folge des mittelalterlichen Ackerbaus
und der Viehwirtschaft ist. Die neuzeitlichen
Spiegelabsenkungen führten zu
mehreren Metern mächtigen Ablagerungen
von Schwemmlöss. Seedorf (1955) berichtete
von Beständen von Halophyten im
und am Denkershäuser Teich. Allerdings
ergaben Messungen der Chlorid-Gehalte
des Teiches und seiner Zuläufe keine erhöhten
Werte (Puteanus 1982).
Die Absenkung des Wasserspiegels,
die Einleitung häuslicher und landwirtschaftlicher
Abwässer und die intensive
Landwirtschaft in der Umgebung führten
zu einer starken Eu- bis Hypertrophierung
des nur wenige Meter tiefen Restgewässers.
Die große Produktion von Biomasse
und die Einschwemmung von mineralischen
Partikeln verursacht eine schnelle
Verlandung des unter Naturschutz stehenden
Gewässers. Zur Verringerung der Belastung
des Teiches wurde für die häuslichen
Abwässer der Dörfer Lagershausen
und Denkershausen eine Ringleitung gelegt.
Über die Genese der Denkershäuser
Senke wird seit langem diskutiert.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
23
Während vor allem die älteren Autoren
vorwiegend einen tektonischen Ursprung
favorisierten (Grupe 1916, Klingner 1930,
Brinkmann 1932, Lüttig 1954), nehmen
andere Autoren gemischte, also tektonische
und halotektonische Gründe an
(Seedorf 1955, Vinken 1967, Benda et al.
1968), andere wiederum stellen die Subrosion
des Salzes in den Vordergrund (Kölbel
1941, Jordan 1996).
Zur Datierung des Beginns der Subrosion
sind fluviatile Schotter wichtig, die nur
wenige 100 m weiter westlich, aber außerhalb
der Senke liegen (Grupe 1916, Lüttig
1954). Es sind nach ihrer lithologischen
Zusammensetzung Rhume-Schotter, die
zur elsterzeitlichen Oberterrasse gestellt
werden und die bis zu 30 m über dem
Niveau des Teiches liegen. Lüttig (1954)
schloss daraus, dass die Subrosion der Denkershäuser
Senke erst nach der Ablagerung
der Oberterrasse einsetzte, denn sonst wäre
die Senke mit den Schottern der Rhume
gefüllt worden. Insgesamt ergibt sich, dass
die quartäre oder quartär beeinflusste Füllung
der Senke mehr als 100 m mächtig ist.
Ab dem ausgehenden Pleistozän und im
Holozän lässt sich eine mehr oder minder
kontinuierliche Absenkung nachweisen.
Auslöser der Absenkung kann neben der
Subrosion auch das Abwandern des Salzes
in die benachbarten Salzbeulen des Rethobergs
und des Imbshäuser Waldes sein.
Bilshäuser Becken
In der inzwischen aufgelassenen Bilshäuser
Tongrube (Abb. 1, Nr. 4) befindet
sich nach Kühl (2008) das einzige vollständig
überlieferte laminierte Vorkommen des
Cromer-Komplexes (Mittleres Pleistozän)
in Deutschland (Tab. 3). Die räumliche
Ausdehnung des Bilshäuser Beckens beträgt
nach Bismarck (1942), der zahlreiche
Bohrungen der Ziegelei Bilshausen (heute
Jacobi Tonwerke GmbH) auswertete,
in N-S-Richtung knapp drei km und weniger
als einen km in W-E-Richtung. Die
Fortsetzung nach Norden ist ungewiss, da
hier die pleistozänen Sedimente von der
Rhume vermutlich erodiert wurden. Die
Oberfläche des Pleistozän liegt zwischen
150 und 200 m üNN. Nach Lüttig & Rein
(1954) grenzt das Vorkommen im Osten
mit einer Störung an den Mittleren Buntsandstein.
Die Tongrube und mehrere am Rand
der Grube abgeteufte bis 70 m tiefe Bohrungen
erschlossen das in Tabelle 4 dargestellte
Profil. Über anstehendem Buntsandstein
wurden fluviatile Schotter, die
vorwiegend aus Buntsandstein bestehen
und graue und rote Tone und Sande erbohrt.
Darüber folgen bis 20 m mächtige
dunkelgraue bis schwarze laminierte Tone,
die dünne graue und weiße Sandlagen enthalten.
Außerdem sind sie voller pflanzlicher
Makro- und Mikroreste. Bismarck
(1942) bestimmte in den schwarzen Tonen
einen durchschnittlichen Gehalt von etwa
50 % organische Substanz. Er führte auch
die ersten Pollenanalysen durch und stellte
diesen „Kohlenton“ in das Günz-Mindel-
Interglazial, das heute in Nordeuropa als
Cromer-Komplex bezeichnet wird. Lüttig
& Rein (1954) beziehungsweise Lüttig
(1965) benannten die in der Grube aufgeschlossenen
warmzeitlichen Tone nach
dem an Bilshausen vorbei fließenden Fluss
als „Rhume-Interstadial“. Die in der Folgezeit
von verschiedenen Autoren durchgeführten
Pollenanalysen bestätigten die
Einstufung in den Cromer-Komplex, verfeinerten
gleichzeitig die Stratigrafie und
ermöglichten exakte Aussagen zum damaligen
Klima (Chanda 1962, Averdieck
& von der Brelie 1963, Müller 1965, 1992,
Streif 2001, Diehl 2007, Kühl 2008). Die
durchschnittliche Dicke der Lamina beträgt
nach Diehl (2007) 0,35 – 0,45 mm.
Nach Untersuchungen von Müller (1965)
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
24 Josef Paul
Tab. 4 Lithologie und Stratigrafie der quartären Schichtenfolge des Bilshäuser Beckens. Nach Lüttig &
Rein (1955), Lüttig 1965, Rohdenburg & Meyer (1966), Müller (1992), Streif (2004) und Diehl (2007).
Lithologie
Stratigrafie
Jüngerer Löss 1 + 2 Weichsel 1,5
Verlehmungszone Eem-Warmzeit 3,0
Älterer Löss 1 + 2 Saale-Komplex Saale-Eiszeit 3,0
Mächtigkeit
(m)
Autor
Selzer 1936 Rohdenburg
& Meyer
1966
Geröll-Schicht
Elster-Kaltzeit 0,8
Ton, siltig, grau
Elster-Komplex
Gelkenbach-
Interstadial
Lüttig 1965
Oberer Ton, rot
Roter Ton von
Bilshausen
5 – 10
Ton, blaugrau
Ton, hellgrau
(Kohleton)
Cromer-Komplex
Rhume-
Warmzeit
20
Müller 1965, Diehl
2007
Unterer Ton, rot ?
Ton, humos, ?
Lehm + Buntsandsteinbrocken
21 Müller 1965
7
Buntsandstein
sind es jahreszeitliche Warven. Die Hochrechnung
der Zahl der Warven ergibt, dass
die Rhume-Warmzeit etwa 25 000 Jahre
dauerte. Die Rhume-Warmzeit ist die
jüngste Einheit des aus vier Warmzeiten
und drei Kaltzeiten bestehenden Cromer-
Komplexes. Sie setzt nach den Pollen-Untersuchungen
über einer waldfreien Zeit
(Unterer Roter Ton) mit einem Kiefern-
Birken Wald ein. Die klimatische Klimax
wird mit einem Buchen-Eichenmischwald
erreicht. Die Warmzeit klingt mit einem
Fichten-Kiefern-Birkenwald aus, bevor
sich eine Tundra ausbreitet, die mit dem
Oberen Roten Ton einsetzt.
Zwischen 1930 und 1965 wurden in der
Grube etliche Großsäugerreste geborgen,
darunter zwei Exemplare des Riesenelchs
Cervalces latifrons, des Steppenhirsches
Megaloceros verticornis, Reste eines oder
zweier Nashörner Stephanorhinus etruscus
und mehrerer Rehe (Schmidt 1934, Bismarck
1942, Lüttig 1965, Meischner &
Schneider 1967, Pfeiffer 2002). Die genaue
Position der Funde in der Schichtenfolge
ist leider nicht überliefert. Die meisten
Fossilien werden im Museum des Geowissenschaftlichen
Zentrums der Universität
Göttingen aufbewahrt. Das Etruskische
Nashorn (Stephanorhinus etruscus) soll nach
neueren Untersuchungen bereits im unteren
Cromer-Komplex ausgestorben sein
(Made 2010, Kahlke et al. 2011), so dass
hier möglicherweise eine Fehlbestimmung
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
25
vorliegt (Schmidt 1934, Bismarck 1942).
Neben den Großsäugern wurden mehrere
Fischarten gefunden, darunter neben
Fisch-Schuppen vollständige Skelette
von Rotfedern und eines Hechtes
(Weiler 1965). An Makropflanzen konnte
Bismarck (1942) neben unbestimmbaren
Teilen nicht sehr zahlreiche Blattund
Stängelreste von Phragmites vulgaris,
Scirpus sp. und Carex aquatilis feststellen.
Neben den Blättern und Früchten diverser
Bäume fand er noch Reste von Moosen
(Sphagnum, Hypnum und Polytrichum).
Bei den Diatomeen war die planktonische
Gattung Cyclotella bei weitem am häufigsten,
zum Teil Alleinvertreter. Leider bestimmte
Bismarck (1942) nur die Gattung,
nicht aber die Art. An der Grenze zum
hangenden Roten Ton nimmt die Häufigkeit
der Diatomeen stark ab.
Die ungestörte Lamination, der hohe
Gehalt an organischer Masse und die ausgezeichnete
Konservierung der Fossilien
zeigen, dass das Bodenwasser des Sees
dauerhaft keinen Sauerstoff enthielt. Tierische
und pflanzliche Lebewesen, die in den
See hinein gespült wurden oder im Epilimnion
lebten, blieben erhalten, wenn ihre
Leichen ins Hypolimnion absanken. Der
Bilshausen-See war, ähnlich wie Willershausen,
ein meromiktischer See. Über die
Ursachen der Meromixis kann nur spekuliert
werden. In Frage kommen entweder
eine thermische Schichtung, dann müsste
der See relativ tief gewesen sein oder eine
chemische Schichtung, bedingt durch einen
hohen Salzgehalt im Hypolimnion.
Das absolute Vorherrschen der Diatomeen-Gattung
Cyclotella, die sowohl im Süßwasser
als auch im Salzwasser vorkommt,
spricht für abnorme hydrologische Bedingungen.
Im feingeschichteten Oberen Roten Ton
wurden bislang außer Sporen von Moosen
keine Fossilien gefunden. Er wird deshalb
in den Elster-Komplex gestellt, der auf
den Cromer-Komplex folgt. Im darüber
anschließenden grauen Ton, den Lüttig
(1965) nach einem dort fließenden Bach
als Gelkenbach-Ton bezeichnete, wurden
neben Pflanzenfossilien und Fischen
auch Reste von Großsäugern gefunden, so
auch von einem Riesenelch. Die Fossilien
unterscheiden sich aber nicht von denen
des Bilshausen-Tones. Die Mikroflora des
Gelkenbach-Tones zeigt eine aus wenigen
Baumarten bestehende Steppe. Sie wird
als ausgehende Warmzeit im Übergang zu
einer Kaltzeit gedeutet. Über diesen laminierten
schwarzen, siltigen Tonen lagert
der bis knapp 10 m mächtige rote Bilshäuser
Bodenkomplex, der nach Rohdenburg
& Meyer (1966) in der Eem-Warmzeit
entstand. Ein geringmächtiger Weichsellöss
schließt die Schichtenfolge ab.
Bohrungen der Bilshäuser Ziegelei ergaben,
dass das Pleistozän-Vorkommen
aus einem nördlichen und einem südlichen
Becken besteht, die aber wohl in Verbindung
standen, da die sedimentäre Abfolge
in beiden Teilen gleich ist, obwohl die Ablagerungen
unterschiedlich mächtig sind
und ihre jetzigen Höhenlagen variieren.
Bismarck (1942) leitete daraus ein zeitlich
unterschiedliches Absinken der beiden
Beckenteile ab.
Der von Diehl (2007) untersuchte Bohrkern
wies viele Störungen des Gefüges
auf, so Profilverdopplungen, Abscherungen
und Rutschfalten, die darauf schließen
lassen, dass die Sedimente an einem Hang
abgelagert wurden. Auch die Nähe zum
anstehenden Buntsandstein zeigt, dass die
Tongrube am Rande eines relativ steilen
Ufers angelegt wurde. Das trifft auch auf
die Funde der Großsäuger zu, die möglicherweise
durch Einbrechen im Eis oder
durch Schwingrasen zu Tode kamen.
Die Tongrube von Bilshausen belegt
eine mehr oder minder kontinuierliche
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
26 Josef Paul
Sedimentation in einem Subrosionsbecken,
die vom jüngeren Cromer-Komplex
(vor etwa 400 000 Jahren) bis in die
jüngsten Ablagerungen der Weichsel-Zeit
(10 000 Jahre vor heute) reicht.
Bodensee-Senke
Der ehemalige Bodensee oder Teich befand
sich nordwestlich des gleichnamigen
Dorfes, das drei km südwestlich von Bilshausen
entfernt ist (Abb. 1, Nr. 5). Er liegt
nach der Entwässerung, die im 19. Jahrhundert
erfolgte, als eine etwa 1 km lange
und knapp 0,7 km breite Senke vor, deren
Oberfläche bis zu 30 m von den umgebenden
Hügeln des Buntsandsteins überragt
wird. Bohrungen der Bilshausener Ziegelei
trafen unter mehreren Metern graublauen
und gelbbraunen Löss auf graue und
schwarze Tone, die nach Bismarck (1942)
dem grauen, später als Gelkenbach-Ton
bezeichneten Ton in Bilshausen entsprechen.
Bereits Bismarck (1942) vermutete,
dass unter den grauen Tonen noch ältere
pleistozäne Ablagerungen vorhanden seien,
die aber noch nicht untersucht worden
sind.
Seeburger See
Das Seeburger Becken ist eines der bedeutendsten
Subrosionsfelder des Unteren
Eichsfeldes (Abb. 1, Nr. 6). Es setzt
sich aus vier voneinander getrennten Subrosionssenken
zusammen: dem eigentlichen
Seeburger See (früher als Ostersee
bezeichnet), dem Luttersee, dem Seeanger
(früher Westersee), und den Auewiesen.
Bismarck (1942) vermutete, dass diesen
Senken ein einheitlicher etwa fünf
km 2 großer Einbruchskessel zu Grunde
liege. Dieser Ansicht widerspricht aber,
dass der Steinberg, der aus Gesteinen der
Abb. 7 Der Seeburger See, Blick nach Nord osten.
Im Hintergrund der Acker-Bruchberg-Zug des Harzes.
Foto: Paul.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
27
Volpriehausen-Formation des Mittleren
Buntsandstein besteht, fast in der Mitte
dieses Gebietes liegt und die Senken um
mehr als 70 m überragt.
Der Seeburger See wurde von Streif
(1970) intensiv limnogeologisch mittels
zahlreicher Bohrungen im See und in der
Umgebung untersucht. Der See ist knapp
einen km 2 groß und bis zu 4 m tief (Nixdorf
et al., ohne Jahresangabe). Sein künstlich
gesteuerter Wasserspiegel liegt bei
156,6 m üNN. Der jetzige See ist der Restsee
innerhalb einer etwas größeren Subrosionssenke
(Abb. 7). Ein kleiner Bach,
die Aue, der am Muschelkalk-Plateau des
Göttinger Waldes bei Waake entspringt,
durchfließt den See und verlässt ihn wieder
an seinem Ostufer bei Bernshausen.
Der mesozoische Untergrund des Seeburger
Sees und seiner Umgebung besteht
aus verstellten Schollen der Volpriehausen-
Formation des Mittleren Buntsandstein
(Streif 1970). Die quartäre Basis des Sees
wird von Schwemmlöss gebildet, der wahrscheinlich
spät-pleistozänen Alters ist. Darüber
setzen bis zu 17 m mächtige limnisch-telmatische
Sedimente ein. Mittels
eines engmaschigen Netzes von Bohrungen
konnte Streif (1970) die Entwicklung
der sedimentären Füllung rekonstruieren.
Im Beckenzentrum wurden nacheinander
verschiedenfarbige Mudden abgelagert, die
jeweils verschieden hohe Gehalte an Mineralien
(Tonmineralien, Quarz, Feldspäte,
Calcit) und organischen Bestandteilen
aufweisen, während an den Rändern des
Beckens Torfmudden und Torfe überwiegen.
Die jüngeren Mudden sind kalkreich
und weisen Karbonat-Gehalte bis zu 80 %
auf. Dies ist wohl eine Folge des Zutritts
von karbonatreichen Wässern der Aue,
die im älteren Holozän nicht durch den
See floss. Pollen-Analysen und zur Kontrolle
einige 14 C-Altersbestimmungen erlauben
die Zuordnung zu den Zonen der
Waldentwicklung Mitteleuropas nach
dem Ende der Eiszeit. Steinberg (1944)
und Streif (1970) stimmen überein, dass
die ältesten Mudden in die Pollen-Zone
PZ III nach Firbas (1949) fallen (Tab. 5).
Streif (1970) nimmt mehrere Impulse der
Absenkung an. Im Laufe der Entwicklung
vergrößerte sich die Wasserfläche der
Senke und die größten Mächtigkeiten der
Mudden verlagerten sich, entsprechend
der Absenkung durch die Subrosion. Das
Maximum der Ausdehnung des Sees wurde
während der PZ IX erreicht.
Bereits ab dem Mittelalter setzte eine
starke Verlandung ein, wohl ausgelöst
durch rigorose Abholzungen und die
Landwirtschaft, die zum verstärkten Eintrag
mineralischer Stoffe in den See führten.
An der Mündung der Aue bildete sich
ein ständig wachsendes Delta. Die in der
Neuzeit intensivierte Düngung der Felder
brachte zusätzliche Nährstoffe, wie Nitrate
Tab. 5 Pollenzonen des Spätpleistozän und Holozän
nach Firbas (1949) und ungefähres absolutes
Alter der Zonen in Jahren vor der Gegenwart.
Klimaperioden
Subatlantikum
Pollenzonen
nach Firbas (1949)
Alter
(a bp)
X – 1 100
IX – 2 500
Subboreal VIII – 5 750
Atlantikum
VII
VI
– 8 900
Boreal V – 10 200
Präboreal IV – 11 500
Jüngere Dryas III – 11 800
Alleröd II – 13 000
Ältere Dryas I – 14 000
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
28 Josef Paul
und Phosphate, in den See, so dass es zu
einer Eu- bis Hypertrophierung der Wässer
kam. In warmen Sommern, wie im Jahr
2018, treten Algen- bzw. Cyanobakterienblüten
auf, die ein temporäres Badeverbot
im inzwischen touristisch stark genutzten
See erfordern.
Peter (1901) erwähnte zahlreiche Vorkommen
von Halophyten im Seeburger
Gebiet. Erhöhte Chlorid-Gehalte des Seewassers
wurden bei langjährigen Messreihen
der damaligen Abteilung Fazieskunde
im Institut für Geologie und Paläontologie
der Universität Göttingen allerdings
nicht festgestellt. Insgesamt sind die karbonat-
und sulfatreichen Wässer des Seeburger
Sees polymikt. Die eutrophen Verhältnisse
bedingen eine geringe Sichttiefe.
Der pH des Wassers schwankt zwischen
7,5 und 8,7. Die Sättigung mit Sauerstoff
liegt je nach Jahreszeit zwischen 60 und
300 %. Am geringsten ist sie im Sommer
nach einer Algenblüte. Im Winter sind die
Sauerstoff-Gehalte unter Eisbedeckung
bei Sonneneinstrahlung am größten.
Im Jahr 1976 wurden der See und sein
Uferstreifen unter Naturschutz gestellt, allerdings
mit großzügigen Ausnahmen für
den Bade- und Sportbetrieb. Der mineralische
Eintrag soll durch den Bau eines
Auffangbeckens und die Wiedervernässung
und Renaturierung des Seeangers minimiert
werden. Insgesamt stellt der jetzige
Zustand ein Kompromiss zwischen dem
Naturschutz und den Belangen der Landwirtschaft,
des Tourismus und der Freizeit-
Industrie dar.
Luttersee
Der knapp 0,3 km 2 große Luttersee
liegt etwa 500 m nördlich des Seeburger
Sees, von dem ihn eine etwa 20 m höhere
Buntsandsteinscholle trennt (Abb. 1,
Nr. 7). Das Niveau des Seebodens liegt bei
161,5 m üNN, etwa fünf Meter über dem
Wasserspiegel des Seeburger Sees. Früher
befand sich hier ein flacher See. Etwa 1840
wurde zwecks Torfgewinnung ein 300 m
langer Stollen zum tieferliegenden Seeburger
See gegraben und der Luttersee trocken
gelegt.
Pöhlig (1981) kartierte den ehemaligen
See und seine Umrandung mittels
73 Peilstangen-Bohrungen, die bis in den
Löss reichten, dessen Ablagerung der limnischen
Phase vorherging. Die maximale
Mächtigkeit der limnisch-telmatischen
Sedimente beträgt 13 m. Die limnischen
Ablagerungen wurden mittels der Gehalte
an Karbonat, der organischen und mineralischen
Bestandteile und der Korngröße
der Mudden gegliedert. Nach Chen
(1988) setzt die Pollenführung mit dem
Beginn der ältesten Tundrenzeit ein. Über
dem Schwemmlöss (Pollen-Zone I) lagert
eine mineralische Mudde (PZ IIa), die
nach oben in eine feinkörnige organische
Mudde übergeht. In die Mudde eingelagert
ist ein geringmächtiger Tuffit, der von
bis zu 2 m mächtigem Schwemmlöss überlagert
wird (PZ IIb – IV). Es folgt wiederum
eine feinorganische Mudde, die an den
Rändern gröber wird und in Torf übergeht
(PZ V). Im Zentrum des Beckens ist eine
Kalkmudde (35 % Karbonat, 19 % Corg)
in die feinorganische Mudde eingelagert.
Die Karbonatfraktion besteht neben unregelmäßigen
Kalkkörnern aus Molluskenschalen,
Characeen-Inkrustierungen und
Ostracoden. In den Pollenzonen VI bis
VIII vergrößerte sich der See und lagerte
vorwiegend feinorganische Mudden ab.
Bereits in der PZ VIII wurden die Mudden
gröber und gehen in der PZ IX in grobe
Mudden und schließlich in Torf über.
Der See verlandete. In der PZ X lagerte
sich an den Rändern infolge des intensiven
Ackerbaus bis zu 2 m Schwemmlöss über
den limnischen Sedimenten ab.
Der geringmächtige Tuffit ist im
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
29
Abb. 8 Der Luttersee, eine abflusslose Senke,
führt seit einigen Jahren nach Schließung der
Dränage wieder permanent Wasser. Foto: Paul.
gesamten ehemaligen See nachweisbar. Es
lassen sich eine untere hellgraue und eine
obere dunkelgraue Schicht, die mehr organisches
Material enthielt, unterscheiden.
Die Mächtigkeit schwankt zwischen
1 cm am Rand und 18 cm im Zentrum des
Beckens. Ahrens & Steinberg (1943) und
Frechen (1952) untersuchten die Chemie
und Mineralogie des Tuffits. Neben detritischen
Komponenten besteht er aus Glasfetzen
und kleinen Bimssteinen. An Hand
des sauren Chemismus und des Alters
schloss Frechen (1952), dass der Tuffit aus
dem 12 700 Jahre alten Ausbruch des Maria-
Laacher-Vulkans stammt.
Die obige Abfolge der Sedimente ergibt
eine mehrfache Verlandung und Wiedervernässung
des Luttersees (Pöhlig 1981).
In der PZ I entstand der erste Luttersee,
der in der PZ II verlandete. Ab der PZ III
vertiefte er sich wieder und in der PZ IV
blieb der Wasserspiegel konstant, bei leichter
Auffüllung mit mineralischem Material.
Die PZ V ist durch ein starkes Pflanzenwachstum
charakterisiert, so dass vom
Rand her sich die telmatische Fazies in den
See vorschiebt. Zu Beginn des Atlantikums
(PZ VI und VII) entstand ein neues,
tieferes Seebecken, das sich über die vorigen
Grenzen ausdehnte. Im Subboreal (PZ
VIII) änderten sich die Sedimentationsbedingungen
nur unwesentlich. Der See erreichte
seine maximale Ausdehnung. Mit
Beginn des Subatlantikums (PZ IX und X)
setzte wieder eine Verlandungsphase ein.
Zum Abschluss bildete sich eine bis zwei
Meter mächtige Decklehmschicht über
den limnisch-telmatischen Seesedimenten.
Der Wasserspiegel wird sowohl von der
Intensität der Subrosion als auch vom Klima
kontrolliert. Beim Klima ist das Verhältnis
von Niederschlag zur Evaporation
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
30 Josef Paul
für die Höhe des Wasserspiegels entscheidend.
Zu beachten ist noch die Kompaktion
der limnisch-telmatischen Sedimente,
die sich aber, bedingt durch die sich stark
ändernden Gehalte an organischem Material,
nur sehr schwierig erfassen lässt.
Da der Seeburger See zunehmend für
touristische und sportliche Zwecke genutzt
wird, beschloss man vor einigen Jahren,
den Stollen vom Luttersee zum Seeburger
See zu schließen, den Luttersee
wieder zu vernässen und ihn gewissermaßen
als Ersatz für den Seeburger See unter
Naturschutz zu stellen (Abb. 8).
Seeanger
Die etwa 1 km 2 große Subrosionssenke
des Seeangers liegt westlich des Dorfes
Seeburg in einer intensiv ackerbaulich genutzten
Depression (Abb. 1, Nr. 8). Bis in
die frühe Neuzeit bestand hier ein See, der
als „Westersee“ bezeichnet wurde, im Gegensatz
zum „Ostersee“ dem jetzigen Seeburger
See. Die Aue durchfließt die Senke
und bringt sehr viel Trübe mit. Auf der
Kurhannoverschen Landesaufnahme von
1784 ist der See bereits als verlandet eingetragen.
Danach wurde er als Feuchtwiese
genutzt und um 1950 noch einmal tiefgreifend
drainiert und beackert. Rohlmann
(1958) und Streif (1970) untersuchten
mittels Bohrungen die Pollen der quartären
Sedimente. Schwedhelm (1980) erweiterte
das Bohrnetz, bestimmte neben den
Pollen vor allem die Zusammensetzung
der Mudden in Bezug auf die Gehalte an
Karbonat und organischem Kohlenstoff
und zeichnete Karten über die Lage und
Mächtigkeit der einzelnen Pollenzonen, so
dass jetzt die einzelnen Stadien der Entwicklung
des Sees flächendeckend rekonstruiert
werden können.
Die ältesten Subrosions-Anzeichen liegen
aus der späteiszeitlichen Niederterrasse
vor, die am Nordrand der jetzigen Senke
im Talsystem der Aue bis 17 m mächtig
wird (Streif 1970). Direkt benachbart zu
dieser Senke ist die sonst ebene Oberfläche
der Terrassenkiese im Bereich des Seeangers
um 8 – 14 m abgesenkt. Üblicherweise
liegt die Niederterrasse im Eichsfeld
um 3 – 5 m höher als die heutigen Talsysteme.
Über den Kiesen folgt ein mehrere
Meter mächtiger Löss, der wie eingearbeitete
Pflanzenreste zeigen, als spätglazialer
Schwemmlöss zu deuten ist. Im Norden
der Senke werden die Lösse und Lössderivate
von fluviatilen tonigen Sanden und
Kiesen überlagert. Diese ersten mittels
Pollen datierten Sedimente stellte Rohlmann
(1958) in die PZ III. Darüber folgt
noch in der PZ III eine Tonmudde, die
nach oben in der PZ IV in eine organische
Flachwassermudde übergeht. Diese
Entwicklung setzt sich in den Torfen der
PZ V fort. Die bis 8 m mächtigen organischen
Kalkmudden und Kalkmudden der
PZ VI bis X weisen wieder eine eulimnische
Phase des Sees auf. Am Rand des Gewässers
bildeten sich weiterhin Torfe. Die
meisten Mudden enthalten Karbonat-Gehalte
bis zu 50 % (Schwedhelm 1980). Der
hohe Karbonat-Gehalt ist wohl auf den
Eintrag des Aue-Baches zurückzuführen,
der im Muschelkalk des Göttinger Waldes
entspringt und Ca 2+ und karbonathaltige
Wässer in den See brachte, die bei Überschreitung
des Löslichkeitsproduktes als
Kalk gefällt wurden.
Eine artenarme Ostracoden-Fauna lebte
in dem oligo-bis mesohalinen, bewegten
und warmen Gewässer. Die Mächtigkeiten
der einzelnen Pollenzonen verlagerten
sich innerhalb der Senke entsprechend
der Subrosion, so wird die PZ Xa, die aus
schwarzen mineralischen Mudden besteht
und auf den östlichen Teil des Beckens beschränkt
ist, bis zu 8 m mächtig. Insgesamt
sind die limnischen holozänen Sedimente
bis zu 20 m mächtig. Schwedhelm
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
31
Abb. 9 Der Seeanger wird als Sedimentfänger
wieder vernässt. Im Hintergrund das Dorf Ebergötzen.
Foto: Paul.
(1980) beobachtete ein Steigen des Wasserspiegels
in den PZ II und III, dann in
der PZ VI und VII, weniger stark ausgeprägt
in den PZ VIII und IX, und einen
starken Schub in der PZ Xa, danach setzte
die Verlandung ein, wohl ausgelöst durch
die intensiven landwirtschaftlichen Tätigkeiten
(Tab. 5).
Schwedhelm (1980) wies darauf hin, dass
die heutige Oberfläche der Senke im östlichen
Bereich einige Meter tiefer liegt als
im Westen und machte eine noch andauernde
Subrosion dafür verantwortlich. Jedoch
ist zu beachten, dass die Kompaktion
der organischen Mudden und Torfe, die im
östlichen Teil mächtiger sind, ebenfalls zu
Absenkungen der Oberfläche führt. Eine
weitere Rolle spielt die Tieferlegung des
Grundwasserspiegels infolge der Dränage
und die damit einhergehende mikrobielle
subaerische Oxidation der organischen
Substanz, deren Ausmaß aber schwierig
abzuschätzen ist. Im Schweizer Seeland
(Kanton Bern) verlieren Torfböden bis zu
2 cm/Jahr an Höhe (mündliche Mitteilung
von Frau Dr. S. Paul, Univ. Basel).
In den letzten Jahren wurde der Seeanger
renaturiert und das Dränagesystem
zerstört (Abb. 9). Dies geschieht vor allem,
um den Seeburger See von den Mineralstoffen
zu entlasten, die nun im Seeanger
verbleiben.
Schweckhäuser Wiesen
Die Subrosionssenke der Schweckhäuser
Wiesen liegt östlich von Waake (Abb.
1, Nr. 9). Es ist ein etwa 11 ha großes
Feuchtgebiet, dessen zentraler Teil unter
Naturschutz gestellt wurde. Über tonigen
Schluffen liegen mehrere Meter mächtige
kalkreiche Niedermoortorfe. Bislang ist das
Senkungsgebiet paläolimnologisch nicht
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
32 Josef Paul
untersucht worden. Es liegt wahrscheinlich
über dem Salzhang und damit im Bereich
rezenter Salzlösung und Senkung. Daher
ist anzunehmen, dass es ein relativ junges
Subrosionsbecken ist. Bei der geologischen
Kartierung der Blätter Gelliehausen und
Waake stellte Ebert (1888) fest, dass eine
SSW – NNE verlaufende Störung, die unter
den quartären Schichten liegenden mesozoischen
Gesteine der Schweckhäuser
Wiesen schneidet. Diese Störung ist wahrscheinlich
der Ansatzpunkt für die Subrosion
der Zechsteinsalze im Untergrund.
Pöhlder Becken
Als Pöhlder Becken wird eine ebene Fläche
nördlich und östlich von Pöhlde bezeichnet,
die fast ausschließlich von der
Nieder- und Mittelterrasse eingenommen
wird (Abb. 1, Nr. 10). Begrenzt wird das
Gebiet im Norden von der Oder, im Westen
und Südwesten von der Rotenberg-
Störung, an der das Pöhlder Becken gegenüber
dem Buntsandstein des Rotenbergs
um etwa 100 m absank.
Das Pöhlder Becken ist keine rezente
morphologische Senke, sondern weist gegenüber
dem hügeligen Umland eine relativ
große ebene Fläche auf. Diesing &
Ledendecker (1986) wiesen bei der Kartierung
des Pöhlder Beckens durch zahlreiche
Bohrungen nach, dass es an der Oberfläche
fast ausschließlich von der Niederterrasse
und einem dünnen Schleier von Löss
und Löss-Derivaten bedeckt ist. Darunter
folgen bis 50 m mächtige Kiese, die Jordan
(1979, 1995) zur Mittel- und Niederterrasse
stellte. Der tiefere Untergrund besteht
aus sandigen Tonsteinen des Unteren
Buntsandstein.
Da das Pöhlder Becken als Trinkwasser-
Lieferant für das Untere Eichsfeld dient,
wurde der tiefere Untergrund durch eine
Reihe von Bohrungen detailliert geologisch
untersucht ( Jordan 1979). In keiner
der Bohrungen wurde Salz nachgewiesen,
so dass die Subrosion des Zechstein-Salzes
wahrscheinlich bereits in der gesamten
Fläche abgeschlossen ist. Da Werra- und
Staßfurt-Salze wohl primär fehlen, kann
nur das Leine- und Aller-Salz subrodiert
worden sein. Außerdem ist in einigen Bohrungen
auch das Leine-Sulfat vollständig
oder teilweise subrodiert.
Ältere quartäre oder tertiäre Sedimente
sind bislang nur aus der aufgelassenen Grube
einer Ziegelei an der Straße von Pöhlde
nach Rhumspringe beschrieben worden.
Das Vorkommen umfasst nach Bismarck
(1942) eine Länge von 600 m und eine
Breite von 300 m. In der Tongrube wurden
etwa 10 m mächtige dunkelgraue Tone und
Sande abgebaut, die nach Bismarck (1942)
einen hohen Gehalt an organischem Material
enthalten. Über den Tonen lagern
gelbliche Schotter, die ausschließlich aus
Buntsandstein bestehen, und eine dünne
Schicht von Schwemmlöss.
Die Tone sollen nach Sobotha (1933,
S. 61) – ohne Angaben von Gründen –
pliozänen Alters sein. Bismarck (1942),
stellte sie, ebenfalls ohne Begründung,
in ein Interglazial. Neuere Untersuchungen
und Angaben zu diesem Vorkommen
sind – ohne Bohrungen – leider nicht
möglich, da die Grube nicht mehr existiert.
Rollshäuser Ziegeleigrube
Am südlichen Ortsrand von Rollshausen,
etwa 3 km östlich des Seeburger
Sees, befindet sich die aufgelassene und
mit Wasser gefüllte Tongrube einer Ziegelei
(Abb. 1, Nr. 11). Insgesamt erstreckt
sich das Vorkommen auf eine N-S-Länge
von etwa 700 m und eine E-W-Breite von
mehr als 300 m. Die grauen Tone und Sande
wurden zwischen 1890 und etwa 1940
abgebaut. Das Vorkommen wird im Westen
von Sandsteinen des Unteren Buntsandstein
begrenzt, die nach Handskizzen
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Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
33
von Sobotha (1923) zur Grube hin steil
durch Lockersedimente, Tone und Sande,
abgeschnitten sind. Die östliche Flanke
wird durch das rezente Tal der Hahle gebildet.
Die hellgrauen tonigen Sedimente
stellte Sobotha (1923, 1933, S. 61) ins
Pliozän, allerdings ohne Beweise für diese
Einstufung zu bringen. Zur Zeit der Untersuchungen
von Bismarck (1942) waren
die grauen Tone bereits abgebaut und
die Ränder der Grube überwachsen. Nur
im Süden des Abbaus war über Unterem
Buntsandstein eine Linse von knapp 2 m
mächtigem gelblichem Sand aufgeschlossen.
Bismarck (1942) konnte außer stark
korrodierten Pollen keine weiteren Fossilien
feststellen, so dass das Alter des Vorkommens
offen bleiben muss.
Duderstädter Becken
Das Duderstädter Becken besteht aus
zwei zusammenhängenden Subrosionssenken,
die sich von Westerode im Westen bis
Ecklingerode im Osten Duderstadts in einer
Länge von etwa 4 km erstrecken (Abb.
1, Nr. 12; Cover). Sie sind möglicherweise
verschieden alt. Beschrieben wurden die
quartären Sedimente von Sobotha (1923,
1932, 1980) und Bismarck (1942, 1957),
die die damals noch zahlreichen Ziegelei-,
Sand- und Kiesgruben untersuchten und
auch die Ergebnisse einiger Wasserbohrungen
heranziehen konnten. In der Zwischenzeit
sind die ehemaligen Gruben fast
alle zugefüllt und überbaut worden.
Bismarck (1942) unterschied das östliche
knapp 4 km 2 umfassende Siebigs-Becken
und ein westliches etwa 2,5 km 2 großes
Westeroder Becken. Im Siebigs-Becken
fand er in einer Tongrube eine etwa sieben
Meter mächtige Abfolge von roten
Tonen, schwarzen humosen Tonen, grauem
entkalkten Löss und schließlich rotbraunem
kalkigen Löss, die er mit den Sedimenten
von Bilshausen korrelierte, ohne
allerdings direkte Beweise dafür zu haben.
Zu den Rändern werden die Lössschichten
mächtiger. In der Beckenmitte stehen noch
mehr als 8 m mächtige fluviatile Schotter
an der Oberfläche an.
Das Westeröder Becken wurde im Zentrum
von mehreren Grundwasser-Bohrungen
der Stadt Duderstadt durchteuft.
Die in einer Tiefe von 66 m anstehenden
Sandsteine gehören in den Unteren Buntsandstein.
Bemerkenswert ist, dass bis zu
einer maximalen Tiefe von 60 m Ton/
Schotter-Wechsellagerungen vorliegen, die
in einigen Bohrungen sogar direkt dem
Buntsandstein aufliegen. Bismarck (1957)
schloss daraus auf eine späte, aber rasche
und hohe Absenkung des Beckens. Moderne
Untersuchungen, die diese Angaben
untermauern und auch Datierungen fehlen
leider.
Das räumliche und zeitliche Fortschreiten
der Subrosion
Die Haupthebung der Harzscholle fand
in der Oberkreide statt. Danach musste
erst ein mehrere Kilometer mächtiger Stapel
vorwiegend mesozoischer Sedimente
erodiert werden, bevor die Subrosion der
Zechsteinsalze einsetzen konnte. Sie setzte
vermutlich spätestens im Tertiär am damaligen
Harzrand ein und verlagerte sich mit
der fortschreitenden Erosion allmählich
nach Westen und Süden bis zum heutigen
Stand. Der mesozoische Untergrund aller
Senken des Untersuchungsgebietes besteht
aus Gesteinen des Unteren und Mittleren
Buntsandstein. Inwieweit dies die zeitliche
Entwicklung der Subrosionssenken beeinflusst,
kann erst nach einem Vergleich mit
anderen Subrosionsgebieten gezogen werden.
Die Senken von Willershausen und Westerhof
wurden wahrscheinlich von Störungen
ausgehend subrodiert. Die Breite des
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
34 Josef Paul
bereits subrodierten Geländestreifens zwischen
dem jetzigen Ausbiss des Zechstein
am Harzrand und dem Salzhang beträgt
im Unteren Eichsfeld etwa 15 – 20 km,
nach Norden wird dieser Streifen schmaler.
Die ältesten Nachweise von Subrosion
liegen in der Willershäuser und der Westerhöfer
Senke vor. Sie haben mindestens
miozänes Alter und waren bis ins jüngste
Pliozän (Reuver-Stufe) und in Westerhof
auch noch rezent Senken, die mit Sedimenten
und Torfen aufgefüllt wurden.
Die Geschichte der Senken, die Verlandung
und Wiedervernässung ist vom Fortschritt
der Subrosion und vom Klima abhängig,
denn das Klima steuert über die
Niederschläge die Geschwindigkeit der
Subrosion. Interessant ist der Vergleich der
holozänen Geschichte des limnisch-telmatischen
Wachstums in den Senken des
Eichsfelds mit der Entwicklung der Hochmoore
im Harz. Beug et al. (1999) stellten
fest, dass in den Mooren des Harzes der
Zuwachs in den PZ VII und VIIIb und
IXb am größten war und in den PZ IV und
V am geringsten. Die Autoren führten dies
auf höhere Feuchtigkeit und tiefere Temperaturen
zurück, die das Moorwachstum
fördern, da bei tieferen Temperaturen die
Verdunstung geringer ist. Am westlichen
Harzrand wurde in vier Senken die holozäne
Geschichte detailliert analysiert. Sie
zeigen kein einheitliches Verhalten. Die
Überlieferung setzte zu unterschiedlichen
Zeiten ein, auch die maximale Ausdehnung
der limnischen Phasen lag in verschiedenen
Zeiten.
Es fällt auf, dass Subrosionssenken nur
in der jetzigen Nähe des Salzhangs vorkommen,
weiter zum Harz hin fehlen sie
(Abb. 1). Dort sind die älteren Subrosionssedimente
bereits der späteren Erosion
zum Opfer gefallen oder die Senken sind
durch pleistozäne fluviatile Schotter aufgefüllt.
Kleinere oder flache Seen haben nur
eine geologisch sehr kurze Lebensdauer.
Durch die Zufuhr von Ton und Silt oder
die Bildung von Torfen verlanden sie relativ
schnell und sind ohne Bohrungen nicht
mehr zu erkennen.
Rezente Subrosion
Die Subrosion hält bis zu heutigen Zeiten
an. Der Salzhang liegt zurzeit am Rande
des Leine-Berglands (Abb. 1). Nach dem
allerdings nur weitständigen Raster von
Bohrungen ist er einige Kilometer breit.
Sobotha (1980) untersuchte die Chlorid-
Führung der Bäche im Unteren Eichsfeld
und stellte fest, dass im Oberlauf der Hahle
und ihrer Nebenbäche Chlorid-Gehalte
von mehr als 50 mg/l auftreten, ein Hinweis,
dass dort Steinsalz aktiv gelöst wird
und dass die Grundwässer im Austausch
mit den Oberflächenwässer stehen. Im
Rest des Unteren Eichsfelds wird entweder
nicht mehr gelöst oder die noch vorhandenen
Restlösungen verbleiben in tiefen
Grundwasser-Horizonten und werden unterirdisch
in Richtung Norden abgeführt.
Die Stadt Northeim fördert im Streitföhr
östlich der Stadt aus pleistozänen
Schottern des Rhumetales und Unterem
Muschelkalk mittels verschiedener Brunnen
beträchtliche Mengen an Wasser, das –
je nach Brunnen – bis 170 mg/l Chlorid
enthält (Frank 1987). Wahrscheinlich
stammt das Wasser aus den Muschelkalk-
Schichten, da die Rhume oberhalb der
Brunnen keine erhöhte Salzfracht erkennen
lässt. Die primäre stratigrafische Herkunft
der Salzwässer und auch der Ort der
Laugung sind nicht bekannt.
Neben dem Nachweis von Austritten
salzhaltiger Wässer (Solquellen) sind Halophyten
die wichtigsten Anzeiger von rezenter
Subrosion. Die salzliebenden oder
salztoleranten Pflanzen besiedeln mit Vorliebe
Talwiesen an den Quellaustritten.
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Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
35
Leider sind durch die Be- und Entwässerung
und künstliche Düngung viele Halophytenbestände
verarmt oder ausgelöscht.
Jedoch konnten durch die frühen Bestandsaufnahmen
von Peter (1901) im südniedersächsischen
Raum viele inzwischen
erloschene Vorkommen erfasst werden.
Oft blieben auch Flur- und Ortsnamen,
wie Sülte, Söl und Sult, die sich auf Solquellen
beziehen, bestehen, auch wenn die
Vorkommen inzwischen verschüttet oder
durch Melioration trocken gelegt worden
sind.
Auch nördlich des Eichsfelds gibt es
Anzeichen für rezente Subrosion. Die
Kurhannoversche Landeskarte von 1784
vermerkt etwa 1 km nördlich von Willershausen
den Flurnamen „Salzwiese“. Es
sollte im 18. Jahrhundert bei Willershausen
sogar eine Saline errichtet werden, das
unterblieb aber aus politischen Gründen
(mündliche Information von Herrn Jäkel,
Willershausen). Ähnliche Anzeichen für
eine noch anhaltende Versalzung gibt es
auch in der Westerhöfer und in der Denkershäuser
Senke (Seedorf 1955, Jordan
1996).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
die flächenhafte Subrosion der Zechstein-
Salze am westlichen Harzrand weit fortgeschritten
ist (Abb. 1). In Bohrungen zwischen
Harz und Göttinger Wald wurden
keine Salze angetroffen. Die heute noch
nachweisbare Subrosion setzte, begünstigt
durch Störungen, bereits im Miozän
im Nordwesten ein (Willershausen, Westerhof
) (Tab. 6). Aus dem Unter-und Mittel-Pleistozän
ist nur die Senke von Bilshausen
bekannt. Die spät-pleistozänen bis
holozänen Senken von Denkershausen, im
Seeburger Raum, Bodensee, Schweckhausen,
Rollshausen und Duderstadt liegen
in der Nähe des rezenten Salzhanges. Die
Zeiten ihrer Bildung und die maximale
Tab. 6 Das Alter der limnisch-telmatischen Sedimente in den Subrosionssenken des westlichen
Harzrandes.
Senke
Willershausen
Plioz
x
Cromer
Elster
Saale
Weichsel
u. jünger nachgewiesene Pollenzonen nach Firbas (1949)
I II III IV V VI VII VIII IX X
Westerhof x x
Denkershausen x x x x x x x x
Bilshausen x x x
Seeburger See x x x x x x x x x
Luttersee x x x x x x x x x x x
Seeanger x x x x x x x x x
Schweckhäus. ?
Pöhlde x x
Duderstadt ? ? x
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
36 Josef Paul
Ausdehnung der limnischen Sedimente,
soweit sie erfasst werden kann, variieren
von Senke zu Senke. Die Subrosion hält
auch heute noch an.
Danksagung
Herr Dr. Markus Diehl, Hessisches Landesamt
für Umwelt und Geologie, steuerte
Informationen und Unterlagen zur Geologie
des Bilshäuser Beckens bei. Herrn Prof.
Dr. Heinz Jordan, ehemals Niedersächsisches
Landesamt für Bodenforschung,
danke ich für vor Jahren geleistete Hilfe.
Nicht zuletzt sei den Diplomanden
gedankt, die mit vielen und mühsamen
Handbohrungen das Ausmaß der Subrosion
und die quartäre Füllung der Subrosions-Senken
erkundeten.
Glossar
Aquifer wasserleitende Gesteinsschicht
Aquitard Grundwassergeringleiter
Bohnerze bohnen- bis erbsengroße
Kugeln aus Brauneisenerz (Limonit)
diapirartig ein Gestein, das aus tieferen
Schichten aufgestiegen ist und seine
Decke durchstoßen hat
Klasten/klastisch zerbrochene Gesteine;
Gesteinstrümmer
Meromixis/meromikt nur der obere Teil
eines Stillgewässers wird durchmischt,
der untere Abschnitt wird nicht in die
Durchmischung einbezogen
polymikt aus mehreren Komponenten
bestehend
telmatisch torfig, moorig
Tuffit Mischsediment, das aus vulkanischen
und nicht-vulkanischen Komponenten
besteht
Warven Wechsellagerung von dünnen
hellen, meist grobkörnigen und dunklen,
meist feinkörnigen Schichten; häufig
Folge eines jahreszeitlichen Wechsels der
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Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
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Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
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für Geologie und Paläontologie, Universität
Göttingen.
Daume, Michael (1992): Der Zechstein in der
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25: 4327 Gieboldehausen) sowie Kartierung
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Sachsa (TK 25: 4429 Bad Sachsa): 173 S. –
Institut für Geologie und Paläontologie,
Universität Göttingen.
Diesing, Hans-Jörg; Ledendecker, Stefan
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von Pöhlde (TK 25: 4327 Gieboldehausen
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Institut für Geologie und Paläontologie,
Universität Göttingen.
Lessmann, Bernd (1993): Hydrogeologische
Untersuchungen im Pöhlder Becken: 54 S. –
Institut für Geologie und Paläontologie,
Universität Göttingen.
Löffler, Thomas (1986): Der Ostrand des Leinetalgrabens
bei Sudheim (GK 25: 4325
Nörten-Hardenberg und 4326 Katlenburg-
Lindau): 105 S. – Institut für Geologie und
Paläontologie, Universität Göttingen.
Petersen, Erik (1979): Geologie des Echter
und Imbshäuser Waldes: 68 S. – Institut
für Geologie und Paläontologie, Universität
Göttingen.
Pöhlig, Charlotte (1981): Sedimentationsgeschichte
des Lutterangers im Unter-Eichsfeld
(TK: 4426 Ebergötzen und 4427 Duderstadt):
135 S. – Institut für Geologie und
Paläontologie, Universität Göttingen.
Puteanus, Doris (1982): Der Denkershäuser
Teich: Paläolimnologische Entwicklung und
gegenwärtiger Zustand einer Subrosionssenke
westlich des Harzes: 71 S. – Institut
für Geologie und Paläontologie, Universität
Göttingen.
Ricken, Werner (1980): Quartäre fluviatile und
äolische Sedimentation am Südwest-Harz
und ihre Beeinflussung durch die Subrosion:
138 S. – Institut für Geologie und Paläontologie,
Universität Göttingen.
Sauerland, Volker (1976): Stratigraphie und
Tektonik der Trias im Raum Westerhof:
111 S. – Institut für Geologie und Paläontologie,
Universität Göttingen.
Schwedhelm, Edgar (1980): Entwicklungsgeschichte
einer Subrosionssenke im Untereichsfeld:
der Seeanger bei Seeburg (TK
25: Blatt 4426 Ebergötzen): 134 S. – Institut
für Geologie und Paläontologie, Universität
Göttingen.
Vollbrecht, Axel (1976): Stratigraphie und
Tektonik der Trias östlich Denkershausen:
66 S. – Institut für Geologie und Paläontologie,
Universität Göttingen.
Arbeit eingereicht: 07.11.2018
Arbeit angenommen: 06.12.2018
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Josef Paul
Abt. Sedimentologie
Zentrum für Geowissenschaften
Universität Göttingen
Goldschmidt-Straße 3, 37077 Göttingen
E-Mail: renate.paul@web.de
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
42
Vorbemerkungen zum Artikel
„Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover“
von Lea Weßel
Die Arbeit verdankt ihre Entstehung
der intensiven und förderlichen Zusammenarbeit
der Naturhistorischen Gesellschaft
Hannover (NGH) mit dem
einst aus ihr hervorgegangenen Fachbereich
Naturkunde des Niedersächsischen
Landesmuseums Hannover
(NLMH) sowie mit engagierten Jungwissenschaftlern:
Der Berufsgeologe Dr. Franz-Jürgen
Harms, Mitglied der Naturhistorischen
Gesellschaft und seit 2012 Schriftführer
für die geologischen Arbeiten in
der „Naturhistorica“, sammelte von den
1970er-Jahren an Fossilien aus Hannover
und seinem Umland sowie später
auch in der Karibik, auf Island und
in Marokko. Nach seiner Pensionierung
kehrte er nach Hannover zurück
und bot seine riesige Sammlung dem
NLMH dankenswerterweise als Stiftung
an. Seine Sammlungsbestände
zeichnen sich neben der Objektqualität
durch eine ungewöhnlich vollständige
Provenienzdokumentation aus. Aus
diesem Grund nahm Frau Dr. Annette
Richter vom NLMH diese Sammlung
2018 begeistert an und treibt seitdem
ihre Erschließung voran.
Lea Weßel an, die auf ihrer Suche nach
einem geeigneten Praxis-Projekt zur
Erschließung und Bewertung von Teilsammlungen
nach Hannover kam und
aus der Sammlung Harms den stratigrafischen
Themenbereich „Oligozän“
auswählte unter wissenschaftlicher Betreuung
von Frau Dr. Richter und Frau
Dipl.-Geol. Annina Böhme (Sammlungsverwaltung).
Frau Weßel hat die
taxonomische Feinansprache ebenso
wie die Sortierung und die Vorbereitung
der anschließenden finalen Inventarisierung
auf exzellente Weise durchgeführt
und stellt ihre Ergebnisse nun im
nachfolgenden Artikel vor. Das Resultat
steht damit in besonders vorbildlicher
Weise für die Synergien zwischen der
NGH, dem NLMH und den beteiligten
Universitäten.
Hier nun bot sich eine Kooperation mit
der Bremer Geowissenschafts-Studentin
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
43
Die Oligozän-Sammlung Harms
des Landesmuseums Hannover
Ein Tauchgang durch die Ur-Nordsee
Lea Weßel
Zusammenfassung
Im Rahmen eines geowissenschaftlichen
Projekts wurde eine Museums-Sammlung
oligozäner Fossilien, die der Sammler
und spätere Diplomgeologe Franz-Jürgen
Harms vor allem in den Jahren 2016
und 2017 stiftete, sortiert und bestimmt
sowie auf ihren Wert für das Museum geprüft.
Zusätzlich standen eine Analyse der
Organismenvergesellschaftung und der
Vergleich mit der Literatur im Hinblick
auf eine Rekonstruktion der Paläoumwelt
im Vordergrund. Die Fossilien decken mit
ihrer lithostratigrafischen Einordnung einen
Großteil des Oligozän ab und besitzen
teilweise eine sehr gute Erhaltung. Somit
bieten sie einen nennenswerten Erkenntnisgewinn
für die Rekonstruktion der Lebensbedingungen
und des Ökosystems im
Oligozän-Meer des Mainzer Beckens und
der norddeutschen Ur-Nordsee.
Einleitung
Die Sammlungsverwaltung spielt eine
wichtige Rolle in allen Einrichtungen, die
ihre Arbeiten auf großen Objektsammlungen
gründen. Besonders in Institutionen,
die sowohl einen Forschungs- als auch einen
Bildungsschwerpunkt haben wie etwa
Museen, müssen Kollektionen in den Magazinen
zur besseren Übersicht akkurat
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
44 Lea Weßel
verwaltet werden. Dafür zuständig ist der/
die Sammlungsverwalter*in der Einrichtung.
Zu den Aufgaben kann es unter anderem
gehören die Objekte zu sortieren,
beschädigte Gegenstände an die Präparatoren
weiterzuleiten, und Instandgesetztes
in die bestehende Sammlung einzugliedern.
Außerdem ist er/sie oftmals
mit der Pflege des digitalen Archivs betraut
und behält somit den Überblick über
alle Informationen, die die Objekte in der
Schau- und Studiensammlung betreffen.
Im Zentrum dieses geowissenschaftlichen
Projekts stand die Privatsammlung Harms
aus dem Oligozän. An ihr sollten Tätigkeiten
wie die Sortierung, das Fotografieren
und Beschriften der Stücke und die
anschließende Eingabe der Informationen
in die Museumsdatenbank durchgeführt
werden. Zusätzlich steht die taxonomische
und biostratigrafische Analyse der fossilen
Organismenvergesellschaftung im Austausch
mit der paläontologischen Literatur
im Fokus. Daraus soll eine Rekonstruktion
der Paläoumweltbedingungen und der
Vergleich mit bestehenden Rekonstruktionen
des oligozänen Paläoökosystems resultieren.
Das Obere Oligozän besitzt mit
dem Doberg ein ausführlich untersuchtes
Vorkommen und auch im Mainzer Becken
wurde in der Vergangenheit viel paläontologische
Forschung betrieben. Dennoch
bieten auch unangetastete Sammlungen
mit ihrem Material eine Möglichkeit, neue
Erkenntnisse zu sammeln und das Bild des
oligozänen Ökosystems zu erweitern.
Material
Das Ausgangsmaterial, das dem Projekt
zu Grunde liegt, stammt ursprünglich aus
der Privatsammlung des Diplomgeologen
Dr. Franz-Jürgen Harms. Er hat dem Landesmuseum
Hannover in der Vergangenheit
schon mehrfach Teile seiner Sammlung
vermacht und ist auch in aktuelleren
Jahren wie 2016, 2017 und 2018 ein aktiver
und konstanter Förderer der geowissenschaftlichen
Magazinkollektion. Die
Objekte des Projekts wurden von ihm in
den Jahren 2016 und 2017 dem Landesmuseum
Hannover gestiftet. Es handelt
sich dabei um fossiles Material aus dem
Oligozän und umfasst hauptsächlich verschiedene
marine Invertebraten wie Mollusken
und Echinodermen. Aber auch
Überreste von marinen Wirbeltieren sind
in geringerer Anzahl vorhanden. Eine primäre
stratigrafische Einordnung sowie
wichtige Beschreibungen des Fundorts,
zum Teil mit dazugehörigen Koordinaten
und Funddatum, waren aufgrund der
geowissenschaftlichen Expertise von Herrn
Harms im Vorfeld vorgenommen und in
Form von beschrifteten Etiketten jedem
Objekt hinzugefügt worden. Zusätzlich
sind vom Stifter zahlreiche Aufzeichnungen
aus seinen Feldbüchern zur Sammlung
beigelegt worden, sodass die Sammlung
Harms eine außergewöhnlich sorgfältige
Dokumentation aufweist. Somit lässt sich
die Fundgeschichte des Materials genau
nachvollziehen. Die Aufschlüsse an denen
die Objekte gesammelt worden sind, wurden
von Herrn Harms in den 1970er-Jahren
aufgesucht, da sie zu dieser Zeit noch
zugänglich waren. Das ist nun nicht mehr
der Fall. Die Sand- und Mergelgruben sind
heute geschlossen, verfüllt und zur Renaturierung
freigegeben. Der Doberg dagegen
wurde zum Naturdenkmal erklärt. Aus diesen
Gründen ist die Forschung an diesen
Aufschlüssen heutzutage nicht mehr möglich.
Deshalb besitzt die Sammlung Harms
einen besonderen Erhaltungswert, da sie
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover
45
Material aus für die Wissenschaft verlorenen
Standorten beinhaltet. Die Fossilien
des Oligozän-Konvoluts wurden an
folgenden fünf verschiedenen Lokationen
in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen
und Rheinland-Pfalz gesammelt.
Kurzbeschreibung der Aufschlüsse
Ehemalige Sandgrube Zeilstück
im Stadtteil Weinheim bei Alzey
(Rheinland-Pfalz)
Die Basis des Aufschlusses der Sandgrube
Zeilstück wurde mit Sedimenten
der Alzey-Formation (Meeressand) aus
der Selztal-Gruppe gebildet, die eine Vielzahl
an Fossilien enthalten. Bei den Sedimenten
handelt es sich hauptsächlich um
Sande und Kiese, die im küstennahen Sedimentationsraum
abgelagert wurden und
das primäre Abbauprodukt der Grube darstellen.
Darüber folgt eine Diskordanz, an
die diluviale Schichten mit einem Geröllhorizont
von bis zu 4,5 m anschließen. An
der Südwand der Grube finden sich zwischen
der Alzey-Formation und den hangenden
Schichten Sande mit massenhaft
auftretenden Gastropoden der Art Granulolabium
plicatum var. papillatum. Der
Grund für dieses extrem hohe Auftreten ist
noch unbekannt (Falke 1960). Franz-Jürgen
Harms besuchte die Sandgrube Zeilstück
im Jahre 1978. Heute ist sie verfüllt,
sodass nur noch auf umliegenden Äckern
Fossilienfunde möglich sind.
Ehemalige Sandgrube Neumühle
im Stadtteil Weinheim bei Alzey
(Rheinland-Pfalz)
Dieser bis in die späteren 1970er-Jahre
begehbare Aufschluss beginnt an der
Nordwand mit Arkosen und Schiefertonen
aus dem Rotliegenden, die das Fundament
der Abfolge bilden. Es folgt diskordant der
Untere Meeressand (Alzey-Formation)
mit 0,3 bis 1 m Mächtigkeit, bestehend aus
Transgressionskonglomeraten und Strandsedimenten
wie in der Sandgrube Zeilstück.
Zusätzlich enthält diese Formation
besonders viele Fischzähne. Am Top finden
sich die grün-gräulichen Rupeltone
mit 2,5 m Mächtigkeit (Falke 1960). Auch
diese Sandgrube wurde von Herrn Harms
im Jahre 1978 besucht. Inzwischen wurde
sie stillgelegt, verfüllt und ist heute nicht
mehr zugänglich.
Edesberg bei Sulzheim
(Rheinland-Pfalz)
Der Edesberg ist ein Weinberg in der
Nähe von Sulzheim an dessen Hängen viele
Fossilien des Oligozän gefunden werden
können. Am Nordwest-Hang beispielweise
lassen sich verschiedene Schillschichten
mit der Muschel Isognomon sandbergi aus
dem Schleichsand (Stadecken-Formation)
nachweisen. Die Äcker in der Nähe weisen
in Lesesteinen auch die Muschel Pseudocyrena
convexa und die Schnecke Granulolabium
plicatum aus dem Cyrenenmergel
(Sulzheim-Formation) auf. Insgesamt betrachtet
sind sämtliche Fossilienfunde am
Edesberg aufgrund seiner landwirtschaftlichen
Nutzung auf Lesefunde zurückzuführen
(Falke 1960). Die Objekte dieser
Lokation aus der Sammlung Harms stammen
ebenfalls aus dem Jahr 1978.
Steinbruch am Doberg bei Bünde
(Nordrhein-Westfalen)
Der Doberg gehört zu den wichtigsten
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
46 Lea Weßel
und reichhaltigsten Fossillagerstätten in
Deutschland. Es handelt sich um einen
ehemaligen Steinbruch mit Mergelkalken,
die zur Düngerproduktion verwendet
wurden. Das Liegende wird von Lias-
Tonen (Hettangium, Unterjura) gebildet,
doch der primäre Fokus an dieser Lokation
liegt auf den Gesteinen des Oligozän,
da der Doberg fast alle Schichten
des Oberoligozän umfasst und somit den
deutschen Stratotypus für diese Epoche
bildet. Es setzt sich größtenteils aus Mergelkalken
und Sandsteinen zusammen. Ein
Grund, warum dieses weiche Gestein nicht
erodiert wurde, liegt in einem ausgewaschenen
unterirdischen Salzstock, der das
Gebiet des Dobergs absinken ließ und es
somit vor der Abtragung schützte. Neben
einer Vielzahl von Invertebraten gehören
Skelettteile von Walen und Seekühen zu
den spektakulärsten Fossilien dieses Aufschlusses
(Mörstedt & Strauß 2005). Die
Objekte aus der Sammlung Harms wurden
1977 zusammengetragen. Die Lagerstätte
Doberg wurde zum Bodendenkmal erklärt
und das Sammeln von Fossilien ist heute
dort im Allgemeinen verboten.
Ehemalige Mergelgrube von
Astrup/Belm bei Osnabrück
(Niedersachsen)
Die anstehenden Gesteine sind stratigrafisch
wie die des Dobergs dem
Oberoligozän zuzuordnen. Der Aufschluss
besteht hauptsächlich aus Kalksanden mit
durchschnittlich 2 – 3 m Mächtigkeit, die
wiederholt von anders strukturierten Bänken
unterbrochen werden. Dazu gehören
Brachiopodenbänke und Konglomerate,
aufgebaut aus den häufig auftretenden Terebratula
grandis sowie Lagen aus Bruchschill
(persönliche Unterlagen von Franz-
Jürgen Harms). Die Mergelgrube von
Astrup wurde von Franz-Jürgen Harms
mehrfach im Zeitraum 1975 – 1977 besucht.
Tongrube der Ziegelei Stoevesandt
bei Lehrte (Niedersachsen)
Die Sedimente, die an der Westseite der
Grube anstanden, stammen aus dem Latdorfium
(Unteroligozän). Die Basis (50
cm) wird von dunkelgrünen groben Sanden
mit Kalkeinschaltungen sowie Phosphorit-
Geoden und Septarien gebildet. Diese sind
die hauptsächlich fossilführenden Schichten.
Es folgen verschiedenkörnige Sandschichten
mit insgesamt 1 m Mächtigkeit.
Graue Tone (ca. 80 cm) bilden das Top des
Aufschlusses als Abbauprodukt der Tongrube.
Die Fossilien wurden 1971 bei einer
Grabung in der damals nicht mehr betriebenen
und teilweise schon verfüllten Grube
von Harms gefunden. Inzwischen ist der
Fundort nicht mehr zugänglich (persönliche
Unterlagen von Franz-Jürgen Harms).
Methoden
Für dieses Projekt wurde der Prozess der
Bestimmung und Inventarisierung einer
Museumsammlung am Beispiel der oligozänen
Sammlung Harms durchgeführt.
Nachdem eine Sammlung an das Museum
gestiftet wurde und im Magazin ange-
kommen ist, wird sie zunächst für 6 Wochen
einer sauerstoffverarmten und stickstoffangereicherten
Lagerung unterzogen,
um zum Beispiel alle im Verpackungsmaterial
potenziell enthaltenen Insekteneier
abzutöten. Das ist notwendig, damit
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover
47
empfindliche Objekte und Etiketten der
Sammlung nicht durch Insektenbefall beschädigt
werden. Wann sich anschließend
mit der gestifteten Kollektion weiter befasst
wird, hängt unter anderem von ihrer
Provenienz und Wichtigkeit für das Museum,
aber vor allem von der zur Verfügung
stehenden Lagerkapazität ab. Nach dem
Auspacken und einem ersten Überblick
werden die Objekte sortiert. Zur Aufbewahrung
werden nach Größe und Anzahl
der jeweiligen Fossilien entsprechende
Kunststoff- oder Papierschachteln benutzt,
die in für die Rollschränke angepasste
Holzkästen deponiert werden. Fossilien
der gleichen Sammlungslokation und der
gleichen stratigrafischen Einheit werden in
einem Holzkasten zusammengefasst. Auch
mehrere Exemplare eines Fossils, zum Beispiel
Schnecken der selben Art, gleicher
Provenienz oder gleichen Fundorts sollten
in einer Plastikschale gelagert werden, soweit
die Objekte dafür klein genug sind.
Nach der Sortierung beginnt die taxonomische
Bestimmung der Arten, wenn der
Zustand der Stücke dies zulässt. Dazu werden
einerseits Bücher der museumseigenen
Bibliothek und wissenschaftliche Literatur
zu den einzelnen Lokationen, als auch
Fossilien-Datenbanken von anderen Einrichtungen
zu Rate gezogen. Auch in diesem
Fall wurden die Fossilien mit den Beschreibungen
und Grafiken aus der
Literatur sowie aus Datenbanken verglichen.
Zur Bestimmung der Fossilien aus
der Sammlung Harms konnte ebenfalls
oligozänes Vergleichsmaterial aus dem
Magazin genutzt werden, da von einigen
Arten schon zuvor bestimmte Exemplare
aus anderen Lokationen vorlagen. Für eine
zuverlässige Einordnung ist vor allem eine
möglichst vollständige und gute Erhaltung
der Objekte wichtig, um alle morphologischen
Erkennungsmerkmale der jeweiligen
Organismengruppen wie etwa die Skulp-
tur der Gastropoden, verwenden zu können.
Da dies nicht immer gewährleistet ist,
sind mehrere Exemplare eines Fossils von
Vorteil für das Gesamtbild. Da in diesem
Fall vom Stifter beim Aufsammeln auf
eine gute Erhaltung der Objekte geachtet
wurde, war dieser Faktor nicht von Bedeutung.
Eine eindeutige taxonomische Einordnung
in die biologische Systematik gestaltete
sich bei manchen Stücken dennoch
schwierig. Besonders bei Steinkernerhaltung
sind die primären taxonomischen Erkennungsmerkmale
des Organismus nicht
mehr vorhanden, sodass hier nur auf Gattungsniveau
bestimmt werden konnte. Im
Allgemeinen ist das Ziel, eine Klassifizierung
auf Artniveau mit der aktuellsten Artenbezeichnung
so genau wie möglich
durchzuführen. Das ist allerdings aufgrund
der begrenzten Zeit oft nur bei schnell zu
identifizierenden Arten zu leisten. Im
Laufe der voranschreitenden Bestimmung
kommt es wiederholt zur Neusortierung
der Objekte, da es möglich ist, dass zwei
Objekte im selben Kästchen, trotz optischer
Ähnlichkeit sich als zwei verschiedene
Arten herausstellen. Gleichzeitig
werden beschädigte oder stark sedimentbedeckte
Fossilien zur Präparation an die
Präparatoren weitergeleitet. Zusätzlich zur
taxonomischen Identifikation ist die Ermittlung
der lithostratigrafischen Epoche
von Bedeutung. Das wird meist mit Informationen
der Fundlokation (wenn sie vorhanden
sind) oder Biostratigrafie durchgeführt.
Der Prozess der taxonomischen
Bestimmung wird in vielen Einrichtungen
wie auch dem Landesmuseum Hannover
eigentlich vom zuständigen Wissenschaftler
durchgeführt und nicht vom Sammlungsverwalter.
Dieser Schritt war für dieses
wissenschaftliche Projekt jedoch von
großer Bedeutung, sodass er zusammen
mit den Tätigkeiten des Sammlungsverwalters
durchgeführt wurde. Für die
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
48 Lea Weßel
Rekonstruktion der Paläoumwelt wurde
sich ebenfalls auf die wissenschaftliche Literatur
bezogen, um die bevorzugten Lebensbedingungen
der Organismen sowie
ihre durchschnittliche Vergesellschaftung
und das Vorkommen an den jeweiligen
Lokationen zu ergründen und mit der
Sammlung Harms zu vergleichen. Sind
alle Fossilien taxonomisch bestimmt, findet
die Aussortierung nicht benötigter Exemplare
statt. Auch das ist Aufgabe des
Wissenschaftlers. Dabei werden Objekte,
die aus verschiedenen Gründen nicht für
die Museumssammlung von Interesse sind,
aussortiert. Welches Objekt ausgesondert
wird, hängt von verschiedenen Kriterien
ab. Neue Sammlungen werden als Gesamtheit
und ihre einzelnen Stücke individuell
bewertet, um Unbrauchbares zu entfernen
und den Wert der Sammlung
einzuschätzen. Der Wert einer Sammlung
richtet sich nach den Schwerpunkten des
kontextuellen Sammelns und der Provenienz.
Wertvolle Kollektionen legen ihren
Fokus auf eine bestimmte Tiergruppe oder
ein Erdzeitalter. Dieser Kontext kann helfen,
Lücken im Sammlungsprofil der Einrichtung
zu schließen. Außerdem ist zu beachten
wie sorgfältig die Sammlung durch
ihren Sammler angelegt wurde. Dazu gehört
unter anderem wie gut und wie vollständig
zum Beispiel die fossile Fauna an
einem Aufschluss durch die Stücke abgedeckt
wird, und welchen Wert die Sammlung
für die unterschiedlichen musealen
Verwendungsgebiete wie Wissenschaft,
Ausstellung, Pädagogik hat. Auch eine genaue
und lückenlose Dokumentation während
der Aufsammlungsphase ist ein wichtiges
Kriterium bei der Wertprüfung. Ein
spezieller Aspekt für geowissenschaftliche
Sammlungen ist der Faktor der Zugänglichkeit
der Fundstellen. Aufgrund der zunehmenden
Schließungen und Renaturierungen
von Gruben und Abbauhalden in
Deutschland sind alte Sammlungen aus
nicht mehr zugänglichen Gebieten wertvolles
Material für die Forschung. Aus diesem
Grund sind es diese Kollektionen
wert, erhalten zu werden. Nach der Bewertung
sind die übrigen Objekte nun bereit
für die Inventarisierung. Zuerst werden die
Etiketten angefertigt. Dabei enthält jedes
Objektkästchen ein Etikett mit den wichtigen
Informationen: Name des Stifters,
Stiftungsdatum, Fundort und Funddatum,
lithostratigrafische Einordnung und taxonomische
Bestimmung. Das Etikett wird
anschließend zum Schutz zusammen mit
den Originaletiketten des Stifters in einem
Zippverschlussbeutel verwahrt. Die fortlaufende
Inventarnummer wird im Anschluss
an das Objekt bzw. das Kästchen
vergeben und ebenfalls auf dem Etikett
festgehalten. Ist das Objekt groß genug,
wird die Inventarnummer auch auf ihm
angebracht. Die Beschriftung wird dabei
auf eine unauffällige Stelle geschrieben, sodass
sie nicht stört, wenn das Objekt für
Ausstellungen eingeplant ist. Man nutzt
dazu entweder PLAKA-Lack als weiße
Grundierung oder Paraloid auf Acetonbasis
als farblose Grundierung. Die Nummer
selbst wird mit Tusche angebracht. Wichtig
ist, dass die Beschriftungsmethode
haltbar und langlebig ist. Ein weiterer
Schritt der Inventarisierung ist die Fotografie
als zusätzliche Dokumentationsmöglichkeit.
Als vorletzter Schritt werden
für jedes Objekt bzw. jedes Kästchen, in
dem mehrere Exemplare zusammengefasst
wurden, ein Datensatz in der Museumsdatenbank
angelegt und alle zur Verfügung
stehenden Informationen sowie die Fotos
zusammengetragen und dort eingespeist.
Neben den wichtigsten Angaben auf den
Etiketten können auch Auskünfte über
den Zustand des Objekts, den aktuellen
Standort und den Präparationsfortschritt
sowie über den Stifter und die
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover
49
Abb. 1 Präparierte Krabbe der Art Coeloma helmstedtense
aus der Grube Stoevesandt bei Lehrte.
Auffällig ist die exzellente Erhaltung mit Laufbeinfragmenten
und Schere.
Sammlungshistorie in speziell für eine Abteilung
strukturierten Reitern gemacht
werden. Somit ist die Datenbank eine
wichtige Möglichkeit nach bestimmten
Gegenständen zu suchen, als auch über alle
Informationen auf einen Blick zu verfügen.
Mit der Eingabe in die Datenbank ist die
Inventarisierung fast abgeschlossen. Zum
Schluss werden alle Objekte in den entsprechend
beschrifteten Holzkisten in die
Sammlung eingegliedert und der Ordnung
nach Lithostratigrafie und Organismengruppe
entsprechend in die Rollschränke
einsortiert. Danach ist die Inventarisierung
der Sammlung abgeschlossen.
Ergebnisse
Taxonomische Einordnung
Die Bestimmung der einzelnen Organismen
wurde anhand der morphologischen
Erkennungsmerkmale durchgeführt.
Jede Organismengruppe besitzt individuelle
Merkmale, auf die bei der Beschreibung
zu achten ist. Die stratigrafisch ältesten
Fossilien der Oligozän-Sammlung
Harms stammen aus der Grube Stoevesandt
bei Lehrte und gehören ins Unteroligozän
der lokalen Latdorfium-Stufe, die
nur in Nordwest-Deutschland anerkannt
wird. Im Allgemeinen werden Gesteine
des Unteroligozän der Rupelium-Stufe
zugerechnet, da einige Forscher das Latdorfium
zum oberen Eozän hinzuzählen.
Folgende Organismen konnten für die Lokation
identifiziert werden (Tab. 1).
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
50 Lea Weßel
Die Krebse der Spezies Coeloma
helmstedtense nov. sp. (Abb. 1)
werden charakterisiert durch
ihren Carapax mit feinen Poren
und nach vorn gerichteten
Warzen. Zusätzlich ist die Buckel-
und Höckerbildung auf
dem Panzer zu beachten, die typisch
für die Gattung Coeloma
ist. Fünf Dornen verzieren den
Vorderseitenrand des Panzers.
Die Gestalt und Position der
Buckel auf dem Carapax ist für
diese Gattung der Decapoden
von entscheidender Bedeutung
(Bachmeyer & Mundlos 1968).
Bei C. helmstedtense befinden
sich direkt hinter dem Kopf zwei
kleinere und an beiden Seiten des Hinterteils
je ein großer Buckel. Es wurden in der
Sammlung vier Exemplare dieser Art zugeordnet.
Eine Überprüfung konnte mithilfe
von Objekten aus der vorhandenen
Sammlung Klages durchgeführt werden.
Außerdem konnte die Art Coeloma holsatica
(Abb. 2) mit drei Exemplaren anhand
von bereits identifizierten Stücken aus der
Sammlung Klages bestimmt werden. Der
Abb. 2 Nicht präparierte Krabben der Spezies
Coeloma holsatica.
Tab. 1 Organismen aus der Grube Stoevesandt bei Lehrte
Fossilgruppe
Familie/Tiergruppe/
Fossiltyp
Anzahl
Coeloma helmstedtense Decapoda 4
Coeloma holsatica Decapoda 3
Coeloma cf. helmstedtense Decapoda 6
Coeloma cf. holsatica Decapoda 7
Coeloma sp. 1 Decapoda 8
Coeloma sp. 2 Decapoda 6
Coeloma sp. Decapoda 13
Haizähne Fisch 10
Terebrateln Brachiopoda 4
Rest der fossilen Decapoden konnte keiner
Spezies eindeutig zugeordnet werden,
da der Präparationszustand der Stücke das
nicht zuließ. Sechs bzw. sieben Exemplaren
konnten somit lediglich eine Ähnlichkeit
zu C. helmstedtense bzw. C. holsatica
nachgewiesen werden, sodass diese auf
dem Etikett das Kürzel „cf.“ für „conferre“
erhielten. Persönlichen Vermutungen zufolge
lassen sich zumindest noch vierzehn
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover
51
Cyrenenmergel
Kirchberg-Bank
Rosenberg-Subformation
Abb. 3 Stratigrafische Tabelle der Formationen
der Selztal-Gruppe im Rupelium aus dem Mainzer
Becken. Verändert aus Nungesser (2010) nach:
Grimm & Grimm (2003) und Ott et al. (2009).
weitere Krebse aufgrund ihrer Form und
der Struktur der sichtbaren Panzeroberfläche
in mindestens zwei Spezies unterscheiden.
Eine eindeutige Zuordnung ist jedoch
erst nach der abgeschlossenen Präparation
möglich. Trotz der Überdeckung mit Sediment
konnte bei fast allen Krebsen ein
sehr guter Erhaltungszustand festgestellt
werden. Neben einem fast vollständigen
Panzer besaßen einige Exemplare zusätzlich
noch komplette Beine oder Scheren.
Manchmal war sogar beides überliefert.
Die Haizähne und Terebrateln aus der
Grube bei Lehrte wurden aus Zeitmangel
nicht weiter untersucht.
Die artenreichste Faunendiversität der
Sammlung stammt aus der Sandgrube
Zeilstück bei Alzey und ist stratigrafisch
den Unteren Meeressanden des Unteren
Mitteloligozän (Rupelium) zuzuordnen.
Die Bezeichnung Meeressande für diese
Formation gilt heutzutage als veraltet,
stattdessen wird der Begriff Alzey-Formation
genutzt (Abb. 3). Die Zusammensetzung
der Fauna ist aus Tab. 2 ersichtlich.
Bei fossilen Lamellibranchiata sind vor
allem morphologische Merkmale wie die
Wachstumsringe und Rippen der Außenschale,
die Muskelabdrücke sowie
das Schloss von Bedeutung. Sämtliche
Muscheln wurden nach diesen Kriterien
bestimmt. Bei der Gattung Glycymeris
(Abb. 4) konnten zwei verschiedene Arten
erkannt werden, die sich im Muster ihrer
Wachstumsringe und der Struktur des
Schlosses unterscheiden. Bei G. obovatus
Abb. 4 Die im Mitteloligozän vorkommenden
Glycymeris-Arten G. obovatus (links) und G. angusticostatus
(rechts) aus der Grube Zeilstück. Beide
Arten unterscheiden sich unter anderem durch die
Struktur der Außenschale.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
52 Lea Weßel
Tab. 2 Organismen aus der Sandgrube Zeilstück bei Alzey
Fossilgruppe Familie/Tiergruppe/Fossiltyp Anzahl
Glycymeris obovatus Lamellibranchiata 21
Glycymeris angusticostatus Lamellibranchiata 40+
Spondylus tenuispina Lamellibranchiata 7
Herzmuschel (Cyclocardia ?) Lamellibranchiata 5
Codalucina tenuistria Lamellibranchiata 6
Ostrea callifera Lamellibranchiata 15
Ostrea cyathula Lamellibranchiata 15
Palliolum sp. Lamellibranchiata 5
Granulolabium plicatum var. papillatum Gastropoda 40+
Natica crassatina Gastropoda 50+
Muricopsis sp. Gastropoda 35
Fusus sp. Gastropoda 4
Cypraea beyrichi Gastropoda 2
Röhrenschnecken (Lemintina ?) Gastropoda 6
Serpeln Polychaeta 5
Flossenstachel Fisch 1
Scaphopoden (Dentalium ?) Mollusca 3
Balanophyllia sp. Korallen 33
Carcharias cuspidatus Fisch (Sandtigerhai) 25 – 30
Austern (nicht identifiziert) Lamellibranchiata 28
stehen die Zähne des taxodonten Schlosses
bei gut ausgeprägten Exemplaren weiter
auseinander, dafür sind bei G. angusticostatus
die Radialrippen stärker hervorgehoben.
Diese Gattung ist in der Sammlung
Harms am häufigsten vertreten und weist
bei einigen Exemplaren kleine Bohrspuren
an den Schalen auf. Austern der dysodonten
Gattung Ostrea waren dagegen schwieriger
zu bestimmen, da viele miteinander
zu Austernbänken verklebt, stark bewachsen
und mit Sediment verfüllt waren. Im
Weiteren weisen die Austern viele verschiedene
Schalenformen auf, da sie ihre
Schale beim Wachstum der Umgebung
anpassten (Koenen 1867). Zwei Arten
von Austern wurden anhand der Form der
Schale und Muskelabdrücke identifiziert.
Achtundzwanzig Exemplare der Muscheln
blieben unbestimmt (Abb. 5). Die
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53
Abb. 5 Unbekannte Muscheln aus der Grube Zeilstück,
die bisher nicht bestimmt werden konnten.
Es könnte sich um weitere Austern handeln.
Gastropoden wiesen im Gegensatz zu den
Lamellibranchiata einen schlechten Erhaltungszustand
auf, vor allem die großen
Exemplare der runden Schneckenart Natica
crassatina. Die Embryonalkammer als
primäres Bestimmungsmerkmal war bei
vielen Stücken nicht mehr vorhanden. So
wurden die Skulptur und die Öffnung des
Gehäuses vorrangig als Charakteristika genutzt.
Die Unterart G. plicatum var. papillatum
ist zudem gut anhand ihrer Größe
und Breite von anderen Schnecken der
Gattung Granulolabium
zu
unterscheiden.
Eine auffällige
Besonderheit
der kalkschaligen
Organismen
aus dem
Meeressand waren
die wenige
Millimeter großen
schwarzen,
sternförmigen
Anwachsungen
auf und in der korrodierten Prismenschicht
der Schalen. Vermutlich handelt
es sich um Mineralanwachsungen eines
schwarzen Materials, zum Beispiel Mangan,
die mit den Diagenesebedingungen in
Zusammenhang stehen.
Eine weitere Lokation aus der Sammlung
Harms mit Fossilien aus dem unteren
Meeressand (unteres Mitteloligozän)
ist die Sandgrube Neumühle bei Alzey
(Tab. 3):
Tab. 3 Organismen aus der Sandgrube Neumühle bei Alzey
Fossilgruppe Familie/Tiergruppe/Fossiltyp Anzahl
Carcharias cuspidatus Fisch (Sandtigerhai) 80+
Wirbel und Flossenstachel Fische unbekannter Gattung 1 Wirbel/11
Zähne von Degenfisch Trichiuridae 11
Zähne von Meerbrasse Sparidae 70 – 80
Notorhynchus sp. Fisch (Hai) 1
Ichnofossil ? Ichnofossil 1
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54 Lea Weßel
Abb. 6 Zähne von Carcharias cuspidatus, dem
Sandtigerhai aus dem Unteren Meeressand.
Diese Zähne stammen aus der Grube Neumühle
bei Weinheim.
Aus dieser Lokation liegen hauptsächlich
Zähne und Skelettteile von Fischen
vor. Die eindeutige taxonomische Einordnung
dieser Fossilien war kompliziert,
da vor allem Haie in ihrem Gebiss unterschiedliche
Zahnformen aufweisen, sodass
ein vollständiges Bild des Gebisses aus der
Literatur vorliegen muss. Haizähne werden
anhand der Form ihrer Krone und der
Wurzel sowie den Seitenzähnen klassifiziert.
Carcharias cuspidatus (Abb. 6) besaß
für die Gattung typisch klingenförmige
Zähne. Zudem war er zur Zeit des Oligozän
weit verbreitet, das beweist die Anzahl
seiner Zähne in der Sammlung. Haie der
Gattung Notorhynchus zeichnen sich durch
ihre besonderen Zähne mit mehreren Spitzen
aus. Es ist nur ein Zahn mit drei Spitzen
von dieser Gattung für die Lokation
Neumühle in der Sammlung vorhanden.
Diese Zähne wurden anhand von Vergleichen
mit dem Material aus anderen Datenbanken
bestimmt. Hinzu kommen die unterschiedlich
geformten Kugelzähne (Abb.
7) einer Meeresbrasse (Sparidae) und die
Zähne eines Degenfisches (Trichiuridae).
Nicht zu bestimmen war ein potenzielles
Ichnofossil (Abb. 8), sodass auf dem zugehörigen
Etikett der Begriff „incertae sediis“
für „nicht zu bestimmen“ vermerkt werden
musste.
Die Lokation Edesberg bei Sulzheim
weist die niedrigste Diversität der
Sammlung auf. Am Edesberg finden sich
Abb. 7 Kugel- und Kegelzähne einer muschelfressenden
Meerbrasse aus der Grube Neumühle.
Die Abfolge an dieser Lokation enthält auffällig
viele Fischzähne.
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55
Abb. 8 Ichnofossil aus Astrup. Links oben ist ein
Etikett des Stifters zu sehen, links unten ein neu
geschriebenes Etikett. In dieser Form werden die
Datenbankfotos gemacht.
Fossilien aus den Oberen Schleichsanden
(Mitteloligozän) und dem Cyrenenmergel
(Mitteloligozän), die auch Stadecken-Formation
und Sulzheim-Formation genannt
werden (Tab. 4).
Neben Glycymeris obovatus kommt in
den Schleichsanden auch die Schinkenmuschel
Isognomon sandbergi (Abb. 9) sehr
häufig vor. Es sind jedoch nur Fragmente
mit Schloss in der Sammlung vorhanden.
Eindeutige Merkmale sind die perlmuttbedeckte
Oberfläche der dicken Schale und
das große, desmodonte Schloss mit einer
Tab. 4 Organismen aus der Lokation Edesberg bei Sulzheim
Fossilgruppe
Familie/Tiergruppe/
Fossiltyp
Anzahl
Glycymeris obovatus Lamellibranchiata 16
Isognomon sandbergi Lamellibranchiata 16
Bulla von Odontoceti
Zahnwal (Mammalia)
1
Pseudocyrena subarata convexa Lamellibranchiata 39
Granulolabium plicatum Gastropoda 50+
Keepingia cassidaria Gastropoda 55
lamellenartigen Rippung, das auf ein ausgeprägtes
Ligament schließen lässt. Diese
Muschel wurde anhand von Vergleichsmaterial
aus dem Magazin identifiziert. Als
einziges Fossil eines Säugetieres wurde zudem
die Bulla eines oligozänen Odontoceti
(Abb. 10) aus den Schleichsanden mit
der Unterstützung durch Frau Dr. Richter
identifiziert. Die Formation des Cyrenenmergels
wird in der Sammlung durch seine
klassische Organismenvergesellschaftung
von Pseudocyrena subarata convexa und
den Gastropoden Granulolabium plicatum
(Abb. 11) und Keepingia
cassidaria vertreten. Die
Muschel P. subarata convexa
besitzt ein auffälliges
heterodontes Schloss und
die typische Form einer
Venusmuschel mit konzentrischen
Wachstumsringen.
Einige Exemplare
der Schnecke G. plicatum
weisen eine pathologische
Besonderheit in Form eines
Knicks im Gehäuse
auf. Für die Bestimmung
dieser Fossilien wurden
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
56 Lea Weßel
Abb. 9 Schill von Isognomon sandbergi aus dem
Oberen Schleichsand (Edesberg). Diese Schinkenmuschel
ist in dieser Formation häufig anzutreffen.
Typisch sind das große Schloss (links) und die
Perlmuttoberfläche.
Abb. 10 Bulla eines Odontoceti (Zahnwale) aus
dem oberen Schleichsand am Edesberg.
Abb. 11 Die Schneckenart Granulolabium plicatum
aus dem Cyrenenmergel des Edesbergs. Das
mittlere Stück weist eine morphologische Veränderung
in Form eines Knicks im Gehäuse auf.
ebenfalls Datenbankeinträge anderer Institutionen
benutzt. Die Fauna des Oberoligozän
(Chattium) unterscheidet sich
von der des Mitteloligozän durch das verstärkte
Auftreten von Organismengruppen
wie Echinodermata und Brachiopoda.
Im Doberg bei Bünde ist das Oberoligozän
fast vollständig aufgeschlossen. In der
Sammlung Harms sind von dieser Lokation
die in Tab. 5 aufgeführten Organismen
vorhanden.
Die zwei Spezies der Gattung Palliolum
gehören zu den Kammmuscheln und sind
anhand ihrer Form dieser zuzuordnen. Typisch
sind die runde Form der Schale und
die beiden Ohren genannten Fortsätze am
Wirbel. Bei P. hausmanni sind die Radialrippen
als Ornamentik stark ausgeprägt,
während bei P. decussatum die konzentrischen
Wachstumsstreifen verstärkt hervortreten.
Exemplare der Muschel Glycymeris
cf. phillippi lagen in der Sammlung leider
nur als Steinkerne vor, sodass die morphologischen
Merkmale der Schale nicht
zur eindeutigen Klassifizierung verwendet
werden konnten. Aus diesem Grund wurde
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Tab. 5 Organismen des Dobergs bei Bünde
Fossilgruppe Familie/Tiergruppe/Fossiltyp Anzahl
Palliolum hausmanni Lamellibranchiata 4
Palliolum decussatum Lamellibranchiata 8
Ostrea callifera Lamellibranchiata 7
Glycymeris cf. phillippi Lamellibranchiata 4
Echinolampas kleini Echinodermata 16
Maretia sp. Echinodermata 1
Terebratula grandis Brachiopoda 1
Notorhynchus sp. Fisch (Hai) 2
Dentex Zahntyp der Meerbrasse (Fisch) 1
Rotalgenknollen Rhodophyta Corallinaceae 26
Spiropora cf. variabilis Bryozoa 20+
hier der Begriff „conferre“ (cf ) benutzt. Die
Seeigel Echinolampas kleini (Abb. 12) und
Maretia sp. lassen sich durch die Struktur
und Form ihres Endoskeletts, den Ambulakralfeldern
und der Ausprägung der
Stachelwarzen erkennen. Fossile E. kleini
gehören zu den runden regulären Seeigeln
und haben nur kleine Stachelwarzen
und Poren. Sie treten
im Oberoligozän sehr
häufig auf (Rust 1995).
Exemplare von Maretia
sp. gehören dagegen zu
den kleinen irregulären
Seeigeln und besitzen
große Stachelwarzen
und warzenförmige
Erhebungen auf der
Unterseite. Die Seeigel
hatten eine meist
mittelmäßige Erhaltung.
Viele waren zerbrochen
oder unvollständig.
Neben den
zahlreichen Fossilien
der Invertebraten und
Wirbeltieren kommen
im Oberoligozän auch
vermehrt Überreste von Algen vor. Knollen
von kalkigen Rotalgen (Abb. 13) wuchsen
in Lagen um einen Kern herum. Da glücklicherweise
in der Sammlung Harms auch
zersägte Knollen existieren, konnte aufgrund
der Wachstumsringe eine Bestimmung
auf Familienniveau vorgenommen
werden.
Abb. 12 Seeigel der Art Echinolampas kleini mit
sichtbaren Ambulakralfeldern aus den Schichten
des Dobergs. Diese grabenden Stachelhäuter sind
die häufigsten Fossilien aus dieser Lokation.
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58 Lea Weßel
Abb. 13 Zersägte Rotalgenknolle aus dem Doberg.
Gefundene kalkige Rotalgen sind wichtige Hinweise
auf die Wassertiefe, da sie im Flach wasser bis zu
50 m Tiefe leben.
Tab. 6 Fossilien aus der Mergelgrube Astrup
Fossilgruppe Familie/Tiergruppe/Fossiltyp Anzahl
Palliolum hausmanni Lamellibranchiata 7
Palliolum decussatum Lamellibranchiata 14
Arctica rotundata Lamellibranchiata 5
Glycymeris cf. phillippi Lamellibranchiata 5
Panopaea cf. menardi Lamellibranchiata 2
Ostrea sp. Lamellibranchiata 1
Nucula sp. Lamellibranchiata 1
Echinolampas kleini Echinodermata 1
Spatangus desmaresti Echinodermata 1
Maretia hoffmanni Echinodermata 1
Terebratula grandis Brachiopoda 17
Carcharias cuspidatus Fisch (Sandtigerhai) 1
Rotalgenknollen Rhodophyta, Corallinaceae 14
verfüllter Krebsbau Ichnofossil 1
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Abb. 14 Brachiopoden der Art Terebratula grandis
aus der Mergelgrube Astrup. Viele sind bewachsen,
zum Beispiel mit Seepocken (rechts) und in der
Regel zweiklappig überliefert.
Die Fossilien aus der Mergelgrube bei
Astrup stammen ebenfalls aus dem Oberoligozän.
In Tab. 6 sind die in der Lokation
Astrup gefundenen Fossilien aufgeführt.
Neben den bereits beschriebenen Lamellibranchiata
kommen in der Mergelgrube
Astrup die charakteristisch geformte
Islandmuschel Arctica rotundata, die
Schwertmuschel Panopaea cf. menardi und
die Nussmuschel Nucula sp. zur Fauna des
Oberoligozän hinzu. Von den letztgenannten
Muscheln lagen nur Steinkerne vor. Zu
den häufigsten Organismen der Lokation
gehören die Brachiopoden, insbesondere
Terebratula grandis (Abb. 14). Im Gegensatz
zu den Muscheln lagen die meisten
Exemplare der gut erhaltenen Brachiopoden
zweiklappig vor. Zudem wiesen sie
teilweise eine starke Bewachsung mit Serpeln
und Seepocken auf. Vom Stifter freipräparierte
Stücke enthielten Fragmente
des Armgerüsts. Sämtliche Seeigel waren
unvollständig.
Rekonstruktion der Paläoumwelt
Das Erdzeitalter des Oligozän gehört
stratigrafisch ins Mittlere Känozoikum
und wird auf ca. 33 bis 23 Mio. Jahre vor
heute datiert. Im Oligozän hatten sich die
meisten Erdteile des Superkontinents Pangaea
voneinander gelöst und fast ihre heutige
Position erreicht. Australien und Südamerika
waren die letzten Kontinente, die
sich in diesem Zeitalter von der Antarktis
trennten. Außerdem kam es durch die sich
neu orientierenden Meeresströme zu Gletscherbildungen
und einer allgemeinen Regression
des Meeresspiegels weltweit, wodurch
viele Schelfbereiche trocken fielen.
Das Klima war kühl und trocken, das führte
zur Bildung von Wüsten und Landbrücken
(Agusti & Anton 2002).
In Deutschland drang zur Zeit des
Oligozän die Nordsee weit ins Landesinnere
bis in den Raum um Kassel vor. Somit
waren Nord- und Ostdeutschland
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
60 Lea Weßel
Welschberg-
Halbinsel
Bingen
Bad Kreuznach
Vorholz-Halbinsel
Weinheimer
Bucht
Alzey
Mainz
Bingen
Bad Kreuznach
Mainz
Wörrstadt
Alzey
Bingen
Bad Kreuznach
Mainz
Wörrstadt
Kirchheimbolanden Kirchheimbolanden Kirchheimbolanden
Alzey
Worms Worms Worms
Abb. 15 Land-Meer-Verteilung im Mainzer Becken
während der Alzey-Formation (A), der Stadecken-
Formation (B) und der Sulzheim-Formation (C).
Verändert aus Nungesser (2010), nach: Grimm &
Grimm (2003).
vollständig überflutet. Trotz des übergeordneten
Meeresspiegel-Tiefstands kam
es lokal immer wieder zu Schwankungen
und der Verlagerung der Ablagerungsräume.
Im Unteroligozän kann die erste vollmarine
Beeinflussung durch die erste lokale
Rupel-Transgression beobachtet werden.
Aufgrund des in der Tongrube Stoevesandt
auftretenden, glaukonithaltigen Grünsandes
mit Phosphorit-Knollen kann von einem
vollmarinen Ablagerungsraum mit
ruhigen, reduzierenden Sedimentationsbedingungen
ausgegangen werden, da sich
Glaukonit am Meeresgrund unter kontinuierlicher
Sedimentauflast bildet. Dies
spiegelt sich auch in der exzellenten Erhaltung
der Organismen dieser Lokation wieder.
Besonders unter den Crustaceen finden
sich viele fast vollständige Exemplare
mit Laufbeinen und Scheren. Dies setzte
eine schnelle Einbettung unter Sauerstoffabschluss
voraus, sodass Hartteile entsprechend
umkristallisieren konnten. Krebse
der Gattung Coeloma waren carnivor und
konnten in allen Meerestiefen vorkommen.
Die Art C. helmstedtense (Abb. 1) bevorzugte
jedoch tiefes Wasser als Lebensraum
und tritt an dieser Lokation häufig
auf (Bachmeyer & Mundlos 1968). Aufgrund
dieser Faktoren kann vermutet werden,
dass es sich bei den Sedimenten der
Grube Stoevesandt um solche aus einer
marinen Beckenfazies handelt. Das wird
durch das anschließende Vorkommen von
pelagischen Tonen am Top des Aufschlusses
unterstützt. Aufgrund der guten Erhaltung
der Crustaceen wurde in der Literatur
zuerst von einer Einbettung in Lebendstellung
ausgegangen. Krebse dieser Gattung
lebten jedoch sowohl auf als auch im Sediment,
sodass eine Ablagerung als noch
lebender Organismus unwahrscheinlich
scheint. Am Rand des Oligozän-Beckens
ändert sich die Fazies mit zunehmender
Nähe zum Küstenbereich.
Ablagerungen aus dem Mittleren Oligozän
(Rupelium) sind in Deutschland besonders
aus dem Mainzer Becken bekannt.
Die Formationen dieser Lokation gehören
zur sogenannten Selztal-Gruppe des Rupelium
(Abb. 3). Zu der Zeit war das Sedimentbecken
von einem Meeresarm zu einer
Bucht geflutet worden, der die Nordsee
mit der Tethys verband. Das Mainzer Becken
wurde im Verlauf der zweiten Rupel-
Transgression zu vollmarinen Bedingungen
geflutet (Abb. 15). Dabei stellten die
Meeressande (Alzey-Formation) mit ihren
Sanden und Kiesen die Küstenfazies und
die Rupeltone (Bodenheim-Formation)
mit den pelagischen Tonen die Beckenfazies
dar (Nungesser 2010).
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Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover
61
Abb. 16 Kleine Stämmchen der Solitärkorallengattung
Balanophyllia sp. Sie weisen auf warme
Wassertemperaturen hin, haben aber keine
Bedeutung als Riffbildner.
In den flachen küstennahen Gebieten
der Meeressande entwickelte sich im subtropischen
bis mediterranen Klima eine artenreiche
Fauna, die sich in der Diversität
der Sammlung Harms wiederspiegelt und
sogar viele verschiedene Trophiestufen der
Nahrungskette durch fossile Organismen
repräsentierend darstellen kann. Das Vorkommen
von Korallen wie Balanophyllia
sp. (Abb. 16) bestätigt die warmen Temperaturen
des Meerwassers. Jedoch waren
diese Korallen keine Riffbildner, sondern
kleine Solitärkorallen mit geringer Bedeutung
für das Ökosystem. Diese wichtige
Rolle übernahmen im Oligozän-Meer die
Austern, besonders die flachwasserbewohnende
Art Ostrea callifera (Abb. 17). Austern
lebten auf den Geröllen der Kliffe,
die aus Gesteinen des permischen Rotliegenden
bestanden. Ostrea callifera bildete
an beiden Lokationen in Weinheim große
Austernbänke, die vielen Organismen
Schutz und Nahrung boten (Falke 1968).
Zudem stellten sie sessilen Organismen
wie Serpeln und Seepocken oder filtrierende
Muscheln (Spondylus tenuispina) durch
ihre Schalen geeigneten Besiedlungsgrund
zur Verfügung. Die verklebten und bewachsenen
Austern der Art O. callifera der
Sammlung Harms beweisen ihre wichtige
Funktion als Ersatz für die Riffbildner. Der
weiche Sand bot zahlreichen grabenden
Mollusken wie Glycymeris (Abb. 4) einen
Abb. 17 Ostrea callifera aus der Grube Zeilstück.
Diese vier Exemplare sind stark miteinander
verklebt. Das lässt sich auf ihre Funktion als Riffbildner
für das Ökosystem im Unteren Meeressand
zurückführen.
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62 Lea Weßel
passenden Lebensraum. Unter den Schnecken
finden sich in der Sammlung sowohl
die ehemals tidenzonenbewohnende, pflanzenweidende
Schlammkriecher-Schnecke
Granulolabium plicatum var. papillatum, als
auch Raubschnecken wie Natica crassatina
und Muricopsis sp. Diese Raubschnecken
des küstennahen Lebensraums durchbohrten
die Schale ihrer Beutetiere, zum Beispiel
anderer Muscheln oder Gastropoden
(Rust 1995). Leider konnten bei den fossilen
Primärkonsumenten der Mollusken
keine der Bohrspuren eindeutig als von
Raubschneckenfraß verursacht interpretiert
werden. Es wurden besonders viele
Spuren von Anbohrungsprozessen bei
Glycymeris beobachtet. Ein weiterer Feind
von Mollusken war die Meerbrasse. Dieser
Knochenfisch der Familie Sparidae
lebte im freien Wasser und ernährte sich
hauptsächlich von Muscheln, deren Schale
er mit seinen kugelförmigen Zähnen knacken
konnte. Meerbrassen hatten verschiedene
Zahntypen. Die Kugelzähne (Abb. 7)
werden Dentex genannt (Dallmann 1996).
Weitere Überreste von Knochenfischen aus
der Sammlung Harms sind Flossenstacheln
und Wirbel. Die höchste Stufe der
Nahrungskette nahmen Raubfische wie die
Degenfische und Haie ein. Besonders viele
fossile Zähne sind in der Meeressand-
Formation von dem 2-5 Meter langen
Glossar
Arkose Sedimentgestein, das aus Quarzkörnern
und einem hohen Feldspatanteil
besteht. Es entsteht durch die Ablagerung
von erodierten Silikatgesteinen, zum Beispiel
Granit, und kann in fast allen sedimentären
Schichtfolgen gefunden werden.
Brachiopoda systematische Bezeichnung
für den Tierstamm der Armfüßer. Sie
besitzen ein zweiklappiges Gehäuse, eine
Klappe ist stets größer, als die andere. Das
unterscheidet sie von den Muscheln.
Bryozoa systematische Bezeichnung für
den Tierstamm der Moostierchen. Es handelt
sich um festgewachsene Kolonien aus
kleinen Zooiden (Einzeltieren), die Nahrungspartikel
aus dem Meerwasser filtern.
Carapax Teil des Außenskeletts bei Krebstieren.
Der Carapax bedeckt als Rückenschild
die dem Kopf anschließenden
Segmente.
Decapoda systematische Bezeichnung für
die Ordnung der Zehnfußkrebse innerhalb
der Krebstiere
desmodont Bezeichnung für einen
Schlosstyp bei Muscheln, die Zähne sind
dabei zu zwei großen Zapfen verwachsen.
dysodont Bezeichnung für einen Schlosstyp
bei Muscheln, es sind keine oder nur rudimentäre
Zähne vorhanden.
Echinodermata systematische Bezeichnung
für den Tierstamm der Stachelhäuter, deren
Körper sich in fünf gleiche Teile gliedert.
Seesterne, Seeigel und Seegurken gehören
dazu.
epibenthisch auf dem Sediment von Gewässern
lebend
Gastropoda systematische Bezeichnung für
die Tierklasse der Schnecken
heterodont Bezeichnung für einen Schlosstyp
bei Muscheln, das verschiedenförmige Zähne
aufweist.
Ichnofossil Spurenfossil. Fossilisierte Lebensspuren
von Organismen wie etwa Laufspuren
(Trittsiegel), Grabspuren oder Fraßspuren.
Lamellibranchiata systematische Bezeichnung
für die Tierklasse der Muscheln
Ligament elastisches Band, mit dem die
Schalenklappen von Muscheln zusammen
gehalten werden.
Mollusca systematische Bezeichnung für
den Tierstamm der Weichtiere, also Tiere
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover
63
Sandtigerhai Carcharias cuspidatus (Abb.
6) überliefert. Dieser Hai lebte küstennah
und ernährte sich hauptsächlich von anderen
Fischen (Nungesser 2010).
Gegenüber der hohen Diversität in
der Meeressand-Formation stellte der
Schleichsand (Stadecken-Formation) ein
relativ verarmtes Bild dar. Nur wenige neue
Arten stießen zur Vergesellschaftung hinzu.
Während der Epoche des Schleichsandes
wurde die Transgression stärker, doch
aufgrund des erhöhten Sedimenteintrags
war das Meer in der Bucht insgesamt flacher.
Das Klima kühlte sich ab und das
Mainzer Becken erfuhr einen leichten
Brackwassereinfluss (Nungesser 2010).
Die Küstengebiete waren charakterisiert
durch ausgedehnte Schlammflächen,
in denen sowohl grabende Mollusken
wie Glycymeris obovatus, als auch oberflächenbesiedelnde
Organismen wie Isognomon
sandbergi (Abb. 9) verstärkt auftraten.
Die Überreste der filtrierenden Isognomon
sandbergi bilden am Edesberg dicke Schillschichten,
das bestätigt die hohe Verbreitung
und Individuenzahl der Schinkenmuschel
(Falke 1968).
Ein besonders interessantes Stück aus
der Sammlung Harms ist die Bulla eines
oligozänen Odontoceti (Abb. 10). Die
„Bulla tympanica“ stellt einen Teil des Gehörapparats
bei Zahnwalen dar. In der
mit weichem Körper und oft einer Schale.
Schnecken, Muscheln und Tintenfische gehören
dazu.
pelagisch sind Organismen, die im freien
Wasser leben (Biologie) oder Sedimente,
die im freien Wasser schweben, bzw. abgelagert
werden (Geologie, Beispiel: pelagische
Tone).
Phosphorit-Geoden Phosphorit ist ein marines
Sedimentgestein. Es tritt häufig in Verbindung
mit Kalken und Glaukoniten auf.
Die Bildung kann am Meeresboden biologisch
durch die Ablagerung von organischem
Material, chemisch durch die Ausfällung aus
dem Meerwasser entstehen. Dabei bilden die
Minerale oft Knollen oder Geoden (Hohlräume
im Gestein, die mit dem kristallisierten
Mineral ausgekleidet sind).
Rhodophyta systematische Bezeichnung für
die botanische Abteilung der Rotalgen.
Rupeltone ehemalige Bezeichnung für die
Bodenheim-Formation aus dem Mainzer
Becken. Sie gehört stratigrafisch ins Rupelium
(Unteroligozän) und zeichnet sich durch
eine marine Beckenfazies aus Tonen und
Feinsanden aus.
Rupel-Transgression während des Rupelium
(auch Rupel genannt) kam es zu
drei Zyklen von Meeresspiegelanstiegen,
genannt Rupel-Transgressionen. Sie können
sowohl lokal als auch global an den
charakteristischen Sedimentationsabfolgen
erkannt werden.
Schill Anreicherung von ganzen oder zerbrochenen
Schalen, Klappen oder Gehäusen
von Organismen. Oft gesteinsbildend.
Septarien Kalkkonkretionen, die in kalkreichen
Tonen zu finden sind und um einen
Kern aus organischem Material wachsen.
Die Entstehung ist noch nicht vollständig
geklärt.
Serpeln bekannt als Serpulidae, systematische
Bezeichnung für die Familie der
Kalkröhrenwürmer.
taxodont Bezeichnung für einen
Schlosstyp bei Muscheln, der viele gleichförmige
Zähne aufweist.
Terebrateln bekannt als Terebratulida, systematische
Bezeichnung für eine Ordnung
der Brachiopoda
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
64 Lea Weßel
knöchernen Kapsel waren Mittel- und Innenohr
eingeschlossen, die bei der Schallorientierung
des Tieres eine wichtige Rolle
spielten. Eine Besonderheit der prähistorischen
Zahnwale gegenüber den rezenten
war, dass die Bulla bei niedrig entwickelten
Zahnwalen noch direkt mit dem Schädelknochen
verbunden war. Diese Verbindungsstelle
kann beim Stück aus der
Sammlung ebenfalls nachgewiesen werden.
Bei rezenten Odontoceti ist die Bulla vom
Schädelknochen isoliert und nur mit Bindegewebe
fixiert, das verbessert die Schallleitung
(Keller 2004). Eine genaue Klärung
der Ablagerungsbedingungen ist bei
diesem Stück schwierig. Die Existenz von
Walen in der Ur-Nordsee ist durch Funde
unter anderem am Doberg gesichert, aber
ob es sich bei der Bulla um die Überreste
eines vor Ort gestrandeten Wals handelt
oder sie allochton verfrachtet wurde, ist
nicht eindeutig (Mörstedt & Strauß 2005).
Im Cyrenenmergel (Sulzheim-Formation)
wandelten sich die vollmarinen Bedingungen
langsam in ein Flachmeer mit
einer artenarmen Brackwasser-Fauna um.
(Abb.15) Das führte zur Einwanderung
neuer Arten. Die weit verbreitete Muschel
Pseudocyrena subarata convexa war ein typischer
Brackwasserbewohner und lebte
eingegraben unter der Sedimentoberfläche
(Rust 1995). Auch Gastropoden wie
Granulolabium plicatum (Abb. 11) und die
küstenbewohnende Raubschnecke Keepingia
cassidaria sind weitere Beweise für eine
Verflachung der Bucht. Diese Mollusken
stellten die häufigsten Arten im Cyrenenmergel
dar und finden sich an den entsprechenden
Lokationen in großer Zahl (Nungesser
2010). Bei einigen Exemplaren der
Schnecke G. plicatum fand sich die pathologische
Besonderheit eines Knicks im Gehäuse,
vermutlich als Reaktion auf einen
Fressfeind oder eine Krankheit.
Im Oberoligozän (Chattium) kam es
schließlich zur Regression des Meeresspiegels,
sodass sich ein Flachmeer in Norddeutschland
ausbilden konnte. Eine der
wichtigsten Lagerstätten des Oberoligozän
ist der Doberg bei Bünde. Er gehörte
zusammen mit der Lokation Astrup zu
einem flachen Randmeer der Ur-Nordsee.
Dieses Randmeer wies eine starke Ähnlichkeit
mit dem rezenten Wattenmeer auf
(Dallmann 1996).
Lockere Sedimente wie Sande und Kiese
wurden in einem flachen gezeitendominierten,
euhalinen und durchlichteten
Flachschelf-Akkumulationsraum abgelagert.
Die durchschnittliche Wassertiefe
wird anhand des Auftretens der zahlreichen
Rotalgenknollen (Abb. 13) auf bis
50 m geschätzt (Kohnen 1993). Rotalgen
sind abhängig von Sonnenlicht und auf einen
lichtdurchfluteten Lebensraum ohne
starke Sedimentation angewiesen (Dallmann
1996). Zudem wuchsen sie vorwiegend
in warmen Gewässern. Demnach
kann auf ein mediterranes Klima geschlossen
werden. Das Randmeer der Ur-Nordsee
bot zur Zeit des Oligozän sowohl einer
Vielzahl von Invertebraten, als auch großen
Organismen wie Haien, Rochen, Walen
und Seekühen einen Lebensraum (Mörstedt
& Strauß 2005). Die stratigrafisch
wichtigsten Fossilien sind epibenthisch lebende
Kammmuscheln der Gattung Palliolum,
da sie aufgrund ihrer Schale aus
Kalkspat eine gute Überlieferungsrate besitzen.
Sie gehören zu den Filtrierern und
kommen sehr häufig in den Schichten vor
(Dallmann 1996).
Die ebenfalls filtrierende Auster Ostrea
callifera nahm auch im Oberoligozän eine
bedeutende Rolle im Ökosystem ein, da sie
Schadstoffe aus dem Wasser filterte und
einen Siedlungsgrund für andere Organismen
bildete (Kohnen 1993). Allerdings
wurden durch diese Austernart nun keine
großen Austernbänke mehr ausgebildet
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover
65
und ihre Häufigkeit nahm ab. Die sandbewohnende
Gattung Glycymeris war im
gesamten Oligozän mit verschiedenen Arten
vertreten, sodass sie sich auch mit den
Lokationen Doberg und Astrup in der
Sammlung zeigt. Im Allgemeinen ist eine
große Ähnlichkeit zwischen der Organismenvergesellschaftung
des Dobergs und
der Astruper Mergelgrube zu beobachten.
Das unterstreicht die Zugehörigkeit zum
gleichen Lebensraum. An beiden Lokationen
kommen die Gattungen Glycymeris
und Palliolum sowie zahlreiche Rotalgenknollen
vor. Daneben finden sich in Astrup
auch Schlickbewohner wie Arctica rotundata
und Panopaea menardi (Diedrich 2012).
Die Islandmuschel (Arctica rotundata) bevorzugte
geringere Wassertemperaturen in
ihrem Lebensraum, aber sie konnte auch in
warmem Wasser überleben. Allerdings bildete
sie dann aufgrund des Kalkmangels
im warmen Wasser eine dünnere Schale
aus. Das spiegelt sich in den fossilen Exemplaren
aus der Sammlung wider.
Das gleiche Verhalten lässt sich auch
bei Ostrea callifera erkennen. Neben den
Mollusken dominierten Echinodermen
das Bild des Wattenmeers im Oligozän.
Sowohl Echinolampas kleini (Abb. 12) als
auch Spatangus desmaresti lebten im Sediment
und ernährten sich mikrophag (Rust
1995). Auffällig ist, dass am Doberg Seeigel
wie E. kleini quantitativ dominierten,
während in Astrup Terebratula grandis
(Abb. 14) reichlich vorkamen. Das lässt
darauf schließen, dass das Sediment am
Doberg als Siedlungsgrund für Brachiopoden
zu weich war, während sie in Astrup
bessere Lebensbedingungen vorfanden.
Das lockere Sediment bildete dagegen ein
ideales Habitat für grabende Seeigel. Typisch
für die Brachiopoden ist ihre Überlieferung
mit zwei Klappen, die wegen des
fehlenden Ligaments auch postmortal fest
miteinander verbunden bleiben (Dallmann
1996).
Exemplare, die mit nur einer Klappe
überliefert sind, weisen dagegen häufig
einen starken Bewuchs von Serpeln und
Seepocken auf. Vermutlich deutet das auf
eine längere Einbettungsdauer hin. Fossilien
von Fischen wurden im Oberoligozän
seltener, dennoch ließen sich sowohl
die Meerbrasse, als auch der Kosmopolit
Carcharias cuspidatus anhand von Zähnen
nachweisen. Beide kamen im Phytal nahe
der Küste vor (Diedrich 2012).
Die meisten Fossilien der oligozänen
Sammlung Harms können als autochthone
Spezies gewertet werden, da sich ihre
Lebensweise und das bevorzugte Habitat
sehr gut mit den im Oligozän herrschenden
Umwelt- und Lebensbedingungen decken.
Bei vielen handelte es sich um typische
Bewohner ihres Lebensraums, sodass
die entsprechenden Fossilien an den Lokationen
häufig sind. Einzig die Überreste
des Odontoceti konnten nicht eindeutig
als autochthon eingestuft werden. Auffällig
sind die teilweise exzellente Erhaltung der
Stücke sowie ihre Vollständigkeit vor allem
bei den empfindlichen Crustaceen.
Diskussion und Ausblick
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass
die Oligozän-Sammlung Harms einen
umfassenden Einblick in das Ökosystem
des Oligozän ermöglicht und somit einen
hohen Erhaltungswert besitzt. Neben den
stratotypischen Lokationen wie dem Doberg
und dem Mainzer Becken, wurden
durch den Stifter auch weniger bekannte
Areale wie zum Beispiel die Grube Stoevesandt
besucht und somit ein Teil ihrer
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
66 Lea Weßel
geowissenschaftlichen Informationen für
die Forschung bewahrt. Trotzdem könnten
weiterführende Untersuchungen des
Materials das paläontologische Verständnis
vom Zusammenspiel verschiedener
Organismengruppen und Arten untereinander
weiter vertiefen und eine erweiterte
Interpretation der marinen Makrofauna
in Bezug auf Räuber-Beute-Beziehungen
und Nahrungsketten ermöglichen. Deshalb
würde es sich empfehlen, weiter mit
der Stiftung Harms zu arbeiten und nicht
identifizierte Organismen zu bestimmen.
Besonders die Zahnwal-Bulla, die Fischzähne
und die Crustaceen, sowie die Häufigkeitsverteilung
der Bohrspuren könnten
eine interessante Forschungsgrundlage liefern.
Als Fazit kann vermerkt werden, dass
die bestimmte Organismenvergesellschaftung
weitgehend mit den in der Literatur
für die einzelnen Aufschlüsse beschriebenen
Faunen übereinstimmt und auch die
Paläoumwelt durch die Lebensgewohnheiten
der Arten widergespiegelt wird. Viele
Eigenschaften von Arten konnten direkt
an den Objekten nachgewiesen werden
wie z. B. die riffbildenden Aktivitäten von
Ostrea callifera. Außerdem können die fossilen
Organismen auch als Anzeiger für
Umweltparameter genutzt werden. Beispiele
sind die lichtabhängigen kalkigen
Rotalgen oder die grabenden Seeigel. Dennoch
beinhaltet die Oligozän-Sammlung
Harms neben den weit verbreiteten Fossilien
auch ungewöhnliche Stücke, die in der
wissenschaftlichen Literatur keine Erwähnung
finden und ungewöhnliche Faunenzusammensetzungen.
Danksagung
Besonderer Dank gilt Frau Dr. Annette
Richter und Frau Annina Böhme für das
großartige Engagement und die Unterstützung
bei der Informationsrecherche,
Einschätzung und Bestimmung der Stücke
sowie die Einführung in die Sammlungsverwaltung
an sich und die interessanten
Einblicke hinter die Kulissen. Für das Lektorat
danke ich ebenfalls Frau Dr. Annette
Richter, Herrn Dr. Franz-Jürgen Harms
und vor allem Herrn Dr. Dieter Schulz.
Literatur
Agusti, J.; Anton, M. (2002): Mammoths,
Sabertooths and Hominids 65 Million Years
of Mammalian Evolution in Europe: 67 – 92.
– Columbia University Press; New York.
Bachmeyer, F.; Mundlos R. (1968): Die tertiären
Krebse von Helmstedt bei Braunschweig,
Deutschland. – Annalen des Naturhistorischen
Museums Wien, 72: 649 – 692.
Dallmann, G. (1996): Vorzeitliche Meeresspuren
– die Kalkmergel-Flora im Osnabrücker
Bergland und Ostwestfalen-Lippe: geologische
Profile und Fauna der Ur-Nordsee bei
Osnabrück, Bünde und Detmold, Leopoldshöhe:
33 – 45. – heka-Verlag Kameier.
Diedrich, C. G. (2012): Palaeoecology, facies,
and stratigraphy of shallow marine
macrofauna from the Upper Oligocene
(Palaeogene) of the southern Pre-North Sea
Basin of Astrup (NW Germany). - Central
European Journal of Geoscience, Vol. 4, 1:
163 – 187.
Falke, H. (1960): Rheinhessen und die Umgebung
von Mainz, Sammlung geologischer
Führer von Franz Lotse, 38: 110 – 116,
125 – 131. – Gebrüder Borntraeger Verlag;
Berlin.
Grimm, K. I.; Grimm, M. C. (2003): Geologischer
Führer durch das Mainzer Tertiärbecken.
– In: Grimm, K. I., Grimm, M. C.;
Neuffer, F. O.; Lutz, H.: Die fossilen Wirbellosen
des Mainzer Tertiärbeckens, Teil
1-1. – Mainzer Naturwissenschaftliches
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover
67
Archiv, Beiheft 26: 158 S., 3 Tafeln; Mainz.
Harms, Franz-Jürgen, persönliche Unterlagen.
Keller, J. (2004): Wale und Delfine: 16 – 18,
128 – 131. – Karl Müller Verlag; Köln.
Koenen, A. (1867): Das marine Mittel-Oligozän
Norddeutschlands und seine Mollusken-
Fauna – Abdruck aus „Palaeontographica“,
XVI. – Theodor Fischer Verlag; Kassel.
Kohnen, O. (1993): Sedimentologie, Fazies und
Diagenese der Schichten 10 bis 21 im Oberoligozän
des Dobergs (Bünde/Westfalen). –
Geologie und Paläontologie in Westfalen,
23: 16 – 23. – Landschaftsverband Westfalen-Lippe.
Mörstedt, C.; Strauß, M. (2005): Stippvisiten
Spezial Dobergmuseum Bünde – Expedition
Doberg. Kreisheimatverein Herford e. V.
Nungesser, K. (2010): Von Seegraswiesen,
Kohleschweinen und Rheinelefanten –
Eine Zeitreise durch das Mainzer
Becken. Steinkern.de Fossilien-Community
(www.steinkern.de/fundorte/
sonstige-bundeslaender/214-von-seegraswiesen-kohleschweinen-und-rheinelefanteneine-zeitreise-durch-das-mainzer-becken.
html)
Rust, J. (1995): Das Oberoligozän von Diekholzen
bei Hildesheim, Bodenburg und den
drei Eichteichen bei Neuhof/Lamspringe.
Mitteilungen aus dem Römer-Museum,
Folge 7: 88 – 96. – Georg Olms Verlag; Hildesheim.
Es wurden zusätzlich zahlreiche Datenbanken
von wissenschaftlichen Einrichtungen für die
systematische Einordnung genutzt.
Arbeit eingereicht: 04.08.2018
Arbeit angenommen: 03.12.2018
Anschrift der Verfasserin:
Lea Weßel
Mühlenstraße 22
28779 Bremen
E-Mail: lwessel@uni-bremen.de
Geheimnisvoll und rätselhaft
Naturhistorica 152
• Die rätselhaften Grottenkrebse der Blue
Holes: Sind sie vielleicht doch eher Insekten?
Erste Forschungsergebnisse liegen vor.
• Die Ilex-Minierfliege in Hannover
• Vegetation eines Hainbuchen-Niederwaldes
bei Wittenburg
• Insekten aus dem Ober-Jura in Norddeutschland
• Wolf, Luchs & Co. – Ein Bestimmungsschlüssel
anhand der Halswirbel
• Vom Jurameer bis zur heutigen Nordsee
• Das Meereskrokodil Steneosaurus aus dem
Oberen Jura Hannovers
198 S., 9 €
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
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Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
69
Moschusochsenschädel (Ovibos moschatus)
aus dem Landesmuseum Hannover und dem
Dinopark Münchehagen – Vergleich und
Interpretation
Jannik Weidtke
Moschusochsenschädel aus dem
Landesmuseum Hannover und dem Dinopark
Münchehagen
Zusammenfassung
In dieser Arbeit werden ein rezenter und
vier fossile Schädel der Art Ovibos moschatus
beschrieben und anschließend anhand
ihrer ontogenetischen Entwicklung, Alter
und Geschlecht der Tiere bestimmt.
Eine kurze Einführung in die Biologie
des rezenten Moschusochsen geht auf den
Stammbaum und die Anpassung von O.
moschatus an arktische Klimate ein.
Die Bestimmung von Geschlecht und
Alter wird anhand osteologischer Kenntnisse
über die Morphologie des Schädels,
der ontogenetischen Entwicklung rezenter
Tiere und ihrer nahen Verwandtschaft zu
dem eiszeitlichen Vertreter dieser Art unter
Anwendung des Aktualismusprinzips
und unter der Zuhilfenahme weiterer, bisher
veröffentlichter Arbeiten durchgeführt.
Anschließend wird mit den aus dieser und
den weiteren Arbeiten gewonnenen Erkenntnissen
das Thema der Artunterscheidung
in eine rezente und eine eiszeitliche
Form anhand der phylogenetischen Entwicklung
der Gattungsgruppe der Ovibovini
und morphologischer sowie DNA-
Analyse technischer Unterschiede und
Gemeinsamkeiten diskutiert.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
70 Jannik Weidtke
Schlüsselwörter: Artikulierte Moschusochsenschädel,
rezent, fossil, Ovibos moschatus,
Säugetiere, Artiodactyla, Morphologie,
Sammlungen Landesmuseum
Hannover, Dinosaurier-Park Münchehagen,
Landesamt für Bergbau, Energie und
Geologie Niedersachsen, Eiszeiten
Einleitung
Material
Zwei der hier besprochenen Schädel
stammen aus dem Niedersächsischen Landesmuseum
Hannover (NLMH). Ein rezenter
Schädel eines weiblichen Moschusochsens
aus Grönland aus dem Jahr 1903,
der 1904 mit der Nummer 198 im Museum
einging und die Inventar-Nr. 7249
trägt, befindet sich im osteologischen Magazin
des Museums. Dazu kommt ein eiszeitlicher
Schädel, der im Quartärmagazin
des Museums lagert und die Nummer
V3105 trägt. Diese Sammlungsnummer ist
als vorläufig zu betrachten, da eine Nummernrevision
in den geowissenschaftlichen
Sammlungen ansteht und für dieses
spezielle Objekt noch keine feste Vergabe
vorgenommen wurde bzw. werden konnte:
Es handelt sich bei diesem Schädel um
eine Dauerleihgabe des ehemaligen Landesamtes
für Bodenforschung, das heute
das Landesamt für Bergbau, Energie und
Geologie Niedersachsen (LBEG) ist. Zum
Fundort dieses Schädels werden zwei unterschiedliche
Angaben gemacht. Es existiert
sowohl ein Leihschein von 1969, in
dem der Schädel aus weichseleiszeitlichen
Ablagerungen der Innerste stammen soll,
als auch ein früherer Aktenvermerk vom
30.10.1968, in dem der Schädel in den
Leinekiesen der Weichseleiszeit bei Heisede
gefunden worden sein soll. Beide Schädel
sind ohne postcraniales Skelettmaterial.
Aus dem Dinosaurier-Freilichtmuseum
Münchehagen (hier nachfolgend kurz
Dinopark genannt) stammen vier weitere
eiszeitliche Schädel, die allesamt aus der
Sammlung des verstorbenen Privatsammlers
Konrad Wiebking kommen, die ihrerseits
im Jahre 2014 dem Dinopark gestiftet
wurde. Es handelt sich hierbei um
drei nicht mehr vollständige Crania unterschiedlicher
Größen, ebenfalls ohne
postcraniales Skelett, sowie ein einzelnes
Parietale. Der Fundort der vier Schädelreste
kann jedoch aufgrund fehlender Dokumentation
nicht mehr genau bestimmt
werden. Sicher ist allerdings, dass diese aus
dem Gebiet südlich der Weser um Rehburg-Loccum
stammen.
Zusätzlich zu den zwei oben genannten
Schädeln existiert im Großpräparatemagazin
des Landesmuseums Hannover das
Standpräparat eines rezenten Moschusochsens
(Inventarnummer 150). Es ist in
dieser Arbeit mit zwei Abbildungen (Abb.
1 und 2) vertreten, soll jedoch nicht weiter
behandelt werden.
Methoden
Die Fotos des Standpräparats wurden
mit einer Canon EOS 5D Mark II
Digitalkamera aufgenommen, die Fotos
der Schädel mit einer Canon EOS
1100D Spiegelreflexkamera. Die Zeichnung
erfolgte mit Hilfe von Schwan
Stabilo All-Stabilo Fettstift und Pelikan
Tusche Opak (Schwarz) auf Runzelkornpapier
(Bilddruckpapier Igepa).
Die Fotos der Schädel und die Zeichnung
wurden im Anschluss mit Adobe
Photoshop CS6 freigestellt. Die Fotos
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
71
zur Erstellung der 3D-Modelle sind mit
derselben Canon EOS 1100D Spiegelreflexkamera
auf einem Cullmann Magnesit
522 Stativ aufgenommen worden.
Die Fertigstellung der Modelle geschah
mit der Agisoft PhotoScan Professional
Version 1.2.6 build 2834(64Bit), Lizenz
des Niedersächsischen Landesmuseums
Hannover.
Geologischer Rahmen
Als Eiszeiten werden die Abschnitte der
Erdgeschichte bezeichnet, in denen große
Teile der Nord- und Südhalbkugel vergletschert
waren. Im Laufe der Geschichte hat
die Erde bereits mehrere Eiszeiten erfahren,
die sich durch starke Temperatur- und
Klimaschwankungen von anderen Erdzeitaltern
unterscheiden. Unterteilt werden
sie in Stadiale oder auch Glaziale (Kaltzeiten)
und Interstadiale bzw. Interglaziale
(Warmzeiten). Als Hauptantriebskraft
für diese geologisch gesehen relativ kurzen
Zeitabschnitte werden die Milanković-
Zyklen angesehen, die sich aus den drei
Parametern der Exzentrizität (Stärke der
elliptischen Form der Erdumlaufbahn),
Obliquität (Neigungswinkel der Erdachse)
und Präzession (Position der Erdachse im
Raum) zusammensetzen. Diese allein sind
jedoch nicht ausreichend, um eine Eiszeit
einzuläuten. Die Position von Landmassen
in Pol-Nähe, aber auch deren Isolation,
spielen dabei eine wichtige Rolle. Durch
Kontinentaldrift kommt es zur Öffnung
oder auch Schließung von Meeresstraßen
und damit zu gravierenden Änderungen in
den Meeresströmungen. Auch die Intensität
kosmischer Strahlung und Schwankungen
in der Atmosphäre sind mitverantwortlich
für Eiszeiten. Der CO 2
-Gehalt in
der Atmosphäre, der unter anderem auch
durch Änderungen von Meeresströmungen
Tab. 1 Die drei Eiszeiten des Quartär und
ihre Dauer
Zeitabschnitt
Zeitraum
( Jahre vor heute)
Elster-Glazial 400 000 – 320 000
Holstein-Interglazial 320 000 – 305 000
Saale-Glazial 305 000 – 130 000
Eem-Interglazial 130 000 – 115 000
Weichsel-Glazial 115 000 – 12 000
und dem geologischen Relief (Gebirgsbildungsphasen)
gesteuert wird, ist zusammen
mit dem Rückstrahlungsvermögen
der Erdoberfläche von Sonnenlicht (Albedo-Effekt)
entscheidend.
Das Quartär, das vor ca. 2,58 Millionen
Jahren begann, wird unterteilt in das Pleistozän
(2,58 Millionen bis 11 700 Jahre vor
heute) und das Holozän (von 11 700 bis
heute) und erfuhr bislang drei größere Eiszeiten.
Diese werden in Norddeutschland
nach Flüssen benannt, die deren weitesten
Vorstoß in das Landesinnere anzeigen. Die
maximale Ausdehnung der Gletscher wird
mit Hilfe von proglazialen Sedimentablagerungen
und Moränen rekonstruiert. In
den relativ kurzen Warmzeiten zwischen
den Gletschervorstößen war das Landschaftsbild
Europas geprägt von Linden-,
Eichen- und Eichenmischwäldern. Zum
Ende der Warmzeiten kam es vermehrt
zum Auftreten von Nadelhölzern, darunter
Kiefern, Fichten und Tannen. Während
der Kaltzeiten dominierten Tundren mit
Zwergsträuchern und Lösssteppen, die als
Mammutsteppen bezeichnet werden. Der
mehrmals auftretende Wechsel zwischen
Glazialen und Interglazialen zwang einen
Großteil der Lebewesen zur Abwanderung
und führte, wenn diese nicht möglich war,
zum Aussterben der Arten (Kahlke 1994).
Typische Vertreter der Mammutsteppen
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
72 Jannik Weidtke
waren das namengebende Mammut
(Mammuthus primigenius) sowie Wollnashorn
(Coelodonta antiquitatis), Bison (Bison
priscus), Rentier (Rangifer tarandus), Steppenpferd
(Equus przewalskii), Höhlenbär
(Ursus spelaeus), Wolf (Canis Lupus) und
Moschusochse (Ovibos moschatus).
Die Mammutsteppen entstanden durch
die ausgedehnten Eisschilde, die über den
Gletschern gelegene Luftmassen stark
abkühlten und somit Hochdruckgebiete
bildeten, die kalte, trockene Luft in das
Gletschervorland beförderten. Diese Luftströme
transportierten feinen Sand und
anderes leichtes Material und führten so zu
bis zu 30 m mächtigen Lössablagerungen
(Kahlke 1994).
Während der Elster-Kaltzeit reichte die
Endmoräne des Gletschers im Nordwesten
Niedersachsens bis an die Weser heran.
Durch die Schmelzwässer wurden Sande,
Kiese und Moränen-Material abgelagert,
die heutzutage oft in den örtlichen Kiesgruben
als Weserkiese aufgeschlossen sind.
Durch den zweiten und dritten Gletschervorstoß
des Saaleglazials, dem Drenthe-
Stadium, wurde die Rehburger Staffel als
Endmoräne gebildet. Diese Vorstöße sind
oft durch hohe Ton- und Kalkgehalte zu
erkennen und durch Schmelzwasserablagerungen
gekennzeichnet. In den Rückschmelzphasen
entstanden hier unter anderem
auch Bändertone. Während der
Weichsel-Kaltzeit, deren Gletscher nicht
mehr so weit in das Landesinnere vorstießen,
bildeten sich entlang der Weser
hauptsächlich Schmelzwasserablagerungen
aus Kiesen und Sanden, die ihren Ursprung
in den Sandern der Eisränder hatten.
Durch den Wechsel von Frieren und
Auftauen in dem zu dieser Zeit vorherrschenden
Tundrengebiet entstand hier das
heute ca. 30 km 2 große Steinhuder Meer.
Nach Raufuss & von Königswald (1999)
sind keine Funde von Moschusochsen
(Ovibos moschatus) aus der Elster-Kaltzeit
bekannt, sondern erst ab der frühen Saale-Eiszeit
dokumentiert, obwohl Ovibos
zu dieser Zeit bereits in Europa aufgetreten
sein soll, und die Elster-Kaltzeit oft in
den Kiesgruben entlang der Weser aufgeschlossen
ist. Es ist aber wahrscheinlicher,
dass das gefundene Material aufgrund eines
höheren Vorkommens von fossilen
Moschusochsen, aus dem späteren Weichselglazial
stammt. Abzüglich des gut erhaltenen
Landesmuseum-Exemplars müssen
die Schädel aufgrund ihres unvollständigen
Zustandes auf jeden Fall einen längeren
Transportweg erfahren haben und könnten
durch die auf- und abtauenden Tundragebiete,
mit den in den Schmelzwassern
transportierten Kiesen, verfrachtet und dabei
zerstört worden sein. Es ist aber nicht
zuletzt durch die vertikale Abbauweise in
den Kiesgruben durchaus denkbar, dass
diese Schädel auch aus früheren Glazialen
stammen könnten.
Der Schädel aus dem Landesmuseum
wird mit den beiden weichseleiszeitlichen
Fundorten „Leinekiese (bei Heisede)“ und
„Innerste Ablagerungen“ dokumentiert.
Der im Vergleich gute Zustand des Schädels
lässt darauf schließen, dass er nur einen
sehr geringfügigen Transport erfahren
hat und somit in feinkörnigerem Sediment
eingebettet wurde. Raufuss & von Königswald
(1999) erwähnen Funde von Ovibos
in Kiesgruben bei Heisede und Sarstedt, in
deren Nähe die Innerste fließt. Eingedenk
des guten Erhaltungszustands, lassen sich
die Leinekiese beinahe ausschließen. Da
Kiese durch langen Transport von Gestein
und Geröll entstehen, ist es unwahrscheinlich,
dass der Schädel einen Transport unter
diesen destruktiven Bedingungen erfahren
hat, eine kurzphasige Einlagerung
in „reifen“ Kiesen erscheint allerdings
möglich.
Insgesamt erscheint die zweite Loka-
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
73
litätsnennung der Innerste-Ablagerungen
wahrscheinlicher. In dieser Region wurden
während der Weichsel-Eiszeit meist
Schluffe und selten Sande abgelagert. Der
Schädel dürfte also viel eher in einem solchen
Milieu abgelagert worden sein, da das
Erhaltungspotential hier deutlich höher ist
und dem des Schädels dess Landesmuseumes
gerechter wird. Damit würde der Ablagerungsort
den Angaben des Dauerleihscheins
von 1969 entsprechen.
Biologie des rezenten Moschusochsens
Der Moschusochse (Ovibos moschatus
Zimmermann 1780) ist ein rinderähnlich
aussehendes Tier, das heutzutage hauptsächlich
in den Tundren Alaskas und Kanadas
beheimatet ist. Tatsächlich wird der
Moschusochse aber zu den Ziegenartigen
(Caprinae) gerechnet. Blutuntersuchungen
zeigen eine wesentlich nähere Verwandtschaft
zu Schafen und Ziegen als zu den
Rindern. Durch seine äußerlich starke Unterscheidung
von den übrigen Caprinae
bildet Ovibos moschatus jedoch eine eigene
Gattungsgruppe/Unterfamilie, die der
Schafsochsen (Ovibovini).
In älterer Literatur, z. B. Allen (1913),
werden drei Unterarten der heute lebenden
Moschusochsen aufgeführt: O. moschatus
moschatus (Alaska-Moschusochse), O. moschatus
niphoecus (Wager-Moschusochse)
und O. moschatus wardi (Grönland-Moschusochse).
Diese Unterteilung wird laut
Gray & Grzimek (1988) nicht mehr vorgenommen.
Alle Individuen werden, trotz
leichter Unterschiede in Fellfärbung und
in bestimmten Zahnmerkmalen, zu einer
Art (Ovibos moschatus) zusammengefasst.
Typisches Habitat sind Tundren und
sturmausgesetzte Weidegebiete mit geringem
Schneefall, aber auch subarktische
Küstengebiete.
Seinen Namen verdankt der Moschusochse
einem stark nach Moschus duftenden
Sekret, das bei Rangkämpfen und zur
Reviermarkierung von den männlichen
Tieren abgegeben wird.
Ausgewachsen werden diese Tiere
180 – 245 cm lang, bei einer Schulterhöhe
von 110 – 145 cm. Dabei erreichen sie
ein Gewicht von 200 – 400 kg. Die Weibchen
sind etwa um ein Viertel kleiner. In
der Wildnis werden die Tiere 20 – 25 Jahre
alt, Männchen beginnen bereits mit 15
Jahren zu vergreisen. Die ausgewachsenen
Tiere besitzen kräftig ausgebildete Hörner,
Abb. 1 Standpräparat eines Moschusochsens
im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover
(NLMH), Foto: K. Schmidt
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
74 Jannik Weidtke
Abb. 2 Seitenansicht des Standpräparats,
Foto: K. Schmidt
deren Basisteil plattenartig verbreitert und
verdickt ist. Bei älteren Männchen bedecken
diese Hörner helmartig den ganzen
Scheitel (Abb. 1). Die Hörner biegen dicht
an den Kopfseiten abwärts und zur Spitze
hin aufwärts (Abb. 2, Grzimek 1968).
Die Stirnplatte selbst ist bis zu 10 cm dick.
Trotz ihrer stämmig-plumpen Erscheinung,
handelt es sich um gewandte Tiere,
die ziegen- und steinbockähnlich Felsen
erklettern und sich auch überraschend
schnell in der Ebene bewegen können.
Der Moschusochse besitzt das längste
Haarkleid aller Säugetiere. Mit 16 cm Länge
am Rücken und bis zu 90 cm an Hals
und Brust, reicht es bis an die Hufe hinunter.
Diese Grannenhaare und eine dichte
Unterwolle schützen das Tier vor den
arktischen Witterungsverhältnissen seines
Lebensraums. Mithilfe eines solchen Fells
durchstehen die Tiere auch Kälteperioden
von bis zu –80° Celsius (Mittermeier
& Wilson 2011). Das Sommerkleid wird
nur von Ende Juni bis Ende Juli getragen.
Während des Fellwechsels finden sich oft
dicke, mit Grannenhaar durchsetzte Wollbüschel
an Felsen und Sträuchern, die abgerieben
wurden.
Um im Winter an ihre Nahrung aus
Moosen, Flechten und Zwergsträuchern
zu gelangen, scharren die Tiere Schneedecken
von 20 bis 40 cm dicke frei. Bei hohen
Schneedecken kann es zu Problemen
bei der Nahrungsbeschaffung kommen.
Liegt eine dicke Harschkruste auf dem
Schnee, wird diese mithilfe der Schädelplatten
durchbrochen.
Die Größe einer Herde variiert je nach
Futterangebot zwischen 10 und 30 Tieren.
Im Sommer ruhen die Tiere auf den
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
75
verbliebenen Schneefeldern oder stehen
in flachen Teichen, um sich abzukühlen
(Gray & Grzimek 1988).
Zu den natürlichen Feinden zählen nur
Wolf und Bär. Nähert sich ein Beutegreifer,
so bilden die Moschusochsen eine häufig
sogar kreisförmige Phalanx, bei der die
Kälber hinter den ausgewachsenen Tieren
stehen. Traut sich der Angreifer zu nahe
heran, starten die Bullen plötzliche Ausfälle.
Nach einer Attacke galoppiert das Tier
zurück und schiebt sich rückwärts wieder
in die Frontlinie ein.
Nach Starck (1995) sind mehrere Genera
der Schafsochsen (Ovibovini) seit dem
jüngeren Miozän (vor ca. 5,3 Millionen
Jahren) als nicht kälteadaptierte Steppenformen
bekannt.
Laut Gray & Grzimek (1988) wird angenommen,
dass sich die Vorfahren von
Ovibos moschatus vor ungefähr einer Million
Jahren in der Tundra des nördlichen
Zentralasiens entwickelt haben. Die Gattung
Ovibos tritt in Europa erstmals während
des Elster(Mindel-)Glazials (ca.
400 000 Jahre vor heute) auf und bleibt
bis zum Ende des Würm-Glazials bzw.
Weichsel-Glazials in Norddeutschland
(ca. bis 12 000 Jahre vor heute) hier nachweisbar.
Zu dieser Zeit hat der Moschusochse
sein am weitesten nach Süden ausgedehntes
Verbreitungsgebiet. Nach Gray
& Grzimek (1988) gelangte der Moschusochse
während des Saale-Glazials nach
Nordamerika, wo er sich im Süden nach
Ohio und Nebraska ausbreitete. Während
der Kaltzeit bildete die Beringstraße,
die heute Alaska und Sibirien trennt, eine
Landbrücke, die es den Vorfahren ermöglichte,
auf den anderen Kontinent zu gelangen.
Fossilfunde auf beiden Seiten der
Meerenge untermauern diese Theorie.
Vom Günz-Glazial (allgemein als Cromer-Complex
bezeichnet) bis zum Elster-Glazial
lebte in Europa neben Ovibos
moschatus die weniger spezialisierte Riesenform
Praeovibos priscus, die nach Kurtén
& Anderson (1980) ebenfalls in Alaska
nachgewiesen worden ist. Eine weitere, an
Wald und Steppen mit wärmerem Klima
angepasste Moschusochsenart des Pleistozän
in Nordamerika war Symbos cavifrons,
auch Helm-Moschusochse genannt. Diese
Art hebt sich durch am Scheitel völlig verwachsene
Hörner von der arktischen Art
ab.
Klimaveränderungen und der Mensch
führten letztendlich zum Aussterben des
Moschusochsens in Europa und Asien.
„Ovibos moschatus ist demnach die extrem
an kalte Klimate angepasste, einzig
überlebende Art einer ehemals holarktischen,
mehrere Gattungen und Arten umfassenden
Boviden-Linie.“ (Niethammer
1986)
In historischer Zeit verbreitete sich Ovibos
moschatus von Point Barrow in Alaska
über die Arktis von Kanada bis nach Grönland.
Mitte des 19. Jahrhunderts starb der
Moschusochse in Folge übermäßiger Bejagung
aus. Die Zoos der westlichen Zivilisation
trugen zunächst ebenfalls ihren Teil
dazu bei, boykottierten den Import später
jedoch. Nach dem Erlass eines strikten
Jagdverbots wurden 1936 grönländische
Tiere auf Nunivak Island, Alaska, wieder
ausgesetzt. Von dort verbreitete sich der
Moschusochse wieder nach Nordost- und
Nordwest-Alaska. Zwischen 1967 und
1981 migrierte er auf die Seward-Halbinsel
in Alaska. Bis nach Nordwest-Yukon
gewandert, ist Ovibos moschatus mittlerweile
auch westlich von Hudson Bay vorzufinden
und hat sich auch über die Nordwest-
Territorien fast bis zum Mackenzie River
ausgebreitet. Mittlerweile ist er auf den
meisten größeren Inseln des Arktischen
Archipels anzutreffen.
Nachdem Ovibos moschatus mehr als
2000 Jahre in Russland ausgestorben war,
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
76 Jannik Weidtke
wurde er auch hier auf der Taimyrhalbinsel,
Wrangel Island und Sacha in Sibirien wieder
ausgewildert.
Laut Mammals of the World (Stand:
2011) leben heute ca. 121 000 Tiere in
Kanada (75 400 in den NW Territorien
und 45 300 in Nunavat), 3700 in Alaska,
9500 – 12 500 in Grönland und ca. 2000
Moschusochsen in Russland.
Schädelbeschreibung
Rezenter Schädel aus dem NLMH
Der rezente Schädel stammt aus dem
Niedersächsischen Landesmuseum Hannover.
Er hat eine weißlich-blaue bis gelbbraune
Färbung und ist nahezu vollständig
erhalten. In seinen Abmessungen ist
er 45 cm lang und misst an der breitesten
Stelle 25 cm. Das Maxillare misst an seiner
breitesten Stelle 13,5 cm (Abb. 3 – 5)
Das Praemaxillare ist zahnlos und weiß
gefärbt. Es handelt sich um einen in der
Mitte geteilten Knochen, der links und
rechts in zwei Knochenäste, deren beide
Hälften exakt spiegelbildlich ausgeprägt
sind, ausläuft. Nach vorn oben geöffnet,
grenzen die Äste caudal an das Maxillare
und verlaufen dabei in einem Winkel von
ungefähr 25° nach oben. Die Sutur zwischen
Maxillare und Praemaxillare verläuft
von der Seite betrachtet konkav. Im
Inneren des Schädels läuft sie leicht gewellt
ebenfalls in einem Winkel von ca.
25° nach oben. Die Knochenäste verlaufen
leicht konkav mit einer gut zu erkennenden
Erhebung auf der Mitte. Von dorsal
betrachtet beginnt der Knochen in einer
abgerundeten Spitze, die an die Schneidezähne
des Unterkiefers angrenzt und in
der Mitte geteilt ist. Nach caudal verlaufen
die Knochenäste deutlich zu erkennen auseinander,
knicken im letzten Viertel aber
wieder nach medial leicht ein. Die Teilung
setzt sich an zwei Fortsätzen im Inneren
des Praemaxillare fort, die am Ende
ebenfalls mit dem Maxillare verwachsen
(Abb. 3 und 4).
Das Nasale ist ein flacher, länglicher,
plattenartiger Knochen, der zu den Seiten
hin in seiner Form leicht abfällt. Spitz
beginnend, wird er auf den ersten Zentimetern
etwas breiter. Seitlich betrachtet
verläuft der Knochen leicht wellig. Er beginnt
mit einer leicht abfallenden Spitze
und wird konvex. Anschließend konkav,
biegt er sich kurz vor Ende wieder nach
oben. Der Knochen ist wie das Praemaxillare
in der Mitte geteilt und nahezu spiegelbildlich.
Die dorsale Sutur ist sehr glatt
und rostral sehr breit. Sie verjüngt sich ein
wenig in caudaler Richtung, bleibt dabei
aber markant ausgeprägt. Bei der Betrachtung
von vorn fällt auf, dass das Maxillare
sich vor allem im vorderen Bereich
unter das Nasale schiebt und das Nasale
auf diese Weise dem Maxillare „aufliegt“.
In caudaler Richtung, ab dem Lacri male,
schließen die Knochen bündig ab. Die Sutur
zwischen Maxillare und Nasale fällt
anfangs noch recht breit aus und verläuft
horizontal ohne große Zackenbildung in
einer leichten Wellenform. Ab dem Lacrimale
steigt die Sutur, stärker gezackt, in einem
Winkel von ca. 45° nach oben. An der
Grenze zum Frontale hin knickt sie nach
medial ein und verläuft in einem Bogen,
um anschließend die dorsale Sutur (Abb.
4 A, a) zu treffen. Rostral ragt das Nasale
einige Zentimeter über das Maxillare hinaus
(Abb. 3 und 4).
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
77
Abb. 3 A Rezenter Schädel aus dem Niedersächsischen
Landesmuseum (NLMH) in sinistraler Ansicht
mit Kennzeichnung der Knochen
Abb. 3 B Rezenter Schädel aus dem NLMH in
dextraler Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen
und Foramina
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
78 Jannik Weidtke
Abb. 4 A Rezenter Schädel aus dem NLMH
in dorsaler Ansicht mit Kennzeichnung der
Knochen, dorsaler Sutur (a) und Foramina
auf dem Frontale (b)
Abb. 4 B Rezenter Schädel aus dem NLMH
in ventraler Ansicht
Das Frontale bildet den oberen, hinteren
Teil der herausstehenden Augenhöhle. Somit
ist das Frontale in den äußeren Bereichen
deutlich runder ausgeprägt und wird
im Verlauf nach hinten breiter. Medial ist
der Knochen eher plan, steht aber in einem
Winkel von ca. 20° zum davor liegenden
Nasale. Es befinden sich auf sinistraler
Seite vor dem Ansatz der Orbita zwei Foramina
(Abb. 4 A, b), ein unteres, großes
mit einem kleineren darüber. Auf dextraler
Seite existieren diese Foramina ebenfalls.
Hier liegen sie jedoch etwas weiter lateral
und höher. Dabei befindet sich das größere
über dem kleineren Foramen, d.h. die Foramina
sind nicht exakt bilateralsymmetrisch
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
79
ausgebildet. Auf der dextralen Seite existiert
noch ein weiteres größeres Foramen,
das direkt unter der Sutur zwischen Frontale
und Parietale sitzt (Abb. 4).
Der vom Frontale gebildete vorderste
Bereich der Orbita ist auf beiden Seiten
mit sehr kleinen Foramen übersät. Hier
bildet sich auf beiden Seiten auch eine
Erhebung aus. Die Anzahl der Foramina
nimmt in caudaler Richtung allerdings
schnell ab. Auch das Frontale hat eine dorsale
Sutur. Diese ist jedoch viel weniger
ausgeprägt als beim Nasale und stellenweise
sogar unterbrochen. Sie kann aber dennoch
über das ganze Frontale verfolgt werden.
Im Hinblick auf die dorsale Sutur des
Nasale ist sie etwas nach links verschoben.
Entlang dieser Naht finden sich ebenfalls
auf beiden Seiten verteilt einige sehr kleine
Foramen wieder. Die Sutur zwischen
Frontale und Lacrimale wandert zuerst ein
kurzes Stück gerade in caudaler Richtung,
verläuft aber dann in einer starken/deutlichen
Kurve nach außen, bis sie fast parallel
zur Orbita läuft. An dieser Stelle macht
sie eine 90°-Kurve und verläuft in einer
Flucht mit den bereits erwähnten Foramina
in caudaler Richtung. Ab der Vorwölbung
der Orbita beginnt die Sutur undeutlicher
zu werden. Sie ist über den gesamten
erkennbaren Verlauf leicht gezackt (Abb. 4
A, B und 5).
Frontale und Parietale sind miteinander
stark verschmolzen/verwachsen. Die
Kranznaht ist nur noch anhand von Farbunterschieden
und einer raueren Oberflächenbeschaffenheit
zu vermuten. Auch
ein gezacktes Muster der Sutur lässt sich
nur noch erahnen. Sie verläuft leicht unterhalb
des Hornansatzes und verbindet
sich medial mit der dorsalen Sutur. In lateraler
Richtung ist kein eindeutiger Verlauf
auszumachen. Einige Zentimeter unter
dem Hornansatz ist die Sutur nur für
einige Millimeter deutlich zu erkennen.
Hier geht sie in die Sutur zwischen Parietale
und Squamosum über und verläuft
von schräg oben in caudaler Richtung. Die
Kontaktstelle zwischen Jugale und Frontale
liegt am hinteren unteren Rand der Orbita.
Sie weist eine stark gezahnte Form auf
und verläuft horizontal (Abb. 4 und 5).
Das Parietale bildet die hauptsächliche
Ansatzfläche für die Hörner und Hornplatten.
Die Hornplatten setzen kurz oberhalb
der Sutur zwischen Parietale und
Frontale an. Hinter der Orbita verlaufen sie
nach unten und etwas oberhalb ihrer Mitte
nach hinten. Dabei steigt der Hornansatz
wieder an. Am hinteren Ende des Parietale
laufen sie medial zusammen, ohne
sich zu berühren. Sie laufen dann Richtung
Frontale zusammen und touchieren sich
(Abb. 6), direkt bevor sie in einer Kurve auf
Höhe der Orbita wieder lateral auseinanderdriften
(Abb. 4).
Der Hornplattenansatz erhebt sich
leicht über den Knochen und es fehlt ein
Großteil der Hornsubstanz, sodass nur
noch eine ca. 1 cm dicke Schicht übrigbleibt.
Das noch vorhandene Gewebe der
Hornsubstanz ist von großen und kleinen
Hohlräumen durchzogen. Lateral bilden
sich über den ersten 2/3 der Hornplatten
die Hornzapfen aus. Sie verlaufen seitlich
betrachtet leicht nach vorn gebogen und
hinter der Orbita. An der Hornplatte noch
breit ausgebildet, verjüngen sich die Zapfen
in distaler Richtung erst sehr, in ihrem
weiteren Verlauf geschieht dies deutlich
gleichmäßiger. Von hinten betrachtet
biegen sich die Hörner stark nach unten.
Von vorn betrachtet stehen die Hörner allerdings
nicht seitlich über die Augenhöhlen
hinaus, sondern werden von ihnen verdeckt.
Nur der linke Zapfen kommt unter
der Augenhöhle wieder zum Vorschein.
Der linke Hornzapfen ist abgebrochen,
ragt aber dennoch gut 3,5 cm nach
unten über den Jochbogen hinaus. Der
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
80 Jannik Weidtke
Abb. 5 A Rezenter Schädel aus dem NLMH in
anteriorer Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen
Abb. 5 B Rezenter Schädel aus dem NLMH in posteriorer
Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen
inkl. Gelenkköpfen, Foramina (a) und „Kamm“ auf
dem Occipitale (b)
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
81
unterste noch vorhandene Teil des Zapfens
ist ebenfalls abgebrochen, wurde jedoch
neu fixiert. Dieses Fragment ist ungefähr
4,5 cm lang. Dennoch fehlt im hinteren
Bereich, entlang der Fraktur, ein großes
Fragment. Der neu fixierte Teil des Hornzapfens
verjüngt sich noch einmal stärker
auf der caudalen Seite. Der rechte Hornzapfen
ist bereits auf Höhe des Jochbogens
abgebrochen. Beide Hornzapfen sind proximal
geriffelt. Im distalen Verlauf wird die
Riffelung schwächer. Die einzelnen Riefen
verlaufen dabei fast parallel zueinander.
Auch die Hörner sind von unzähligen
kleinen Hohlräumen durchsetzt. Das Parietale
steht seitlich unter dem Ansatz der
Hornplatten fast senkrecht. Entlang des
vom Hornansatz gebildeten Kranzes sind
viele einzelne kleine Risse mit horizontaler
Orientierung zu erkennen, die die Form
der Hornplatten nachzeichnen.
Rostral flacht das Parietale mittig leicht
ab und bildet auf beiden Seiten unter dem
Hornplattenansatz leichte Wölbungen. Die
Sutur zwischen Parietale und Squamosum
folgt in geringem Abstand ungefähr
dem Verlauf der Hornplatten. Im caudalen
Bereich, verdeckt von den Hornzapfen,
wird sie in ihrem Verlauf etwas konkaver.
So trifft sie die Sutur zwischen Occipitale
und Squamosum und trennt von da an
das Parietale vom Occipitale. Nach diesem
Überschneidungspunkt geht sie in die
Lambdanaht über und ist nur noch wenige
Millimeter zu verfolgen. Zu erkennen sind
ab diesem Punkt viele kleine Foramen, die
in einer horizontalen Linie medial leicht
nach oben zulaufen (Abb. 5 A). Ansonsten
zeigt die Sutur einen unregelmäßig gezahnten
Verlauf (Abb. 5 A)
Das Occipitale steht – von caudal betrachtet
– ungefähr im rechten Winkel
zum Parietale. Von der Seite ist zu erkennen,
dass der Knochen in einem leichten
Winkel verläuft und unten caudal weiter
heraussteht als oben. Von seiner Form nähert
sich das Occiptale einem horizontal
liegenden Oval an. Der an sich eher plane
Knochen ist an den Seiten wieder leicht
zur Schnauzenspitze hin gebogen. An der
Unterkante befindet sich mittig des Occipitale
das Foramen Magnum. Seitlich dazu
liegen die beiden Condylen des Atlaswirbels.
Ihre Oberfläche ist glatter als der Rest
des Occipitale, und sie umfassen die untere
Kante des Knochens. Sie schließen auf
einer Höhe mit dem Foramen magnum
ab. Dabei entwickeln sie an ihren äußeren
Rändern selbst je eine kleine Kante (Abb.
5 B).
Im oberen Drittel des Hinterhauptbeins
entsteht mittig ein Dorn, der steil gut 1 cm
aus der Oberfläche des Knochens herauswächst
und in dorsaler Richtung orientiert
ist. Der Auswuchs beginnt sich lateral auf
beiden Seiten stark auszubreiten, nimmt
dabei einen konvexen Verlauf und erstreckt
sich dann horizontal komplett über das
ganze Occipitale (Abb. 5). Dieser „Kamm“
läuft direkt unterhalb der aus Foramina gebildeten
Linie entlang und an den äußeren
Rändern des Knochens aus.
Das Maxillare beherbergt auf beiden
Seiten die Praemolaren (P2, P3, P4) und
Molaren (M1, M2, M3). Damit sind alle
Zähne des Oberkiefers noch vorhanden.
Stellenweise weisen die sonst weißen Zähne
auf beiden Seiten einen dunkelbraunen
Belag auf, bei dem es sich vermutlich
um Zahnstein handelt. Der Knochen an
sich ist im oberen Bereich weißlich-grau
gefärbt und wird in Richtung der Zähne
leicht bräunlich. Er ist knapp unter dem
Nasale leicht eingedrückt. Nach unten hin
nimmt er eine konvexe Form an und wird
deutlich breiter.
In Richtung des Praemaxillare läuft der
Knochen in einer konkaven Form im unteren
Bereich nach vorn spitz zu. Er wird
dabei, direkt von vorn betrachtet, schmaler
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
82 Jannik Weidtke
Abb. 6 Rezenter Schädel aus dem NLMH. Detailansicht
der sich touchierenden Hornplatten.
Abb. 7 Eiszeitlicher Schädel aus dem NMLH.
Die Crista facialis (rechter Pfeil) und Foramen
infraorbitale (mittlerer und linker Pfeil) in
sinistraler Seitenansicht
und wirkt unterstützend für das davor liegende
Praemaxillare. Der Zahnansatz
liegt ca. 7 cm hinter der Spitze zum Praemaxillare
und deutlich tiefer. Gut ausgeprägt
und konvex läuft dieser nach hinten.
Hinter dem M3 steigt der Knochen, erneut
in konkavem Verlauf, stark an und läuft am
Jugale spitz aus. Die Naht ist hier sehr glatt
und läuft mit leichtem Anstieg in rostrale
Richtung zurück. Nach einer engen Kurve
steigt sie annähernd horizontal an und
knickt nach ca. 2 cm im 90°-Winkel zurück
in Richtung Schnauzenspitze. Verzahnt
knickt sie nach kurzem Verlauf erneut
um 90° nach oben und trifft auf das
Lacrimale (Abb. 3).
Beim Maxillare sind auf jeder Seite drei
Foramina infraorbitale deutlich zu erkennen.
Zwei davon sitzen etwas unterhalb
der Mitte auf der Höhe zwischen P4 und
M1. Übereinanderliegend sind sie nur
durch eine dünne Knochenwand getrennt.
Das obere Foramen infraorbitale ist auf
beiden Seiten deutlich größer ausgebildet.
Auf dextraler Seite ist dieser Bereich mit
weiteren winzigen Foramen übersät. Hier
zeichnet sich unter dem kleineren der beiden
Foramen, durch eine Knochenwand
getrennt, noch ein weiteres Foramen ab. In
Richtung des Praemaxillare, ebenfalls unterhalb
der Mitte, liegt das dritte große Foramen
infraorbitale, ungefähr auf gleicher
Höhe mit dem P3. Dextral besitzt das Maxillare
noch ein weiteres Foramen, das dem
vorderen in Größe und Form sehr ähnelt.
Positioniert ist es zwischen den anderen
drei, ebenfalls knapp unter der Mitte des
Maxillare.
Hinter den seitlich angesetzten Foramen
befindet sich auf Höhe des M2 ein
kleiner, länglicher, knöcherner Auswuchs,
die Crista facialis (Abb. 7). In einem Winkel
von ca. 45° zeigt sie in Richtung der
Orbita. Seitlich betrachtet zeichnet sie
sich in einer Bogenform zu den Molaren
hin ab. Von vorn betrachtet wirken diese
Auswüchse wie „Flügelchen“. Am oberen
Ende geht die Crista facialis in einen
scharfen Grat über, der in einer „S-Form“
verläuft und Richtung Jochbogen weiterverfolgt
werden kann.
Das Lacrimale ist in seiner Form eher
länglich und weißgrau gefärbt. Es beginnt
vor der Augenhöhle und bildet den oberen,
vorderen Teil davon. Da es einen Teil
der hervorstehenden Orbita bildet, wirkt es
„eingedrückt“. Dieser tiefliegende Bereich
bildet die Lacrimalgrube, die bei diesem
Schädel jedoch kaum ausgebildet ist. Um
die Orbita herum sind viele kleine Foramen
zu erkennen. Etwas zur Schädelmitte
hin bildet sich auf dem Lacrimale und zum
Teil auch noch auf dem Frontale auf jeder
Augenhöhle eine ausgeprägte Wölbung.
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Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
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Die Naht zum Maxillare setzt unter der
zum Nasale an und verläuft mit Ausbildung
einer Spitze in der Mitte leicht nach
hinten unten. Dabei hat sie eine typisch
gezackte Form. Sie trifft dann das Jugale
und wandert in caudaler Richtung leicht
nach oben. Anfangs glatt verläuft sie hier
ab der Orbita verzahnt. Auf der Innenseite
der Orbita befindet sich im rostralen Bereich
beidseitig der Nasen-Tränengang, der
in den endocranialen Teil des Schädels hineinläuft
(Abb. 3).
Die Orbita bzw. die Orbitae stehen teleskopartig
aus dem Schädel heraus und
sind eines der markantesten Merkmale des
Moschusochsens. Sie setzen direkt hinter
der Mitte des Schädels an und befinden
sich auf Höhe des Frontale. Dabei sind sie
leicht nach vorne gebogen. Im Querschnitt
ist die Orbita nahezu kreisrund. Anfangs
dünnwandig, werden die Komponenten
von Frontale, Lacrimale und Jugale zur
Schädelmitte hin dicker.
Das Jugale allein bildet die untere Hälfte
der hervorstehenden Orbita. Von der Seite
betrachtet läuft der Knochen unterhalb
der Augenhöhle tropfenförmig zusammen,
wobei die Spitze in caudaler Richtung und
leicht zur Schädelmitte hin eingedrückt
zum Jochbogen zusammenläuft. Hier verwächst
das Jugale mit dem Squamosum.
Dabei wird das Jugale an der unteren Seite
schmaler und läuft am Squamosum aus. Es
wirkt unterstützend, so dass das Squamosum
in der Verschmelzungszone auf dem
Jugale aufliegt. Die Sutur zwischen beiden
Knochen setzt ungefähr auf der Mitte
des Jochbogens an und läuft dabei horizontal
Richtung Schnauzenspitze in den
Knochen hinein. Sie ist glatt und schmal.
Nach ca. 4 cm knickt sie im 90°-Winkel
in dorsaler Richtung ab und läuft medial
über den Jochbogen und bildet eine leichte
Verzahnung aus. In rostraler Richtung verläuft
der beim Maxillare bereits erwähnte
Grat, unterhalb dessen das Jugale ebenfalls
zur Schädelmitte hin abfällt und auf
das Maxillare trifft. Unterhalb der Orbita,
im noch ausgestellten Bereich des Jugale,
sind einige, teils sehr große Öffnungen zu
erkennen.
Das Squamosum befindet sich unterhalb
des Parietale. Hinter dem Squamosum
sitzt das Occipitale, wobei die Sutur zwischen
diesen beiden Knochen nicht mehr
zu erkennen ist.
Das Squamosum bildet zum Occipitale
hin eine deutliche Kante, die in einer Kurve
in rostraler Richtung nach unten verläuft.
Zusätzlich lädt die Kante lateral aus
und differenziert das Squamosum immer
weiter in eine vertikale und eine beinahe
horizontal liegende Ebene, die beide am
Ende fast im 90°-Winkel aufeinander stehen.
Das obere Ende der vertikalen Fläche
wird durch die Sutur zwischen Squamosum
und Parietale markiert. Die horizontale
Fläche endet vor dem Kiefergelenk des
Dentale.
Das äußere Ende dieser Fläche ist vor
das Kiefergelenk gewachsen und bildet
den hinteren Teil des Jochbogens. Ventral
abgeflacht liegt dieser Fortsatz wie schon
beim Jugale erwähnt auf dem vom Jochbein
gebildeten Abschnitt auf und ist dorsal
abgerundet. Mittig auf dem Squamosum
befinden sich zwei große Foramina.
Das erste kleinere befindet sich in der Biegung
zwischen dem horizontalen und vertikalen
Abschnitt, während das zweite größere
weiter vorn auf der vertikalen Fläche
sitzt. Im unteren Bereich des Squamosums
befindet sich der kleine runde Meatus acusticus
externus (der äußere Gehörgang). Er
verbindet das Trommelfell mit der Umgebung
und bildet zusammen mit der Ohrmuschel
das äußere Ohr (Abb. 3).
Das Dentale ist vollständig und weist
eine gelblich-braune Färbung auf. Es sind
alle Schneidezähne bzw. Incisivi (I1, I2
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
84 Jannik Weidtke
und I3) vorhanden. Nach einem langgezogenen
zahnfreien Bereich, dem Diastema,
folgen auf beiden Seiten die vollständigen
Serien der Praemolaren (P2, P3
und P4) und Molaren (M1, M2 und M3).
Die Schneidezähne stehen leicht über das
Prae maxillare hinaus. In diesem Bereich ist
das Dentale zusammengewachsen und von
vorn betrachtet fächerförmig verbreitert.
Auf diesem „Fächer“ sitzen die Schneidezähne.
Unterhalb dieser Verbreiterung verschlankt
der Knochen und teilt sich in einen
linken und einen rechten Ast auf. Kurz
hinter der Verschlankung bildet sich auf
jeder Seite ein fast halbkreisförmiges, sehr
großes Foramen mentale aus. Mit der konvexen
Seite nach außen gerichtet, wird der
Knochen wieder breiter und verdickt im
caudalen Verlauf zunehmend.
Von der Seite betrachtet, ist das Dentale
im Bereich der Incisors und des Foramen
mentale relativ breit. Kurz hinter
dem Foramen wird der Knochen deutlich
schlanker. In einem leicht konkaven Verlauf
verbreitert sich das Dentale in caudaler
Richtung erneut und geht in den Angulus
mandibulae, den Unterkieferwinkel, über.
Auf dextraler Seite ist die Rundung des
Unterkieferwinkels abgebrochen, wodurch
es zu einem nicht natürlichen, winkeligen
Anstieg von ca. 45° kommt. Der vertikale
Ast ist größtenteils hinter dem Hornzapfen
und dem Jochbogen versteckt und schlecht
einzusehen. Ersichtlich ist aber, dass sich
die Innenkante nach oben deutlich verjüngt.
Mittig auf dem vertikalen Ast ist auf
beiden Seiten eine leichte, aber dennoch
großflächige Vertiefung zu erkennen. Auch
auf dem horizontalen Ast ist am caudalen
Ende eine Vertiefung zu sehen. Diese steht
schräg in einem 45° Winkel nach hinten
oben und liegt über der Mittellinie. Sinistral
hat diese Vertiefung am unteren Ende
eine gut erkennbare Wölbung, die auf der
dextralen Seite nicht vorzufinden ist.
Von vorn betrachtet befinden sich auf
dem Schädel zwischen den beiden Seiten
des Maxillare, unten durch das Gaumendach
und oben durch das Nasale begrenzt,
in der Riechhöhle die Turbinalia. Spiegelbildlich
wachsen die knöchernen Lamellen
links und rechts ungefähr auf mittlerer
Höhe des Maxillare in die Riechhöhle hinein
und wickeln sich nach oben in entgegengesetzter
Richtung auf. Nach unten bilden
sie Fortsätze, die sich aber nur leicht in
Richtung des Maxillare zurück krümmen
(Abb. 5).
Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH
Der erste fossile Schädel wird ebenfalls
im Niedersächsischen Landesmuseum
Hannover verwahrt, stammt aber aus
dem ehemaligen NLfB (s. o.). Er weist eine
hauptsächlich gelbbraune Färbung auf.
Bei diesem Schädel sind das Praemaxillare
und das Dentale nicht mehr vorhanden
und auch das Maxillare ist nicht komplett,
sondern kurz vor dem ersten Praemolaren
abgebrochen. Damit ist eine Aussage
über eine veränderte Form oder Sutur zwischen
Maxillare und Praemaxillare nicht
möglich. Der Schädel hat eine Länge von
ca. 38,5 cm und eine maximale Breite von
23,5 cm. Das Maxillare hat dabei eine
Breite von 14,5 cm (Abb. 8 – 10).
Die Spitze des Nasale läuft am fossilen
Schädel deutlich spitzer zu. Die dorsale
Naht läuft geschlossener als bei dem rezenten
Schädel und die Seiten stehen weniger
weit voneinander ab. Der Verlauf der
Naht ist aber ähnlich glatt. In seiner Gesamtform
wirkt das Nasale deutlich gerader
als bei dem rezenten Tier. Das Nasale
steht waagerecht zur Oberfläche, und seine
Flanken fallen deutlich stärker ab. Das
Maxillare schiebt sich stärker noch, als
beim rezenten Schädel unter das Nasale
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
85
Abb. 8 A Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH in
sinis traler Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen
Abb. 8 B Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH in
dextraler Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen,
Foramina und der Crista facialis, einem knöchernen
Auswuchs auf dem Maxillare
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
86 Jannik Weidtke
Abb. 9 A Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH in
dorsaler Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen,
Foramina auf dem Frontale (a), dorsale Sutur (b)
Abb. 9 B Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH
in ventraler Ansicht
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
87
und die Knochen liegen nicht bündig aneinander.
Erst ab dem Lacrimale liegen die
Knochen wieder passgenau.
Die Naht zum Maxillare ist gerade und
fällt nach hinten leicht ab. Dabei ist sie nur
geringfügig verzahnt. Durch diesen Verlauf
ist der Knochen nach hinten heraus deutlich
ausgestellt. Die Naht zum Frontale ist
in ihrem Verlauf etwas abgerundeter, und
es wird nur eine leichte Verzahnung ausgebildet.
Zwischen Nasale und Lacrimale ist
die Naht ebenfalls weniger verzahnt und
glatter, hat aber keinen veränderten bzw.
abweichenden Verlauf (Abb. 9).
Das Frontale des fossilen Schädels steht
in einem deutlich flacheren Winkel von
ca. 10° zum Nasale als beim rezenten Exemplar.
Es finden sich mehrere Foramina,
die sich in ihrer Größe von den restlichen
absetzen. Im oberen Bereich der Orbita
an ihrer Wurzel befinden sie sich in vergleichbarer
Position zu denen, die schon
bei dem rezenten Schädel beschrieben
wurden, weisen jedoch keine unterschiedlichen
Größen auf. Sinistral und dextral liegen
die Foramen untereinander. Auffällig
ist, dass sich die Foramen alle in einer Art
„Rinne“ befinden (Abb. 9 A, a; Abb. 11),
die links und rechts an der Wurzel der Orbita
entlangläuft. Die Rinne schneidet tief
ein und verläuft in der Vorderansicht ca.
2,5 cm horizontal nach hinten in Richtung
der Hörner. Lateral vor den Rinnen befindet
sich, wie auch beim rezenten Schädel,
auf jeder Seite eine ausgeprägte Protuberanz,
die bereits auf der ausgestellten Augenhöhle
liegt und auch noch auf das Lacrimale
übergreift. Protuberanz und Rinne
sind auf beiden Seiten von vielen kleinen
Foramen überzogen.
Die dorsale Sutur ist am Frontale nur
noch als feine Haarlinie zu erkennen.
Leicht wellig läuft sie 4,5 cm nach hinten.
Ab dem Punkt, an dem die Haarlinie
nicht mehr zu erkennen ist, beginnt eine
Farbvariation (Abb. 9 A, b), sie ist dunkelbraun
und setzt sich als schmale Linie
weiter in horizontaler Richtung fort. Anschließend
wandert sie in einer Kurve nach
außen auf die Orbita. Auf der linken Seite
ist dieser Farbverlauf nicht vorhanden. Die
Naht zwischen Frontale und Lacrimale
verläuft ähnlich wie am rezenten Schädel,
dabei sind die Kurven und Richtungsänderungen
nicht so markant ausgeprägt. Es
könnte also gesagt werden, dass die Naht
konservativer und mehr in einer Welle angelegt
ist, anstatt eindeutige Richtungsänderungen
vorzunehmen. Kurz unterhalb
der Protuberanz verliert sich die Naht auf
der rechten Seite und ist nicht zu verfolgen.
Erst am Rande der Orbita zeichnet sie
sich noch einmal leicht ab. Links ist sie als
dünne Linie besser zu erkennen. Während
der rezente Schädel am Frontale von vielen
feinen Rissen gezeichnet ist, sind bei dem
fossilen Schädel keine Risse zu erkennen.
Das Parietale ist vom Frontale nicht
deutlich abzugrenzen, da der Verlauf der
Kranznaht im vorderen Bereich wie auch
beim rezenten Tier, nicht deutlich zu erkennen
ist. Auch hinter der Orbita fehlt,
anders als beim rezenten Schädel, jeglicher
Anhaltspunkt dafür, wo die Sutur zwischen
Frontale und Parietale auf diejenige zwischen
Parietale und Squamosum trifft. An
letzterem Knochen ist der Nahtverlauf beider
Schädel nahezu identisch. Leichte Unterschiede
bestehen in dem Abstand zwischen
Naht und Hornansatz, der bei dem
fossilen Schädel größer ausfällt und die
Tatsache, dass sich die Lambdanaht zwischen
Parietale und Occipitale deutlicher
abzeichnet, als bei dem rezenten Schädel
(Abb. 10).
Bei diesem Schädel liegt das Parietale
kaum höher als das Frontale, wohingegen
sich das Parietale des rezenten Schädels
noch einmal deutlich über das Frontale
erhebt. Die Pfeilnaht, die die sinistrale
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
88 Jannik Weidtke
Abb. 10 A Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH
in antreriorer Ansicht mit Kennzeichnung der
Knochen
Abb. 10 B Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH
in posteriorer Ansicht mit Kennzeichnung der
Knochen und der Lambdanaht
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Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
89
und dextrale Hälfte des Parietale trennt, ist
nicht zu erkennen. Die Hornplatten unterscheiden
sich in ihren Umrissen ebenfalls
etwas von denen des rezenten Tieres. Der
Hornansatz zeichnet hier eine abgerundete
90°-Kurve und endet kurz vor dem Frontale.
Am Scheitel laufen die hornbildenden
Knochenplatten des fossilen Schädels parallel
nebeneinander und weisen, im Gegensatz
zu denen des rezenten Schädels,
keine Anzeichen einer Verwachsung auf
(Abb. 9).
Der restliche Verlauf der Hornplatten ist
bei beiden Tieren sehr ähnlich. Die Hornzapfen
sind auch bei dem fossilen Schädel
auf beiden Seiten abgebrochen. Sinistral
endet das Horn knapp unter dem
Jochbogen. Dextral endet der Hornzapfen
bereits kurz davor. Die Abbruchkante
verläuft hierbei auf der äußeren Seite
des Horns von vorn nach hinten in einem
steilen Winkel aufwärts. Dabei bleibt auf
der schädelzugewandten Seite ein Teil des
Zapfens bestehen. Die stabilste Zone ist
ganz offensichtlich der proximale Bereich.
Der Verlauf der Hörner ist dem des rezenten
Schädels ähnlich. Allerdings stehen
beim eiszeitlichen Tier die Hörner dichter
(2,5 cm) am Schädel, sie knicken somit
stärker nach unten ab.
Die Hörner weisen über ihre ganze
Oberfläche eine einigermaßen gleichmäßige
Riffelung und Kerbenbildung auf. Die
Riefen laufen parallel zu den Hörnern.
Allgemein sind die Hörner eine Nuance
dunkler als der Rest des Schädels gefärbt.
Die Hornplatten ähneln in ihrer Farbe eher
der des restlichen Schädels. Wie auch beim
rezenten Schädel ist ein Teil der Hornsubstanz
abgetragen. Der vorderste Teil der
knöchernen Hornplatten erhebt sich deutlich
über den Rest der noch vorhandenen
Hornsubstanz. Dieser vorderste Bereich
läuft in einer gleichmäßigen Rundung aus
und erstreckt sich über eine Breite von ca.
1,5 cm. Das Gewebe ist durchzogen von
größeren und kleineren Hohlräumen.
An diesem Schädel steht das Occipitale
anders als bei dem rezenten Tier nicht
nach hinten, sondern verläuft gerade nach
unten. Grundsätzlich ist die Form aber
mit der des rezenten Tieres identisch. Allerdings
sind an den Seiten die konvexen
Ränder abgebrochen. Die Fortsätze im unteren
Bereich fehlen ebenfalls auf beiden
Seiten, und es sind nur noch ihre Wurzeln
zu erkennen. Der knöcherne Dorn ist bei
diesem Schädel ebenfalls vorzufinden und
steht ca. 1 cm heraus. Auch hier verbreitert
er sich lateral stark, weist aber eine nicht so
starke Krümmung auf. Lateral ist auf dem
Hinterhauptsbein jeweils ein Foramen
ungefähr auf Höhe der Mitte vorhanden.
Links etwas höher als rechts, sind sie leicht
in den Knochen versenkt.
Das Maxillare ist wie bereits erwähnt am
vordersten Bereich direkt unter dem Nasale
abgebrochen. Auf der linken Seite läuft
die Bruchkante in einem Winkel von ca.
50° nach vorn unten, bis sie die untere Seite
des Maxillare ca. 3,5 cm vor dem Zahnansatz
trifft. Rechts verläuft der Bruch ähnlich.
Die untere Stufe liegt dabei mehr in
rostraler Richtung und endet kurz vor dem
Zahnansatz. Auf sinistraler Seite sind alle
Praemolaren (P2, P3, P4) und alle Molaren
(M1, M2, M3) vorhanden. Dextral fehlen
die Praemolaren P2 und P3.
In seinem Verlauf nach unten nimmt
das Maxillare ausgeprägt konvexe Züge an,
wodurch es von vorn betrachtet deutlich
ausgebeult wirkt. Aufgrund der Abmessung
lässt sich erkennen, dass das Maxillare
des fossilen Schädels (14,5 cm) breiter
ist als das des rezenten Moschusochsens
(13,5 cm). Die unterstützende Spitze zum
Praemaxillare ist abgebrochen. Rechts ist
der vorderste Teil des Zahnansatzes abgebrochen.
Der Verlauf des Maxillare hinter
dem letzten Molaren ist identisch mit dem
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
90 Jannik Weidtke
Abb. 12 Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH.
Sicht auf das Lacrimale mit deutlicher Vertiefung
der „Lacrimalgrube“.
Abb. 11 Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH.
Rinnenstruktur über der rechten Orbita.
des rezenten Schädels.
Auf beiden Seiten des fossilen Schädels
sind die drei Foramina infraorbitale wieder
zu finden. Auf der Höhe zwischen P2 und
P3 liegt das erste Foramen etwas unterhalb
der Mitte. Die zwei verbleibenden Foramina
sitzen wie schon bei dem rezenten
Schädel seitlich übereinander am Maxillare
an und öffnen sich Richtung Schnauzenspitze.
Auf beiden Seiten des Schädels liegen
sie auf Höhe des P4. Sie werden wieder
nur durch eine dünne Knochenwand
voneinander getrennt. Sinistral sind beide
Foramen ungefähr gleich groß. Dextral ist
das obere Foramen deutlich größer als das
darunterliegende. Über dem doppelten Foramen
befindet sich auf gleicher Höhe etwas
oberhalb der Mittellinie ein weiteres,
kleineres Foramen (Abb. 10).
Die Crista facialis zeichnet sich am fossilen
Schädel deutlich schwächer ab. Auch
die flügelähnliche Form ist nicht vorhanden.
Sie bleibt nicht viel mehr als eine
Kante innerhalb des Maxillare. Der nach
oben wandernde Grat ist dennoch vorhanden
und nimmt einen ähnlichen Verlauf
wie der des rezenten Schädels. Auf der
rechten Seite sind im Bereich der Molaren
große Risse zu erkennen. Auffällig ist noch,
dass im Gegensatz zu dem rezenten Schädel
dieser Bereich nicht von winzig kleinen
Foramen übersät ist, sondern eine eher
glatte Oberflächenstruktur aufweist.
Das Lacrimale ist bei dem fossilen Schädel
ebenfalls länglich, und an der Wurzel
der Augenhöhle ist die Lacrimalgrube
deutlicher ausgebildet als bei dem des rezenten
Schädels (Abb. 12). Sinistral ist der
Verlauf der Sutur zwischen Frontale und
Lacrimale bis auf die Orbita zu verfolgen.
Dextral ist die Sutur zwischen Lacrimale
und Frontale stärker mit dem Frontale
verschmolzen und auf dem Orbita-Rand
selbst nicht zu erkennen. Deutlich ist, dass
die Nähte des fossilen Schädels hier weniger
verzahnt sind als bei dem rezenten
Vertreter, dafür aber geringere Abstände
aufweisen. Zusätzlich weist die Sutur zwischen
Lacrimale und Frontale keine eindeutigen
Richtungswechsel auf wie beim
rezenten Tier. Sie verläuft eher in Wellen,
behält aber ihre grundsätzliche Orientierung
bei. Entlang der Orbita bildet das
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
91
Tränenbein beiderseits deutlich Wölbungen
aus, die medial mit Foramen versehen
sind. Im Inneren der Augenhöhle ist der
Nasen-Tränengang auf beiden Seiten zu
erkennen.
Die Orbitae weisen an ihrem äußeren
Rand Abbruchkanten auf. Dennoch behalten
sie ihren grundsätzlich runden Querschnitt
bei. Auch hier sind die Augenhöhlen
leicht in Richtung Schnauzenspitze
angewinkelt. Vergleicht man die Orbitae
des fossilen mit denen des rezenten Schädels,
fällt auf, dass die Orbitae des fossilen
Schädels kürzer sind. Noch einmal verdeutlicht
wird dies durch die Abmessung
der maximalen Breite, die hier durch die
Orbitae bestimmt wird (fossil: 23,5 cm;
rezent: 25,0 cm).
Das Jugale lässt auf der linken Seite an
der Sutur zum Maxillare, bevor der Knochen
die Krümmung der Orbita annimmt,
deutliche Risse erkennen. Rechts ist das
Jugale an der Sutur zum Maxillare abgesplittert.
Direkt unter der Augenhöhle befinden
sich beiderseits wiederum große
Öffnungen. Der Jochbogen ist am fossilen
Schädel kräftiger als bei dem rezenten
Moschusochsen. Zudem bildet das Jugale
im ventralen Bereich eine massiver wirkende
dreieckige Form aus, anstatt unter dem
Squamosum einfach auszulaufen. Der Verlauf
der Naht bleibt dabei jedoch identisch
(Abb. 8).
Am Squamosum ist die Sutur zum Occipitale
nicht zu erkennen. Von der Form her
ist der Knochen vergleichbar mit dem des
rezenten Moschusochsen. Unterschiedlich
ist jedoch der Verlauf der Außenkante, die
am Ende nicht horizontal liegt, sondern
sich wieder leicht nach oben biegt bevor sie
im Jochbogen endet. Das Jochbein ist bei
dem eiszeitlichen Exemplar anterior zwar
etwas schlanker gehalten, verbreitert sich
dann aber doch deutlich und stärker als
bei dem rezenten Schädel. Die Anzahl der
Foramina weicht ebenfalls etwas ab. Das
Squamosum besitzt hier ein großes Foramen,
das relativ mittig positioniert ist und
zwei kleine Foramina weiter caudal, die
ebenfalls mittig liegen und hintereinander
angeordnet sind. Der äußere Gehörgang
(Meatus acusticus externus) ist vollständig
erhalten.
Von vorn betrachtet lassen sich auch bei
dem fossilen Schädel gut die Turbinalia erkennen.
Das sich bietende Bild ist jedoch
etwas unterschiedlich zu dem des rezenten
Schädels. Nicht so gut erhalten, lässt sich
die Wickelung der dünnen knöchernen
Lamellen nur noch erahnen. Teilweise stark
disartikuliert und auf der dextralen Seite
gar nicht mehr vorhanden, erwecken die
Relikte der Lamellen den Eindruck, dass
diese nicht so wie bei dem rezenten Exemplar,
das einen entsprechenden Grundbauplan
vermuten lässt, aufgerollt waren.
Im Gegenteil scheinen die Knochenlamellen
besonders im unteren Bereich in einem
abweichenden Muster gewachsen zu sein,
was sich jedoch nicht abschließend beurteilen
lässt. Nach Abmessung der Breite ist
jedoch eindeutig, dass die Riechhöhle des
fossilen Moschusochsen ca. 1 cm breiter ist
als die des rezenten Tieres (Abb. 10).
Großer Schädel aus dem
Dinopark Münchehagen
Der erste Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen hat eine wesentlich dunklere
Farbe als die vorher beschriebenen Schädel.
An diesem Schädel fehlen das Praemaxillare,
Nasale, Maxillare und auf der rechten
Seite das Lacrimale und Jugale. Trotz fehlendem
Maxillare und Praemaxillare ist er
31,6 cm lang und misst an seiner breitesten
Stelle 26 cm (Abb. 13 – 15). Obwohl an den
Hörnern und nicht an der Augenhöhle gemessen
werden musste, da die Augenhöhlen
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
92 Jannik Weidtke
Abb. 13 A Großer Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in sinistraler Ansicht mit Kennzeichnung
der Knochen
Abb. 13 B Großer Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in dextraler Ansicht mit Kennzeichnung
der Knochen und dem Meatus acusticus
externus, dem äußeren Gehörgang
nicht mehr vollständig erhalten sind, ist er
der breiteste der hier besprochenen Schädel.
Das Frontale ist gut erhalten und lässt
eine dorsale Sutur erkennen, die zu Beginn
leicht verbreitert ist, in ihrem Verlauf zum
Parietale hin schmaler wird und sich zu
einer feinen Linie reduziert (Abb. 16).
Sie läuft jedoch nicht senkrecht über den
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
93
Schädel, sondern wandert leicht auf seine
rechte Seite. Dabei bilden sich keine Verzahnungen
aus. Das Frontale steht ähnlich
dem des fossilen Schädels aus dem
Landesmuseum nur in einem sehr geringen
Winkel von ca. 10° zur Oberfläche an.
Auf dem Frontale sind fast keine Foramina
vorhanden, nur auf der rechten Seite findet
sich, gut zu erkennen, eines an der Wurzel
der Orbita. Sinistral sind vereinzelt sehr
kleine Foramen auf der Orbita zu erkennen.
Auf der Orbita bildet sich eine Erhebung
aus, die sich großflächiger als bei den
bisherigen Schädeln über selbige erstreckt
und auch auf das Lacrimale übergreift.
An der Naht zum Nasale läuft das Frontale
mittig sehr waagerecht und an jeder
Seite in einem fast dreieckigen Fortsatz
mit abgerundeten Spitzen aus. An der
Spitze dieses Fortsatzes beginnt die Naht
zum Lacrimale, das nur noch links vorhanden
ist. Von vorn betrachtet ist sie zu
Beginn leicht verzahnt und läuft im 45°
Winkel nach hinten. Hinter der Erhebung
auf der Orbita läuft sie nahezu waagerecht
nach außen.
Zwischen Frontale und Parietale lässt
sich keine Verschmelzungszone mehr ausmachen.
Die Knochen gehen ohne erkennbare
Sutur ineinander über. Zu erwähnen
ist eine ausgeprägte Rinnenstruktur im
oberen hinteren Bereich am Ansatz der
Augenhöhlen (Abb. 14 A, a).
Hinter den Hornzapfen ist die Naht
zwischen Parietale und Squamosum nachvollziehbar.
Noch von den Hörnern verdeckt
ist die Sutur fast parallel zur Oberfläche.
Kurz bevor sie hinter den Hörnern
zum Vorschein kommt, läuft sie in einer
konvexen Kurve in dorsale Richtung.
Nachdem sie etwa 1 cm an Höhe überbrückt
hat, verläuft sie noch ca. 4 cm mit
einem minimalen Anstieg weiter. Sie trifft
die Naht zwischen Occipitale und Squamosum
und geht in die Sutur zwischen
Parietale und Occipitale über. Hier läuft
sie in einem ebenfalls nur leichten Anstieg
von ca. 10° nach oben und anschließend
medial unterhalb des Hornansatzes zusammen.
Die Naht liegt in einem gleichbleibenden
Abstand von ca. 1,5 cm unter
dem Hornansatz und bildet über den gesamten
Verlauf eine Verzahnung aus. Von
der Seite betrachtet fällt das Parietale dorsal
leicht nach hinten ab.
Der Plattenansatz für die Hörner ist
von der Seite gesehen in seinem Verlauf
dem der ersten beiden Schädel sehr ähnlich.
Er steigt jedoch am vorderen und
hinteren Ende nicht so stark an, sondern
wächst besonders rostral deutlich weiter
auf den Knochen. Daraus resultiert in der
Ansicht von oben eine deutlich symmetrischere
Ausbildung an beiden Enden. Die
Form der Hornplatten lässt sich mit Trapezen,
deren Ecken abgerundet sind, vergleichen.
Am Scheitel sind die Hornplatten
nicht zusammengewachsen und es
bleibt ein Spalt, der zwischen 1 cm und
1,5 cm variiert. Zu einem gewissen Teil ist
er mit Sediment gefüllt. Die Pfeilnaht ist
über das gesamte Parietale nicht zu erkennen.
Am rostralen Ende der Gehörnplatten
steht eine hohe Wölbung an, die ca. 3,5
cm breit ist und an den Hornzapfen herunter
ausläuft. Der Ansatz des Hornzapfens
ist nicht über die ersten 2/3 ausgebildet,
sondern setzt mittig an und erstreckt
sich gleichmäßig nach vorn und hinten.
Die Hörner selber sind auf beiden Seiten
jedoch abgebrochen. Sinistral endet der
Hornzapfen auf Höhe des Jochbogens,
dextral ist er noch besser erhalten und
hat seine Bruchstruktur erst direkt unterhalb
vom Jochbogen. Die Verjüngung der
Hornzapfen im distalen Bereich ist gering.
Gut zu erkennen ist die starke Kerbenbildung
der Hörner, wobei die einzelnen Riefen
dem Längsverlauf der Zapfen folgen.
Die Hörner sind leicht nach vorn gebogen
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
94 Jannik Weidtke
Abb. 14 A Großer Schädel
aus dem Dinopark Münchehagen
in dorsaler Ansicht
mit Kennzeichnung der
Knochen, der dorsalen
Sutur und einer Rinne (a)
Abb. 14 B Großer Schädel
aus dem Dinopark Münchehagen
in ventraler Ansicht
und innen von Hohlräumen durchzogen.
Die Hörner stehen mit 3,5 cm etwas weiter
vom Schädel ab, als bei dem fossilen
Schädel aus dem Landesmuseum.
Das Occipitale dieses Schädels steht
erneut mit der Unterkante in Richtung
Schnauzenspitze (Abb. 13). Der Knochen
wirkt an diesem Schädel leicht gestaucht
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Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
95
und breiter. Die grundsätzliche Form bleibt
aber erhalten. So sind die äußeren Kanten
konvex geformt und die Lambdanaht verläuft
leicht konvex und horizontal über die
gesamte Breite (Abb. 15). An diesem Schädel
lässt sich auch die Sutur zwischen Occipitale
und Squamosum verfolgen. Sie beginnt
im oberen Bereich an der nach vorn
laufenden Kante, die das seitlich stehende
Squamosum vom orthogonal dazu befindlichen
Occipitale trennt. Auf der rechten
Seite ist die Sutur noch einige Zentimeter
zu verfolgen. Sie folgt dabei dem Kantenlauf
in rostraler Richtung und läuft dann
aus. Dabei weist sie eine nur schwache Verzahnung
auf. Auf der linken Seite ist sie
nur an wenigen kleinen Rissen zu erkennen.
Der sich lateral ausbreitende Kamm
im oberen Bereich des Knochens ist vorhanden.
Hier ähnelt er eher dem des ersten
fossilen Schädels und bildet keine nennenswerte
Krümmung aus.
Das Lacrimale ist auf der rechten Seite
nicht mehr vorhanden, dafür links noch
annähernd vollständig. Sofort zu erkennen
ist, dass die Lacrimalgrube an diesem
Schädel viel stärker eingedrückt ist,
als bei den bisher beschriebenen Exemplaren
(Abb. 15). Die eigentlichen Suturen
zu Nasale und Maxillare sind angewittert.
Die Naht zwischen Lacrimale und Jugale
ist in ihrem Verlauf der des rezenten Tieres
sehr ähnlich, fällt jedoch etwas breiter aus.
Zuerst glatt in ihrer Form verzahnt die Sutur
nur leicht sobald sie die Wölbung der
Orbita trifft. Am oberen Ende des Lacrimale
findet sich die bereits beim Frontale
erwähnte Wölbung wieder. Unterhalb der
Wölbung sind deutliche Rinnenstrukturen
zu erkennen, die sich lateral auf den noch
vorhandenen Teil der von dem Lacrimale
gebildeten Augenhöhle ausbreiten (Abb.
15 A, a).
Von der dextralen Augenhöhle ist noch
der hintere, obere Teil vorhanden, der vom
Frontale gebildet wird. Sinistral ist die Orbita
besser erhalten. Nur der hintere untere
Bereich, der vom Frontale und Jugale
gebildet wird, ist nicht mehr vorhanden.
Beide Orbitae-Ränder sind distal abgebrochen
und ihre ursprüngliche Länge in lateraler
Richtung ist nicht mehr zu bestimmen.
Die Augenhöhlen sind leicht in die
rostrale Richtung gekrümmt und annähernd
rund im Querschnitt. An der Sutur
zwischen Lacrimale und Jugale ist die
sinistrale Augenhöhle dreieckig ausgebrochen,
und die Naht schließt im Inneren
der Orbita nicht mehr bündig ab. Der vom
Lacrimale gebildete Teil steht etwas erhöht.
Im Innenbereich ist die Oberfläche
mit einer dünnen Schicht aus Sedimenten
verklebt. Der Nasen-Tränengang ist nicht
mehr zu erkennen (Abb. 17).
Das Jugale ist links nicht mehr komplett
vorhanden, da der hintere die Orbita bildende
Teil, fehlt. Rechts ist das Jochbein
vollständig weggebrochen und vom Jochbogen
ist auf dieser Seite nur noch der vom
Squamosum gebildete Teil vorhanden. Sinistral
befinden sich zur Schnauzenspitze
hin noch Reste des Maxillare. Im oberen
Bereich des Jugale ist der Grat, der eigentlich
von der Crista facialis ausgeht, wieder
zu erkennen. Im ausgestellten Bereich des
Jochbeins unterhalb der Orbita ist beinahe
keine Knochensubstanz mehr vorhanden.
Eine sehr große Öffnung gibt den Blick
auf einen Hohlraum innerhalb dieses Bereiches
frei. Die Öffnung ist nur noch von
Resten des Knochens durchwachsen. Das
Jugale bildet auch hier am Jochbogen eine
dreieckige Struktur aus. Der Nahtverlauf
beginnt allerdings nicht horizontal, sondern
verläuft in einer konvexen Kurve, um
anschließend im 90°-Winkel wieder medial
abzubiegen. Von unten betrachtet ist
links und rechts die ehemalige Position des
fehlenden M3 auszumachen.
Das Squamosum verläuft ähnlich wie
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
96 Jannik Weidtke
Abb. 15 A Großer Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in anteriorer Ansicht mit Kennzeichnung
der Knochen und Foramina (a)
Abb. 15 B Großer Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in posteriorer Ansicht mit Kennzeichnung
der Knochen und der Lambdanaht
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Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
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Abb. 16 Großer Schädel aus dem Dinopark Münchehagen.
Sicht auf die dorsale Sutur des Frontale.
Abb. 17 Großer Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen. Sinistrale Orbita. Gut zu erkennen
sind der Bruch und die Sedimentablagerungen
innerhalb der Augenhöhle.
bei dem ersten eiszeitlichen Schädel. Erwähnenswert
ist hier, dass die Anzahl der
Foramina sich leicht unterscheidet. Auf
der dextralen Seite befinden sich, vertikal
angeordnet, zwei größere Foramina. Nach
caudal sind zwei weitere kleinere zu erkennen,
die hintereinander liegen. Sinistral ist
die Oberfläche mit einer Sedimentschicht
bedeckt. Der vom Squamosum gebildete
Teil des Jochbogens ist ähnlich dem des
ersten fossilen Schädels, verbreitert sich
jedoch stärker als beim rezenten Vertreter.
Beiderseits ist der Meatus acusticus externus
noch vollständig vorhanden.
Von vorn betrachtet ist das hintere Ende
der linken Turbinalia noch erhalten. Die
Wicklung der Knochenlamellen ist noch
zu erkennen und wirkt wie die des ersten
fossilen Schädels ähnlich abweichend dem
vermuteten Grundbauplan des rezenten
Exemplars.
Mittelgroßer Schädel aus dem
Dinopark Münchehagen
Der zweite Schädel, der aus dem Dinopark
stammt, ist kleiner als die bisher angesprochenen.
Seine Länge bemisst sich auf
17,7 cm, seine maximale Breite auf 21,8
cm. Der Schädel hat eine graue Farbe und
die meisten Knochen des Schädels fehlen.
Das Occipitale und ein Großteil des Parietale
sowie Elemente des Squamosums
sind erhalten (Abbildung 18 – 20).
Linksseitig fehlt der gesamte rostrale
Bereich des Schädels und ist erst auf Höhe
der hinteren Hälfte des Squamosums erhalten.
Der Bruch läuft annähernd vertikal
und von den Hornplatten an in einer
konkaven Kurve, sodass der obere Teil dieser
ebenfalls erhalten geblieben ist. Die
Naht zwischen Parietale und Squamosum
ist über dem noch bestehenden Teil beider
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98 Jannik Weidtke
Abb. 18 A Mittelgroßer Schädel aus dem Dinopark
in sinistraler Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen
und der Foramina auf dem Squamosum (a)
Abb. 19 A Mittelgroßer Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in dorsaler Ansicht
Abb. 18 B Mittelgroßer Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in dextraler Ansicht mit Kennzeichnung
der Foramina (b)
Abb. 19 B Mittelgroßer Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in ventraler Ansicht
Knochen gut zu erkennen. Sie ist gezahnt
ausgebildet und folgt dem Verlauf des
Hornplattenansatzes. Auf der rechten Seite
ist der Knochen etwas besser erhalten.
Das Parietale ist auf der rechten Seite in
einer konvexen Rundung abgebrochen, die
in dorsaler Richtung auslädt, sodass vor der
Hornplatte noch ein kleiner Bereich des
Parietale überliefert ist direkt bevor es in
das Frontale übergehen würde. Die Naht
zwischen Parietale und Squamosum endet
auf der rechten Seite nicht abrupt, sondern
verliert sich in einer Zone mit splittrigem
Bruch. Auf beiden Seiten behält die Sutur
einen in etwa gleichbleibenden Abstand
zum Hornansatz von ca. 1,5 cm. Es fehlt
beiderseits der vom Squamosum gebildete
Teil des Jochbogens (Abb. 18).
Die hornbildenden Knochenplatten
des Schädels sind farblich und von ihrer
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Abb. 20 A Mittelgroßer Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in anteriorer Ansicht
Abb. 20 B Mittelgroßer Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in posteriorer Ansicht mit
Kennzeichnung des Occipitale und des Foramen
magnum
Oberflächenbeschaffenheit her kaum vom
restlichen Schädel zu unterscheiden. Der
Ansatz der Hornplatten ist in seinem Verlauf
vergleichbar mit dem der größeren
Schädel. Die Oberfläche der Hornplatten
dagegen ist, anders als bisher, nicht von
Hohlräumen geprägt, sondern besteht im
Verhältnis dazu aus deutlich mehr Knochenmaterial,
das nur sporadisch von einzelnen
kleinen bis mittelgroßen Löchern
durchsetzt ist. Erst lateral weist die Oberfläche
beiderseits unzählige kleine Hohlräume
auf, und am Scheitel sind die Hornplatten
geprägt von größeren Löchern und
Riefen. Sie sind nicht zusammengewachsen
und haben zudem einen unregelmäßigen
Abstand zueinander (Abb. 19).
Dextral ist ein Rest des Hornzapfens erhalten,
dessen Ansatz sich mittig abzeichnet.
Im vorderen Bereich des Ansatzes sind
große Löcher zu erkennen. Der vorhandene
Teil des Hornzapfens biegt sich nicht
herunter, sondern steht seitlich nur leicht
nach unten orientiert ungefähr 7 cm aus
dem Schädel heraus. Die Oberfläche des
Hornzapfens ist wie die äußere Seite der
Hornplatte von vielen kleinen Hohlräumen
mit einer locker-maschigen Erscheinung
übersät. Der Blick von vorn auf den
Schädel lässt dorsal, im Bereich des Parietale,
ebenfalls große Hohlräume mit dem
oben bereits genannten spongiösen Erscheinungsbild
erkennen. Der Bruch gibt
auch die Sicht auf die nicht ganz faustgroße
Hirnkapsel frei.
Das Occipitale steht seitlich betrachtet
beinahe lotrecht. Lateral zu beiden Seiten
weggebrochen, ist kein konvexer Verlauf
mehr zu erkennen. Die Lambdanaht ist auf
der linken Seite nur anhand einiger weniger
Risse zu ermitteln. Sie hat dabei einen
vergleichbaren Verlauf wie die der bisherigen
Schädel. Die Condylen des Atlaswirbels
sind nicht mehr vorhanden. An ihrer
Position befinden sich statt glatter Oberflächen
viele kleine Hohlräume, die auch
an den abgebrochenen Seitenkanten des
Occipitale entlang vorzufinden sind. Der
Dorn im oberen Drittel des Knochens ist
vorhanden und der daraus entstehende
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100 Jannik Weidtke
Kamm ist nur leicht konvex gekrümmt.
Insgesamt ist das Occipitale vergleichsweise
flach und eben (Abb. 20).
Auf beiden Seiten des Squamosums befindet
sich auf der schräg liegenden, konkaven
Fläche jeweils ein Foramen sehr weit
caudal auf mittlerer Höhe. Dextral sind
weiter vorne noch zwei weitere Foramina
vorhanden. Alle sind sie relativ klein und
rundlich im Querschnitt (Abb. 18 A, a und
18 B, b).
Abb. 21 A Kleiner Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in sinistraler Ansicht mit Kennzeichnung
der Knochen
Kleiner Schädel aus dem
Dinopark Münchehagen
Der dritte und kleinste Schädel, der aus
dem Dinopark stammt, ist gelbbraun bis
dunkelbraun gefärbt. Er ist ca. 19,5 cm
lang und 21 cm breit. An dem Schädel sind
Teile des Frontale, das Parietale und Occipitale
sowie Elemente des Squamosums
erhalten geblieben. Die breiteste Stelle des
Schädels markieren erneut die Hörner, da
der Großteil der Augenhöhlen fehlt (Abb.
21 – 23).
Das Frontale ist zur Schnauzenspitze hin
abgebrochen, so dass die Sutur zum Nasale
und Lacrimale nicht mehr zu erkennen
ist. Dextral ist noch ein Teilabschnitt der
Orbita erhalten geblieben. Von oben betrachtet,
verläuft die Bruchkante ab der
Mitte der rechten Augenhöhle in medialer
Richtung nach vorn. Noch vor der dorsalen
Sutur wandert die Bruchkante in einer
konkaven Kurve in caudaler Richtung. Sinistral
endet der Bruch in einer schmalen
Spitze. Danach läuft die Bruchkante fast
vertikal nach hinten. Sinistral endet sie am
caudalen Ende der Augenhöhlenwurzel.
Auf der dextralen Seite ist am oberen
Ende der Orbita eine Rinnenstruktur
zu erkennen, die in einem Foramen
endet (Abb. 22 A). Sinistral ist am Rand
der Bruchkante noch das Foramen dieser
Abb. 21 B Kleiner Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in dextraler Ansicht
Struktur vorhanden. Mittig des Frontale
ist die dorsale Sutur gut zu erkennen, die
leicht gezahnt, vertikal über das Frontale
läuft. Die Kranznaht ist nicht zu erkennen,
und da das Parietale bei diesem Schädel
nicht gewinkelt an das Frontale ansetzt,
bilden beide Knochen eine durchgehende,
horizontal verlaufende Fläche. Die dorsale
Sutur, die auf dem Scheitelbein in die
Pfeilnaht übergeht, ist noch zu erkennen.
Sie verläuft weiterhin sehr gerade und verzahnt.
Stellenweise unterbrochen, ist sie ab
der Mitte des Scheitelbeins nur noch als
breite grauschwarze Linie vom restlichen
Knochen zu trennen (Abb. 22 A).
Am Parietale bildet sich auf jeder Seite
ein Hornzapfen aus, der sich in einem
Abstand von ca. 3,5 cm zum Schädel herunter
biegt und auf Höhe des Jochbogens
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Abb. 22 A Kleiner
Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in
dorsaler Ansicht mit
Kennzeichnung der
Knochen, der Pfeilnaht
und der Lambdanaht
Abb. 22 B Kleiner Schädel
aus dem Dinopark Münchehagen
in ventraler Ansicht
abgebrochen ist. Es sind fast keine Hornplatten
ausgebildet und die Hörner stehen
weit auseinander. Ihre Wurzeln greifen
nur gering in medialer Richtung auf den
Knochen über. Die Oberfläche der Hörner
weist eine leichte, vertikale Riefung auf.
Auf Höhe des hinteren Endes der Hornwurzel
teilt sich die Pfeilnaht nach links
und rechts auf. Sie verläuft ab da in einem
Winkel von 65° nach außen und streift dabei
beinahe die Hornwurzeln. Seitlich betrachtet
wandert die Naht wieder deutlich
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102 Jannik Weidtke
Abb. 23 A Kleiner Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in anteriorer Ansicht
Abb. 23 B Kleiner Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen in posteriorer Ansicht mit
Kennzeichnung des Occipitale, des Foramen
magnum und der Gelenkköpfe
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103
als verzahnte Sutur kenntlich, direkt unter
den Hornzapfen in rostraler Richtung zurück.
Erreicht die Sutur den Mittelpunkt
der Wurzel, knickt sie nach unten ab und
läuft glatt ausgebildet leicht in caudaler
Richtung nach unten, um die Sutur zwischen
Parietale und Squamosum zu treffen.
Der Nahtverlauf zwischen Parietale
und Squamosum ist vergleichbar mit dem
des rezenten Schädels. Der Übergang zur
Lambdanaht ist nicht genau ersichtlich.
Die Lambdanaht selbst ist jedoch über den
Großteil ihres Verlaufs zu erkennen. Nur
leicht konvex ausgebildet, setzt sie sehr
weit caudal am Parietale an. Dabei ist sie
so flächig positioniert, dass sie nur in der
Dorsalsicht zu erkennen ist (Abb. 24). Der
Blick von hinten auf das Occipitale lässt
die Lambdanaht nicht erkennen (Abb.
23 A).
Beim Occipitale ist die rechte Außenkante
des Knochens abgebrochen, und die
Sutur zwischen Occipitale und Squamosum
nicht mehr zu erkennen. Der Bruch
zieht sich an der Seite des Schädels herunter.
Dabei wandert er nach unten leicht
in Richtung Schnauzenspitze über das Parietale,
Teile vom Occipitale und über den
hintersten Teil des Squamosums knapp am
äußeren Gehörgang vorbei.
Auf der linken Seite ist der Knochen besser
erhalten, die Sutur zwischen Occipitale
und Squamosum ist aber dennoch nicht zu
erkennen. Insgesamt ist die linke Seite aber
nahezu vollständig. Der Knochen läuft unter
der Mitte in einer konvexen Kurve in
die Breite. Auf der Oberfläche des Occipitale
ist sinistral ein großer vertikaler Riss
ausgebildet. Die Condylen des Atlas sind
verwittert. An ihrer Position lassen sich
unzählige kleine Hohlräume erkennen und
der Knochen ist an diesen Stellen nach
hinten deutlich ausgestellt. Betrachtet man
das Occipitale von der Seite, läuft es dorsal
erst sehr gerade nach unten. Zu Beginn des
Abb. 24 Kleiner Schädel aus dem Dinopark
Münchehagen. Dorsale Sicht auf die Lambdanaht.
zweiten Drittels läuft der Knochen in caudaler
Richtung aus und nimmt dabei eine
konkave Form an. Der Verlauf im untersten
Bereich wird von den konvexen Condylen
bestimmt.
Das Squamosum dieses Schädels ist
hinter dem Jochbogen abgebrochen. Der
Bruch läuft von unten nach oben in Richtung
der Schnauzenspitze medial zusammen.
Die Form des Squamosums ist mit
dem der anderen Schädel vergleichbar.
Dextral ist die Oberfläche im unteren Bereich
von Sediment bedeckt. Auf beiden
Seiten ist im hinteren Bereich der Oberfläche
je ein kleines Foramen auszumachen.
Der Meatus acusticus externus ist beiderseits
annähernd vollständig vorhanden.
Bei Betrachtung des Schädels von vorn
sind wie beim zuvor beschriebenen Schädel
große Hohlräume auf Höhe des Frontale
und Parietale zu erkennen.
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104 Jannik Weidtke
A
B
C
D
E
Einzelnes Parietale aus dem
Dinopark Münchehagen
Das einzelne Parietale ist 14,5 cm lang,
16,5 cm breit (Abbildung 25 A – F). Die
Oberfläche des Knochens ist glatt. In der
Mitte der Fläche befindet sich ein kleineres
Foramen. Suturen sind fast keine zu
erkennen und die Hornzapfen sind ebenfalls
nicht vorhanden. Seitlich betrachtet,
F
Abb. 25 Einzelnes Parietale aus dem Dinopark
Münchehagen in A sinistrale, B dextraler,
C dorsaler, D ventraler, E anteriorer und
F posteriorer Ansicht
zeichnen sich die Ansatzstellen der Hörner
ab. Leicht oval im Querschnitt ist die
Oberfläche hier vermehrt von Hohlräumen
geprägt und lässt sich so gut vom Rest
des Knochens abgrenzen. Unterhalb dieser
Flächen läuft das Parietale noch ca. 1,5
cm weiter. Von vorn betrachtet, sind große
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105
Hohlräume innerhalb des Parietale zu erkennen.
Von hinten betrachtet sind Reste
der Lambdanaht auszumachen. Ventral betrachtet,
gibt der Knochen die Sicht auf die
hier etwa faustgroße Hirnkapsel frei.
Zu den Beschreibungen der Schädel
wurde mithilfe des Agisoft Photoscan
Programms des Niedersächsischen Landesmuseums
Hannover von den drei am
besten erhaltenen Schädeln jeweils ein
3D-Modell zur Visualisierung erstellt
(Abb. 26).
Diskussion
Der beschriebene rezente Schädel wird
in den Unterlagen des Niedersächsischen
Landesmuseums als Ovibos moschatus wardi,
also als ein Moschusochse aus Grönland
geführt. Dabei soll es sich um ein weibliches
Tier handeln, das bereits 1903 gefunden
bzw. „beschafft“ wurde. Hätten die alten
Unterteilungen des Moschusochsens in
die drei Unterarten O. moschatus moschatus,
O. moschatus wardi, und O. moschatus niphoecus
noch ihre Gültigkeit, würden die
anatomischen Merkmale des Grönländischen
Moschusochsens, die schon Kowarzik
(1904) beschrieben hat, dies bestätigen.
Dazu zählen z. B. eine stärkere konvexe
Biegung des Nackenkamms oder das Fehlen
einer Lacrimalgrube. Die relativ kurze
Basis der Hornplatten (162 mm) ist ein
weiteres Indiz dafür, da O. moschatus wardi
laut Kowarzik (1904) auch die kleinste Basis
der drei Arten besitzt.
Bei der Bestimmung des Geschlechts
kommt es jedoch zu einigen Ungereimtheiten.
Die sichtbaren Suturen des Schädels
sind breit und sehr gut zu erkennen,
das spricht für die Annahme des weiblichen
Geschlechts: „The sutures in the skull
of the female remain open, or at least distinctly
traceable, throughout life“ (Allen
1913). Allerdings sind einige Suturen
Abb. 26 Photogrammetrisches 3D-Modell des
großen Schädels aus dem Dinopark Münchehagen
wie die zwischen den beiden Frontalia
und die Pfeilnaht nicht mehr zu erkennen
und komplett verschmolzen, obwohl
diese bei weiblichen Tieren auch im hohen
Alter noch deutlich zu erkennen sind.
Das aussagekräftigste Merkmal, das für ein
männliches Tier spricht, sind die Hornplattenbasen.
Diese können zwar bei einem
weiblichen Tier im höheren Alter am
Scheitel dicht zusammenwachsen, bilden
dann aber eine nicht annähernd so große
Verbreiterung über dem Parietale aus wie
es an diesem Schädel der Fall ist. Aufgrund
dieser Merkmale kann davon ausgegangen
werden, dass das Geschlecht damals falsch
zu den Akten genommen wurde, und es
sich hier nicht um ein weibliches, sondern
ein männliches Tier handelt.
Im Hinblick auf die Größe des Schädels
ist davon auszugehen, dass hier ein
ausgewachsenes Tier vorliegt. Raufuss &
von Königswald (1999) erstellten eine Tabelle,
in der die geringste Breite des Occipitale
und die Länge des Basioccipitale
ihrer bearbeiteten Schädel gegeneinander
aufgetragen sind. Beim Vergleich der Daten
des hier angesprochenen Schädels mit
denen in der Tabelle, kommt man zu dem
Schluss, dass dieser mit 126 mm Breite
und 72 mm Länge zu einem adulten
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106 Jannik Weidtke
Männchen gehört haben muss. Aufgrund
der beginnenden Fusion beider Hornbasen
und unter Berücksichtigung der Tatsache,
dass die Männchen oft nicht so alt werden
wie die Weibchen, kann das Alter des Tieres
auf 12 – 13 Jahre geschätzt werden.
Der fossile Schädel aus dem Landesmuseum
bzw. aus dem LBEG kann aufgrund
seines recht guten Zustands nur
wenig Transport erfahren haben. Da jedoch
das Praemaxillare und das Dentale
fehlen, dürfte das Tier nicht direkt an seinem
Fundort verendet sein. Hebt man den
Schädel an, fällt als erstes das enorme Gewicht
auf. Obwohl nicht ganz vollständig,
ist er doch merklich schwerer als der rezente
Schädel. Vergleicht man seine Schädellänge
mit der des rezenten Tieres, ist der
fossile Schädel bis zum rostralen Ende des
Maxillare zwar mit 38,5 cm um 0,5 cm
länger, jedoch an seiner breitesten Stelle,
an an der Orbita, mit 23,5 cm um 1,5 cm
schmaler als der des grönländischen Tieres.
Da das Alter und die Breite an den Augenhöhlen
in gewissem Maße korrelieren, ist
anzunehmen, dass dieses eiszeitliche Exemplar
zum Zeitpunkt seines Todes deutlich
jünger war als das rezente. Die Tatsache,
dass die Hornbasen sich zwar schon
über das gesamte Parietale ausgebreitet haben,
aber am Scheitel keine Anhaltspunkte
für ein Zusammenwachsen geben, bekräftigt
diese Vermutung. Unter Verwendung
der von Raufuss & von Königswald (1999)
angewendeten Messstrecken hat das Occipitale
131 mm Breite und 78 mm Länge
am Basioccipitale. Damit liegt der Schädel
im mittleren Bereich der fossilen männlichen
Schädel, die insgesamt etwas höher in
der Tabelle angesiedelt sind und auch über
dem des rezenten Tieres liegen (s. o.). Mit
diesen Erkenntnissen muss das Alter niedriger
angesetzt werden als bei dem ersten
Exemplar. Da es sich hier erneut um ein
Männchen handelt, könnte sich das Alter
mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ca. 9
Jahre belaufen.
Da der große Schädel aus dem Dinopark
unvollständiger ist, muss er einen
deutlich weiteren Transportweg gehabt haben,
als der Schädel aus dem Landesmuseum.
Aufgrund der Sedimentablagerungen
an den noch vorhandenen Knochen ist es
durchaus möglich, dass der Schädel über
ein Flusssystem mit anfangs hoher Fließgeschwindigkeit
in Gebiete mit langsamerer
Strömung transportiert wurde und sich
anschließend im Flussbett oder einem stehenden
Gewässer ablagerte. Denkbar wäre
jedoch auch ein Verbleiben an einer Stelle
mit höheren Fließgeschwindigkeiten (z. B.
im Sedimentationsbereich hinter größeren
Geröllen oder Findlingen) und ein allmähliches
„Abwittern“ einzelner Elemente.
Der Schädel ist gemessen an Occipitale
(140 mm) und Basioccipitale (84 mm)
noch einmal größer als die aus dem Landesmuseum.
Bei diesen Werten handelt es
sich definitiv wieder um ein adultes Männchen.
Die beachtliche Hornplattenbasis und
die Größe des Schädels könnten zunächst
ein recht hohes Alter erwarten lassen.
Beim Vergleich der Suturen jedoch fällt
auf, dass die Naht zwischen beiden Seiten
des Frontale noch zuerkennen und die
zwischen Frontale und Lacrimale breiter
als bei dem fossilen Schädel aus dem Landesmuseum
ist. Aus Allens Untersuchungen
(1913) geht hervor, dass die Naht der
Frontalia erst bei 7- bis 8-jährigen Tieren
fusioniert und die zwischen Frontale und
Lacrimale sich ab dem 10. Lebensjahr zu
schließen beginnt. Zudem betont er, dass
eine hohe Variabilität in der Größe seiner
zur Verfügung stehenden Schädel besteht,
unabhängig von ihrem Geschlecht. „The
oldest skulls, whether male or female, are
not always the largest of the series, there
being a wide range of individual variation
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Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
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independent of sex and age. Some obviously
very old skulls are below the normal
or average size of the series“ (Allen 1913).
Aufgrund dieser Fakten dürfte dieses Tier
jünger gewesen sein, als das aus dem Landesmuseum.
Die Hornplatten sind in dieser
Situation nicht dienlich für genauere
Altersangaben, da diese sich bereits bei
fünfjährigen Tieren über das gesamte Parietale
erstrecken und lediglich am Scheitel
noch nicht zusammengewachsen sind.
Weil aber die Sutur zwischen den Frontalia
bereits sehr schmal ist und das Lacrimale
erst in höherem Alter beginnt mit
dem Frontale zu fusionieren, dürfte das Alter
dieses Tieres zwischen 6 und 7 Jahren
liegen.
An dem mittelgroßen Schädel aus dem
Dinopark sind einige der oben genannten
Anhaltspunkte, z. B. die Sutur zwischen
beiden Frontalia, nicht mehr vorhanden,
sodass das Alter des Tieres nicht genau
eingeschätzt werden kann. Mit den Werten
von Occipitale (116 mm) und Basioccipitale
(70 mm) liegt der Schädel nach der
Tabelle von Raufuss und von Königswald
(1999) im Bereich rezenter adulter Weibchen.
Da die Hornplatten aber doch deutlich
zu erkennen und größer sind, kann es
sich hier nur um ein juveniles, männliches
Tier handeln.
Die Hornplatten sind bereits über das
gesamte Parietale gewachsen. Verwunderlich
ist dabei, dass sich auf den Überresten
der Hornplatten keine Hohlräume
finden wie bei den Vergleichsstücken.
Es könnte angenommen werden, dass sich
diese aufgrund einer geringeren Dicke der
Platten noch nicht gebildet haben und
erst ab einer bestimmten Größe auftreten.
Lönnberg (1900) schreibt dazu, dass die
Horn-Knochenplatten erst ab dem vierten
Sommer beginnen, sich über die Basis
der Hörner hinaus auf das Parietale auszubreiten
und im Anschluss ein Mantel aus
Hornsubstanz darüber wächst. Der Verdacht
liegt nahe, dass dieses Tier sich zum
Zeitpunkt des Todes im Zwischenstadium
dieser beiden Wachstumsperioden befand
und die Hohlräume erst mit dem Mantel
entstehen, da dieser den Großteil der
Hornsubstanz auf dem Parietale bildet. Bei
Betrachtung des größeren Schädels aus der
Dinopark-Sammlung, sind deutlich flachere
Stellen an den Hornplatten zu erkennen,
als an diesem Schädel, bei denen
mehr Substanz fehlt und dennoch Hohlräume
vorhanden sind. Unwahrscheinlich
wäre es auch, wenn die Hohlräume erst
entstehen nachdem die Hornplatten von
dem Mantel aus Hornsubstanz überwachsen
wurden und an Masse zugelegt haben.
Aufgrund der etwas geringeren Größe
von Occipitale und Basioccipitale dürfte
das Alter des mittelgroßen Exemplars zwischen
4 und 5 Jahren liegen. Es zeigt sich
hier erneut, wie unterschiedlich sich diese
Tiere entwickeln. Beim Vergleich der Länge
der Hörnerbasis dieses Schädels mit der
des eiszeitlichen Schädels aus dem Landesmuseum
kann festgestellt werden, dass
sie an diesem Exemplar bereits 6 cm länger
ist, als an dem des ausgewachsenen, älteren
Tieres.
Der letzte Schädel, der aus dem Dinopark
stammt, ist noch etwas kleiner als die
anderen Schädel. Mit seiner Größe liegt
er im Bereich rezenter, adulter Weibchen.
Die Orientierung der Hörner weist jedoch
bereits nach unten, was laut Allen (1913)
erst ab dem 3. bis 4. Lebensjahr beginnt.
Das Alter dürfte auch um einige Jahre höher
liegen, denn die Kranznaht ist bereits
komplett fusioniert, und auch die Pfeilnaht
weist bereits deutlich Anzeichen eines
Zusammenwachsens auf. Obwohl die
Sutur zwischen Frontale und Parietale bereits
verschwunden ist, sind keine Hornplatten
ausgebildet, was unweigerlich zu
dem Schluss führt, dass es sich hier um
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108 Jannik Weidtke
ein weibliches Tier handelt, das sechs oder
mehr Jahre alt ist. Ganz genau lässt sich
das Alter nicht bestimmen, da bei weiblichen
Tieren auch im höheren Alter einige
Nähte, wie z. B. die Pfeilnaht, nicht vollständig
verschwinden. Jedoch breiten sich
auch bei weiblichen Tieren später die Hörner
in Richtung vom Parietale aus. Diese
entwickeln sich zwar nicht annähernd so
exzessiv wie es bei den Männchen schon
mit 5 – 6 Jahren der Fall ist, doch dient
es als Anhaltspunkt, um eine Obergrenze
für das Alter auf nicht mehr als 12 Jahre
festzulegen. Für eine bessere Eingrenzung
fehlt es bei diesem Exemplar leider an anatomischen
Merkmalen wie beispielsweise
der Orbita-Ausbildung. Stand während
der Mitte des 19. Jahrhunderts die Frage
nach den näheren Verwandtschaftsverhältnissen
von Ovibos moschatus zu Rindern
(Bos) oder Schafen (Ovis) im Mittelpunkt,
begannen sich Wissenschaftler Anfang des
20. Jahrhunderts besonders damit auseinander
zu setzen, in wie viele Unterarten
der rezente Moschusochse zu unterteilen
ist und welche anatomischen Charakteristika
sich für diese Unterteilung eignen.
Die ontogenetische Entwicklung der Hörner
sowie Fellfärbung und das Vorhandensein
der Lacrimalgrube gerieten dabei oft
in den Fokus. Ein Vergleich der in der Literatur
beschriebenen Merkmale der einzelnen
Unterarten miteinander macht
deutlich wie häufig sich diese ähneln bzw.
überschneiden. Die Gliederung in die Unterarten
Ovibos moschatus moschatus, O. moschatus
wardi und O. moschatus niphoecus
wird heute nicht mehr vorgenommen, und
die Unterschiede in Knochenbau und Fellfärbung
werden als eine erhöhte anatomischen
Diversität innerhalb der Art Ovibos
moschatus aufgefasst. Die Diskussion über
eine Artenunterteilung ist jedoch nicht
erloschen, sondern hat sich auf die Frage
verlagert, ob die Differenzierung in eine
eiszeitliche (O. pallantis) und eine rezente
Art (O. moschatus) gerechtfertigt ist oder,
ob auch in diesem Fall die anatomischen
Unterschiede nicht ausreichen, um diese
Unterteilung zu rechtfertigen.
Die große Bandbreite an unterschiedlichen
Merkmalen des Moschusochsens
führt dabei zu einigen Schwierigkeiten.
Der Vergleich der vorliegenden eiszeitlichen
Schädel mit dem rezenten Schädel
aus dem Landesmuseum und mit in
der Literatur beschriebenen ebenfalls rezenten
Schädeln, zeigt das gleiche Problem
wie schon bei der Artunterteilung der
heutigen Tiere. An den eiszeitlichen Schädeln
lassen sich ähnlich viele Unterschiede
und Gemeinsamkeiten zu rezenten Tieren
feststellen wie schon bei den rezenten Tieren
als in sich geschlossener Gruppe. Um
das Problem zu verdeutlichen, lassen sich
einige Beispiele (unter Verwendung der
ehemaligen Einteilung des rezenten Moschusochsens
in die drei genannten Arten)
anbringen. Der Occipitalkamm der aus
Alaska stammenden Moschusochsen verläuft
meist flach nach außen, ähnlich wie
bei den beschriebenen eiszeitlichen Schädeln.
Bei dem grönländischen Tier bildet
er jedoch eine deutliche Krümmung aus.
Die Form des Basioccipitale stimmt jedoch
bei dem eiszeitlichen Tier mit der des O.
wardi und O. moschatus überein. Nur der
ebenfalls in Alaska beheimatete O. niphoecus
bildet eine leicht abgeänderte Form aus.
Die Form des Lacrimale birgt erneut Widersprüchliches.
In der Literatur wird den
rezenten Arten eine Lacrimalgrube oft
abgesprochen, sie sei nur bei O. pallantis
vorzufinden. Allen (1913) schreibt jedoch
über eine eindeutig zu identifizierende Lacrimalgrube
bei den meisten seiner vor allem
aus Grönland (O. moschatus wardi)
stammenden Exemplare.
Dass die Anatomie des eiszeitlichen Moschusochsens
eine ähnlich hohe Diversität
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Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
109
aufweist, zeigt sich bereits an einigen Beispielen
der drei hier beschriebenen Schädel
männlicher Exemplare. Der aus dem
Dinopark stammende mittelgroße Schädel
besitzt bereits eine Hornbasis, die um einige
Zentimeter länger ist, als die des vermutlich
ältesten Tieres aus dem Landesmuseum,
während der große Schädel aus
dem Dinopark die breiteste Basis ausgebildet
hat, obwohl er mit 6 – 7 Jahren Alter
doch deutlich jünger einzuschätzen ist
als der älteste Schädel mit 9 Jahren. In der
Form ihres Occipitalkamms gleichen sich
jedoch alle drei Schädel. Der Schädel aus
dem Landesmuseum und der große Schädel
des Dinoparks weisen beide eine Lacrimalgrube
auf, diese ist jedoch bei letzterem
deutlicher ausgeprägt.
Der einzige Punkt, in dem sich die Moschusochsen
der Eiszeit von den rezenten
Tieren abheben, ist ihre Größe. Ovibos
unterliegt zwar auch hier Schwankungen,
doch die eiszeitlichen Exemplare weisen
höhere Werte auf und gelten allgemein um
bis zu 25 % größer als die heutigen Vertreter.
Dieser Unterschied der Größe könnte
sich auch auf den Knochenbau ausgewirkt
und zugelassen haben, dass bei pleistozänen
Tieren in Bereichen wie z. B. dem
Jochbogen kräftigere Knochen ausgebildet
wurden. Raufuss & von Königswald
(1999) bewerten den Größenunterschied
jedoch als ein nicht ausreichendes Kriterium
für eine Abgrenzung und suggerieren,
dass er durch günstigere Lebensbedingungen
zustande kam: „We regard size difference
alone to be an insufficient basis for
the distinction of subspecies.“ (Raufuss &
von Königswald 1999: 4) The large size of
European Weichselian muskoxen suggests
favourable ecological conditions with optimal
feeding.“ (Raufuss & von Königswald
1999: 5) Eine hohe anatomische Diversität
ist bei verwandten Arten des Moschusochsens
ebenfalls zu finden. Symbos cavifrons
und Bootherium bombifrons wurden lange
Zeit in zwei eigenständige Taxa aufgeteilt,
da nicht genau zwischen individuellen Unterschieden
und Geschlechtsdimorphismen
unterschieden werden konnte. Die
Überreste dieser Arten wurden jedoch
meistens zusammen gefunden und auch in
der Schädelgröße beider Arten bestehen
Überschneidungen. Heute werden Symbos
als männliche und Bootherium als weibliche
Vertreter desselben Taxons geführt. „All
the preceding reasons led […] to consider
them male (Symbos) and female (Bootherium)
of the same genus (Bootherium).“
(Campos et al. 2010)
In neuen Arbeiten wird mittlerweile
versucht, diese Fragestellung unter Zuhilfenahme
von Protein- und DNA-Analysemethoden
endgültig zu klären. Campos
et al. (2010) stellten Untersuchungen zur
genetischen Vielfalt des Moschusochsens
an und kamen zu dem Ergebnis, dass diese
in den letzten 60 000 Jahren deutlich
zu erkennenden Schwankungen unterlag
und primär auf wechselnde klimatische
Bedingungen und damit einhergehende
Veränderungen des Lebensraums zurückzuführen
sind. Grundsätzlich steigt die genetische
Diversität dieser Art bei globaler
Abkühlung und war während des Pleistozän
insgesamt höher als heute. Mithilfe
der DNA-Analytik konnten bereits die
ausgestorbenen, nearktischen Verwandten
des Moschusochsens Bootherium und Euceratherium
phylogenetisch klar abgegrenzt
werden. Wohingegen Praeovibos als ein
sehr nahestehender Verwandter von Ovibos
identifiziert wurde. Obwohl zu Lebzeiten
weiter südlich angesiedelt, fällt Praeovibos
in die genetische Reichweite des Moschusochsens
und zusammen mit seiner Herkunft
aus Beringia, aus der auch die ältesten
bekannten Fossilien von Moschusochsen
stammen, liegt die Theorie nahe, dass es
sich hierbei um einen kosmopolitischeren
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
110 Jannik Weidtke
Vorfahren des Moschusochsens handelt
(Campos et al. 2010).
Weitere Untersuchungen von Campos et
al. (2010) zeigten, dass Ovibos Grönland als
letztes Gebiet kolonisierte und dass Nordamerika
der Ursprung dieser Population
war. Interessanterweise deckt sich dieses
Ergebnis mit einer bereits von Kowarzik
im Jahre 1904 aufgestellten Theorie überraschend
gut: In dieser wird von ihm vermutet,
dass sich Ovibos nach seiner Besiedlung
des amerikanischen Kontinents weiter
nach Osten ausbreitete und sich im Laufe
dieser Zeit die anatomische Vielfalt der
früher umstrittenen Unterarten entwickelte.
Besonders bestätigt sah er sich in seiner
Theorie dadurch, dass er keine Lacrimalgrube
an den von ihm untersuchten Exemplaren
vorfand, die aus östlichen Regionen
stammten. Diese Beobachtung deutete
er als ein Zeichen der Weiterentwicklung
von Ovibos. Die Theorie, dass grönländische
Exemplare keine Lacrimalgrube ausbilden,
wurde von Allen nur wenig später
widerlegt, als dieser an seinen aus Grönland
stammenden Schädeln durchaus Lacrimalgruben
zu finden vermochte. Dabei
ist zu beachten, dass der Begriff „Grube“
immer einer subjektiven Einschätzung unterliegt
und daher bei den stark hervorstehenden
Orbitae des Moschusochsen eine
Lacrimalgrube durchaus auch fehlinterpretiert
oder zumindest abweichend bewertet
werden kann. Kowarzik (1904) hatte somit
zwar eine mittlerweile sogar bestätigte
Theorie, konnte diese jedoch nicht auf der
Basis anatomischer Merkmale gründen.
Eine Unterteilung nur anhand osteologischer
Merkmale ist schwierig. Bedenkt
man wie sehr die rezenten Tiere in ihren
Merkmalen (Skelett, Fellfärbung etc.) variieren,
ist die Unterteilung in eine rezente
(O. moschatus) und eine eiszeitliche (O.
pallantis) Art nur anhand solcher Anhaltspunkte
nahezu unmöglich. Auch die
eiszeitlichen Tiere weisen ein vergleichbares
Maß an Unterschieden und Gemeinsamkeiten
auf. Es scheint also notwendig
die DNA-Analytik zu nutzen. Wie zielführend
diese Untersuchungen im Falle
von Ovibos moschatus sind, bleibt abzuwarten.
Weitere Forschungsarbeiten, die sich
speziell mit dieser Thematik befassen werden
zeigen, ob die Artenunterteilung unter
Anwendung von Anatomie und Analytik
endgültig geklärt werden kann oder, ob
es dabei zu weiteren Diskussionsthemen
kommt.
Danksagung
Ein besonderer Dank gilt Frau Dr. Annette
Richter, die mich durch ihre Wirbeltierpaläontologie-Vorlesung
an der Leibniz
Universität Hannover für dieses Fach
begeistert hat, diese Arbeit anregte und
mich sowohl bei der Erstellung der Fakultätsversion
als auch der vorliegenden Publikationsversion
inhaltlich stets umfänglich
unterstützte, beriet und motivierte. Zudem
wies sie mich in das druckreife naturwissenschaftliche
Zeichnen ein und übernahm
ein gründliches Vor-Lektorat für die
vorliegende Version. Im Vorfeld der Arbeit
hatte sie die Verknüpfung mit dem Dinopark-Material
eingeleitet und die Arbeitsmöglichkeiten
und den Umgang mit dem
Originalmaterial ausgehandelt.
Daher gebührt der weitere besondere
Dank Herrn Nils Knötschke aus dem
Dinopark Münchehagen für die Bereitstellung
der Exponate, ohne die diese Arbeit
nicht annähernd so umfangreich geworden
wäre, für das Vertrauen, das mir entgegen
gebracht wurde, die Exponate aus logistischen
Gründen in die Magazine des Landesmuseums
zu überführen und dort zu
bearbeiten und letztendlich für die Kooperation
des Dinoparks, die ohne ihn nicht
in diesem Maße möglich gewesen wäre.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
111
Außerdem möchte ich mich noch einmal
herzlich für Kost und Logis während meiner
Tage im Dinopark Münchehagen bedanken.
Zudem gebührt der Leiterin der geowissenschaftlichen
Sammlungen des LBEG,
Frau Dr. Carmen Heunisch großer Dank,
dass sie langfristige Leihgaben ihres Hauses
vertrauensvoll am Landesmuseum beließ
und mit der Bearbeitung durch studentische
Dritte einverstanden war, wie sie
der vollständigste der Schädel erfahren hat.
Danken möchte ich auch von ganzem
Herzen Herrn Prof. Dr. Carsten Brauckmann
für die schnelle und wohlwollende
Korrektur und akademische Begutachtung
dieser Arbeit.
Auch bei einer weiteren Mitarbeiterin
des Landesmuseums Hannover möchte ich
mich bedanken, nämlich bei Frau Annina
Böhme, die mir unter anderem bei der
Aufnahme der Fotos zur Erstellung der
3D-Modelle eine große Hilfe war.
Frau Christine Abitz vom Niedersächsischen
Landesamt für Denkmalpflege
möchte ich dafür danken, dass sie sich die
Zeit genommen hat, mich mit dem Agisoft
Programm zur Photogrammetrie vertraut
zu machen, was zu einem erheblichen
Mehrwert der Arbeit führte.
Ich danke der Leibniz Universität Hannover
und dem Institut für Geologie sowie
dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses,
Prof. Dr. Jürgen Böttcher, für die Ermöglichung
dieses interdisziplinären und
interinstitutionellen Bachelor-Forschungsprojekts.
Ganz besonders herzlich danke ich den
Herren Dr. Franz-Jürgen Harms und Dr.
Dieter Schulz von der NGH für das akribische
Endlektorat dieses Manuskripts, das
zu seiner endgültigen Veröffentlichungsreife
führte.
Meinen Eltern und meinem Bruder
möchte ich dafür danken, dass sie mich
in meiner Entscheidung, die Hochschulreife
nachzuholen und zu studieren, stets
bestärkt haben, und meinen Eltern danke
ich dafür, dass sie mir mit ihrer finanziellen
Unterstützung dieses Studium überhaupt
erst ermöglicht haben.
Zuletzt danke ich meiner Lebensgefährtin,
die mich vor allem moralisch unterstützt,
mit mir zusammen alle Hürden
während des Studiums überwunden hat
und durch alle Schwierigkeiten und Tiefpunkte
stets an meiner Seite geblieben ist.
Literaturverzeichnis
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112 Jannik Weidtke
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Grzimek, Bernhard (1968): Grzimeks Enzyklopädie,
Säugetiere: 556 f; München.
Glossar
Aktualismusprinzip wissenschaftliche Methode
in den Geowissenschaften, bei der
davon ausgegangen wird, dass geologische
Prozesse die heutzutage stattfinden auch
früher schon so abglaufen sein müssen.
Hier: Übertragen von Verhalten lebender
Tiere auf bereits ausgestorbene Verwandte
oder ähnliche Tiere.
Albedo-Effekt Rückstrahlungsvermögen
von nicht selbst leuchtenden Oberflächen
Beringia Region zwischen Ostsibirien und
Alaska
caudal zur Schwanzspitze hin
Condylus Gelenkkopf
Crista facialis Knochenleiste am Oberkiefer
die als Ansatz für den Kaumuskel dient
Cromer-Komplex Zeitspanne von vor ca.
850 000 Jahren – ca. 475 000 Jahren vor
heute bestehend aus mehreren Kalt- und
Warmzeiten in Mitteleuropa
dextral: rechtsseitig
Diastema zahnloser Bereich zwischen
Schneidezähnen und Backenzähnen
disarticuliert in einzelne Bestandteile zerfallen
distal von der Körpermitte weg
dorsal rückseitig
endocranial im inneren des Schädels
Foramen (Foramina) mentale Knochenöffnung
im Unterkiefer
Foramen infraorbitale Knochenöffnung im
Oberkiefer
Foramen magnum Knochenöffnung an der
Schädelbasis an der Gehirn und Rückenmark
ineinander übergehen
Frontale Stirnbein
Jochbogen knöcherne Leiste unter der
Orbita
Jugale Jochbein
Kranznaht Verschmelzungszone zwischen
Frontale (Stirnbein) und Parietale (Scheitelbein)
Lacrimale Tränenbein
Lamdanaht Verschmelzungszone zwischen
Occipitale (Hinterhauptbein) und Parietale
(Scheitelbein)
lateral außenliegend
Maxillare Oberkiefer
medial mittig liegend
Milanković-Zyklen zeitvariante Muster, in
denen die auf die Erde auftreffende Sonnenstrahlung
über die jährliche Schwankung
hinaus variiert (3 verschiedene Parameter
in Zeiträumen von 19 000-jährigen
bis ca. 100 000-jährigen Zyklen)
Nasale Nasenbein
Occipitale Hinterhauptbein
Orbita Augenhöhle
orthogonal rechtwinklig aufeinander stehend
Parietale Scheitelbein
Pfeilnaht Verschmelzungszone beider Seiten
des Frontale (Stirnbein)
Protuberanz Wölbung, Wulst
proximal zur Körpermitte hin
reife Kiese grobkörnige Steine (Durchmesser:
2 mm – 63 mm) die durch Transport
(meist durch Fließgewässer) glatt und
rund geschliffen wurden.
rostral zur Nasenspitze hin
sinistral linksseitig
Squamosum Schuppenbein
Sutur Verschmelzungszone zweier oder
mehrerer Knochen
Turbinalia aufgerollte, knöcherne oder
knorpelige Lamellen, überzogen von
Riechschleimhaut
ventral bauchseitig
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen
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Arbeit eingereicht: 26.09.2018
Arbeit angenommen: 21.01.2019
Anschrift des Verfassers:
Jannik Weidtke
Kestnerstraße 7
30159 Hannover
jannikweidtke@aol.de
Vielfalt in Niedersachsen
Naturhistorica 151
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der Abfolge von Mikrofossilien in einem
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Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
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Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
115
Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura
von Hildesheim
Sven Sachs, Christian J. Nyhuis
Zusammenfassung
Plesiosaurier-Reste aus dem Mittleren
Jura der Tongrube Temme in Hildesheim
werden beschrieben. Das Material umfasst
einen großen unvollständigen Zahn sowie
diverse postcraniale Reste. Eine sichere
Zuordnung zur Gattung Liopleurodon ist
für den Zahn möglich. Isolierte Cervicalwirbel
zeigen typische Merkmale der Familie
Pliosauridae, und ein unvollständiges
distales Ende eines Propodiums stammt
vermutlich ebenfalls von einem Vertreter
diese Gruppe. Weitere isolierte Cervicalwirbel
können cryptoclididen Plesiosauriern
zugeordnet werden. Die Hildesheimer
Reste ergänzen die spärlichen Plesiosaurier-Funde
aus dem Mittleren Jura Deutschlands.
Nach Kenntnis der Autoren sind das
die ersten Belege dieser Gruppe aus dem
Mittleren Jura von Niedersachsen.
Abstract
Plesiosaurian remains from the Middle
Jurassic of the claypit Temme in Hildesheim
(Lower Saxony, northern Germany)
are described. The material includes a
large, incomplete tooth and a number of
postcranial remains. Only the tooth could
unambiguously be referred to the genus
Liopleurodon. Isolated cervical vertebrae
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
116 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis
show typical features of pliosaurids and
an incomplete distal end of a propodial
might likewise derive from a member of
this group. Further isolated cervical vertebrae
can be referred to cryptoclidid plesiosaurians.
The plesiosaurian remains from
Hildesheim supplement the sparse record
of this group from the Middle Jurassic of
Germany. Furthermore they are the first
such finds from the Middle Jurassic of the
federal state of Lower Saxony.
Einleitung
Marine Reptilien sind in den meisten
Stufen des Mittleren Jura selten (z. B. Buchy
2004; Sachs & Hornung 2015). Eine
Ausnahme bildet jedoch das Callovium.
Aus dieser Stufe, speziell aus der Oxford
Clay Formation von Großbritannien, sind
mehrere Funde bekannt (z. B. Andrews
1910, 1913). In Deutschland sind entsprechende
Reste bisher primär aus der Ornatenton-Formation
beschrieben worden
(z. B. Hermann 1907; von Huene 1934;
Schatz 1982; Michelis et al. 1996; Metzdorf
1997; Schatz 2010).
Eine Gruppe der marinen Reptilien sind
die Plesiosaurier. Sie traten erstmals in der
Obertrias in Erscheinung, sind bis in die
obere Oberkreide dokumentiert und hatten
eine globale Verbreitung (Ketchum &
Benson 2010). Der Körperbau der Plesiosaurier
war vollständig an die aquatische
Abb. 1 A Umrisskarte der Bundesrepublik
Deutschland, die den Fundort Hildesheim zeigt
(Stern), B Stratigrafie der Tongrube Temme.
Die Fundschicht ist mit Stern gekennzeichnet
(nach Mönnig 1995).
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim
117
Lebensweise angepasst, was durch die Umwandlung
ihrer Extremitäten in Paddel zu
erkennen ist (Sachs & Nyhuis 2015).
Aus dem Mittleren Jura von Deutschland
sind bislang nur wenige Plesiosaurier-Funde
bekannt (von Huene 1934;
Wellnhofer 1970; Michelis et al. 1996;
Buchy 2004; Sachs & Hornung 2015). In
der vorliegenden Arbeit werden entsprechende
Reste aus dem Mittleren Jura von
Hildesheim beschrieben. Es handelt sich
hierbei um Altfunde aus den Sammlungen
des Roemer-Pelizaeus Museums in Hildesheim
(RPMH), sowie des Instituts für
Geowissenschaften der Universität Tübingen
(GPIT). Die genauen Fundumstände
sind nicht bekannt. Obwohl nur unvollständig
erhalten, lohnt es sich, die Funde
aus Hildesheim zu beschreiben, denn sie
bieten die Gelegenheit, unsere Kenntnis
über die Plesiosaurier des Mittleren Jura
Deutschlands zu ergänzen.
Fundstelle und Geologie
In der ehemalige Tongrube Temme südlich
der Stadt Hildesheim (Abb. 1) am
Westrand des Galgenberges gelegen (52°
8'16.27"N, 9°58'27.08"E) wurden Tone
des Mittleren Jura abgebaut. Der erste
Tonabbau erfolgte im Jahre 1856. 1914
wurde der Abbau in der „Alten Tongrube“
aufgeben und die Tongewinnung begann
in der ca. 200 m südöstlich gelegenen
„Neuen Tongrube“, südlich der Bromberger
Straße. Gegen Ende der 1970er-Jahre
wurde der Betrieb schließlich eingestellt.
Die alte Tongrube ist heute verfüllt
und die neue Tongrube steht unter Wasser.
Die ca. 100 m mächtige Schichtenfolge
beider Tongruben reichte vom obersten
Aspidoides-Ton (Ober-Bathonium) bis in
die obere Siltsteinfolge der Ornatenton-
Formation (Unter-Callovium) (Menzel
1901).
Der mutmaßliche Fundpunkt des hier
beschriebenen Zahnfragments befindet
sich innerhalb der Macrocephalen-Schichten
des Unter-Callovium. Die Macrocephalen-Schichten
werden durch eine
nicht mehr als 3 m mächtige Abfolge von
braunen Tonen gebildet. Sie gelten als ein
Leithorizont innerhalb der Ornatenton-
Formation. Ihre Liegend- und Hangendgrenze
wird jeweils durch eine Geodenlage
definiert (Mönnig 1995).
Systematische Paläontologie
Sauropterygia Owen, 1860
Plesiosauria de Blainville, 1835
Pliosauroidea Seeley, 1874
Pliosauridae Seeley, 1874
Liopleurodon Sauvage, 1873
Liopleurodon sp.
Material: RPMH ohne Nummer. Unvollständiger
Zahn (Abb. 2 A – F).
Beschreibung: Der erhaltene 78 mm
hohe Teil des Zahns umfasst den größten
Teil der Krone, sowie den oberen Teil
der Wurzel. Der Apex des Zahnes fehlt
allerdings. Die Krone ist nach lingual gekrümmt
und besitzt somit eine konvexe labiale
und eine konkave linguale Seite. An
der Basis der Krone ist der Zahnschmelz
beschädigt, dennoch ist zu erkennen, dass
dieser auf der lingualen Seite weiter nach
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
118 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis
Abb. 2 Unvollständige Zahnkrone von Liopleurodon
sp. (RPMH ohne Nummer) in A lingualer,
B seitlicher (mesialer oder distaler), C labialer
und D seitlicher (mesialer oder distaler),
E apikaler und F basaler Ansicht.
Abkürzungen: ca – Carina; nk – Nervenkanal;
sl – Schmelzleisten.
Der Maßstab entspricht 5 cm.
basal reichte. Sowohl an der apikalen
Bruchfläche (Abb. 2 E), als auch am unteren
Ende besitzt die Krone einen fast
runden Querschnitt (Abb. 2 F). Der Zahnschmelz
trägt je eine kräftige Carina auf
der mesialen und distalen Seite (Abb. 2
B, D), die sich von dem basalen Ende der
Krone bis zur apikalen Bruchfläche ziehen.
Da es nicht klar ist, ob der Zahn aus
dem Ober- oder Unterkiefer stammt, kann
nicht mit Sicherheit ermittelt werden, welches
die mesiale oder die distale Seite ist.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim
119
Eine der beiden Carinae befindet sich in
der Mitte der mesialen/distalen Seite der
Krone (Abb. 2 D), die zweite ist etwas weiter
labial lokalisiert (Abb. 2 B). Auf der
lingualen Seite der Krone befinden sich
zwischen den beiden Carinae 27 Schmelzleisten
(Abb. 2 A). Von diesen verbleiben
fünf im basalen Viertel der fragmentarischen
Krone, 21 enden etwa 1 cm von der
apikalen Bruchfläche entfernt, und eine
Schmelzleiste erreicht diese. Die Schmelzleisten
stehen in der Mitte der lingualen
Seite dichter zusammen und sind vergleichsweise
dünner als die Schmelzleisten,
die nach außen hin platziert sind. Grundsätzlich
gabeln sich die Schmelzleisten
nicht. Lediglich zwei äußere Leisten verschmelzen
apikal nahe einer Carina. Die
meisten Schmelzleisten haben einen geraden
apikobasalen Verlauf, zwei sind jedoch
leicht sigmoidal gekrümmt. Die Oberfläche
der Carinae ist etwas gewellt. An der
Basis des Schmelzes befinden sich auf der
lingualen Seite mehrere Rugositäten. Die
labiale Seite der Krone weist so gut wie
keine Ornamentierung auf und trägt einen
glatten Schmelz (Abb. 2 C). Lediglich drei
dünne Schmelzleisten sind in der Nähe der
Carinae angedeutet. An der 50 mm breiten
basalen Bruchfläche der Krone ist ein
zirkulärer Nervenkanal sichtbar (Abb. 2 F).
Diskussion: Obwohl der Zahn nur fragmentarisch
erhalten ist, zeigt er doch einige
Merkmale, die zur taxonomischen Bestimmung
beitragen können. Die Krone ist
konisch geformt und trägt je eine kräftige
Carina an der mesialen und distalen Seite.
Die labiale Seite der Krone besitzt fast
keine Ornamentierung und der Zahnquerschnitt
ist rundlich. Auf der lingualen Seite
sind basal zwischen den Schmelzleisten
Rugositäten ausgebildet und die Schmelzleisten
gabeln sich nicht.
Die konische Form des Zahns sowie seine
Größe lassen ihn einem Pliosauriden
zuordnen (vgl. Andrews 1913; Knutsen
2012). Aus dem Mittleren Jura Europas
sind bisher sechs valide Pliosaurier-Gattungen
bekannt: Anguanax Cau & Fanti,
2016, Peloneustes Lydekker, 1889, Pachycostasaurus
Cruickshank, Martill & Noè,
1996, Marmornectes Ketchum & Benson,
2011, Simolestes Andrews, 1909 und Liopleurodon
Sauvage, 1873. Die von Anguanax
zignoi Cau & Fanti, 2016 beschriebenen
Zähne sind mit einer apikobasalen
Höhe der Kronen von maximal 12 mm
(Cau & Fanti 2014) deutlich kleiner als
der Hildesheimer Zahn. Der Querschnitt
wird bei den Zähnen von Anguanax als
oval beschrieben, und es sind nur schwache
Schmelzleisten ausgebildet (Cau & Fanti
2014). Dies unterscheidet Anguanax von
dem Hildesheimer Fund. Die Zahnmorphologie
von Peloneustes philarchus (Seeley
1869) wurde detailliert von Ketchum &
Benson (2011) beschrieben. Ähnlich wie
der Hildesheimer Zahn besitzen die Zähne
dieser Gattung einen runden Querschnitt.
Allerdings ist neben der geringeren Größe
ein Unterschied darin zu finden, dass
bei Peloneustes die Schmelzleisten weniger
stark ausgebildet und diese auf allen Seiten
der Krone zu finden sind. Die Zähne
von Pachycostasaurus dawni Cruickshank,
Martill & Noè, 1996 sind kaum bekannt.
Noè (2001) gibt an, dass die Schmelzleisten
der Zähne sehr grob sind. Dies wird
auch in der Abbildung bei Cruickshank et
al. (1996, Fig. 1) gezeigt. Außerdem ist die
Basis des Zahnschmelzes glatt (Noè 2001)
und somit verschieden von der des Fundes
aus Hildesheim. Ketchum & Benson
(2011) geben eine detaillierte Beschreibung
der Zahnkronen von Marmornectes
candrewi Ketchum & Benson, 2011. Ein
diagnostisches Merkmal dieser Gattung
ist, dass die Schmelzleisten (außer auf der
mesialen oder distalen Seite) mit einigem
Abstand von der Basis des Zahnschmelzes
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
120 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis
beginnen. Außerdem sind auch auf der
lingualen Seite, weniger auf der labialen
Seite der Zähne von Marmornectes, mehr
Schmelzleisten vorhanden (Ketchum &
Benson 2011, Fig. 5). Dies unterscheidet
den Hildesheimer Zahn von diesem Taxon.
Die Zähne von Simolestes vorax Andrews,
1909 ähneln dem Hildesheimer
Fund in der Größe und der fehlenden Ornamentierung
auf der labialen Seite, sowie
dem runden Querschnitt (Tarlo 1960; Noè
2001). Sie unterscheiden sich jedoch dadurch,
dass die Schmelzleisten feiner sind
und Rugositäten an der Basis des Schmelzes
fehlen (Tarlo 1960, S. 172; Noè 2001,
Fig. 116 – 117). Sämtliche bei dem Hildesheimer
Zahn vorhandenen und eingangs
erwähnten Merkmale finden sich bei
den Zähnen von Liopleurodon ferox. Letztere
sind auch in ähnlicher Größe bereits
bekannt (Andrews 1913; Noè 2001). Der
Hildesheimer Fund kann daher mit einiger
Sicherheit der primär aus der englischen
Oxford Clay Formation bekannten Gattung
Liopleurodon zugeordnet werden.
Gen. et sp. indet.
Material: RPMH ohne Nummer. Sechs
Cervicalwirbel (Abb. 3 A – D), GPIT
RR03103. Distalende eines Propodiums
(Abb. 3 E).
Beschreibung: Alle Wirbelcentra sind
amphicoel, breiter als hoch/lang und höher
als lang. Die Größe von wenigstens
drei Wirbeln lässt eine Position im vorderen
Teil des Halses vermuten. Die Artikulationsflächen
aller Wirbel sind deutlich
konkav und besitzen einen noch weiter
vertieften Mittelteil, der bei zwei Wirbeln
eine notochordale Grube aufweist (Abb. 3
A). Von der Mitte zu den Außenseiten hin
sind die Artikulationsflächen leicht verdickt.
Letztere werden von einem scharfen
Rand umgeben. Lateral sind zwei Facetten
für die Cervicalrippen vorhanden (Abb. 3
B). In den vermutlich aus dem distalen Teil
des Halses stammenden Wirbeln sind die
Rippenfacetten laterodorsal platziert und
bei einem Wirbel ist eine Verbindung zwischen
der Diapophyse und den Neuralbogenfacetten
angedeutet. Bei diesem Wirbel
sind die Parapophysen und Diapophysen
miteinander verbunden. Bei anderen Wirbeln
befindet sich zwischen den Parapophysen
und Diapophysen ein länglicher
Einschnitt oder eine anteriore und posteriore
Einschnürung. In artikularer Ansicht
überragen die Rippenfacetten deutlich den
Bereich der Artikulationsfläche der Centra.
Bei den distalen Cervicalwirbeln sind
sie außerdem nach lateroventral gekippt.
Die Rippenfacetten besitzen einen scharfen
Rand und ihre Oberfläche ist konkav.
Bei allen Wirbeln okkupiert die Rippenfacette
etwa 2/3 der lateralen Fläche des
jeweiligen Centrums. Bei zwei distalen
Centra und einem proximalen Centrum
ist die ventrale Seite transversal konvex.
Bei den proximalen Wirbeln ist die Ventralseite
eher flach und nur in der Mitte
leicht konkav. Zwei Foramina subcentralia
sind auf der Ventralseite sichtbar. Diese
werden von einem breiten Kiel getrennt,
der in den proximalen Centra nicht weiter
verbreitet ist. Die Basen des Neuralbogens
sind gut zu erkennen (Abb. 3 C). Sie
sind gleich lang wie das jeweilige Centrum
und besitzen in dorsaler Ansicht eine ovale
Form. Ihre Fläche ist konkav und wird
von einem scharfen Rand umgeben. Der
Rest einer Cervicalrippe ist auf der Artikulationsfläche
eines Wirbels eingebettet.
Der Rippenkopf hat eine länglich ovale
Form und ist konvex. Die dorsoventral abgeflachte
Cervicalrippe verbreitert sich im
distalen Bereich.
Ein 130 mm langes distales Fragment
eines Propodiums ist erhalten (Abb. 3 E).
Es ist stark dorsoventral abgeflacht und
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim
121
Abb. 3 Pliosauridae gen. et sp. indet. A – E Cervicalwirbel
(RPMH ohne Nummer) in A artikularer,
B lateraler, C dorsaler und D ventraler Ansicht.
E Distales Fragment eines Propodiums (GPIT
RR03103) in dorsaler oder ventraler Ansicht.
Cryptoclididae gen. et sp. indet. F – H. Cervicalwirbel
(GPIT RR 03104) in F artikularer, G lateraler
und H dorsaler Ansicht.
Abkürzungen: cr – Cervicalrippe; da – Diapophyse;
lk – longitudinaler lateraler Kiel; nf – Neuralbogenfacette;
nk – Neuralkanal; pa – Parapophyse.
Die Maßstäbe entsprechen jeweils 5 cm.
weist an der proximalen Bruchfläche einen
ovalen Querschnitt auf. Der anteriore
Rand des Fragments ist in dorsaler Ansicht
fast gerade und besitzt ein abgerundetes
anterodistales Ende. Der posteriore
Rand des Fragments ist nach posterodistal
geschwungen, allerdings ist der untere
Bereich abgebrochen. Die distalen Artikulationsflächen
für die Epipodien sind
nur schwach konkav und nicht deutlich
voneinander abgegrenzt. Das erhaltene
distale Ende des Propodiums besitzt eine
größte Breite von 142 mm.
Diskussion: Die Proportionen der amphicoelen
Cervicalwirbel in Kombination
mit der Ausbildung von zwei Rippenfacetten
und eher flachen ventralen Seiten
der Centra sind diagnostische Merkmale
der Familie Pliosauridae (z. B. Tarlo 1960,
Ketchum & Benson 2010). Eine genauere
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
122 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis
Bestimmung ist allerdings nicht möglich.
Bei dem fragmentarischen Propodium ist
die schlanke Gestalt ein typisches Merkmal
dieser Familie (Tarlo 1960, 152). Die
Propodien der plesiosauroiden Taxa der
Oxford Clay Formation weisen oft fächerförmig
verbreiterte distale Enden sowie
deutlich abgewinkelte Facetten für die
Epipodien auf (vgl. Andrews 1910, Abb.
63, 69 und 91). Diese Merkmale unterliegen
jedoch einer ontogenetischen Variation
und sind bei juvenilen Individuen nicht
so deutlich ausgeprägt (Brown 1981). Die
Größe des erhaltenen Fragments weist allerdings
darauf hin, dass es nicht von einem
juvenilen Individuum stammt. Insgesamt
zeigt die Gestalt von GPIT RR03103
große Ähnlichkeiten zu den Propodien von
Peloneustes philarchus, im speziellen durch
die gerade anteriore Seite mit dem abgerundeten
anterodistalen Rand und die nur
schwach voneinander getrennten Facetten
der Epipodien (Andrews 1913, Abb. 23;
Linder 1913, Abb. 18). Die taxonomische
Verwertbarkeit der genannten Merkmale
ist allerdings bisher unbekannt. Sowohl die
Wirbel als auch das fragmentarische Propodium
stammen von einem kleineren Individuum
als der Zahn.
Plesiosauroidea Gray, 1825
Cryptoclididae Williston, 1925
Gen. et sp. indet.
Material: GPIT RR 03104. Sechs Cervicalwirbel
und eine Cervicalrippe (Abb. 3
F – H).
Beschreibung: Alle Wirbelcentra sind
breiter als lang/hoch und länger als hoch
(bei dem vollständigsten Exemplar beträgt
die größte Höhe 57 mm, die Breite 67
mm und die Länge 65 mm). Die laterale
Seite der Centra ist konkav und ein longitudinaler
Kiel ist nur bei einem Wirbel
schwach angedeutet (Abb. 3 G). Die Artikulationsflächen
der Centra sind fast eben
(platycoel) und werden von einem dünnen,
aber abgerundeten Ring umgeben (Abb. 3
F). Sowohl die Zygapophysen als auch der
Dornfortsatz fehlen bei allen Wirbeln, aber
die mit dem Centrum verwachsenen Basen
des Neuralbogens sind erhalten. Letztere
begrenzen beim vollständigsten Wirbel
einen runden Neuralkanal, sind transversal
dünn und weiter mittig platziert als der laterale
Rand des Centrums. Die Artikulationsflächen
des Centrums sind dorsal, auf
Höhe des Neuralkanals etwas eingesenkt
(Abb. 3 F). Auf der ventralen Seite der
Centra sind zwei Foramina subcentralia zu
erkennen, die durch einen gerundeten Kiel
getrennt werden, der bei einem Wirbel
eher schmal und bei den anderen Wirbeln
breiter ist. Reste der ventrolateral sitzenden
Cervicalrippen sind erhalten (Abb. 3 G).
Diese sind mit den Centra verwachsen und
transversal dünn.
Diskussion: Sowohl die Cervicalrippen,
als auch die Neuralbögen sind mit den
Centra verwachsen was erkennen lässt,
dass es sich um ein adultes Individuum gehandelt
hat (Brown 1981). Die Proportionen
der Centra unterscheiden sie von jenen
der Pliosauriden (siehe oben) und ermöglichen
eine Zuordnung zu den Plesiosauroidea
(Brown 1981). In der phylogenetischen
Analyse der Plesiosauria von Benson &
Druckenmiller (2014) werden vier plesiosauroide
Taxa aus dem Callovium genannt,
die alle der Familie Cryptoclididae zugeordnet
wurden: Cryptoclidus Seeley, 1892,
Tricleidus Andrews, 1909, Muraenosaurus
Seeley, 1874 und Picrocleidus Andrews,
1909. Sowohl die Cervicalwirbel von Cryptoclidus
eurymerus (Phillips 1871), als auch
jene von Tricleidus seeleyi Andrews, 1909
wurden von Brown (1981: 256, 294) als relativ
amphicoel beschrieben und die Centra
sind, speziell bei Cryptoclidus, oft nicht
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim
123
länger als hoch. Diese Merkmale unterscheiden
sich somit von den Wirbeln aus
Hildesheim. Außerdem ist bei beiden Taxa
kein lateraler longitudinaler Kiel zu finden
(Brown 1981, 289). Die Cervicalwirbel von
Muraenosaurus leedsii Seeley, 1874 entsprechen
hingegen den Hildesheimer Wirbeln.
Die Centra sind länger als hoch, die Artikulationsflächen
sind flach, und bei adulten
Individuen kann ein longitudinaler lateraler
Kiel ausgebildet sein (Brown 1981,
289). Picrocleidus beloclis (Seeley 1892) ist
von Brown (1981, 292) als Synonym von
Muraenosaurus angesehen worden, wurde
allerdings in der phylogenetischen Analyse
der Plesiosauria von Benson & Druckenmiller
(2014) als separates Taxon behandelt.
Die von Brown (1981, 293) für Picrocleidus
beloclis (= Muraenosaurus beloclis)
beschriebenen Cervicalwirbel entsprechen
im Wesentlichen jenen von Muraenosaurus
leedsii und damit auch den Hildesheimer
Funden. Somit lassen sich die Wirbel aus
Hildesheim morphologisch von Tricleidus
und Cryptoclidus abgrenzen, es ist aber keine
klare Unterscheidung zu Muraenosaurus
und Picrocleidus möglich. Daher können
die Wirbel GPIT RR 03104 hier nur als
Cryptoclididae gen. et sp. indet. bestimmt
werden.
Plesiosauria indet.
Material: RPMH ohne Nummer. Drei
Dorsalwirbelcentra, unvollständige Scapula,
Gürtelknochenfragment, fragliches
Propodium. GPIT RE 03101 unvollständiger
fraglicher Cervicalwirbel, Schaftfragment
eines Propodiums, Knochenfragmente.
Beschreibung und Diskussion: Dem
fraglichen Cervicalwirbelcentrum GPIT
RE 03101 fehlen der dorsale und ventrale
Teil. Das Centrum ist deutlich breiter als
lang und besitzt konkave laterale Seiten.
Die Erhaltung lässt keine sichere Zuordnung
zu. Die drei isolierten Dorsalwirbelcentra
aus der RPMH Sammlung (Abb. 4
A, B) sind breiter als lang/hoch und höher
als lang. Sie haben eine konkave Lateralseite.
Die leicht konkaven Artikulationsflächen
der Centra werden von einem
scharfen Rand umgeben und besitzen eine
vertiefte Mitte. Ventral sind zwei mittig
positionierte runde Foramina subcentralia
sichtbar (Abb. 4 B). Sie werden von einem
breiten, niedrigen und transversal gerundeten
Kiel getrennt. Auf der dorsalen
Seite befinden sich die Facetten für den
Neuralbogen. Der Neuralbogen war somit
nicht mit dem Centrum verwachsen.
Die Neuralbogenfacetten besitzen die gleiche
Länge wie die Centra. Sie sind konkav
und weisen eine länglich ovale Form auf.
Möglicherweise könnte es sich daher um
die Wirbel von pliosauroiden Plesiosauriern
handeln.
Ein fragmentarischer posteriorer Teil
einer rechten Scapula ist in der RPMH-
Sammlung erhalten (Abb. 4 C – E). Das
Fragment umfasst den ventralen Bereich
mit der posterioren Glenoid- und Coracoidfacette,
sowie die Basis des dorsalen
Fortsatzes. Die Coracoidfacette ist unvollständig
und besitzt einen transversal ovalen
Umriss sowie eine fast flache, nur leicht
rugose Artikulationsfläche. Die Glenoidfacette
ist größtenteils abgebrochen, dennoch
ist zu erkennen, dass beide Facetten
nicht deutlich voneinander abgewinkelt
waren, was ein Indikator für ein juveniles
ontogenetisches Stadium ist (Andrews
1895). Die Basis des dorsalen Fortsatzes ist
in anteriorer Ansicht nach lateral hin abgewinkelt
(etwa 56° zur horizontalen Ebene,
Abb 4 C). Die Unterseite des Fragments
der Scapula ist fast eben und verjüngt sich
transversal in anteriorer Richtung. Die
fragmentarische Natur der Scapula lässt
sie nicht mit Sicherheit einem bestimmten
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
124 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis
Abb. 4 Plesiosauria indet. Dorsalwirbel (RPMH
ohne Nummer) in A lateraler und B ventraler
Ansicht. Scapula (RPMH ohne Nummer) in C anteriorer,
D lateraler und E dorsaler Ansicht. F Fragment
eines Gürtelknochens (RPMH ohne Nummer) und
G fragliches Propodiumfragment. Abkürzungen:
df – dorsaler Fortsatz; fs – Foramen subcentrale.
Der Maßstab entspricht jeweils 5 cm.
Taxon zuordnen. Ein Fragment eines nicht
näher bestimmbaren Gürtelknochens befindet
sich in der RPMH-Sammlung (Abb.
4 E). Das isolierte Fragment ist durch die
Ausbildung von zwei Artikulationsflächen
als Teil eines Gürtelknochens zu erkennen.
Die eine Artikulationsfläche ist größer und
transversal oval in Gelenkansicht. Die benachbarte
Artikulationsfläche ist nur etwa
halb so groß wie die erstere und hat eine
dreiseitige Form. Die größere Facette ist
deutlich rugos und leicht konkav. Von der
Spitze der dreiseitigen, kleineren Facette
geht ein scharfer Rand aus, der eine Öffnung
begrenzte. Somit saß die kleinere Facette
auf der medialen Seite. Der von der
anderen Facette ausgehende laterale Rand
ist eher gerade, verdickt und dorsoventral
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim
125
abgerundet. Die Morphologie des Fragments
stimmt nicht mit der des Restes
der Scapula überein, sodass es sich hierbei
höchstwahrscheinlich um den Teil eines
anderen Gürtelknochens (Coracoid, Ischium
oder Pubis) handelt.
GPIT RE 03101 umfasst ein Bruchstück
des Schaftes eines Propodiums mit
einem ovalen Querschnitt. Das Fragment
kann taxonomisch nicht näher bestimmt
werden. Ein längliches Fragment in der
RPMH-Sammlung könnte gleichfalls von
einem Extremitätenknochen stammen
(Abb. 4 G). Es besitzt eine abgeflachte
Form, wobei eine Seite etwas verdickt ist.
Das Exemplar ist allerdings sehr schlecht
erhalten und kann nicht näher identifiziert
werden. Weitere zum Teil zersägte Fragmente
in der GPIT-Sammlung können
gleichfalls nicht näher identifiziert werden.
Diskussion
Wie bereits eingangs erwähnt, gibt es
bisher nur verhältnismäßig wenige Plesiosaurier-Funde
im Mittleren Jura Deutschlands.
Die meisten dieser Reste stammen
aus der Ornatenton-Formation des Callovium.
Die bisher größte Anzahl an Einzelfunden
ist aus dem ehemaligen Steinbruch
Störmer in Wallücke im Wiehengebirge
(Nordrhein-Westfalen) bekannt. Michelis
et al. (1995) gaben den bisher einzigen
Überblick über das Vertebratenmaterial
von dieser Lokalität. Sie ordneten die
Plesiosaurier-Funde sowohl Plesiosauroiden
als auch Pliosauriden zu. Während
die Bestimmung der Plesiosauroiden offen
gehalten wurde, bestimmten Michelis
et al. (1995) einige Pliosaurier-Funde bis
auf die Gattungsebene. Dementsprechend
konnten die Gattungen Liopleurodon und
Peloneustes nachgewiesen werden. Nebst
Einzelknochen und einem Zahn ist auch
ein Teilskelett bekannt, das Michelis et
al. (1995) Liopleurodon pachydeirus (Seeley
1869) zuordneten. Aus dem Ornatenton
von Baden-Württemberg liegt ein weiteres
unvollständiges Skelett vor. Von Huene
(1934) beschrieb den Fund und ordnete
ihn Pliosaurus ferox (= Liopleurodon ferox)
zu. Gleichfalls aus Baden-Württemberg
beschrieb Schatz (1982, 2010) einen Pliosaurier
Zahn, der ebenfalls Liopleurodon
zugeordnet wurde. Die gleiche Lokalität
lieferte postcraniale Plesiosaurier-Reste,
die Schatz (2010) als Plesiosaurus sp. bestimmt
hat. Letztlich beschrieb Hermann
(1907) einen Zahn aus dem Ornatenton
von Bayern. Er bestimmte den Rest als
Pliosaurus sp. und beschrieb einen dreieckigen
Querschnitt, der an die Zähne von
Pliosaurus spp. und Gallardosaurus iturraldei
Gasparini, 2009 erinnert (Gasparini
2009; Knutsen 2012).
Aus Niedersachsen waren Plesiosaurier
bisher primär aus der Unterkreide bekannt
(Koken 1887, 1896; Sachs et al. 2016; Sachs
et al. 2017; Sachs et al. im Druck). Die hier
beschriebenen Reste stellen nach Kenntnis
der Autoren die einzigen dementsprechenden
Funde aus dem Mittleren Jura des
Bundeslandes dar. Obwohl die Erhaltung
nur bedingt eine taxonomische Zuordnung
zulässt, ergänzen die Hildesheimer Funde
doch die spärlichen Nachweise und somit
das Wissen über die Verbreitung und Diversität
der Plesiosaurier im Mittleren Jura
Deutschlands.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
126 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis
Danksagung
Wir bedanken uns bei Dr. Jürgen
Vespermann (Roemer-Pelizaeus Museum
Hildesheim) und Dr. Davit Vasylian (Institut
für Geowissenschaften der Universität
Tübingen) für den Zugang zu dem hier beschriebenen
Material in ihrer Sammlung.
Frau Dr. Annette Richter (Landesmuseum
Hannover) und Herrn Dr. Dieter Schulz
(Naturhistorischen Gesellschaft Hannover)
danken wir für das Lektorat.
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Glossar
amphicoel Wirbelkörper auf der vorderen
und hinteren Seite konkav
anterior vorderer, nach vorne hin
anterodistal vorne und von der Körpermitte
entfernt
apikobasal von der Zahnspitze zur Zahnbasis
Artikulationsflächen Gelenkflächen
Carina verstärkte, vorspringende Leiste
Cervicalrippen Halsrippen
Coracoidfacette Verbindungsfläche zum
Rabenbein
Diapophyse obere Gelenkfläche am Halswirbel
zur Artikulation mit der Halsrippe
distale (Seite) Zahnrückseite
Foramen (Foramina subcentralia) Gefäßöffnungen
auf der Unterseite der Wirbelkörper
Glenoid-Facette Verbindungsfläche zu
den vorderen Extremitäten
labiale (Seite) Zahnaußenseite
lateraldorsal seitlich oben
linguale (Seite) Zahninnenseite
mesiale (Seite) Zahnvorderseite
Notochordalgrube Vertiefung im Wirbelkörper,
die beim lebenden Tier von den
Resten der rückgebildeten Chorda dorsalis
(knorpeliger Achsenstab) eingenommen
wurde.
Parapophyse untere Gelenkfläche am
Halswirbel zur Artikulation mit der
Halsrippe
platycoel Wirbelkörper auf der vorderen
und hinteren Seite fast eben
postcranial das Skelett hinter dem Schädel
betreffend
posterior hinterer, nach hinten hin
Propodium oberer Extremitätenknochen
proximal / distal zur Körpermitte hin /
von der Körpermitte entfernt
Rugosität / rugos Rauigkeit
Scapula Schulterblatt
Schmelzleiste(n) verstärkte Leisten im
Zahnschmelz
sigmoidal S-förmig
ventrolateral unten-seitlich
Zygapophyse paarige Gelenkfläche
oberhalb des Rückenmarkskanals des
Wirbelkörpers
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim
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Arbeit angenommen: 18.10.2018
Anschrift der Verfasser:
Sven Sachs
Naturkunde-Museum Bielefeld
Abteilung Geowissenschaften
Adenauerplatz 2
33602 Bielefeld
und
Im Hof 9
51766 Engelskirchen
E-Mail: sachs.pal@gmail.com
Dr. Christian J. Nyhuis
E-Mail: chr.nyhuis@gmail.com
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
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Schottisches Flugwild in Ostfriesland
Ein Beitrag zur frühen Geschichte des Knyphauser Waldes
Burkhard Schäfer
Abb 1. Grouse in Schottland
(Foto: Christoph Moning, Freising)
Zusammenfassung
Schottische Moorhühner haben in
Schottland, Nordengland, Wales und
dem Nordwesten Irlands ihren natürlichen
Verbreitungsraum. In den Jahren
1891 und 1892 versuchte Graf Knyphausen
(Mitglied der NGH 1870 – 1904) auf
seinem Besitz, dem „Knyphauser Wald“
bei Reepsholt (Landkreis Wittmund), das
Schottische Moorschneehuhn einzubürgern.
Der Verlauf dieses Experiments gibt
nicht nur einen Einblick in die frühe Geschichte
des Knyphauser Waldes, sondern
zeigt auch den gewaltigen Landschaftswandel
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Schlüsselwörter: Knyphauser Wald,
Schottisches Moorschneehuhn, frühe
Einbürgerungsversuche, Aufforstungen,
Heide- und Moorflächen, Landschaftswandel
im 19. Jahrhundert
Einleitung
Erinnern Sie sich noch an das Computerspiel
„Moorhuhn“ (Spieleserie Moorhuhn)?
Dabei handelte es sich um ein
Werbespiel aus dem Jahr 1999, das für
die schottische Whisky-Marke Johnnie
Walker entwickelt wurde. Das Spiel, das
millionenfach kostenlos heruntergeladen
wurde, war so populär, dass die Zeitschrift
„Der Spiegel“ behauptete, dass es
sogar als „Bedrohung für Betriebsumsätze“
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
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angesehen wurde, da sich unverhältnismäßig
viele Büroangestellte damit die Zeit
vertrieben. Schließlich hat es das Spiel unter
dem Begriff „Moorhuhnjagd“ sogar in
die Ausgabe des Dudens geschafft – ein
Zeichen dafür, wie populär das Thema in
Deutschland tatsächlich war. Die Wahl des
Moorhuhns als Spielfigur war als Seitenhieb
der Firma Walker auf einen der erfolgreichsten
Blended Scotch Whiskys
mit Namen „The Famous Grouse“ zu verstehen.
Das Etikett dieser Flasche ziert
das Bild eines Schottischen Moorschneehuhns
– auf English „Grouse“ – um das es
in diesem Beitrag geht. Diese Vogelart sollte
vor mehr als hundert Jahren im Landkreis
Wittmund bejagt werden - allerdings
nicht virtuell sondern höchst realistisch. In
den Jahren 1891 und 1892 versuchte Graf
Knyphausen auf seiner Besitzung, dem
„Knyphauser Wald“ bei Reepsholt, das
Schottische Moorschneehuhn einzubürgern.
Der Verlauf dieses Experiments gibt
einen Einblick in die frühe Geschichte des
Knyphauser Waldes.
Schottische Moorschneehühner haben
in Schottland, Nordengland, Wales und
dem Nordwesten Irlands ihren natürlichen
Verbreitungsraum. Sie leben und nisten in
Mooren und vor allem auf Heideflächen,
wo Moosbeere und Rauschbeere und andere
niedrige Beerensträucher vorkommen.
Im Herbst suchen die Hühnervögel niedere
Lagen und Stoppelfelder auf. Die Vögel
werden etwa 40 Zentimeter groß, haben
ein rotbraunes Gefieder und erinnern vom
Aussehen her an weibliche Birkhühner. Im
Gegensatz zu anderen Schneehühnern bekommen
sie im Winter kein weißes Winterkleid
(Abb. 1).
Über sein Vorhaben der Einbürgerung
dieser Vögel von den britischen Inseln berichtete
der Graf in der Jagdzeitschrift
„Der Waidmann“, dem offiziellen Organ
des Allgemeinen Deutschen Jagdschutz
Vereins (zitiert bei Bungartz 1900).
Danach bestellte er im Herbst 1891
in England bei einem Wildhändler fünf
Paar lebende Moorschneehühner. Er wollte
in seiner Aufforstung, dem zukünftigen
Knyp hauser Wald, den Versuch unternehmen,
dieses sehr scheue Wild einzubürgern.
Die Aussichten schienen ihm für
diesen Versuch besonders günstig, weil
die Flächen den Vögeln Ruhe, Heide und
Wasser bieten konnten. Auch waren nach
seiner Einschätzung das Vorhandensein
von unterschiedlichen Wildbeerenarten
und einiger Buchweizenfeldern in seinem
Jagdrevier für die fremden Vögel förderlich.
Der Transport geschah im November,
weil nur in den Monaten September, Oktober,
November das Wild nach den dortigen
strengen Schongesetzen zu beziehen
bzw. zu exportieren war. Die Vögel wurden
von Schottland nach London transportiert.
Dann brachte man sie per Schiff bis
Vlissingen in den Niederlanden; von dort
mit der Bahn und wohl mit Pferdewagen
an den Bestimmungsort. Das war ein äußerst
ungünstiger und langer Weg für die
empfindlichen Wildvögel. Vor allem die
langen Eisenbahnfahrten waren beschwerlich,
auch hatte man die Tiere wohl nicht
mit ausreichend Wasser versorgt. Jedenfalls
kam von den versandten fünf Paaren nur
ein Paar lebend und gesund in Ostfriesland
an.
Der Graf ließ im geschützten Dickicht
einen Drahtbehälter mit Obernetz aufstellen,
die Seitenwände des Käfigs wurden
dicht mit Heide besteckt. Das gab den
Tieren Schutz vor Störungen, gleichzeitig
bekamen sie aber auch ausreichend Heidesamen,
die ihre Hauptnahrung darstellten.
Außerdem wurden die Schottischen
Moorschneehühner reichlich mit Wasser
und Buchweizen versorgt. Nach einigen
Tagen Ruhe ließ der Graf den Schieber
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Schottisches Flugwild in Ostfriesland
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am Drahtzaun aufziehen und die Grouse
sich selbst die Freiheit suchen. Im Frühjahr
1893 hatte er die Freude, den Grousehahn
in Gesellschaft eines Birkhahnes in seinem
Jagdrevier anzutreffen und sich über seine
Rufe zu freuen. Auch die Henne lebte
noch, denn ihm wurde ein Gelege gebracht,
dass wohl schon vierzehn Tage
bebrütet war. Es war beim Buchweizen-
Mähen entdeckt worden. Der Hahn und
die Henne der Schottischen Moorschneehühner
waren gemeinsam aufgeflogen,
die Henne hatte aber das Nest nicht wieder
aufgesucht. Die vierzehn Eier hob der
Jagdherr auf. Er beschreibt sie als größer
als Rebhuhneier, von gelbgrauer Farbe mit
dunkel- bis hellbraunen Flecken.
Die Brut der fremden Vogelart ermutigte
den Grafen von Knyphausen zu weiteren
Schritten. Er berichtete in der Zeitschrift
„Der Waidmann“ (ohne Jahresangabe).
„Diese erfreuliche Entdeckung, daß ein
Paar nach fast zwei Jahren das Leben behalten
und sogar Fortpflanzungsversuche
gemacht hatte, ließ mich wünschen, meine
Grouse-Einführungsversuche fortzusetzen!
Ein Mr. J. S. Graham in Heasther
Cottage, Aysgarth Station, Yorkshire, an
den ich mich wandte, übernahm für 20 M.
das Paar die Lieferung von 10 Paaren, und
ich verständigte mich mit ihm dahin, daß
er sie mir auf meine Rechnung von Hull
nach Bremen senden, für gute Verpackung
Sorge tragen und nicht verpflichtet sein
sollte, eingegangene Stücke nachzuliefern.
Die Firma Veltmann in Hull, Speditionsgeschäft
des Norddeutschen Lloyd, nahm
sich der Lieferung sehr freundlich an und
sorgte für Wasser und Futter während der
30stündigen Seereise, und so konnte zu
meiner Freude mein Förster, dem ich die
Abholung der Vögel übertragen hatte, die
ganze Lieferung von 7 Paaren Grouse,
mehr waren auf einmal nicht zu beschaffen,
ohne irgend welchen Verlust an den
Bestimmungsort begleiten. Dieses Mal
hieß es beim Empfang der Sendung nicht
,oh Graus‘ wie vor 2 Jahren, als die Kasten
mehr verendete wie lebende Tiere enthielten,
sondern die Vögel flogen kräftig in ihrem
großen Bauer in die Höhe, um, unverletzt
durch das überspannte Segel, wieder
zurückzufallen. Meine Jagdnachbarn sind
der Preußische und Oldenburgische Forstund
Moor-Fiskus! An beide habe ich mich
mit günstigem Erfolg gewandt, und, wie
das schon früher beim Aussetzen von
Birkwild geschehen, das Versprechen erhalten,
daß für einige Jahre die Schonung
dieses neuen Wildes den Beamten zur
Pflicht gemacht werden soll! So ist denn zu
hoffen, daß der Versuch der Einbürgerung
schottischer Moorhühner in der nordwestdeutschen
Ebene gelingen wird, wie es mit
dem Birkwild geglückt ist, das, ein lange
Jahre hier ausgestorbener Vogel, nun wieder
den Balzruf froh erklingen läßt“ (Bungartz
1900).
Die Hoffnung des Grafen sollte sich
nicht erfüllen. Wahrscheinlich war der Lebensraum
doch nicht so geeignet wie er
gehofft hatte. Die Moor- und Heideflächen
waren aufgrund der intensiven Aufforstungsmaßnahmen,
die er selber betrieb,
auch wohl nicht ausgedehnt genug. Vielleicht
sind durch das unerlaubte – aber immer
wieder praktizierte - Sammeln von
Birkhuhneiern auch die Eier der Grouse
in die Pfannen der armen Moorsiedler gewandert
– jedenfalls konnte nach wenigen
Jahren kein Exemplar des Schottischen
Moorschneehuhns mehr beobachtet werden.
Mit seinem Experiment der Ansiedlung
stand der Graf von Knyphausen in
seiner Zeit auf keinen Fall allein da. Zum
einen war es seit Jahrzehnten eine Passion
von Grundbesitzern und Jagdrevierinhabern,
fremde, ja gar exotische Tiere im
eigenen Revier anzusiedeln. Es gab solche
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Abb. 2 Der Bereich des späteren Knyphauser Waldes
auf der Campschen Karte von 1806 (Abruck mit
frdl. Gehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin –
Preußischer Kulturbesitz – Signatur Kart. N 27299.)
Versuche in Deutschland und dem übrigen
Europa mit Affen, Kängurus, Papageien,
verschiedenen Hirscharten, allen möglichen
Hühner- und Entenvögeln. Meistens
stand jagdliches Interesse im Vordergrund
oder einfach die Freude an exotischer Vielfalt.
Zum anderen gab es in Deutschland
zwischen 1866 und 1918 etwa ein Dutzend
ähnlicher Versuche mit Schottischen
Moorschneehühnern. Besonders erfolgreich
verlief die Auswilderung dieser Vögel
im Hohen Venn, das bis 1918 zum Deutschen
Reich und dann zu Belgien gehörte.
Hier hatte zu Beginn der 1890er-Jahre
ein Textilfabrikant aus Monschau über 70
Paare auf den Mooren ausgesetzt. Bereits
1904 konnten drei Jäger an einem Tag 40
Vögel erlegen. Mit Kultivierungsmaßnahmen
setzte ab 1930 ein starker Rückgang
ein, seit Beginn der 1970er-Jahre wurde
kein Vogel dieser Art mehr gesehen. (Niethammer
1963).
Der Bericht des Grafen in der Jagdzeitschrift
ist aber auch noch aus einem anderen
Aspekt heraus interessant: Er schrieb –
wie bereits zitiert: „So ist denn zu hoffen,
daß der Versuch der Einbürgerung schottischer
Moorhühner in der nordwestdeutschen
Ebene gelingen wird, wie es mit dem
Birkwild geglückt ist, das, ein lange Jahre
hier ausgestorbener Vogel, nun wieder
den Balzruf froh erklingen läßt“ (Bungartz
1900).
Dies belegt, dass das Birkwild im 19.
Jahrhundert aufgrund umfangreicher Kultivierung
von Mooren und Heiden bereits
fast völlig verschwunden war. Nur
durch massive Eingriffe des Menschen,
also durch Aussetzen neuer Vögel, konnte
sich der Bestand wieder erholen. Hier wird
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Schottisches Flugwild in Ostfriesland
133
Abb. 3 Rekonstruktion der Landschaft im Bereich
des Knyphauser Waldes nach Ellenberg (1968).
Der Autor bedankt sich bei der Naturhistorischen
Gesellschaft Hannover für die Genehmigung des
Nachdrucks der Karte.
deutlich, in welchem Maße die Landschaft
nicht nur in unserer Zeit, sondern bereits
vor mehr als 120 Jahren ganz außerordentlich
und in relativ kurzen Zeiträumen
verändert wurde. Dies gilt geradezu
exemplarisch für die Region des heutigen
Knyphauser Waldes. Die Geschichte
von der kurzen Existenz der Moorhühner
ist ein interessanter Beleg für diesen einschneidenden
Wechsel in der Landschaft.
Die große handgezeichnete Campsche
Karte von Ostfriesland aus dem Jahr 1806
zeigt für den Bereich ausgedehnte und völlig
waldfreie Heideflächen, unterbrochen
von moorigen Bereichen (Abb. 2, Henninger
et al. 2005).
Der Botaniker Heinz Ellenberg, der im
Jahre 1946 den Knyphauser Wald pflanzensoziologisch
kartierte, erstellte auf der
Grundlage seiner gründlichen Untersuchungen
eine Karte, die das Bild der Landschaft
vor Beginn der Aufforstung rekonstruiert
(Abb. 3) (Ellenberg 1968).
Den größten Raum nahmen damals
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
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Abb. 4 Damhirsch im Knyphauser Wald
(Foto: B. Schäfer)
feuchte Sandheiden und nasse Glockenheide-Gesellschaften
ein. Auch trockene
Sandheiden kamen – besonders im nördlichen
Teil des Reviers – in größeren Flächen
vor. Es gab außerdem junge Dünen
mit Flechten und typischen Pflanzen des
Sand-Trockenrasens.
Der damalige Graf und spätere Fürst
Edzard zu Inn- und Knyphausen erwarb
erste Flächen in dieser Region, als die Erbengemeinschaft
Hinrich Cassens durch
eine Anzeige am 22. Mai 1867 die zu Rispel
gelegene Schäferei zum Kauf anbot.
Neben einem Schafstall und 500 Schafen
waren auch ausgedehnte Flächen im
Angebot. Bald nach dem Erwerb ließ der
Graf einen Dampfpflug zur Bearbeitung
der Heide einsetzen. Es soll angeblich die
erste Nutzung einer solchen gewaltigen
Maschine in Ostfriesland gewesen sein
(Anonymus 1982).
Der Botaniker Ellenberg (1968) beschreibt
die Umwandlung des Areals wie
folgt: Man ging „hier außerdem recht
schematisch und fast oberflächlich zu
Werke – nicht aus besonderer Nachlässigkeit,
sondern durchaus entsprechend der
unbiologischen, vorwiegend technischen
und rechnerischen Einstellung, die damals
in forstlichen Kreisen herrschte. Fast ohne
Rücksicht auf Senken oder Rücken, Sand
oder Torf, Ackerbeete oder Heide … warf
man in Abständen von 10 bis 12 m seichte
Gräben aus und pflanzte oder säte Kiefern
und Fichten auf die Beete.“.
Bereits im April 1878 – als die Forstanlagen
nach einer Bekanntmachung der
Königlichen Landdrostei in Aurich den
Namen „Knyphauserwald“ erhielten – waren
die Anpflanzungen schon „6 Fuß und
darüber“ hoch. Auf den ehemaligen Heideflächen
hatte sich also ein etwa zwei
Meter hoher Wald entwickelt. Das war
schon zu diesem Zeitpunkt kein Lebensraum
mehr für Heidekraut, Birkhuhn oder
Grouse. Aus dem gleichen Jahr wird übrigens
berichtet, dass etwa 70 Personen
auf Flächen mit Baumanpflanzungen beschäftigt
waren, die im Jahr zuvor mit dem
Dampfpflug vorbereitet wurden. Mit der
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Schottisches Flugwild in Ostfriesland
135
Information, dass auch der Carl-Georgs-
Forst nach dem Aufkauf von weiteren Flächen
gewaltig vergrößert werden sollte, gab
der Zeitungsartikel eine zutreffende Prognose:
„Es wird nach einigen Jahren noch
so weit kommen, daß der westliche Teil des
früheren Amtes Friedeburg, wo man sonst
nichts weiter als Heide fand, fast vollständig
bewaldet ist.“ (Anonymus 1985).
Es gab also 1878 trotz intensiver Aufforstungen
noch Heidebereiche. Graf
Knyp hausen betonte ja noch 1891 in seiner
Veröffentlichung im „Waidmann“ selber,
dass er in seinem Revier den Grouse Ruhe
und Heideflächen bieten könnte. Aber der
Wandel wird sich schon sehr schnell vollzogen
haben; es war eine Veränderung der
Landschaft, wie wir sie auch in den letzten
Jahren kaum erlebt haben.
Heute gibt es im Landkreis Wittmund
3638 ha Wald und gerade im Friedeburger
Bereich befinden sich drei große Wälder,
die zur Naturbeobachtung und zu Spaziergängen
auffordern. Vielleicht begegnet
dem Naturfreund dabei eine andere nicht
heimische Tierart, die mit wesentlich mehr
Erfolg als das Schottische Moorschneehuhn
bei uns eingebürgert wurde: der
Damhirsch, dessen Heimat Kleinasien ist
(Abb. 4).
Es kann nicht schaden, wenn der moderne
Spaziergänger in unseren schönen
Wäldern über die historischen Fakten Bescheid
weiß: Sie lassen uns die tatsächlich
großen Veränderungen im heutigen Landschaftsbild
relativieren und gleichzeitig erkennen,
dass jede Veränderung in der Nutzung
einer Landschaft auch Auswirkungen
auf die Zusammensetzung der Tier- und
Pflanzenwelt hat.
Literatur
Anonymus (1982): Der Erste Dampfpflug
in Ostfriesland. – In: Friesische Heimat,
Beilage des Anzeigers für Harlingerland, 1;
Wittmund.
Anonymus (1985): Blicke in Zeitungen aus
früheren Tagen – Der Knyphauser Wald erhielt
seinen Namen. – In: Friesische Heimat,
Beilage des Anzeigers für Harlingerland, 13;
Wittmund.
Bungartz, J. (1900): Einbürgerungsversuche
fremder Hühnerrassen. – Ornithologische
Monatsschrift des Deutschen Vereins zum
Schutze der Vogelwelt, 25: 82 ff; Magdeburg.
Ellenberg, Heinz (1968): Wald- und Feldbau
im Knyphauser Wald, einer Heide-Aufforstung
in Ostfriesland. – In: Berichte der
Naturhistorischen Gesellschaft zu Hannover,
112: 17 – 90; Hannover.
Henninger, W.; Kappelhoff, B.; Schumacher,
H. (Hrsg.) (2005): Die große handgezeichnete
Campsche Karte von Ostfriesland von
1806. – Veröffentlichungen der Historischen
Kommission für Niedersachsen und Bremen.
– Sondereinband; Hannover.
Niethammer, G. (1963): Die Einbürgerung
von Säugetieren und Vögeln in Europa;
Hamburg und Berlin.
Seite „Moorhuhn (Spieleserie)“. In:
Wikipedia, Die freie Enzyklopädie.
Bearbeitungsstand: 21. Januar 2018,
14:26 UTC. URL: https://de.wikipedia.
org/w/index.php?title=Moorhuhn_
(Spieleserie)&oldid=173166990
Waidmann Nr. 3, XXV. Band (angegeben bei
Bungartz).
Arbeit eingereicht: 26.09.2018
Arbeit angenommen: 17.11.2018
Anschrift des Verfassers:
Burkhard Schäfer
Strooter Kampen 11
26446 Friedeburg
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
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Aufstellung des Schweden-Findlings am
Deisterkamm am 6. Mai 2018
Abb. 1 Der Schweden-Findling, aufgestellt am
Rande des Fastwegs in unmittelbarer Nähe zu
seinem Fundort. Über die Fertigstellung freuen
sich am Deister-Tag 2018 Prof. Dr. Klaus D. Jürgens
(l., 2. Vorsitzender der NGH), Dr. Annette Richter
(Niedersächsisches Landesmuseum Hannover) und
Dr. Wolfgang Irrlitz. – Foto: C. Huppert.
Bote aus der Eiszeit auf dem Deister
Ein aktueller Jahrhundertfund, der sogenannte
Schweden-Findling, ermöglicht
neue Aussagen und belegt, dass auch der
Deister, bisher als aus dem Gletscher herausragender
Höhenzug vermutet, offensichtlich
doch zeitweilig von Gletschereis
vollständig überlagert war (siehe: Schirmer,
Ole (2011): Neufunde von Eiszeit-Geschieben
auf dem Deisterkamm. In: Naturhistorica
– Berichte der Naturhistorischen
Gesellschaft Hannover, 153: 7–16; Hannover.).
Der Fund auf 365 m ü. NN, also nahe
dem Deisterkamm, ist ein erster Nachweis
dafür. Der Findling kann inzwischen als
Naturdenkmal im Deister besichtigt werden.
Die folgenden Bilder zeigen die Aufstellung
des Deister-Findlings und der Informationstafel
unweit vom Fundort.
Weitere Informationen über die Herkunft
des Findlings und seine Bedeutung
für die eiszeitliche Vergangenheit Norddeutschlands
gibt es unter
schwedenfindling.n-g-h.org
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Aufstellung des Schweden-Findlings am Deisterkamm am 6. Mai 2018
137
Abb. 2 In nur einigen 100 m Entfernung zum
Fundort konnte zusammen mit dem zuständigen
Forstamtsleiter ein Block aus Deister-Sandstein
ausgemacht werden, der als Basis für die Montage
des Findlings geeignet war. Die von der NGH vorangetriebene
Präsentation des Schweden-Findlings
für die Öffentlichkeit erwies sich als gar nicht so
einfach. Unter anderem waren naturschutzrechtliche
Belange des inzwischen zum Naturdenkmal
erklärten Steins zu berücksichtigen und die Finanzierung
zu klären. – Foto: F.-J. Harms.
Abb. 3 Vor der Montage des Findlings als
Denkmal sollte das genaue Gewicht des Steins
bestimmt werden. Dazu wurde er geborgen und
gründlich gereinigt. Bei der Gelegenheit bot sich
wieder ein Blick auf die Seite mit der glattpolierten
Fläche und den gut sichtbaren Gletscherschrammen
an. Zwei Waagen zeigten dann unabhängig
voneinander jeweils ein Gewicht von 100 kg an. –
Foto: F.-J. Harms.
Abb. 4 Die Tafel am Aufstellungsort, die den
Stein und seine außerordentliche Bedeutung kurz
erklärt. Foto: F.-J. Harms.
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138 Aufstellung des Schweden-Findlings am Deisterkamm am 6. Mai 2018
Abb. 5 Die von Mitgliedern der NGH gestaltete
Erläuterungstafel am Schweden-Findling. Unterstützt
wurde die von der NGH veranlasste Aufstellung
des Findlings und der Tafel durch die Bingo
Umweltstiftung Niedersachsen, die Niedersächsischen
Landesforsten und das Forstamt Saupark.
Abb. 6 Der Schweden-Findling ist ein Naturdenkmal.
Er durfte daher für die Montage auf dem
Sandstein-Sockel nicht angebohrt werden. Stattdessen
halten vier Edelstahl-Klammern den Stein in
Position und ermöglichen zugleich, ihn von allen
Seiten zu betrachten. – Foto: F.-J. Harms.
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Ein Idyll in der (Groß)stadt.
„1001 Rosenblüte in einem Stadtgarten in
Ricklingen“
2. und 30. Juni 2018. Mit zahlreichen Rosenportraits,
Hinweisen zum Rosenkauf und Pflegetipps
Dieter Schulz
Exkursionsbericht: 1001 Rosenblüte
in einem Stadtgarten in Ricklingen
Abb. 1 Kletterrose Bobbie James, Züchter
Sunningdale Nurseries 1961
Eigentlich war diese Exkursion auf den
30. Juni festgelegt, musste aber 3 Wochen
vorverlegt werden auf den 2. Juni 2018, da
die Rosenblüte bereits zu diesem frühen
Zeitpunkt sehr weit fortgeschritten war.
Die Teilnehmer waren begeistert von der
Fülle und Vielfältigkeit der Rosen in diesem
Garten. Gigantische Kletterrosen,
wachsen bis in hohe Bäume (bis 12 m),
z. B. Bobbie James, Lykkefund, Kiftsgate,
Rosa multiflora. Letztere dient bei 80 %
der Rosen als Veredlungs-Unterlage und
gilt als eine der wichtigsten Ausgangs-Rose
für Züchtungen. An Rosenbögen und
Obelisken ergab sich ein buntes Bild zusammen
mit großen und kleinen Strauchrosen
(z. B. Golden Gate, Postillion,
Mozart), Beetrosen (Friesia, Lions-Rose)
und Edelrosen (Ambiente, Nostalgie),
Englischen Rosen (Gertrude Jeckyll), Bodendecker-
und Zwergrosen (Heidetraum,
Bad Birnbach u. a.). Von einmalblühenden
bis zu Dauerblühern war alles vorhanden,
in allen Farben bis auf Schwarz und Blau,
mit sehr starkem oder zartem Wildrosenduft
bis duftlos.
Sicherlich waren es viele Rosen, die demonstriert
werden konnten, obwohl nur 85
Sorten im Garten vorhanden sind. Um die
Erinnerungen aufzufrischen, werden noch
einmal die wichtigsten Rosenklassen mit
jeweils wenigen Rosen-Beispielen in Text
und Bild zusammengefasst. Fragen wie:
„Was heißt gefüllt? Welche Rose blüht nur
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
140 Dieter Schulz
einmal, welche öfter, welche ist ein Dauerblüher?
Wer hat die vorgestellten Rosen
gezüchtet?“ werden im Text beantwortet.
Im Anschluss daran folgen noch wichtige
Bemerkungen zu Kauf, Rosen pflanzen,
Schädlingsbekämpfung, Schnitt, Düngung,
Wintervorbereitungen, Duft, Blütenfüllung,
Rambler und Climber, ADR-
Rosen.
Die Unterschiede zwischen den Rosen-
Klassen verschwimmen immer mehr. Das
hängt damit zusammen, dass die Rosenzüchter
immer neue Rosensorten auf den
Markt bringen, die z. B. Merkmale von
verschiedenen Rosenklassen aufweisen.
Alte Einteilungen in Klassen werden hier
vermieden und nur die heute wichtigen genannt,
die auch für den Laien auf Anhieb
zu erkennen sind oder sich von selbst erklären:
Abb. 2 Kletterrose Venusta pendula mit Honigbiene,
alte Sorte, 1928 von Kordes wieder eingeführt
Kletterrosen (Abb. 1 – 3)
Abb. 1 Bobbie James (Züchter Sunningdale
Nurseries 1961) blüht nur einmal,
aber mit großer Blütenfülle. Die einfachen
Blüten sind cremeweiß und besitzen
5 Blütenblätter wie es sich für ein Rosengewächs
(Rosaceae) gehört, mit vielen gelben
Staubblättern. Diese Rose ist ein sehr
eifriger Kletterer und schafft es in Bäumen
bis zu 12 m Höhe. Den Blüten entströmt
ein zarter Wildrosenduft (*). Das oder die
Sternchen in Klammern folgen der im Anhang
vorgestellten Duftskala.
Abb. 2 Venusta pendula ist ebenfalls einmalblühend
mit weißen einfachen bis halb
gefüllten Blüten, die rosa überhaucht und
duftlos sind. Der Züchter ist unbekannt.
Kordes hat diese Sorte 1928 wieder eingeführt.
Sie blüht vor Bobbie James. Ein Rosenbogen
mit Venusta pendula und Bobbie
James wirkt ausgesprochen schön und verlängert
die Blütezeit des Bogens deutlich.
Ganz kurz nach der Blüte von Venusta
Abb. 3 Kletterrose Amadeus, Züchter Kordes 2001
pendula oder auch schon mal gegen Ende
der Venusta-Blüte setzt die von Bobbie
James ein – ein aparter Anblick.
Abb. 3 Die Kletterrose Amadeus (Züchter
Kordes 2001) mit ihren samtroten gefüllten
Blüten ist öfterblühend und eine
Augenweide an jedem Rosenbogen, im
Obelisken oder am Rosenpavillon. Ihre
Blüten sind ausgesprochen langlebig (2 – 3
Wochen) Sie duften angenehm (***). Alle
drei genannten Kletterrosen sind sog.
Rambler (Erklärung s. u.).
Strauchrosen
Von Ihnen gibt es eine geradezu unüberschaubare
Menge von Sorten, einige wenige
sollen vorgestellt werden. Manche werden
von verschiedenen Autoren auch als
Kletterrosen geführt:
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Exkursionsbericht: 1001 Rosenblüte in einem Stadtgarten in Ricklingen
141
Abb. 4 Strauchrose Rosa rugosa mit Hummeln,
ADR-Rose (nur die Sorten Pierette Tantau 1990;
und Foxi Tantau 1989)
Abb. 5 Strauchrose Mozart, Züchter Lambert 1937
Abb. 6 Strauchrose Mozart mit Biene,
Züchter Lambert 1937
Abb. 7 Strauchrose Schloss Eutin,
Züchter Kordes 2005
Abb. 4 Rosa rugosa ist eine alte
Strauchrose und ein Dauerblüher. Sie hat
einen intensiven Duft (****) und ist ursprünglich
aus Ostasien zu uns gekommen.
Sie besitzt noch deutliche Anklänge an die
Wildform. Sie wird Kartoffelrose, manchmal
auch nach ihrem Anbaugebiet z. B.
Syltrose genannt. Die Sorten Foxi (Tantau
1989) und Pierette (Tantau 1990) sind
ADR-Rosen (Erläuterung am Schluss des
Textes). Die Blütenblätter der Rugosa-Rosen
und die einiger anderer Rosen werden
zur Herstellung von Rosenwasser, Rosen-
Eis oder Rosensirup genutzt. Sie gibt es
mittlerweile weiß-, rosa-, rot- und violettblütig.
Sie eignet sich gut für Heckenpflanzungen
und kann auch mit der Heckenschere
geschnitten werden.
Tipp: Hüten Sie sich vor der intensiven
Bestachelung. Mit ihren unterschiedlich
langen Stacheln (die kurzen, dünnen sind
die Schlimmsten) ist diese Rose sehr wehrhaft.
Die kleinen Stacheln, die man zunächst
nicht merkt, setzen sich in der Haut
fest und können gelegentlich zu geringfügigen
lokalen Entzündungen führen. Also
- unbedingt Handschuhe tragen, wenn Sie
diese Rosen einpflanzen oder beschneiden
wollen.
Abb. 5 und 6 Mozart (Züchter Lambert
1937). Sie wächst zu einem großen Strauch
heran und kann leicht 3 m Höhe erreichen.
Sie ist einmalblühend, zeigt aber eine überbordende
Bütenfülle. Ihre kleinen duftlosen
roten Blüten mit weißem Auge, stehen
in Rispen dicht an dicht. Es lohnt sich,
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142 Dieter Schulz
Abb. 8 Strauchrose Centenaire de Lourdes,
Züchter Delbard-Charbert 1958
Abb. 9 Strauchrose Angela, ADR-Rose,
Züchter Kordes 1984
Abb. 10 Strauchrose Windrose, ADR-Rose,
Züchter Noack 1995
Abb. 11 Kleinstrauchrose Aspirin-Rose, ADR-Rose,
Züchter Tantau 1997
die oftmals sehr langen Triebe mit einem
Holzgestell zu unterstützen, dann wirken
die überhängenden Triebe mit den in Massen
auftretenden Blüten wie ein rotweißer
Wasserfall – ein wahrer Hingucker! Die
Blüten stehen sehr lange am Strauch und
diese Rose hat eine gute Nachblüte, allerdings
nur, wenn Sie die alten abgeblühten
Rosenblüten regelmäßig abschneiden.
Abb. 7 Schloss Eutin (Züchter Kordes
2005). Ihre Blüten sind edelrosenartig,
weißlich bis apricotfarben mit dunklerer
Mitte. Sie blüht öfter im Jahr und ist gefüllt.
Sie wird bis zu 100 cm hoch. Zusammen
mit Ambiente und Eifelzauber bildet
sie ein bezauberndes Ensemble. Duft gut
(**).
Abb. 8 Centenaire de Lourdes (Züchter
Delbard-Charbert 1958). Ihre Blüten sind
gefüllt, groß und leuchtend Pink. Sie ist öfterblühend.
Ihre Triebe sind nicht besonders
stark und brauchen daher gelegentlich
eine Stütze. Sie hat einen guten Duft (**).
Höhe bis etwa 120 cm.
Abb. 9 Angela, ADR-Rose (Züchter
Kordes 1984). Sie blüht öfter im Jahr
und hat mittelgroße, kräftig rosafarbene,
becherförmige, halbgefüllte Blüten. Eine
Rose, die auch mit Halbschatten auskommt
und willig regelmäßig blüht. Ohne
Duft. Höhe ca. 120 cm. (Der Name stammt
nicht von unserer derzeitigen Kanzlerin!)
Abb. 10 Windrose, ADR-Rose (Züchter
Noack 1995). Ihre Blüten sind hellrosa und
schwach bis halbgefüllt, mit zartem Duft
(*). Sie ist öfterblühend, ihre Höhe wird
mit 120 cm angegeben.
Abb. 11 Aspirin-Rose, ADR-Rose
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Exkursionsbericht: 1001 Rosenblüte in einem Stadtgarten in Ricklingen
143
Abb. 12 Kleinstrauchrose Escimo, ADR-Rose,
Züchter Kordes 2006
Abb. 13 Beetrose Friesia, Züchter Kordes 1973
Abb. 14 Beetrose Lions-Rose, ADR-Rose,
Züchter Kordes 2002
Abb. 15 Edelrose Ambiente, Züchter Noack 2001
(Züchter Tantau 1997). Sie hat weiße gefüllte
Blüten, die nach Innen rosa überhaucht
sind, sie ist öfterblühend mit
schwachem Duft (*). Sie blüht zuverlässig
und nahezu ununterbrochen bis in
den Herbst hinein. Die Blüten stehen in
Scheindolden eng beieinander. Die nächsten
Knospen stehen dicht unterhalb der
Scheindolde bereit – also unbedingt die alten
Blüten wegschneiden, damit die neuen
Knospen Luft und Licht bekommen.
Höhe ca. 80 cm.
Kleinstrauchrosen
Abb. 12 Escimo, ADR-Rose (Züchter
Kordes 2006). Sie hat einfache, leuchtend
reinweiße Blüten mit einer Vielzahl
gelber Staubgefäße, die einen zarten
Wildrosenduft (*) verströmen. Sie ist öfterblühend.
Die Wuchshöhe wird mit 120
cm angegeben. Diese Rose ist ein gutes
Beispiel für eine fragwürdige Einordnung
in die Rosenklasse der Kleinstrauchrosen
(vgl. Abb. 11 und Text dazu).
Beetrosen
Abb. 13 Friesia (Züchter Kordes 1973)
hat sattgelbe, große, gefüllte Blüten mit
angenehm starkem Duft (****) sie ist öfterblühend
und wirkt am besten mit mehreren
zusammen, daher ist es auch eine Beetrose.
Sie erreicht Höhen von 60 bis 80 cm.
Abb. 14 Die Lions-Rose, ADR-Rose
(Züchter Kordes 2002) ist öfterblühend,
Ihre Blüten sind stark gefüllt,
groß und haben einen cremefarbigen bis
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
144 Dieter Schulz
pfirsichfarbenen Ton. Sie wird bis zu 110
cm hoch, eine schöne und zuverlässige
Beetrose, die auch als Solitärrose gut zur
Geltung kommt. Die Blüten duften nicht.
Edelrosen
Abb. 15 Ambiente (Züchter Noack
2001) hat große, weiße, nach innen gelblich
werdende Blüten, die stark gefüllt sind
und sehr angenehm duften (**). Sie ist öfterblühend
und will genügend Licht, aber
keinen zu heißen Standort, also nicht in
die Nähe einer weißen Hauswand, die
nach Süden weist, pflanzen. Sie verträgt
auch Halbschatten. Die Höhe wird mit 60
bis 80 cm angegeben. Pflegeleichte Edelrosen
lassen sich an zwei Händen abzählen.
Diese gehört dazu! Auch als Schnittrose zu
verwenden, da die Blüten oft einzeln am
Ende eines Triebes stehen – wenn Sie denn
wirklich die Rosen abschneiden wollen.
Abb. 16 Nostalgie (Züchter Tantau
1996) ist mit ihren großen, gefüllten Blüten,
deren äußere Blütenblätter kirschrot
leuchten, die sich nach innen in cremeweiße,
mit rotem Rand versehene Kronblätter
verändern, eine wahre Königin unter den
Rosen. Sie ist öfterblühend, ihr Duft ist intensiv
und berauschend (****). Diese Rose
ist ein Ergebnis hoher Züchtungskunst.
Auch als Schnittrose geeignet.
Abb. 16 Edelrose Nostalgie, Züchter Tantau 1996
Rosenensemble
Abb. 17 und 18 – Das Rosenensemble
mit Angela (ADR), Lions-Rose (ADR),
Escimo (ADR), Bonica (ADR) und Rosario
ist eine Farbsinfonie in rosa und weiß
mit dezenten Zwischentönen.
Wichtige Hinweise
Rosenkauf – worauf sollte man achten
Kaufen Sie möglichst nur sog. Container-Rosen,
die bereits Feinwurzeln in
den Töpfen (Containern) ausgebildet haben
und deshalb bedenkenlos sofort nach
Kauf in den frostfreien Boden eingepflanzt
werden können. Sie bekommen sie fast
Abb. 17 Rosenensemble mit Angela, (ADR-Rose),
Lions-Rose (ADR-Rose), Escimo (ADR-Rose) Bonica
(ADR-Rose), Rosario
Abb. 18 Rosenensemble mit Angela (ADR-Rose),
Lions-Rose (ADR-Rose), Escimo (ADR-Rose), Bonica
(ADR-Rose), Rosario
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Exkursionsbericht: 1001 Rosenblüte in einem Stadtgarten in Ricklingen
145
das ganze Jahr über. Vermeiden Sie wurzelnackte
Pflanzen, sie machen größere
Schwierigkeiten, wenn man sich nicht
ganz genau nach der Pflanzanleitung richtet.
Kaufen Sie Rosen nur, wenn Sie bereits
die Blütenfarbe erkennen können. Eine
Blüte sollte voll aufgeblüht sein! Achten
Sie auch auf die Farbe der Knospen, die
oft nicht die Farbe der offenen Blüte widerspiegeln.
Die Farbe auf den anhängenden
Schildchen stimmt meist nicht mit der
echten Blütenfarbe überein, vor allen Dingen,
wenn das Schild bereits längere Zeit
der Sonne ausgesetzt war.
Achten Sie beim Kauf besonders auf Resistenzen
gegen Sternrußtau und Frosthärte
der Rose. Normalerweise wird das mit
der entsprechenden Anzahl von Sternchen
auf der Rückseite des anhängenden
Schildes vermerkt, auf dem auch Standort,
Blütezeit und Größenangaben angegeben
werden. Als Faustregel kann gelten: Rosen
mit festen, dunkleren, glänzenden Blättern
sind in der Regel resístenter gegen Sternrußtau
und tiefe Temperaturen, als solche
mit heller grünen und weichen Blättern.
Zu weiteren Schädlingen verweise ich auf
entsprechende Literatur.
Kaufen Sie nur beim Fachhändler (oder
beim Züchter direkt), in Hannover z. B.
bei „Glende Pflanzenparadies GmbH“ in
Hemmingen, im „Historische Rosengärten“,
ebenfalls in Hemmingen, ca. 800 m
vor Glende, bei Rosen Kroppen in Isernhagen
oder in einem anderen Geschäft Ihrer
Wahl – nicht aber im Baumarkt! Meist
sind Rosen im Fachhandel sogar preisgünstiger,
als in Baumärkten.
Das Pflanzen der Rosen
Die beste Zeit für das Pflanzen von Rosen
ist der Herbst. Dann haben die Rosen
bis zum eintretenden Frost noch ausreichend
Zeit sich in den Boden einzuwurzeln
und das verspricht im Frühjahr einen
guten Blütenansatz (Tipp Container-Rosen
gilt trotzdem).
Schädlingsbekämpfung
Empfindliche Rosen (auf dem Etikett
bei Frosthärte und Sternrußtau nur jeweils
1 bis 2 Sternchen) müssen Sie im Frühjahr
während des Blattaustriebs mit einem Mittel
gegen Sternrußtau spritzen, am besten
dreimal, jeweils im Abstand von einer Woche
(hier ist Baumarkt erlaubt, manchmal
ist es dort etwas preiswerter als im Fachhandel).
Wenn Sie nicht wissen, ob die in
Ihrem Garten bereits vorhandenen Rosen
empfindlich sind oder nicht, sollten Sie alle
Rosen dieser Prozedur unterziehen. Bei
anderen Krankheiten kaufen Sie sich ein
Buch über Rosen in dem auch dieses Kapitel
enthalten ist.
Schnitt der Rosen
Der eigentliche Rückschnitt erfolgt im
Frühjahr (Faustregel: wenn die Forsythien
blühen), vor dem Schwellen der Knospen
trockene und zurückgefrorene Triebe wegschneiden.
Grundsätzlich gilt: starke Triebe
weniger zurückschneiden als schwache.
Sie können kräftig zurückschneiden, bei
Strauch-, Beet- und Edelrosen ruhig bis
auf einen Rest von 30 bis 50 cm über dem
Boden, 3 bis 4 Augen (Triebknospen) sollten
erhalten bleiben. Dabei sollte darauf
geachtet werden, dass die kräftigen Triebe
(Augen) möglichst nach außen weisen. Die
Triebe werden dann mit einer scharfen (!)
Schere etwa ½ cm oberhalb des entsprechenden
Auges (Triebknospe) mit einem
glatten Schnitt gekürzt.
Kletterrosen werden normalerweise
nicht zurückgeschnitten, es sei denn, sie
werden Ihnen zu hoch oder beglücken den
Nachbarn mit Ihrer Blütenpracht. Hier
schneiden Sie nur trockene und braun
gewordene Triebe heraus. Nach einigen
Standjahren sollten Sie auslichten. Zum
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
146 Dieter Schulz
Schnitt gibt es verschiedene Anleitungen,
die nur wenig voneinander abweichen.
Auch dieses Kapitel ist in jedem seriösen
Rosenbuch vorhanden.
Düngung
Düngung der Rosen ist notwendig, wenn
sie einen üppigen Blütenflor lieben und
sich nicht nur mit einigen wenigen Blüten
am Strauch zufrieden geben. Man düngt
während des Blattaustriebs (ab März). Zu
empfehlen ist Langzeitdünger (für 6 Monate),
Sie sparen damit auch Zeit. Wählen
sie Dünger, der granuliert ist (kleine, perlengroße
Kügelchen), er lässt sich besser
dosieren, man erkennt das, wenn man die
Packung schüttelt. Weitere Dünge-Maßnahmen
ebenfalls in entsprechenden Rosenbüchern
nachlesen.
Rosen für den Winter vorbereiten
Vor dem ersten Frosteinbruch sollten die
Rosen mit Erde und/oder Rosenmulch angehäufelt
werden, bei sehr starkem Frost
mit Nadelbaumzweigen zusätzlich abdecken.
Noch etwas am Rande
Zum Duft der Rosen
(Skala nach Prof. Dr. J. Sieber) –
auch hier im Text verwendet:
* leicht
** reichlich
*** intensiv
**** sehr intensiv
***** überragend
Grad der Füllung von Rosenblüten
• Einfache (flache) 5-zählige Blüten –
ohne Füllung (bis zu 100 Staubgefäße)
• Halbgefüllte Blüten – mit 10 bis 19 Blütenblättern
– immer noch viele Staubgefäße
vorhanden
• Gefüllte Blüten – mit 20 bis 39 Blütenblättern,
eine geringere Anzahl von
Staubgefäßen ist noch vorhanden
• stark gefüllte Blüten – mit 40 und mehr
Blütenblättern, keine Staubblätter mehr
vorhanden
• In Quadranten geteilte Blüten – stärkste
Füllung, natürlich sind hier ebenfalls
keine Staubblätter mehr vorhanden
Generell gilt: Die vermehrte Anzahl von
Blütenblättern (Petalen) resultiert aus der
Umwandlung von Staubblättern in Kronblätter.
Diese Rosen, so schön sie anzusehen
sind, nützen den Honigbienen, Wildbienen
und anderen Insekten nicht!
Rambler und Climber
Bei Kletterrosen werden Rambler und
Climber unterschieden (es gibt wohl keine
aussagekräftige deutsche Übersetzung,
die die englischen Begriffe mit einem Wort
benennt).
Rambler:
blühen in reichen Büscheln kleiner Blüten
und bilden weiche, biegsame Triebe. Zu
Anfang müssen sie geleitet werden, danach
haken sie sich in Sträuchern und Bäumen
fest. Die klassischen Rambler-Rosen blühen
nur einmal im Jahr, dafür aber sehr
üppig und mehrere Wochen lang. Sie erreichen
bis zu 5 m Höhe, einige Giganten
unter ihnen klettern bis zu 10 und auch
15 m in die Höhe (s. o.).
Climber:
Gegenüber den Ramblern haben die Climber
größere Blüten meist in Dolden, ihr
Wuchs ist steif aufrecht mit starken Trieben.
Die meisten aktuellen Sorten sind öfterblühend.
Sie erreichen normalerweise
Höhen von 3 bis 5 m. Auch hier gibt es
Ausnahmen, die höher werden oder 3 bis
5 m nicht erreichen.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Exkursionsbericht: 1001 Rosenblüte in einem Stadtgarten in Ricklingen
147
Was ist eine ADR-Rose?
ADR – Allgemeine Deutsche
Rosenneuheitenprüfung
Seit etwa 60 Jahren gibt es dieses „Prüf-
Instrument“. Heute ist die ADR ein Arbeitskreis
aus Vertretern des Bundes Deutscher
Baumschulen (BdB), Rosenzüchtern
und den unabhängigen Prüfungsgärten.
Sichtungsergebnisse der ADR-Prüfung
werden vom Bundessortenamt ausgewertet
und jährlich auf einer gemeinsamen Tagung
diskutiert.
• Bewertung: Die Konzeption der ADR-
Prüfung passt sich gewandelten Ansprüchen
an. An 11 Standorten werden die
Eigenschaften der Neuheiten anhand
von Merkmalen wie Widerstandsfähigkeit,
Winterhärte, Reichblütigkeit, Wirkung
der Blüte, Duft oder Wuchsform
über drei Jahre bewertet.
• Gesundheit: Von höchstem Wert ist die
Widerstandfähigkeit gegen Krankheiten
und Schädlinge. Die ADR-Prüfsorten
wachsen ohne Einsatz von Pflanzenschutzmitteln,
um Gesundheit und
Zierwert der Neuheiten anhand ihrer
natürlichen Eigenschaften beurteilen
zu können. Nach erreichter Mindestpunktzahl
(80 Punkte von 100) wird das
ADR-Zeichen verliehen. Ein ADR-Zeichen
kann aber auch wieder aberkannt
werden, wenn die Rose nach einer Reihe
von Jahren ihre guten Eigenschaften,
z. B. Gesundheit, verliert. Über 30 Sorten
wurden aus der früheren Liste gestrichen.
Viel Spaß mit Rosen – wichtig ist, nicht
ungeduldig werden. Wir waren am Anfang
allerdings auch ungeduldig.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
148
Exkursion „Geest, Marsch, Watt und Meer –
Nordsee, Weser und Elbe bei Cuxhaven“
15. – 17. Juni 2018
Klaus D. Jürgens
Exkursionsbericht: Geest, Marsch, Watt und
Meer – Nordsee, Weser und Elbe bei Cuxhaven
Abb. 1 Blick vom Imsumer Ochsenturm auf
Wattenmeer, Deichvorland, Deich, Marsch und
am Horizont den Geestrücken
Vom 15. bis 17. Juni 2018 fand mit 41
Teilnehmern unter Führung von Prof.
Dr. Hansjörg Küster und organisatorisch
unterstützt von Dr. Dieter Schulz eine
NGH-Exkursion an die Nordseeküste
zwischen Weser- und Elbmündung statt.
Das besuchte Gebiet erstreckt sich von
Bremerhaven, unserem Übernachtungsort,
über Imsum, Mulsum und Dorum im
Land Wursten sowie Cuxhaven mit seinen
Ortsteilen Sahlenburg und Duhnen bis
nach Otterndorf an der Elbe.
Die geologische Besonderheit dieses
Bereichs besteht darin, dass ein eiszeitlich
entstandener Geestrücken, der hier
Nord-Süd-Richtung aufweist und bis an
die Nordseeküste reicht, sich abgrenzt von
einem Marschgebiet, das sich entlang der
Nordseeküste erstreckt. Die sandige Altenwalder
Geest ist als Endmoräne während
der Lamstedter Phase im Warthe-Stadium
der Saale-Kaltzeit vor etwa 160 000 Jahren
entstanden. Ihr nördlichster Punkt bei
Sahlenburg ist eine von 3 Stellen, die noch
mit dem ursprünglichen Küstenverlauf der
aus dem Eem-Meer hervorgegangenen
Nordsee identisch sind. Der übrige heutige
Küstenverlauf ist das Ergebnis der Bildung
von Marschgebieten, die aus Ablagerungen
im Wattenmeer entstanden sind, und der
sich im Laufe der Zeit durch tidenbedingte
Strömungen, Sturmfluten und Deichbaumaßnahmen
ständig verändert hat und
immer noch verändert.
Deutlich sind die Höhenunterschiede
zwischen Geest und Marsch zu sehen
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Exkursionsbericht: Geest, Marsch, Watt und Meer – Nordsee, Weser und Elbe bei Cuxhaven
149
und charakteristisch sind auch die Unterschiede
in der Vegetation. Auf der Geest
(abgeleitet vom friesischen Wort „güst“ =
unfruchtbar, karg) sind die Böden von Natur
aus nährstoffarm und erst durch Düngung
landwirtschaftlich nutzbar gemacht
worden. Typisch sind Wallhecken, die die
einzelnen Felder (Koppeln) voneinander
abgrenzen. Die Marsch (niederdeutsch für
Weideland), entstanden durch Sedimentation
der im Wasser enthaltenen Schwebstoffe
und Mineralien, ist dagegen sehr
fruchtbar und nährstoffreich. Sie wird von
einem Grabensystem (Grüppen) durchzogen,
das die Entwässerung des Gebiets
über Siele in die Nordsee sichert.
Freitag, 15.6.2018
Am Freitag ging unsere Reise mit dem
Bus von Hannover über Bremerhaven zunächst
nach Sahlenburg. Am dortigen
Sandstrand erläuterte Prof. Küster die
mit Ebbe und Flut einhergehenden Prozesse.
Er wies besonders auf die auf dem
Sand- bzw. Schlickwatt der See befindliche
Schicht von Kieselalgen hin (Abb. 2), die
in der Lage sind, Wasser zu speichern und
so dem Boden ein feuchtes Aussehen verleihen.
Diese Diatomeen sind sehr stoffwechselaktiv
und erzeugen durch Fotosynthese
unter CO 2
-Verbrauch Sauerstoff und
organisches Material. Die jährliche Produktivität
dieses Ökosystems in Gramm
pro m 2 Bodenfläche ist höher als die des
tropischen Regenwaldes, hat aber auf der
Erde wegen des relativ kleinen Flächenanteils
nur eine geringe Bedeutung verglichen
mit dem offenen Meer und den tropischen
Regenwäldern.
Nach einem Besuch des Wattenmeer-
Besucherzentrums, in dem man Informationen
über die Beschaffenheit sowie die
Tier- und Pflanzenwelt des Wattenmeeres
erhält, führte unser Weg entlang eines
mit (zwar nichtheimischen aber den Sandboden
festigenden und vor Verwehungen
schützenden) Kartoffelrosen (Rosa rugosa)
gesäumten Weges in die nahegelegene
Duhner Heide. Diese ca. 500 × 400 m 2
große Landschaft ist einzigartig an der gesamten
Nordseeküste (Abb. 3). Das hügelige
Dünengebiet ist vor allem bedeckt mit
Besenheide (Calluna vulgaris). Auch Krähenbeere
(Empetrum nigrum), Glockenheide
(Erica tetralix) und Ginster (Genista
Abb. 2 Die Schaumbildung auf dem Watt von
Sahlenburg entsteht bei der Überflutung der
Kieselalgenschicht. Die organischen Algenprodukte
lagern sich auf der Oberfläche von Luftbläschen an
Abb. 3 Die Duhner Heide grenzt direkt an die
Nordsee
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
150 Klaus D. Jürgens
Abb. 5 Die Marienkirche von Mulsum steht auf
dem höchsten Punkt der Wurt
Abb. 4 Der Ochsenturm von Imsum ist der Rest
einer ehemaligen Kirche und dient als Aussichtsturm
pilosa) wachsen hier. Vereinzelt sieht man
Sandglöckchen ( Jasione montana). In einer
moorigen Senke kommen Wollgras
(Eriophorum angustifolium) und Sonnentau
(Drosera rotundifolia) vor. Ein störender
Neophyt ist die Späte Traubenkirsche
(Prunus serotina), die sich offenbar unaufhaltsam
breit macht.
Samstag, 16.5.2018
Am Samstag ging die Reise ins Marschgebiet.
Nicht sofort auffallend sind hier die
zahlreichen kleinen Hügel in der Landschaft,
die Wurten. Erst der Hinweis Prof.
Küsters, dass hierzu der „norddeutsche
Blick“ nötig sei, schärfte dafür die Sinne.
In den Anfängen der Besiedlung der
Marsch, beginnend schon in der Zeit um
Christi Geburt, wurden Häuser auf diesen
Erdhügeln gebaut, die bei Sturmfluten
der Nordsee nicht überflutet wurden,
während das umgebende Land hin und
wieder überschwemmt wurde. Viele Wurten
(andernorts auch Warften genannt)
sind seit langem verlassen, auf anderen haben
sich größere Ansiedlungen gebildet.
Der Name dieses Gebiets „Land Wursten“
ist abgeleitet vom niederdeutschen
Namen „Wurtsassen“ oder „Wursaten“ für
die Wurtbewohner. Hauptsächlich wegen
der Fruchtbarkeit der Marsch gingen die
dort ansässigen Bauern im Mittelalter dazu
über, Deiche zu bauen, um das Land ganzjährig
vor Überflutungen zu bewahren und
die Sicherheit der Bewohner zu erhöhen.
Da sich im Deichvorland durch die Ablagerungen
von Sand und Schlick und dessen
Festigung durch das Wachsen salzwasserresistenter
Pflanzen wie dem Queller
(Salicornia europaea) ständig neues Land
bildete, wurden die Deiche im Laufe der
Jahrhunderte mehrmals weiter zur Seeseite
verlegt. Das neu gewonnene Land wurde
durch Gräben entwässert und das Wasser
durch Siele in den Deichen abgeleitet.
Dadurch senkte sich das Land etwas ab, so
dass binnendeichs das Land tiefer liegt als
außendeichs. Auf den Resten der ehemaligen
Deiche verlaufen heute oftmals Straßen.
Unsere Fahrt führte zunächst nach Imsum,
einer kleinen Siedlung an der Wesermündung.
Dort befindet sich der besteigbare
Ochsenturm, ein Relikt der 1895
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Exkursionsbericht: Geest, Marsch, Watt und Meer – Nordsee, Weser und Elbe bei Cuxhaven
151
Abb. 6 Der Sielhafen von Dorum-Neufeld mit
seinen Krabbenkuttern
Abb. 7 Blick in die St.-Urbanus-Kirche in Dorum
abgebrochenen Bartholomäus-Kirche, von
dem man meerseitig einen schönen Ausblick
über die Weser und das Watt bis nach
Butjadingen hat und landseitig die Marsch
bis zum Geestrücken überblickt (Abb. 1
und 4). Dort wachsen relativ viele Eschen
(Fraxinus excelsior). Neben der Bedeutung
als Holzlieferant wurden Eschen früher
„geschneitelt“, d.h. junge Äste wurden abgetrennt
und getrocknet und als Laubheu
im Winter an das Vieh verfüttert. Trotz regelmäßiger
Beschneidung treibt die Esche
immer wieder aus, lebt also scheinbar immer
weiter, und wurde deshalb als ein Symbol
für das ewige Leben verehrt. Das verdeutlicht
auch die Darstellung von Eschen
auf einem Relief, das man auf einem Grabstein
des Imsumer Friedhofs findet. Eine
besondere mythologische Bedeutung hat
dieser Baum als Weltenesche Yggdrasil in
der Edda.
Die nächste Unternehmung war ein
Fußmarsch zu einer seit 500 Jahren verlassenen
Wurt, der „Feddersen Wierde“.
Bedeutung erlangte sie durch Grabungen,
die dort zwischen 1954 und 1963 durchgeführt
wurden und die viele Erkenntnisse
über die Lebensweise und die Ernährung
der Wurtbewohner während unterschiedlicher
Zeiten erbrachten.
Anschließend führte die Reise zur evangelischen
St.-Marien-Kirche von Mulsum
(Abb. 5). Die Kirche steht auf dem höchsten
Punkt der ehemaligen Wurt und wurde
im 13. Jahrhundert aus Feldsteinen erbaut.
Der Turm entstand später und ist
aus Ziegeln gemauert. Die Kanzel stammt
aus gotischer Zeit, das Taufbecken wurde
im 14. Jahrhundert aus Blei gegossen
und der wertvolle Flügelaltar ist von 1430.
Nicht nur die Ausstattung ist Zeichen des
Reichtums der Marschbauern, sondern der
gesamte Bau, denn Steine gab es in der
Marsch nicht und auch Holz wuchs nicht
ausreichend vorort, alles musste aus der
Geest herbeigeschafft werden.
Weiter ging es nach Dorum-Neufeld, einem
Sielhafen, in dem einige Krabbenkutter
angelegt hatten (Abb. 6). Die Funktion
von Sieltoren, die sich gezeitengesteuert
automatisch öffnen und schließen, wurde
erklärt, und dass modernere Siele auch über
Pumpen verfügen, die früher über Windmühlen
und heute durch Diesel- oder
Elektromotoren angetrieben werden. Der
Hafen ist stark auf Tourismus ausgerichtet,
u. a. mit einem Süßwasserschwimmbad,
Campingplatz und vielen Imbissbuden im
Außendeichbereich. Gut zu sehen war hier
die durch unterschiedliche Erwärmung
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
152 Klaus D. Jürgens
von Wasser und Festland entstehende
Wolkenbildung über dem Festland und zu
spüren der tagsüber vom Wasser her (auflandig)
wehende Wind, der hilft, die vielen
an der Küste errichteten Windkraftanlagen
anzutreiben. Nachts weht dann ein ablandiger
Wind.
Ein Besuch des Deichbaumuseums
in Dorum schloss sich an, in dem u. a.
die Veränderungen der Küste durch den
Deichbau, der Aufbau von Deichen und
alte Requisiten zum Deichbau gezeigt und
erklärt werden. Danach wurde die St.-Urbanus-Kirche
in Dorum besichtigt (Abb.
7). Sie ist zum Teil aus Granitsteinen, zum
Teil aus Backsteinen gebaut. Besonderheiten
sind die spätgotischen Malereien in
der Decke des Chorgewölbes, der prächtige
Altaraufsatz und die hölzerne Kanzel
mit ihren 17 geschnitzten Bildreliefs sowie
ein turmartiges Sakramentshäuschen
aus Kalkstein, das aus dem 16. Jahrhundert
stammt.
Den Abschluss des Tages bildete der Besuch
des Brockes-(gesprochen Brooks)-
Waldes bei Cuxhaven. Dieser für diese Gegend
untypische Buchenwald wurde vom
Amtmann Barthold Heinrich Brockes
Ende des 18. Jahrhunderts als parkähnliche
Anlage gestaltet. Brockes hat in Gedichten
diese Anlage beschrieben und Anleitungen
zur Naturbeobachtung gegeben. Inmitten
des Waldes befindet sich ein nicht mehr
gepflegter jüdischer Friedhof.
Sonntag, 17.6.2018
Der letzte Tag der Exkursion führte zunächst
an die Elbmündung bei Müggendorf,
einem Ortsteil von Otterndorf, unweit
von Cuxhaven. An dieser Stelle des
Elb-Ästuars (dem von Ebbe und Flut beeinflussten
Mündungstrichter der Elbe)
trifft der Fluss in seinem mäandrierenden
Verlauf auf einen Prallhang, der sehr nahe
Abb. 8 Am Glameyer-Stack verläuft die Fahrrinne
der Elbe unmittelbar am Schardeich
am Elbdeich liegt. Der Deich hat hier kein
Vorland, sondern grenzt direkt ans Wasser,
man spricht von einem „Schardeich“. Die
schiffbare Wasserstraße ist hier nur 200 m
breit, wodurch eine sehr hohe Strömungsgeschwindigkeit
entsteht, die zu einer allmählichen
Verlagerung des Flussbetts immer
weiter zur Landseite hin führt. Am
Prallhang wird ständig Ufersand weggespült
und der Hang ausgekolkt, so dass hier
bereits eine Wassertiefe von ca. 30 Metern
vorliegt. An der Buhne „Glameyer-Stack“
(Abb. 8) ist die ca. 8,5 m hohe Deichkrone
nur gut 300 m vom Prallhang entfernt.
Bei einem Höhenunterschied von fast 40
m auf dieser kurzen Distanz besteht hier
die größte Gefahr eines Deichbruchs an
der gesamten Nordseeküste. Der Deich
wird zwar durch besondere Baumaßnahmen
gepanzert (u. a. betonierte oder mit
Asphalt vergossene Steine, Brandungszaun,
gepflasterter Deichfuß), die Unterspülung
des Grundes und die Erschütterungen
durch die Schifffahrt stellen jedoch
eine immense Gefahr für die Deichstabilität
dar. Diese würde durch eine weitere
Vertiefung des Elbfahrwassers weiter
stromaufwärts noch verstärkt, da sich dadurch
die Strömungsgeschwindigkeit an
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Exkursionsbericht: Geest, Marsch, Watt und Meer – Nordsee, Weser und Elbe bei Cuxhaven
153
Abb. 9 Semaphor und Hamburger Leuchtturm am
Hafen von Cuxhaven
Abb. 10 Die Lateinschule von 1614 in Otterndorf
dieser Stelle nochmals steigern würde. Die
Stadt Otterndorf hatte deswegen vor dem
Bundesverwaltungsgericht gegen das Vorhaben
der weiteren Elbvertiefung geklagt,
die Klage und damit die zur Problematik
erstellten Gutachten wurden aber vom
Gericht aus formellen Gründen abgewiesen,
da nicht die Stadt Otterndorf, sondern
der zuständige Deichverband hätte klagen
müssen. Sollte der Deich an dieser Stelle
brechen, würde ein riesiges Gebiet überflutet
und 16 000 Menschen ihre Wohnungen
verlieren.
Weiter ging es zu einem Besuch an
den Hafen von Cuxhaven. Zu sehen gibt
es hier u. a. einen historischen Semaphor
(Abb. 9), ein mechanisches Seezeichen, das
die Windrichtung und die Windstärke anzeigt,
hier für die Orte Borkum und Helgoland.
Der Schiffsansagedienst Cuxhaven
e. V. informiert an der Aussichtsplattform
„Alte Liebe“ über eine Lautsprecheranlage
über Größe und Herkunft der vorbeifahrenden
Schiffe. Nach einem Blick auf den
ausgedienten Hamburger Leuchtturm (erbaut
Anfang des 19. Jh. von der Hansestadt
Hamburg), den Hafen und die Nordsee
sowie einer mittäglichen Stärkung ging es
zur letzten Station unserer Reise.
Zum Abschluss des Tages und damit der
Exkursion führte uns der Weg nach Otterndorf,
eine ebenfalls ursprünglich auf einer
Wurt entstandenen Stadt. In der verkehrsberuhigten
Innenstadt hielten wir
an der St.-Severi-Kirche, die aber an diesem
Tag nicht geöffnet war. Gegenüber
der Kirche befindet sich ein 1614 erbautes
und ansprechend renoviertes großes Fachwerkhaus,
die Lateinschule (Abb. 10). Als
Rektor der Schule wirkte hier vor gut 220
Jahren für einige Jahre der Dichter und
Übersetzer Johann Heinrich Voß, bekannt
geworden vor allem durch seine Übersetzungen
von Homers Ilias und Odyssee.
Danach ging es über Bremerhaven zurück
nach Hannover, wo unsere Fahrt gegen
18:30 Uhr endete.
Insgesamt ist zu sagen, dass die Exkursion
hervorragend von Prof. Küster geplant
und durchgeführt wurde. Es gab eine Fülle
von Informationen, die in diesem Bericht
natürlich nur teilweise wiedergegeben werden
konnten. Die Erläuterungen waren
immer gut verständlich, keine Frage blieb
unbeantwortet.
Ich danke dem Ehepaar Ehlers/Entzeroth-Ehlers
für die schönen Fotos, die diesen
Text ergänzen.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
154
Exkursion „Von Hexen, Teufeln und
romanischen Kirchen im Harzvorland
bei Quedlinburg“
11. August 2018
Wolfgang Irrlitz
Exkursionsbericht: Von Hexen, Teufeln und
romanischen Kirchen im Harzvorland bei
Quedlinburg
Abb. 1 Blick vom Hexentanzplatz ins Bode-Tal
Der Harz war schon immer ein besonderer
Raum, angefüllt mit einmaligen Naturschönheiten
und geschichtsträchtigen
Kulturstätten. Dorthin ging am 11. August
2018 die eintägige Busexkursion der NGH,
genauer gesagt, in die nördliche Harzrandregion
zwischen Thale und Quedlinburg.
Erster Punkt war der sogenannte „Hexentanzplatz“,
mit fantastischem Blick in
das hier fast 300 m tief in das Grundgebirge
des Harzes aus Granit und Schiefer
eingeschnittene Tal der Bode und auf die
am gegenüberliegenden Talrand liegende
„Roßtrappe“ (Abb. 1). In einem Ring aus
riesigen Granit-Findlingen grüßen uns auf
dem Hexentanzplatz Teufel und Hexen
aus Bronze, dazu viele Souvenirläden.
Weiter ging es zu einem der spektakulärsten
geologischen Gebilde am Harzrand.
Die von uns bestiegene „Teufelsmauer“
bei Neinstedt (Abb. 2) war das erste Naturschutzobjekt
Deutschlands. Infolge der
gebirgsbildnerischen Heraushebung des
alten paläozoischen Harzblockes wurden
alle jüngeren Gesteinsschichten des Mesozoikum
abgetragen oder am Harznordrand
steilgestellt, natürlich über Millionen
Jahre hinweg. Durch spezielle Verfestigung
einiger Schichtpartien und nachfolgender
Erosion entstand ein landschaftsprägendes
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Exkursionsbericht: Von Hexen, Teufeln und romanischen Kirchen im Harzvorland bei Quedlinburg
155
Abb. 2 An der Teufelsmauer
Abb. 3 Romanische Stiftskirche in Gernrode
Abb. 4 Domberg von Quedlinburg
morphologisches Profil aus langgestreckten
Tälern und Höhenzügen. Der sogenannte
Heidelberg-Sandstein der Oberkreide
zeigt sich hierbei in einer besonders eindrucksvollen
10 m hohen Mauer im Gelände,
mit dazwischenliegenden Lücken,
da es, der Sage nach, dem Teufel nicht gelungen
war (gemäß Vertrag mit Gott), die
Mauer rechtzeitig in einer Nacht fertigzustellen.
Genauer gesagt: die über lange Zeit
nagende Abtragung durch Wasser, Wind
und Frost haben deutliche Zeichen hinterlassen.
Dennoch ein immer noch imposanter
Anblick!
Weiter ging es nach Gernrode. Im 10.
und 11. Jahrhundert war der Harzrand das
Zentrum deutscher Geschichte, so waren
der erste deutsche König Heinrich I. und
sein Sohn, Kaiser Otto I. prägende Gestalten
dieses Landschaftsraumes. In dieser
Zeit entstanden viele Kaiserpfalzen und
großartige Kirchenbauten. Die schönste –
und im reinsten romanischen Stil sich präsentierend
– ist die Stiftskirche St. Cyriakus
in Gernrode (Abb. 3), eine Gründung
des Lehensmannes von Kaiser Otto I, Graf
Gero. Hier gab es die einmalige Gelegenheit,
einer dort gerade stattfindenden gregorianischen
Messe in deutscher Sprache
zu lauschen.
Quedlinburg, die Kulturwelterbe-Stadt,
war das nächste Ziel. Hier warten über
1000 historische Fachwerkhäuser aus mehreren
Jahrhunderten auf einen Besuch,
dazu der bedeutende Dom mit der Grablege
von Heinrich I. Eine geführte Stadterkundung
gab einen ersten Eindruck dieser
herausragenden Stadt (Abb. 4).
Den Abschluss der prall gefüllten Exkursion
bildete ein geschichtsträchtiges
Gebäude hoch über Gernrode. Das über
viele Jahre als Einkehrstätte dienende jetzige
Hotel „Stubenberg“ hat schon viele
bekannte Gäste gesehen: Goethe, Eichendorff,
Fontane und Bismarck, um nur einige
zu nennen. Bei Kaffee, Tee und Torte
und einem traumhaften Blick über das
Harzvorland ging dieser erlebnisreiche Tag
zu Ende.
Dank an alle Teilnehmer und an Frau
Entzeroth-Ehlers für die Fotos!
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
156
Exkursion „Lüneburg – eine Perle
unter den Hansestädten.
NatUrgeschichtliche Exkursion VIII“
1. September 2018
Wolfgang Irrlitz
Exkursionsbericht: Lüneburg – eine Perle unter
den Hansestädten
Abb. 1 Vom Kalkberg hat man einen schönen
Blick über Lüneburg mit den Türmen von St.
Nicolai, St. Michaelis und St. Johannis
Ein vollbesetzter Bus brachte uns bei
schönstem Ausflugswetter nach Lüneburg.
Erster Exkursionspunkt war der geologisch
und geschichtlich wichtige Ort für
die weitere Bedeutung der Stadt, der sog.
Kalkberg. In Wirklichkeit besteht er fast
vollständig aus Anhydrit und Gips. Dieser
heute 56,3 m üNN hohe markante
Berg am Rande der Stadt war entscheidend
für ihre weitere Entwicklung. Der
Kalkberg ist, geologisch gesehen, der sog.
Gipshut eines bis an die Oberfläche auf
gedrungenen Salzstocks. Solches Aufdringen
kommt nur selten vor, ist u.a. aber
auch in Bad Segeberg zu sehen. Gebildet
wurde das Salz in der sog. Zechsteinzeit
(vor ca. 250 Mio. Jahren), als aus einem
sich über den norddeutschen Raum bis in
die Nordsee und nach Polen erstreckenden
stark salzhaltigen Meer mehrere 100
m dicke Salzablagerungen entstanden. Im
Lüneburger Raum ist das aufgedrungene
Salz aber schon lange durch Kontakt mit
dem Süßwasser der Oberfläche aufgelöst
worden. Verblieben sind stark salzhaltige
Wässer im Untergrund. Das Salz daraus
zu nutzen, in Zeiten, in denen Salz noch
als „weißes Gold“ galt, hat die Stadt Lüneburg
im Mittelalter zu einem der reichsten
und bedeutendsten Orte in Nordeuropa
gemacht. In sog. Salzsiedereien wurde das
salzhaltige Tiefenwasser eingedampft, natürlich
mit einem Riesenbedarf an Brennholz.
Die heutige Landschaftsform der
Lüneburger Heide ist hierdurch erst entstanden,
indem der ursprüngliche weit
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Exkursionsbericht: Lüneburg – eine Perle unter den Hansestädten
157
Abb. 2 Das mittelalterliche Rathaus Lüneburgs
hat 1720 auf der Marktplatzseite eine prachtvolle
barocke Fassade erhalten.
Abb. 3 Die breite Straße Am Sande mit den schönen
Giebelhäusern wird von der Kirche St. Johannis
im Hintergrund dominiert
verbreitete Wald abgeholzt wurde und sich
Heidekraut ausbreitete. Die Förderung der
Salzsole und damit Auslaugung des Untergrunds
führte in Lüneburg dazu, dass Teile
der Altstadt dauerhaft von Bodensenkungen
betroffen sind. Folge davon sind Schäden
an vielen Bauwerken.
Der Kalkberg, also der Gipshut, diente
den Lüneburger Bürgern als Baumaterial.
Festgestein ist bekanntermaßen im norddeutschen
Raum Mangelware. So ist der
ursprünglich 80 m üNN hohe Berg heute
zu einem weitgehend ausgeräumten Zahn
verkümmert. Immer noch eindrucksvoll
ist aber der Blick vom höchsten Punkt auf
die nahe Stadt (Abb. 1). Von 951 bis 1371
stand auf dem Gipfel des Kalkbergs eine
Burg, zunächst vom Adelsgeschlecht der
Billinger, dann von den Fürsten Lüneburg-
Braunschweig genutzt, ist sie heute leider
nur noch eine Ruine.
Im Anschluss an den Besuch des Kalkbergs
ging es ins Zentrum der Stadt, vorbei
an der alten Michaeliskirche und einem gerade
an diesem Tag wundervoll gestalteten
mittelalterlichen Markt mit vielen Zeugnissen
aus dem damaligen Leben der Stadt.
Ziel war das bedeutende Rathaus von Lüneburg,
eines der ältesten und größten im
deutschen Kulturraum (Abb. 2). Der Bau
des Gebäudes begann um 1230, über Jahrhunderte
hinweg wurde es immer wieder
erweitert und ist heute noch Hauptsitz von
Rat und Verwaltung der Hansestadt Lüneburg.
Dank fachlicher Kontakte unseres Exkursionsleiters
Dr. Veil konnten wir neben
den vielen mittelalterlichen Prachträumen
und Kulturschätzen des Rathauses auch
die sonst unzugänglichen Katakomben in
der Tiefe besichtigen. Durch die schöne
Altstadt von Lüneburg (Abb. 3) mit der
Nikolai- und Johanniskirche ging es anschließend
zum sehenswerten Salzmuseum.
Eine fachkundige Führung unterrichtete
uns über die Entstehung und Nutzung des
„weißen Goldes“. Manch einer nahm neben
schönen Erinnerungen auch eine Original-Salzprobe
mit nach Hause. Wieder
ein inhaltsvoller Ausflug der NGH!
Ich danke dem Ehepaar Roeser für die
Bilder.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
158
Exkursion „Von der Rübe zum Kristallzucker
in nur 12 Stunden – Die Zuckerfabrik
Nordstemmen“
6. Oktober 2018
Dieter Schulz
Exkursionsbericht: Von der Rübe zum
Kristallzucker – Die Zuckerfabrik
Nordstemmen
Abb. 1 Zuckerfabrik Werk Norstemmen.
Bild: Nordzucker.
Am 6. Oktober 2018 besuchte die Naturhistorische
Gesellschaft Hannover
mit 40 Teilnehmern die Zuckerfabrik
Nordstemmen, die zu Nordzucker gehört.
Nordzucker produziert europaweit seit
über 180 Jahren Zucker aus Rüben. Zum
Unternehmen gehören 5 deutsche Werke
in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt
sowie Zuckerfabriken in Dänemark, Finnland,
Litauen, Polen, Schweden und der
Slowakei.
Das Werk in Nordstemmen wurde
1865 erbaut und im Jahr 2003 von
der Nordzucker AG übernommen (Abb.
1). Neben dem Werk in Uelzen, dient
Nordstemmen als zweiter zentraler Standort
der Zuckerherstellung für die Sweet-
Family-Handelsmarken. Hier werden neben
Raffinade und Puderzucker für den
Haushaltsbereich auch Grundsorte, Sandzucker
und einige andere Sonderspezifikationen
für Industrie und Einzelhandel
produziert. Hinzu kommen die Bereitstellung
für die Weiterverarbeitung in der
Lebensmittelindustrie sowie die Herstellung
und Verpackung von Puderzucker für
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Exkursionsbericht: Von der Rübe zum Kristallzucker – Die Zuckerfabrik Nordstemmen
159
Industriekunden. Als Nebenprodukte werden
Melasse, Pellets, Pressschnitzel und
Carbokalk als Düngemittel für die Landwirtschaft
hergestellt.
Im März 2001 wurde in Nordstemmen
ein Flüssigzucker-Werk in Betrieb genommen.
Seitdem werden ganzjährig verschiedene
Sorten Flüssigzucker, Mischungen
mit flüssigen und kristallinen Komponenten,
Fondant, Fruktose und Bienenfuttersirup
und Bienenfutterteig produziert.
Die gesamte Nordzucker-Gruppe
produzierte während der Kampagne
2017/2018 2,7 Millionen Tonnen Zucker.
Über 30 000 Landwirte pflanzen in
Deutschland Zuckerrüben an. Die Rübe
bildet aus Wasser (aus dem Boden), Kohlendioxid
(aus der Luft) und Sonnenenergie
Zucker und speichert ihn. In der Zuckerfabrik
wird dieser mit heißem Wasser
aus der Rübe herausgelöst und auskristallisiert
– das ist die Kurzform.
Nordstemmen
1600 landwirtschaftliche Betriebe liefern
ca. 1,7 Millionen Tonnen Zuckerrüben
nach Nordstemmen. Das Einzugsgebiet
des Rübenanbaus liegt zwischen Bremen
im Norden und Göttingen im Süden. Im
Osten wird das Gebiet in etwa von der A7/
A27 Bremen-Göttingen und im Westen
etwa von Sulingen, Minden, Hameln und
Höxter begrenzt (Abb. 2).
Von der Rübe zum Zucker
Im März und April werden die Rübensamen
gesät. Ab September werden die
Rüben schonend mit einem Rübenernter
geerntet. Dabei werden die Blätter und ein
kleiner Teil des Rübenkopfes abgeschlagen,
gehäckselt und auf dem Feld als Gründünger
eingearbeitet. Die Rüben werden
dann fast ausschließlich mit speziellen
Abb. 2 Einzugsgebiet Rübenanbau für das
Werk Nordstemmen. Grafik: Nordzucker.
Kipp-LKW zur Zuckerfabrik transportiert.
Wenige Bauern liefern noch selbst
mit Trecker ihre Rüben an. Die genannten
LKW wie auch alle weiteren Großgeräte
werden von Maschinenringen zur
Verfügung gestellt, die die gesamte Logistik
übernehmen. In der Fabrik werden die
LKW zunächst voll und im Anschluss leer
gewogen. Außerdem werden Stichproben
entnommen (Prüfung des Zuckergehalts
und des Schmutzanteils). Danach errechnet
sich der Preis für den Landwirt.
Im Werk werden anhaftende Erde, Steine
und Blätter entfernt. Nach intensivem
Waschen werden die Rüben zu Schnitzeln
geschnitten, mit Wasser versetzt und
in 70 °C heißem Wasser erhitzt. Dadurch
löst sich der Zucker aus den Schnitzeln –
es entsteht der Rohsaft. Die extrahierten
Schnitzel werden noch einmal gepresst und
getrocknet und als Viehfutter verwendet.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
160 Dieter Schulz
Während der Rohsaft-Reinigung wird
„Kalkmilch“ (aus gebranntem Kalk und
Dünnsaft) zugesetzt, um Nichtzuckerstoffe
wie Kalium, Natrium und Pflanzensäuren
(Oxalsäure) und Eiweißstoffe
daraus zu eliminieren – so entsteht klarer
Dünnsaft (enthält noch ca. 80 % Wasser).
Der überschüssige Kalk wird durch Einleiten
von Kohlendioxid zu Calciumcarbonat
(Carbokalk) – das nennt man Carbonation
oder Saturation. Dieser Kalkdünger wird
an die Landwirte weitergeben und dient
zur Erhaltung eines gesunden Bodens.
Nach der Abpressung wird der Dünnsaft
eingedampft, bis nur noch ca. 25 % Wassergehalt
vorliegt – so entsteht der Dicksaft
(ca. 70 % Zuckergehalt). Durch weiteres
Kochen wird der Dicksaft weiter
eingedampft bis sich Zuckerkristalle bilden.
Der auskristallisierende Zucker wird
durch Zentrifugation vom Sirup (Melasse)
getrennt – der Kristallzucker entsteht.
Braune Melasse bleibt zurück, sie wird gemeinsam
mit den abgepressten Schnitzeln
getrocknet und als Viehfutter genutzt oder
findet Verwendung für alkoholische Gärung.
Der nun fertige Zucker wird noch einige
Tage getrocknet und dann in großen Silos
gelagert. Später wird er weiterverarbeitet
oder in großen Säcken an Großkunden
oder in handlichen 1-Kilo-Tüten für den
Endverbraucher verpackt.
7 Rüben ergeben 1 kg Zucker.
Der Zuckerverbrauch pro Kopf und Jahr
in Deutschland liegt bei Frauen bei ca. 18
kg und bei Männern bei ca. 20 kg und ist
seit Jahrzehnten relativ konstant geblieben.
Ein wenig Botanik und Historie
Beta vulgaris L. ssp. vulgaris var. altissima
gehört zu den Gänsefußgewächsen
(Chenopodiaceae, die neuerdings zu den
Amaranthaceae gezählt werden).
Bis ins hohe Mittelalter konnte man bei
uns nur mit Honig süßen. Der Rohrzucker
kam erst nach der Entdeckung des Seewegs
nach Asien in unser Land (Stichwort:
Vasco da Gama).
1747 erkannte der Apotheker A. S.
Markgraf in Berlin, dass die schwach süß
schmeckende Substanz in den Runkelrüben
(Beta vulgaris var. crassa) mit dem
Rohrzucker identisch war. Diese Runkelrüben
hatten einen Zuckergehalt von 1,6
bis 3 %. Er wies darauf hin, dass der Zucker
auch aus den Rüben isoliert werden
könne.
1786 begann F. G. Archard Zucker aus
den Rüben zu isolieren und züchtete durch
Auslese zuckerreiche Rüben mit einem
Zuckergehalt bis zu 8 %.
1802 entstand in Cunern in Schlesien
die erste Zuckerfabrik.
Als Wildpflanze und damit als Ursprungspflanze
der Zuckerrübe gilt Beta
vulgaris ssp. maritima (Wilde Beete),
die an den Küsten von Belgien, Holland
Schleswig-Holstein und Dänemark und
auch auf Helgoland vorkommt. Diese hat
noch keine rübenartige Wurzel.
Die Zuckerrübe ist zweijährig. Im 2. Jahr
treibt sie einen bis zu 2 m hohen Blütenstand
und nutzt dafür die in der Rübe gespeicherten
Kohlenhydrate. Gelegentlich
kann es vorkommen, dass der Blütentrieb
bereits im 1. Jahr erscheint (Schosser) –
davon ist der Landwirt ganz und gar nicht
erbaut.
1. Jahr Blattrosette und Rüben-Wurzel
2. Jahr Blütenstand (bis zu 2 m hoch
mit Frucht- und Samenbildung)
Die Tatsache, dass bei den Gänsefußgewächsen
stets drei Früchte In einem
Teilblütenstand entstehen, die bei der
Reife im Verband bleiben, war der frühere
Anbau (nach dem 2. Weltkrieg) sehr
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
Exkursionsbericht: Von der Rübe zum Kristallzucker – Die Zuckerfabrik Nordstemmen
161
Fotosynthese
Kohlendioxid
Sonnenlicht Wasser Sauerstoff
Futtermittel
Mark
Dünger
Nichtzuckerstoffe
Ca. 18 Prozent Zucker
Diverse
Zuckersorten
Gereinigtes
Wasser
75 Prozent Wasser
Abb. 3 Die Zuckerrübe wird zu 100 Prozent
verwertet. Grafik: Nordzucker.
arbeitsintensiv, da immer mehrere Keimlinge
an einer Stelle entstanden. Die Rüben
mussten per Hand verzogen werden –
eine mühsame Arbeit.
Durch Zucht gibt es nun schon seit langer
Zeit monokarpes Saatgut. Die Frucht,
bzw. der Samen kann am Saatgut nicht
mehr ohne weiteres erkannt werden, da er
eine Hülle aus Nährstoffen und Herbiziden
erhält, um ein sicheres Keimen und
Anwachsen zu gewährleisten.
Der Zuckergehalt liegt heute bei ca.
18 %.
Das Wasser der Rüben (ca. 75 % des
Rübenkörpers) wird für Waschvorgänge
während der Zuckerherstellung benutzt.
Das gleiche gilt für das „Waschwasser“ der
Rüben vor dem Zerschneiden, das in einer
betriebseigenen Kläranlage gereinigt wird
und Trinkwasserqualität besitzt.
Nimmt man alles zusammen, das Häckseln
der Rübenblätter für die Gründüngung
auf dem abgeernteten Feld, die
Wiederbenutzung des Rübenwassers im
Zuckerherstellungsprozess, die Verarbeitung
der abgepressten Rübenschnitzel zu
Pellets als Viehfutter wie auch die Melasse,
kann gesagt werden, dass 100 % der Zuckerrübe
verwendet werden (Abb. 3). Es
geht nichts verloren. Hinzu kommt, dass
auch die im Zuckerherstellungsprozess
benutzte Kalkmilch durch Einleitung von
Kohlendioxid zu Carbokalk führt und so
ebenfalls den Landwirten zu Gute kommt.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
162
Heiner Engel
& 21. März 1959 5. Dezember 2017
Ein Nachruf von Jann Wübbenhorst
Heiner Engel wurde am 21.03.1959 in
Bevensen geboren. Nach Abitur und Zivildienst
begann er 1979 sein Studium
der Biologie und Erdkunde für das Höhere
Lehramt an der Universität Hannover.
Da die Berufsaussichten für Lehrer
damals nicht besonders gut waren, entschied
er sich nach dem Staatsexamen für
eine Promotion im Fach Zoologie an der
Tierärztlichen Hochschule Hannover und
legte 1990 seine Arbeit „Untersuchungen
zur Autökologie von Unio crassus (Philipsson)
in Norddeutschland“ vor. Seit 1988
arbeitete er bereits als pädagogischer Angestellter
im Zoologischen Garten Hannover,
von 1990 bis 1991 war er dann Leiter
des damaligen Naturschutzseminars
Sunder (heute NABU Gut Sunder). 1992
kehrte er als Kurator für Huftiere, Antilopen,
Vögel und Reptilien an den Zoo Hannover
zurück, wo er seit 1995 als Zoologischer
Leiter tätig war. 1999 wurde er in
den Prüfungsausschuss IHK Hannover-
Hildesheim berufen, seit 2000 hatte er jahrelang
einen Lehrauftrag an der Universität
Hannover inne.
Im Zoo Hannover war er an der Entwicklung
der Idee eines modernen, ebenso
am Erlebnis- und Bildungswert für den
Besucher wie am Tierschutz und internationalen
Artenschutz orientierten Zoos beteiligt.
Zahlreiche seiner Ideen flossen in
die Gestaltung des heute vielerorts als beispielhaft
geltenden „Erlebnis-Zoos“ ein.
Eine Zooführung mit ihm war aufgrund
seiner Begeisterungsfähigkeit und Originalität
in der Tat immer ein bleibendes
Erlebnis. Sein spezielles Engagement galt
aber auch der Verantwortung Zoologischer
Gärten für die Erhaltung vom Aussterben
bedrohter Tierarten, wobei ihm die Antilopen
Nordafrikas besonders am Herzen
lagen.
Heiner Engel war Koordinator des Europäischen
Erhaltungszuchtprogramms
für die Mendesantilope (Addax nasomaculatus).
Von 1994 bis 2007 wurden auf seine
Initiative insgesamt rund 100 Mendesantilopen
aus Erhaltungszuchten (u.a. aus
dem Zoo Hannover) in den Nationalparks
Souss Massa (Marokko) und Bou Hedma
(Tunesien) wieder angesiedelt. Die Auswilderung
war erfolgreich und führte zur
Entwicklung einer stabilen Population in
den Nationalparks. Heiner setzte sich mit
großem Engagement für den Natur- und
Artenschutz in der Sahararegion ein und
war Gründungsmitglied sowohl der Sahelo-Saharan
Interest Group (SSIG) als auch
des Sahara Conservation Fund (SCF), die
sich dem Schutz von Mendesantilope, Säbelantilope
(Oryx dammah), Nordafrikanischem
Strauß (Struthio c. camelus), Damagazelle
(Gazella dama) und weiterer Arten
der Sahararegion widmen.
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
163
Ich lernte Heiner Engel 1990 kennen,
als ich meinen Zivildienst am damaligen
„Naturschutzseminar Gut Sunder“ des
NABU antrat. Mit seiner Offenheit, seiner
Zugewandtheit, seiner Kreativität, seinem
Humor und seinem Arbeitsethos wurde er
für mich und andere, die wir nur etwa 10
Jahre jünger waren als er, zu einem Vorbild
und wenig später zu einem guten Freund.
Obwohl beruflich vor allem mit zoologischen
Themen befasst, war Heiner mit fast
noch größerer Leidenschaft botanisch interessiert.
Zusammen mit seiner Frau Monika
verwandelte er den eigenen Garten in
Wunstorf in jahrelanger Arbeit (nicht selten
in den frühen Morgenstunden noch vor
der Fahrt in den Zoo) in einen „Biodiversitäts-Hotspot“
und ein gärtnerisches Kleinod.
Später erfüllte er sich mit dem eigenen
Kakteen-Gewächshaus im Garten einen
Jugendtraum – seine Sammlung seltener
Kakteenarten, die er erfolgreich vermehrte,
würde auch einem Botanischen Garten
zur Ehre gereichen. Über seine Liebe zur
Natur und zu allen lebenden Dingen hinaus
war Heiner Engel auch vielfältig kulturell
interessiert, u. a. an jüdischer Musik,
Literatur und Dichtung. Er liebte Lieder
und Gedichte und konnte zu beinahe jedem
Gesprächsthema ein anregendes Buch
aus den endlosen Regalen des Engelschen
Wohnzimmers hervorholen.
Anfang Januar 2013 erkrankte Heiner
Engel schwer an einem Hirntumor. Die
behandelnden Ärzte hatten ihn bereits
beinahe aufgegeben, doch Heiner kämpfte
sich noch einmal ins Leben zurück. An
eine Fortführung seiner beruflichen Tätigkeit
war jedoch nicht mehr zu denken. Mit
der Hilfe seiner Familie und seiner Freunde
konnte er sich, nun auf ständige Medikamenteneinnahmen
und wiederkehrende
Therapien angewiesen, einen Teil seines
alten Lebens zurückholen und sich weiter
den Menschen und den Dingen widmen,
die ihm besonders viel bedeutet haben.
Wenn man ihn nur für kurze Zeit traf und
wenn im Gespräch sein großes Wissen,
seine Belesenheit, sein Humor und seine
Schlagfertigkeit wieder aufblitzten, konnte
man fast glauben, er sei beinahe wieder
derselbe wie vor diesem Schicksalsschlag.
Durch seine Vermittlung konnte ich im
Oktober 2017 einen Vortrag bei der NGH
halten, der sich mit Artenvielfalt in Gärten
beschäftigte und damit mit zwei Themenfeldern,
die ihm ebenso wie mir immer
besonders am Herzen lagen. Ein nächstes
Treffen war wie in den 25 Jahren zuvor
zum Beginn der Adventszeit geplant. Dazu
kam es nicht mehr, da sich Heiners Gesundheitszustand
zusehends verschlechterte.
Am 05.12.2017 ist Heiner Engel an seiner
Erkrankung gestorben.
Allen, deren Leben er bereichert hat,
wird seine Gegenwart fehlen.
Lebewohl, lieber Freund!
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
164
Die Naturhistorische Gesellschaft Hannover
Gesellschaft zur Pflege der Naturwissenschaften · Gegründet 1797
Die Naturhistorische Gesellschaft Hannover versteht sich als eine Vereinigung
von Menschen jeden Alters mit besonderem Interesse an der Natur und
den Naturwissenschaften.
Ein kurzer Blick zurück
Im Jahr 1797 gründeten 25 Herren
und eine Dame aus der Bürgerschaft der
Stadt Hannover eine Lesegesellschaft.
Sie schafften gemeinsam kostspielige Bücher
an, die den Mitgliedern dann reihum
zur Verfügung standen. Daraus entstand
im Laufe des 19. Jahrhunderts eine
Initiativen der NGH
· Treibende Kraft für die Errichtung des
„Museums für Kunst und Wissenschaft“
(das heutige Künstlerhaus)
· Gründungsmitglied des Niedersächsischen
Landesmuseums Hannover
· Gründung des Zoologischen Gartens
Die NGH heute
Nach 220 Jahren verfolgt die NGH
immer noch die gleichen Ziele.
Sie bedient sich dabei allerdings zeitgemäßer
Methoden und beschäftigt sich
mit aktuellen Fragen. In Berichten,
Exkursionen und Vorträgen geht es um
naturwissenschaftliche Themen –
unter anderem aus der
umfangreiche Bibliothek.
Aus dieser Lesegesellschaft ging 1801
die „Naturhistorische Gesellschaft in
Hannover“ hervor. Sie hatte sich das Ziel
gesetzt, „bei allen Bevölkerungsschichten
eine genauere Kenntnis der Naturpro ducte
hiesiger Lande zu befördern“.
· Bau eines Schlachthofs in Hannover
· Mitwirkung in einer „Commission für
die allgemeine Gesundheitspflege“
· Gründungsmitglied des Niedersächsischen
Heimatbundes
· Aufstellung des Naturdenkmals
„Schweden-Findling“ am Deisterkamm
· Geologie
· Paläontologie
· Archäologie
· Botanik
· Zoologie
· Landschaftskunde
· Umweltforschung
· Technik
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
165
Die Naturhisto rica – Berichte der Naturhistorischen
Gesellschaft Hannover ist das
wissenschaftliche Sprachrohr der NGH.
Sie befasst sich mit den verschiedensten
Bereichen der Naturwissenschaften und
nicht zuletzt mit dem Schutz der Umwelt.
Dabei werden auch die besonderen
Verhältnisse in Hannover berücksichtigt.
Besonders begehrt sind die geologischen
Wanderkarten.
Der Natur unmittelbar begegnen kann
man auf den etwa zehn pro Jahr stattfindenden
Exkursionen. Vom Frühjahr bis in
den Herbst führen sie zu den unterschiedlichsten
Zielen und werden von Fachleuten
geleitet. Dabei kommen biologische,
geologische sowie techno logische Themen
zur Sprache, aber auch kulturgeschichtlich
interessante Stätten werden besichtigt.
Die NGH möchte dazu beitragen, über
die Notwendigkeit und die Ergebnisse
naturwissenschaftlicher Forschung zu
informieren. Dies geschieht vor allem
durch Vorträge im Winterhalbjahr, denen
sich spannende Diskussionen anschließen.
Vorstand und Beirat
Vorstand
1. Vorsitzender: Dr. Dieter Schulz
2. Vorsitzender: Prof. Dr. Klaus D. Jürgens
Schatzmeister: Arne Bents
Schriftführer:
Dr. Franz-Jürgen Harms (Geowissensch.)
Prof. Dr. Hansjörg Küster (Botanik,
Ökologie)
Dr. Annette Richter (Paläontologie,
Geologie, Zoologie)
Dr. Dieter Schulz (Biologie)
Beirat
Dr. Jochen Erbacher
Prof. Dr. Bernd Haubitz
Dr. Wolfgang Irrlitz
Dr. Florian Klimscha
Günter Oberjatzas
Dr. Hans Albert Roeser
Ole Schirmer
Ludger Schmidt
Dr. Renate Schulz
Naturhistorische Gesellschaft Hannover
Gesellschaft zur Pflege
der Naturwissen schaften
Willy-Brandt-Allee 5
30169 Hannover
Germany
Telefon (0511) 9807-871
Fax (0511) 9807-879
E-Mail: info@N-G-H.org
www.N-G-H.org
Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018
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Fast 700 Anlaufpunkte auf der
Geologischen Wanderkarte erklären
die Geschichte der Ortschaften, der
Geologie, des Bergbaus, der Denkmale,
Bodenkunde, Naturkunde,
Technisches und touristische Ziele.
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Hannovers große Attraktion einmal anders
Der Große Garten Herrenhausen
Ein nicht sehr langer Weg nach
Herrenhausen und sieben kurze Wege
im Großen Garten
von Prof. Dr. Joachim Knoll
In diesem Jubiläumsband 150 widmet sich
der Autor einem der schönsten europäischen
Barockgärten auf spezielle Weise. Sieben
Spaziergämge führen zu bekannten und weniger
bekannten Stellen, immer unterhaltsam,
immer fundiert und gewürzt mit Liebe
zum historischen Detail, vermischt mit ein
wenig Ironie.
Naturhistorica 150, 152 S., 12 €
Stechimmen in Gefahr!
Naturhistorica 158/159
• Erfassung von Stechimmen und Umsetzung
von Artenschutzmaßnahmen
• Wintergesellschaften der Waldohreule in
der südlichen Region Hannover
• Berthold Carl Seemann – Vom Gärtnergehilfen
in Herrenhausen zum Weltreisenden
• Doppelkopf (Dizephalie) im Tierreich
• Niederterrassen-Kiese aus Hannover
• Eiszeitliche Terrassen-Sedimente der Weser
und Leine
• Geologie im Bereich Höver–Bilm–Wassel
• Der Jura im Stadtgebiet von Hannover
• Eisenkernkonkretionen aus dem Gezeitenbereich
der Nordsee
209 S.
Naturhistorica 160 · 2018
Die Themen in diesem Heft:
· Salz verändert Landschaften, sowohl oberirdisch
durch Abraumhalden, als auch durch Lösung des
Salzes im Untergrund. Das kann zu Subrosionssenken
führen, die mit Beispielen am Harzrand
anschaulich dargestellt werden.
· Aus der Sammlung Harms des Niedersächsischen
Landesmuseums Hannover wurde der stratigrafische
Themenbereich „Oligozän“ ausgewählt. Die
Autorin führte alle notwendigen Arbeiten für die
Inventarisierung der Objekte durch. Das Ergebnis
steht in vorbildlicher Weise für Synergien zwischen
NGH, Landesmuseum und den beteiligten
Universitäten.
· Rezente und fossile Moschusochsenschädel aus
dem Landesmuseum, dem Dinopark Münchehagen
und dem Landesamt für Bergbau, Energie
und Geologie wurden untersucht, verglichen und
Alters- und Geschlechtsbestimmungen vorgenommen
– ein interinstitutionelles Forschungsprojekt.
· Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura Niedersachsens
sind selten. Die Autoren beschreiben
Funde aus dieser Formation von Hildesheim und
nehmen Gattungs- bzw. Familienzuweisungen vor.
· Kennen Sie das Schottische Moorhuhn? Wenn
nicht, lesen Sie den Artikel „Schottisches Flugwild
in Ostfriesland“. Einbürgerungsversuche, deren
Misslingen und der Landschaftswandel im ausgehenden
19. Jahrhundert werden angesprochen.
· Neue Serie: Exkursionen aus dem Jahr 2018 –
Frischen Sie Ihre Erinnerungen auf.
Josef Paul
Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-
Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)
7
Lea Weßel
Die Oligozän-Sammlung Harms des
Landesmuseums Hannover
Ein Tauchgang durch die Ur-Nordsee
43
Jannik Weidtke
Moschusochsenschädel (Ovibos moschatus) aus
dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark
Münchehagen – Vergleich und Interpretation
69
Sven Sachs, Christian J. Nyhuis
Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren
Jura von Hildesheim
115
Burkhard Schäfer
Schottisches Flugwild in Ostfriesland
Ein Beitrag zur frühen Geschichte
des Knyphauser Waldes
129
Aufstellung des Schweden-Findlings
am Deisterkamm am 6. Mai 2018
136
Exkursionsbericht: „1001 Rosenblüte in einem
Stadtgarten in Ricklingen“ (02. und 30.06.2018)
139
Exkursionsbericht: Geest, Marsch, Watt
und Meer – Nordsee, Weser und Elbe bei
Cuxhaven (15. – 17.06.2018)
148
Exkursionsbericht: Von Hexen, Teufeln und romanischen
Kirchen bei Quedlinburg (11.08.2018)
154
Exkursionsbericht: Lüneburg – eine
Perle unter den Hansestädten. (01.09.2018)
156
Exkursionsbericht: Die Zuckerfabrik
Nordstemmen (06.10.2018)
158
www.Naturhistorica.de ISSN 1868-0828