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Naturhistorica 160

Naturhistorica 160 (2018) der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover (NGH) Themen: - Josef Paul: Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland. - Lea Weßel: Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover. Ein Tauchgang durch die Ur-Nordsee. - Jannik Weidtke: Moschusochsenschädel (Ovibos moschatus) aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen - Vergleich und Interpretation. - Sven Sachs, Christian J. Nyhuis: Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim. - Burkhard Schäfer: Schottisches Flugwild in Ostfriesland. Ein Beitrag zur frühen Geschichte des Knyphauser Waldes.

Naturhistorica 160 (2018) der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover (NGH)

Themen:
- Josef Paul: Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland.
- Lea Weßel: Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover. Ein Tauchgang durch die Ur-Nordsee.
- Jannik Weidtke: Moschusochsenschädel (Ovibos moschatus) aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen - Vergleich und Interpretation.
- Sven Sachs, Christian J. Nyhuis: Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim.
- Burkhard Schäfer: Schottisches Flugwild in Ostfriesland. Ein Beitrag zur frühen Geschichte des Knyphauser Waldes.

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Subrosionssenken

zwischen Harz und Leine-Bergland

Abgetaucht: Ur-Nordsee im Oligozän

Schwierig: Moschusochsenschädelvergleiche

Selten: Plesiosaurierfunde in Hildesheim

Verflogen: Huhn mit Migrationshintergrund

160 · 2018



Ausgabe 160

2018

Herausgegeben von der

Naturhistorischen Gesellschaft Hannover


Naturhistorica

BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER

Ausgabe 160 (2018)

Erschienen 2019

Hannover · Germany

ISSN 1868-0828

www.Naturhistorica.de

Herausgeber

Naturhistorische Gesellschaft Hannover

Redaktion

Dieter Schulz

Lektorat

Franz-Jürgen Harms (Geowissenschaften)

Hansjörg Küster (Botanik und Ökologie)

Annette Richter (Paläontologie, Geologie, Zoologie)

Dieter Schulz (Biologie)

Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren verantwortlich.

Design, Satz, Umschlag

Matthias Winter, vemion.de

Druck

Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza

Umschlagbild Duderstadt © 12019 · pixabay

Bild S. 1 Plesiosaurierzahn © Sven Sachs, Christian J. Nyhuis

© Naturhistorische Gesellschaft Hannover

Gesellschaft zur Pflege der Naturwissenschaften

Willy-Brandt-Allee 5

30169 Hannover

Germany

E-Mail: info@N-G-H.org

www.N-G-H.org


Naturhistorica

BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER

160 ·2018

Dieter Schulz

Vorwort

5

Josef Paul

Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland

(Känozoikum, Niedersachsen)

7

Lea Weßel

Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover

Ein Tauchgang durch die Ur-Nordsee

43

Jannik Weidtke

Moschusochsenschädel (Ovibos moschatus) aus

dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark

Münchehagen – Vergleich und Interpretation

69

Sven Sachs, Christian J. Nyhuis

Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim

115

Burkhard Schäfer

Schottisches Flugwild in Ostfriesland

Ein Beitrag zur frühen Geschichte des Knyphauser Waldes

129

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


4

Aufstellung des Schweden-Findlings am Deisterkamm

am 6. Mai 2018

136

Exkursionsberichte

139 Ein Idyll in der (Groß)stadt. „1001 Rosenblüte in einem

Stadtgarten in Ricklingen“ (2. und 30. Juni 2018)

148 „Geest, Marsch, Watt und Meer – Nordsee, Weser und

Elbe bei Cuxhaven“ (15. – 17. Juni 2018)

154 „Von Hexen, Teufeln und romanischen Kirchen im

Harzvorland bei Quedlinburg“ (11. August 2018)

156 „Lüneburg – eine Perle unter den Hansestädten.

NatUrgeschichtliche Exkursion VIII“ (1. September 2018)

158 „Von der Rübe zum Kristallzucker in nur 12 Stunden –

Die Zuckerfabrik Nordstemmen“ (6. Oktober 2018)

Nachruf Heiner Engel (21.3.1959 – 5.12.2017)

162

Die Naturhistorische Gesellschaft

Hannover

164

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


5

Vorwort

Niedersachsen ist in diesem Band 160

der Naturhistorica Grundlage für die vorliegenden

Arbeiten. Wir könnten ihn den

„kleinen Niedersachsenband“ nennen.

Veränderungen in der Landschaft durch

das Salz der Zechstein-Formation sind den

meisten Lesern durch die hohen fast weißen

Abraumhalden in Niedersachsen, auch

in unmittelbarer Nähe zum Stadtgebiet

Hannover, bekannt. Dass es auch andere

morphologische Oberflächenformen gibt,

die durch das Salz entstanden sind und

immer noch entstehen ist weitgehend unbekannt.

Der Artikel von Josef Paul über

Subrosionssenken macht in verständlicher

Sprache und gut zu lesen darauf aufmerksam

wie zum Beispiel der Seeburger See bei

Göttingen und weitere Senken im Harzrandgebiet

entstanden sind und wie deren

weitere Entwicklung abgelaufen ist. Er

streift dabei auch die zum Teil recht kurzsichtigen,

der Landwirtschaft geschuldeten

Trockenlegungen von Seen und Mooren.

Paul erzählt anschaulich den dadurch entstandenen

Landschaftswandel und daraus

folgend den Schaden für die Natur.

Als eine unserer vornehmsten Aufgaben

sehen wir die wissenschaftliche Aufarbeitung

der Sammlungen des Niedersächsischen

Landesmuseums Hannover

an. Dabei legen wir Wert darauf, dass junge

Wissenschaftler in unserer Zeitschrift

zu Wort kommen. Das gilt auch für die

Bestimmung der Objekte von Zustiftungen,

die das Landesmuseum erhalten hat.

Lea Weßel hat in diesem Zusammenhang

fossiles Material aus dem Oligozän der

Sammlung Harms bestimmt und für die

Sammlung archiviert, eine Arbeit, die in

Dem Ochs’ in den Kopf geschaut – siehe Artikel

über Moschusochsenschädel ab S. 69

besonders vorbildlicher Weise für die Synergien

zwischen der NGH, dem Landesmuseum

und den beteiligten Universitäten

steht.

Ebenfalls im paläontologischen Bereich

sind die folgenden zwei Arbeiten angesiedelt.

Jannik Weidtke hat sich ausführlich

mit rezenten und fossilen Moschusochsenschädeln

aus dem Landesmuseum, dem

Dinosaurier-Freilichtmuseum Münchehagen

und dem Landesamt für Bergbau,

Energie und Geologie (LBEG) beschäftigt.

Nach akribischen Untersuchungen

vergleicht er die Schädel miteinander und

stellt Alter und Geschlecht der Tiere fest –

ein interinstitutionelles Forschungsprojekt,

das in der 3D-Darstellung von drei der am

besten erhaltenen Schädeln gipfelt.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


6 

Sven Sachs und Christian Nyhuis haben

Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren

Jura von Hildesheim untersucht und

weisen sie bereits vorhandenen Dinosaurier-Gattungen

(Liopleurodon) bzw. Familien

(Pliosauridae, Cryptoclididae) zu.

Es handelt sich bei dem gefundenen Zahn

und diversen postcranialen Resten um die

ersten Belege für diese Saurier-Guppe aus

dem Mittleren Jura Niedersachsens.

Erinnern Sie sich noch an das Computerspiel

„Moorhuhn“? Im Artikel von

Burkhard Schäfer erfahren Sie, welche

Bedeutung dieses Spiel hatte und wie es

entstanden ist, und wie der Begriff Moorhuhnjagd

in den Duden gelangte. Schäfer

beleuchtet auch den Versuch, dieses

schottische Flugwild in Ostfriesland im

ausgehenden 19. Jahrhunderts heimisch

zu machen – natürlich zu Jagdzwecken. Er

verschweigt auch nicht, dass dieser Versuch

misslang. Im Weiteren macht er auf den

starken Landschaftswandel in diesem Teil

Niedersachsens zu jener Zeit aufmerksam.

Ein gut zu lesender kurzer Artikel.

Und dann haben wir noch eine Überraschung

für Sie bereit. Mit diesem Band

starten wir eine Serie „Exkursionsberichte“

zunächst aus dem Jahr 2018, jedenfalls

für die Exkursionen für die wir eine Nachlese

bekommen haben. Urteilen Sie selbst,

und lassen Sie uns wissen, ob wir die Idee

weiterführen sollen.

Dieter Schulz

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


7

Subrosionssenken zwischen Harz und

Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

Josef Paul

Zusammenfassung

Zwischen Harz und Leine-Bergland

wurden im Untergrund die Salzablagerungen

des Zechstein seit dem Miozän gelöst

(subrodiert). Es werden zunächst die Ursachen,

Grundlagen und Mechanismen

geschildert, die zur Entstehung von Subrosionssenken

führen. Eine Auswahl der

entstandenen Senken wird im Einzelnen

beschrieben: Willershäuser Becken, Westerhöfer

Senke, Denkershäuser Teich, Bilshäuser

Becken, Bodensee-Senke, Seeburger

See, Luttersee, Seeanger, Schweckhäuser

Wiesen, Pöhlder Becken, Rollshäuser Ziegeleigrube

und Duderstädter Becken. Ihre

räumliche Verbreitung, Schichtenfolge,

Fossilinhalt, Alter und geschichtliche Entwicklung

werden dargestellt. Allgemeine

Schlüsse zur räumlichen und zeitlichen

Entwicklung der Subrosionsfront bzw. zur

Lage des Salzhangs werden gezogen.

Schlüsselwörter: limnische Sedimente,

Subrosion, Zechstein, Tertiär, Quartär,

Eichsfeld

Einleitung

Das Leine-Bergland im südlichen Niedersachsen

ist ein zum großen Teil bewaldetes

hügeliges Gebiet mit einem

lebhaften Relief, das von Gesteinen des

Muschelkalk und des Buntsandstein gebildet

wird. Im Unterem Eichsfeld dagegen,

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


8 Josef Paul

Abb. 1 Subrosionssenken und Salzhang im

Unteren Eichsfeld zwischen Göttinger Wald und

Harz. Subrosionssenken: 1 Willershäuser Senke;

2 Westerhöfer Senke; 3 Denkershäuser Teich;

4 Bilshäuser Becken; 5 Bodensee-Senke;

6 Seeburger See; 7 Luttersee; 8 Seeanger;

9 Schweckhäuser Wiesen; 10 Pöhlder Becken;

11 Rollshäuser Ziegeleigrube; 12 Duderstädter

Becken. Nach Dietz (1925), Sobotha (1933) und

Jordan et al. (1973); verändert und ergänzt.

das zwischen dem Leine-Bergland und

dem Harz liegt, trifft man auf eine relativ

ebene, ausgeräumte, intensiv landwirtschaftlich

genutzte Landschaft, obwohl

auch hier vor allem Gesteine des

Buntsandstein im Untergrund anstehen.

Charakteristisch für das Eichsfeld sind

zahlreiche kleine Erdfälle und größere Depressionen.

In solch einer sanften Depression

liegt der Seeburger See, der seinen

Namen von einem Dorf an seiner Westseite

hat (Abb. 1). Es ist der größte natürliche

See im südlichen Niedersachsen. Noch bis

zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es im

Unteren Eichsfeld eine Reihe von kleineren

Seen, Teichen oder Feuchtflächen, die

aber fast alle der Entwässerung zum Opfer

fielen, teils um Ackerland zu gewinnen,

teils wegen des Abbaus von Torf. Das Dorf

Bodensee, das einige km nördlich des Seeburgers

See liegt, führt seinen Namen auf

einen heute verschwundenen See zurück.

Viele topografisch mehr oder weniger gut

zu erkennende größere Senken ziehen sich

in einiger Entfernung parallel zum Harz

hin. Sie alle verdanken ihre Existenz der

unterirdischen Lösung oder Subrosion von

Steinsalzen des paläozoischen Zechstein.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

9

Das gesamte südwestliche Harzvorland

ist von dieser Subrosion geprägt. Auch die

weniger leicht löslichen Sulfate (Anhy drit,

Gips) und Karbonate (Calcit, Dolomit)

sind von dieser Subrosion betroffen. Auf

die Unterschiede zur Subrosion des Salzes

wird weiter unten eingegangen.

In dieser Arbeit werden zunächst die

Ursachen, Grundlagen und Mechanismen

beschrieben, die zur Entstehung der

Subrosionssenken führten. Dann werden

einzelne größere Senken vorgestellt und

schließlich allgemeine Schlüsse zur räumlichen

und zeitlichen Entwicklung der Subrosionsfront

bzw. zur Lage des Salzhangs

gezogen. Es wird vor allem auf die Subrosion

des Steinsalzes näher eingegangen,

nicht auf die des Gipses und Karbonats.

Über die Laugung von Gipsgesteinen und

die dadurch verursachten Erdfälle berichteten

Priesnitz (1972), Herrmann (1969,

1981), Hohm (1979) und Ricken (1982).

Erforschungsgeschichte

Die älteste geologische Untersuchung im

südwestlichen Harzvorland ist die Kartierung

des Meßtischblattes Duderstadt durch

Speyer (1884), der allerdings den Subrosionssenken

keine besondere Aufmerksamkeit

schenkte. Grupe (1909) und Dietz

(1925) und später Jordan (1979) veröffentlichten

die Ergebnisse von Bohrungen, die

am Ende des 19. Jahrhunderts auf der Suche

nach Kali und ab 1970 zur Sicherung

der Trinkwasserqualität im nordwestlichen

Eichsfeld abgeteuft wurden. Untersuchungen

der quartären und tertiären Oberflächensedimente

führten Sobotha (1923,

1933) und Bismarck (1942) durch. Weitere

Arbeiten, die zum Teil auch andere Zielsetzungen

hatten, stammen von Ahrens &

Steinberg (1943), Steinberg (1944), Frechen

(1952) und Rohlmann (1958). Eine

kartografische Darstellung der Senken veröffentlichten,

nach Vorarbeiten von Herrmann

(1956), Jordan et al. (1973). Die

quartären Kiesterrassen und die zwischen

ihnen gelagerten Lösse und Lössderivate

des Unteren Eichsfeldes wurden von Selzer

(1936), Jordan (1976, 1995), Vladi (1976)

und Ricken (1980, 1982, 1983) stratigrafisch

gegliedert. Die Senke des Seeburger

Sees wurde umfassend limnogeologisch

von Streif (1970) untersucht.

Einen besonderen Fall bildet die Tongrube

Willershausen, die durch ihre zahlreichen

und außerordentlich gut erhaltenen

Fossilien schon früh die Aufmerksamkeit

auf sich zog (Wegele 1914, Straus 1930,

1992, Schmidt 1932 und Klähn 1932).

Zahlreiche neuere Arbeiten widmeten sich

vor allem den verschiedenen Fossilgruppen

und der organischen Biochemie, aber

nur wenige der Genese dieser einzigartigen

Fossil-Lagerstätte. Ebenfalls zog die ehemalige

Tongrube Bilshausen auf Grund

der Funde von Großsäugern und der guten

Erhaltung der Pollen eine große Anzahl

von Bearbeitungen auf sich (Schmidt

1934, Bismarck 1942, Lüttig & Rein 1954,

Chanda 1962, Averdieck & von der Brelie

1963, Müller 1965, 1992, Lüttig 1965,

Meischner & Schneider 1967, Streif 2001,

Pfeiffer 2002, Diehl 2007, Kühl 2008).

In den Jahren 1975 bis 1993 wurden

einige der zwischen dem Harz und dem

Leinebergland liegenden Subrosionssenken

und ihr Umfeld von Diplomanden des

damaligen Geologisch-Paläontologischen

Instituts der Universität Göttingen kartiert,

beschrieben und ihre Entwicklungsgeschichte

interpretiert (Sauerland 1976,

Vollbrecht 1976, Petersen 1979, Ricken

1980, Ay 1980, Schwedhelm 1980, Pöhlig

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


10 Josef Paul

Abb. 2 Schematisches Profil der Eichsfeld-Altmark-Schwelle

zwischen Seesen und Duderstadt.

cu-d Unterkarbon — Devon; r Rotliegend;

Ca1 Werra-Karbonat; A1 Werra-Sulfat;

1981, Puteanus 1982, Löffler 1986, Diesing

& Ledendecker 1986, Daume 1992,

Lessmann 1993). Angeleitet wurden die

Diplomanden von D. Meischner† und

dem Autor. Finanziell gefördert wurde das

Projekt „Salinartektonik“ durch Lottomittel

des Landes Niedersachsen. Die Ergebnisse

dieser Arbeiten sind bislang nur in

Vorträgen und veröffentlichten Kurzfassungen

vorgestellt worden (Meischner &

Paul 1977, 1982, 1992, Paul & Meischner

1991, Meischner 2000).

Es gibt bislang keine moderne zusammenfassende

Darstellung der verschiedenen

Subrosionssenken und ihrer zeitlichen

Entwicklung zwischen Harz und

Leine-Bergland. Die jüngsten Übersichten

zu den Subrosionssenken und der rezenten

Salzauslaugung im niedersächsischen

Bergland verfassten Seedorf (1955) – vorwiegend

aus geographisch-botanischer

Sicht – und Benda et al. (1968).

Ca2 Staßfurt-Karbonat; A2 Staßfurt-Sulfat;

Na2 Staßfurt-Salz; Ca3 Leine Karbonat;

A3 Leine-Sulfat; Na3 Leine-Salz;

z4 Aller-Tonstein und Aller-Salz.

Der präquartäre Untergrund

Der präquartäre Untergrund des Gebiets

zwischen dem Harz und dem Leine-

Bergland besteht fast ausschließlich aus

Gesteinen des Zechstein und des Unteren

und Mittleren Buntsandstein (Tab. 1).

Die Mächtigkeit und Fazies der Schichten

des Zechstein wird von der Eichsfeld-Altmark-Schwelle

kontrolliert, die

vom Rotliegend bis zum Ende der Trias

die Sedimentation am südlichen und

nördlichen Harzrand steuerte (Paul &

Klarr 1988, Paul 1987, 1993, 2018, Röhling

1991). Die Scheitelzone der Schwelle

streicht NNE – SSW und befindet sich zwischen

Bad Lauterberg und Duderstadt. Bei

Duderstadt wurde ein direkt auf das paläozoische

Grundgebirge transgredierendes

Staßfurt-Karbonat unter Ausschluss

der Werra-Formation erbohrt (Grupe

1909). Der südwestliche Harzrand und das

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

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Untere Eichsfeld liegen am Westhang dieser

Schwelle (Abb. 2). Zwar haben schon

eine Reihe von Bohrungen den Zechstein

durchteuft, aber leider reicht ihre Zahl

im bedeckten Karst nicht aus, den genauen

Verlauf der Schwelle und Änderungen

der Fazies und Mächtigkeit der einzelnen

Schichten detailliert zu erfassen.

Genaue Daten zur ursprünglichen

Mächtigkeit der Salzschichten des Zechstein

sind leider nicht zu erhalten, da im

näheren Umfeld des Harzes die Salze entweder

vollständig oder teilweise subrodiert

worden sind. Die nächsten Bohrungen

oder Schächte die man heranziehen

kann, befinden sich zwischen Göttingen

Tab. 1 Die Schichten des Perm und der Unteren Trias am südwestlichen Harzrand. Kürzel nach

Richter-Bernburg (1955). Mächtigkeiten nach Herrmann (1956), Paul & Klarr (1988) und Paul (1993).

Stratigraphie Kürzel Mächtigekeit (m)

Solling-Formation

25 – 60

Mittlerer

Buntsandstein

Hardegsen-Formation 0 – 25

sm

Detfurth-Formation 0 – 20

Volpriehausen-Formation 80 – 100

Unterer

Buntsandstein

Bernburg-Formation

140

su

Calvörde-Formation 180

obere Zechstein-Formation z5 – z7 50

Aller-Salz Na4 40

Aller-Sulfat A4 0,5

Aller-Tonstein T4 10 – 20

Leine-Salz Na3 0 – 100

Leine-Sulfat A3 40 – 70

Leine-Karbonat Ca3 2 – 10

Zechstein

Leine-Tonstein T3 5 – 10

Staßfurt-Salz Na2 0 – 200

Staßfurt-Sulfat A2 0 – 30

Staßfurt-Karbonat Ca2 5 – 70

Werra-Salz Na1 0 – 5

Werra-Sulfat A1 40 – 250

Werra-Karbonat Ca1 10 – 80

Kupferschiefer 0 – 2

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


12 Josef Paul

und Northeim, im Ohmgebirge oder nordwestlich

des Harzes (Tab. 2). Aber auch

hier ist die Mächtigkeit der Salze sehr variabel,

da sie in vielen Fällen halotektonisch

verändert sind. Auf jeden Fall werden die

Evaporite in Annäherung an die Altmark-

Eichsfeld-Schwelle geringer mächtig. Das

Staßfurt-Salz, die wichtigste Salz-Schicht,

ist am nordwestlichen Harzrand etwa

200 m mächtig und keilt schwellenwärts

aus. Auch die Sulfat-Schichten werden

schwellenwärts geringmächtiger. Das Werra-Sulfat

erreicht die größte Mächtigkeit

mit über 200 m nördlich Osterode und

geht auf weniger als 50 m – im Extremfall

keilt es auch aus – auf der Schwelle

zurück (Paul 1993). Ähnlich verhält sich

auch das Staßfurt-Sulfat, dessen Mächtigkeit

von 0 m auf dem Scheitel der Schwelle

bis 30 m am Schwellenrand variiert. Umgekehrt

verhalten sich die Mächtigkeiten

der Karbonat-Schichten, die auf der

Tab. 2 Mächtigkeiten der Zechstein-Salze im Leine-Bergland und nördlich des Harzes in Metern.

S = Schacht. Nach Grupe (1909), Fabian (1957), Langbein & Seidel (1960), Löffler (1976), Arp et al. (2004),

Pöhlig (1981) und Klarr et al. (1990). Die Mächtigkeiten der Salze können durch Salinartektonik und Subrosion

stark verändert sein.

Bohrungen, Schächte Werra-Salz Staßfurt-Salz Leine-Salz Aller-Salz

Sudheim III – 1 7 41

Sudheim II – 4,5 23 11

Sudheim I – 60 34

Reinhardsbrunn – 48 43 29

S. Oberhof – 24

Tückemühle – 5 – 32 69 70

Nörtener Wald – 67 61 40

S. Hindenburg – 54 63 45

S. Königshall – 44 70 49

Holzerode – 76 111 27

Northeim 1 – 595 50 49

Northeim 3 246

Dransfeld 1 – 17 – –

Lutter – 200 55

Fuhrbach/

Duderstadt

– 10 ? ?

Brehme 2, 3 – 27 51 5

Mittelwert 0 0 – 200 60 40

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

13

Schwelle am mächtigsten sind und im Becken

auf wenige Meter zurückgehen. Erst

durch die Ausfällung des mächtigen Staßfurt-Salzes

wird der Unterschied zwischen

Becken und Schwelle weitgehend ausgeglichen.

Das Leine-Sulfat und möglicherweise

auch das Leine-Salz ziehen mit etwa

gleichbleibender Mächtigkeit über die

Schwelle hinweg. Die darüber folgenden

Formationen des oberen Zechstein, die Aller-,

Ohre-, Friesland- und Fulda-Formation

bestehen neben dem Aller-Salz aus

geringmächtigen Ton- und Schluffsteinen.

Leine- und Aller-Salz sind zwar im Unteren

Eichsfeld nicht direkt nachgewiesen

worden, aber alle Bohrungen weisen zwischen

dem Leine-Sulfat und dem Unteren

Buntsandstein ausgeprägte Brekzienhorizonte

auf, ein direkter Hinweis auf die subrodierten

Salzschichten. Insgesamt kann

man für die Salzschichten des Zechstein

im westlichen Harzvorland je nach der paläogeografischen

Position mit einer Gesamtmächtigkeit

zwischen unter 100 und

300 m rechnen und zwar ist sie am Scheitel

der Schwelle am geringsten und steigt

flankenwärts an.

Über dem Zechstein folgt der Untere

Buntsandstein, der sich aus der Calvördeund

der Bernburg-Formation zusammensetzt

(Tab. 1). Die etwa 180 m mächtige

Calvörde-Formation ist vorwiegend tonig,

untergeordnet auch sandig ausgebildet.

Die ebenfalls tonig-siltige Bernburg-Formation

ist 140 m mächtig. Am westlichen

Rand des beschriebenen Gebiets kommt

auch der Mittlere Buntsandstein vor, der

im Gegenteil zum tonigen, wenig sandigen

Unteren Buntsandstein vorwiegend sandig

ausgebildet ist. Nach der Ablagerung der

Hardegsen-Formation wurde die Eichsfeld-Altmark-Schwelle

wieder tektonisch

reaktiviert (Paul & Klarr 1988). Die sogenannte

Hardegsen-Diskontinuität führte

auf der Eichsfeld-Schwelle zur Erosion der

gesamten Hardegsen-Formation und von

Teilen der Detfurth- und Volpriehausen-

Formation. Erst die Solling-Formation

geht wieder über die Schwelle hinweg.

Tertiäre Sedimente sind auf Erdfälle und

Senkungsgebiete bzw. Subrosionssenken

beschränkt, von denen aber viele wahrscheinlich

wieder verschwunden sind, da

in der Zwischenzeit die Erosionsbasis tiefer

gelegt worden ist. Die Füllungen der

Senken bestehen hauptsächlich aus limnischen

Sedimenten des jüngeren Tertiär. Es

gibt bislang keinen Hinweis, dass tertiäre

Sedimente zwischen dem Harz und dem

Leine-Bergland flächendeckend abgelagert

wurden oder sie sind inzwischen wieder

vollständig erodiert worden.

Die quartären Schichten

Ablagerungen des Pleistozän kommen

im südwestlichen Harzvorland hauptsächlich

in Form von Terrassen-Schottern vor,

dem groben Abtragungsschutt des Harzes

(Tab. 3). Dem für das Quartär charakteristischen

klimatischen Wechsel von Glazial-

und Interglazial-Zeiten entspricht

der Wechsel von Schotterkörpern und geringmächtigen

Ablagerungen von Löss,

Lössderivaten und Bodenbildungen, die

aber auch infolge späterer Erosion fehlen

können. Hinzu kommen größere Mächtigkeitsänderungen

und Störungen des

Gefüges durch die Subrosion, so dass die

zeitliche Zuordnung der einzelnen Kieskörper

zu den Terrassen sehr erschwert

ist (Weißermel et al. 1932). In verschiedenen

Senken treten limnisch-telmatische

Sedimente zu Tage oder sie wurden erbohrt.

Jordan (1976a, 1976b, 1995), Ricken

(1980, 1982, 1983) und Ricken & Meyer

(1982) ordneten im Unteren Eichsfeld die

quartären Schichten den unterschiedlichen

Terrassen und Boden-Komplexen zu.

Ricken (1980) nahm an, dass die

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


14 Josef Paul

Tab. 3 Stratigrafie und Alter der Pleistozän-Schichten. Jahre vor heute. Vereinfacht nach Streif (2004).

Internationale Gliederung Dauer (a) Alter (a)

Ober-Weichsel 2300 11 560 – 13 860

Ober-

Pleistozän

Weichsel-Kaltzeit

Mittel-Weichsel 43 000 14 000 – 57 000

Unter-Weichsel

Eem-Warmzeit 11 000 120 000

Saale-Komplex

Mittel-

Pleistozän

Holstein-Warmzeit 16 000 310 000

Elster-Komplex

Cromer-Komplex Rhume-Warmzeit 25 000 400 000

Bavel-Komplex

Menap-Komplex

Unter-

Pleistozän

Waal-Komplex

Eburon-Kaltzeit

Tegelen-Komplex

Prätegelen-Kaltzeit

2,6 Mio

heutigen Harztäler schon zur Zeit der ältesten

Terrasse, der Oberterrasse, voll entwickelt

waren. Allgemein fallen die Terrassen

vom westlichen Harz weg zunächst

relativ steil (0,8 %), dann im Unterlauf

mit 0,2 – 0,4 % nach Westen ein ( Jordan

1995). Die nur noch in Relikten erhaltene

bis 17 m mächtige Oberterrasse wurde

von Jordan (1976, 1995) und Ricken (1980,

1982) mit Vorbehalt in die Elster-Eiszeit

gestellt. Zwischen Herzberg und Hattorf

liegt sie in Gebieten außerhalb der flächenhaften

Subrosion des Werra-Sulfats

auf Höhen von 240 – 270 m üNN. Auf den

Schottern der Oberterrasse liegen wenige

Meter mächtige Lösse, die durch die Bildung

von Böden überprägt sind. Die wahrscheinlich

saalezeitliche Mittelterrasse

kann nach Ricken (1980) in eine Ältere

und eine Jüngere unterteilt werden. Auch

die Ältere Mittelterrasse ist nur in Relikten

vorhanden. Sie liegt etwa 20 m unter

dem Niveau der Oberterrasse und weist

eine Mindestmächtigkeit von vier Metern

auf. Dagegen ist die Jüngere Mittelterrasse

weit verbreitet. Im Raum Hattorf ist sie

etwa 9 m mächtig und liegt dort in einem

Niveau um 200 m üNN. Die darüber folgenden

Lössböden wurden möglicherweise

im Eem-Interglazial gebildet. Die

Ablagerungen von Lössen auf der Mittelterrasse

und die Bodenbildungen reichen

bis in das Jung-Pleistozän. Die weichselzeitliche

Niederterrasse hat im Eichsfeld

eine größere Verbreitung. Sie bedeckt fast

vollständig das Pöhlder Becken, füllt die

Täler der Oder, Sieber und Söse und ist

durch eine Bodenbildung, dem Lohner

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

15

Boden, zweigeteilt (Rohdenburg & Meyer

1966, Ricken 1980). Die jüngsten Ablagerungen

des südwestlichen Harzvorlandes

bestehen aus Löss, Schwemmlöss

und dem mittelalterlichen Auelehm.

Tektonik und Hydrogeologie

Im Unteren Eichsfeld wurden im ausstreichenden

Buntsandstein von den kartierenden

Geologen – die meisten geologischen

Meßtischblätter stammen aus der

Zeit vor 1900 – nur wenige Störungen festgestellt.

Eine Ursache mag sein, dass viele

der hier vorhandenen Störungen nicht erkannt

werden, da der größte Teil des Buntsandstein

unter quartären Terrassen oder

einem dünnen Schleier von Löss verborgen

ist. Wenn der Verwerfungsbetrag oft

nur Dekameter oder weniger beträgt, sind

Störungen nur schwer zu erkennen, da es

in der Schichtenfolge keinen Markerhorizont

gibt und außerdem die Subrosion

der Zechsteinsalze die hangenden Schichten

häufig verstellt und zerrüttet hat. Es ist

deshalb mit mehr Störungen des Gefüges

zu rechnen, als in den meist älteren geologischen

Karten dokumentiert sind.

Die Karbonate und Sulfate der Werra-

und der Staßfurt Formation sind sehr

gute Aquifere. Die Karbonate sind Kluft-

Wasserleiter, in den schwellennahen Gebieten

auch Poren-Wasserleiter. Der undurchlässige,

aber relativ geringmächtige

Leine-Tonstein schließt die durchlässigen

Schichten der Werra- und Staßfurt-Formation

nach oben hin ab. Die in den Bohrkernen

leicht zu erkennende Umwandlung

von Anhydrit in Gips ist ein guter Zeiger

für die beginnende Subrosion. Durch die

Lösung des Sulfatgesteins bilden sich ausgezeichnete

Wegsamkeiten, die in Karstphänomene

übergehen können (Priesnitz

1972).

Der Untere Buntsandstein ist hingegen

eher ein Aquitard oder Grundwasser-

Geringleiter. Er bildet ein knapp 350 m

mächtiges Hemmnis für den Zutritt und

Austausch von Wässern. Der sandige Mittlere

Buntsandstein ist wiederum ein guter

Festgesteins-Leiter, der durch stärker tonige

Abschnitte in drei Grundwasserleiter

aufgespalten ist: den Volpriehausen-,

Detfurth- und Solling-Sandstein (Frank

1987). Hervorragende Wasserleiter sind

naturgemäß die quartären grobkiesigen

Terrassenschotter der Flüsse.

Zunächst fallen das Aller- und Leine-

Salz der Subrosion zum Opfer, da sie den

Top der Zechsteinablagerungen bilden.

Entscheidend für die Subrosion von Salz

oder Gips ist sowohl der Zutritt von Wasser

als auch die Möglichkeit, die gelösten

Stoffe abzutransportieren, das heißt die

Wässer müssen mit dem zu lösenden Gestein

in Kontakt treten und es muss eine,

wenn auch langsame Bewegung der Lösungen

stattfinden; das Grundwasser muss

fließen können. Der Zutritt von Wässern

zu den Salzen kann zum Einen über den

Ausstrich der Karbonate und Sulfate am

Harzrand erfolgen und zum Anderen über

Störungen des Festgesteins, die Auflockerungen

des Gefüges und damit Wegsamkeiten

zur Folge haben.

Entstehung und Umfang der

Subrosion

Alle ehemaligen Seen und jetzigen

Feuchtgebiete entstanden infolge der unterirdischen

Lösung, der Subrosion, von

Salzen des Zechstein, insbesondere der

Steinsalz-Schichten der Staßfurt- und der

Leine-Formation (Tab. 1). Die Subrosion

von Salz findet, da es im hiesigen Klima

leicht löslich ist, in größerer Tiefe statt

als diejenige von Sulfaten und Karbonaten.

In Norddeutschland liegt der Salzspiegel

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16 Josef Paul

zwischen 300 und 500 m unter Flur. Eine

Subrosion von Sulfaten in Tiefen über 100

m wurde recht selten beschrieben. Aber

auch Karbonate können noch in größeren

Tiefen unter der heutigen Oberfläche

gelöst werden. So wurde in der Bohrung

Aue 1 im Harzvorland bei Herzberg

im Staßfurt-Karbonat ein mehrere Meter

mächtiger offener Hohlraum in einer Tiefe

von 106 m unter Flur erbohrt (Daume

1992).

Herrmann (1956) unterschied eine flächenhafte

und eine lokale Subrosion, die

letztere ist an Störungen gebunden und

beginnt von der Oberfläche her. Sie entspricht

wohl der irregulären Auslaugung

Webers (1952). Über Störungen des Gefüges

gelangen Grundwässer zu den Salzschichten

und können dann flächendeckend

subrodieren. Die Subrosion der

Gips- und Karbonat-Gesteine führt im

Allgemeinen eher zu kleineren lokalen

steilwandigen Erdfällen, deren Durchmesser

oft 20 m nicht übersteigt, während

die Lösung von Salz häufig großräumigere

Senken oder Wannen verursacht, deren

Größe mehrere km 2 erreichen. Ursache

dieses unterschiedlichen Verhaltens liegt in

der besseren Löslichkeit der Chloride.

Um das Ausmaß der Subrosion beurteilen

zu können, ist zwischen der synsedimentären

faziellen Mächtigkeitsreduktion

der Salze und der tertiär-quartären Subrosion

zu unterscheiden. Langbein & Seidel

(1968) haben Kriterien erarbeitet, die

beiden Faktoren zu trennen. Dies kann an

Hand der Ausbildung von Brekzien, Änderungen

des Mineralbestandes oder typischen

Rückstandsbildungen geschehen.

Im südlichen Niedersachsen wurden vor

etwa 100 Mio Jahren durch die Fernwirkung

der Alpidischen Gebirgsbildung große

Teile der Kruste gehoben. Insbesondere

die paläozoisch gefaltete Harzscholle

wurde an ihrer Nordflanke um mehr als

5 km gehoben und in der Folge die mesozoischen

und obersten paläozoischen

Schichten erosiv entfernt (von Eynatten

et al. 2008). Auch die westliche und südliche

Umgebung des Harzes wurde in diese

Hebung einbezogen, so dass rezent die

permischen und triassischen Schichten des

Unteren Eichsfeldes mit einigen Grad vom

Harz weg in Richtung Westen bzw. Süden

einfallen. Gelangten bei der Hebung und

der nachfolgenden Erosion die Salze des

Zechstein in Tiefen von weniger als etwa

500 m unter Flur, so kamen sie mit Grundwässern

in Kontakt und wurden gelöst,

ein Prozess, der auch heute noch abläuft.

Die über dem Salz liegenden Schichten

des Unteren und Mittleren Buntsandstein

sackten nach und zerbrachen in Schollen

und kleinere Trümmer, formten ein Schollenmosaik.

An der Erdoberfläche bildeten

sich infolge der Lösung der Salze Depressionen

oder Subrosionswannen, die sich im

humiden Klima mit Wasser füllten.

Der eingangs erwähnte Wechsel der

Landschaft zwischen Leine-Bergland und

Unterem Eichsfeld ist auf die Lösung des

Salzes im Untergrund zurückzuführen.

Westlich der Linie Northeim-Waake ist –

wie die Bohrungen zeigen – das Zechstein-Salz

noch intakt. Östlich anschließend

befindet sich ein relativ schmaler

Streifen von einigen Kilometern Breite in

dem das Salz nur noch teilweise vorhanden

ist. Dieser Streifen wird als „Salzhang“

bezeichnet, der das intakte Salzlager vom

teilsubrodierten und weiter zum Harzrand

hin vom vollständig salzfreien Raum

trennt (Abb. 1). Ein entsprechender Salzhang

zieht sich östlich und südlich von

Duderstadt um das Ohmgebirge hin. Fast

alle erkennbaren Subrosionssenken liegen

am Rande oder in der Nähe des Salzhangs.

Auf der Hochfläche des Göttinger Waldes,

der aus Unterem Muschelkalk besteht,

liegen in einer Höhe von 400 m üNN

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Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

17

in einem verkarstetem fossilen Bachlauf

oder einer fossilen Karstspalte bis zu

0,5 cm Durchmesser erreichende Bohnerze

und Gerölle von Quarzit, Kieselschiefer

und Buntsandstein (Hempel 1954, Ritzkowski

1999)). Auch an anderen Stellen

des nordöstlichen Göttinger Waldes, die

durch leichte Depressionen im Gelände

gekennzeichnet sind, wurden ebenfalls

Bohnerze gefunden. Die Bohnerze, kleine

Konkretionen von Limonit und Goethit,

bildeten sich in einem warmen wechselfeuchten

Klima, wie es im Oligozän und

Miozän vorherrschte. Ein genaues Alter

der Vorkommen kann leider nicht angegeben

werden, aber da sich im rezenten Klima

Norddeutschlands keine Bohnerze bilden,

müssen sie präquartären Alters sein.

Die Vorkommen auf dem Göttinger Wald

sind auf Grund ihrer Rundung und Politur

sicher fluviatil transportiert worden.

Die Quarzit- und Kieselschiefer-Gerölle

können nur aus dem Bereich des Harzes

stammen und müssen fluviatil auf den

Muschelkalk des Göttinger Waldes transportiert

worden sein, das heißt, das Untere

Eichsfeld, das rezent eine Höhe von

etwa 200 bis 220 m üNN aufweist, muss

zur Zeit der Ablagerung der Gerölle eine

allgemeine Höhe von 400 m nicht unterschritten

haben. Seit dieser Zeit, dem jüngeren

Tertiär, ist das Untere Eichsfeld um

minimal 180 m abgesenkt worden. Da ein

Gefälle vom Harz zum Göttinger Wald

anzunehmen ist, dürfte der Betrag um den

das Untere Eichsfeld gegenüber dem Göttinger

Wald und dem Harz abgesenkt worden

ist, etwa 200 m und mehr betragen.

Dieser Wert liegt in der gleichen Größenordnung

wie die Mächtigkeit der Zechsteinsalze

plus eines Anteils von erodierten

Sand- und Tonsteinen des Buntsandstein.

Das kleinräumige Zerbrechen und Verstellen

der hangenden Schichten förderte

die Erosion, die zu einer Nivellierung des

Reliefs führte. Zusätzlich lagerte sich während

des Pleistozän Löss ab, der den Böden

des Eichsfeldes eine besondere Fruchtbarkeit

bringt, die zu der dortigen intensiven

Landwirtschaft führte. Außerdem wurde

der Löss im ausgehenden Pleistozän bei

fehlender Pflanzendecke durch Niederschläge

als Schwemmlöss leicht verlagert.

Beschreibung ausgewählter

Subrosions-Senken und ihre

zeitliche Entwicklung

Die Füllungen einzelner Subrosionssenken

weisen je nach Standort, Größe und

Alter sehr unterschiedliche Fazies und

Entwicklungen auf, so dass hier nur einzelne

ausgewählte charakteristische Beispiele

beschrieben werden. Viele der in Abbildung

1 eingetragenen Senken sind geologisch

jedoch bislang noch nicht näher untersucht

worden. Außerdem gibt es sicher

eine Reihe von wahrscheinlich älteren Subrosionssenken,

die bislang nicht erkannt

worden sind, da sie mit fluviatilen Schottern

der Oder, Hahle oder Rhume gefüllt

und von Löss bedeckt sind. Allen Senken

gemeinsam ist, dass ihre präquartäre Unterlage

von Gesteinen des Buntsandstein

gebildet wird. Die untersuchten Subrosions-Senken

werden von Norden nach Süden

vorgestellt, wobei die Senken von Willershausen,

Denkershausen und Westerhof

noch im Bereich des Leine-Berglands liegen.

Die einzelnen Senken werden unterschiedlich

als Senke, Becken, Teich oder

See bezeichnet. Es werden hier die traditionell

gebräuchlichen Namen verwendet.

Daneben gibt es im Unteren Eichsfeld

noch kleinere Erdfälle, die meist holozänen,

weichsel- oder eem-zeitlichen Alters

sind (Ricken & Grüger 1988). Sie sind

sehr wahrscheinlich das Resultat der Gipslösung

und werden hier nicht behandelt.

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18 Josef Paul

Willershäuser Senke

Die Senke von Willershausen ist die älteste

und bekannteste Subrosionssenke am

Harzrand. Sie liegt am nördlichen Ende

des hier beschriebenen Gebiets (Abb. 1,

Nr. 1). Bekannt ist die ehemalige Tongrube

von Willershausen infolge ihrer zahlreichen

und hervorragend erhaltenen Fossilien,

die einen umfassenden Einblick in

die Umwelt des Harzrandes kurz vor der

Eiszeit ermöglichen. Insgesamt ist das Tertiärvorkommen

von Oldenrode – Düderode

– Willershausen etwa 5,5 km 2 groß

(Vinken 1967). Es bildet ein V-förmiges

nach Norden geöffnetes Vorkommen mit

dem Ort Willershausen in der Spitze. Es

grenzt nach der Kartierung von Jordan

(1996) im Westen mit Störungen an den

Lias und Unteren Keuper und im Osten an

den Unteren und Mittleren Buntsandstein.

Bohrungen der Harz-Lahn-Erzbergbau

AG nördlich von Willershausen ergaben

nach Norden abtauchende bis zu 270 m

mächtige tertiäre sandig-tonige Ablagerungen

mit mehreren bis zu 17 m mächtigen

Braunkohlenflözen, deren unterer

Teil untermiozäne Pollen enthält (Vinken

1967, Jordan 1996).

Die ehemalige Tongrube der Willershäuser

Ziegelei, in der die Fossil-Lagerstätte

liegt, befindet sich im südlichsten Zipfel

des Tertiärvorkommens. Die zum größten

Teil bereits abgebauten Tone nehmen ein

Gebiet von 300 m Länge und weniger als

150 m Breite ein. Am südlichen Rand der

Grube sind Sandsteine der Volpriehausen-

Formation (Mittlerer Buntsandstein), im

Westen und Osten sandige tertiäre Randfazies

aufgeschlossen. Die tonige Beckenfazies

ist auf das Zentrum der Grube beschränkt.

Sie besteht aus gut geschichteten

bis laminierten, dunkelgrauen Tonsteinen,

die sich randlich mit sandigen Sedimenten

verzahnen. In dieser 15 bis 20 m

mächtigen Abfolge tritt eine etwa 30 cm

mächtige laminierte Karbonatschicht auf,

die im Becken aus Dolomit und zum Rand

hin aus Calcit und schließlich aus mit Calcit

zementiertem Sand besteht. Die Laminae

sind 0,05 – 0,2 cm mächtig (Abb. 3). In

dieser laminierten Schicht sind in bester

Erhaltung zahlreiche Fossilien archiviert

worden. Insgesamt wurden wohl hauptsächlich

aus Blättern bestehende 30 000

Fossilien gesammelt und mehr als 300

Arten diverser Lebewesen beschrieben.

Die Blätter enthalten zahlreiche tertiäre

Elemente, wie Liriodendron, den Tulpenbaumm

und Liquidambar (Amberbaum)

beides Arten, die heute im südöstlichen

Nordamerika vorkommen. Eine Zusammenfassung

der Arten des Willershäuser

Tertiärwaldes gibt Knobloch (1998). Die

Spannweite der tierischen Fossilien reicht

vom Riesensalamander (An drias scheuchzeri),

über Mäuse mit Haut und Haaren,

Frösche mit Laichschnüren bis zu einer

Gottesanbeterin. Interessant ist ein Backenzahn

des Mastodonten Anancus arvernensis,

der ein Leitfossil für das Pliozän ist,

obwohl in jüngster Zeit A. arvernensis auch

Abb. 3 Dolomitische Laminite im Pliozän von

Willershausen. Foto: Paul.

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Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

19

Abb. 4 Die Westerhöfer Senke. Der grüne Streifen

links von der Bildmitte bildet den Entwässerungsgraben

des ehemaligen Sees. Foto: Paul.

im ältesten Pleistozän gefunden wurde

(Garrido & Arribas 2014). Aber die Flora

von Willershausen weist zahlreiche tertiäre

Arten auf, die in Mitteleuropa in der Eiszeit

ausstarben.

Hohe Natrium-Gehalte, die in das Kristallgitter

des Dolomits eingebaut sind,

und zahlreiche Diatomeen der halophilen

Gattung Stephanodiscus beweisen, dass das

meromikte Wasser des Teiches zumindest

zeitweise salzhaltig war. Insgesamt zeigen

Flora, Fauna und Klima ein Environment

an, wie es kurz vor dem Eintritt der Eiszeit

in Mitteleuropa herrschte. Bemerkenswert

ist, dass ein Flurname nordöstlich von

Willershausen „Über der Salzwiese“ heißt

und damit indirekt ein Nachweis für die

noch andauernde Subrosion ist. Über die

Sedimentologie und Fazies der Willershäuser

Fossil-Lagerstätte wird in einer gesonderten

Arbeit berichtet (Paul in Vorbereitung).

Der Abbau der Tone wurde 1974 eingestellt.

1976 wurde die Grube von Willershausen

unter Naturschutz gestellt und zum

Schutz vor Raubgräbern eingezäunt.

Westerhöfer Senke

Der Ort Westerhof liegt etwa 1,5 km

südöstlich von Willershausen. Die Westerhöfer

Senke (Abb. 1, Nr. 2) befindet

sich knapp 2 km südlich Westerhof zwischen

der Erhebung des aus Oberem Muschelkalk

bestehenden Imbshäuser Waldes

im Westen und dem aus Mittleren Buntsandstein

aufgebauten Westerhöfer Bergland

(Sauerland 1976). Die Senke erstreckt

sich in einer Höhe von 147 m üNN etwa

1 km in nordöstlicher Richtung und 600 m

senkrecht dazu (Abb. 4). Bis 1840 befand

sich hier ein 0,6 km 2 großer See, der dann

trocken gelegt wurde, um Äcker und Wiesen

zu gewinnen.

Nur die obersten 60 m der Füllung dieser

Senke sind bislang mittels Bohrungen

erkundet worden. Jordan (1996) beschrieb

braune bis dunkelgraue, bituminöse Tone

und Silte, die Süßwasser-Ostracoden führten.

Petersen (1979) erbohrte in 12 m Tiefe

graue Tone, die Pollen der Reuver-Stufe,

der obersten Stufe des Pliozän, enthielten

(mündliche Mitteilung Prof. H.-J. Beug,

Göttingen). Ältere Bohrungen in der

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


20 Josef Paul

Westerhöfer Senke erbrachten unter 10 m

mächtigen Lehm- und Sand-Schichten

50 – 60 m mächtige blaue Tone mit einem

30 – 80 cm mächtigen Braunkohlen-Zwischenmittel.

Diese Tone gehören mit einiger

Wahrscheinlichkeit ins Miozän.

Die Westerhöfer Senke weist eine etwas

andere Entstehung als die meisten anderen

Subrosionsenken des westlichen Harzrandes

auf. Petersen (1979) wies in seiner

Kartierung des Imbshäuser Waldes, der im

Westen an die Senke grenzt nach, dass der

Untere Keuper am Kontakt zur Senke steil

bis überkippt nach Osten einfällt. Sauerland

(1976) konnte belegen, dass östlich

und nordöstlich der Senke mehrere große

Schollen von Oberem und Unterem Muschelkalk

und Unterem Keuper allochthon

unter Ausfall von Röt und Unterem Muschelkalk

auf Mittlerem Buntsandstein

liegen, darunter die mehr als 1,5 km lange

Scholle des Ziegenbergs nordöstlich

der Westerhöfer Senke. Sowohl die Lagerung

dieser bis 40 m mächtigen Schollen

als auch die des unterlagernden Mittleren

Buntsandstein sind nahezu horizontal.

Das heißt, es fehlen dazwischen mehr als

300 m der normalen Schichtenfolge. Ferner

stellte Nielsen (in Vinken 1967) an

Hand von Schwefel-Isotopen fest, dass ein

Gipsvorkommen, das etwa 1,5 km östlich

der Senke in einem kleinen aufgegebenen

Steinbruch im Niveau des Unteren Röt

aufgeschlossen ist, die isotopische Signatur

der Zechstein-Gipse aufweist. Aus diesen

Befunden kann geschlossen werden, dass

im heutigen Gebiet der Westerhöfer Senke

Zechstein-Salz diapirartig bis an oder nahe

an die Oberfläche aufstieg und bei dem

Aufstieg einzelne mitgeschleppte Schollen

des Zechstein lateral in das Niveau des

Röt- und Muschelkalk-Salinars verfrachtete.

Nach oder bereits während des Aufstiegs

wurde das Salz subrodiert und es bildete

sich eine Subrosionssenke.

Auch in der Westerhöfer Senke liegen

wie in Willershausen Anzeichen für eine

Lösung von Salz noch in historischer Zeit

vor. Peter (1901) gab für die Wiesen des

ehemaligen Westerhöfer Teiches salzliebende

Pflanzen an. Klingner (1930) führte

versalzene Brunnen im Ort Westerhof an.

Zusammenfassend ist anzunehmen, dass

der Subrosion der Westerhöfer Senke eine

Diapirphase vorausging, die vermutlich

durch eine Störung induziert wurde. Die

Subrosion setzte spätestens im Miozän ein

und dauert noch an. Allerdings sind pleistozäne

Ablagerungen bislang nicht entdeckt

worden. Möglicherweise pausierte

die Subrosion während der Kaltzeiten oder

ging nur sehr langsam vonstatten.

Denkershäuser Teich

In der Kurhannoverschen Landesaufnahme

von 1784 befand sich einige Kilometer

nördlich von Northeim, direkt westlich

des Ortes Denkershausen, ein etwa

70 ha großer Teich, dessen Oberfläche bei

etwa 150 m üNN lag (Abb. 1, Nr. 3). Vom

18. bis zum 20. Jahrhundert wurde er, um

Äcker und Wiesen zu gewinnen, durch

mehrmalige Drainagen und Tieferlegung

der Vorflut bis auf einen kleinen Restteich

von 8 ha verkleinert (Abb. 5). Die jetzige

Oberfläche des Teiches liegt bei 146 m

üNN, die umliegenden Berge werden bis

250 m hoch. Insgesamt umfasst die Senke

eine Fläche von etwa 4,5 km 2 .

Die Umgebung des Denkershäuser Teiches

besteht im Süden aus dem kuppelförmig

gelagerten Unteren Muschelkalk des

Rethobergs (Vollbrecht 1976, Ay 1980,

Jordan 1996). Im Westen und Norden befinden

sich Unterer und Mittlerer Keuper,

die fast vollständig von einer dünnen Lössschicht

bedeckt sind. Im Nordosten grenzt

die Senke an den Oberen Muschelkalk des

Klimp-Bergs. Im Osten steht eine stark

gestörte Folge vom Oberen Buntsandstein

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

21

Abb. 5 Der Denkershäuser Teich reichte früher

vom rechten bis an den linken Bildrand. Infolge

mehrfacher Dränierung ist nur noch ein Restteich

vorhanden. Foto Paul.

bis zum Oberen Muschelkalk an. Tektonisch

ist die Senke fast von allen Seiten

von Störungen umgeben ( Jordan 1996).

Sie liegt zwischen dem Northeim-Langenholtensener

Graben und der Denkershäuser

Störung. Reliefbildend sind vor allem

diapirartige Aufwölbungen, so bilden

der Rethoberg und der Echter Wald bzw.

Imbshäuser Wald Beulen, die auf die Intrusion

von Zechsteinsalzen in das Niveau

des Mittleren Muschelkalk zurückgeführt

werden.

Zahlreiche Peilstangen-Bohrungen und

einige bis 95 m tiefe Drill- und Kernbohrungen

erlauben eine detaillierte Rekonstruktion

der Geschichte des Teiches

(Puteanus 1982, Jordan 1996). Ein N-S-

Schnitt zeigt die räumliche Entwicklung

der Denkershäuser Senke. Durch eine Barre

ist die Senke in einen kleineren Nordund

einen größeren Südbereich unterteilt

(Abb. 6). Der mesozoische Untergrund der

tiefsten Bohrung DHT 1 besteht aus verstürztem

und zum Teil brekziertem Unterund

Mittelkeuper (38 – 95 m Teufe), den

Jordan (1996) als Folge der Subrosion von

Zechsteinsalz ansah. Darüber liegen bis

27 m mächtige pleistozäne Fließerden, deren

Klasten vorwiegend aus Keupermergel,

untergeordnet auch Muschelkalk, bestehen.

Es folgen ein 5 m mächtiger Schwemmlöss,

dessen Alter mangels überlieferten

Pollen nicht bestimmt werden konnte.

Die darüber liegenden bis 13 m mächtigen

Mudden und Torfe wurden in mehreren

Bohrungen detailliert untersucht. Die

limnisch-telmatische Folge setzt mit einer

mineralischen Mudde ein, die in der Pollenzone

(PZ) IV (Präboreal) beginnt und

sich in PZ V (Boreal) fortsetzt, zeitweise

unterbrochen von Mudden mit höheren

Karbonat-Gehalten, die bis zum Stadium

der Seekreide reichen. Mit dem Atlantikum

(PZ VI und VII) nimmt die Produktion

organischer Substanzen stark zu. Es

bilden sich Torfe und organische Mudden,

im Norden des Beckens auch Seekreide.

In den PZ VIII (Subboreal) und PZ IX

(Subatlantikum) kam es hauptsächlich zur

Bildung von bis zu sieben Meter mächtigen

Torfen und Torfmudden. Die PZ X

(s. Tab. 5) ist durch einen starken Anstieg

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


22 Josef Paul

Abb. 6 Querprofil durch die Sedimente des

Denkershäuser Teiches. DHT1 Bohrung Denkershäuser

Teich 1. Nach Puteanus (1982).

der Nichtbaumpollen gekennzeichnet, der

eine Folge des mittelalterlichen Ackerbaus

und der Viehwirtschaft ist. Die neuzeitlichen

Spiegelabsenkungen führten zu

mehreren Metern mächtigen Ablagerungen

von Schwemmlöss. Seedorf (1955) berichtete

von Beständen von Halophyten im

und am Denkershäuser Teich. Allerdings

ergaben Messungen der Chlorid-Gehalte

des Teiches und seiner Zuläufe keine erhöhten

Werte (Puteanus 1982).

Die Absenkung des Wasserspiegels,

die Einleitung häuslicher und landwirtschaftlicher

Abwässer und die intensive

Landwirtschaft in der Umgebung führten

zu einer starken Eu- bis Hypertrophierung

des nur wenige Meter tiefen Restgewässers.

Die große Produktion von Biomasse

und die Einschwemmung von mineralischen

Partikeln verursacht eine schnelle

Verlandung des unter Naturschutz stehenden

Gewässers. Zur Verringerung der Belastung

des Teiches wurde für die häuslichen

Abwässer der Dörfer Lagershausen

und Denkershausen eine Ringleitung gelegt.

Über die Genese der Denkershäuser

Senke wird seit langem diskutiert.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

23

Während vor allem die älteren Autoren

vorwiegend einen tektonischen Ursprung

favorisierten (Grupe 1916, Klingner 1930,

Brinkmann 1932, Lüttig 1954), nehmen

andere Autoren gemischte, also tektonische

und halotektonische Gründe an

(Seedorf 1955, Vinken 1967, Benda et al.

1968), andere wiederum stellen die Subrosion

des Salzes in den Vordergrund (Kölbel

1941, Jordan 1996).

Zur Datierung des Beginns der Subrosion

sind fluviatile Schotter wichtig, die nur

wenige 100 m weiter westlich, aber außerhalb

der Senke liegen (Grupe 1916, Lüttig

1954). Es sind nach ihrer lithologischen

Zusammensetzung Rhume-Schotter, die

zur elsterzeitlichen Oberterrasse gestellt

werden und die bis zu 30 m über dem

Niveau des Teiches liegen. Lüttig (1954)

schloss daraus, dass die Subrosion der Denkershäuser

Senke erst nach der Ablagerung

der Oberterrasse einsetzte, denn sonst wäre

die Senke mit den Schottern der Rhume

gefüllt worden. Insgesamt ergibt sich, dass

die quartäre oder quartär beeinflusste Füllung

der Senke mehr als 100 m mächtig ist.

Ab dem ausgehenden Pleistozän und im

Holozän lässt sich eine mehr oder minder

kontinuierliche Absenkung nachweisen.

Auslöser der Absenkung kann neben der

Subrosion auch das Abwandern des Salzes

in die benachbarten Salzbeulen des Rethobergs

und des Imbshäuser Waldes sein.

Bilshäuser Becken

In der inzwischen aufgelassenen Bilshäuser

Tongrube (Abb. 1, Nr. 4) befindet

sich nach Kühl (2008) das einzige vollständig

überlieferte laminierte Vorkommen des

Cromer-Komplexes (Mittleres Pleistozän)

in Deutschland (Tab. 3). Die räumliche

Ausdehnung des Bilshäuser Beckens beträgt

nach Bismarck (1942), der zahlreiche

Bohrungen der Ziegelei Bilshausen (heute

Jacobi Tonwerke GmbH) auswertete,

in N-S-Richtung knapp drei km und weniger

als einen km in W-E-Richtung. Die

Fortsetzung nach Norden ist ungewiss, da

hier die pleistozänen Sedimente von der

Rhume vermutlich erodiert wurden. Die

Oberfläche des Pleistozän liegt zwischen

150 und 200 m üNN. Nach Lüttig & Rein

(1954) grenzt das Vorkommen im Osten

mit einer Störung an den Mittleren Buntsandstein.

Die Tongrube und mehrere am Rand

der Grube abgeteufte bis 70 m tiefe Bohrungen

erschlossen das in Tabelle 4 dargestellte

Profil. Über anstehendem Buntsandstein

wurden fluviatile Schotter, die

vorwiegend aus Buntsandstein bestehen

und graue und rote Tone und Sande erbohrt.

Darüber folgen bis 20 m mächtige

dunkelgraue bis schwarze laminierte Tone,

die dünne graue und weiße Sandlagen enthalten.

Außerdem sind sie voller pflanzlicher

Makro- und Mikroreste. Bismarck

(1942) bestimmte in den schwarzen Tonen

einen durchschnittlichen Gehalt von etwa

50 % organische Substanz. Er führte auch

die ersten Pollenanalysen durch und stellte

diesen „Kohlenton“ in das Günz-Mindel-

Interglazial, das heute in Nordeuropa als

Cromer-Komplex bezeichnet wird. Lüttig

& Rein (1954) beziehungsweise Lüttig

(1965) benannten die in der Grube aufgeschlossenen

warmzeitlichen Tone nach

dem an Bilshausen vorbei fließenden Fluss

als „Rhume-Interstadial“. Die in der Folgezeit

von verschiedenen Autoren durchgeführten

Pollenanalysen bestätigten die

Einstufung in den Cromer-Komplex, verfeinerten

gleichzeitig die Stratigrafie und

ermöglichten exakte Aussagen zum damaligen

Klima (Chanda 1962, Averdieck

& von der Brelie 1963, Müller 1965, 1992,

Streif 2001, Diehl 2007, Kühl 2008). Die

durchschnittliche Dicke der Lamina beträgt

nach Diehl (2007) 0,35 – 0,45 mm.

Nach Untersuchungen von Müller (1965)

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


24 Josef Paul

Tab. 4 Lithologie und Stratigrafie der quartären Schichtenfolge des Bilshäuser Beckens. Nach Lüttig &

Rein (1955), Lüttig 1965, Rohdenburg & Meyer (1966), Müller (1992), Streif (2004) und Diehl (2007).

Lithologie

Stratigrafie

Jüngerer Löss 1 + 2 Weichsel 1,5

Verlehmungszone Eem-Warmzeit 3,0

Älterer Löss 1 + 2 Saale-Komplex Saale-Eiszeit 3,0

Mächtigkeit

(m)

Autor

Selzer 1936 Rohdenburg

& Meyer

1966

Geröll-Schicht

Elster-Kaltzeit 0,8

Ton, siltig, grau

Elster-Komplex

Gelkenbach-

Interstadial

Lüttig 1965

Oberer Ton, rot

Roter Ton von

Bilshausen

5 – 10

Ton, blaugrau

Ton, hellgrau

(Kohleton)

Cromer-Komplex

Rhume-

Warmzeit

20

Müller 1965, Diehl

2007

Unterer Ton, rot ?

Ton, humos, ?

Lehm + Buntsandsteinbrocken

21 Müller 1965

7

Buntsandstein

sind es jahreszeitliche Warven. Die Hochrechnung

der Zahl der Warven ergibt, dass

die Rhume-Warmzeit etwa 25 000 Jahre

dauerte. Die Rhume-Warmzeit ist die

jüngste Einheit des aus vier Warmzeiten

und drei Kaltzeiten bestehenden Cromer-

Komplexes. Sie setzt nach den Pollen-Untersuchungen

über einer waldfreien Zeit

(Unterer Roter Ton) mit einem Kiefern-

Birken Wald ein. Die klimatische Klimax

wird mit einem Buchen-Eichenmischwald

erreicht. Die Warmzeit klingt mit einem

Fichten-Kiefern-Birkenwald aus, bevor

sich eine Tundra ausbreitet, die mit dem

Oberen Roten Ton einsetzt.

Zwischen 1930 und 1965 wurden in der

Grube etliche Großsäugerreste geborgen,

darunter zwei Exemplare des Riesenelchs

Cervalces latifrons, des Steppenhirsches

Megaloceros verticornis, Reste eines oder

zweier Nashörner Stephanorhinus etruscus

und mehrerer Rehe (Schmidt 1934, Bismarck

1942, Lüttig 1965, Meischner &

Schneider 1967, Pfeiffer 2002). Die genaue

Position der Funde in der Schichtenfolge

ist leider nicht überliefert. Die meisten

Fossilien werden im Museum des Geowissenschaftlichen

Zentrums der Universität

Göttingen aufbewahrt. Das Etruskische

Nashorn (Stephanorhinus etruscus) soll nach

neueren Untersuchungen bereits im unteren

Cromer-Komplex ausgestorben sein

(Made 2010, Kahlke et al. 2011), so dass

hier möglicherweise eine Fehlbestimmung

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

25

vorliegt (Schmidt 1934, Bismarck 1942).

Neben den Großsäugern wurden mehrere

Fischarten gefunden, darunter neben

Fisch-Schuppen vollständige Skelette

von Rotfedern und eines Hechtes

(Weiler 1965). An Makropflanzen konnte

Bismarck (1942) neben unbestimmbaren

Teilen nicht sehr zahlreiche Blattund

Stängelreste von Phragmites vulgaris,

Scirpus sp. und Carex aquatilis feststellen.

Neben den Blättern und Früchten diverser

Bäume fand er noch Reste von Moosen

(Sphagnum, Hypnum und Polytrichum).

Bei den Diatomeen war die planktonische

Gattung Cyclotella bei weitem am häufigsten,

zum Teil Alleinvertreter. Leider bestimmte

Bismarck (1942) nur die Gattung,

nicht aber die Art. An der Grenze zum

hangenden Roten Ton nimmt die Häufigkeit

der Diatomeen stark ab.

Die ungestörte Lamination, der hohe

Gehalt an organischer Masse und die ausgezeichnete

Konservierung der Fossilien

zeigen, dass das Bodenwasser des Sees

dauerhaft keinen Sauerstoff enthielt. Tierische

und pflanzliche Lebewesen, die in den

See hinein gespült wurden oder im Epilimnion

lebten, blieben erhalten, wenn ihre

Leichen ins Hypolimnion absanken. Der

Bilshausen-See war, ähnlich wie Willershausen,

ein meromiktischer See. Über die

Ursachen der Meromixis kann nur spekuliert

werden. In Frage kommen entweder

eine thermische Schichtung, dann müsste

der See relativ tief gewesen sein oder eine

chemische Schichtung, bedingt durch einen

hohen Salzgehalt im Hypolimnion.

Das absolute Vorherrschen der Diatomeen-Gattung

Cyclotella, die sowohl im Süßwasser

als auch im Salzwasser vorkommt,

spricht für abnorme hydrologische Bedingungen.

Im feingeschichteten Oberen Roten Ton

wurden bislang außer Sporen von Moosen

keine Fossilien gefunden. Er wird deshalb

in den Elster-Komplex gestellt, der auf

den Cromer-Komplex folgt. Im darüber

anschließenden grauen Ton, den Lüttig

(1965) nach einem dort fließenden Bach

als Gelkenbach-Ton bezeichnete, wurden

neben Pflanzenfossilien und Fischen

auch Reste von Großsäugern gefunden, so

auch von einem Riesenelch. Die Fossilien

unterscheiden sich aber nicht von denen

des Bilshausen-Tones. Die Mikroflora des

Gelkenbach-Tones zeigt eine aus wenigen

Baumarten bestehende Steppe. Sie wird

als ausgehende Warmzeit im Übergang zu

einer Kaltzeit gedeutet. Über diesen laminierten

schwarzen, siltigen Tonen lagert

der bis knapp 10 m mächtige rote Bilshäuser

Bodenkomplex, der nach Rohdenburg

& Meyer (1966) in der Eem-Warmzeit

entstand. Ein geringmächtiger Weichsellöss

schließt die Schichtenfolge ab.

Bohrungen der Bilshäuser Ziegelei ergaben,

dass das Pleistozän-Vorkommen

aus einem nördlichen und einem südlichen

Becken besteht, die aber wohl in Verbindung

standen, da die sedimentäre Abfolge

in beiden Teilen gleich ist, obwohl die Ablagerungen

unterschiedlich mächtig sind

und ihre jetzigen Höhenlagen variieren.

Bismarck (1942) leitete daraus ein zeitlich

unterschiedliches Absinken der beiden

Beckenteile ab.

Der von Diehl (2007) untersuchte Bohrkern

wies viele Störungen des Gefüges

auf, so Profilverdopplungen, Abscherungen

und Rutschfalten, die darauf schließen

lassen, dass die Sedimente an einem Hang

abgelagert wurden. Auch die Nähe zum

anstehenden Buntsandstein zeigt, dass die

Tongrube am Rande eines relativ steilen

Ufers angelegt wurde. Das trifft auch auf

die Funde der Großsäuger zu, die möglicherweise

durch Einbrechen im Eis oder

durch Schwingrasen zu Tode kamen.

Die Tongrube von Bilshausen belegt

eine mehr oder minder kontinuierliche

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


26 Josef Paul

Sedimentation in einem Subrosionsbecken,

die vom jüngeren Cromer-Komplex

(vor etwa 400 000 Jahren) bis in die

jüngsten Ablagerungen der Weichsel-Zeit

(10 000 Jahre vor heute) reicht.

Bodensee-Senke

Der ehemalige Bodensee oder Teich befand

sich nordwestlich des gleichnamigen

Dorfes, das drei km südwestlich von Bilshausen

entfernt ist (Abb. 1, Nr. 5). Er liegt

nach der Entwässerung, die im 19. Jahrhundert

erfolgte, als eine etwa 1 km lange

und knapp 0,7 km breite Senke vor, deren

Oberfläche bis zu 30 m von den umgebenden

Hügeln des Buntsandsteins überragt

wird. Bohrungen der Bilshausener Ziegelei

trafen unter mehreren Metern graublauen

und gelbbraunen Löss auf graue und

schwarze Tone, die nach Bismarck (1942)

dem grauen, später als Gelkenbach-Ton

bezeichneten Ton in Bilshausen entsprechen.

Bereits Bismarck (1942) vermutete,

dass unter den grauen Tonen noch ältere

pleistozäne Ablagerungen vorhanden seien,

die aber noch nicht untersucht worden

sind.

Seeburger See

Das Seeburger Becken ist eines der bedeutendsten

Subrosionsfelder des Unteren

Eichsfeldes (Abb. 1, Nr. 6). Es setzt

sich aus vier voneinander getrennten Subrosionssenken

zusammen: dem eigentlichen

Seeburger See (früher als Ostersee

bezeichnet), dem Luttersee, dem Seeanger

(früher Westersee), und den Auewiesen.

Bismarck (1942) vermutete, dass diesen

Senken ein einheitlicher etwa fünf

km 2 großer Einbruchskessel zu Grunde

liege. Dieser Ansicht widerspricht aber,

dass der Steinberg, der aus Gesteinen der

Abb. 7 Der Seeburger See, Blick nach Nord osten.

Im Hintergrund der Acker-Bruchberg-Zug des Harzes.

Foto: Paul.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

27

Volpriehausen-Formation des Mittleren

Buntsandstein besteht, fast in der Mitte

dieses Gebietes liegt und die Senken um

mehr als 70 m überragt.

Der Seeburger See wurde von Streif

(1970) intensiv limnogeologisch mittels

zahlreicher Bohrungen im See und in der

Umgebung untersucht. Der See ist knapp

einen km 2 groß und bis zu 4 m tief (Nixdorf

et al., ohne Jahresangabe). Sein künstlich

gesteuerter Wasserspiegel liegt bei

156,6 m üNN. Der jetzige See ist der Restsee

innerhalb einer etwas größeren Subrosionssenke

(Abb. 7). Ein kleiner Bach,

die Aue, der am Muschelkalk-Plateau des

Göttinger Waldes bei Waake entspringt,

durchfließt den See und verlässt ihn wieder

an seinem Ostufer bei Bernshausen.

Der mesozoische Untergrund des Seeburger

Sees und seiner Umgebung besteht

aus verstellten Schollen der Volpriehausen-

Formation des Mittleren Buntsandstein

(Streif 1970). Die quartäre Basis des Sees

wird von Schwemmlöss gebildet, der wahrscheinlich

spät-pleistozänen Alters ist. Darüber

setzen bis zu 17 m mächtige limnisch-telmatische

Sedimente ein. Mittels

eines engmaschigen Netzes von Bohrungen

konnte Streif (1970) die Entwicklung

der sedimentären Füllung rekonstruieren.

Im Beckenzentrum wurden nacheinander

verschiedenfarbige Mudden abgelagert, die

jeweils verschieden hohe Gehalte an Mineralien

(Tonmineralien, Quarz, Feldspäte,

Calcit) und organischen Bestandteilen

aufweisen, während an den Rändern des

Beckens Torfmudden und Torfe überwiegen.

Die jüngeren Mudden sind kalkreich

und weisen Karbonat-Gehalte bis zu 80 %

auf. Dies ist wohl eine Folge des Zutritts

von karbonatreichen Wässern der Aue,

die im älteren Holozän nicht durch den

See floss. Pollen-Analysen und zur Kontrolle

einige 14 C-Altersbestimmungen erlauben

die Zuordnung zu den Zonen der

Waldentwicklung Mitteleuropas nach

dem Ende der Eiszeit. Steinberg (1944)

und Streif (1970) stimmen überein, dass

die ältesten Mudden in die Pollen-Zone

PZ III nach Firbas (1949) fallen (Tab. 5).

Streif (1970) nimmt mehrere Impulse der

Absenkung an. Im Laufe der Entwicklung

vergrößerte sich die Wasserfläche der

Senke und die größten Mächtigkeiten der

Mudden verlagerten sich, entsprechend

der Absenkung durch die Subrosion. Das

Maximum der Ausdehnung des Sees wurde

während der PZ IX erreicht.

Bereits ab dem Mittelalter setzte eine

starke Verlandung ein, wohl ausgelöst

durch rigorose Abholzungen und die

Landwirtschaft, die zum verstärkten Eintrag

mineralischer Stoffe in den See führten.

An der Mündung der Aue bildete sich

ein ständig wachsendes Delta. Die in der

Neuzeit intensivierte Düngung der Felder

brachte zusätzliche Nährstoffe, wie Nitrate

Tab. 5 Pollenzonen des Spätpleistozän und Holozän

nach Firbas (1949) und ungefähres absolutes

Alter der Zonen in Jahren vor der Gegenwart.

Klimaperioden

Subatlantikum

Pollenzonen

nach Firbas (1949)

Alter

(a bp)

X – 1 100

IX – 2 500

Subboreal VIII – 5 750

Atlantikum

VII

VI

– 8 900

Boreal V – 10 200

Präboreal IV – 11 500

Jüngere Dryas III – 11 800

Alleröd II – 13 000

Ältere Dryas I – 14 000

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


28 Josef Paul

und Phosphate, in den See, so dass es zu

einer Eu- bis Hypertrophierung der Wässer

kam. In warmen Sommern, wie im Jahr

2018, treten Algen- bzw. Cyanobakterienblüten

auf, die ein temporäres Badeverbot

im inzwischen touristisch stark genutzten

See erfordern.

Peter (1901) erwähnte zahlreiche Vorkommen

von Halophyten im Seeburger

Gebiet. Erhöhte Chlorid-Gehalte des Seewassers

wurden bei langjährigen Messreihen

der damaligen Abteilung Fazieskunde

im Institut für Geologie und Paläontologie

der Universität Göttingen allerdings

nicht festgestellt. Insgesamt sind die karbonat-

und sulfatreichen Wässer des Seeburger

Sees polymikt. Die eutrophen Verhältnisse

bedingen eine geringe Sichttiefe.

Der pH des Wassers schwankt zwischen

7,5 und 8,7. Die Sättigung mit Sauerstoff

liegt je nach Jahreszeit zwischen 60 und

300 %. Am geringsten ist sie im Sommer

nach einer Algenblüte. Im Winter sind die

Sauerstoff-Gehalte unter Eisbedeckung

bei Sonneneinstrahlung am größten.

Im Jahr 1976 wurden der See und sein

Uferstreifen unter Naturschutz gestellt, allerdings

mit großzügigen Ausnahmen für

den Bade- und Sportbetrieb. Der mineralische

Eintrag soll durch den Bau eines

Auffangbeckens und die Wiedervernässung

und Renaturierung des Seeangers minimiert

werden. Insgesamt stellt der jetzige

Zustand ein Kompromiss zwischen dem

Naturschutz und den Belangen der Landwirtschaft,

des Tourismus und der Freizeit-

Industrie dar.

Luttersee

Der knapp 0,3 km 2 große Luttersee

liegt etwa 500 m nördlich des Seeburger

Sees, von dem ihn eine etwa 20 m höhere

Buntsandsteinscholle trennt (Abb. 1,

Nr. 7). Das Niveau des Seebodens liegt bei

161,5 m üNN, etwa fünf Meter über dem

Wasserspiegel des Seeburger Sees. Früher

befand sich hier ein flacher See. Etwa 1840

wurde zwecks Torfgewinnung ein 300 m

langer Stollen zum tieferliegenden Seeburger

See gegraben und der Luttersee trocken

gelegt.

Pöhlig (1981) kartierte den ehemaligen

See und seine Umrandung mittels

73 Peilstangen-Bohrungen, die bis in den

Löss reichten, dessen Ablagerung der limnischen

Phase vorherging. Die maximale

Mächtigkeit der limnisch-telmatischen

Sedimente beträgt 13 m. Die limnischen

Ablagerungen wurden mittels der Gehalte

an Karbonat, der organischen und mineralischen

Bestandteile und der Korngröße

der Mudden gegliedert. Nach Chen

(1988) setzt die Pollenführung mit dem

Beginn der ältesten Tundrenzeit ein. Über

dem Schwemmlöss (Pollen-Zone I) lagert

eine mineralische Mudde (PZ IIa), die

nach oben in eine feinkörnige organische

Mudde übergeht. In die Mudde eingelagert

ist ein geringmächtiger Tuffit, der von

bis zu 2 m mächtigem Schwemmlöss überlagert

wird (PZ IIb – IV). Es folgt wiederum

eine feinorganische Mudde, die an den

Rändern gröber wird und in Torf übergeht

(PZ V). Im Zentrum des Beckens ist eine

Kalkmudde (35 % Karbonat, 19 % Corg)

in die feinorganische Mudde eingelagert.

Die Karbonatfraktion besteht neben unregelmäßigen

Kalkkörnern aus Molluskenschalen,

Characeen-Inkrustierungen und

Ostracoden. In den Pollenzonen VI bis

VIII vergrößerte sich der See und lagerte

vorwiegend feinorganische Mudden ab.

Bereits in der PZ VIII wurden die Mudden

gröber und gehen in der PZ IX in grobe

Mudden und schließlich in Torf über.

Der See verlandete. In der PZ X lagerte

sich an den Rändern infolge des intensiven

Ackerbaus bis zu 2 m Schwemmlöss über

den limnischen Sedimenten ab.

Der geringmächtige Tuffit ist im

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

29

Abb. 8 Der Luttersee, eine abflusslose Senke,

führt seit einigen Jahren nach Schließung der

Dränage wieder permanent Wasser. Foto: Paul.

gesamten ehemaligen See nachweisbar. Es

lassen sich eine untere hellgraue und eine

obere dunkelgraue Schicht, die mehr organisches

Material enthielt, unterscheiden.

Die Mächtigkeit schwankt zwischen

1 cm am Rand und 18 cm im Zentrum des

Beckens. Ahrens & Steinberg (1943) und

Frechen (1952) untersuchten die Chemie

und Mineralogie des Tuffits. Neben detritischen

Komponenten besteht er aus Glasfetzen

und kleinen Bimssteinen. An Hand

des sauren Chemismus und des Alters

schloss Frechen (1952), dass der Tuffit aus

dem 12 700 Jahre alten Ausbruch des Maria-

Laacher-Vulkans stammt.

Die obige Abfolge der Sedimente ergibt

eine mehrfache Verlandung und Wiedervernässung

des Luttersees (Pöhlig 1981).

In der PZ I entstand der erste Luttersee,

der in der PZ II verlandete. Ab der PZ III

vertiefte er sich wieder und in der PZ IV

blieb der Wasserspiegel konstant, bei leichter

Auffüllung mit mineralischem Material.

Die PZ V ist durch ein starkes Pflanzenwachstum

charakterisiert, so dass vom

Rand her sich die telmatische Fazies in den

See vorschiebt. Zu Beginn des Atlantikums

(PZ VI und VII) entstand ein neues,

tieferes Seebecken, das sich über die vorigen

Grenzen ausdehnte. Im Subboreal (PZ

VIII) änderten sich die Sedimentationsbedingungen

nur unwesentlich. Der See erreichte

seine maximale Ausdehnung. Mit

Beginn des Subatlantikums (PZ IX und X)

setzte wieder eine Verlandungsphase ein.

Zum Abschluss bildete sich eine bis zwei

Meter mächtige Decklehmschicht über

den limnisch-telmatischen Seesedimenten.

Der Wasserspiegel wird sowohl von der

Intensität der Subrosion als auch vom Klima

kontrolliert. Beim Klima ist das Verhältnis

von Niederschlag zur Evaporation

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


30 Josef Paul

für die Höhe des Wasserspiegels entscheidend.

Zu beachten ist noch die Kompaktion

der limnisch-telmatischen Sedimente,

die sich aber, bedingt durch die sich stark

ändernden Gehalte an organischem Material,

nur sehr schwierig erfassen lässt.

Da der Seeburger See zunehmend für

touristische und sportliche Zwecke genutzt

wird, beschloss man vor einigen Jahren,

den Stollen vom Luttersee zum Seeburger

See zu schließen, den Luttersee

wieder zu vernässen und ihn gewissermaßen

als Ersatz für den Seeburger See unter

Naturschutz zu stellen (Abb. 8).

Seeanger

Die etwa 1 km 2 große Subrosionssenke

des Seeangers liegt westlich des Dorfes

Seeburg in einer intensiv ackerbaulich genutzten

Depression (Abb. 1, Nr. 8). Bis in

die frühe Neuzeit bestand hier ein See, der

als „Westersee“ bezeichnet wurde, im Gegensatz

zum „Ostersee“ dem jetzigen Seeburger

See. Die Aue durchfließt die Senke

und bringt sehr viel Trübe mit. Auf der

Kurhannoverschen Landesaufnahme von

1784 ist der See bereits als verlandet eingetragen.

Danach wurde er als Feuchtwiese

genutzt und um 1950 noch einmal tiefgreifend

drainiert und beackert. Rohlmann

(1958) und Streif (1970) untersuchten

mittels Bohrungen die Pollen der quartären

Sedimente. Schwedhelm (1980) erweiterte

das Bohrnetz, bestimmte neben den

Pollen vor allem die Zusammensetzung

der Mudden in Bezug auf die Gehalte an

Karbonat und organischem Kohlenstoff

und zeichnete Karten über die Lage und

Mächtigkeit der einzelnen Pollenzonen, so

dass jetzt die einzelnen Stadien der Entwicklung

des Sees flächendeckend rekonstruiert

werden können.

Die ältesten Subrosions-Anzeichen liegen

aus der späteiszeitlichen Niederterrasse

vor, die am Nordrand der jetzigen Senke

im Talsystem der Aue bis 17 m mächtig

wird (Streif 1970). Direkt benachbart zu

dieser Senke ist die sonst ebene Oberfläche

der Terrassenkiese im Bereich des Seeangers

um 8 – 14 m abgesenkt. Üblicherweise

liegt die Niederterrasse im Eichsfeld

um 3 – 5 m höher als die heutigen Talsysteme.

Über den Kiesen folgt ein mehrere

Meter mächtiger Löss, der wie eingearbeitete

Pflanzenreste zeigen, als spätglazialer

Schwemmlöss zu deuten ist. Im Norden

der Senke werden die Lösse und Lössderivate

von fluviatilen tonigen Sanden und

Kiesen überlagert. Diese ersten mittels

Pollen datierten Sedimente stellte Rohlmann

(1958) in die PZ III. Darüber folgt

noch in der PZ III eine Tonmudde, die

nach oben in der PZ IV in eine organische

Flachwassermudde übergeht. Diese

Entwicklung setzt sich in den Torfen der

PZ V fort. Die bis 8 m mächtigen organischen

Kalkmudden und Kalkmudden der

PZ VI bis X weisen wieder eine eulimnische

Phase des Sees auf. Am Rand des Gewässers

bildeten sich weiterhin Torfe. Die

meisten Mudden enthalten Karbonat-Gehalte

bis zu 50 % (Schwedhelm 1980). Der

hohe Karbonat-Gehalt ist wohl auf den

Eintrag des Aue-Baches zurückzuführen,

der im Muschelkalk des Göttinger Waldes

entspringt und Ca 2+ und karbonathaltige

Wässer in den See brachte, die bei Überschreitung

des Löslichkeitsproduktes als

Kalk gefällt wurden.

Eine artenarme Ostracoden-Fauna lebte

in dem oligo-bis mesohalinen, bewegten

und warmen Gewässer. Die Mächtigkeiten

der einzelnen Pollenzonen verlagerten

sich innerhalb der Senke entsprechend

der Subrosion, so wird die PZ Xa, die aus

schwarzen mineralischen Mudden besteht

und auf den östlichen Teil des Beckens beschränkt

ist, bis zu 8 m mächtig. Insgesamt

sind die limnischen holozänen Sedimente

bis zu 20 m mächtig. Schwedhelm

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

31

Abb. 9 Der Seeanger wird als Sedimentfänger

wieder vernässt. Im Hintergrund das Dorf Ebergötzen.

Foto: Paul.

(1980) beobachtete ein Steigen des Wasserspiegels

in den PZ II und III, dann in

der PZ VI und VII, weniger stark ausgeprägt

in den PZ VIII und IX, und einen

starken Schub in der PZ Xa, danach setzte

die Verlandung ein, wohl ausgelöst durch

die intensiven landwirtschaftlichen Tätigkeiten

(Tab. 5).

Schwedhelm (1980) wies darauf hin, dass

die heutige Oberfläche der Senke im östlichen

Bereich einige Meter tiefer liegt als

im Westen und machte eine noch andauernde

Subrosion dafür verantwortlich. Jedoch

ist zu beachten, dass die Kompaktion

der organischen Mudden und Torfe, die im

östlichen Teil mächtiger sind, ebenfalls zu

Absenkungen der Oberfläche führt. Eine

weitere Rolle spielt die Tieferlegung des

Grundwasserspiegels infolge der Dränage

und die damit einhergehende mikrobielle

subaerische Oxidation der organischen

Substanz, deren Ausmaß aber schwierig

abzuschätzen ist. Im Schweizer Seeland

(Kanton Bern) verlieren Torfböden bis zu

2 cm/Jahr an Höhe (mündliche Mitteilung

von Frau Dr. S. Paul, Univ. Basel).

In den letzten Jahren wurde der Seeanger

renaturiert und das Dränagesystem

zerstört (Abb. 9). Dies geschieht vor allem,

um den Seeburger See von den Mineralstoffen

zu entlasten, die nun im Seeanger

verbleiben.

Schweckhäuser Wiesen

Die Subrosionssenke der Schweckhäuser

Wiesen liegt östlich von Waake (Abb.

1, Nr. 9). Es ist ein etwa 11 ha großes

Feuchtgebiet, dessen zentraler Teil unter

Naturschutz gestellt wurde. Über tonigen

Schluffen liegen mehrere Meter mächtige

kalkreiche Niedermoortorfe. Bislang ist das

Senkungsgebiet paläolimnologisch nicht

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


32 Josef Paul

untersucht worden. Es liegt wahrscheinlich

über dem Salzhang und damit im Bereich

rezenter Salzlösung und Senkung. Daher

ist anzunehmen, dass es ein relativ junges

Subrosionsbecken ist. Bei der geologischen

Kartierung der Blätter Gelliehausen und

Waake stellte Ebert (1888) fest, dass eine

SSW – NNE verlaufende Störung, die unter

den quartären Schichten liegenden mesozoischen

Gesteine der Schweckhäuser

Wiesen schneidet. Diese Störung ist wahrscheinlich

der Ansatzpunkt für die Subrosion

der Zechsteinsalze im Untergrund.

Pöhlder Becken

Als Pöhlder Becken wird eine ebene Fläche

nördlich und östlich von Pöhlde bezeichnet,

die fast ausschließlich von der

Nieder- und Mittelterrasse eingenommen

wird (Abb. 1, Nr. 10). Begrenzt wird das

Gebiet im Norden von der Oder, im Westen

und Südwesten von der Rotenberg-

Störung, an der das Pöhlder Becken gegenüber

dem Buntsandstein des Rotenbergs

um etwa 100 m absank.

Das Pöhlder Becken ist keine rezente

morphologische Senke, sondern weist gegenüber

dem hügeligen Umland eine relativ

große ebene Fläche auf. Diesing &

Ledendecker (1986) wiesen bei der Kartierung

des Pöhlder Beckens durch zahlreiche

Bohrungen nach, dass es an der Oberfläche

fast ausschließlich von der Niederterrasse

und einem dünnen Schleier von Löss

und Löss-Derivaten bedeckt ist. Darunter

folgen bis 50 m mächtige Kiese, die Jordan

(1979, 1995) zur Mittel- und Niederterrasse

stellte. Der tiefere Untergrund besteht

aus sandigen Tonsteinen des Unteren

Buntsandstein.

Da das Pöhlder Becken als Trinkwasser-

Lieferant für das Untere Eichsfeld dient,

wurde der tiefere Untergrund durch eine

Reihe von Bohrungen detailliert geologisch

untersucht ( Jordan 1979). In keiner

der Bohrungen wurde Salz nachgewiesen,

so dass die Subrosion des Zechstein-Salzes

wahrscheinlich bereits in der gesamten

Fläche abgeschlossen ist. Da Werra- und

Staßfurt-Salze wohl primär fehlen, kann

nur das Leine- und Aller-Salz subrodiert

worden sein. Außerdem ist in einigen Bohrungen

auch das Leine-Sulfat vollständig

oder teilweise subrodiert.

Ältere quartäre oder tertiäre Sedimente

sind bislang nur aus der aufgelassenen Grube

einer Ziegelei an der Straße von Pöhlde

nach Rhumspringe beschrieben worden.

Das Vorkommen umfasst nach Bismarck

(1942) eine Länge von 600 m und eine

Breite von 300 m. In der Tongrube wurden

etwa 10 m mächtige dunkelgraue Tone und

Sande abgebaut, die nach Bismarck (1942)

einen hohen Gehalt an organischem Material

enthalten. Über den Tonen lagern

gelbliche Schotter, die ausschließlich aus

Buntsandstein bestehen, und eine dünne

Schicht von Schwemmlöss.

Die Tone sollen nach Sobotha (1933,

S. 61) – ohne Angaben von Gründen –

pliozänen Alters sein. Bismarck (1942),

stellte sie, ebenfalls ohne Begründung,

in ein Interglazial. Neuere Untersuchungen

und Angaben zu diesem Vorkommen

sind – ohne Bohrungen – leider nicht

möglich, da die Grube nicht mehr existiert.

Rollshäuser Ziegeleigrube

Am südlichen Ortsrand von Rollshausen,

etwa 3 km östlich des Seeburger

Sees, befindet sich die aufgelassene und

mit Wasser gefüllte Tongrube einer Ziegelei

(Abb. 1, Nr. 11). Insgesamt erstreckt

sich das Vorkommen auf eine N-S-Länge

von etwa 700 m und eine E-W-Breite von

mehr als 300 m. Die grauen Tone und Sande

wurden zwischen 1890 und etwa 1940

abgebaut. Das Vorkommen wird im Westen

von Sandsteinen des Unteren Buntsandstein

begrenzt, die nach Handskizzen

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

33

von Sobotha (1923) zur Grube hin steil

durch Lockersedimente, Tone und Sande,

abgeschnitten sind. Die östliche Flanke

wird durch das rezente Tal der Hahle gebildet.

Die hellgrauen tonigen Sedimente

stellte Sobotha (1923, 1933, S. 61) ins

Pliozän, allerdings ohne Beweise für diese

Einstufung zu bringen. Zur Zeit der Untersuchungen

von Bismarck (1942) waren

die grauen Tone bereits abgebaut und

die Ränder der Grube überwachsen. Nur

im Süden des Abbaus war über Unterem

Buntsandstein eine Linse von knapp 2 m

mächtigem gelblichem Sand aufgeschlossen.

Bismarck (1942) konnte außer stark

korrodierten Pollen keine weiteren Fossilien

feststellen, so dass das Alter des Vorkommens

offen bleiben muss.

Duderstädter Becken

Das Duderstädter Becken besteht aus

zwei zusammenhängenden Subrosionssenken,

die sich von Westerode im Westen bis

Ecklingerode im Osten Duderstadts in einer

Länge von etwa 4 km erstrecken (Abb.

1, Nr. 12; Cover). Sie sind möglicherweise

verschieden alt. Beschrieben wurden die

quartären Sedimente von Sobotha (1923,

1932, 1980) und Bismarck (1942, 1957),

die die damals noch zahlreichen Ziegelei-,

Sand- und Kiesgruben untersuchten und

auch die Ergebnisse einiger Wasserbohrungen

heranziehen konnten. In der Zwischenzeit

sind die ehemaligen Gruben fast

alle zugefüllt und überbaut worden.

Bismarck (1942) unterschied das östliche

knapp 4 km 2 umfassende Siebigs-Becken

und ein westliches etwa 2,5 km 2 großes

Westeroder Becken. Im Siebigs-Becken

fand er in einer Tongrube eine etwa sieben

Meter mächtige Abfolge von roten

Tonen, schwarzen humosen Tonen, grauem

entkalkten Löss und schließlich rotbraunem

kalkigen Löss, die er mit den Sedimenten

von Bilshausen korrelierte, ohne

allerdings direkte Beweise dafür zu haben.

Zu den Rändern werden die Lössschichten

mächtiger. In der Beckenmitte stehen noch

mehr als 8 m mächtige fluviatile Schotter

an der Oberfläche an.

Das Westeröder Becken wurde im Zentrum

von mehreren Grundwasser-Bohrungen

der Stadt Duderstadt durchteuft.

Die in einer Tiefe von 66 m anstehenden

Sandsteine gehören in den Unteren Buntsandstein.

Bemerkenswert ist, dass bis zu

einer maximalen Tiefe von 60 m Ton/

Schotter-Wechsellagerungen vorliegen, die

in einigen Bohrungen sogar direkt dem

Buntsandstein aufliegen. Bismarck (1957)

schloss daraus auf eine späte, aber rasche

und hohe Absenkung des Beckens. Moderne

Untersuchungen, die diese Angaben

untermauern und auch Datierungen fehlen

leider.

Das räumliche und zeitliche Fortschreiten

der Subrosion

Die Haupthebung der Harzscholle fand

in der Oberkreide statt. Danach musste

erst ein mehrere Kilometer mächtiger Stapel

vorwiegend mesozoischer Sedimente

erodiert werden, bevor die Subrosion der

Zechsteinsalze einsetzen konnte. Sie setzte

vermutlich spätestens im Tertiär am damaligen

Harzrand ein und verlagerte sich mit

der fortschreitenden Erosion allmählich

nach Westen und Süden bis zum heutigen

Stand. Der mesozoische Untergrund aller

Senken des Untersuchungsgebietes besteht

aus Gesteinen des Unteren und Mittleren

Buntsandstein. Inwieweit dies die zeitliche

Entwicklung der Subrosionssenken beeinflusst,

kann erst nach einem Vergleich mit

anderen Subrosionsgebieten gezogen werden.

Die Senken von Willershausen und Westerhof

wurden wahrscheinlich von Störungen

ausgehend subrodiert. Die Breite des

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


34 Josef Paul

bereits subrodierten Geländestreifens zwischen

dem jetzigen Ausbiss des Zechstein

am Harzrand und dem Salzhang beträgt

im Unteren Eichsfeld etwa 15 – 20 km,

nach Norden wird dieser Streifen schmaler.

Die ältesten Nachweise von Subrosion

liegen in der Willershäuser und der Westerhöfer

Senke vor. Sie haben mindestens

miozänes Alter und waren bis ins jüngste

Pliozän (Reuver-Stufe) und in Westerhof

auch noch rezent Senken, die mit Sedimenten

und Torfen aufgefüllt wurden.

Die Geschichte der Senken, die Verlandung

und Wiedervernässung ist vom Fortschritt

der Subrosion und vom Klima abhängig,

denn das Klima steuert über die

Niederschläge die Geschwindigkeit der

Subrosion. Interessant ist der Vergleich der

holozänen Geschichte des limnisch-telmatischen

Wachstums in den Senken des

Eichsfelds mit der Entwicklung der Hochmoore

im Harz. Beug et al. (1999) stellten

fest, dass in den Mooren des Harzes der

Zuwachs in den PZ VII und VIIIb und

IXb am größten war und in den PZ IV und

V am geringsten. Die Autoren führten dies

auf höhere Feuchtigkeit und tiefere Temperaturen

zurück, die das Moorwachstum

fördern, da bei tieferen Temperaturen die

Verdunstung geringer ist. Am westlichen

Harzrand wurde in vier Senken die holozäne

Geschichte detailliert analysiert. Sie

zeigen kein einheitliches Verhalten. Die

Überlieferung setzte zu unterschiedlichen

Zeiten ein, auch die maximale Ausdehnung

der limnischen Phasen lag in verschiedenen

Zeiten.

Es fällt auf, dass Subrosionssenken nur

in der jetzigen Nähe des Salzhangs vorkommen,

weiter zum Harz hin fehlen sie

(Abb. 1). Dort sind die älteren Subrosionssedimente

bereits der späteren Erosion

zum Opfer gefallen oder die Senken sind

durch pleistozäne fluviatile Schotter aufgefüllt.

Kleinere oder flache Seen haben nur

eine geologisch sehr kurze Lebensdauer.

Durch die Zufuhr von Ton und Silt oder

die Bildung von Torfen verlanden sie relativ

schnell und sind ohne Bohrungen nicht

mehr zu erkennen.

Rezente Subrosion

Die Subrosion hält bis zu heutigen Zeiten

an. Der Salzhang liegt zurzeit am Rande

des Leine-Berglands (Abb. 1). Nach dem

allerdings nur weitständigen Raster von

Bohrungen ist er einige Kilometer breit.

Sobotha (1980) untersuchte die Chlorid-

Führung der Bäche im Unteren Eichsfeld

und stellte fest, dass im Oberlauf der Hahle

und ihrer Nebenbäche Chlorid-Gehalte

von mehr als 50 mg/l auftreten, ein Hinweis,

dass dort Steinsalz aktiv gelöst wird

und dass die Grundwässer im Austausch

mit den Oberflächenwässer stehen. Im

Rest des Unteren Eichsfelds wird entweder

nicht mehr gelöst oder die noch vorhandenen

Restlösungen verbleiben in tiefen

Grundwasser-Horizonten und werden unterirdisch

in Richtung Norden abgeführt.

Die Stadt Northeim fördert im Streitföhr

östlich der Stadt aus pleistozänen

Schottern des Rhumetales und Unterem

Muschelkalk mittels verschiedener Brunnen

beträchtliche Mengen an Wasser, das –

je nach Brunnen – bis 170 mg/l Chlorid

enthält (Frank 1987). Wahrscheinlich

stammt das Wasser aus den Muschelkalk-

Schichten, da die Rhume oberhalb der

Brunnen keine erhöhte Salzfracht erkennen

lässt. Die primäre stratigrafische Herkunft

der Salzwässer und auch der Ort der

Laugung sind nicht bekannt.

Neben dem Nachweis von Austritten

salzhaltiger Wässer (Solquellen) sind Halophyten

die wichtigsten Anzeiger von rezenter

Subrosion. Die salzliebenden oder

salztoleranten Pflanzen besiedeln mit Vorliebe

Talwiesen an den Quellaustritten.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

35

Leider sind durch die Be- und Entwässerung

und künstliche Düngung viele Halophytenbestände

verarmt oder ausgelöscht.

Jedoch konnten durch die frühen Bestandsaufnahmen

von Peter (1901) im südniedersächsischen

Raum viele inzwischen

erloschene Vorkommen erfasst werden.

Oft blieben auch Flur- und Ortsnamen,

wie Sülte, Söl und Sult, die sich auf Solquellen

beziehen, bestehen, auch wenn die

Vorkommen inzwischen verschüttet oder

durch Melioration trocken gelegt worden

sind.

Auch nördlich des Eichsfelds gibt es

Anzeichen für rezente Subrosion. Die

Kurhannoversche Landeskarte von 1784

vermerkt etwa 1 km nördlich von Willershausen

den Flurnamen „Salzwiese“. Es

sollte im 18. Jahrhundert bei Willershausen

sogar eine Saline errichtet werden, das

unterblieb aber aus politischen Gründen

(mündliche Information von Herrn Jäkel,

Willershausen). Ähnliche Anzeichen für

eine noch anhaltende Versalzung gibt es

auch in der Westerhöfer und in der Denkershäuser

Senke (Seedorf 1955, Jordan

1996).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass

die flächenhafte Subrosion der Zechstein-

Salze am westlichen Harzrand weit fortgeschritten

ist (Abb. 1). In Bohrungen zwischen

Harz und Göttinger Wald wurden

keine Salze angetroffen. Die heute noch

nachweisbare Subrosion setzte, begünstigt

durch Störungen, bereits im Miozän

im Nordwesten ein (Willershausen, Westerhof

) (Tab. 6). Aus dem Unter-und Mittel-Pleistozän

ist nur die Senke von Bilshausen

bekannt. Die spät-pleistozänen bis

holozänen Senken von Denkershausen, im

Seeburger Raum, Bodensee, Schweckhausen,

Rollshausen und Duderstadt liegen

in der Nähe des rezenten Salzhanges. Die

Zeiten ihrer Bildung und die maximale

Tab. 6 Das Alter der limnisch-telmatischen Sedimente in den Subrosionssenken des westlichen

Harzrandes.

Senke

Willershausen

Plioz

x

Cromer

Elster

Saale

Weichsel

u. jünger nachgewiesene Pollenzonen nach Firbas (1949)

I II III IV V VI VII VIII IX X

Westerhof x x

Denkershausen x x x x x x x x

Bilshausen x x x

Seeburger See x x x x x x x x x

Luttersee x x x x x x x x x x x

Seeanger x x x x x x x x x

Schweckhäus. ?

Pöhlde x x

Duderstadt ? ? x

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


36 Josef Paul

Ausdehnung der limnischen Sedimente,

soweit sie erfasst werden kann, variieren

von Senke zu Senke. Die Subrosion hält

auch heute noch an.

Danksagung

Herr Dr. Markus Diehl, Hessisches Landesamt

für Umwelt und Geologie, steuerte

Informationen und Unterlagen zur Geologie

des Bilshäuser Beckens bei. Herrn Prof.

Dr. Heinz Jordan, ehemals Niedersächsisches

Landesamt für Bodenforschung,

danke ich für vor Jahren geleistete Hilfe.

Nicht zuletzt sei den Diplomanden

gedankt, die mit vielen und mühsamen

Handbohrungen das Ausmaß der Subrosion

und die quartäre Füllung der Subrosions-Senken

erkundeten.

Glossar

Aquifer wasserleitende Gesteinsschicht

Aquitard Grundwassergeringleiter

Bohnerze bohnen- bis erbsengroße

Kugeln aus Brauneisenerz (Limonit)

diapirartig ein Gestein, das aus tieferen

Schichten aufgestiegen ist und seine

Decke durchstoßen hat

Klasten/klastisch zerbrochene Gesteine;

Gesteinstrümmer

Meromixis/meromikt nur der obere Teil

eines Stillgewässers wird durchmischt,

der untere Abschnitt wird nicht in die

Durchmischung einbezogen

polymikt aus mehreren Komponenten

bestehend

telmatisch torfig, moorig

Tuffit Mischsediment, das aus vulkanischen

und nicht-vulkanischen Komponenten

besteht

Warven Wechsellagerung von dünnen

hellen, meist grobkörnigen und dunklen,

meist feinkörnigen Schichten; häufig

Folge eines jahreszeitlichen Wechsels der

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Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


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Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


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für Geologie und Paläontologie, Universität

Göttingen.

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Institut für Geologie und Paläontologie,

Universität Göttingen.

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von Pöhlde (TK 25: 4327 Gieboldehausen

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Institut für Geologie und Paläontologie,

Universität Göttingen.

Lessmann, Bernd (1993): Hydrogeologische

Untersuchungen im Pöhlder Becken: 54 S. –

Institut für Geologie und Paläontologie,

Universität Göttingen.

Löffler, Thomas (1986): Der Ostrand des Leinetalgrabens

bei Sudheim (GK 25: 4325

Nörten-Hardenberg und 4326 Katlenburg-

Lindau): 105 S. – Institut für Geologie und

Paläontologie, Universität Göttingen.

Petersen, Erik (1979): Geologie des Echter

und Imbshäuser Waldes: 68 S. – Institut

für Geologie und Paläontologie, Universität

Göttingen.

Pöhlig, Charlotte (1981): Sedimentationsgeschichte

des Lutterangers im Unter-Eichsfeld

(TK: 4426 Ebergötzen und 4427 Duderstadt):

135 S. – Institut für Geologie und

Paläontologie, Universität Göttingen.

Puteanus, Doris (1982): Der Denkershäuser

Teich: Paläolimnologische Entwicklung und

gegenwärtiger Zustand einer Subrosionssenke

westlich des Harzes: 71 S. – Institut

für Geologie und Paläontologie, Universität

Göttingen.

Ricken, Werner (1980): Quartäre fluviatile und

äolische Sedimentation am Südwest-Harz

und ihre Beeinflussung durch die Subrosion:

138 S. – Institut für Geologie und Paläontologie,

Universität Göttingen.

Sauerland, Volker (1976): Stratigraphie und

Tektonik der Trias im Raum Westerhof:

111 S. – Institut für Geologie und Paläontologie,

Universität Göttingen.

Schwedhelm, Edgar (1980): Entwicklungsgeschichte

einer Subrosionssenke im Untereichsfeld:

der Seeanger bei Seeburg (TK

25: Blatt 4426 Ebergötzen): 134 S. – Institut

für Geologie und Paläontologie, Universität

Göttingen.

Vollbrecht, Axel (1976): Stratigraphie und

Tektonik der Trias östlich Denkershausen:

66 S. – Institut für Geologie und Paläontologie,

Universität Göttingen.

Arbeit eingereicht: 07.11.2018

Arbeit angenommen: 06.12.2018

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Josef Paul

Abt. Sedimentologie

Zentrum für Geowissenschaften

Universität Göttingen

Goldschmidt-Straße 3, 37077 Göttingen

E-Mail: renate.paul@web.de

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


42

Vorbemerkungen zum Artikel

„Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover“

von Lea Weßel

Die Arbeit verdankt ihre Entstehung

der intensiven und förderlichen Zusammenarbeit

der Naturhistorischen Gesellschaft

Hannover (NGH) mit dem

einst aus ihr hervorgegangenen Fachbereich

Naturkunde des Niedersächsischen

Landesmuseums Hannover

(NLMH) sowie mit engagierten Jungwissenschaftlern:

Der Berufsgeologe Dr. Franz-Jürgen

Harms, Mitglied der Naturhistorischen

Gesellschaft und seit 2012 Schriftführer

für die geologischen Arbeiten in

der „Naturhistorica“, sammelte von den

1970er-Jahren an Fossilien aus Hannover

und seinem Umland sowie später

auch in der Karibik, auf Island und

in Marokko. Nach seiner Pensionierung

kehrte er nach Hannover zurück

und bot seine riesige Sammlung dem

NLMH dankenswerterweise als Stiftung

an. Seine Sammlungsbestände

zeichnen sich neben der Objektqualität

durch eine ungewöhnlich vollständige

Provenienzdokumentation aus. Aus

diesem Grund nahm Frau Dr. Annette

Richter vom NLMH diese Sammlung

2018 begeistert an und treibt seitdem

ihre Erschließung voran.

Lea Weßel an, die auf ihrer Suche nach

einem geeigneten Praxis-Projekt zur

Erschließung und Bewertung von Teilsammlungen

nach Hannover kam und

aus der Sammlung Harms den stratigrafischen

Themenbereich „Oligozän“

auswählte unter wissenschaftlicher Betreuung

von Frau Dr. Richter und Frau

Dipl.-Geol. Annina Böhme (Sammlungsverwaltung).

Frau Weßel hat die

taxonomische Feinansprache ebenso

wie die Sortierung und die Vorbereitung

der anschließenden finalen Inventarisierung

auf exzellente Weise durchgeführt

und stellt ihre Ergebnisse nun im

nachfolgenden Artikel vor. Das Resultat

steht damit in besonders vorbildlicher

Weise für die Synergien zwischen der

NGH, dem NLMH und den beteiligten

Universitäten.

Hier nun bot sich eine Kooperation mit

der Bremer Geowissenschafts-Studentin

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


43

Die Oligozän-Sammlung Harms

des Landesmuseums Hannover

Ein Tauchgang durch die Ur-Nordsee

Lea Weßel

Zusammenfassung

Im Rahmen eines geowissenschaftlichen

Projekts wurde eine Museums-Sammlung

oligozäner Fossilien, die der Sammler

und spätere Diplomgeologe Franz-Jürgen

Harms vor allem in den Jahren 2016

und 2017 stiftete, sortiert und bestimmt

sowie auf ihren Wert für das Museum geprüft.

Zusätzlich standen eine Analyse der

Organismenvergesellschaftung und der

Vergleich mit der Literatur im Hinblick

auf eine Rekonstruktion der Paläoumwelt

im Vordergrund. Die Fossilien decken mit

ihrer lithostratigrafischen Einordnung einen

Großteil des Oligozän ab und besitzen

teilweise eine sehr gute Erhaltung. Somit

bieten sie einen nennenswerten Erkenntnisgewinn

für die Rekonstruktion der Lebensbedingungen

und des Ökosystems im

Oligozän-Meer des Mainzer Beckens und

der norddeutschen Ur-Nordsee.

Einleitung

Die Sammlungsverwaltung spielt eine

wichtige Rolle in allen Einrichtungen, die

ihre Arbeiten auf großen Objektsammlungen

gründen. Besonders in Institutionen,

die sowohl einen Forschungs- als auch einen

Bildungsschwerpunkt haben wie etwa

Museen, müssen Kollektionen in den Magazinen

zur besseren Übersicht akkurat

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


44 Lea Weßel

verwaltet werden. Dafür zuständig ist der/

die Sammlungsverwalter*in der Einrichtung.

Zu den Aufgaben kann es unter anderem

gehören die Objekte zu sortieren,

beschädigte Gegenstände an die Präparatoren

weiterzuleiten, und Instandgesetztes

in die bestehende Sammlung einzugliedern.

Außerdem ist er/sie oftmals

mit der Pflege des digitalen Archivs betraut

und behält somit den Überblick über

alle Informationen, die die Objekte in der

Schau- und Studiensammlung betreffen.

Im Zentrum dieses geowissenschaftlichen

Projekts stand die Privatsammlung Harms

aus dem Oligozän. An ihr sollten Tätigkeiten

wie die Sortierung, das Fotografieren

und Beschriften der Stücke und die

anschließende Eingabe der Informationen

in die Museumsdatenbank durchgeführt

werden. Zusätzlich steht die taxonomische

und biostratigrafische Analyse der fossilen

Organismenvergesellschaftung im Austausch

mit der paläontologischen Literatur

im Fokus. Daraus soll eine Rekonstruktion

der Paläoumweltbedingungen und der

Vergleich mit bestehenden Rekonstruktionen

des oligozänen Paläoökosystems resultieren.

Das Obere Oligozän besitzt mit

dem Doberg ein ausführlich untersuchtes

Vorkommen und auch im Mainzer Becken

wurde in der Vergangenheit viel paläontologische

Forschung betrieben. Dennoch

bieten auch unangetastete Sammlungen

mit ihrem Material eine Möglichkeit, neue

Erkenntnisse zu sammeln und das Bild des

oligozänen Ökosystems zu erweitern.

Material

Das Ausgangsmaterial, das dem Projekt

zu Grunde liegt, stammt ursprünglich aus

der Privatsammlung des Diplomgeologen

Dr. Franz-Jürgen Harms. Er hat dem Landesmuseum

Hannover in der Vergangenheit

schon mehrfach Teile seiner Sammlung

vermacht und ist auch in aktuelleren

Jahren wie 2016, 2017 und 2018 ein aktiver

und konstanter Förderer der geowissenschaftlichen

Magazinkollektion. Die

Objekte des Projekts wurden von ihm in

den Jahren 2016 und 2017 dem Landesmuseum

Hannover gestiftet. Es handelt

sich dabei um fossiles Material aus dem

Oligozän und umfasst hauptsächlich verschiedene

marine Invertebraten wie Mollusken

und Echinodermen. Aber auch

Überreste von marinen Wirbeltieren sind

in geringerer Anzahl vorhanden. Eine primäre

stratigrafische Einordnung sowie

wichtige Beschreibungen des Fundorts,

zum Teil mit dazugehörigen Koordinaten

und Funddatum, waren aufgrund der

geowissenschaftlichen Expertise von Herrn

Harms im Vorfeld vorgenommen und in

Form von beschrifteten Etiketten jedem

Objekt hinzugefügt worden. Zusätzlich

sind vom Stifter zahlreiche Aufzeichnungen

aus seinen Feldbüchern zur Sammlung

beigelegt worden, sodass die Sammlung

Harms eine außergewöhnlich sorgfältige

Dokumentation aufweist. Somit lässt sich

die Fundgeschichte des Materials genau

nachvollziehen. Die Aufschlüsse an denen

die Objekte gesammelt worden sind, wurden

von Herrn Harms in den 1970er-Jahren

aufgesucht, da sie zu dieser Zeit noch

zugänglich waren. Das ist nun nicht mehr

der Fall. Die Sand- und Mergelgruben sind

heute geschlossen, verfüllt und zur Renaturierung

freigegeben. Der Doberg dagegen

wurde zum Naturdenkmal erklärt. Aus diesen

Gründen ist die Forschung an diesen

Aufschlüssen heutzutage nicht mehr möglich.

Deshalb besitzt die Sammlung Harms

einen besonderen Erhaltungswert, da sie

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover

45

Material aus für die Wissenschaft verlorenen

Standorten beinhaltet. Die Fossilien

des Oligozän-Konvoluts wurden an

folgenden fünf verschiedenen Lokationen

in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen

und Rheinland-Pfalz gesammelt.

Kurzbeschreibung der Aufschlüsse

Ehemalige Sandgrube Zeilstück

im Stadtteil Weinheim bei Alzey

(Rheinland-Pfalz)

Die Basis des Aufschlusses der Sandgrube

Zeilstück wurde mit Sedimenten

der Alzey-Formation (Meeressand) aus

der Selztal-Gruppe gebildet, die eine Vielzahl

an Fossilien enthalten. Bei den Sedimenten

handelt es sich hauptsächlich um

Sande und Kiese, die im küstennahen Sedimentationsraum

abgelagert wurden und

das primäre Abbauprodukt der Grube darstellen.

Darüber folgt eine Diskordanz, an

die diluviale Schichten mit einem Geröllhorizont

von bis zu 4,5 m anschließen. An

der Südwand der Grube finden sich zwischen

der Alzey-Formation und den hangenden

Schichten Sande mit massenhaft

auftretenden Gastropoden der Art Granulolabium

plicatum var. papillatum. Der

Grund für dieses extrem hohe Auftreten ist

noch unbekannt (Falke 1960). Franz-Jürgen

Harms besuchte die Sandgrube Zeilstück

im Jahre 1978. Heute ist sie verfüllt,

sodass nur noch auf umliegenden Äckern

Fossilienfunde möglich sind.

Ehemalige Sandgrube Neumühle

im Stadtteil Weinheim bei Alzey

(Rheinland-Pfalz)

Dieser bis in die späteren 1970er-Jahre

begehbare Aufschluss beginnt an der

Nordwand mit Arkosen und Schiefertonen

aus dem Rotliegenden, die das Fundament

der Abfolge bilden. Es folgt diskordant der

Untere Meeressand (Alzey-Formation)

mit 0,3 bis 1 m Mächtigkeit, bestehend aus

Transgressionskonglomeraten und Strandsedimenten

wie in der Sandgrube Zeilstück.

Zusätzlich enthält diese Formation

besonders viele Fischzähne. Am Top finden

sich die grün-gräulichen Rupeltone

mit 2,5 m Mächtigkeit (Falke 1960). Auch

diese Sandgrube wurde von Herrn Harms

im Jahre 1978 besucht. Inzwischen wurde

sie stillgelegt, verfüllt und ist heute nicht

mehr zugänglich.

Edesberg bei Sulzheim

(Rheinland-Pfalz)

Der Edesberg ist ein Weinberg in der

Nähe von Sulzheim an dessen Hängen viele

Fossilien des Oligozän gefunden werden

können. Am Nordwest-Hang beispielweise

lassen sich verschiedene Schillschichten

mit der Muschel Isognomon sandbergi aus

dem Schleichsand (Stadecken-Formation)

nachweisen. Die Äcker in der Nähe weisen

in Lesesteinen auch die Muschel Pseudocyrena

convexa und die Schnecke Granulolabium

plicatum aus dem Cyrenenmergel

(Sulzheim-Formation) auf. Insgesamt betrachtet

sind sämtliche Fossilienfunde am

Edesberg aufgrund seiner landwirtschaftlichen

Nutzung auf Lesefunde zurückzuführen

(Falke 1960). Die Objekte dieser

Lokation aus der Sammlung Harms stammen

ebenfalls aus dem Jahr 1978.

Steinbruch am Doberg bei Bünde

(Nordrhein-Westfalen)

Der Doberg gehört zu den wichtigsten

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


46 Lea Weßel

und reichhaltigsten Fossillagerstätten in

Deutschland. Es handelt sich um einen

ehemaligen Steinbruch mit Mergelkalken,

die zur Düngerproduktion verwendet

wurden. Das Liegende wird von Lias-

Tonen (Hettangium, Unterjura) gebildet,

doch der primäre Fokus an dieser Lokation

liegt auf den Gesteinen des Oligozän,

da der Doberg fast alle Schichten

des Oberoligozän umfasst und somit den

deutschen Stratotypus für diese Epoche

bildet. Es setzt sich größtenteils aus Mergelkalken

und Sandsteinen zusammen. Ein

Grund, warum dieses weiche Gestein nicht

erodiert wurde, liegt in einem ausgewaschenen

unterirdischen Salzstock, der das

Gebiet des Dobergs absinken ließ und es

somit vor der Abtragung schützte. Neben

einer Vielzahl von Invertebraten gehören

Skelettteile von Walen und Seekühen zu

den spektakulärsten Fossilien dieses Aufschlusses

(Mörstedt & Strauß 2005). Die

Objekte aus der Sammlung Harms wurden

1977 zusammengetragen. Die Lagerstätte

Doberg wurde zum Bodendenkmal erklärt

und das Sammeln von Fossilien ist heute

dort im Allgemeinen verboten.

Ehemalige Mergelgrube von

Astrup/Belm bei Osnabrück

(Niedersachsen)

Die anstehenden Gesteine sind stratigrafisch

wie die des Dobergs dem

Oberoligozän zuzuordnen. Der Aufschluss

besteht hauptsächlich aus Kalksanden mit

durchschnittlich 2 – 3 m Mächtigkeit, die

wiederholt von anders strukturierten Bänken

unterbrochen werden. Dazu gehören

Brachiopodenbänke und Konglomerate,

aufgebaut aus den häufig auftretenden Terebratula

grandis sowie Lagen aus Bruchschill

(persönliche Unterlagen von Franz-

Jürgen Harms). Die Mergelgrube von

Astrup wurde von Franz-Jürgen Harms

mehrfach im Zeitraum 1975 – 1977 besucht.

Tongrube der Ziegelei Stoevesandt

bei Lehrte (Niedersachsen)

Die Sedimente, die an der Westseite der

Grube anstanden, stammen aus dem Latdorfium

(Unteroligozän). Die Basis (50

cm) wird von dunkelgrünen groben Sanden

mit Kalkeinschaltungen sowie Phosphorit-

Geoden und Septarien gebildet. Diese sind

die hauptsächlich fossilführenden Schichten.

Es folgen verschiedenkörnige Sandschichten

mit insgesamt 1 m Mächtigkeit.

Graue Tone (ca. 80 cm) bilden das Top des

Aufschlusses als Abbauprodukt der Tongrube.

Die Fossilien wurden 1971 bei einer

Grabung in der damals nicht mehr betriebenen

und teilweise schon verfüllten Grube

von Harms gefunden. Inzwischen ist der

Fundort nicht mehr zugänglich (persönliche

Unterlagen von Franz-Jürgen Harms).

Methoden

Für dieses Projekt wurde der Prozess der

Bestimmung und Inventarisierung einer

Museumsammlung am Beispiel der oligozänen

Sammlung Harms durchgeführt.

Nachdem eine Sammlung an das Museum

gestiftet wurde und im Magazin ange-

kommen ist, wird sie zunächst für 6 Wochen

einer sauerstoffverarmten und stickstoffangereicherten

Lagerung unterzogen,

um zum Beispiel alle im Verpackungsmaterial

potenziell enthaltenen Insekteneier

abzutöten. Das ist notwendig, damit

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover

47

empfindliche Objekte und Etiketten der

Sammlung nicht durch Insektenbefall beschädigt

werden. Wann sich anschließend

mit der gestifteten Kollektion weiter befasst

wird, hängt unter anderem von ihrer

Provenienz und Wichtigkeit für das Museum,

aber vor allem von der zur Verfügung

stehenden Lagerkapazität ab. Nach dem

Auspacken und einem ersten Überblick

werden die Objekte sortiert. Zur Aufbewahrung

werden nach Größe und Anzahl

der jeweiligen Fossilien entsprechende

Kunststoff- oder Papierschachteln benutzt,

die in für die Rollschränke angepasste

Holzkästen deponiert werden. Fossilien

der gleichen Sammlungslokation und der

gleichen stratigrafischen Einheit werden in

einem Holzkasten zusammengefasst. Auch

mehrere Exemplare eines Fossils, zum Beispiel

Schnecken der selben Art, gleicher

Provenienz oder gleichen Fundorts sollten

in einer Plastikschale gelagert werden, soweit

die Objekte dafür klein genug sind.

Nach der Sortierung beginnt die taxonomische

Bestimmung der Arten, wenn der

Zustand der Stücke dies zulässt. Dazu werden

einerseits Bücher der museumseigenen

Bibliothek und wissenschaftliche Literatur

zu den einzelnen Lokationen, als auch

Fossilien-Datenbanken von anderen Einrichtungen

zu Rate gezogen. Auch in diesem

Fall wurden die Fossilien mit den Beschreibungen

und Grafiken aus der

Literatur sowie aus Datenbanken verglichen.

Zur Bestimmung der Fossilien aus

der Sammlung Harms konnte ebenfalls

oligozänes Vergleichsmaterial aus dem

Magazin genutzt werden, da von einigen

Arten schon zuvor bestimmte Exemplare

aus anderen Lokationen vorlagen. Für eine

zuverlässige Einordnung ist vor allem eine

möglichst vollständige und gute Erhaltung

der Objekte wichtig, um alle morphologischen

Erkennungsmerkmale der jeweiligen

Organismengruppen wie etwa die Skulp-

tur der Gastropoden, verwenden zu können.

Da dies nicht immer gewährleistet ist,

sind mehrere Exemplare eines Fossils von

Vorteil für das Gesamtbild. Da in diesem

Fall vom Stifter beim Aufsammeln auf

eine gute Erhaltung der Objekte geachtet

wurde, war dieser Faktor nicht von Bedeutung.

Eine eindeutige taxonomische Einordnung

in die biologische Systematik gestaltete

sich bei manchen Stücken dennoch

schwierig. Besonders bei Steinkernerhaltung

sind die primären taxonomischen Erkennungsmerkmale

des Organismus nicht

mehr vorhanden, sodass hier nur auf Gattungsniveau

bestimmt werden konnte. Im

Allgemeinen ist das Ziel, eine Klassifizierung

auf Artniveau mit der aktuellsten Artenbezeichnung

so genau wie möglich

durchzuführen. Das ist allerdings aufgrund

der begrenzten Zeit oft nur bei schnell zu

identifizierenden Arten zu leisten. Im

Laufe der voranschreitenden Bestimmung

kommt es wiederholt zur Neusortierung

der Objekte, da es möglich ist, dass zwei

Objekte im selben Kästchen, trotz optischer

Ähnlichkeit sich als zwei verschiedene

Arten herausstellen. Gleichzeitig

werden beschädigte oder stark sedimentbedeckte

Fossilien zur Präparation an die

Präparatoren weitergeleitet. Zusätzlich zur

taxonomischen Identifikation ist die Ermittlung

der lithostratigrafischen Epoche

von Bedeutung. Das wird meist mit Informationen

der Fundlokation (wenn sie vorhanden

sind) oder Biostratigrafie durchgeführt.

Der Prozess der taxonomischen

Bestimmung wird in vielen Einrichtungen

wie auch dem Landesmuseum Hannover

eigentlich vom zuständigen Wissenschaftler

durchgeführt und nicht vom Sammlungsverwalter.

Dieser Schritt war für dieses

wissenschaftliche Projekt jedoch von

großer Bedeutung, sodass er zusammen

mit den Tätigkeiten des Sammlungsverwalters

durchgeführt wurde. Für die

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


48 Lea Weßel

Rekonstruktion der Paläoumwelt wurde

sich ebenfalls auf die wissenschaftliche Literatur

bezogen, um die bevorzugten Lebensbedingungen

der Organismen sowie

ihre durchschnittliche Vergesellschaftung

und das Vorkommen an den jeweiligen

Lokationen zu ergründen und mit der

Sammlung Harms zu vergleichen. Sind

alle Fossilien taxonomisch bestimmt, findet

die Aussortierung nicht benötigter Exemplare

statt. Auch das ist Aufgabe des

Wissenschaftlers. Dabei werden Objekte,

die aus verschiedenen Gründen nicht für

die Museumssammlung von Interesse sind,

aussortiert. Welches Objekt ausgesondert

wird, hängt von verschiedenen Kriterien

ab. Neue Sammlungen werden als Gesamtheit

und ihre einzelnen Stücke individuell

bewertet, um Unbrauchbares zu entfernen

und den Wert der Sammlung

einzuschätzen. Der Wert einer Sammlung

richtet sich nach den Schwerpunkten des

kontextuellen Sammelns und der Provenienz.

Wertvolle Kollektionen legen ihren

Fokus auf eine bestimmte Tiergruppe oder

ein Erdzeitalter. Dieser Kontext kann helfen,

Lücken im Sammlungsprofil der Einrichtung

zu schließen. Außerdem ist zu beachten

wie sorgfältig die Sammlung durch

ihren Sammler angelegt wurde. Dazu gehört

unter anderem wie gut und wie vollständig

zum Beispiel die fossile Fauna an

einem Aufschluss durch die Stücke abgedeckt

wird, und welchen Wert die Sammlung

für die unterschiedlichen musealen

Verwendungsgebiete wie Wissenschaft,

Ausstellung, Pädagogik hat. Auch eine genaue

und lückenlose Dokumentation während

der Aufsammlungsphase ist ein wichtiges

Kriterium bei der Wertprüfung. Ein

spezieller Aspekt für geowissenschaftliche

Sammlungen ist der Faktor der Zugänglichkeit

der Fundstellen. Aufgrund der zunehmenden

Schließungen und Renaturierungen

von Gruben und Abbauhalden in

Deutschland sind alte Sammlungen aus

nicht mehr zugänglichen Gebieten wertvolles

Material für die Forschung. Aus diesem

Grund sind es diese Kollektionen

wert, erhalten zu werden. Nach der Bewertung

sind die übrigen Objekte nun bereit

für die Inventarisierung. Zuerst werden die

Etiketten angefertigt. Dabei enthält jedes

Objektkästchen ein Etikett mit den wichtigen

Informationen: Name des Stifters,

Stiftungsdatum, Fundort und Funddatum,

lithostratigrafische Einordnung und taxonomische

Bestimmung. Das Etikett wird

anschließend zum Schutz zusammen mit

den Originaletiketten des Stifters in einem

Zippverschlussbeutel verwahrt. Die fortlaufende

Inventarnummer wird im Anschluss

an das Objekt bzw. das Kästchen

vergeben und ebenfalls auf dem Etikett

festgehalten. Ist das Objekt groß genug,

wird die Inventarnummer auch auf ihm

angebracht. Die Beschriftung wird dabei

auf eine unauffällige Stelle geschrieben, sodass

sie nicht stört, wenn das Objekt für

Ausstellungen eingeplant ist. Man nutzt

dazu entweder PLAKA-Lack als weiße

Grundierung oder Paraloid auf Acetonbasis

als farblose Grundierung. Die Nummer

selbst wird mit Tusche angebracht. Wichtig

ist, dass die Beschriftungsmethode

haltbar und langlebig ist. Ein weiterer

Schritt der Inventarisierung ist die Fotografie

als zusätzliche Dokumentationsmöglichkeit.

Als vorletzter Schritt werden

für jedes Objekt bzw. jedes Kästchen, in

dem mehrere Exemplare zusammengefasst

wurden, ein Datensatz in der Museumsdatenbank

angelegt und alle zur Verfügung

stehenden Informationen sowie die Fotos

zusammengetragen und dort eingespeist.

Neben den wichtigsten Angaben auf den

Etiketten können auch Auskünfte über

den Zustand des Objekts, den aktuellen

Standort und den Präparationsfortschritt

sowie über den Stifter und die

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover

49

Abb. 1 Präparierte Krabbe der Art Coeloma helmstedtense

aus der Grube Stoevesandt bei Lehrte.

Auffällig ist die exzellente Erhaltung mit Laufbeinfragmenten

und Schere.

Sammlungshistorie in speziell für eine Abteilung

strukturierten Reitern gemacht

werden. Somit ist die Datenbank eine

wichtige Möglichkeit nach bestimmten

Gegenständen zu suchen, als auch über alle

Informationen auf einen Blick zu verfügen.

Mit der Eingabe in die Datenbank ist die

Inventarisierung fast abgeschlossen. Zum

Schluss werden alle Objekte in den entsprechend

beschrifteten Holzkisten in die

Sammlung eingegliedert und der Ordnung

nach Lithostratigrafie und Organismengruppe

entsprechend in die Rollschränke

einsortiert. Danach ist die Inventarisierung

der Sammlung abgeschlossen.

Ergebnisse

Taxonomische Einordnung

Die Bestimmung der einzelnen Organismen

wurde anhand der morphologischen

Erkennungsmerkmale durchgeführt.

Jede Organismengruppe besitzt individuelle

Merkmale, auf die bei der Beschreibung

zu achten ist. Die stratigrafisch ältesten

Fossilien der Oligozän-Sammlung

Harms stammen aus der Grube Stoevesandt

bei Lehrte und gehören ins Unteroligozän

der lokalen Latdorfium-Stufe, die

nur in Nordwest-Deutschland anerkannt

wird. Im Allgemeinen werden Gesteine

des Unteroligozän der Rupelium-Stufe

zugerechnet, da einige Forscher das Latdorfium

zum oberen Eozän hinzuzählen.

Folgende Organismen konnten für die Lokation

identifiziert werden (Tab. 1).

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


50 Lea Weßel

Die Krebse der Spezies Coeloma

helmstedtense nov. sp. (Abb. 1)

werden charakterisiert durch

ihren Carapax mit feinen Poren

und nach vorn gerichteten

Warzen. Zusätzlich ist die Buckel-

und Höckerbildung auf

dem Panzer zu beachten, die typisch

für die Gattung Coeloma

ist. Fünf Dornen verzieren den

Vorderseitenrand des Panzers.

Die Gestalt und Position der

Buckel auf dem Carapax ist für

diese Gattung der Decapoden

von entscheidender Bedeutung

(Bachmeyer & Mundlos 1968).

Bei C. helmstedtense befinden

sich direkt hinter dem Kopf zwei

kleinere und an beiden Seiten des Hinterteils

je ein großer Buckel. Es wurden in der

Sammlung vier Exemplare dieser Art zugeordnet.

Eine Überprüfung konnte mithilfe

von Objekten aus der vorhandenen

Sammlung Klages durchgeführt werden.

Außerdem konnte die Art Coeloma holsatica

(Abb. 2) mit drei Exemplaren anhand

von bereits identifizierten Stücken aus der

Sammlung Klages bestimmt werden. Der

Abb. 2 Nicht präparierte Krabben der Spezies

Coeloma holsatica.

Tab. 1 Organismen aus der Grube Stoevesandt bei Lehrte

Fossilgruppe

Familie/Tiergruppe/

Fossiltyp

Anzahl

Coeloma helmstedtense Decapoda 4

Coeloma holsatica Decapoda 3

Coeloma cf. helmstedtense Decapoda 6

Coeloma cf. holsatica Decapoda 7

Coeloma sp. 1 Decapoda 8

Coeloma sp. 2 Decapoda 6

Coeloma sp. Decapoda 13

Haizähne Fisch 10

Terebrateln Brachiopoda 4

Rest der fossilen Decapoden konnte keiner

Spezies eindeutig zugeordnet werden,

da der Präparationszustand der Stücke das

nicht zuließ. Sechs bzw. sieben Exemplaren

konnten somit lediglich eine Ähnlichkeit

zu C. helmstedtense bzw. C. holsatica

nachgewiesen werden, sodass diese auf

dem Etikett das Kürzel „cf.“ für „conferre“

erhielten. Persönlichen Vermutungen zufolge

lassen sich zumindest noch vierzehn

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Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover

51

Cyrenenmergel

Kirchberg-Bank

Rosenberg-Subformation

Abb. 3 Stratigrafische Tabelle der Formationen

der Selztal-Gruppe im Rupelium aus dem Mainzer

Becken. Verändert aus Nungesser (2010) nach:

Grimm & Grimm (2003) und Ott et al. (2009).

weitere Krebse aufgrund ihrer Form und

der Struktur der sichtbaren Panzeroberfläche

in mindestens zwei Spezies unterscheiden.

Eine eindeutige Zuordnung ist jedoch

erst nach der abgeschlossenen Präparation

möglich. Trotz der Überdeckung mit Sediment

konnte bei fast allen Krebsen ein

sehr guter Erhaltungszustand festgestellt

werden. Neben einem fast vollständigen

Panzer besaßen einige Exemplare zusätzlich

noch komplette Beine oder Scheren.

Manchmal war sogar beides überliefert.

Die Haizähne und Terebrateln aus der

Grube bei Lehrte wurden aus Zeitmangel

nicht weiter untersucht.

Die artenreichste Faunendiversität der

Sammlung stammt aus der Sandgrube

Zeilstück bei Alzey und ist stratigrafisch

den Unteren Meeressanden des Unteren

Mitteloligozän (Rupelium) zuzuordnen.

Die Bezeichnung Meeressande für diese

Formation gilt heutzutage als veraltet,

stattdessen wird der Begriff Alzey-Formation

genutzt (Abb. 3). Die Zusammensetzung

der Fauna ist aus Tab. 2 ersichtlich.

Bei fossilen Lamellibranchiata sind vor

allem morphologische Merkmale wie die

Wachstumsringe und Rippen der Außenschale,

die Muskelabdrücke sowie

das Schloss von Bedeutung. Sämtliche

Muscheln wurden nach diesen Kriterien

bestimmt. Bei der Gattung Glycymeris

(Abb. 4) konnten zwei verschiedene Arten

erkannt werden, die sich im Muster ihrer

Wachstumsringe und der Struktur des

Schlosses unterscheiden. Bei G. obovatus

Abb. 4 Die im Mitteloligozän vorkommenden

Glycymeris-Arten G. obovatus (links) und G. angusticostatus

(rechts) aus der Grube Zeilstück. Beide

Arten unterscheiden sich unter anderem durch die

Struktur der Außenschale.

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52 Lea Weßel

Tab. 2 Organismen aus der Sandgrube Zeilstück bei Alzey

Fossilgruppe Familie/Tiergruppe/Fossiltyp Anzahl

Glycymeris obovatus Lamellibranchiata 21

Glycymeris angusticostatus Lamellibranchiata 40+

Spondylus tenuispina Lamellibranchiata 7

Herzmuschel (Cyclocardia ?) Lamellibranchiata 5

Codalucina tenuistria Lamellibranchiata 6

Ostrea callifera Lamellibranchiata 15

Ostrea cyathula Lamellibranchiata 15

Palliolum sp. Lamellibranchiata 5

Granulolabium plicatum var. papillatum Gastropoda 40+

Natica crassatina Gastropoda 50+

Muricopsis sp. Gastropoda 35

Fusus sp. Gastropoda 4

Cypraea beyrichi Gastropoda 2

Röhrenschnecken (Lemintina ?) Gastropoda 6

Serpeln Polychaeta 5

Flossenstachel Fisch 1

Scaphopoden (Dentalium ?) Mollusca 3

Balanophyllia sp. Korallen 33

Carcharias cuspidatus Fisch (Sandtigerhai) 25 – 30

Austern (nicht identifiziert) Lamellibranchiata 28

stehen die Zähne des taxodonten Schlosses

bei gut ausgeprägten Exemplaren weiter

auseinander, dafür sind bei G. angusticostatus

die Radialrippen stärker hervorgehoben.

Diese Gattung ist in der Sammlung

Harms am häufigsten vertreten und weist

bei einigen Exemplaren kleine Bohrspuren

an den Schalen auf. Austern der dysodonten

Gattung Ostrea waren dagegen schwieriger

zu bestimmen, da viele miteinander

zu Austernbänken verklebt, stark bewachsen

und mit Sediment verfüllt waren. Im

Weiteren weisen die Austern viele verschiedene

Schalenformen auf, da sie ihre

Schale beim Wachstum der Umgebung

anpassten (Koenen 1867). Zwei Arten

von Austern wurden anhand der Form der

Schale und Muskelabdrücke identifiziert.

Achtundzwanzig Exemplare der Muscheln

blieben unbestimmt (Abb. 5). Die

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53

Abb. 5 Unbekannte Muscheln aus der Grube Zeilstück,

die bisher nicht bestimmt werden konnten.

Es könnte sich um weitere Austern handeln.

Gastropoden wiesen im Gegensatz zu den

Lamellibranchiata einen schlechten Erhaltungszustand

auf, vor allem die großen

Exemplare der runden Schneckenart Natica

crassatina. Die Embryonalkammer als

primäres Bestimmungsmerkmal war bei

vielen Stücken nicht mehr vorhanden. So

wurden die Skulptur und die Öffnung des

Gehäuses vorrangig als Charakteristika genutzt.

Die Unterart G. plicatum var. papillatum

ist zudem gut anhand ihrer Größe

und Breite von anderen Schnecken der

Gattung Granulolabium

zu

unterscheiden.

Eine auffällige

Besonderheit

der kalkschaligen

Organismen

aus dem

Meeressand waren

die wenige

Millimeter großen

schwarzen,

sternförmigen

Anwachsungen

auf und in der korrodierten Prismenschicht

der Schalen. Vermutlich handelt

es sich um Mineralanwachsungen eines

schwarzen Materials, zum Beispiel Mangan,

die mit den Diagenesebedingungen in

Zusammenhang stehen.

Eine weitere Lokation aus der Sammlung

Harms mit Fossilien aus dem unteren

Meeressand (unteres Mitteloligozän)

ist die Sandgrube Neumühle bei Alzey

(Tab. 3):

Tab. 3 Organismen aus der Sandgrube Neumühle bei Alzey

Fossilgruppe Familie/Tiergruppe/Fossiltyp Anzahl

Carcharias cuspidatus Fisch (Sandtigerhai) 80+

Wirbel und Flossenstachel Fische unbekannter Gattung 1 Wirbel/11

Zähne von Degenfisch Trichiuridae 11

Zähne von Meerbrasse Sparidae 70 – 80

Notorhynchus sp. Fisch (Hai) 1

Ichnofossil ? Ichnofossil 1

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54 Lea Weßel

Abb. 6 Zähne von Carcharias cuspidatus, dem

Sandtigerhai aus dem Unteren Meeressand.

Diese Zähne stammen aus der Grube Neumühle

bei Weinheim.

Aus dieser Lokation liegen hauptsächlich

Zähne und Skelettteile von Fischen

vor. Die eindeutige taxonomische Einordnung

dieser Fossilien war kompliziert,

da vor allem Haie in ihrem Gebiss unterschiedliche

Zahnformen aufweisen, sodass

ein vollständiges Bild des Gebisses aus der

Literatur vorliegen muss. Haizähne werden

anhand der Form ihrer Krone und der

Wurzel sowie den Seitenzähnen klassifiziert.

Carcharias cuspidatus (Abb. 6) besaß

für die Gattung typisch klingenförmige

Zähne. Zudem war er zur Zeit des Oligozän

weit verbreitet, das beweist die Anzahl

seiner Zähne in der Sammlung. Haie der

Gattung Notorhynchus zeichnen sich durch

ihre besonderen Zähne mit mehreren Spitzen

aus. Es ist nur ein Zahn mit drei Spitzen

von dieser Gattung für die Lokation

Neumühle in der Sammlung vorhanden.

Diese Zähne wurden anhand von Vergleichen

mit dem Material aus anderen Datenbanken

bestimmt. Hinzu kommen die unterschiedlich

geformten Kugelzähne (Abb.

7) einer Meeresbrasse (Sparidae) und die

Zähne eines Degenfisches (Trichiuridae).

Nicht zu bestimmen war ein potenzielles

Ichnofossil (Abb. 8), sodass auf dem zugehörigen

Etikett der Begriff „incertae sediis“

für „nicht zu bestimmen“ vermerkt werden

musste.

Die Lokation Edesberg bei Sulzheim

weist die niedrigste Diversität der

Sammlung auf. Am Edesberg finden sich

Abb. 7 Kugel- und Kegelzähne einer muschelfressenden

Meerbrasse aus der Grube Neumühle.

Die Abfolge an dieser Lokation enthält auffällig

viele Fischzähne.

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Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover

55

Abb. 8 Ichnofossil aus Astrup. Links oben ist ein

Etikett des Stifters zu sehen, links unten ein neu

geschriebenes Etikett. In dieser Form werden die

Datenbankfotos gemacht.

Fossilien aus den Oberen Schleichsanden

(Mitteloligozän) und dem Cyrenenmergel

(Mitteloligozän), die auch Stadecken-Formation

und Sulzheim-Formation genannt

werden (Tab. 4).

Neben Glycymeris obovatus kommt in

den Schleichsanden auch die Schinkenmuschel

Isognomon sandbergi (Abb. 9) sehr

häufig vor. Es sind jedoch nur Fragmente

mit Schloss in der Sammlung vorhanden.

Eindeutige Merkmale sind die perlmuttbedeckte

Oberfläche der dicken Schale und

das große, desmodonte Schloss mit einer

Tab. 4 Organismen aus der Lokation Edesberg bei Sulzheim

Fossilgruppe

Familie/Tiergruppe/

Fossiltyp

Anzahl

Glycymeris obovatus Lamellibranchiata 16

Isognomon sandbergi Lamellibranchiata 16

Bulla von Odontoceti

Zahnwal (Mammalia)

1

Pseudocyrena subarata convexa Lamellibranchiata 39

Granulolabium plicatum Gastropoda 50+

Keepingia cassidaria Gastropoda 55

lamellenartigen Rippung, das auf ein ausgeprägtes

Ligament schließen lässt. Diese

Muschel wurde anhand von Vergleichsmaterial

aus dem Magazin identifiziert. Als

einziges Fossil eines Säugetieres wurde zudem

die Bulla eines oligozänen Odontoceti

(Abb. 10) aus den Schleichsanden mit

der Unterstützung durch Frau Dr. Richter

identifiziert. Die Formation des Cyrenenmergels

wird in der Sammlung durch seine

klassische Organismenvergesellschaftung

von Pseudocyrena subarata convexa und

den Gastropoden Granulolabium plicatum

(Abb. 11) und Keepingia

cassidaria vertreten. Die

Muschel P. subarata convexa

besitzt ein auffälliges

heterodontes Schloss und

die typische Form einer

Venusmuschel mit konzentrischen

Wachstumsringen.

Einige Exemplare

der Schnecke G. plicatum

weisen eine pathologische

Besonderheit in Form eines

Knicks im Gehäuse

auf. Für die Bestimmung

dieser Fossilien wurden

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56 Lea Weßel

Abb. 9 Schill von Isognomon sandbergi aus dem

Oberen Schleichsand (Edesberg). Diese Schinkenmuschel

ist in dieser Formation häufig anzutreffen.

Typisch sind das große Schloss (links) und die

Perlmuttoberfläche.

Abb. 10 Bulla eines Odontoceti (Zahnwale) aus

dem oberen Schleichsand am Edesberg.

Abb. 11 Die Schneckenart Granulolabium plicatum

aus dem Cyrenenmergel des Edesbergs. Das

mittlere Stück weist eine morphologische Veränderung

in Form eines Knicks im Gehäuse auf.

ebenfalls Datenbankeinträge anderer Institutionen

benutzt. Die Fauna des Oberoligozän

(Chattium) unterscheidet sich

von der des Mitteloligozän durch das verstärkte

Auftreten von Organismengruppen

wie Echinodermata und Brachiopoda.

Im Doberg bei Bünde ist das Oberoligozän

fast vollständig aufgeschlossen. In der

Sammlung Harms sind von dieser Lokation

die in Tab. 5 aufgeführten Organismen

vorhanden.

Die zwei Spezies der Gattung Palliolum

gehören zu den Kammmuscheln und sind

anhand ihrer Form dieser zuzuordnen. Typisch

sind die runde Form der Schale und

die beiden Ohren genannten Fortsätze am

Wirbel. Bei P. hausmanni sind die Radialrippen

als Ornamentik stark ausgeprägt,

während bei P. decussatum die konzentrischen

Wachstumsstreifen verstärkt hervortreten.

Exemplare der Muschel Glycymeris

cf. phillippi lagen in der Sammlung leider

nur als Steinkerne vor, sodass die morphologischen

Merkmale der Schale nicht

zur eindeutigen Klassifizierung verwendet

werden konnten. Aus diesem Grund wurde

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Tab. 5 Organismen des Dobergs bei Bünde

Fossilgruppe Familie/Tiergruppe/Fossiltyp Anzahl

Palliolum hausmanni Lamellibranchiata 4

Palliolum decussatum Lamellibranchiata 8

Ostrea callifera Lamellibranchiata 7

Glycymeris cf. phillippi Lamellibranchiata 4

Echinolampas kleini Echinodermata 16

Maretia sp. Echinodermata 1

Terebratula grandis Brachiopoda 1

Notorhynchus sp. Fisch (Hai) 2

Dentex Zahntyp der Meerbrasse (Fisch) 1

Rotalgenknollen Rhodophyta Corallinaceae 26

Spiropora cf. variabilis Bryozoa 20+

hier der Begriff „conferre“ (cf ) benutzt. Die

Seeigel Echinolampas kleini (Abb. 12) und

Maretia sp. lassen sich durch die Struktur

und Form ihres Endoskeletts, den Ambulakralfeldern

und der Ausprägung der

Stachelwarzen erkennen. Fossile E. kleini

gehören zu den runden regulären Seeigeln

und haben nur kleine Stachelwarzen

und Poren. Sie treten

im Oberoligozän sehr

häufig auf (Rust 1995).

Exemplare von Maretia

sp. gehören dagegen zu

den kleinen irregulären

Seeigeln und besitzen

große Stachelwarzen

und warzenförmige

Erhebungen auf der

Unterseite. Die Seeigel

hatten eine meist

mittelmäßige Erhaltung.

Viele waren zerbrochen

oder unvollständig.

Neben den

zahlreichen Fossilien

der Invertebraten und

Wirbeltieren kommen

im Oberoligozän auch

vermehrt Überreste von Algen vor. Knollen

von kalkigen Rotalgen (Abb. 13) wuchsen

in Lagen um einen Kern herum. Da glücklicherweise

in der Sammlung Harms auch

zersägte Knollen existieren, konnte aufgrund

der Wachstumsringe eine Bestimmung

auf Familienniveau vorgenommen

werden.

Abb. 12 Seeigel der Art Echinolampas kleini mit

sichtbaren Ambulakralfeldern aus den Schichten

des Dobergs. Diese grabenden Stachelhäuter sind

die häufigsten Fossilien aus dieser Lokation.

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58 Lea Weßel

Abb. 13 Zersägte Rotalgenknolle aus dem Doberg.

Gefundene kalkige Rotalgen sind wichtige Hinweise

auf die Wassertiefe, da sie im Flach wasser bis zu

50 m Tiefe leben.

Tab. 6 Fossilien aus der Mergelgrube Astrup

Fossilgruppe Familie/Tiergruppe/Fossiltyp Anzahl

Palliolum hausmanni Lamellibranchiata 7

Palliolum decussatum Lamellibranchiata 14

Arctica rotundata Lamellibranchiata 5

Glycymeris cf. phillippi Lamellibranchiata 5

Panopaea cf. menardi Lamellibranchiata 2

Ostrea sp. Lamellibranchiata 1

Nucula sp. Lamellibranchiata 1

Echinolampas kleini Echinodermata 1

Spatangus desmaresti Echinodermata 1

Maretia hoffmanni Echinodermata 1

Terebratula grandis Brachiopoda 17

Carcharias cuspidatus Fisch (Sandtigerhai) 1

Rotalgenknollen Rhodophyta, Corallinaceae 14

verfüllter Krebsbau Ichnofossil 1

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Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover

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Abb. 14 Brachiopoden der Art Terebratula grandis

aus der Mergelgrube Astrup. Viele sind bewachsen,

zum Beispiel mit Seepocken (rechts) und in der

Regel zweiklappig überliefert.

Die Fossilien aus der Mergelgrube bei

Astrup stammen ebenfalls aus dem Oberoligozän.

In Tab. 6 sind die in der Lokation

Astrup gefundenen Fossilien aufgeführt.

Neben den bereits beschriebenen Lamellibranchiata

kommen in der Mergelgrube

Astrup die charakteristisch geformte

Islandmuschel Arctica rotundata, die

Schwertmuschel Panopaea cf. menardi und

die Nussmuschel Nucula sp. zur Fauna des

Oberoligozän hinzu. Von den letztgenannten

Muscheln lagen nur Steinkerne vor. Zu

den häufigsten Organismen der Lokation

gehören die Brachiopoden, insbesondere

Terebratula grandis (Abb. 14). Im Gegensatz

zu den Muscheln lagen die meisten

Exemplare der gut erhaltenen Brachiopoden

zweiklappig vor. Zudem wiesen sie

teilweise eine starke Bewachsung mit Serpeln

und Seepocken auf. Vom Stifter freipräparierte

Stücke enthielten Fragmente

des Armgerüsts. Sämtliche Seeigel waren

unvollständig.

Rekonstruktion der Paläoumwelt

Das Erdzeitalter des Oligozän gehört

stratigrafisch ins Mittlere Känozoikum

und wird auf ca. 33 bis 23 Mio. Jahre vor

heute datiert. Im Oligozän hatten sich die

meisten Erdteile des Superkontinents Pangaea

voneinander gelöst und fast ihre heutige

Position erreicht. Australien und Südamerika

waren die letzten Kontinente, die

sich in diesem Zeitalter von der Antarktis

trennten. Außerdem kam es durch die sich

neu orientierenden Meeresströme zu Gletscherbildungen

und einer allgemeinen Regression

des Meeresspiegels weltweit, wodurch

viele Schelfbereiche trocken fielen.

Das Klima war kühl und trocken, das führte

zur Bildung von Wüsten und Landbrücken

(Agusti & Anton 2002).

In Deutschland drang zur Zeit des

Oligozän die Nordsee weit ins Landesinnere

bis in den Raum um Kassel vor. Somit

waren Nord- und Ostdeutschland

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60 Lea Weßel

Welschberg-

Halbinsel

Bingen

Bad Kreuznach

Vorholz-Halbinsel

Weinheimer

Bucht

Alzey

Mainz

Bingen

Bad Kreuznach

Mainz

Wörrstadt

Alzey

Bingen

Bad Kreuznach

Mainz

Wörrstadt

Kirchheimbolanden Kirchheimbolanden Kirchheimbolanden

Alzey

Worms Worms Worms

Abb. 15 Land-Meer-Verteilung im Mainzer Becken

während der Alzey-Formation (A), der Stadecken-

Formation (B) und der Sulzheim-Formation (C).

Verändert aus Nungesser (2010), nach: Grimm &

Grimm (2003).

vollständig überflutet. Trotz des übergeordneten

Meeresspiegel-Tiefstands kam

es lokal immer wieder zu Schwankungen

und der Verlagerung der Ablagerungsräume.

Im Unteroligozän kann die erste vollmarine

Beeinflussung durch die erste lokale

Rupel-Transgression beobachtet werden.

Aufgrund des in der Tongrube Stoevesandt

auftretenden, glaukonithaltigen Grünsandes

mit Phosphorit-Knollen kann von einem

vollmarinen Ablagerungsraum mit

ruhigen, reduzierenden Sedimentationsbedingungen

ausgegangen werden, da sich

Glaukonit am Meeresgrund unter kontinuierlicher

Sedimentauflast bildet. Dies

spiegelt sich auch in der exzellenten Erhaltung

der Organismen dieser Lokation wieder.

Besonders unter den Crustaceen finden

sich viele fast vollständige Exemplare

mit Laufbeinen und Scheren. Dies setzte

eine schnelle Einbettung unter Sauerstoffabschluss

voraus, sodass Hartteile entsprechend

umkristallisieren konnten. Krebse

der Gattung Coeloma waren carnivor und

konnten in allen Meerestiefen vorkommen.

Die Art C. helmstedtense (Abb. 1) bevorzugte

jedoch tiefes Wasser als Lebensraum

und tritt an dieser Lokation häufig

auf (Bachmeyer & Mundlos 1968). Aufgrund

dieser Faktoren kann vermutet werden,

dass es sich bei den Sedimenten der

Grube Stoevesandt um solche aus einer

marinen Beckenfazies handelt. Das wird

durch das anschließende Vorkommen von

pelagischen Tonen am Top des Aufschlusses

unterstützt. Aufgrund der guten Erhaltung

der Crustaceen wurde in der Literatur

zuerst von einer Einbettung in Lebendstellung

ausgegangen. Krebse dieser Gattung

lebten jedoch sowohl auf als auch im Sediment,

sodass eine Ablagerung als noch

lebender Organismus unwahrscheinlich

scheint. Am Rand des Oligozän-Beckens

ändert sich die Fazies mit zunehmender

Nähe zum Küstenbereich.

Ablagerungen aus dem Mittleren Oligozän

(Rupelium) sind in Deutschland besonders

aus dem Mainzer Becken bekannt.

Die Formationen dieser Lokation gehören

zur sogenannten Selztal-Gruppe des Rupelium

(Abb. 3). Zu der Zeit war das Sedimentbecken

von einem Meeresarm zu einer

Bucht geflutet worden, der die Nordsee

mit der Tethys verband. Das Mainzer Becken

wurde im Verlauf der zweiten Rupel-

Transgression zu vollmarinen Bedingungen

geflutet (Abb. 15). Dabei stellten die

Meeressande (Alzey-Formation) mit ihren

Sanden und Kiesen die Küstenfazies und

die Rupeltone (Bodenheim-Formation)

mit den pelagischen Tonen die Beckenfazies

dar (Nungesser 2010).

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Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover

61

Abb. 16 Kleine Stämmchen der Solitärkorallengattung

Balanophyllia sp. Sie weisen auf warme

Wassertemperaturen hin, haben aber keine

Bedeutung als Riffbildner.

In den flachen küstennahen Gebieten

der Meeressande entwickelte sich im subtropischen

bis mediterranen Klima eine artenreiche

Fauna, die sich in der Diversität

der Sammlung Harms wiederspiegelt und

sogar viele verschiedene Trophiestufen der

Nahrungskette durch fossile Organismen

repräsentierend darstellen kann. Das Vorkommen

von Korallen wie Balanophyllia

sp. (Abb. 16) bestätigt die warmen Temperaturen

des Meerwassers. Jedoch waren

diese Korallen keine Riffbildner, sondern

kleine Solitärkorallen mit geringer Bedeutung

für das Ökosystem. Diese wichtige

Rolle übernahmen im Oligozän-Meer die

Austern, besonders die flachwasserbewohnende

Art Ostrea callifera (Abb. 17). Austern

lebten auf den Geröllen der Kliffe,

die aus Gesteinen des permischen Rotliegenden

bestanden. Ostrea callifera bildete

an beiden Lokationen in Weinheim große

Austernbänke, die vielen Organismen

Schutz und Nahrung boten (Falke 1968).

Zudem stellten sie sessilen Organismen

wie Serpeln und Seepocken oder filtrierende

Muscheln (Spondylus tenuispina) durch

ihre Schalen geeigneten Besiedlungsgrund

zur Verfügung. Die verklebten und bewachsenen

Austern der Art O. callifera der

Sammlung Harms beweisen ihre wichtige

Funktion als Ersatz für die Riffbildner. Der

weiche Sand bot zahlreichen grabenden

Mollusken wie Glycymeris (Abb. 4) einen

Abb. 17 Ostrea callifera aus der Grube Zeilstück.

Diese vier Exemplare sind stark miteinander

verklebt. Das lässt sich auf ihre Funktion als Riffbildner

für das Ökosystem im Unteren Meeressand

zurückführen.

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62 Lea Weßel

passenden Lebensraum. Unter den Schnecken

finden sich in der Sammlung sowohl

die ehemals tidenzonenbewohnende, pflanzenweidende

Schlammkriecher-Schnecke

Granulolabium plicatum var. papillatum, als

auch Raubschnecken wie Natica crassatina

und Muricopsis sp. Diese Raubschnecken

des küstennahen Lebensraums durchbohrten

die Schale ihrer Beutetiere, zum Beispiel

anderer Muscheln oder Gastropoden

(Rust 1995). Leider konnten bei den fossilen

Primärkonsumenten der Mollusken

keine der Bohrspuren eindeutig als von

Raubschneckenfraß verursacht interpretiert

werden. Es wurden besonders viele

Spuren von Anbohrungsprozessen bei

Glycymeris beobachtet. Ein weiterer Feind

von Mollusken war die Meerbrasse. Dieser

Knochenfisch der Familie Sparidae

lebte im freien Wasser und ernährte sich

hauptsächlich von Muscheln, deren Schale

er mit seinen kugelförmigen Zähnen knacken

konnte. Meerbrassen hatten verschiedene

Zahntypen. Die Kugelzähne (Abb. 7)

werden Dentex genannt (Dallmann 1996).

Weitere Überreste von Knochenfischen aus

der Sammlung Harms sind Flossenstacheln

und Wirbel. Die höchste Stufe der

Nahrungskette nahmen Raubfische wie die

Degenfische und Haie ein. Besonders viele

fossile Zähne sind in der Meeressand-

Formation von dem 2-5 Meter langen

Glossar

Arkose Sedimentgestein, das aus Quarzkörnern

und einem hohen Feldspatanteil

besteht. Es entsteht durch die Ablagerung

von erodierten Silikatgesteinen, zum Beispiel

Granit, und kann in fast allen sedimentären

Schichtfolgen gefunden werden.

Brachiopoda systematische Bezeichnung

für den Tierstamm der Armfüßer. Sie

besitzen ein zweiklappiges Gehäuse, eine

Klappe ist stets größer, als die andere. Das

unterscheidet sie von den Muscheln.

Bryozoa systematische Bezeichnung für

den Tierstamm der Moostierchen. Es handelt

sich um festgewachsene Kolonien aus

kleinen Zooiden (Einzeltieren), die Nahrungspartikel

aus dem Meerwasser filtern.

Carapax Teil des Außenskeletts bei Krebstieren.

Der Carapax bedeckt als Rückenschild

die dem Kopf anschließenden

Segmente.

Decapoda systematische Bezeichnung für

die Ordnung der Zehnfußkrebse innerhalb

der Krebstiere

desmodont Bezeichnung für einen

Schlosstyp bei Muscheln, die Zähne sind

dabei zu zwei großen Zapfen verwachsen.

dysodont Bezeichnung für einen Schlosstyp

bei Muscheln, es sind keine oder nur rudimentäre

Zähne vorhanden.

Echinodermata systematische Bezeichnung

für den Tierstamm der Stachelhäuter, deren

Körper sich in fünf gleiche Teile gliedert.

Seesterne, Seeigel und Seegurken gehören

dazu.

epibenthisch auf dem Sediment von Gewässern

lebend

Gastropoda systematische Bezeichnung für

die Tierklasse der Schnecken

heterodont Bezeichnung für einen Schlosstyp

bei Muscheln, das verschiedenförmige Zähne

aufweist.

Ichnofossil Spurenfossil. Fossilisierte Lebensspuren

von Organismen wie etwa Laufspuren

(Trittsiegel), Grabspuren oder Fraßspuren.

Lamellibranchiata systematische Bezeichnung

für die Tierklasse der Muscheln

Ligament elastisches Band, mit dem die

Schalenklappen von Muscheln zusammen

gehalten werden.

Mollusca systematische Bezeichnung für

den Tierstamm der Weichtiere, also Tiere

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover

63

Sandtigerhai Carcharias cuspidatus (Abb.

6) überliefert. Dieser Hai lebte küstennah

und ernährte sich hauptsächlich von anderen

Fischen (Nungesser 2010).

Gegenüber der hohen Diversität in

der Meeressand-Formation stellte der

Schleichsand (Stadecken-Formation) ein

relativ verarmtes Bild dar. Nur wenige neue

Arten stießen zur Vergesellschaftung hinzu.

Während der Epoche des Schleichsandes

wurde die Transgression stärker, doch

aufgrund des erhöhten Sedimenteintrags

war das Meer in der Bucht insgesamt flacher.

Das Klima kühlte sich ab und das

Mainzer Becken erfuhr einen leichten

Brackwassereinfluss (Nungesser 2010).

Die Küstengebiete waren charakterisiert

durch ausgedehnte Schlammflächen,

in denen sowohl grabende Mollusken

wie Glycymeris obovatus, als auch oberflächenbesiedelnde

Organismen wie Isognomon

sandbergi (Abb. 9) verstärkt auftraten.

Die Überreste der filtrierenden Isognomon

sandbergi bilden am Edesberg dicke Schillschichten,

das bestätigt die hohe Verbreitung

und Individuenzahl der Schinkenmuschel

(Falke 1968).

Ein besonders interessantes Stück aus

der Sammlung Harms ist die Bulla eines

oligozänen Odontoceti (Abb. 10). Die

„Bulla tympanica“ stellt einen Teil des Gehörapparats

bei Zahnwalen dar. In der

mit weichem Körper und oft einer Schale.

Schnecken, Muscheln und Tintenfische gehören

dazu.

pelagisch sind Organismen, die im freien

Wasser leben (Biologie) oder Sedimente,

die im freien Wasser schweben, bzw. abgelagert

werden (Geologie, Beispiel: pelagische

Tone).

Phosphorit-Geoden Phosphorit ist ein marines

Sedimentgestein. Es tritt häufig in Verbindung

mit Kalken und Glaukoniten auf.

Die Bildung kann am Meeresboden biologisch

durch die Ablagerung von organischem

Material, chemisch durch die Ausfällung aus

dem Meerwasser entstehen. Dabei bilden die

Minerale oft Knollen oder Geoden (Hohlräume

im Gestein, die mit dem kristallisierten

Mineral ausgekleidet sind).

Rhodophyta systematische Bezeichnung für

die botanische Abteilung der Rotalgen.

Rupeltone ehemalige Bezeichnung für die

Bodenheim-Formation aus dem Mainzer

Becken. Sie gehört stratigrafisch ins Rupelium

(Unteroligozän) und zeichnet sich durch

eine marine Beckenfazies aus Tonen und

Feinsanden aus.

Rupel-Transgression während des Rupelium

(auch Rupel genannt) kam es zu

drei Zyklen von Meeresspiegelanstiegen,

genannt Rupel-Transgressionen. Sie können

sowohl lokal als auch global an den

charakteristischen Sedimentationsabfolgen

erkannt werden.

Schill Anreicherung von ganzen oder zerbrochenen

Schalen, Klappen oder Gehäusen

von Organismen. Oft gesteinsbildend.

Septarien Kalkkonkretionen, die in kalkreichen

Tonen zu finden sind und um einen

Kern aus organischem Material wachsen.

Die Entstehung ist noch nicht vollständig

geklärt.

Serpeln bekannt als Serpulidae, systematische

Bezeichnung für die Familie der

Kalkröhrenwürmer.

taxodont Bezeichnung für einen

Schlosstyp bei Muscheln, der viele gleichförmige

Zähne aufweist.

Terebrateln bekannt als Terebratulida, systematische

Bezeichnung für eine Ordnung

der Brachiopoda

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


64 Lea Weßel

knöchernen Kapsel waren Mittel- und Innenohr

eingeschlossen, die bei der Schallorientierung

des Tieres eine wichtige Rolle

spielten. Eine Besonderheit der prähistorischen

Zahnwale gegenüber den rezenten

war, dass die Bulla bei niedrig entwickelten

Zahnwalen noch direkt mit dem Schädelknochen

verbunden war. Diese Verbindungsstelle

kann beim Stück aus der

Sammlung ebenfalls nachgewiesen werden.

Bei rezenten Odontoceti ist die Bulla vom

Schädelknochen isoliert und nur mit Bindegewebe

fixiert, das verbessert die Schallleitung

(Keller 2004). Eine genaue Klärung

der Ablagerungsbedingungen ist bei

diesem Stück schwierig. Die Existenz von

Walen in der Ur-Nordsee ist durch Funde

unter anderem am Doberg gesichert, aber

ob es sich bei der Bulla um die Überreste

eines vor Ort gestrandeten Wals handelt

oder sie allochton verfrachtet wurde, ist

nicht eindeutig (Mörstedt & Strauß 2005).

Im Cyrenenmergel (Sulzheim-Formation)

wandelten sich die vollmarinen Bedingungen

langsam in ein Flachmeer mit

einer artenarmen Brackwasser-Fauna um.

(Abb.15) Das führte zur Einwanderung

neuer Arten. Die weit verbreitete Muschel

Pseudocyrena subarata convexa war ein typischer

Brackwasserbewohner und lebte

eingegraben unter der Sedimentoberfläche

(Rust 1995). Auch Gastropoden wie

Granulolabium plicatum (Abb. 11) und die

küstenbewohnende Raubschnecke Keepingia

cassidaria sind weitere Beweise für eine

Verflachung der Bucht. Diese Mollusken

stellten die häufigsten Arten im Cyrenenmergel

dar und finden sich an den entsprechenden

Lokationen in großer Zahl (Nungesser

2010). Bei einigen Exemplaren der

Schnecke G. plicatum fand sich die pathologische

Besonderheit eines Knicks im Gehäuse,

vermutlich als Reaktion auf einen

Fressfeind oder eine Krankheit.

Im Oberoligozän (Chattium) kam es

schließlich zur Regression des Meeresspiegels,

sodass sich ein Flachmeer in Norddeutschland

ausbilden konnte. Eine der

wichtigsten Lagerstätten des Oberoligozän

ist der Doberg bei Bünde. Er gehörte

zusammen mit der Lokation Astrup zu

einem flachen Randmeer der Ur-Nordsee.

Dieses Randmeer wies eine starke Ähnlichkeit

mit dem rezenten Wattenmeer auf

(Dallmann 1996).

Lockere Sedimente wie Sande und Kiese

wurden in einem flachen gezeitendominierten,

euhalinen und durchlichteten

Flachschelf-Akkumulationsraum abgelagert.

Die durchschnittliche Wassertiefe

wird anhand des Auftretens der zahlreichen

Rotalgenknollen (Abb. 13) auf bis

50 m geschätzt (Kohnen 1993). Rotalgen

sind abhängig von Sonnenlicht und auf einen

lichtdurchfluteten Lebensraum ohne

starke Sedimentation angewiesen (Dallmann

1996). Zudem wuchsen sie vorwiegend

in warmen Gewässern. Demnach

kann auf ein mediterranes Klima geschlossen

werden. Das Randmeer der Ur-Nordsee

bot zur Zeit des Oligozän sowohl einer

Vielzahl von Invertebraten, als auch großen

Organismen wie Haien, Rochen, Walen

und Seekühen einen Lebensraum (Mörstedt

& Strauß 2005). Die stratigrafisch

wichtigsten Fossilien sind epibenthisch lebende

Kammmuscheln der Gattung Palliolum,

da sie aufgrund ihrer Schale aus

Kalkspat eine gute Überlieferungsrate besitzen.

Sie gehören zu den Filtrierern und

kommen sehr häufig in den Schichten vor

(Dallmann 1996).

Die ebenfalls filtrierende Auster Ostrea

callifera nahm auch im Oberoligozän eine

bedeutende Rolle im Ökosystem ein, da sie

Schadstoffe aus dem Wasser filterte und

einen Siedlungsgrund für andere Organismen

bildete (Kohnen 1993). Allerdings

wurden durch diese Austernart nun keine

großen Austernbänke mehr ausgebildet

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover

65

und ihre Häufigkeit nahm ab. Die sandbewohnende

Gattung Glycymeris war im

gesamten Oligozän mit verschiedenen Arten

vertreten, sodass sie sich auch mit den

Lokationen Doberg und Astrup in der

Sammlung zeigt. Im Allgemeinen ist eine

große Ähnlichkeit zwischen der Organismenvergesellschaftung

des Dobergs und

der Astruper Mergelgrube zu beobachten.

Das unterstreicht die Zugehörigkeit zum

gleichen Lebensraum. An beiden Lokationen

kommen die Gattungen Glycymeris

und Palliolum sowie zahlreiche Rotalgenknollen

vor. Daneben finden sich in Astrup

auch Schlickbewohner wie Arctica rotundata

und Panopaea menardi (Diedrich 2012).

Die Islandmuschel (Arctica rotundata) bevorzugte

geringere Wassertemperaturen in

ihrem Lebensraum, aber sie konnte auch in

warmem Wasser überleben. Allerdings bildete

sie dann aufgrund des Kalkmangels

im warmen Wasser eine dünnere Schale

aus. Das spiegelt sich in den fossilen Exemplaren

aus der Sammlung wider.

Das gleiche Verhalten lässt sich auch

bei Ostrea callifera erkennen. Neben den

Mollusken dominierten Echinodermen

das Bild des Wattenmeers im Oligozän.

Sowohl Echinolampas kleini (Abb. 12) als

auch Spatangus desmaresti lebten im Sediment

und ernährten sich mikrophag (Rust

1995). Auffällig ist, dass am Doberg Seeigel

wie E. kleini quantitativ dominierten,

während in Astrup Terebratula grandis

(Abb. 14) reichlich vorkamen. Das lässt

darauf schließen, dass das Sediment am

Doberg als Siedlungsgrund für Brachiopoden

zu weich war, während sie in Astrup

bessere Lebensbedingungen vorfanden.

Das lockere Sediment bildete dagegen ein

ideales Habitat für grabende Seeigel. Typisch

für die Brachiopoden ist ihre Überlieferung

mit zwei Klappen, die wegen des

fehlenden Ligaments auch postmortal fest

miteinander verbunden bleiben (Dallmann

1996).

Exemplare, die mit nur einer Klappe

überliefert sind, weisen dagegen häufig

einen starken Bewuchs von Serpeln und

Seepocken auf. Vermutlich deutet das auf

eine längere Einbettungsdauer hin. Fossilien

von Fischen wurden im Oberoligozän

seltener, dennoch ließen sich sowohl

die Meerbrasse, als auch der Kosmopolit

Carcharias cuspidatus anhand von Zähnen

nachweisen. Beide kamen im Phytal nahe

der Küste vor (Diedrich 2012).

Die meisten Fossilien der oligozänen

Sammlung Harms können als autochthone

Spezies gewertet werden, da sich ihre

Lebensweise und das bevorzugte Habitat

sehr gut mit den im Oligozän herrschenden

Umwelt- und Lebensbedingungen decken.

Bei vielen handelte es sich um typische

Bewohner ihres Lebensraums, sodass

die entsprechenden Fossilien an den Lokationen

häufig sind. Einzig die Überreste

des Odontoceti konnten nicht eindeutig

als autochthon eingestuft werden. Auffällig

sind die teilweise exzellente Erhaltung der

Stücke sowie ihre Vollständigkeit vor allem

bei den empfindlichen Crustaceen.

Diskussion und Ausblick

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass

die Oligozän-Sammlung Harms einen

umfassenden Einblick in das Ökosystem

des Oligozän ermöglicht und somit einen

hohen Erhaltungswert besitzt. Neben den

stratotypischen Lokationen wie dem Doberg

und dem Mainzer Becken, wurden

durch den Stifter auch weniger bekannte

Areale wie zum Beispiel die Grube Stoevesandt

besucht und somit ein Teil ihrer

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


66 Lea Weßel

geowissenschaftlichen Informationen für

die Forschung bewahrt. Trotzdem könnten

weiterführende Untersuchungen des

Materials das paläontologische Verständnis

vom Zusammenspiel verschiedener

Organismengruppen und Arten untereinander

weiter vertiefen und eine erweiterte

Interpretation der marinen Makrofauna

in Bezug auf Räuber-Beute-Beziehungen

und Nahrungsketten ermöglichen. Deshalb

würde es sich empfehlen, weiter mit

der Stiftung Harms zu arbeiten und nicht

identifizierte Organismen zu bestimmen.

Besonders die Zahnwal-Bulla, die Fischzähne

und die Crustaceen, sowie die Häufigkeitsverteilung

der Bohrspuren könnten

eine interessante Forschungsgrundlage liefern.

Als Fazit kann vermerkt werden, dass

die bestimmte Organismenvergesellschaftung

weitgehend mit den in der Literatur

für die einzelnen Aufschlüsse beschriebenen

Faunen übereinstimmt und auch die

Paläoumwelt durch die Lebensgewohnheiten

der Arten widergespiegelt wird. Viele

Eigenschaften von Arten konnten direkt

an den Objekten nachgewiesen werden

wie z. B. die riffbildenden Aktivitäten von

Ostrea callifera. Außerdem können die fossilen

Organismen auch als Anzeiger für

Umweltparameter genutzt werden. Beispiele

sind die lichtabhängigen kalkigen

Rotalgen oder die grabenden Seeigel. Dennoch

beinhaltet die Oligozän-Sammlung

Harms neben den weit verbreiteten Fossilien

auch ungewöhnliche Stücke, die in der

wissenschaftlichen Literatur keine Erwähnung

finden und ungewöhnliche Faunenzusammensetzungen.

Danksagung

Besonderer Dank gilt Frau Dr. Annette

Richter und Frau Annina Böhme für das

großartige Engagement und die Unterstützung

bei der Informationsrecherche,

Einschätzung und Bestimmung der Stücke

sowie die Einführung in die Sammlungsverwaltung

an sich und die interessanten

Einblicke hinter die Kulissen. Für das Lektorat

danke ich ebenfalls Frau Dr. Annette

Richter, Herrn Dr. Franz-Jürgen Harms

und vor allem Herrn Dr. Dieter Schulz.

Literatur

Agusti, J.; Anton, M. (2002): Mammoths,

Sabertooths and Hominids 65 Million Years

of Mammalian Evolution in Europe: 67 – 92.

– Columbia University Press; New York.

Bachmeyer, F.; Mundlos R. (1968): Die tertiären

Krebse von Helmstedt bei Braunschweig,

Deutschland. – Annalen des Naturhistorischen

Museums Wien, 72: 649 – 692.

Dallmann, G. (1996): Vorzeitliche Meeresspuren

– die Kalkmergel-Flora im Osnabrücker

Bergland und Ostwestfalen-Lippe: geologische

Profile und Fauna der Ur-Nordsee bei

Osnabrück, Bünde und Detmold, Leopoldshöhe:

33 – 45. – heka-Verlag Kameier.

Diedrich, C. G. (2012): Palaeoecology, facies,

and stratigraphy of shallow marine

macrofauna from the Upper Oligocene

(Palaeogene) of the southern Pre-North Sea

Basin of Astrup (NW Germany). - Central

European Journal of Geoscience, Vol. 4, 1:

163 – 187.

Falke, H. (1960): Rheinhessen und die Umgebung

von Mainz, Sammlung geologischer

Führer von Franz Lotse, 38: 110 – 116,

125 – 131. – Gebrüder Borntraeger Verlag;

Berlin.

Grimm, K. I.; Grimm, M. C. (2003): Geologischer

Führer durch das Mainzer Tertiärbecken.

– In: Grimm, K. I., Grimm, M. C.;

Neuffer, F. O.; Lutz, H.: Die fossilen Wirbellosen

des Mainzer Tertiärbeckens, Teil

1-1. – Mainzer Naturwissenschaftliches

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover

67

Archiv, Beiheft 26: 158 S., 3 Tafeln; Mainz.

Harms, Franz-Jürgen, persönliche Unterlagen.

Keller, J. (2004): Wale und Delfine: 16 – 18,

128 – 131. – Karl Müller Verlag; Köln.

Koenen, A. (1867): Das marine Mittel-Oligozän

Norddeutschlands und seine Mollusken-

Fauna – Abdruck aus „Palaeontographica“,

XVI. – Theodor Fischer Verlag; Kassel.

Kohnen, O. (1993): Sedimentologie, Fazies und

Diagenese der Schichten 10 bis 21 im Oberoligozän

des Dobergs (Bünde/Westfalen). –

Geologie und Paläontologie in Westfalen,

23: 16 – 23. – Landschaftsverband Westfalen-Lippe.

Mörstedt, C.; Strauß, M. (2005): Stippvisiten

Spezial Dobergmuseum Bünde – Expedition

Doberg. Kreisheimatverein Herford e. V.

Nungesser, K. (2010): Von Seegraswiesen,

Kohleschweinen und Rheinelefanten –

Eine Zeitreise durch das Mainzer

Becken. Steinkern.de Fossilien-Community

(www.steinkern.de/fundorte/

sonstige-bundeslaender/214-von-seegraswiesen-kohleschweinen-und-rheinelefanteneine-zeitreise-durch-das-mainzer-becken.

html)

Rust, J. (1995): Das Oberoligozän von Diekholzen

bei Hildesheim, Bodenburg und den

drei Eichteichen bei Neuhof/Lamspringe.

Mitteilungen aus dem Römer-Museum,

Folge 7: 88 – 96. – Georg Olms Verlag; Hildesheim.

Es wurden zusätzlich zahlreiche Datenbanken

von wissenschaftlichen Einrichtungen für die

systematische Einordnung genutzt.

Arbeit eingereicht: 04.08.2018

Arbeit angenommen: 03.12.2018

Anschrift der Verfasserin:

Lea Weßel

Mühlenstraße 22

28779 Bremen

E-Mail: lwessel@uni-bremen.de

Geheimnisvoll und rätselhaft

Naturhistorica 152

• Die rätselhaften Grottenkrebse der Blue

Holes: Sind sie vielleicht doch eher Insekten?

Erste Forschungsergebnisse liegen vor.

• Die Ilex-Minierfliege in Hannover

• Vegetation eines Hainbuchen-Niederwaldes

bei Wittenburg

• Insekten aus dem Ober-Jura in Norddeutschland

• Wolf, Luchs & Co. – Ein Bestimmungsschlüssel

anhand der Halswirbel

• Vom Jurameer bis zur heutigen Nordsee

• Das Meereskrokodil Steneosaurus aus dem

Oberen Jura Hannovers

198 S., 9 €

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


68

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


69

Moschusochsenschädel (Ovibos moschatus)

aus dem Landesmuseum Hannover und dem

Dinopark Münchehagen – Vergleich und

Interpretation

Jannik Weidtke

Moschusochsenschädel aus dem

Landesmuseum Hannover und dem Dinopark

Münchehagen

Zusammenfassung

In dieser Arbeit werden ein rezenter und

vier fossile Schädel der Art Ovibos moschatus

beschrieben und anschließend anhand

ihrer ontogenetischen Entwicklung, Alter

und Geschlecht der Tiere bestimmt.

Eine kurze Einführung in die Biologie

des rezenten Moschusochsen geht auf den

Stammbaum und die Anpassung von O.

moschatus an arktische Klimate ein.

Die Bestimmung von Geschlecht und

Alter wird anhand osteologischer Kenntnisse

über die Morphologie des Schädels,

der ontogenetischen Entwicklung rezenter

Tiere und ihrer nahen Verwandtschaft zu

dem eiszeitlichen Vertreter dieser Art unter

Anwendung des Aktualismusprinzips

und unter der Zuhilfenahme weiterer, bisher

veröffentlichter Arbeiten durchgeführt.

Anschließend wird mit den aus dieser und

den weiteren Arbeiten gewonnenen Erkenntnissen

das Thema der Artunterscheidung

in eine rezente und eine eiszeitliche

Form anhand der phylogenetischen Entwicklung

der Gattungsgruppe der Ovibovini

und morphologischer sowie DNA-

Analyse technischer Unterschiede und

Gemeinsamkeiten diskutiert.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


70 Jannik Weidtke

Schlüsselwörter: Artikulierte Moschusochsenschädel,

rezent, fossil, Ovibos moschatus,

Säugetiere, Artiodactyla, Morphologie,

Sammlungen Landesmuseum

Hannover, Dinosaurier-Park Münchehagen,

Landesamt für Bergbau, Energie und

Geologie Niedersachsen, Eiszeiten

Einleitung

Material

Zwei der hier besprochenen Schädel

stammen aus dem Niedersächsischen Landesmuseum

Hannover (NLMH). Ein rezenter

Schädel eines weiblichen Moschusochsens

aus Grönland aus dem Jahr 1903,

der 1904 mit der Nummer 198 im Museum

einging und die Inventar-Nr. 7249

trägt, befindet sich im osteologischen Magazin

des Museums. Dazu kommt ein eiszeitlicher

Schädel, der im Quartärmagazin

des Museums lagert und die Nummer

V3105 trägt. Diese Sammlungsnummer ist

als vorläufig zu betrachten, da eine Nummernrevision

in den geowissenschaftlichen

Sammlungen ansteht und für dieses

spezielle Objekt noch keine feste Vergabe

vorgenommen wurde bzw. werden konnte:

Es handelt sich bei diesem Schädel um

eine Dauerleihgabe des ehemaligen Landesamtes

für Bodenforschung, das heute

das Landesamt für Bergbau, Energie und

Geologie Niedersachsen (LBEG) ist. Zum

Fundort dieses Schädels werden zwei unterschiedliche

Angaben gemacht. Es existiert

sowohl ein Leihschein von 1969, in

dem der Schädel aus weichseleiszeitlichen

Ablagerungen der Innerste stammen soll,

als auch ein früherer Aktenvermerk vom

30.10.1968, in dem der Schädel in den

Leinekiesen der Weichseleiszeit bei Heisede

gefunden worden sein soll. Beide Schädel

sind ohne postcraniales Skelettmaterial.

Aus dem Dinosaurier-Freilichtmuseum

Münchehagen (hier nachfolgend kurz

Dinopark genannt) stammen vier weitere

eiszeitliche Schädel, die allesamt aus der

Sammlung des verstorbenen Privatsammlers

Konrad Wiebking kommen, die ihrerseits

im Jahre 2014 dem Dinopark gestiftet

wurde. Es handelt sich hierbei um

drei nicht mehr vollständige Crania unterschiedlicher

Größen, ebenfalls ohne

postcraniales Skelett, sowie ein einzelnes

Parietale. Der Fundort der vier Schädelreste

kann jedoch aufgrund fehlender Dokumentation

nicht mehr genau bestimmt

werden. Sicher ist allerdings, dass diese aus

dem Gebiet südlich der Weser um Rehburg-Loccum

stammen.

Zusätzlich zu den zwei oben genannten

Schädeln existiert im Großpräparatemagazin

des Landesmuseums Hannover das

Standpräparat eines rezenten Moschusochsens

(Inventarnummer 150). Es ist in

dieser Arbeit mit zwei Abbildungen (Abb.

1 und 2) vertreten, soll jedoch nicht weiter

behandelt werden.

Methoden

Die Fotos des Standpräparats wurden

mit einer Canon EOS 5D Mark II

Digitalkamera aufgenommen, die Fotos

der Schädel mit einer Canon EOS

1100D Spiegelreflexkamera. Die Zeichnung

erfolgte mit Hilfe von Schwan

Stabilo All-Stabilo Fettstift und Pelikan

Tusche Opak (Schwarz) auf Runzelkornpapier

(Bilddruckpapier Igepa).

Die Fotos der Schädel und die Zeichnung

wurden im Anschluss mit Adobe

Photoshop CS6 freigestellt. Die Fotos

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

71

zur Erstellung der 3D-Modelle sind mit

derselben Canon EOS 1100D Spiegelreflexkamera

auf einem Cullmann Magnesit

522 Stativ aufgenommen worden.

Die Fertigstellung der Modelle geschah

mit der Agisoft PhotoScan Professional

Version 1.2.6 build 2834(64Bit), Lizenz

des Niedersächsischen Landesmuseums

Hannover.

Geologischer Rahmen

Als Eiszeiten werden die Abschnitte der

Erdgeschichte bezeichnet, in denen große

Teile der Nord- und Südhalbkugel vergletschert

waren. Im Laufe der Geschichte hat

die Erde bereits mehrere Eiszeiten erfahren,

die sich durch starke Temperatur- und

Klimaschwankungen von anderen Erdzeitaltern

unterscheiden. Unterteilt werden

sie in Stadiale oder auch Glaziale (Kaltzeiten)

und Interstadiale bzw. Interglaziale

(Warmzeiten). Als Hauptantriebskraft

für diese geologisch gesehen relativ kurzen

Zeitabschnitte werden die Milanković-

Zyklen angesehen, die sich aus den drei

Parametern der Exzentrizität (Stärke der

elliptischen Form der Erdumlaufbahn),

Obliquität (Neigungswinkel der Erdachse)

und Präzession (Position der Erdachse im

Raum) zusammensetzen. Diese allein sind

jedoch nicht ausreichend, um eine Eiszeit

einzuläuten. Die Position von Landmassen

in Pol-Nähe, aber auch deren Isolation,

spielen dabei eine wichtige Rolle. Durch

Kontinentaldrift kommt es zur Öffnung

oder auch Schließung von Meeresstraßen

und damit zu gravierenden Änderungen in

den Meeresströmungen. Auch die Intensität

kosmischer Strahlung und Schwankungen

in der Atmosphäre sind mitverantwortlich

für Eiszeiten. Der CO 2

-Gehalt in

der Atmosphäre, der unter anderem auch

durch Änderungen von Meeresströmungen

Tab. 1 Die drei Eiszeiten des Quartär und

ihre Dauer

Zeitabschnitt

Zeitraum

( Jahre vor heute)

Elster-Glazial 400 000 – 320 000

Holstein-Interglazial 320 000 – 305 000

Saale-Glazial 305 000 – 130 000

Eem-Interglazial 130 000 – 115 000

Weichsel-Glazial 115 000 – 12 000

und dem geologischen Relief (Gebirgsbildungsphasen)

gesteuert wird, ist zusammen

mit dem Rückstrahlungsvermögen

der Erdoberfläche von Sonnenlicht (Albedo-Effekt)

entscheidend.

Das Quartär, das vor ca. 2,58 Millionen

Jahren begann, wird unterteilt in das Pleistozän

(2,58 Millionen bis 11 700 Jahre vor

heute) und das Holozän (von 11 700 bis

heute) und erfuhr bislang drei größere Eiszeiten.

Diese werden in Norddeutschland

nach Flüssen benannt, die deren weitesten

Vorstoß in das Landesinnere anzeigen. Die

maximale Ausdehnung der Gletscher wird

mit Hilfe von proglazialen Sedimentablagerungen

und Moränen rekonstruiert. In

den relativ kurzen Warmzeiten zwischen

den Gletschervorstößen war das Landschaftsbild

Europas geprägt von Linden-,

Eichen- und Eichenmischwäldern. Zum

Ende der Warmzeiten kam es vermehrt

zum Auftreten von Nadelhölzern, darunter

Kiefern, Fichten und Tannen. Während

der Kaltzeiten dominierten Tundren mit

Zwergsträuchern und Lösssteppen, die als

Mammutsteppen bezeichnet werden. Der

mehrmals auftretende Wechsel zwischen

Glazialen und Interglazialen zwang einen

Großteil der Lebewesen zur Abwanderung

und führte, wenn diese nicht möglich war,

zum Aussterben der Arten (Kahlke 1994).

Typische Vertreter der Mammutsteppen

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


72 Jannik Weidtke

waren das namengebende Mammut

(Mammuthus primigenius) sowie Wollnashorn

(Coelodonta antiquitatis), Bison (Bison

priscus), Rentier (Rangifer tarandus), Steppenpferd

(Equus przewalskii), Höhlenbär

(Ursus spelaeus), Wolf (Canis Lupus) und

Moschusochse (Ovibos moschatus).

Die Mammutsteppen entstanden durch

die ausgedehnten Eisschilde, die über den

Gletschern gelegene Luftmassen stark

abkühlten und somit Hochdruckgebiete

bildeten, die kalte, trockene Luft in das

Gletschervorland beförderten. Diese Luftströme

transportierten feinen Sand und

anderes leichtes Material und führten so zu

bis zu 30 m mächtigen Lössablagerungen

(Kahlke 1994).

Während der Elster-Kaltzeit reichte die

Endmoräne des Gletschers im Nordwesten

Niedersachsens bis an die Weser heran.

Durch die Schmelzwässer wurden Sande,

Kiese und Moränen-Material abgelagert,

die heutzutage oft in den örtlichen Kiesgruben

als Weserkiese aufgeschlossen sind.

Durch den zweiten und dritten Gletschervorstoß

des Saaleglazials, dem Drenthe-

Stadium, wurde die Rehburger Staffel als

Endmoräne gebildet. Diese Vorstöße sind

oft durch hohe Ton- und Kalkgehalte zu

erkennen und durch Schmelzwasserablagerungen

gekennzeichnet. In den Rückschmelzphasen

entstanden hier unter anderem

auch Bändertone. Während der

Weichsel-Kaltzeit, deren Gletscher nicht

mehr so weit in das Landesinnere vorstießen,

bildeten sich entlang der Weser

hauptsächlich Schmelzwasserablagerungen

aus Kiesen und Sanden, die ihren Ursprung

in den Sandern der Eisränder hatten.

Durch den Wechsel von Frieren und

Auftauen in dem zu dieser Zeit vorherrschenden

Tundrengebiet entstand hier das

heute ca. 30 km 2 große Steinhuder Meer.

Nach Raufuss & von Königswald (1999)

sind keine Funde von Moschusochsen

(Ovibos moschatus) aus der Elster-Kaltzeit

bekannt, sondern erst ab der frühen Saale-Eiszeit

dokumentiert, obwohl Ovibos

zu dieser Zeit bereits in Europa aufgetreten

sein soll, und die Elster-Kaltzeit oft in

den Kiesgruben entlang der Weser aufgeschlossen

ist. Es ist aber wahrscheinlicher,

dass das gefundene Material aufgrund eines

höheren Vorkommens von fossilen

Moschusochsen, aus dem späteren Weichselglazial

stammt. Abzüglich des gut erhaltenen

Landesmuseum-Exemplars müssen

die Schädel aufgrund ihres unvollständigen

Zustandes auf jeden Fall einen längeren

Transportweg erfahren haben und könnten

durch die auf- und abtauenden Tundragebiete,

mit den in den Schmelzwassern

transportierten Kiesen, verfrachtet und dabei

zerstört worden sein. Es ist aber nicht

zuletzt durch die vertikale Abbauweise in

den Kiesgruben durchaus denkbar, dass

diese Schädel auch aus früheren Glazialen

stammen könnten.

Der Schädel aus dem Landesmuseum

wird mit den beiden weichseleiszeitlichen

Fundorten „Leinekiese (bei Heisede)“ und

„Innerste Ablagerungen“ dokumentiert.

Der im Vergleich gute Zustand des Schädels

lässt darauf schließen, dass er nur einen

sehr geringfügigen Transport erfahren

hat und somit in feinkörnigerem Sediment

eingebettet wurde. Raufuss & von Königswald

(1999) erwähnen Funde von Ovibos

in Kiesgruben bei Heisede und Sarstedt, in

deren Nähe die Innerste fließt. Eingedenk

des guten Erhaltungszustands, lassen sich

die Leinekiese beinahe ausschließen. Da

Kiese durch langen Transport von Gestein

und Geröll entstehen, ist es unwahrscheinlich,

dass der Schädel einen Transport unter

diesen destruktiven Bedingungen erfahren

hat, eine kurzphasige Einlagerung

in „reifen“ Kiesen erscheint allerdings

möglich.

Insgesamt erscheint die zweite Loka-

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

73

litätsnennung der Innerste-Ablagerungen

wahrscheinlicher. In dieser Region wurden

während der Weichsel-Eiszeit meist

Schluffe und selten Sande abgelagert. Der

Schädel dürfte also viel eher in einem solchen

Milieu abgelagert worden sein, da das

Erhaltungspotential hier deutlich höher ist

und dem des Schädels dess Landesmuseumes

gerechter wird. Damit würde der Ablagerungsort

den Angaben des Dauerleihscheins

von 1969 entsprechen.

Biologie des rezenten Moschusochsens

Der Moschusochse (Ovibos moschatus

Zimmermann 1780) ist ein rinderähnlich

aussehendes Tier, das heutzutage hauptsächlich

in den Tundren Alaskas und Kanadas

beheimatet ist. Tatsächlich wird der

Moschusochse aber zu den Ziegenartigen

(Caprinae) gerechnet. Blutuntersuchungen

zeigen eine wesentlich nähere Verwandtschaft

zu Schafen und Ziegen als zu den

Rindern. Durch seine äußerlich starke Unterscheidung

von den übrigen Caprinae

bildet Ovibos moschatus jedoch eine eigene

Gattungsgruppe/Unterfamilie, die der

Schafsochsen (Ovibovini).

In älterer Literatur, z. B. Allen (1913),

werden drei Unterarten der heute lebenden

Moschusochsen aufgeführt: O. moschatus

moschatus (Alaska-Moschusochse), O. moschatus

niphoecus (Wager-Moschusochse)

und O. moschatus wardi (Grönland-Moschusochse).

Diese Unterteilung wird laut

Gray & Grzimek (1988) nicht mehr vorgenommen.

Alle Individuen werden, trotz

leichter Unterschiede in Fellfärbung und

in bestimmten Zahnmerkmalen, zu einer

Art (Ovibos moschatus) zusammengefasst.

Typisches Habitat sind Tundren und

sturmausgesetzte Weidegebiete mit geringem

Schneefall, aber auch subarktische

Küstengebiete.

Seinen Namen verdankt der Moschusochse

einem stark nach Moschus duftenden

Sekret, das bei Rangkämpfen und zur

Reviermarkierung von den männlichen

Tieren abgegeben wird.

Ausgewachsen werden diese Tiere

180 – 245 cm lang, bei einer Schulterhöhe

von 110 – 145 cm. Dabei erreichen sie

ein Gewicht von 200 – 400 kg. Die Weibchen

sind etwa um ein Viertel kleiner. In

der Wildnis werden die Tiere 20 – 25 Jahre

alt, Männchen beginnen bereits mit 15

Jahren zu vergreisen. Die ausgewachsenen

Tiere besitzen kräftig ausgebildete Hörner,

Abb. 1 Standpräparat eines Moschusochsens

im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover

(NLMH), Foto: K. Schmidt

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


74 Jannik Weidtke

Abb. 2 Seitenansicht des Standpräparats,

Foto: K. Schmidt

deren Basisteil plattenartig verbreitert und

verdickt ist. Bei älteren Männchen bedecken

diese Hörner helmartig den ganzen

Scheitel (Abb. 1). Die Hörner biegen dicht

an den Kopfseiten abwärts und zur Spitze

hin aufwärts (Abb. 2, Grzimek 1968).

Die Stirnplatte selbst ist bis zu 10 cm dick.

Trotz ihrer stämmig-plumpen Erscheinung,

handelt es sich um gewandte Tiere,

die ziegen- und steinbockähnlich Felsen

erklettern und sich auch überraschend

schnell in der Ebene bewegen können.

Der Moschusochse besitzt das längste

Haarkleid aller Säugetiere. Mit 16 cm Länge

am Rücken und bis zu 90 cm an Hals

und Brust, reicht es bis an die Hufe hinunter.

Diese Grannenhaare und eine dichte

Unterwolle schützen das Tier vor den

arktischen Witterungsverhältnissen seines

Lebensraums. Mithilfe eines solchen Fells

durchstehen die Tiere auch Kälteperioden

von bis zu –80° Celsius (Mittermeier

& Wilson 2011). Das Sommerkleid wird

nur von Ende Juni bis Ende Juli getragen.

Während des Fellwechsels finden sich oft

dicke, mit Grannenhaar durchsetzte Wollbüschel

an Felsen und Sträuchern, die abgerieben

wurden.

Um im Winter an ihre Nahrung aus

Moosen, Flechten und Zwergsträuchern

zu gelangen, scharren die Tiere Schneedecken

von 20 bis 40 cm dicke frei. Bei hohen

Schneedecken kann es zu Problemen

bei der Nahrungsbeschaffung kommen.

Liegt eine dicke Harschkruste auf dem

Schnee, wird diese mithilfe der Schädelplatten

durchbrochen.

Die Größe einer Herde variiert je nach

Futterangebot zwischen 10 und 30 Tieren.

Im Sommer ruhen die Tiere auf den

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

75

verbliebenen Schneefeldern oder stehen

in flachen Teichen, um sich abzukühlen

(Gray & Grzimek 1988).

Zu den natürlichen Feinden zählen nur

Wolf und Bär. Nähert sich ein Beutegreifer,

so bilden die Moschusochsen eine häufig

sogar kreisförmige Phalanx, bei der die

Kälber hinter den ausgewachsenen Tieren

stehen. Traut sich der Angreifer zu nahe

heran, starten die Bullen plötzliche Ausfälle.

Nach einer Attacke galoppiert das Tier

zurück und schiebt sich rückwärts wieder

in die Frontlinie ein.

Nach Starck (1995) sind mehrere Genera

der Schafsochsen (Ovibovini) seit dem

jüngeren Miozän (vor ca. 5,3 Millionen

Jahren) als nicht kälteadaptierte Steppenformen

bekannt.

Laut Gray & Grzimek (1988) wird angenommen,

dass sich die Vorfahren von

Ovibos moschatus vor ungefähr einer Million

Jahren in der Tundra des nördlichen

Zentralasiens entwickelt haben. Die Gattung

Ovibos tritt in Europa erstmals während

des Elster(Mindel-)Glazials (ca.

400 000 Jahre vor heute) auf und bleibt

bis zum Ende des Würm-Glazials bzw.

Weichsel-Glazials in Norddeutschland

(ca. bis 12 000 Jahre vor heute) hier nachweisbar.

Zu dieser Zeit hat der Moschusochse

sein am weitesten nach Süden ausgedehntes

Verbreitungsgebiet. Nach Gray

& Grzimek (1988) gelangte der Moschusochse

während des Saale-Glazials nach

Nordamerika, wo er sich im Süden nach

Ohio und Nebraska ausbreitete. Während

der Kaltzeit bildete die Beringstraße,

die heute Alaska und Sibirien trennt, eine

Landbrücke, die es den Vorfahren ermöglichte,

auf den anderen Kontinent zu gelangen.

Fossilfunde auf beiden Seiten der

Meerenge untermauern diese Theorie.

Vom Günz-Glazial (allgemein als Cromer-Complex

bezeichnet) bis zum Elster-Glazial

lebte in Europa neben Ovibos

moschatus die weniger spezialisierte Riesenform

Praeovibos priscus, die nach Kurtén

& Anderson (1980) ebenfalls in Alaska

nachgewiesen worden ist. Eine weitere, an

Wald und Steppen mit wärmerem Klima

angepasste Moschusochsenart des Pleistozän

in Nordamerika war Symbos cavifrons,

auch Helm-Moschusochse genannt. Diese

Art hebt sich durch am Scheitel völlig verwachsene

Hörner von der arktischen Art

ab.

Klimaveränderungen und der Mensch

führten letztendlich zum Aussterben des

Moschusochsens in Europa und Asien.

„Ovibos moschatus ist demnach die extrem

an kalte Klimate angepasste, einzig

überlebende Art einer ehemals holarktischen,

mehrere Gattungen und Arten umfassenden

Boviden-Linie.“ (Niethammer

1986)

In historischer Zeit verbreitete sich Ovibos

moschatus von Point Barrow in Alaska

über die Arktis von Kanada bis nach Grönland.

Mitte des 19. Jahrhunderts starb der

Moschusochse in Folge übermäßiger Bejagung

aus. Die Zoos der westlichen Zivilisation

trugen zunächst ebenfalls ihren Teil

dazu bei, boykottierten den Import später

jedoch. Nach dem Erlass eines strikten

Jagdverbots wurden 1936 grönländische

Tiere auf Nunivak Island, Alaska, wieder

ausgesetzt. Von dort verbreitete sich der

Moschusochse wieder nach Nordost- und

Nordwest-Alaska. Zwischen 1967 und

1981 migrierte er auf die Seward-Halbinsel

in Alaska. Bis nach Nordwest-Yukon

gewandert, ist Ovibos moschatus mittlerweile

auch westlich von Hudson Bay vorzufinden

und hat sich auch über die Nordwest-

Territorien fast bis zum Mackenzie River

ausgebreitet. Mittlerweile ist er auf den

meisten größeren Inseln des Arktischen

Archipels anzutreffen.

Nachdem Ovibos moschatus mehr als

2000 Jahre in Russland ausgestorben war,

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


76 Jannik Weidtke

wurde er auch hier auf der Taimyrhalbinsel,

Wrangel Island und Sacha in Sibirien wieder

ausgewildert.

Laut Mammals of the World (Stand:

2011) leben heute ca. 121 000 Tiere in

Kanada (75 400 in den NW Territorien

und 45 300 in Nunavat), 3700 in Alaska,

9500 – 12 500 in Grönland und ca. 2000

Moschusochsen in Russland.

Schädelbeschreibung

Rezenter Schädel aus dem NLMH

Der rezente Schädel stammt aus dem

Niedersächsischen Landesmuseum Hannover.

Er hat eine weißlich-blaue bis gelbbraune

Färbung und ist nahezu vollständig

erhalten. In seinen Abmessungen ist

er 45 cm lang und misst an der breitesten

Stelle 25 cm. Das Maxillare misst an seiner

breitesten Stelle 13,5 cm (Abb. 3 – 5)

Das Praemaxillare ist zahnlos und weiß

gefärbt. Es handelt sich um einen in der

Mitte geteilten Knochen, der links und

rechts in zwei Knochenäste, deren beide

Hälften exakt spiegelbildlich ausgeprägt

sind, ausläuft. Nach vorn oben geöffnet,

grenzen die Äste caudal an das Maxillare

und verlaufen dabei in einem Winkel von

ungefähr 25° nach oben. Die Sutur zwischen

Maxillare und Praemaxillare verläuft

von der Seite betrachtet konkav. Im

Inneren des Schädels läuft sie leicht gewellt

ebenfalls in einem Winkel von ca.

25° nach oben. Die Knochenäste verlaufen

leicht konkav mit einer gut zu erkennenden

Erhebung auf der Mitte. Von dorsal

betrachtet beginnt der Knochen in einer

abgerundeten Spitze, die an die Schneidezähne

des Unterkiefers angrenzt und in

der Mitte geteilt ist. Nach caudal verlaufen

die Knochenäste deutlich zu erkennen auseinander,

knicken im letzten Viertel aber

wieder nach medial leicht ein. Die Teilung

setzt sich an zwei Fortsätzen im Inneren

des Praemaxillare fort, die am Ende

ebenfalls mit dem Maxillare verwachsen

(Abb. 3 und 4).

Das Nasale ist ein flacher, länglicher,

plattenartiger Knochen, der zu den Seiten

hin in seiner Form leicht abfällt. Spitz

beginnend, wird er auf den ersten Zentimetern

etwas breiter. Seitlich betrachtet

verläuft der Knochen leicht wellig. Er beginnt

mit einer leicht abfallenden Spitze

und wird konvex. Anschließend konkav,

biegt er sich kurz vor Ende wieder nach

oben. Der Knochen ist wie das Praemaxillare

in der Mitte geteilt und nahezu spiegelbildlich.

Die dorsale Sutur ist sehr glatt

und rostral sehr breit. Sie verjüngt sich ein

wenig in caudaler Richtung, bleibt dabei

aber markant ausgeprägt. Bei der Betrachtung

von vorn fällt auf, dass das Maxillare

sich vor allem im vorderen Bereich

unter das Nasale schiebt und das Nasale

auf diese Weise dem Maxillare „aufliegt“.

In caudaler Richtung, ab dem Lacri male,

schließen die Knochen bündig ab. Die Sutur

zwischen Maxillare und Nasale fällt

anfangs noch recht breit aus und verläuft

horizontal ohne große Zackenbildung in

einer leichten Wellenform. Ab dem Lacrimale

steigt die Sutur, stärker gezackt, in einem

Winkel von ca. 45° nach oben. An der

Grenze zum Frontale hin knickt sie nach

medial ein und verläuft in einem Bogen,

um anschließend die dorsale Sutur (Abb.

4 A, a) zu treffen. Rostral ragt das Nasale

einige Zentimeter über das Maxillare hinaus

(Abb. 3 und 4).

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

77

Abb. 3 A Rezenter Schädel aus dem Niedersächsischen

Landesmuseum (NLMH) in sinistraler Ansicht

mit Kennzeichnung der Knochen

Abb. 3 B Rezenter Schädel aus dem NLMH in

dextraler Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen

und Foramina

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


78 Jannik Weidtke

Abb. 4 A Rezenter Schädel aus dem NLMH

in dorsaler Ansicht mit Kennzeichnung der

Knochen, dorsaler Sutur (a) und Foramina

auf dem Frontale (b)

Abb. 4 B Rezenter Schädel aus dem NLMH

in ventraler Ansicht

Das Frontale bildet den oberen, hinteren

Teil der herausstehenden Augenhöhle. Somit

ist das Frontale in den äußeren Bereichen

deutlich runder ausgeprägt und wird

im Verlauf nach hinten breiter. Medial ist

der Knochen eher plan, steht aber in einem

Winkel von ca. 20° zum davor liegenden

Nasale. Es befinden sich auf sinistraler

Seite vor dem Ansatz der Orbita zwei Foramina

(Abb. 4 A, b), ein unteres, großes

mit einem kleineren darüber. Auf dextraler

Seite existieren diese Foramina ebenfalls.

Hier liegen sie jedoch etwas weiter lateral

und höher. Dabei befindet sich das größere

über dem kleineren Foramen, d.h. die Foramina

sind nicht exakt bilateralsymmetrisch

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

79

ausgebildet. Auf der dextralen Seite existiert

noch ein weiteres größeres Foramen,

das direkt unter der Sutur zwischen Frontale

und Parietale sitzt (Abb. 4).

Der vom Frontale gebildete vorderste

Bereich der Orbita ist auf beiden Seiten

mit sehr kleinen Foramen übersät. Hier

bildet sich auf beiden Seiten auch eine

Erhebung aus. Die Anzahl der Foramina

nimmt in caudaler Richtung allerdings

schnell ab. Auch das Frontale hat eine dorsale

Sutur. Diese ist jedoch viel weniger

ausgeprägt als beim Nasale und stellenweise

sogar unterbrochen. Sie kann aber dennoch

über das ganze Frontale verfolgt werden.

Im Hinblick auf die dorsale Sutur des

Nasale ist sie etwas nach links verschoben.

Entlang dieser Naht finden sich ebenfalls

auf beiden Seiten verteilt einige sehr kleine

Foramen wieder. Die Sutur zwischen

Frontale und Lacrimale wandert zuerst ein

kurzes Stück gerade in caudaler Richtung,

verläuft aber dann in einer starken/deutlichen

Kurve nach außen, bis sie fast parallel

zur Orbita läuft. An dieser Stelle macht

sie eine 90°-Kurve und verläuft in einer

Flucht mit den bereits erwähnten Foramina

in caudaler Richtung. Ab der Vorwölbung

der Orbita beginnt die Sutur undeutlicher

zu werden. Sie ist über den gesamten

erkennbaren Verlauf leicht gezackt (Abb. 4

A, B und 5).

Frontale und Parietale sind miteinander

stark verschmolzen/verwachsen. Die

Kranznaht ist nur noch anhand von Farbunterschieden

und einer raueren Oberflächenbeschaffenheit

zu vermuten. Auch

ein gezacktes Muster der Sutur lässt sich

nur noch erahnen. Sie verläuft leicht unterhalb

des Hornansatzes und verbindet

sich medial mit der dorsalen Sutur. In lateraler

Richtung ist kein eindeutiger Verlauf

auszumachen. Einige Zentimeter unter

dem Hornansatz ist die Sutur nur für

einige Millimeter deutlich zu erkennen.

Hier geht sie in die Sutur zwischen Parietale

und Squamosum über und verläuft

von schräg oben in caudaler Richtung. Die

Kontaktstelle zwischen Jugale und Frontale

liegt am hinteren unteren Rand der Orbita.

Sie weist eine stark gezahnte Form auf

und verläuft horizontal (Abb. 4 und 5).

Das Parietale bildet die hauptsächliche

Ansatzfläche für die Hörner und Hornplatten.

Die Hornplatten setzen kurz oberhalb

der Sutur zwischen Parietale und

Frontale an. Hinter der Orbita verlaufen sie

nach unten und etwas oberhalb ihrer Mitte

nach hinten. Dabei steigt der Hornansatz

wieder an. Am hinteren Ende des Parietale

laufen sie medial zusammen, ohne

sich zu berühren. Sie laufen dann Richtung

Frontale zusammen und touchieren sich

(Abb. 6), direkt bevor sie in einer Kurve auf

Höhe der Orbita wieder lateral auseinanderdriften

(Abb. 4).

Der Hornplattenansatz erhebt sich

leicht über den Knochen und es fehlt ein

Großteil der Hornsubstanz, sodass nur

noch eine ca. 1 cm dicke Schicht übrigbleibt.

Das noch vorhandene Gewebe der

Hornsubstanz ist von großen und kleinen

Hohlräumen durchzogen. Lateral bilden

sich über den ersten 2/3 der Hornplatten

die Hornzapfen aus. Sie verlaufen seitlich

betrachtet leicht nach vorn gebogen und

hinter der Orbita. An der Hornplatte noch

breit ausgebildet, verjüngen sich die Zapfen

in distaler Richtung erst sehr, in ihrem

weiteren Verlauf geschieht dies deutlich

gleichmäßiger. Von hinten betrachtet

biegen sich die Hörner stark nach unten.

Von vorn betrachtet stehen die Hörner allerdings

nicht seitlich über die Augenhöhlen

hinaus, sondern werden von ihnen verdeckt.

Nur der linke Zapfen kommt unter

der Augenhöhle wieder zum Vorschein.

Der linke Hornzapfen ist abgebrochen,

ragt aber dennoch gut 3,5 cm nach

unten über den Jochbogen hinaus. Der

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


80 Jannik Weidtke

Abb. 5 A Rezenter Schädel aus dem NLMH in

anteriorer Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen

Abb. 5 B Rezenter Schädel aus dem NLMH in posteriorer

Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen

inkl. Gelenkköpfen, Foramina (a) und „Kamm“ auf

dem Occipitale (b)

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

81

unterste noch vorhandene Teil des Zapfens

ist ebenfalls abgebrochen, wurde jedoch

neu fixiert. Dieses Fragment ist ungefähr

4,5 cm lang. Dennoch fehlt im hinteren

Bereich, entlang der Fraktur, ein großes

Fragment. Der neu fixierte Teil des Hornzapfens

verjüngt sich noch einmal stärker

auf der caudalen Seite. Der rechte Hornzapfen

ist bereits auf Höhe des Jochbogens

abgebrochen. Beide Hornzapfen sind proximal

geriffelt. Im distalen Verlauf wird die

Riffelung schwächer. Die einzelnen Riefen

verlaufen dabei fast parallel zueinander.

Auch die Hörner sind von unzähligen

kleinen Hohlräumen durchsetzt. Das Parietale

steht seitlich unter dem Ansatz der

Hornplatten fast senkrecht. Entlang des

vom Hornansatz gebildeten Kranzes sind

viele einzelne kleine Risse mit horizontaler

Orientierung zu erkennen, die die Form

der Hornplatten nachzeichnen.

Rostral flacht das Parietale mittig leicht

ab und bildet auf beiden Seiten unter dem

Hornplattenansatz leichte Wölbungen. Die

Sutur zwischen Parietale und Squamosum

folgt in geringem Abstand ungefähr

dem Verlauf der Hornplatten. Im caudalen

Bereich, verdeckt von den Hornzapfen,

wird sie in ihrem Verlauf etwas konkaver.

So trifft sie die Sutur zwischen Occipitale

und Squamosum und trennt von da an

das Parietale vom Occipitale. Nach diesem

Überschneidungspunkt geht sie in die

Lambdanaht über und ist nur noch wenige

Millimeter zu verfolgen. Zu erkennen sind

ab diesem Punkt viele kleine Foramen, die

in einer horizontalen Linie medial leicht

nach oben zulaufen (Abb. 5 A). Ansonsten

zeigt die Sutur einen unregelmäßig gezahnten

Verlauf (Abb. 5 A)

Das Occipitale steht – von caudal betrachtet

– ungefähr im rechten Winkel

zum Parietale. Von der Seite ist zu erkennen,

dass der Knochen in einem leichten

Winkel verläuft und unten caudal weiter

heraussteht als oben. Von seiner Form nähert

sich das Occiptale einem horizontal

liegenden Oval an. Der an sich eher plane

Knochen ist an den Seiten wieder leicht

zur Schnauzenspitze hin gebogen. An der

Unterkante befindet sich mittig des Occipitale

das Foramen Magnum. Seitlich dazu

liegen die beiden Condylen des Atlaswirbels.

Ihre Oberfläche ist glatter als der Rest

des Occipitale, und sie umfassen die untere

Kante des Knochens. Sie schließen auf

einer Höhe mit dem Foramen magnum

ab. Dabei entwickeln sie an ihren äußeren

Rändern selbst je eine kleine Kante (Abb.

5 B).

Im oberen Drittel des Hinterhauptbeins

entsteht mittig ein Dorn, der steil gut 1 cm

aus der Oberfläche des Knochens herauswächst

und in dorsaler Richtung orientiert

ist. Der Auswuchs beginnt sich lateral auf

beiden Seiten stark auszubreiten, nimmt

dabei einen konvexen Verlauf und erstreckt

sich dann horizontal komplett über das

ganze Occipitale (Abb. 5). Dieser „Kamm“

läuft direkt unterhalb der aus Foramina gebildeten

Linie entlang und an den äußeren

Rändern des Knochens aus.

Das Maxillare beherbergt auf beiden

Seiten die Praemolaren (P2, P3, P4) und

Molaren (M1, M2, M3). Damit sind alle

Zähne des Oberkiefers noch vorhanden.

Stellenweise weisen die sonst weißen Zähne

auf beiden Seiten einen dunkelbraunen

Belag auf, bei dem es sich vermutlich

um Zahnstein handelt. Der Knochen an

sich ist im oberen Bereich weißlich-grau

gefärbt und wird in Richtung der Zähne

leicht bräunlich. Er ist knapp unter dem

Nasale leicht eingedrückt. Nach unten hin

nimmt er eine konvexe Form an und wird

deutlich breiter.

In Richtung des Praemaxillare läuft der

Knochen in einer konkaven Form im unteren

Bereich nach vorn spitz zu. Er wird

dabei, direkt von vorn betrachtet, schmaler

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


82 Jannik Weidtke

Abb. 6 Rezenter Schädel aus dem NLMH. Detailansicht

der sich touchierenden Hornplatten.

Abb. 7 Eiszeitlicher Schädel aus dem NMLH.

Die Crista facialis (rechter Pfeil) und Foramen

infraorbitale (mittlerer und linker Pfeil) in

sinistraler Seitenansicht

und wirkt unterstützend für das davor liegende

Praemaxillare. Der Zahnansatz

liegt ca. 7 cm hinter der Spitze zum Praemaxillare

und deutlich tiefer. Gut ausgeprägt

und konvex läuft dieser nach hinten.

Hinter dem M3 steigt der Knochen, erneut

in konkavem Verlauf, stark an und läuft am

Jugale spitz aus. Die Naht ist hier sehr glatt

und läuft mit leichtem Anstieg in rostrale

Richtung zurück. Nach einer engen Kurve

steigt sie annähernd horizontal an und

knickt nach ca. 2 cm im 90°-Winkel zurück

in Richtung Schnauzenspitze. Verzahnt

knickt sie nach kurzem Verlauf erneut

um 90° nach oben und trifft auf das

Lacrimale (Abb. 3).

Beim Maxillare sind auf jeder Seite drei

Foramina infraorbitale deutlich zu erkennen.

Zwei davon sitzen etwas unterhalb

der Mitte auf der Höhe zwischen P4 und

M1. Übereinanderliegend sind sie nur

durch eine dünne Knochenwand getrennt.

Das obere Foramen infraorbitale ist auf

beiden Seiten deutlich größer ausgebildet.

Auf dextraler Seite ist dieser Bereich mit

weiteren winzigen Foramen übersät. Hier

zeichnet sich unter dem kleineren der beiden

Foramen, durch eine Knochenwand

getrennt, noch ein weiteres Foramen ab. In

Richtung des Praemaxillare, ebenfalls unterhalb

der Mitte, liegt das dritte große Foramen

infraorbitale, ungefähr auf gleicher

Höhe mit dem P3. Dextral besitzt das Maxillare

noch ein weiteres Foramen, das dem

vorderen in Größe und Form sehr ähnelt.

Positioniert ist es zwischen den anderen

drei, ebenfalls knapp unter der Mitte des

Maxillare.

Hinter den seitlich angesetzten Foramen

befindet sich auf Höhe des M2 ein

kleiner, länglicher, knöcherner Auswuchs,

die Crista facialis (Abb. 7). In einem Winkel

von ca. 45° zeigt sie in Richtung der

Orbita. Seitlich betrachtet zeichnet sie

sich in einer Bogenform zu den Molaren

hin ab. Von vorn betrachtet wirken diese

Auswüchse wie „Flügelchen“. Am oberen

Ende geht die Crista facialis in einen

scharfen Grat über, der in einer „S-Form“

verläuft und Richtung Jochbogen weiterverfolgt

werden kann.

Das Lacrimale ist in seiner Form eher

länglich und weißgrau gefärbt. Es beginnt

vor der Augenhöhle und bildet den oberen,

vorderen Teil davon. Da es einen Teil

der hervorstehenden Orbita bildet, wirkt es

„eingedrückt“. Dieser tiefliegende Bereich

bildet die Lacrimalgrube, die bei diesem

Schädel jedoch kaum ausgebildet ist. Um

die Orbita herum sind viele kleine Foramen

zu erkennen. Etwas zur Schädelmitte

hin bildet sich auf dem Lacrimale und zum

Teil auch noch auf dem Frontale auf jeder

Augenhöhle eine ausgeprägte Wölbung.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

83

Die Naht zum Maxillare setzt unter der

zum Nasale an und verläuft mit Ausbildung

einer Spitze in der Mitte leicht nach

hinten unten. Dabei hat sie eine typisch

gezackte Form. Sie trifft dann das Jugale

und wandert in caudaler Richtung leicht

nach oben. Anfangs glatt verläuft sie hier

ab der Orbita verzahnt. Auf der Innenseite

der Orbita befindet sich im rostralen Bereich

beidseitig der Nasen-Tränengang, der

in den endocranialen Teil des Schädels hineinläuft

(Abb. 3).

Die Orbita bzw. die Orbitae stehen teleskopartig

aus dem Schädel heraus und

sind eines der markantesten Merkmale des

Moschusochsens. Sie setzen direkt hinter

der Mitte des Schädels an und befinden

sich auf Höhe des Frontale. Dabei sind sie

leicht nach vorne gebogen. Im Querschnitt

ist die Orbita nahezu kreisrund. Anfangs

dünnwandig, werden die Komponenten

von Frontale, Lacrimale und Jugale zur

Schädelmitte hin dicker.

Das Jugale allein bildet die untere Hälfte

der hervorstehenden Orbita. Von der Seite

betrachtet läuft der Knochen unterhalb

der Augenhöhle tropfenförmig zusammen,

wobei die Spitze in caudaler Richtung und

leicht zur Schädelmitte hin eingedrückt

zum Jochbogen zusammenläuft. Hier verwächst

das Jugale mit dem Squamosum.

Dabei wird das Jugale an der unteren Seite

schmaler und läuft am Squamosum aus. Es

wirkt unterstützend, so dass das Squamosum

in der Verschmelzungszone auf dem

Jugale aufliegt. Die Sutur zwischen beiden

Knochen setzt ungefähr auf der Mitte

des Jochbogens an und läuft dabei horizontal

Richtung Schnauzenspitze in den

Knochen hinein. Sie ist glatt und schmal.

Nach ca. 4 cm knickt sie im 90°-Winkel

in dorsaler Richtung ab und läuft medial

über den Jochbogen und bildet eine leichte

Verzahnung aus. In rostraler Richtung verläuft

der beim Maxillare bereits erwähnte

Grat, unterhalb dessen das Jugale ebenfalls

zur Schädelmitte hin abfällt und auf

das Maxillare trifft. Unterhalb der Orbita,

im noch ausgestellten Bereich des Jugale,

sind einige, teils sehr große Öffnungen zu

erkennen.

Das Squamosum befindet sich unterhalb

des Parietale. Hinter dem Squamosum

sitzt das Occipitale, wobei die Sutur zwischen

diesen beiden Knochen nicht mehr

zu erkennen ist.

Das Squamosum bildet zum Occipitale

hin eine deutliche Kante, die in einer Kurve

in rostraler Richtung nach unten verläuft.

Zusätzlich lädt die Kante lateral aus

und differenziert das Squamosum immer

weiter in eine vertikale und eine beinahe

horizontal liegende Ebene, die beide am

Ende fast im 90°-Winkel aufeinander stehen.

Das obere Ende der vertikalen Fläche

wird durch die Sutur zwischen Squamosum

und Parietale markiert. Die horizontale

Fläche endet vor dem Kiefergelenk des

Dentale.

Das äußere Ende dieser Fläche ist vor

das Kiefergelenk gewachsen und bildet

den hinteren Teil des Jochbogens. Ventral

abgeflacht liegt dieser Fortsatz wie schon

beim Jugale erwähnt auf dem vom Jochbein

gebildeten Abschnitt auf und ist dorsal

abgerundet. Mittig auf dem Squamosum

befinden sich zwei große Foramina.

Das erste kleinere befindet sich in der Biegung

zwischen dem horizontalen und vertikalen

Abschnitt, während das zweite größere

weiter vorn auf der vertikalen Fläche

sitzt. Im unteren Bereich des Squamosums

befindet sich der kleine runde Meatus acusticus

externus (der äußere Gehörgang). Er

verbindet das Trommelfell mit der Umgebung

und bildet zusammen mit der Ohrmuschel

das äußere Ohr (Abb. 3).

Das Dentale ist vollständig und weist

eine gelblich-braune Färbung auf. Es sind

alle Schneidezähne bzw. Incisivi (I1, I2

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


84 Jannik Weidtke

und I3) vorhanden. Nach einem langgezogenen

zahnfreien Bereich, dem Diastema,

folgen auf beiden Seiten die vollständigen

Serien der Praemolaren (P2, P3

und P4) und Molaren (M1, M2 und M3).

Die Schneidezähne stehen leicht über das

Prae maxillare hinaus. In diesem Bereich ist

das Dentale zusammengewachsen und von

vorn betrachtet fächerförmig verbreitert.

Auf diesem „Fächer“ sitzen die Schneidezähne.

Unterhalb dieser Verbreiterung verschlankt

der Knochen und teilt sich in einen

linken und einen rechten Ast auf. Kurz

hinter der Verschlankung bildet sich auf

jeder Seite ein fast halbkreisförmiges, sehr

großes Foramen mentale aus. Mit der konvexen

Seite nach außen gerichtet, wird der

Knochen wieder breiter und verdickt im

caudalen Verlauf zunehmend.

Von der Seite betrachtet, ist das Dentale

im Bereich der Incisors und des Foramen

mentale relativ breit. Kurz hinter

dem Foramen wird der Knochen deutlich

schlanker. In einem leicht konkaven Verlauf

verbreitert sich das Dentale in caudaler

Richtung erneut und geht in den Angulus

mandibulae, den Unterkieferwinkel, über.

Auf dextraler Seite ist die Rundung des

Unterkieferwinkels abgebrochen, wodurch

es zu einem nicht natürlichen, winkeligen

Anstieg von ca. 45° kommt. Der vertikale

Ast ist größtenteils hinter dem Hornzapfen

und dem Jochbogen versteckt und schlecht

einzusehen. Ersichtlich ist aber, dass sich

die Innenkante nach oben deutlich verjüngt.

Mittig auf dem vertikalen Ast ist auf

beiden Seiten eine leichte, aber dennoch

großflächige Vertiefung zu erkennen. Auch

auf dem horizontalen Ast ist am caudalen

Ende eine Vertiefung zu sehen. Diese steht

schräg in einem 45° Winkel nach hinten

oben und liegt über der Mittellinie. Sinistral

hat diese Vertiefung am unteren Ende

eine gut erkennbare Wölbung, die auf der

dextralen Seite nicht vorzufinden ist.

Von vorn betrachtet befinden sich auf

dem Schädel zwischen den beiden Seiten

des Maxillare, unten durch das Gaumendach

und oben durch das Nasale begrenzt,

in der Riechhöhle die Turbinalia. Spiegelbildlich

wachsen die knöchernen Lamellen

links und rechts ungefähr auf mittlerer

Höhe des Maxillare in die Riechhöhle hinein

und wickeln sich nach oben in entgegengesetzter

Richtung auf. Nach unten bilden

sie Fortsätze, die sich aber nur leicht in

Richtung des Maxillare zurück krümmen

(Abb. 5).

Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH

Der erste fossile Schädel wird ebenfalls

im Niedersächsischen Landesmuseum

Hannover verwahrt, stammt aber aus

dem ehemaligen NLfB (s. o.). Er weist eine

hauptsächlich gelbbraune Färbung auf.

Bei diesem Schädel sind das Praemaxillare

und das Dentale nicht mehr vorhanden

und auch das Maxillare ist nicht komplett,

sondern kurz vor dem ersten Praemolaren

abgebrochen. Damit ist eine Aussage

über eine veränderte Form oder Sutur zwischen

Maxillare und Praemaxillare nicht

möglich. Der Schädel hat eine Länge von

ca. 38,5 cm und eine maximale Breite von

23,5 cm. Das Maxillare hat dabei eine

Breite von 14,5 cm (Abb. 8 – 10).

Die Spitze des Nasale läuft am fossilen

Schädel deutlich spitzer zu. Die dorsale

Naht läuft geschlossener als bei dem rezenten

Schädel und die Seiten stehen weniger

weit voneinander ab. Der Verlauf der

Naht ist aber ähnlich glatt. In seiner Gesamtform

wirkt das Nasale deutlich gerader

als bei dem rezenten Tier. Das Nasale

steht waagerecht zur Oberfläche, und seine

Flanken fallen deutlich stärker ab. Das

Maxillare schiebt sich stärker noch, als

beim rezenten Schädel unter das Nasale

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

85

Abb. 8 A Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH in

sinis traler Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen

Abb. 8 B Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH in

dextraler Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen,

Foramina und der Crista facialis, einem knöchernen

Auswuchs auf dem Maxillare

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


86 Jannik Weidtke

Abb. 9 A Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH in

dorsaler Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen,

Foramina auf dem Frontale (a), dorsale Sutur (b)

Abb. 9 B Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH

in ventraler Ansicht

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

87

und die Knochen liegen nicht bündig aneinander.

Erst ab dem Lacrimale liegen die

Knochen wieder passgenau.

Die Naht zum Maxillare ist gerade und

fällt nach hinten leicht ab. Dabei ist sie nur

geringfügig verzahnt. Durch diesen Verlauf

ist der Knochen nach hinten heraus deutlich

ausgestellt. Die Naht zum Frontale ist

in ihrem Verlauf etwas abgerundeter, und

es wird nur eine leichte Verzahnung ausgebildet.

Zwischen Nasale und Lacrimale ist

die Naht ebenfalls weniger verzahnt und

glatter, hat aber keinen veränderten bzw.

abweichenden Verlauf (Abb. 9).

Das Frontale des fossilen Schädels steht

in einem deutlich flacheren Winkel von

ca. 10° zum Nasale als beim rezenten Exemplar.

Es finden sich mehrere Foramina,

die sich in ihrer Größe von den restlichen

absetzen. Im oberen Bereich der Orbita

an ihrer Wurzel befinden sie sich in vergleichbarer

Position zu denen, die schon

bei dem rezenten Schädel beschrieben

wurden, weisen jedoch keine unterschiedlichen

Größen auf. Sinistral und dextral liegen

die Foramen untereinander. Auffällig

ist, dass sich die Foramen alle in einer Art

„Rinne“ befinden (Abb. 9 A, a; Abb. 11),

die links und rechts an der Wurzel der Orbita

entlangläuft. Die Rinne schneidet tief

ein und verläuft in der Vorderansicht ca.

2,5 cm horizontal nach hinten in Richtung

der Hörner. Lateral vor den Rinnen befindet

sich, wie auch beim rezenten Schädel,

auf jeder Seite eine ausgeprägte Protuberanz,

die bereits auf der ausgestellten Augenhöhle

liegt und auch noch auf das Lacrimale

übergreift. Protuberanz und Rinne

sind auf beiden Seiten von vielen kleinen

Foramen überzogen.

Die dorsale Sutur ist am Frontale nur

noch als feine Haarlinie zu erkennen.

Leicht wellig läuft sie 4,5 cm nach hinten.

Ab dem Punkt, an dem die Haarlinie

nicht mehr zu erkennen ist, beginnt eine

Farbvariation (Abb. 9 A, b), sie ist dunkelbraun

und setzt sich als schmale Linie

weiter in horizontaler Richtung fort. Anschließend

wandert sie in einer Kurve nach

außen auf die Orbita. Auf der linken Seite

ist dieser Farbverlauf nicht vorhanden. Die

Naht zwischen Frontale und Lacrimale

verläuft ähnlich wie am rezenten Schädel,

dabei sind die Kurven und Richtungsänderungen

nicht so markant ausgeprägt. Es

könnte also gesagt werden, dass die Naht

konservativer und mehr in einer Welle angelegt

ist, anstatt eindeutige Richtungsänderungen

vorzunehmen. Kurz unterhalb

der Protuberanz verliert sich die Naht auf

der rechten Seite und ist nicht zu verfolgen.

Erst am Rande der Orbita zeichnet sie

sich noch einmal leicht ab. Links ist sie als

dünne Linie besser zu erkennen. Während

der rezente Schädel am Frontale von vielen

feinen Rissen gezeichnet ist, sind bei dem

fossilen Schädel keine Risse zu erkennen.

Das Parietale ist vom Frontale nicht

deutlich abzugrenzen, da der Verlauf der

Kranznaht im vorderen Bereich wie auch

beim rezenten Tier, nicht deutlich zu erkennen

ist. Auch hinter der Orbita fehlt,

anders als beim rezenten Schädel, jeglicher

Anhaltspunkt dafür, wo die Sutur zwischen

Frontale und Parietale auf diejenige zwischen

Parietale und Squamosum trifft. An

letzterem Knochen ist der Nahtverlauf beider

Schädel nahezu identisch. Leichte Unterschiede

bestehen in dem Abstand zwischen

Naht und Hornansatz, der bei dem

fossilen Schädel größer ausfällt und die

Tatsache, dass sich die Lambdanaht zwischen

Parietale und Occipitale deutlicher

abzeichnet, als bei dem rezenten Schädel

(Abb. 10).

Bei diesem Schädel liegt das Parietale

kaum höher als das Frontale, wohingegen

sich das Parietale des rezenten Schädels

noch einmal deutlich über das Frontale

erhebt. Die Pfeilnaht, die die sinistrale

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


88 Jannik Weidtke

Abb. 10 A Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH

in antreriorer Ansicht mit Kennzeichnung der

Knochen

Abb. 10 B Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH

in posteriorer Ansicht mit Kennzeichnung der

Knochen und der Lambdanaht

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

89

und dextrale Hälfte des Parietale trennt, ist

nicht zu erkennen. Die Hornplatten unterscheiden

sich in ihren Umrissen ebenfalls

etwas von denen des rezenten Tieres. Der

Hornansatz zeichnet hier eine abgerundete

90°-Kurve und endet kurz vor dem Frontale.

Am Scheitel laufen die hornbildenden

Knochenplatten des fossilen Schädels parallel

nebeneinander und weisen, im Gegensatz

zu denen des rezenten Schädels,

keine Anzeichen einer Verwachsung auf

(Abb. 9).

Der restliche Verlauf der Hornplatten ist

bei beiden Tieren sehr ähnlich. Die Hornzapfen

sind auch bei dem fossilen Schädel

auf beiden Seiten abgebrochen. Sinistral

endet das Horn knapp unter dem

Jochbogen. Dextral endet der Hornzapfen

bereits kurz davor. Die Abbruchkante

verläuft hierbei auf der äußeren Seite

des Horns von vorn nach hinten in einem

steilen Winkel aufwärts. Dabei bleibt auf

der schädelzugewandten Seite ein Teil des

Zapfens bestehen. Die stabilste Zone ist

ganz offensichtlich der proximale Bereich.

Der Verlauf der Hörner ist dem des rezenten

Schädels ähnlich. Allerdings stehen

beim eiszeitlichen Tier die Hörner dichter

(2,5 cm) am Schädel, sie knicken somit

stärker nach unten ab.

Die Hörner weisen über ihre ganze

Oberfläche eine einigermaßen gleichmäßige

Riffelung und Kerbenbildung auf. Die

Riefen laufen parallel zu den Hörnern.

Allgemein sind die Hörner eine Nuance

dunkler als der Rest des Schädels gefärbt.

Die Hornplatten ähneln in ihrer Farbe eher

der des restlichen Schädels. Wie auch beim

rezenten Schädel ist ein Teil der Hornsubstanz

abgetragen. Der vorderste Teil der

knöchernen Hornplatten erhebt sich deutlich

über den Rest der noch vorhandenen

Hornsubstanz. Dieser vorderste Bereich

läuft in einer gleichmäßigen Rundung aus

und erstreckt sich über eine Breite von ca.

1,5 cm. Das Gewebe ist durchzogen von

größeren und kleineren Hohlräumen.

An diesem Schädel steht das Occipitale

anders als bei dem rezenten Tier nicht

nach hinten, sondern verläuft gerade nach

unten. Grundsätzlich ist die Form aber

mit der des rezenten Tieres identisch. Allerdings

sind an den Seiten die konvexen

Ränder abgebrochen. Die Fortsätze im unteren

Bereich fehlen ebenfalls auf beiden

Seiten, und es sind nur noch ihre Wurzeln

zu erkennen. Der knöcherne Dorn ist bei

diesem Schädel ebenfalls vorzufinden und

steht ca. 1 cm heraus. Auch hier verbreitert

er sich lateral stark, weist aber eine nicht so

starke Krümmung auf. Lateral ist auf dem

Hinterhauptsbein jeweils ein Foramen

ungefähr auf Höhe der Mitte vorhanden.

Links etwas höher als rechts, sind sie leicht

in den Knochen versenkt.

Das Maxillare ist wie bereits erwähnt am

vordersten Bereich direkt unter dem Nasale

abgebrochen. Auf der linken Seite läuft

die Bruchkante in einem Winkel von ca.

50° nach vorn unten, bis sie die untere Seite

des Maxillare ca. 3,5 cm vor dem Zahnansatz

trifft. Rechts verläuft der Bruch ähnlich.

Die untere Stufe liegt dabei mehr in

rostraler Richtung und endet kurz vor dem

Zahnansatz. Auf sinistraler Seite sind alle

Praemolaren (P2, P3, P4) und alle Molaren

(M1, M2, M3) vorhanden. Dextral fehlen

die Praemolaren P2 und P3.

In seinem Verlauf nach unten nimmt

das Maxillare ausgeprägt konvexe Züge an,

wodurch es von vorn betrachtet deutlich

ausgebeult wirkt. Aufgrund der Abmessung

lässt sich erkennen, dass das Maxillare

des fossilen Schädels (14,5 cm) breiter

ist als das des rezenten Moschusochsens

(13,5 cm). Die unterstützende Spitze zum

Praemaxillare ist abgebrochen. Rechts ist

der vorderste Teil des Zahnansatzes abgebrochen.

Der Verlauf des Maxillare hinter

dem letzten Molaren ist identisch mit dem

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


90 Jannik Weidtke

Abb. 12 Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH.

Sicht auf das Lacrimale mit deutlicher Vertiefung

der „Lacrimalgrube“.

Abb. 11 Eiszeitlicher Schädel aus dem NLMH.

Rinnenstruktur über der rechten Orbita.

des rezenten Schädels.

Auf beiden Seiten des fossilen Schädels

sind die drei Foramina infraorbitale wieder

zu finden. Auf der Höhe zwischen P2 und

P3 liegt das erste Foramen etwas unterhalb

der Mitte. Die zwei verbleibenden Foramina

sitzen wie schon bei dem rezenten

Schädel seitlich übereinander am Maxillare

an und öffnen sich Richtung Schnauzenspitze.

Auf beiden Seiten des Schädels liegen

sie auf Höhe des P4. Sie werden wieder

nur durch eine dünne Knochenwand

voneinander getrennt. Sinistral sind beide

Foramen ungefähr gleich groß. Dextral ist

das obere Foramen deutlich größer als das

darunterliegende. Über dem doppelten Foramen

befindet sich auf gleicher Höhe etwas

oberhalb der Mittellinie ein weiteres,

kleineres Foramen (Abb. 10).

Die Crista facialis zeichnet sich am fossilen

Schädel deutlich schwächer ab. Auch

die flügelähnliche Form ist nicht vorhanden.

Sie bleibt nicht viel mehr als eine

Kante innerhalb des Maxillare. Der nach

oben wandernde Grat ist dennoch vorhanden

und nimmt einen ähnlichen Verlauf

wie der des rezenten Schädels. Auf der

rechten Seite sind im Bereich der Molaren

große Risse zu erkennen. Auffällig ist noch,

dass im Gegensatz zu dem rezenten Schädel

dieser Bereich nicht von winzig kleinen

Foramen übersät ist, sondern eine eher

glatte Oberflächenstruktur aufweist.

Das Lacrimale ist bei dem fossilen Schädel

ebenfalls länglich, und an der Wurzel

der Augenhöhle ist die Lacrimalgrube

deutlicher ausgebildet als bei dem des rezenten

Schädels (Abb. 12). Sinistral ist der

Verlauf der Sutur zwischen Frontale und

Lacrimale bis auf die Orbita zu verfolgen.

Dextral ist die Sutur zwischen Lacrimale

und Frontale stärker mit dem Frontale

verschmolzen und auf dem Orbita-Rand

selbst nicht zu erkennen. Deutlich ist, dass

die Nähte des fossilen Schädels hier weniger

verzahnt sind als bei dem rezenten

Vertreter, dafür aber geringere Abstände

aufweisen. Zusätzlich weist die Sutur zwischen

Lacrimale und Frontale keine eindeutigen

Richtungswechsel auf wie beim

rezenten Tier. Sie verläuft eher in Wellen,

behält aber ihre grundsätzliche Orientierung

bei. Entlang der Orbita bildet das

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

91

Tränenbein beiderseits deutlich Wölbungen

aus, die medial mit Foramen versehen

sind. Im Inneren der Augenhöhle ist der

Nasen-Tränengang auf beiden Seiten zu

erkennen.

Die Orbitae weisen an ihrem äußeren

Rand Abbruchkanten auf. Dennoch behalten

sie ihren grundsätzlich runden Querschnitt

bei. Auch hier sind die Augenhöhlen

leicht in Richtung Schnauzenspitze

angewinkelt. Vergleicht man die Orbitae

des fossilen mit denen des rezenten Schädels,

fällt auf, dass die Orbitae des fossilen

Schädels kürzer sind. Noch einmal verdeutlicht

wird dies durch die Abmessung

der maximalen Breite, die hier durch die

Orbitae bestimmt wird (fossil: 23,5 cm;

rezent: 25,0 cm).

Das Jugale lässt auf der linken Seite an

der Sutur zum Maxillare, bevor der Knochen

die Krümmung der Orbita annimmt,

deutliche Risse erkennen. Rechts ist das

Jugale an der Sutur zum Maxillare abgesplittert.

Direkt unter der Augenhöhle befinden

sich beiderseits wiederum große

Öffnungen. Der Jochbogen ist am fossilen

Schädel kräftiger als bei dem rezenten

Moschusochsen. Zudem bildet das Jugale

im ventralen Bereich eine massiver wirkende

dreieckige Form aus, anstatt unter dem

Squamosum einfach auszulaufen. Der Verlauf

der Naht bleibt dabei jedoch identisch

(Abb. 8).

Am Squamosum ist die Sutur zum Occipitale

nicht zu erkennen. Von der Form her

ist der Knochen vergleichbar mit dem des

rezenten Moschusochsen. Unterschiedlich

ist jedoch der Verlauf der Außenkante, die

am Ende nicht horizontal liegt, sondern

sich wieder leicht nach oben biegt bevor sie

im Jochbogen endet. Das Jochbein ist bei

dem eiszeitlichen Exemplar anterior zwar

etwas schlanker gehalten, verbreitert sich

dann aber doch deutlich und stärker als

bei dem rezenten Schädel. Die Anzahl der

Foramina weicht ebenfalls etwas ab. Das

Squamosum besitzt hier ein großes Foramen,

das relativ mittig positioniert ist und

zwei kleine Foramina weiter caudal, die

ebenfalls mittig liegen und hintereinander

angeordnet sind. Der äußere Gehörgang

(Meatus acusticus externus) ist vollständig

erhalten.

Von vorn betrachtet lassen sich auch bei

dem fossilen Schädel gut die Turbinalia erkennen.

Das sich bietende Bild ist jedoch

etwas unterschiedlich zu dem des rezenten

Schädels. Nicht so gut erhalten, lässt sich

die Wickelung der dünnen knöchernen

Lamellen nur noch erahnen. Teilweise stark

disartikuliert und auf der dextralen Seite

gar nicht mehr vorhanden, erwecken die

Relikte der Lamellen den Eindruck, dass

diese nicht so wie bei dem rezenten Exemplar,

das einen entsprechenden Grundbauplan

vermuten lässt, aufgerollt waren.

Im Gegenteil scheinen die Knochenlamellen

besonders im unteren Bereich in einem

abweichenden Muster gewachsen zu sein,

was sich jedoch nicht abschließend beurteilen

lässt. Nach Abmessung der Breite ist

jedoch eindeutig, dass die Riechhöhle des

fossilen Moschusochsen ca. 1 cm breiter ist

als die des rezenten Tieres (Abb. 10).

Großer Schädel aus dem

Dinopark Münchehagen

Der erste Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen hat eine wesentlich dunklere

Farbe als die vorher beschriebenen Schädel.

An diesem Schädel fehlen das Praemaxillare,

Nasale, Maxillare und auf der rechten

Seite das Lacrimale und Jugale. Trotz fehlendem

Maxillare und Praemaxillare ist er

31,6 cm lang und misst an seiner breitesten

Stelle 26 cm (Abb. 13 – 15). Obwohl an den

Hörnern und nicht an der Augenhöhle gemessen

werden musste, da die Augenhöhlen

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


92 Jannik Weidtke

Abb. 13 A Großer Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in sinistraler Ansicht mit Kennzeichnung

der Knochen

Abb. 13 B Großer Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in dextraler Ansicht mit Kennzeichnung

der Knochen und dem Meatus acusticus

externus, dem äußeren Gehörgang

nicht mehr vollständig erhalten sind, ist er

der breiteste der hier besprochenen Schädel.

Das Frontale ist gut erhalten und lässt

eine dorsale Sutur erkennen, die zu Beginn

leicht verbreitert ist, in ihrem Verlauf zum

Parietale hin schmaler wird und sich zu

einer feinen Linie reduziert (Abb. 16).

Sie läuft jedoch nicht senkrecht über den

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

93

Schädel, sondern wandert leicht auf seine

rechte Seite. Dabei bilden sich keine Verzahnungen

aus. Das Frontale steht ähnlich

dem des fossilen Schädels aus dem

Landesmuseum nur in einem sehr geringen

Winkel von ca. 10° zur Oberfläche an.

Auf dem Frontale sind fast keine Foramina

vorhanden, nur auf der rechten Seite findet

sich, gut zu erkennen, eines an der Wurzel

der Orbita. Sinistral sind vereinzelt sehr

kleine Foramen auf der Orbita zu erkennen.

Auf der Orbita bildet sich eine Erhebung

aus, die sich großflächiger als bei den

bisherigen Schädeln über selbige erstreckt

und auch auf das Lacrimale übergreift.

An der Naht zum Nasale läuft das Frontale

mittig sehr waagerecht und an jeder

Seite in einem fast dreieckigen Fortsatz

mit abgerundeten Spitzen aus. An der

Spitze dieses Fortsatzes beginnt die Naht

zum Lacrimale, das nur noch links vorhanden

ist. Von vorn betrachtet ist sie zu

Beginn leicht verzahnt und läuft im 45°

Winkel nach hinten. Hinter der Erhebung

auf der Orbita läuft sie nahezu waagerecht

nach außen.

Zwischen Frontale und Parietale lässt

sich keine Verschmelzungszone mehr ausmachen.

Die Knochen gehen ohne erkennbare

Sutur ineinander über. Zu erwähnen

ist eine ausgeprägte Rinnenstruktur im

oberen hinteren Bereich am Ansatz der

Augenhöhlen (Abb. 14 A, a).

Hinter den Hornzapfen ist die Naht

zwischen Parietale und Squamosum nachvollziehbar.

Noch von den Hörnern verdeckt

ist die Sutur fast parallel zur Oberfläche.

Kurz bevor sie hinter den Hörnern

zum Vorschein kommt, läuft sie in einer

konvexen Kurve in dorsale Richtung.

Nachdem sie etwa 1 cm an Höhe überbrückt

hat, verläuft sie noch ca. 4 cm mit

einem minimalen Anstieg weiter. Sie trifft

die Naht zwischen Occipitale und Squamosum

und geht in die Sutur zwischen

Parietale und Occipitale über. Hier läuft

sie in einem ebenfalls nur leichten Anstieg

von ca. 10° nach oben und anschließend

medial unterhalb des Hornansatzes zusammen.

Die Naht liegt in einem gleichbleibenden

Abstand von ca. 1,5 cm unter

dem Hornansatz und bildet über den gesamten

Verlauf eine Verzahnung aus. Von

der Seite betrachtet fällt das Parietale dorsal

leicht nach hinten ab.

Der Plattenansatz für die Hörner ist

von der Seite gesehen in seinem Verlauf

dem der ersten beiden Schädel sehr ähnlich.

Er steigt jedoch am vorderen und

hinteren Ende nicht so stark an, sondern

wächst besonders rostral deutlich weiter

auf den Knochen. Daraus resultiert in der

Ansicht von oben eine deutlich symmetrischere

Ausbildung an beiden Enden. Die

Form der Hornplatten lässt sich mit Trapezen,

deren Ecken abgerundet sind, vergleichen.

Am Scheitel sind die Hornplatten

nicht zusammengewachsen und es

bleibt ein Spalt, der zwischen 1 cm und

1,5 cm variiert. Zu einem gewissen Teil ist

er mit Sediment gefüllt. Die Pfeilnaht ist

über das gesamte Parietale nicht zu erkennen.

Am rostralen Ende der Gehörnplatten

steht eine hohe Wölbung an, die ca. 3,5

cm breit ist und an den Hornzapfen herunter

ausläuft. Der Ansatz des Hornzapfens

ist nicht über die ersten 2/3 ausgebildet,

sondern setzt mittig an und erstreckt

sich gleichmäßig nach vorn und hinten.

Die Hörner selber sind auf beiden Seiten

jedoch abgebrochen. Sinistral endet der

Hornzapfen auf Höhe des Jochbogens,

dextral ist er noch besser erhalten und

hat seine Bruchstruktur erst direkt unterhalb

vom Jochbogen. Die Verjüngung der

Hornzapfen im distalen Bereich ist gering.

Gut zu erkennen ist die starke Kerbenbildung

der Hörner, wobei die einzelnen Riefen

dem Längsverlauf der Zapfen folgen.

Die Hörner sind leicht nach vorn gebogen

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


94 Jannik Weidtke

Abb. 14 A Großer Schädel

aus dem Dinopark Münchehagen

in dorsaler Ansicht

mit Kennzeichnung der

Knochen, der dorsalen

Sutur und einer Rinne (a)

Abb. 14 B Großer Schädel

aus dem Dinopark Münchehagen

in ventraler Ansicht

und innen von Hohlräumen durchzogen.

Die Hörner stehen mit 3,5 cm etwas weiter

vom Schädel ab, als bei dem fossilen

Schädel aus dem Landesmuseum.

Das Occipitale dieses Schädels steht

erneut mit der Unterkante in Richtung

Schnauzenspitze (Abb. 13). Der Knochen

wirkt an diesem Schädel leicht gestaucht

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

95

und breiter. Die grundsätzliche Form bleibt

aber erhalten. So sind die äußeren Kanten

konvex geformt und die Lambdanaht verläuft

leicht konvex und horizontal über die

gesamte Breite (Abb. 15). An diesem Schädel

lässt sich auch die Sutur zwischen Occipitale

und Squamosum verfolgen. Sie beginnt

im oberen Bereich an der nach vorn

laufenden Kante, die das seitlich stehende

Squamosum vom orthogonal dazu befindlichen

Occipitale trennt. Auf der rechten

Seite ist die Sutur noch einige Zentimeter

zu verfolgen. Sie folgt dabei dem Kantenlauf

in rostraler Richtung und läuft dann

aus. Dabei weist sie eine nur schwache Verzahnung

auf. Auf der linken Seite ist sie

nur an wenigen kleinen Rissen zu erkennen.

Der sich lateral ausbreitende Kamm

im oberen Bereich des Knochens ist vorhanden.

Hier ähnelt er eher dem des ersten

fossilen Schädels und bildet keine nennenswerte

Krümmung aus.

Das Lacrimale ist auf der rechten Seite

nicht mehr vorhanden, dafür links noch

annähernd vollständig. Sofort zu erkennen

ist, dass die Lacrimalgrube an diesem

Schädel viel stärker eingedrückt ist,

als bei den bisher beschriebenen Exemplaren

(Abb. 15). Die eigentlichen Suturen

zu Nasale und Maxillare sind angewittert.

Die Naht zwischen Lacrimale und Jugale

ist in ihrem Verlauf der des rezenten Tieres

sehr ähnlich, fällt jedoch etwas breiter aus.

Zuerst glatt in ihrer Form verzahnt die Sutur

nur leicht sobald sie die Wölbung der

Orbita trifft. Am oberen Ende des Lacrimale

findet sich die bereits beim Frontale

erwähnte Wölbung wieder. Unterhalb der

Wölbung sind deutliche Rinnenstrukturen

zu erkennen, die sich lateral auf den noch

vorhandenen Teil der von dem Lacrimale

gebildeten Augenhöhle ausbreiten (Abb.

15 A, a).

Von der dextralen Augenhöhle ist noch

der hintere, obere Teil vorhanden, der vom

Frontale gebildet wird. Sinistral ist die Orbita

besser erhalten. Nur der hintere untere

Bereich, der vom Frontale und Jugale

gebildet wird, ist nicht mehr vorhanden.

Beide Orbitae-Ränder sind distal abgebrochen

und ihre ursprüngliche Länge in lateraler

Richtung ist nicht mehr zu bestimmen.

Die Augenhöhlen sind leicht in die

rostrale Richtung gekrümmt und annähernd

rund im Querschnitt. An der Sutur

zwischen Lacrimale und Jugale ist die

sinistrale Augenhöhle dreieckig ausgebrochen,

und die Naht schließt im Inneren

der Orbita nicht mehr bündig ab. Der vom

Lacrimale gebildete Teil steht etwas erhöht.

Im Innenbereich ist die Oberfläche

mit einer dünnen Schicht aus Sedimenten

verklebt. Der Nasen-Tränengang ist nicht

mehr zu erkennen (Abb. 17).

Das Jugale ist links nicht mehr komplett

vorhanden, da der hintere die Orbita bildende

Teil, fehlt. Rechts ist das Jochbein

vollständig weggebrochen und vom Jochbogen

ist auf dieser Seite nur noch der vom

Squamosum gebildete Teil vorhanden. Sinistral

befinden sich zur Schnauzenspitze

hin noch Reste des Maxillare. Im oberen

Bereich des Jugale ist der Grat, der eigentlich

von der Crista facialis ausgeht, wieder

zu erkennen. Im ausgestellten Bereich des

Jochbeins unterhalb der Orbita ist beinahe

keine Knochensubstanz mehr vorhanden.

Eine sehr große Öffnung gibt den Blick

auf einen Hohlraum innerhalb dieses Bereiches

frei. Die Öffnung ist nur noch von

Resten des Knochens durchwachsen. Das

Jugale bildet auch hier am Jochbogen eine

dreieckige Struktur aus. Der Nahtverlauf

beginnt allerdings nicht horizontal, sondern

verläuft in einer konvexen Kurve, um

anschließend im 90°-Winkel wieder medial

abzubiegen. Von unten betrachtet ist

links und rechts die ehemalige Position des

fehlenden M3 auszumachen.

Das Squamosum verläuft ähnlich wie

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


96 Jannik Weidtke

Abb. 15 A Großer Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in anteriorer Ansicht mit Kennzeichnung

der Knochen und Foramina (a)

Abb. 15 B Großer Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in posteriorer Ansicht mit Kennzeichnung

der Knochen und der Lambdanaht

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Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

97

Abb. 16 Großer Schädel aus dem Dinopark Münchehagen.

Sicht auf die dorsale Sutur des Frontale.

Abb. 17 Großer Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen. Sinistrale Orbita. Gut zu erkennen

sind der Bruch und die Sedimentablagerungen

innerhalb der Augenhöhle.

bei dem ersten eiszeitlichen Schädel. Erwähnenswert

ist hier, dass die Anzahl der

Foramina sich leicht unterscheidet. Auf

der dextralen Seite befinden sich, vertikal

angeordnet, zwei größere Foramina. Nach

caudal sind zwei weitere kleinere zu erkennen,

die hintereinander liegen. Sinistral ist

die Oberfläche mit einer Sedimentschicht

bedeckt. Der vom Squamosum gebildete

Teil des Jochbogens ist ähnlich dem des

ersten fossilen Schädels, verbreitert sich

jedoch stärker als beim rezenten Vertreter.

Beiderseits ist der Meatus acusticus externus

noch vollständig vorhanden.

Von vorn betrachtet ist das hintere Ende

der linken Turbinalia noch erhalten. Die

Wicklung der Knochenlamellen ist noch

zu erkennen und wirkt wie die des ersten

fossilen Schädels ähnlich abweichend dem

vermuteten Grundbauplan des rezenten

Exemplars.

Mittelgroßer Schädel aus dem

Dinopark Münchehagen

Der zweite Schädel, der aus dem Dinopark

stammt, ist kleiner als die bisher angesprochenen.

Seine Länge bemisst sich auf

17,7 cm, seine maximale Breite auf 21,8

cm. Der Schädel hat eine graue Farbe und

die meisten Knochen des Schädels fehlen.

Das Occipitale und ein Großteil des Parietale

sowie Elemente des Squamosums

sind erhalten (Abbildung 18 – 20).

Linksseitig fehlt der gesamte rostrale

Bereich des Schädels und ist erst auf Höhe

der hinteren Hälfte des Squamosums erhalten.

Der Bruch läuft annähernd vertikal

und von den Hornplatten an in einer

konkaven Kurve, sodass der obere Teil dieser

ebenfalls erhalten geblieben ist. Die

Naht zwischen Parietale und Squamosum

ist über dem noch bestehenden Teil beider

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


98 Jannik Weidtke

Abb. 18 A Mittelgroßer Schädel aus dem Dinopark

in sinistraler Ansicht mit Kennzeichnung der Knochen

und der Foramina auf dem Squamosum (a)

Abb. 19 A Mittelgroßer Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in dorsaler Ansicht

Abb. 18 B Mittelgroßer Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in dextraler Ansicht mit Kennzeichnung

der Foramina (b)

Abb. 19 B Mittelgroßer Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in ventraler Ansicht

Knochen gut zu erkennen. Sie ist gezahnt

ausgebildet und folgt dem Verlauf des

Hornplattenansatzes. Auf der rechten Seite

ist der Knochen etwas besser erhalten.

Das Parietale ist auf der rechten Seite in

einer konvexen Rundung abgebrochen, die

in dorsaler Richtung auslädt, sodass vor der

Hornplatte noch ein kleiner Bereich des

Parietale überliefert ist direkt bevor es in

das Frontale übergehen würde. Die Naht

zwischen Parietale und Squamosum endet

auf der rechten Seite nicht abrupt, sondern

verliert sich in einer Zone mit splittrigem

Bruch. Auf beiden Seiten behält die Sutur

einen in etwa gleichbleibenden Abstand

zum Hornansatz von ca. 1,5 cm. Es fehlt

beiderseits der vom Squamosum gebildete

Teil des Jochbogens (Abb. 18).

Die hornbildenden Knochenplatten

des Schädels sind farblich und von ihrer

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Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

99

Abb. 20 A Mittelgroßer Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in anteriorer Ansicht

Abb. 20 B Mittelgroßer Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in posteriorer Ansicht mit

Kennzeichnung des Occipitale und des Foramen

magnum

Oberflächenbeschaffenheit her kaum vom

restlichen Schädel zu unterscheiden. Der

Ansatz der Hornplatten ist in seinem Verlauf

vergleichbar mit dem der größeren

Schädel. Die Oberfläche der Hornplatten

dagegen ist, anders als bisher, nicht von

Hohlräumen geprägt, sondern besteht im

Verhältnis dazu aus deutlich mehr Knochenmaterial,

das nur sporadisch von einzelnen

kleinen bis mittelgroßen Löchern

durchsetzt ist. Erst lateral weist die Oberfläche

beiderseits unzählige kleine Hohlräume

auf, und am Scheitel sind die Hornplatten

geprägt von größeren Löchern und

Riefen. Sie sind nicht zusammengewachsen

und haben zudem einen unregelmäßigen

Abstand zueinander (Abb. 19).

Dextral ist ein Rest des Hornzapfens erhalten,

dessen Ansatz sich mittig abzeichnet.

Im vorderen Bereich des Ansatzes sind

große Löcher zu erkennen. Der vorhandene

Teil des Hornzapfens biegt sich nicht

herunter, sondern steht seitlich nur leicht

nach unten orientiert ungefähr 7 cm aus

dem Schädel heraus. Die Oberfläche des

Hornzapfens ist wie die äußere Seite der

Hornplatte von vielen kleinen Hohlräumen

mit einer locker-maschigen Erscheinung

übersät. Der Blick von vorn auf den

Schädel lässt dorsal, im Bereich des Parietale,

ebenfalls große Hohlräume mit dem

oben bereits genannten spongiösen Erscheinungsbild

erkennen. Der Bruch gibt

auch die Sicht auf die nicht ganz faustgroße

Hirnkapsel frei.

Das Occipitale steht seitlich betrachtet

beinahe lotrecht. Lateral zu beiden Seiten

weggebrochen, ist kein konvexer Verlauf

mehr zu erkennen. Die Lambdanaht ist auf

der linken Seite nur anhand einiger weniger

Risse zu ermitteln. Sie hat dabei einen

vergleichbaren Verlauf wie die der bisherigen

Schädel. Die Condylen des Atlaswirbels

sind nicht mehr vorhanden. An ihrer

Position befinden sich statt glatter Oberflächen

viele kleine Hohlräume, die auch

an den abgebrochenen Seitenkanten des

Occipitale entlang vorzufinden sind. Der

Dorn im oberen Drittel des Knochens ist

vorhanden und der daraus entstehende

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


100 Jannik Weidtke

Kamm ist nur leicht konvex gekrümmt.

Insgesamt ist das Occipitale vergleichsweise

flach und eben (Abb. 20).

Auf beiden Seiten des Squamosums befindet

sich auf der schräg liegenden, konkaven

Fläche jeweils ein Foramen sehr weit

caudal auf mittlerer Höhe. Dextral sind

weiter vorne noch zwei weitere Foramina

vorhanden. Alle sind sie relativ klein und

rundlich im Querschnitt (Abb. 18 A, a und

18 B, b).

Abb. 21 A Kleiner Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in sinistraler Ansicht mit Kennzeichnung

der Knochen

Kleiner Schädel aus dem

Dinopark Münchehagen

Der dritte und kleinste Schädel, der aus

dem Dinopark stammt, ist gelbbraun bis

dunkelbraun gefärbt. Er ist ca. 19,5 cm

lang und 21 cm breit. An dem Schädel sind

Teile des Frontale, das Parietale und Occipitale

sowie Elemente des Squamosums

erhalten geblieben. Die breiteste Stelle des

Schädels markieren erneut die Hörner, da

der Großteil der Augenhöhlen fehlt (Abb.

21 – 23).

Das Frontale ist zur Schnauzenspitze hin

abgebrochen, so dass die Sutur zum Nasale

und Lacrimale nicht mehr zu erkennen

ist. Dextral ist noch ein Teilabschnitt der

Orbita erhalten geblieben. Von oben betrachtet,

verläuft die Bruchkante ab der

Mitte der rechten Augenhöhle in medialer

Richtung nach vorn. Noch vor der dorsalen

Sutur wandert die Bruchkante in einer

konkaven Kurve in caudaler Richtung. Sinistral

endet der Bruch in einer schmalen

Spitze. Danach läuft die Bruchkante fast

vertikal nach hinten. Sinistral endet sie am

caudalen Ende der Augenhöhlenwurzel.

Auf der dextralen Seite ist am oberen

Ende der Orbita eine Rinnenstruktur

zu erkennen, die in einem Foramen

endet (Abb. 22 A). Sinistral ist am Rand

der Bruchkante noch das Foramen dieser

Abb. 21 B Kleiner Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in dextraler Ansicht

Struktur vorhanden. Mittig des Frontale

ist die dorsale Sutur gut zu erkennen, die

leicht gezahnt, vertikal über das Frontale

läuft. Die Kranznaht ist nicht zu erkennen,

und da das Parietale bei diesem Schädel

nicht gewinkelt an das Frontale ansetzt,

bilden beide Knochen eine durchgehende,

horizontal verlaufende Fläche. Die dorsale

Sutur, die auf dem Scheitelbein in die

Pfeilnaht übergeht, ist noch zu erkennen.

Sie verläuft weiterhin sehr gerade und verzahnt.

Stellenweise unterbrochen, ist sie ab

der Mitte des Scheitelbeins nur noch als

breite grauschwarze Linie vom restlichen

Knochen zu trennen (Abb. 22 A).

Am Parietale bildet sich auf jeder Seite

ein Hornzapfen aus, der sich in einem

Abstand von ca. 3,5 cm zum Schädel herunter

biegt und auf Höhe des Jochbogens

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Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

101

Abb. 22 A Kleiner

Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in

dorsaler Ansicht mit

Kennzeichnung der

Knochen, der Pfeilnaht

und der Lambdanaht

Abb. 22 B Kleiner Schädel

aus dem Dinopark Münchehagen

in ventraler Ansicht

abgebrochen ist. Es sind fast keine Hornplatten

ausgebildet und die Hörner stehen

weit auseinander. Ihre Wurzeln greifen

nur gering in medialer Richtung auf den

Knochen über. Die Oberfläche der Hörner

weist eine leichte, vertikale Riefung auf.

Auf Höhe des hinteren Endes der Hornwurzel

teilt sich die Pfeilnaht nach links

und rechts auf. Sie verläuft ab da in einem

Winkel von 65° nach außen und streift dabei

beinahe die Hornwurzeln. Seitlich betrachtet

wandert die Naht wieder deutlich

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102 Jannik Weidtke

Abb. 23 A Kleiner Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in anteriorer Ansicht

Abb. 23 B Kleiner Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen in posteriorer Ansicht mit

Kennzeichnung des Occipitale, des Foramen

magnum und der Gelenkköpfe

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Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

103

als verzahnte Sutur kenntlich, direkt unter

den Hornzapfen in rostraler Richtung zurück.

Erreicht die Sutur den Mittelpunkt

der Wurzel, knickt sie nach unten ab und

läuft glatt ausgebildet leicht in caudaler

Richtung nach unten, um die Sutur zwischen

Parietale und Squamosum zu treffen.

Der Nahtverlauf zwischen Parietale

und Squamosum ist vergleichbar mit dem

des rezenten Schädels. Der Übergang zur

Lambdanaht ist nicht genau ersichtlich.

Die Lambdanaht selbst ist jedoch über den

Großteil ihres Verlaufs zu erkennen. Nur

leicht konvex ausgebildet, setzt sie sehr

weit caudal am Parietale an. Dabei ist sie

so flächig positioniert, dass sie nur in der

Dorsalsicht zu erkennen ist (Abb. 24). Der

Blick von hinten auf das Occipitale lässt

die Lambdanaht nicht erkennen (Abb.

23 A).

Beim Occipitale ist die rechte Außenkante

des Knochens abgebrochen, und die

Sutur zwischen Occipitale und Squamosum

nicht mehr zu erkennen. Der Bruch

zieht sich an der Seite des Schädels herunter.

Dabei wandert er nach unten leicht

in Richtung Schnauzenspitze über das Parietale,

Teile vom Occipitale und über den

hintersten Teil des Squamosums knapp am

äußeren Gehörgang vorbei.

Auf der linken Seite ist der Knochen besser

erhalten, die Sutur zwischen Occipitale

und Squamosum ist aber dennoch nicht zu

erkennen. Insgesamt ist die linke Seite aber

nahezu vollständig. Der Knochen läuft unter

der Mitte in einer konvexen Kurve in

die Breite. Auf der Oberfläche des Occipitale

ist sinistral ein großer vertikaler Riss

ausgebildet. Die Condylen des Atlas sind

verwittert. An ihrer Position lassen sich

unzählige kleine Hohlräume erkennen und

der Knochen ist an diesen Stellen nach

hinten deutlich ausgestellt. Betrachtet man

das Occipitale von der Seite, läuft es dorsal

erst sehr gerade nach unten. Zu Beginn des

Abb. 24 Kleiner Schädel aus dem Dinopark

Münchehagen. Dorsale Sicht auf die Lambdanaht.

zweiten Drittels läuft der Knochen in caudaler

Richtung aus und nimmt dabei eine

konkave Form an. Der Verlauf im untersten

Bereich wird von den konvexen Condylen

bestimmt.

Das Squamosum dieses Schädels ist

hinter dem Jochbogen abgebrochen. Der

Bruch läuft von unten nach oben in Richtung

der Schnauzenspitze medial zusammen.

Die Form des Squamosums ist mit

dem der anderen Schädel vergleichbar.

Dextral ist die Oberfläche im unteren Bereich

von Sediment bedeckt. Auf beiden

Seiten ist im hinteren Bereich der Oberfläche

je ein kleines Foramen auszumachen.

Der Meatus acusticus externus ist beiderseits

annähernd vollständig vorhanden.

Bei Betrachtung des Schädels von vorn

sind wie beim zuvor beschriebenen Schädel

große Hohlräume auf Höhe des Frontale

und Parietale zu erkennen.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


104 Jannik Weidtke

A

B

C

D

E

Einzelnes Parietale aus dem

Dinopark Münchehagen

Das einzelne Parietale ist 14,5 cm lang,

16,5 cm breit (Abbildung 25 A – F). Die

Oberfläche des Knochens ist glatt. In der

Mitte der Fläche befindet sich ein kleineres

Foramen. Suturen sind fast keine zu

erkennen und die Hornzapfen sind ebenfalls

nicht vorhanden. Seitlich betrachtet,

F

Abb. 25 Einzelnes Parietale aus dem Dinopark

Münchehagen in A sinistrale, B dextraler,

C dorsaler, D ventraler, E anteriorer und

F posteriorer Ansicht

zeichnen sich die Ansatzstellen der Hörner

ab. Leicht oval im Querschnitt ist die

Oberfläche hier vermehrt von Hohlräumen

geprägt und lässt sich so gut vom Rest

des Knochens abgrenzen. Unterhalb dieser

Flächen läuft das Parietale noch ca. 1,5

cm weiter. Von vorn betrachtet, sind große

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

105

Hohlräume innerhalb des Parietale zu erkennen.

Von hinten betrachtet sind Reste

der Lambdanaht auszumachen. Ventral betrachtet,

gibt der Knochen die Sicht auf die

hier etwa faustgroße Hirnkapsel frei.

Zu den Beschreibungen der Schädel

wurde mithilfe des Agisoft Photoscan

Programms des Niedersächsischen Landesmuseums

Hannover von den drei am

besten erhaltenen Schädeln jeweils ein

3D-Modell zur Visualisierung erstellt

(Abb. 26).

Diskussion

Der beschriebene rezente Schädel wird

in den Unterlagen des Niedersächsischen

Landesmuseums als Ovibos moschatus wardi,

also als ein Moschusochse aus Grönland

geführt. Dabei soll es sich um ein weibliches

Tier handeln, das bereits 1903 gefunden

bzw. „beschafft“ wurde. Hätten die alten

Unterteilungen des Moschusochsens in

die drei Unterarten O. moschatus moschatus,

O. moschatus wardi, und O. moschatus niphoecus

noch ihre Gültigkeit, würden die

anatomischen Merkmale des Grönländischen

Moschusochsens, die schon Kowarzik

(1904) beschrieben hat, dies bestätigen.

Dazu zählen z. B. eine stärkere konvexe

Biegung des Nackenkamms oder das Fehlen

einer Lacrimalgrube. Die relativ kurze

Basis der Hornplatten (162 mm) ist ein

weiteres Indiz dafür, da O. moschatus wardi

laut Kowarzik (1904) auch die kleinste Basis

der drei Arten besitzt.

Bei der Bestimmung des Geschlechts

kommt es jedoch zu einigen Ungereimtheiten.

Die sichtbaren Suturen des Schädels

sind breit und sehr gut zu erkennen,

das spricht für die Annahme des weiblichen

Geschlechts: „The sutures in the skull

of the female remain open, or at least distinctly

traceable, throughout life“ (Allen

1913). Allerdings sind einige Suturen

Abb. 26 Photogrammetrisches 3D-Modell des

großen Schädels aus dem Dinopark Münchehagen

wie die zwischen den beiden Frontalia

und die Pfeilnaht nicht mehr zu erkennen

und komplett verschmolzen, obwohl

diese bei weiblichen Tieren auch im hohen

Alter noch deutlich zu erkennen sind.

Das aussagekräftigste Merkmal, das für ein

männliches Tier spricht, sind die Hornplattenbasen.

Diese können zwar bei einem

weiblichen Tier im höheren Alter am

Scheitel dicht zusammenwachsen, bilden

dann aber eine nicht annähernd so große

Verbreiterung über dem Parietale aus wie

es an diesem Schädel der Fall ist. Aufgrund

dieser Merkmale kann davon ausgegangen

werden, dass das Geschlecht damals falsch

zu den Akten genommen wurde, und es

sich hier nicht um ein weibliches, sondern

ein männliches Tier handelt.

Im Hinblick auf die Größe des Schädels

ist davon auszugehen, dass hier ein

ausgewachsenes Tier vorliegt. Raufuss &

von Königswald (1999) erstellten eine Tabelle,

in der die geringste Breite des Occipitale

und die Länge des Basioccipitale

ihrer bearbeiteten Schädel gegeneinander

aufgetragen sind. Beim Vergleich der Daten

des hier angesprochenen Schädels mit

denen in der Tabelle, kommt man zu dem

Schluss, dass dieser mit 126 mm Breite

und 72 mm Länge zu einem adulten

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


106 Jannik Weidtke

Männchen gehört haben muss. Aufgrund

der beginnenden Fusion beider Hornbasen

und unter Berücksichtigung der Tatsache,

dass die Männchen oft nicht so alt werden

wie die Weibchen, kann das Alter des Tieres

auf 12 – 13 Jahre geschätzt werden.

Der fossile Schädel aus dem Landesmuseum

bzw. aus dem LBEG kann aufgrund

seines recht guten Zustands nur

wenig Transport erfahren haben. Da jedoch

das Praemaxillare und das Dentale

fehlen, dürfte das Tier nicht direkt an seinem

Fundort verendet sein. Hebt man den

Schädel an, fällt als erstes das enorme Gewicht

auf. Obwohl nicht ganz vollständig,

ist er doch merklich schwerer als der rezente

Schädel. Vergleicht man seine Schädellänge

mit der des rezenten Tieres, ist der

fossile Schädel bis zum rostralen Ende des

Maxillare zwar mit 38,5 cm um 0,5 cm

länger, jedoch an seiner breitesten Stelle,

an an der Orbita, mit 23,5 cm um 1,5 cm

schmaler als der des grönländischen Tieres.

Da das Alter und die Breite an den Augenhöhlen

in gewissem Maße korrelieren, ist

anzunehmen, dass dieses eiszeitliche Exemplar

zum Zeitpunkt seines Todes deutlich

jünger war als das rezente. Die Tatsache,

dass die Hornbasen sich zwar schon

über das gesamte Parietale ausgebreitet haben,

aber am Scheitel keine Anhaltspunkte

für ein Zusammenwachsen geben, bekräftigt

diese Vermutung. Unter Verwendung

der von Raufuss & von Königswald (1999)

angewendeten Messstrecken hat das Occipitale

131 mm Breite und 78 mm Länge

am Basioccipitale. Damit liegt der Schädel

im mittleren Bereich der fossilen männlichen

Schädel, die insgesamt etwas höher in

der Tabelle angesiedelt sind und auch über

dem des rezenten Tieres liegen (s. o.). Mit

diesen Erkenntnissen muss das Alter niedriger

angesetzt werden als bei dem ersten

Exemplar. Da es sich hier erneut um ein

Männchen handelt, könnte sich das Alter

mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ca. 9

Jahre belaufen.

Da der große Schädel aus dem Dinopark

unvollständiger ist, muss er einen

deutlich weiteren Transportweg gehabt haben,

als der Schädel aus dem Landesmuseum.

Aufgrund der Sedimentablagerungen

an den noch vorhandenen Knochen ist es

durchaus möglich, dass der Schädel über

ein Flusssystem mit anfangs hoher Fließgeschwindigkeit

in Gebiete mit langsamerer

Strömung transportiert wurde und sich

anschließend im Flussbett oder einem stehenden

Gewässer ablagerte. Denkbar wäre

jedoch auch ein Verbleiben an einer Stelle

mit höheren Fließgeschwindigkeiten (z. B.

im Sedimentationsbereich hinter größeren

Geröllen oder Findlingen) und ein allmähliches

„Abwittern“ einzelner Elemente.

Der Schädel ist gemessen an Occipitale

(140 mm) und Basioccipitale (84 mm)

noch einmal größer als die aus dem Landesmuseum.

Bei diesen Werten handelt es

sich definitiv wieder um ein adultes Männchen.

Die beachtliche Hornplattenbasis und

die Größe des Schädels könnten zunächst

ein recht hohes Alter erwarten lassen.

Beim Vergleich der Suturen jedoch fällt

auf, dass die Naht zwischen beiden Seiten

des Frontale noch zuerkennen und die

zwischen Frontale und Lacrimale breiter

als bei dem fossilen Schädel aus dem Landesmuseum

ist. Aus Allens Untersuchungen

(1913) geht hervor, dass die Naht der

Frontalia erst bei 7- bis 8-jährigen Tieren

fusioniert und die zwischen Frontale und

Lacrimale sich ab dem 10. Lebensjahr zu

schließen beginnt. Zudem betont er, dass

eine hohe Variabilität in der Größe seiner

zur Verfügung stehenden Schädel besteht,

unabhängig von ihrem Geschlecht. „The

oldest skulls, whether male or female, are

not always the largest of the series, there

being a wide range of individual variation

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

107

independent of sex and age. Some obviously

very old skulls are below the normal

or average size of the series“ (Allen 1913).

Aufgrund dieser Fakten dürfte dieses Tier

jünger gewesen sein, als das aus dem Landesmuseum.

Die Hornplatten sind in dieser

Situation nicht dienlich für genauere

Altersangaben, da diese sich bereits bei

fünfjährigen Tieren über das gesamte Parietale

erstrecken und lediglich am Scheitel

noch nicht zusammengewachsen sind.

Weil aber die Sutur zwischen den Frontalia

bereits sehr schmal ist und das Lacrimale

erst in höherem Alter beginnt mit

dem Frontale zu fusionieren, dürfte das Alter

dieses Tieres zwischen 6 und 7 Jahren

liegen.

An dem mittelgroßen Schädel aus dem

Dinopark sind einige der oben genannten

Anhaltspunkte, z. B. die Sutur zwischen

beiden Frontalia, nicht mehr vorhanden,

sodass das Alter des Tieres nicht genau

eingeschätzt werden kann. Mit den Werten

von Occipitale (116 mm) und Basioccipitale

(70 mm) liegt der Schädel nach der

Tabelle von Raufuss und von Königswald

(1999) im Bereich rezenter adulter Weibchen.

Da die Hornplatten aber doch deutlich

zu erkennen und größer sind, kann es

sich hier nur um ein juveniles, männliches

Tier handeln.

Die Hornplatten sind bereits über das

gesamte Parietale gewachsen. Verwunderlich

ist dabei, dass sich auf den Überresten

der Hornplatten keine Hohlräume

finden wie bei den Vergleichsstücken.

Es könnte angenommen werden, dass sich

diese aufgrund einer geringeren Dicke der

Platten noch nicht gebildet haben und

erst ab einer bestimmten Größe auftreten.

Lönnberg (1900) schreibt dazu, dass die

Horn-Knochenplatten erst ab dem vierten

Sommer beginnen, sich über die Basis

der Hörner hinaus auf das Parietale auszubreiten

und im Anschluss ein Mantel aus

Hornsubstanz darüber wächst. Der Verdacht

liegt nahe, dass dieses Tier sich zum

Zeitpunkt des Todes im Zwischenstadium

dieser beiden Wachstumsperioden befand

und die Hohlräume erst mit dem Mantel

entstehen, da dieser den Großteil der

Hornsubstanz auf dem Parietale bildet. Bei

Betrachtung des größeren Schädels aus der

Dinopark-Sammlung, sind deutlich flachere

Stellen an den Hornplatten zu erkennen,

als an diesem Schädel, bei denen

mehr Substanz fehlt und dennoch Hohlräume

vorhanden sind. Unwahrscheinlich

wäre es auch, wenn die Hohlräume erst

entstehen nachdem die Hornplatten von

dem Mantel aus Hornsubstanz überwachsen

wurden und an Masse zugelegt haben.

Aufgrund der etwas geringeren Größe

von Occipitale und Basioccipitale dürfte

das Alter des mittelgroßen Exemplars zwischen

4 und 5 Jahren liegen. Es zeigt sich

hier erneut, wie unterschiedlich sich diese

Tiere entwickeln. Beim Vergleich der Länge

der Hörnerbasis dieses Schädels mit der

des eiszeitlichen Schädels aus dem Landesmuseum

kann festgestellt werden, dass

sie an diesem Exemplar bereits 6 cm länger

ist, als an dem des ausgewachsenen, älteren

Tieres.

Der letzte Schädel, der aus dem Dinopark

stammt, ist noch etwas kleiner als die

anderen Schädel. Mit seiner Größe liegt

er im Bereich rezenter, adulter Weibchen.

Die Orientierung der Hörner weist jedoch

bereits nach unten, was laut Allen (1913)

erst ab dem 3. bis 4. Lebensjahr beginnt.

Das Alter dürfte auch um einige Jahre höher

liegen, denn die Kranznaht ist bereits

komplett fusioniert, und auch die Pfeilnaht

weist bereits deutlich Anzeichen eines

Zusammenwachsens auf. Obwohl die

Sutur zwischen Frontale und Parietale bereits

verschwunden ist, sind keine Hornplatten

ausgebildet, was unweigerlich zu

dem Schluss führt, dass es sich hier um

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


108 Jannik Weidtke

ein weibliches Tier handelt, das sechs oder

mehr Jahre alt ist. Ganz genau lässt sich

das Alter nicht bestimmen, da bei weiblichen

Tieren auch im höheren Alter einige

Nähte, wie z. B. die Pfeilnaht, nicht vollständig

verschwinden. Jedoch breiten sich

auch bei weiblichen Tieren später die Hörner

in Richtung vom Parietale aus. Diese

entwickeln sich zwar nicht annähernd so

exzessiv wie es bei den Männchen schon

mit 5 – 6 Jahren der Fall ist, doch dient

es als Anhaltspunkt, um eine Obergrenze

für das Alter auf nicht mehr als 12 Jahre

festzulegen. Für eine bessere Eingrenzung

fehlt es bei diesem Exemplar leider an anatomischen

Merkmalen wie beispielsweise

der Orbita-Ausbildung. Stand während

der Mitte des 19. Jahrhunderts die Frage

nach den näheren Verwandtschaftsverhältnissen

von Ovibos moschatus zu Rindern

(Bos) oder Schafen (Ovis) im Mittelpunkt,

begannen sich Wissenschaftler Anfang des

20. Jahrhunderts besonders damit auseinander

zu setzen, in wie viele Unterarten

der rezente Moschusochse zu unterteilen

ist und welche anatomischen Charakteristika

sich für diese Unterteilung eignen.

Die ontogenetische Entwicklung der Hörner

sowie Fellfärbung und das Vorhandensein

der Lacrimalgrube gerieten dabei oft

in den Fokus. Ein Vergleich der in der Literatur

beschriebenen Merkmale der einzelnen

Unterarten miteinander macht

deutlich wie häufig sich diese ähneln bzw.

überschneiden. Die Gliederung in die Unterarten

Ovibos moschatus moschatus, O. moschatus

wardi und O. moschatus niphoecus

wird heute nicht mehr vorgenommen, und

die Unterschiede in Knochenbau und Fellfärbung

werden als eine erhöhte anatomischen

Diversität innerhalb der Art Ovibos

moschatus aufgefasst. Die Diskussion über

eine Artenunterteilung ist jedoch nicht

erloschen, sondern hat sich auf die Frage

verlagert, ob die Differenzierung in eine

eiszeitliche (O. pallantis) und eine rezente

Art (O. moschatus) gerechtfertigt ist oder,

ob auch in diesem Fall die anatomischen

Unterschiede nicht ausreichen, um diese

Unterteilung zu rechtfertigen.

Die große Bandbreite an unterschiedlichen

Merkmalen des Moschusochsens

führt dabei zu einigen Schwierigkeiten.

Der Vergleich der vorliegenden eiszeitlichen

Schädel mit dem rezenten Schädel

aus dem Landesmuseum und mit in

der Literatur beschriebenen ebenfalls rezenten

Schädeln, zeigt das gleiche Problem

wie schon bei der Artunterteilung der

heutigen Tiere. An den eiszeitlichen Schädeln

lassen sich ähnlich viele Unterschiede

und Gemeinsamkeiten zu rezenten Tieren

feststellen wie schon bei den rezenten Tieren

als in sich geschlossener Gruppe. Um

das Problem zu verdeutlichen, lassen sich

einige Beispiele (unter Verwendung der

ehemaligen Einteilung des rezenten Moschusochsens

in die drei genannten Arten)

anbringen. Der Occipitalkamm der aus

Alaska stammenden Moschusochsen verläuft

meist flach nach außen, ähnlich wie

bei den beschriebenen eiszeitlichen Schädeln.

Bei dem grönländischen Tier bildet

er jedoch eine deutliche Krümmung aus.

Die Form des Basioccipitale stimmt jedoch

bei dem eiszeitlichen Tier mit der des O.

wardi und O. moschatus überein. Nur der

ebenfalls in Alaska beheimatete O. niphoecus

bildet eine leicht abgeänderte Form aus.

Die Form des Lacrimale birgt erneut Widersprüchliches.

In der Literatur wird den

rezenten Arten eine Lacrimalgrube oft

abgesprochen, sie sei nur bei O. pallantis

vorzufinden. Allen (1913) schreibt jedoch

über eine eindeutig zu identifizierende Lacrimalgrube

bei den meisten seiner vor allem

aus Grönland (O. moschatus wardi)

stammenden Exemplare.

Dass die Anatomie des eiszeitlichen Moschusochsens

eine ähnlich hohe Diversität

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

109

aufweist, zeigt sich bereits an einigen Beispielen

der drei hier beschriebenen Schädel

männlicher Exemplare. Der aus dem

Dinopark stammende mittelgroße Schädel

besitzt bereits eine Hornbasis, die um einige

Zentimeter länger ist, als die des vermutlich

ältesten Tieres aus dem Landesmuseum,

während der große Schädel aus

dem Dinopark die breiteste Basis ausgebildet

hat, obwohl er mit 6 – 7 Jahren Alter

doch deutlich jünger einzuschätzen ist

als der älteste Schädel mit 9 Jahren. In der

Form ihres Occipitalkamms gleichen sich

jedoch alle drei Schädel. Der Schädel aus

dem Landesmuseum und der große Schädel

des Dinoparks weisen beide eine Lacrimalgrube

auf, diese ist jedoch bei letzterem

deutlicher ausgeprägt.

Der einzige Punkt, in dem sich die Moschusochsen

der Eiszeit von den rezenten

Tieren abheben, ist ihre Größe. Ovibos

unterliegt zwar auch hier Schwankungen,

doch die eiszeitlichen Exemplare weisen

höhere Werte auf und gelten allgemein um

bis zu 25 % größer als die heutigen Vertreter.

Dieser Unterschied der Größe könnte

sich auch auf den Knochenbau ausgewirkt

und zugelassen haben, dass bei pleistozänen

Tieren in Bereichen wie z. B. dem

Jochbogen kräftigere Knochen ausgebildet

wurden. Raufuss & von Königswald

(1999) bewerten den Größenunterschied

jedoch als ein nicht ausreichendes Kriterium

für eine Abgrenzung und suggerieren,

dass er durch günstigere Lebensbedingungen

zustande kam: „We regard size difference

alone to be an insufficient basis for

the distinction of subspecies.“ (Raufuss &

von Königswald 1999: 4) The large size of

European Weichselian muskoxen suggests

favourable ecological conditions with optimal

feeding.“ (Raufuss & von Königswald

1999: 5) Eine hohe anatomische Diversität

ist bei verwandten Arten des Moschusochsens

ebenfalls zu finden. Symbos cavifrons

und Bootherium bombifrons wurden lange

Zeit in zwei eigenständige Taxa aufgeteilt,

da nicht genau zwischen individuellen Unterschieden

und Geschlechtsdimorphismen

unterschieden werden konnte. Die

Überreste dieser Arten wurden jedoch

meistens zusammen gefunden und auch in

der Schädelgröße beider Arten bestehen

Überschneidungen. Heute werden Symbos

als männliche und Bootherium als weibliche

Vertreter desselben Taxons geführt. „All

the preceding reasons led […] to consider

them male (Symbos) and female (Bootherium)

of the same genus (Bootherium).“

(Campos et al. 2010)

In neuen Arbeiten wird mittlerweile

versucht, diese Fragestellung unter Zuhilfenahme

von Protein- und DNA-Analysemethoden

endgültig zu klären. Campos

et al. (2010) stellten Untersuchungen zur

genetischen Vielfalt des Moschusochsens

an und kamen zu dem Ergebnis, dass diese

in den letzten 60 000 Jahren deutlich

zu erkennenden Schwankungen unterlag

und primär auf wechselnde klimatische

Bedingungen und damit einhergehende

Veränderungen des Lebensraums zurückzuführen

sind. Grundsätzlich steigt die genetische

Diversität dieser Art bei globaler

Abkühlung und war während des Pleistozän

insgesamt höher als heute. Mithilfe

der DNA-Analytik konnten bereits die

ausgestorbenen, nearktischen Verwandten

des Moschusochsens Bootherium und Euceratherium

phylogenetisch klar abgegrenzt

werden. Wohingegen Praeovibos als ein

sehr nahestehender Verwandter von Ovibos

identifiziert wurde. Obwohl zu Lebzeiten

weiter südlich angesiedelt, fällt Praeovibos

in die genetische Reichweite des Moschusochsens

und zusammen mit seiner Herkunft

aus Beringia, aus der auch die ältesten

bekannten Fossilien von Moschusochsen

stammen, liegt die Theorie nahe, dass es

sich hierbei um einen kosmopolitischeren

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


110 Jannik Weidtke

Vorfahren des Moschusochsens handelt

(Campos et al. 2010).

Weitere Untersuchungen von Campos et

al. (2010) zeigten, dass Ovibos Grönland als

letztes Gebiet kolonisierte und dass Nordamerika

der Ursprung dieser Population

war. Interessanterweise deckt sich dieses

Ergebnis mit einer bereits von Kowarzik

im Jahre 1904 aufgestellten Theorie überraschend

gut: In dieser wird von ihm vermutet,

dass sich Ovibos nach seiner Besiedlung

des amerikanischen Kontinents weiter

nach Osten ausbreitete und sich im Laufe

dieser Zeit die anatomische Vielfalt der

früher umstrittenen Unterarten entwickelte.

Besonders bestätigt sah er sich in seiner

Theorie dadurch, dass er keine Lacrimalgrube

an den von ihm untersuchten Exemplaren

vorfand, die aus östlichen Regionen

stammten. Diese Beobachtung deutete

er als ein Zeichen der Weiterentwicklung

von Ovibos. Die Theorie, dass grönländische

Exemplare keine Lacrimalgrube ausbilden,

wurde von Allen nur wenig später

widerlegt, als dieser an seinen aus Grönland

stammenden Schädeln durchaus Lacrimalgruben

zu finden vermochte. Dabei

ist zu beachten, dass der Begriff „Grube“

immer einer subjektiven Einschätzung unterliegt

und daher bei den stark hervorstehenden

Orbitae des Moschusochsen eine

Lacrimalgrube durchaus auch fehlinterpretiert

oder zumindest abweichend bewertet

werden kann. Kowarzik (1904) hatte somit

zwar eine mittlerweile sogar bestätigte

Theorie, konnte diese jedoch nicht auf der

Basis anatomischer Merkmale gründen.

Eine Unterteilung nur anhand osteologischer

Merkmale ist schwierig. Bedenkt

man wie sehr die rezenten Tiere in ihren

Merkmalen (Skelett, Fellfärbung etc.) variieren,

ist die Unterteilung in eine rezente

(O. moschatus) und eine eiszeitliche (O.

pallantis) Art nur anhand solcher Anhaltspunkte

nahezu unmöglich. Auch die

eiszeitlichen Tiere weisen ein vergleichbares

Maß an Unterschieden und Gemeinsamkeiten

auf. Es scheint also notwendig

die DNA-Analytik zu nutzen. Wie zielführend

diese Untersuchungen im Falle

von Ovibos moschatus sind, bleibt abzuwarten.

Weitere Forschungsarbeiten, die sich

speziell mit dieser Thematik befassen werden

zeigen, ob die Artenunterteilung unter

Anwendung von Anatomie und Analytik

endgültig geklärt werden kann oder, ob

es dabei zu weiteren Diskussionsthemen

kommt.

Danksagung

Ein besonderer Dank gilt Frau Dr. Annette

Richter, die mich durch ihre Wirbeltierpaläontologie-Vorlesung

an der Leibniz

Universität Hannover für dieses Fach

begeistert hat, diese Arbeit anregte und

mich sowohl bei der Erstellung der Fakultätsversion

als auch der vorliegenden Publikationsversion

inhaltlich stets umfänglich

unterstützte, beriet und motivierte. Zudem

wies sie mich in das druckreife naturwissenschaftliche

Zeichnen ein und übernahm

ein gründliches Vor-Lektorat für die

vorliegende Version. Im Vorfeld der Arbeit

hatte sie die Verknüpfung mit dem Dinopark-Material

eingeleitet und die Arbeitsmöglichkeiten

und den Umgang mit dem

Originalmaterial ausgehandelt.

Daher gebührt der weitere besondere

Dank Herrn Nils Knötschke aus dem

Dinopark Münchehagen für die Bereitstellung

der Exponate, ohne die diese Arbeit

nicht annähernd so umfangreich geworden

wäre, für das Vertrauen, das mir entgegen

gebracht wurde, die Exponate aus logistischen

Gründen in die Magazine des Landesmuseums

zu überführen und dort zu

bearbeiten und letztendlich für die Kooperation

des Dinoparks, die ohne ihn nicht

in diesem Maße möglich gewesen wäre.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

111

Außerdem möchte ich mich noch einmal

herzlich für Kost und Logis während meiner

Tage im Dinopark Münchehagen bedanken.

Zudem gebührt der Leiterin der geowissenschaftlichen

Sammlungen des LBEG,

Frau Dr. Carmen Heunisch großer Dank,

dass sie langfristige Leihgaben ihres Hauses

vertrauensvoll am Landesmuseum beließ

und mit der Bearbeitung durch studentische

Dritte einverstanden war, wie sie

der vollständigste der Schädel erfahren hat.

Danken möchte ich auch von ganzem

Herzen Herrn Prof. Dr. Carsten Brauckmann

für die schnelle und wohlwollende

Korrektur und akademische Begutachtung

dieser Arbeit.

Auch bei einer weiteren Mitarbeiterin

des Landesmuseums Hannover möchte ich

mich bedanken, nämlich bei Frau Annina

Böhme, die mir unter anderem bei der

Aufnahme der Fotos zur Erstellung der

3D-Modelle eine große Hilfe war.

Frau Christine Abitz vom Niedersächsischen

Landesamt für Denkmalpflege

möchte ich dafür danken, dass sie sich die

Zeit genommen hat, mich mit dem Agisoft

Programm zur Photogrammetrie vertraut

zu machen, was zu einem erheblichen

Mehrwert der Arbeit führte.

Ich danke der Leibniz Universität Hannover

und dem Institut für Geologie sowie

dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses,

Prof. Dr. Jürgen Böttcher, für die Ermöglichung

dieses interdisziplinären und

interinstitutionellen Bachelor-Forschungsprojekts.

Ganz besonders herzlich danke ich den

Herren Dr. Franz-Jürgen Harms und Dr.

Dieter Schulz von der NGH für das akribische

Endlektorat dieses Manuskripts, das

zu seiner endgültigen Veröffentlichungsreife

führte.

Meinen Eltern und meinem Bruder

möchte ich dafür danken, dass sie mich

in meiner Entscheidung, die Hochschulreife

nachzuholen und zu studieren, stets

bestärkt haben, und meinen Eltern danke

ich dafür, dass sie mir mit ihrer finanziellen

Unterstützung dieses Studium überhaupt

erst ermöglicht haben.

Zuletzt danke ich meiner Lebensgefährtin,

die mich vor allem moralisch unterstützt,

mit mir zusammen alle Hürden

während des Studiums überwunden hat

und durch alle Schwierigkeiten und Tiefpunkte

stets an meiner Seite geblieben ist.

Literaturverzeichnis

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Grzimek, Bernhard (1968): Grzimeks Enzyklopädie,

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Glossar

Aktualismusprinzip wissenschaftliche Methode

in den Geowissenschaften, bei der

davon ausgegangen wird, dass geologische

Prozesse die heutzutage stattfinden auch

früher schon so abglaufen sein müssen.

Hier: Übertragen von Verhalten lebender

Tiere auf bereits ausgestorbene Verwandte

oder ähnliche Tiere.

Albedo-Effekt Rückstrahlungsvermögen

von nicht selbst leuchtenden Oberflächen

Beringia Region zwischen Ostsibirien und

Alaska

caudal zur Schwanzspitze hin

Condylus Gelenkkopf

Crista facialis Knochenleiste am Oberkiefer

die als Ansatz für den Kaumuskel dient

Cromer-Komplex Zeitspanne von vor ca.

850 000 Jahren – ca. 475 000 Jahren vor

heute bestehend aus mehreren Kalt- und

Warmzeiten in Mitteleuropa

dextral: rechtsseitig

Diastema zahnloser Bereich zwischen

Schneidezähnen und Backenzähnen

disarticuliert in einzelne Bestandteile zerfallen

distal von der Körpermitte weg

dorsal rückseitig

endocranial im inneren des Schädels

Foramen (Foramina) mentale Knochenöffnung

im Unterkiefer

Foramen infraorbitale Knochenöffnung im

Oberkiefer

Foramen magnum Knochenöffnung an der

Schädelbasis an der Gehirn und Rückenmark

ineinander übergehen

Frontale Stirnbein

Jochbogen knöcherne Leiste unter der

Orbita

Jugale Jochbein

Kranznaht Verschmelzungszone zwischen

Frontale (Stirnbein) und Parietale (Scheitelbein)

Lacrimale Tränenbein

Lamdanaht Verschmelzungszone zwischen

Occipitale (Hinterhauptbein) und Parietale

(Scheitelbein)

lateral außenliegend

Maxillare Oberkiefer

medial mittig liegend

Milanković-Zyklen zeitvariante Muster, in

denen die auf die Erde auftreffende Sonnenstrahlung

über die jährliche Schwankung

hinaus variiert (3 verschiedene Parameter

in Zeiträumen von 19 000-jährigen

bis ca. 100 000-jährigen Zyklen)

Nasale Nasenbein

Occipitale Hinterhauptbein

Orbita Augenhöhle

orthogonal rechtwinklig aufeinander stehend

Parietale Scheitelbein

Pfeilnaht Verschmelzungszone beider Seiten

des Frontale (Stirnbein)

Protuberanz Wölbung, Wulst

proximal zur Körpermitte hin

reife Kiese grobkörnige Steine (Durchmesser:

2 mm – 63 mm) die durch Transport

(meist durch Fließgewässer) glatt und

rund geschliffen wurden.

rostral zur Nasenspitze hin

sinistral linksseitig

Squamosum Schuppenbein

Sutur Verschmelzungszone zweier oder

mehrerer Knochen

Turbinalia aufgerollte, knöcherne oder

knorpelige Lamellen, überzogen von

Riechschleimhaut

ventral bauchseitig

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Moschusochsenschädel aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen

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Arbeit eingereicht: 26.09.2018

Arbeit angenommen: 21.01.2019

Anschrift des Verfassers:

Jannik Weidtke

Kestnerstraße 7

30159 Hannover

jannikweidtke@aol.de

Vielfalt in Niedersachsen

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114

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


115

Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura

von Hildesheim

Sven Sachs, Christian J. Nyhuis

Zusammenfassung

Plesiosaurier-Reste aus dem Mittleren

Jura der Tongrube Temme in Hildesheim

werden beschrieben. Das Material umfasst

einen großen unvollständigen Zahn sowie

diverse postcraniale Reste. Eine sichere

Zuordnung zur Gattung Liopleurodon ist

für den Zahn möglich. Isolierte Cervicalwirbel

zeigen typische Merkmale der Familie

Pliosauridae, und ein unvollständiges

distales Ende eines Propodiums stammt

vermutlich ebenfalls von einem Vertreter

diese Gruppe. Weitere isolierte Cervicalwirbel

können cryptoclididen Plesiosauriern

zugeordnet werden. Die Hildesheimer

Reste ergänzen die spärlichen Plesiosaurier-Funde

aus dem Mittleren Jura Deutschlands.

Nach Kenntnis der Autoren sind das

die ersten Belege dieser Gruppe aus dem

Mittleren Jura von Niedersachsen.

Abstract

Plesiosaurian remains from the Middle

Jurassic of the claypit Temme in Hildesheim

(Lower Saxony, northern Germany)

are described. The material includes a

large, incomplete tooth and a number of

postcranial remains. Only the tooth could

unambiguously be referred to the genus

Liopleurodon. Isolated cervical vertebrae

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


116 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis

show typical features of pliosaurids and

an incomplete distal end of a propodial

might likewise derive from a member of

this group. Further isolated cervical vertebrae

can be referred to cryptoclidid plesiosaurians.

The plesiosaurian remains from

Hildesheim supplement the sparse record

of this group from the Middle Jurassic of

Germany. Furthermore they are the first

such finds from the Middle Jurassic of the

federal state of Lower Saxony.

Einleitung

Marine Reptilien sind in den meisten

Stufen des Mittleren Jura selten (z. B. Buchy

2004; Sachs & Hornung 2015). Eine

Ausnahme bildet jedoch das Callovium.

Aus dieser Stufe, speziell aus der Oxford

Clay Formation von Großbritannien, sind

mehrere Funde bekannt (z. B. Andrews

1910, 1913). In Deutschland sind entsprechende

Reste bisher primär aus der Ornatenton-Formation

beschrieben worden

(z. B. Hermann 1907; von Huene 1934;

Schatz 1982; Michelis et al. 1996; Metzdorf

1997; Schatz 2010).

Eine Gruppe der marinen Reptilien sind

die Plesiosaurier. Sie traten erstmals in der

Obertrias in Erscheinung, sind bis in die

obere Oberkreide dokumentiert und hatten

eine globale Verbreitung (Ketchum &

Benson 2010). Der Körperbau der Plesiosaurier

war vollständig an die aquatische

Abb. 1 A Umrisskarte der Bundesrepublik

Deutschland, die den Fundort Hildesheim zeigt

(Stern), B Stratigrafie der Tongrube Temme.

Die Fundschicht ist mit Stern gekennzeichnet

(nach Mönnig 1995).

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim

117

Lebensweise angepasst, was durch die Umwandlung

ihrer Extremitäten in Paddel zu

erkennen ist (Sachs & Nyhuis 2015).

Aus dem Mittleren Jura von Deutschland

sind bislang nur wenige Plesiosaurier-Funde

bekannt (von Huene 1934;

Wellnhofer 1970; Michelis et al. 1996;

Buchy 2004; Sachs & Hornung 2015). In

der vorliegenden Arbeit werden entsprechende

Reste aus dem Mittleren Jura von

Hildesheim beschrieben. Es handelt sich

hierbei um Altfunde aus den Sammlungen

des Roemer-Pelizaeus Museums in Hildesheim

(RPMH), sowie des Instituts für

Geowissenschaften der Universität Tübingen

(GPIT). Die genauen Fundumstände

sind nicht bekannt. Obwohl nur unvollständig

erhalten, lohnt es sich, die Funde

aus Hildesheim zu beschreiben, denn sie

bieten die Gelegenheit, unsere Kenntnis

über die Plesiosaurier des Mittleren Jura

Deutschlands zu ergänzen.

Fundstelle und Geologie

In der ehemalige Tongrube Temme südlich

der Stadt Hildesheim (Abb. 1) am

Westrand des Galgenberges gelegen (52°

8'16.27"N, 9°58'27.08"E) wurden Tone

des Mittleren Jura abgebaut. Der erste

Tonabbau erfolgte im Jahre 1856. 1914

wurde der Abbau in der „Alten Tongrube“

aufgeben und die Tongewinnung begann

in der ca. 200 m südöstlich gelegenen

„Neuen Tongrube“, südlich der Bromberger

Straße. Gegen Ende der 1970er-Jahre

wurde der Betrieb schließlich eingestellt.

Die alte Tongrube ist heute verfüllt

und die neue Tongrube steht unter Wasser.

Die ca. 100 m mächtige Schichtenfolge

beider Tongruben reichte vom obersten

Aspidoides-Ton (Ober-Bathonium) bis in

die obere Siltsteinfolge der Ornatenton-

Formation (Unter-Callovium) (Menzel

1901).

Der mutmaßliche Fundpunkt des hier

beschriebenen Zahnfragments befindet

sich innerhalb der Macrocephalen-Schichten

des Unter-Callovium. Die Macrocephalen-Schichten

werden durch eine

nicht mehr als 3 m mächtige Abfolge von

braunen Tonen gebildet. Sie gelten als ein

Leithorizont innerhalb der Ornatenton-

Formation. Ihre Liegend- und Hangendgrenze

wird jeweils durch eine Geodenlage

definiert (Mönnig 1995).

Systematische Paläontologie

Sauropterygia Owen, 1860

Plesiosauria de Blainville, 1835

Pliosauroidea Seeley, 1874

Pliosauridae Seeley, 1874

Liopleurodon Sauvage, 1873

Liopleurodon sp.

Material: RPMH ohne Nummer. Unvollständiger

Zahn (Abb. 2 A – F).

Beschreibung: Der erhaltene 78 mm

hohe Teil des Zahns umfasst den größten

Teil der Krone, sowie den oberen Teil

der Wurzel. Der Apex des Zahnes fehlt

allerdings. Die Krone ist nach lingual gekrümmt

und besitzt somit eine konvexe labiale

und eine konkave linguale Seite. An

der Basis der Krone ist der Zahnschmelz

beschädigt, dennoch ist zu erkennen, dass

dieser auf der lingualen Seite weiter nach

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


118 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis

Abb. 2 Unvollständige Zahnkrone von Liopleurodon

sp. (RPMH ohne Nummer) in A lingualer,

B seitlicher (mesialer oder distaler), C labialer

und D seitlicher (mesialer oder distaler),

E apikaler und F basaler Ansicht.

Abkürzungen: ca – Carina; nk – Nervenkanal;

sl – Schmelzleisten.

Der Maßstab entspricht 5 cm.

basal reichte. Sowohl an der apikalen

Bruchfläche (Abb. 2 E), als auch am unteren

Ende besitzt die Krone einen fast

runden Querschnitt (Abb. 2 F). Der Zahnschmelz

trägt je eine kräftige Carina auf

der mesialen und distalen Seite (Abb. 2

B, D), die sich von dem basalen Ende der

Krone bis zur apikalen Bruchfläche ziehen.

Da es nicht klar ist, ob der Zahn aus

dem Ober- oder Unterkiefer stammt, kann

nicht mit Sicherheit ermittelt werden, welches

die mesiale oder die distale Seite ist.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim

119

Eine der beiden Carinae befindet sich in

der Mitte der mesialen/distalen Seite der

Krone (Abb. 2 D), die zweite ist etwas weiter

labial lokalisiert (Abb. 2 B). Auf der

lingualen Seite der Krone befinden sich

zwischen den beiden Carinae 27 Schmelzleisten

(Abb. 2 A). Von diesen verbleiben

fünf im basalen Viertel der fragmentarischen

Krone, 21 enden etwa 1 cm von der

apikalen Bruchfläche entfernt, und eine

Schmelzleiste erreicht diese. Die Schmelzleisten

stehen in der Mitte der lingualen

Seite dichter zusammen und sind vergleichsweise

dünner als die Schmelzleisten,

die nach außen hin platziert sind. Grundsätzlich

gabeln sich die Schmelzleisten

nicht. Lediglich zwei äußere Leisten verschmelzen

apikal nahe einer Carina. Die

meisten Schmelzleisten haben einen geraden

apikobasalen Verlauf, zwei sind jedoch

leicht sigmoidal gekrümmt. Die Oberfläche

der Carinae ist etwas gewellt. An der

Basis des Schmelzes befinden sich auf der

lingualen Seite mehrere Rugositäten. Die

labiale Seite der Krone weist so gut wie

keine Ornamentierung auf und trägt einen

glatten Schmelz (Abb. 2 C). Lediglich drei

dünne Schmelzleisten sind in der Nähe der

Carinae angedeutet. An der 50 mm breiten

basalen Bruchfläche der Krone ist ein

zirkulärer Nervenkanal sichtbar (Abb. 2 F).

Diskussion: Obwohl der Zahn nur fragmentarisch

erhalten ist, zeigt er doch einige

Merkmale, die zur taxonomischen Bestimmung

beitragen können. Die Krone ist

konisch geformt und trägt je eine kräftige

Carina an der mesialen und distalen Seite.

Die labiale Seite der Krone besitzt fast

keine Ornamentierung und der Zahnquerschnitt

ist rundlich. Auf der lingualen Seite

sind basal zwischen den Schmelzleisten

Rugositäten ausgebildet und die Schmelzleisten

gabeln sich nicht.

Die konische Form des Zahns sowie seine

Größe lassen ihn einem Pliosauriden

zuordnen (vgl. Andrews 1913; Knutsen

2012). Aus dem Mittleren Jura Europas

sind bisher sechs valide Pliosaurier-Gattungen

bekannt: Anguanax Cau & Fanti,

2016, Peloneustes Lydekker, 1889, Pachycostasaurus

Cruickshank, Martill & Noè,

1996, Marmornectes Ketchum & Benson,

2011, Simolestes Andrews, 1909 und Liopleurodon

Sauvage, 1873. Die von Anguanax

zignoi Cau & Fanti, 2016 beschriebenen

Zähne sind mit einer apikobasalen

Höhe der Kronen von maximal 12 mm

(Cau & Fanti 2014) deutlich kleiner als

der Hildesheimer Zahn. Der Querschnitt

wird bei den Zähnen von Anguanax als

oval beschrieben, und es sind nur schwache

Schmelzleisten ausgebildet (Cau & Fanti

2014). Dies unterscheidet Anguanax von

dem Hildesheimer Fund. Die Zahnmorphologie

von Peloneustes philarchus (Seeley

1869) wurde detailliert von Ketchum &

Benson (2011) beschrieben. Ähnlich wie

der Hildesheimer Zahn besitzen die Zähne

dieser Gattung einen runden Querschnitt.

Allerdings ist neben der geringeren Größe

ein Unterschied darin zu finden, dass

bei Peloneustes die Schmelzleisten weniger

stark ausgebildet und diese auf allen Seiten

der Krone zu finden sind. Die Zähne

von Pachycostasaurus dawni Cruickshank,

Martill & Noè, 1996 sind kaum bekannt.

Noè (2001) gibt an, dass die Schmelzleisten

der Zähne sehr grob sind. Dies wird

auch in der Abbildung bei Cruickshank et

al. (1996, Fig. 1) gezeigt. Außerdem ist die

Basis des Zahnschmelzes glatt (Noè 2001)

und somit verschieden von der des Fundes

aus Hildesheim. Ketchum & Benson

(2011) geben eine detaillierte Beschreibung

der Zahnkronen von Marmornectes

candrewi Ketchum & Benson, 2011. Ein

diagnostisches Merkmal dieser Gattung

ist, dass die Schmelzleisten (außer auf der

mesialen oder distalen Seite) mit einigem

Abstand von der Basis des Zahnschmelzes

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


120 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis

beginnen. Außerdem sind auch auf der

lingualen Seite, weniger auf der labialen

Seite der Zähne von Marmornectes, mehr

Schmelzleisten vorhanden (Ketchum &

Benson 2011, Fig. 5). Dies unterscheidet

den Hildesheimer Zahn von diesem Taxon.

Die Zähne von Simolestes vorax Andrews,

1909 ähneln dem Hildesheimer

Fund in der Größe und der fehlenden Ornamentierung

auf der labialen Seite, sowie

dem runden Querschnitt (Tarlo 1960; Noè

2001). Sie unterscheiden sich jedoch dadurch,

dass die Schmelzleisten feiner sind

und Rugositäten an der Basis des Schmelzes

fehlen (Tarlo 1960, S. 172; Noè 2001,

Fig. 116 – 117). Sämtliche bei dem Hildesheimer

Zahn vorhandenen und eingangs

erwähnten Merkmale finden sich bei

den Zähnen von Liopleurodon ferox. Letztere

sind auch in ähnlicher Größe bereits

bekannt (Andrews 1913; Noè 2001). Der

Hildesheimer Fund kann daher mit einiger

Sicherheit der primär aus der englischen

Oxford Clay Formation bekannten Gattung

Liopleurodon zugeordnet werden.

Gen. et sp. indet.

Material: RPMH ohne Nummer. Sechs

Cervicalwirbel (Abb. 3 A – D), GPIT

RR03103. Distalende eines Propodiums

(Abb. 3 E).

Beschreibung: Alle Wirbelcentra sind

amphicoel, breiter als hoch/lang und höher

als lang. Die Größe von wenigstens

drei Wirbeln lässt eine Position im vorderen

Teil des Halses vermuten. Die Artikulationsflächen

aller Wirbel sind deutlich

konkav und besitzen einen noch weiter

vertieften Mittelteil, der bei zwei Wirbeln

eine notochordale Grube aufweist (Abb. 3

A). Von der Mitte zu den Außenseiten hin

sind die Artikulationsflächen leicht verdickt.

Letztere werden von einem scharfen

Rand umgeben. Lateral sind zwei Facetten

für die Cervicalrippen vorhanden (Abb. 3

B). In den vermutlich aus dem distalen Teil

des Halses stammenden Wirbeln sind die

Rippenfacetten laterodorsal platziert und

bei einem Wirbel ist eine Verbindung zwischen

der Diapophyse und den Neuralbogenfacetten

angedeutet. Bei diesem Wirbel

sind die Parapophysen und Diapophysen

miteinander verbunden. Bei anderen Wirbeln

befindet sich zwischen den Parapophysen

und Diapophysen ein länglicher

Einschnitt oder eine anteriore und posteriore

Einschnürung. In artikularer Ansicht

überragen die Rippenfacetten deutlich den

Bereich der Artikulationsfläche der Centra.

Bei den distalen Cervicalwirbeln sind

sie außerdem nach lateroventral gekippt.

Die Rippenfacetten besitzen einen scharfen

Rand und ihre Oberfläche ist konkav.

Bei allen Wirbeln okkupiert die Rippenfacette

etwa 2/3 der lateralen Fläche des

jeweiligen Centrums. Bei zwei distalen

Centra und einem proximalen Centrum

ist die ventrale Seite transversal konvex.

Bei den proximalen Wirbeln ist die Ventralseite

eher flach und nur in der Mitte

leicht konkav. Zwei Foramina subcentralia

sind auf der Ventralseite sichtbar. Diese

werden von einem breiten Kiel getrennt,

der in den proximalen Centra nicht weiter

verbreitet ist. Die Basen des Neuralbogens

sind gut zu erkennen (Abb. 3 C). Sie

sind gleich lang wie das jeweilige Centrum

und besitzen in dorsaler Ansicht eine ovale

Form. Ihre Fläche ist konkav und wird

von einem scharfen Rand umgeben. Der

Rest einer Cervicalrippe ist auf der Artikulationsfläche

eines Wirbels eingebettet.

Der Rippenkopf hat eine länglich ovale

Form und ist konvex. Die dorsoventral abgeflachte

Cervicalrippe verbreitert sich im

distalen Bereich.

Ein 130 mm langes distales Fragment

eines Propodiums ist erhalten (Abb. 3 E).

Es ist stark dorsoventral abgeflacht und

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim

121

Abb. 3 Pliosauridae gen. et sp. indet. A – E Cervicalwirbel

(RPMH ohne Nummer) in A artikularer,

B lateraler, C dorsaler und D ventraler Ansicht.

E Distales Fragment eines Propodiums (GPIT

RR03103) in dorsaler oder ventraler Ansicht.

Cryptoclididae gen. et sp. indet. F – H. Cervicalwirbel

(GPIT RR 03104) in F artikularer, G lateraler

und H dorsaler Ansicht.

Abkürzungen: cr – Cervicalrippe; da – Diapophyse;

lk – longitudinaler lateraler Kiel; nf – Neuralbogenfacette;

nk – Neuralkanal; pa – Parapophyse.

Die Maßstäbe entsprechen jeweils 5 cm.

weist an der proximalen Bruchfläche einen

ovalen Querschnitt auf. Der anteriore

Rand des Fragments ist in dorsaler Ansicht

fast gerade und besitzt ein abgerundetes

anterodistales Ende. Der posteriore

Rand des Fragments ist nach posterodistal

geschwungen, allerdings ist der untere

Bereich abgebrochen. Die distalen Artikulationsflächen

für die Epipodien sind

nur schwach konkav und nicht deutlich

voneinander abgegrenzt. Das erhaltene

distale Ende des Propodiums besitzt eine

größte Breite von 142 mm.

Diskussion: Die Proportionen der amphicoelen

Cervicalwirbel in Kombination

mit der Ausbildung von zwei Rippenfacetten

und eher flachen ventralen Seiten

der Centra sind diagnostische Merkmale

der Familie Pliosauridae (z. B. Tarlo 1960,

Ketchum & Benson 2010). Eine genauere

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


122 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis

Bestimmung ist allerdings nicht möglich.

Bei dem fragmentarischen Propodium ist

die schlanke Gestalt ein typisches Merkmal

dieser Familie (Tarlo 1960, 152). Die

Propodien der plesiosauroiden Taxa der

Oxford Clay Formation weisen oft fächerförmig

verbreiterte distale Enden sowie

deutlich abgewinkelte Facetten für die

Epipodien auf (vgl. Andrews 1910, Abb.

63, 69 und 91). Diese Merkmale unterliegen

jedoch einer ontogenetischen Variation

und sind bei juvenilen Individuen nicht

so deutlich ausgeprägt (Brown 1981). Die

Größe des erhaltenen Fragments weist allerdings

darauf hin, dass es nicht von einem

juvenilen Individuum stammt. Insgesamt

zeigt die Gestalt von GPIT RR03103

große Ähnlichkeiten zu den Propodien von

Peloneustes philarchus, im speziellen durch

die gerade anteriore Seite mit dem abgerundeten

anterodistalen Rand und die nur

schwach voneinander getrennten Facetten

der Epipodien (Andrews 1913, Abb. 23;

Linder 1913, Abb. 18). Die taxonomische

Verwertbarkeit der genannten Merkmale

ist allerdings bisher unbekannt. Sowohl die

Wirbel als auch das fragmentarische Propodium

stammen von einem kleineren Individuum

als der Zahn.

Plesiosauroidea Gray, 1825

Cryptoclididae Williston, 1925

Gen. et sp. indet.

Material: GPIT RR 03104. Sechs Cervicalwirbel

und eine Cervicalrippe (Abb. 3

F – H).

Beschreibung: Alle Wirbelcentra sind

breiter als lang/hoch und länger als hoch

(bei dem vollständigsten Exemplar beträgt

die größte Höhe 57 mm, die Breite 67

mm und die Länge 65 mm). Die laterale

Seite der Centra ist konkav und ein longitudinaler

Kiel ist nur bei einem Wirbel

schwach angedeutet (Abb. 3 G). Die Artikulationsflächen

der Centra sind fast eben

(platycoel) und werden von einem dünnen,

aber abgerundeten Ring umgeben (Abb. 3

F). Sowohl die Zygapophysen als auch der

Dornfortsatz fehlen bei allen Wirbeln, aber

die mit dem Centrum verwachsenen Basen

des Neuralbogens sind erhalten. Letztere

begrenzen beim vollständigsten Wirbel

einen runden Neuralkanal, sind transversal

dünn und weiter mittig platziert als der laterale

Rand des Centrums. Die Artikulationsflächen

des Centrums sind dorsal, auf

Höhe des Neuralkanals etwas eingesenkt

(Abb. 3 F). Auf der ventralen Seite der

Centra sind zwei Foramina subcentralia zu

erkennen, die durch einen gerundeten Kiel

getrennt werden, der bei einem Wirbel

eher schmal und bei den anderen Wirbeln

breiter ist. Reste der ventrolateral sitzenden

Cervicalrippen sind erhalten (Abb. 3 G).

Diese sind mit den Centra verwachsen und

transversal dünn.

Diskussion: Sowohl die Cervicalrippen,

als auch die Neuralbögen sind mit den

Centra verwachsen was erkennen lässt,

dass es sich um ein adultes Individuum gehandelt

hat (Brown 1981). Die Proportionen

der Centra unterscheiden sie von jenen

der Pliosauriden (siehe oben) und ermöglichen

eine Zuordnung zu den Plesiosauroidea

(Brown 1981). In der phylogenetischen

Analyse der Plesiosauria von Benson &

Druckenmiller (2014) werden vier plesiosauroide

Taxa aus dem Callovium genannt,

die alle der Familie Cryptoclididae zugeordnet

wurden: Cryptoclidus Seeley, 1892,

Tricleidus Andrews, 1909, Muraenosaurus

Seeley, 1874 und Picrocleidus Andrews,

1909. Sowohl die Cervicalwirbel von Cryptoclidus

eurymerus (Phillips 1871), als auch

jene von Tricleidus seeleyi Andrews, 1909

wurden von Brown (1981: 256, 294) als relativ

amphicoel beschrieben und die Centra

sind, speziell bei Cryptoclidus, oft nicht

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim

123

länger als hoch. Diese Merkmale unterscheiden

sich somit von den Wirbeln aus

Hildesheim. Außerdem ist bei beiden Taxa

kein lateraler longitudinaler Kiel zu finden

(Brown 1981, 289). Die Cervicalwirbel von

Muraenosaurus leedsii Seeley, 1874 entsprechen

hingegen den Hildesheimer Wirbeln.

Die Centra sind länger als hoch, die Artikulationsflächen

sind flach, und bei adulten

Individuen kann ein longitudinaler lateraler

Kiel ausgebildet sein (Brown 1981,

289). Picrocleidus beloclis (Seeley 1892) ist

von Brown (1981, 292) als Synonym von

Muraenosaurus angesehen worden, wurde

allerdings in der phylogenetischen Analyse

der Plesiosauria von Benson & Druckenmiller

(2014) als separates Taxon behandelt.

Die von Brown (1981, 293) für Picrocleidus

beloclis (= Muraenosaurus beloclis)

beschriebenen Cervicalwirbel entsprechen

im Wesentlichen jenen von Muraenosaurus

leedsii und damit auch den Hildesheimer

Funden. Somit lassen sich die Wirbel aus

Hildesheim morphologisch von Tricleidus

und Cryptoclidus abgrenzen, es ist aber keine

klare Unterscheidung zu Muraenosaurus

und Picrocleidus möglich. Daher können

die Wirbel GPIT RR 03104 hier nur als

Cryptoclididae gen. et sp. indet. bestimmt

werden.

Plesiosauria indet.

Material: RPMH ohne Nummer. Drei

Dorsalwirbelcentra, unvollständige Scapula,

Gürtelknochenfragment, fragliches

Propodium. GPIT RE 03101 unvollständiger

fraglicher Cervicalwirbel, Schaftfragment

eines Propodiums, Knochenfragmente.

Beschreibung und Diskussion: Dem

fraglichen Cervicalwirbelcentrum GPIT

RE 03101 fehlen der dorsale und ventrale

Teil. Das Centrum ist deutlich breiter als

lang und besitzt konkave laterale Seiten.

Die Erhaltung lässt keine sichere Zuordnung

zu. Die drei isolierten Dorsalwirbelcentra

aus der RPMH Sammlung (Abb. 4

A, B) sind breiter als lang/hoch und höher

als lang. Sie haben eine konkave Lateralseite.

Die leicht konkaven Artikulationsflächen

der Centra werden von einem

scharfen Rand umgeben und besitzen eine

vertiefte Mitte. Ventral sind zwei mittig

positionierte runde Foramina subcentralia

sichtbar (Abb. 4 B). Sie werden von einem

breiten, niedrigen und transversal gerundeten

Kiel getrennt. Auf der dorsalen

Seite befinden sich die Facetten für den

Neuralbogen. Der Neuralbogen war somit

nicht mit dem Centrum verwachsen.

Die Neuralbogenfacetten besitzen die gleiche

Länge wie die Centra. Sie sind konkav

und weisen eine länglich ovale Form auf.

Möglicherweise könnte es sich daher um

die Wirbel von pliosauroiden Plesiosauriern

handeln.

Ein fragmentarischer posteriorer Teil

einer rechten Scapula ist in der RPMH-

Sammlung erhalten (Abb. 4 C – E). Das

Fragment umfasst den ventralen Bereich

mit der posterioren Glenoid- und Coracoidfacette,

sowie die Basis des dorsalen

Fortsatzes. Die Coracoidfacette ist unvollständig

und besitzt einen transversal ovalen

Umriss sowie eine fast flache, nur leicht

rugose Artikulationsfläche. Die Glenoidfacette

ist größtenteils abgebrochen, dennoch

ist zu erkennen, dass beide Facetten

nicht deutlich voneinander abgewinkelt

waren, was ein Indikator für ein juveniles

ontogenetisches Stadium ist (Andrews

1895). Die Basis des dorsalen Fortsatzes ist

in anteriorer Ansicht nach lateral hin abgewinkelt

(etwa 56° zur horizontalen Ebene,

Abb 4 C). Die Unterseite des Fragments

der Scapula ist fast eben und verjüngt sich

transversal in anteriorer Richtung. Die

fragmentarische Natur der Scapula lässt

sie nicht mit Sicherheit einem bestimmten

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


124 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis

Abb. 4 Plesiosauria indet. Dorsalwirbel (RPMH

ohne Nummer) in A lateraler und B ventraler

Ansicht. Scapula (RPMH ohne Nummer) in C anteriorer,

D lateraler und E dorsaler Ansicht. F Fragment

eines Gürtelknochens (RPMH ohne Nummer) und

G fragliches Propodiumfragment. Abkürzungen:

df – dorsaler Fortsatz; fs – Foramen subcentrale.

Der Maßstab entspricht jeweils 5 cm.

Taxon zuordnen. Ein Fragment eines nicht

näher bestimmbaren Gürtelknochens befindet

sich in der RPMH-Sammlung (Abb.

4 E). Das isolierte Fragment ist durch die

Ausbildung von zwei Artikulationsflächen

als Teil eines Gürtelknochens zu erkennen.

Die eine Artikulationsfläche ist größer und

transversal oval in Gelenkansicht. Die benachbarte

Artikulationsfläche ist nur etwa

halb so groß wie die erstere und hat eine

dreiseitige Form. Die größere Facette ist

deutlich rugos und leicht konkav. Von der

Spitze der dreiseitigen, kleineren Facette

geht ein scharfer Rand aus, der eine Öffnung

begrenzte. Somit saß die kleinere Facette

auf der medialen Seite. Der von der

anderen Facette ausgehende laterale Rand

ist eher gerade, verdickt und dorsoventral

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim

125

abgerundet. Die Morphologie des Fragments

stimmt nicht mit der des Restes

der Scapula überein, sodass es sich hierbei

höchstwahrscheinlich um den Teil eines

anderen Gürtelknochens (Coracoid, Ischium

oder Pubis) handelt.

GPIT RE 03101 umfasst ein Bruchstück

des Schaftes eines Propodiums mit

einem ovalen Querschnitt. Das Fragment

kann taxonomisch nicht näher bestimmt

werden. Ein längliches Fragment in der

RPMH-Sammlung könnte gleichfalls von

einem Extremitätenknochen stammen

(Abb. 4 G). Es besitzt eine abgeflachte

Form, wobei eine Seite etwas verdickt ist.

Das Exemplar ist allerdings sehr schlecht

erhalten und kann nicht näher identifiziert

werden. Weitere zum Teil zersägte Fragmente

in der GPIT-Sammlung können

gleichfalls nicht näher identifiziert werden.

Diskussion

Wie bereits eingangs erwähnt, gibt es

bisher nur verhältnismäßig wenige Plesiosaurier-Funde

im Mittleren Jura Deutschlands.

Die meisten dieser Reste stammen

aus der Ornatenton-Formation des Callovium.

Die bisher größte Anzahl an Einzelfunden

ist aus dem ehemaligen Steinbruch

Störmer in Wallücke im Wiehengebirge

(Nordrhein-Westfalen) bekannt. Michelis

et al. (1995) gaben den bisher einzigen

Überblick über das Vertebratenmaterial

von dieser Lokalität. Sie ordneten die

Plesiosaurier-Funde sowohl Plesiosauroiden

als auch Pliosauriden zu. Während

die Bestimmung der Plesiosauroiden offen

gehalten wurde, bestimmten Michelis

et al. (1995) einige Pliosaurier-Funde bis

auf die Gattungsebene. Dementsprechend

konnten die Gattungen Liopleurodon und

Peloneustes nachgewiesen werden. Nebst

Einzelknochen und einem Zahn ist auch

ein Teilskelett bekannt, das Michelis et

al. (1995) Liopleurodon pachydeirus (Seeley

1869) zuordneten. Aus dem Ornatenton

von Baden-Württemberg liegt ein weiteres

unvollständiges Skelett vor. Von Huene

(1934) beschrieb den Fund und ordnete

ihn Pliosaurus ferox (= Liopleurodon ferox)

zu. Gleichfalls aus Baden-Württemberg

beschrieb Schatz (1982, 2010) einen Pliosaurier

Zahn, der ebenfalls Liopleurodon

zugeordnet wurde. Die gleiche Lokalität

lieferte postcraniale Plesiosaurier-Reste,

die Schatz (2010) als Plesiosaurus sp. bestimmt

hat. Letztlich beschrieb Hermann

(1907) einen Zahn aus dem Ornatenton

von Bayern. Er bestimmte den Rest als

Pliosaurus sp. und beschrieb einen dreieckigen

Querschnitt, der an die Zähne von

Pliosaurus spp. und Gallardosaurus iturraldei

Gasparini, 2009 erinnert (Gasparini

2009; Knutsen 2012).

Aus Niedersachsen waren Plesiosaurier

bisher primär aus der Unterkreide bekannt

(Koken 1887, 1896; Sachs et al. 2016; Sachs

et al. 2017; Sachs et al. im Druck). Die hier

beschriebenen Reste stellen nach Kenntnis

der Autoren die einzigen dementsprechenden

Funde aus dem Mittleren Jura des

Bundeslandes dar. Obwohl die Erhaltung

nur bedingt eine taxonomische Zuordnung

zulässt, ergänzen die Hildesheimer Funde

doch die spärlichen Nachweise und somit

das Wissen über die Verbreitung und Diversität

der Plesiosaurier im Mittleren Jura

Deutschlands.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


126 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis

Danksagung

Wir bedanken uns bei Dr. Jürgen

Vespermann (Roemer-Pelizaeus Museum

Hildesheim) und Dr. Davit Vasylian (Institut

für Geowissenschaften der Universität

Tübingen) für den Zugang zu dem hier beschriebenen

Material in ihrer Sammlung.

Frau Dr. Annette Richter (Landesmuseum

Hannover) und Herrn Dr. Dieter Schulz

(Naturhistorischen Gesellschaft Hannover)

danken wir für das Lektorat.

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Glossar

amphicoel Wirbelkörper auf der vorderen

und hinteren Seite konkav

anterior vorderer, nach vorne hin

anterodistal vorne und von der Körpermitte

entfernt

apikobasal von der Zahnspitze zur Zahnbasis

Artikulationsflächen Gelenkflächen

Carina verstärkte, vorspringende Leiste

Cervicalrippen Halsrippen

Coracoidfacette Verbindungsfläche zum

Rabenbein

Diapophyse obere Gelenkfläche am Halswirbel

zur Artikulation mit der Halsrippe

distale (Seite) Zahnrückseite

Foramen (Foramina subcentralia) Gefäßöffnungen

auf der Unterseite der Wirbelkörper

Glenoid-Facette Verbindungsfläche zu

den vorderen Extremitäten

labiale (Seite) Zahnaußenseite

lateraldorsal seitlich oben

linguale (Seite) Zahninnenseite

mesiale (Seite) Zahnvorderseite

Notochordalgrube Vertiefung im Wirbelkörper,

die beim lebenden Tier von den

Resten der rückgebildeten Chorda dorsalis

(knorpeliger Achsenstab) eingenommen

wurde.

Parapophyse untere Gelenkfläche am

Halswirbel zur Artikulation mit der

Halsrippe

platycoel Wirbelkörper auf der vorderen

und hinteren Seite fast eben

postcranial das Skelett hinter dem Schädel

betreffend

posterior hinterer, nach hinten hin

Propodium oberer Extremitätenknochen

proximal / distal zur Körpermitte hin /

von der Körpermitte entfernt

Rugosität / rugos Rauigkeit

Scapula Schulterblatt

Schmelzleiste(n) verstärkte Leisten im

Zahnschmelz

sigmoidal S-förmig

ventrolateral unten-seitlich

Zygapophyse paarige Gelenkfläche

oberhalb des Rückenmarkskanals des

Wirbelkörpers

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim

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Arbeit eingereicht: 20.03.2018

Arbeit angenommen: 18.10.2018

Anschrift der Verfasser:

Sven Sachs

Naturkunde-Museum Bielefeld

Abteilung Geowissenschaften

Adenauerplatz 2

33602 Bielefeld

und

Im Hof 9

51766 Engelskirchen

E-Mail: sachs.pal@gmail.com

Dr. Christian J. Nyhuis

E-Mail: chr.nyhuis@gmail.com

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


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Schottisches Flugwild in Ostfriesland

Ein Beitrag zur frühen Geschichte des Knyphauser Waldes

Burkhard Schäfer

Abb 1. Grouse in Schottland

(Foto: Christoph Moning, Freising)

Zusammenfassung

Schottische Moorhühner haben in

Schottland, Nordengland, Wales und

dem Nordwesten Irlands ihren natürlichen

Verbreitungsraum. In den Jahren

1891 und 1892 versuchte Graf Knyphausen

(Mitglied der NGH 1870 – 1904) auf

seinem Besitz, dem „Knyphauser Wald“

bei Reepsholt (Landkreis Wittmund), das

Schottische Moorschneehuhn einzubürgern.

Der Verlauf dieses Experiments gibt

nicht nur einen Einblick in die frühe Geschichte

des Knyphauser Waldes, sondern

zeigt auch den gewaltigen Landschaftswandel

in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Schlüsselwörter: Knyphauser Wald,

Schottisches Moorschneehuhn, frühe

Einbürgerungsversuche, Aufforstungen,

Heide- und Moorflächen, Landschaftswandel

im 19. Jahrhundert

Einleitung

Erinnern Sie sich noch an das Computerspiel

„Moorhuhn“ (Spieleserie Moorhuhn)?

Dabei handelte es sich um ein

Werbespiel aus dem Jahr 1999, das für

die schottische Whisky-Marke Johnnie

Walker entwickelt wurde. Das Spiel, das

millionenfach kostenlos heruntergeladen

wurde, war so populär, dass die Zeitschrift

„Der Spiegel“ behauptete, dass es

sogar als „Bedrohung für Betriebsumsätze“

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130 Burkhard Schäfer

angesehen wurde, da sich unverhältnismäßig

viele Büroangestellte damit die Zeit

vertrieben. Schließlich hat es das Spiel unter

dem Begriff „Moorhuhnjagd“ sogar in

die Ausgabe des Dudens geschafft – ein

Zeichen dafür, wie populär das Thema in

Deutschland tatsächlich war. Die Wahl des

Moorhuhns als Spielfigur war als Seitenhieb

der Firma Walker auf einen der erfolgreichsten

Blended Scotch Whiskys

mit Namen „The Famous Grouse“ zu verstehen.

Das Etikett dieser Flasche ziert

das Bild eines Schottischen Moorschneehuhns

– auf English „Grouse“ – um das es

in diesem Beitrag geht. Diese Vogelart sollte

vor mehr als hundert Jahren im Landkreis

Wittmund bejagt werden - allerdings

nicht virtuell sondern höchst realistisch. In

den Jahren 1891 und 1892 versuchte Graf

Knyphausen auf seiner Besitzung, dem

„Knyphauser Wald“ bei Reepsholt, das

Schottische Moorschneehuhn einzubürgern.

Der Verlauf dieses Experiments gibt

einen Einblick in die frühe Geschichte des

Knyphauser Waldes.

Schottische Moorschneehühner haben

in Schottland, Nordengland, Wales und

dem Nordwesten Irlands ihren natürlichen

Verbreitungsraum. Sie leben und nisten in

Mooren und vor allem auf Heideflächen,

wo Moosbeere und Rauschbeere und andere

niedrige Beerensträucher vorkommen.

Im Herbst suchen die Hühnervögel niedere

Lagen und Stoppelfelder auf. Die Vögel

werden etwa 40 Zentimeter groß, haben

ein rotbraunes Gefieder und erinnern vom

Aussehen her an weibliche Birkhühner. Im

Gegensatz zu anderen Schneehühnern bekommen

sie im Winter kein weißes Winterkleid

(Abb. 1).

Über sein Vorhaben der Einbürgerung

dieser Vögel von den britischen Inseln berichtete

der Graf in der Jagdzeitschrift

„Der Waidmann“, dem offiziellen Organ

des Allgemeinen Deutschen Jagdschutz

Vereins (zitiert bei Bungartz 1900).

Danach bestellte er im Herbst 1891

in England bei einem Wildhändler fünf

Paar lebende Moorschneehühner. Er wollte

in seiner Aufforstung, dem zukünftigen

Knyp hauser Wald, den Versuch unternehmen,

dieses sehr scheue Wild einzubürgern.

Die Aussichten schienen ihm für

diesen Versuch besonders günstig, weil

die Flächen den Vögeln Ruhe, Heide und

Wasser bieten konnten. Auch waren nach

seiner Einschätzung das Vorhandensein

von unterschiedlichen Wildbeerenarten

und einiger Buchweizenfeldern in seinem

Jagdrevier für die fremden Vögel förderlich.

Der Transport geschah im November,

weil nur in den Monaten September, Oktober,

November das Wild nach den dortigen

strengen Schongesetzen zu beziehen

bzw. zu exportieren war. Die Vögel wurden

von Schottland nach London transportiert.

Dann brachte man sie per Schiff bis

Vlissingen in den Niederlanden; von dort

mit der Bahn und wohl mit Pferdewagen

an den Bestimmungsort. Das war ein äußerst

ungünstiger und langer Weg für die

empfindlichen Wildvögel. Vor allem die

langen Eisenbahnfahrten waren beschwerlich,

auch hatte man die Tiere wohl nicht

mit ausreichend Wasser versorgt. Jedenfalls

kam von den versandten fünf Paaren nur

ein Paar lebend und gesund in Ostfriesland

an.

Der Graf ließ im geschützten Dickicht

einen Drahtbehälter mit Obernetz aufstellen,

die Seitenwände des Käfigs wurden

dicht mit Heide besteckt. Das gab den

Tieren Schutz vor Störungen, gleichzeitig

bekamen sie aber auch ausreichend Heidesamen,

die ihre Hauptnahrung darstellten.

Außerdem wurden die Schottischen

Moorschneehühner reichlich mit Wasser

und Buchweizen versorgt. Nach einigen

Tagen Ruhe ließ der Graf den Schieber

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Schottisches Flugwild in Ostfriesland

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am Drahtzaun aufziehen und die Grouse

sich selbst die Freiheit suchen. Im Frühjahr

1893 hatte er die Freude, den Grousehahn

in Gesellschaft eines Birkhahnes in seinem

Jagdrevier anzutreffen und sich über seine

Rufe zu freuen. Auch die Henne lebte

noch, denn ihm wurde ein Gelege gebracht,

dass wohl schon vierzehn Tage

bebrütet war. Es war beim Buchweizen-

Mähen entdeckt worden. Der Hahn und

die Henne der Schottischen Moorschneehühner

waren gemeinsam aufgeflogen,

die Henne hatte aber das Nest nicht wieder

aufgesucht. Die vierzehn Eier hob der

Jagdherr auf. Er beschreibt sie als größer

als Rebhuhneier, von gelbgrauer Farbe mit

dunkel- bis hellbraunen Flecken.

Die Brut der fremden Vogelart ermutigte

den Grafen von Knyphausen zu weiteren

Schritten. Er berichtete in der Zeitschrift

„Der Waidmann“ (ohne Jahresangabe).

„Diese erfreuliche Entdeckung, daß ein

Paar nach fast zwei Jahren das Leben behalten

und sogar Fortpflanzungsversuche

gemacht hatte, ließ mich wünschen, meine

Grouse-Einführungsversuche fortzusetzen!

Ein Mr. J. S. Graham in Heasther

Cottage, Aysgarth Station, Yorkshire, an

den ich mich wandte, übernahm für 20 M.

das Paar die Lieferung von 10 Paaren, und

ich verständigte mich mit ihm dahin, daß

er sie mir auf meine Rechnung von Hull

nach Bremen senden, für gute Verpackung

Sorge tragen und nicht verpflichtet sein

sollte, eingegangene Stücke nachzuliefern.

Die Firma Veltmann in Hull, Speditionsgeschäft

des Norddeutschen Lloyd, nahm

sich der Lieferung sehr freundlich an und

sorgte für Wasser und Futter während der

30stündigen Seereise, und so konnte zu

meiner Freude mein Förster, dem ich die

Abholung der Vögel übertragen hatte, die

ganze Lieferung von 7 Paaren Grouse,

mehr waren auf einmal nicht zu beschaffen,

ohne irgend welchen Verlust an den

Bestimmungsort begleiten. Dieses Mal

hieß es beim Empfang der Sendung nicht

,oh Graus‘ wie vor 2 Jahren, als die Kasten

mehr verendete wie lebende Tiere enthielten,

sondern die Vögel flogen kräftig in ihrem

großen Bauer in die Höhe, um, unverletzt

durch das überspannte Segel, wieder

zurückzufallen. Meine Jagdnachbarn sind

der Preußische und Oldenburgische Forstund

Moor-Fiskus! An beide habe ich mich

mit günstigem Erfolg gewandt, und, wie

das schon früher beim Aussetzen von

Birkwild geschehen, das Versprechen erhalten,

daß für einige Jahre die Schonung

dieses neuen Wildes den Beamten zur

Pflicht gemacht werden soll! So ist denn zu

hoffen, daß der Versuch der Einbürgerung

schottischer Moorhühner in der nordwestdeutschen

Ebene gelingen wird, wie es mit

dem Birkwild geglückt ist, das, ein lange

Jahre hier ausgestorbener Vogel, nun wieder

den Balzruf froh erklingen läßt“ (Bungartz

1900).

Die Hoffnung des Grafen sollte sich

nicht erfüllen. Wahrscheinlich war der Lebensraum

doch nicht so geeignet wie er

gehofft hatte. Die Moor- und Heideflächen

waren aufgrund der intensiven Aufforstungsmaßnahmen,

die er selber betrieb,

auch wohl nicht ausgedehnt genug. Vielleicht

sind durch das unerlaubte – aber immer

wieder praktizierte - Sammeln von

Birkhuhneiern auch die Eier der Grouse

in die Pfannen der armen Moorsiedler gewandert

– jedenfalls konnte nach wenigen

Jahren kein Exemplar des Schottischen

Moorschneehuhns mehr beobachtet werden.

Mit seinem Experiment der Ansiedlung

stand der Graf von Knyphausen in

seiner Zeit auf keinen Fall allein da. Zum

einen war es seit Jahrzehnten eine Passion

von Grundbesitzern und Jagdrevierinhabern,

fremde, ja gar exotische Tiere im

eigenen Revier anzusiedeln. Es gab solche

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


132 Burkhard Schäfer

Abb. 2 Der Bereich des späteren Knyphauser Waldes

auf der Campschen Karte von 1806 (Abruck mit

frdl. Gehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin –

Preußischer Kulturbesitz – Signatur Kart. N 27299.)

Versuche in Deutschland und dem übrigen

Europa mit Affen, Kängurus, Papageien,

verschiedenen Hirscharten, allen möglichen

Hühner- und Entenvögeln. Meistens

stand jagdliches Interesse im Vordergrund

oder einfach die Freude an exotischer Vielfalt.

Zum anderen gab es in Deutschland

zwischen 1866 und 1918 etwa ein Dutzend

ähnlicher Versuche mit Schottischen

Moorschneehühnern. Besonders erfolgreich

verlief die Auswilderung dieser Vögel

im Hohen Venn, das bis 1918 zum Deutschen

Reich und dann zu Belgien gehörte.

Hier hatte zu Beginn der 1890er-Jahre

ein Textilfabrikant aus Monschau über 70

Paare auf den Mooren ausgesetzt. Bereits

1904 konnten drei Jäger an einem Tag 40

Vögel erlegen. Mit Kultivierungsmaßnahmen

setzte ab 1930 ein starker Rückgang

ein, seit Beginn der 1970er-Jahre wurde

kein Vogel dieser Art mehr gesehen. (Niethammer

1963).

Der Bericht des Grafen in der Jagdzeitschrift

ist aber auch noch aus einem anderen

Aspekt heraus interessant: Er schrieb –

wie bereits zitiert: „So ist denn zu hoffen,

daß der Versuch der Einbürgerung schottischer

Moorhühner in der nordwestdeutschen

Ebene gelingen wird, wie es mit dem

Birkwild geglückt ist, das, ein lange Jahre

hier ausgestorbener Vogel, nun wieder

den Balzruf froh erklingen läßt“ (Bungartz

1900).

Dies belegt, dass das Birkwild im 19.

Jahrhundert aufgrund umfangreicher Kultivierung

von Mooren und Heiden bereits

fast völlig verschwunden war. Nur

durch massive Eingriffe des Menschen,

also durch Aussetzen neuer Vögel, konnte

sich der Bestand wieder erholen. Hier wird

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Schottisches Flugwild in Ostfriesland

133

Abb. 3 Rekonstruktion der Landschaft im Bereich

des Knyphauser Waldes nach Ellenberg (1968).

Der Autor bedankt sich bei der Naturhistorischen

Gesellschaft Hannover für die Genehmigung des

Nachdrucks der Karte.

deutlich, in welchem Maße die Landschaft

nicht nur in unserer Zeit, sondern bereits

vor mehr als 120 Jahren ganz außerordentlich

und in relativ kurzen Zeiträumen

verändert wurde. Dies gilt geradezu

exemplarisch für die Region des heutigen

Knyphauser Waldes. Die Geschichte

von der kurzen Existenz der Moorhühner

ist ein interessanter Beleg für diesen einschneidenden

Wechsel in der Landschaft.

Die große handgezeichnete Campsche

Karte von Ostfriesland aus dem Jahr 1806

zeigt für den Bereich ausgedehnte und völlig

waldfreie Heideflächen, unterbrochen

von moorigen Bereichen (Abb. 2, Henninger

et al. 2005).

Der Botaniker Heinz Ellenberg, der im

Jahre 1946 den Knyphauser Wald pflanzensoziologisch

kartierte, erstellte auf der

Grundlage seiner gründlichen Untersuchungen

eine Karte, die das Bild der Landschaft

vor Beginn der Aufforstung rekonstruiert

(Abb. 3) (Ellenberg 1968).

Den größten Raum nahmen damals

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134 Burkhard Schäfer

Abb. 4 Damhirsch im Knyphauser Wald

(Foto: B. Schäfer)

feuchte Sandheiden und nasse Glockenheide-Gesellschaften

ein. Auch trockene

Sandheiden kamen – besonders im nördlichen

Teil des Reviers – in größeren Flächen

vor. Es gab außerdem junge Dünen

mit Flechten und typischen Pflanzen des

Sand-Trockenrasens.

Der damalige Graf und spätere Fürst

Edzard zu Inn- und Knyphausen erwarb

erste Flächen in dieser Region, als die Erbengemeinschaft

Hinrich Cassens durch

eine Anzeige am 22. Mai 1867 die zu Rispel

gelegene Schäferei zum Kauf anbot.

Neben einem Schafstall und 500 Schafen

waren auch ausgedehnte Flächen im

Angebot. Bald nach dem Erwerb ließ der

Graf einen Dampfpflug zur Bearbeitung

der Heide einsetzen. Es soll angeblich die

erste Nutzung einer solchen gewaltigen

Maschine in Ostfriesland gewesen sein

(Anonymus 1982).

Der Botaniker Ellenberg (1968) beschreibt

die Umwandlung des Areals wie

folgt: Man ging „hier außerdem recht

schematisch und fast oberflächlich zu

Werke – nicht aus besonderer Nachlässigkeit,

sondern durchaus entsprechend der

unbiologischen, vorwiegend technischen

und rechnerischen Einstellung, die damals

in forstlichen Kreisen herrschte. Fast ohne

Rücksicht auf Senken oder Rücken, Sand

oder Torf, Ackerbeete oder Heide … warf

man in Abständen von 10 bis 12 m seichte

Gräben aus und pflanzte oder säte Kiefern

und Fichten auf die Beete.“.

Bereits im April 1878 – als die Forstanlagen

nach einer Bekanntmachung der

Königlichen Landdrostei in Aurich den

Namen „Knyphauserwald“ erhielten – waren

die Anpflanzungen schon „6 Fuß und

darüber“ hoch. Auf den ehemaligen Heideflächen

hatte sich also ein etwa zwei

Meter hoher Wald entwickelt. Das war

schon zu diesem Zeitpunkt kein Lebensraum

mehr für Heidekraut, Birkhuhn oder

Grouse. Aus dem gleichen Jahr wird übrigens

berichtet, dass etwa 70 Personen

auf Flächen mit Baumanpflanzungen beschäftigt

waren, die im Jahr zuvor mit dem

Dampfpflug vorbereitet wurden. Mit der

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Schottisches Flugwild in Ostfriesland

135

Information, dass auch der Carl-Georgs-

Forst nach dem Aufkauf von weiteren Flächen

gewaltig vergrößert werden sollte, gab

der Zeitungsartikel eine zutreffende Prognose:

„Es wird nach einigen Jahren noch

so weit kommen, daß der westliche Teil des

früheren Amtes Friedeburg, wo man sonst

nichts weiter als Heide fand, fast vollständig

bewaldet ist.“ (Anonymus 1985).

Es gab also 1878 trotz intensiver Aufforstungen

noch Heidebereiche. Graf

Knyp hausen betonte ja noch 1891 in seiner

Veröffentlichung im „Waidmann“ selber,

dass er in seinem Revier den Grouse Ruhe

und Heideflächen bieten könnte. Aber der

Wandel wird sich schon sehr schnell vollzogen

haben; es war eine Veränderung der

Landschaft, wie wir sie auch in den letzten

Jahren kaum erlebt haben.

Heute gibt es im Landkreis Wittmund

3638 ha Wald und gerade im Friedeburger

Bereich befinden sich drei große Wälder,

die zur Naturbeobachtung und zu Spaziergängen

auffordern. Vielleicht begegnet

dem Naturfreund dabei eine andere nicht

heimische Tierart, die mit wesentlich mehr

Erfolg als das Schottische Moorschneehuhn

bei uns eingebürgert wurde: der

Damhirsch, dessen Heimat Kleinasien ist

(Abb. 4).

Es kann nicht schaden, wenn der moderne

Spaziergänger in unseren schönen

Wäldern über die historischen Fakten Bescheid

weiß: Sie lassen uns die tatsächlich

großen Veränderungen im heutigen Landschaftsbild

relativieren und gleichzeitig erkennen,

dass jede Veränderung in der Nutzung

einer Landschaft auch Auswirkungen

auf die Zusammensetzung der Tier- und

Pflanzenwelt hat.

Literatur

Anonymus (1982): Der Erste Dampfpflug

in Ostfriesland. – In: Friesische Heimat,

Beilage des Anzeigers für Harlingerland, 1;

Wittmund.

Anonymus (1985): Blicke in Zeitungen aus

früheren Tagen – Der Knyphauser Wald erhielt

seinen Namen. – In: Friesische Heimat,

Beilage des Anzeigers für Harlingerland, 13;

Wittmund.

Bungartz, J. (1900): Einbürgerungsversuche

fremder Hühnerrassen. – Ornithologische

Monatsschrift des Deutschen Vereins zum

Schutze der Vogelwelt, 25: 82 ff; Magdeburg.

Ellenberg, Heinz (1968): Wald- und Feldbau

im Knyphauser Wald, einer Heide-Aufforstung

in Ostfriesland. – In: Berichte der

Naturhistorischen Gesellschaft zu Hannover,

112: 17 – 90; Hannover.

Henninger, W.; Kappelhoff, B.; Schumacher,

H. (Hrsg.) (2005): Die große handgezeichnete

Campsche Karte von Ostfriesland von

1806. – Veröffentlichungen der Historischen

Kommission für Niedersachsen und Bremen.

– Sondereinband; Hannover.

Niethammer, G. (1963): Die Einbürgerung

von Säugetieren und Vögeln in Europa;

Hamburg und Berlin.

Seite „Moorhuhn (Spieleserie)“. In:

Wikipedia, Die freie Enzyklopädie.

Bearbeitungsstand: 21. Januar 2018,

14:26 UTC. URL: https://de.wikipedia.

org/w/index.php?title=Moorhuhn_

(Spieleserie)&oldid=173166990

Waidmann Nr. 3, XXV. Band (angegeben bei

Bungartz).

Arbeit eingereicht: 26.09.2018

Arbeit angenommen: 17.11.2018

Anschrift des Verfassers:

Burkhard Schäfer

Strooter Kampen 11

26446 Friedeburg

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136

Aufstellung des Schweden-Findlings am

Deisterkamm am 6. Mai 2018

Abb. 1 Der Schweden-Findling, aufgestellt am

Rande des Fastwegs in unmittelbarer Nähe zu

seinem Fundort. Über die Fertigstellung freuen

sich am Deister-Tag 2018 Prof. Dr. Klaus D. Jürgens

(l., 2. Vorsitzender der NGH), Dr. Annette Richter

(Niedersächsisches Landesmuseum Hannover) und

Dr. Wolfgang Irrlitz. – Foto: C. Huppert.

Bote aus der Eiszeit auf dem Deister

Ein aktueller Jahrhundertfund, der sogenannte

Schweden-Findling, ermöglicht

neue Aussagen und belegt, dass auch der

Deister, bisher als aus dem Gletscher herausragender

Höhenzug vermutet, offensichtlich

doch zeitweilig von Gletschereis

vollständig überlagert war (siehe: Schirmer,

Ole (2011): Neufunde von Eiszeit-Geschieben

auf dem Deisterkamm. In: Naturhistorica

– Berichte der Naturhistorischen

Gesellschaft Hannover, 153: 7–16; Hannover.).

Der Fund auf 365 m ü. NN, also nahe

dem Deisterkamm, ist ein erster Nachweis

dafür. Der Findling kann inzwischen als

Naturdenkmal im Deister besichtigt werden.

Die folgenden Bilder zeigen die Aufstellung

des Deister-Findlings und der Informationstafel

unweit vom Fundort.

Weitere Informationen über die Herkunft

des Findlings und seine Bedeutung

für die eiszeitliche Vergangenheit Norddeutschlands

gibt es unter

schwedenfindling.n-g-h.org

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Aufstellung des Schweden-Findlings am Deisterkamm am 6. Mai 2018

137

Abb. 2 In nur einigen 100 m Entfernung zum

Fundort konnte zusammen mit dem zuständigen

Forstamtsleiter ein Block aus Deister-Sandstein

ausgemacht werden, der als Basis für die Montage

des Findlings geeignet war. Die von der NGH vorangetriebene

Präsentation des Schweden-Findlings

für die Öffentlichkeit erwies sich als gar nicht so

einfach. Unter anderem waren naturschutzrechtliche

Belange des inzwischen zum Naturdenkmal

erklärten Steins zu berücksichtigen und die Finanzierung

zu klären. – Foto: F.-J. Harms.

Abb. 3 Vor der Montage des Findlings als

Denkmal sollte das genaue Gewicht des Steins

bestimmt werden. Dazu wurde er geborgen und

gründlich gereinigt. Bei der Gelegenheit bot sich

wieder ein Blick auf die Seite mit der glattpolierten

Fläche und den gut sichtbaren Gletscherschrammen

an. Zwei Waagen zeigten dann unabhängig

voneinander jeweils ein Gewicht von 100 kg an. –

Foto: F.-J. Harms.

Abb. 4 Die Tafel am Aufstellungsort, die den

Stein und seine außerordentliche Bedeutung kurz

erklärt. Foto: F.-J. Harms.

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138 Aufstellung des Schweden-Findlings am Deisterkamm am 6. Mai 2018

Abb. 5 Die von Mitgliedern der NGH gestaltete

Erläuterungstafel am Schweden-Findling. Unterstützt

wurde die von der NGH veranlasste Aufstellung

des Findlings und der Tafel durch die Bingo

Umweltstiftung Niedersachsen, die Niedersächsischen

Landesforsten und das Forstamt Saupark.

Abb. 6 Der Schweden-Findling ist ein Naturdenkmal.

Er durfte daher für die Montage auf dem

Sandstein-Sockel nicht angebohrt werden. Stattdessen

halten vier Edelstahl-Klammern den Stein in

Position und ermöglichen zugleich, ihn von allen

Seiten zu betrachten. – Foto: F.-J. Harms.

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139

Ein Idyll in der (Groß)stadt.

„1001 Rosenblüte in einem Stadtgarten in

Ricklingen“

2. und 30. Juni 2018. Mit zahlreichen Rosenportraits,

Hinweisen zum Rosenkauf und Pflegetipps

Dieter Schulz

Exkursionsbericht: 1001 Rosenblüte

in einem Stadtgarten in Ricklingen

Abb. 1 Kletterrose Bobbie James, Züchter

Sunningdale Nurseries 1961

Eigentlich war diese Exkursion auf den

30. Juni festgelegt, musste aber 3 Wochen

vorverlegt werden auf den 2. Juni 2018, da

die Rosenblüte bereits zu diesem frühen

Zeitpunkt sehr weit fortgeschritten war.

Die Teilnehmer waren begeistert von der

Fülle und Vielfältigkeit der Rosen in diesem

Garten. Gigantische Kletterrosen,

wachsen bis in hohe Bäume (bis 12 m),

z. B. Bobbie James, Lykkefund, Kiftsgate,

Rosa multiflora. Letztere dient bei 80 %

der Rosen als Veredlungs-Unterlage und

gilt als eine der wichtigsten Ausgangs-Rose

für Züchtungen. An Rosenbögen und

Obelisken ergab sich ein buntes Bild zusammen

mit großen und kleinen Strauchrosen

(z. B. Golden Gate, Postillion,

Mozart), Beetrosen (Friesia, Lions-Rose)

und Edelrosen (Ambiente, Nostalgie),

Englischen Rosen (Gertrude Jeckyll), Bodendecker-

und Zwergrosen (Heidetraum,

Bad Birnbach u. a.). Von einmalblühenden

bis zu Dauerblühern war alles vorhanden,

in allen Farben bis auf Schwarz und Blau,

mit sehr starkem oder zartem Wildrosenduft

bis duftlos.

Sicherlich waren es viele Rosen, die demonstriert

werden konnten, obwohl nur 85

Sorten im Garten vorhanden sind. Um die

Erinnerungen aufzufrischen, werden noch

einmal die wichtigsten Rosenklassen mit

jeweils wenigen Rosen-Beispielen in Text

und Bild zusammengefasst. Fragen wie:

„Was heißt gefüllt? Welche Rose blüht nur

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140 Dieter Schulz

einmal, welche öfter, welche ist ein Dauerblüher?

Wer hat die vorgestellten Rosen

gezüchtet?“ werden im Text beantwortet.

Im Anschluss daran folgen noch wichtige

Bemerkungen zu Kauf, Rosen pflanzen,

Schädlingsbekämpfung, Schnitt, Düngung,

Wintervorbereitungen, Duft, Blütenfüllung,

Rambler und Climber, ADR-

Rosen.

Die Unterschiede zwischen den Rosen-

Klassen verschwimmen immer mehr. Das

hängt damit zusammen, dass die Rosenzüchter

immer neue Rosensorten auf den

Markt bringen, die z. B. Merkmale von

verschiedenen Rosenklassen aufweisen.

Alte Einteilungen in Klassen werden hier

vermieden und nur die heute wichtigen genannt,

die auch für den Laien auf Anhieb

zu erkennen sind oder sich von selbst erklären:

Abb. 2 Kletterrose Venusta pendula mit Honigbiene,

alte Sorte, 1928 von Kordes wieder eingeführt

Kletterrosen (Abb. 1 – 3)

Abb. 1 Bobbie James (Züchter Sunningdale

Nurseries 1961) blüht nur einmal,

aber mit großer Blütenfülle. Die einfachen

Blüten sind cremeweiß und besitzen

5 Blütenblätter wie es sich für ein Rosengewächs

(Rosaceae) gehört, mit vielen gelben

Staubblättern. Diese Rose ist ein sehr

eifriger Kletterer und schafft es in Bäumen

bis zu 12 m Höhe. Den Blüten entströmt

ein zarter Wildrosenduft (*). Das oder die

Sternchen in Klammern folgen der im Anhang

vorgestellten Duftskala.

Abb. 2 Venusta pendula ist ebenfalls einmalblühend

mit weißen einfachen bis halb

gefüllten Blüten, die rosa überhaucht und

duftlos sind. Der Züchter ist unbekannt.

Kordes hat diese Sorte 1928 wieder eingeführt.

Sie blüht vor Bobbie James. Ein Rosenbogen

mit Venusta pendula und Bobbie

James wirkt ausgesprochen schön und verlängert

die Blütezeit des Bogens deutlich.

Ganz kurz nach der Blüte von Venusta

Abb. 3 Kletterrose Amadeus, Züchter Kordes 2001

pendula oder auch schon mal gegen Ende

der Venusta-Blüte setzt die von Bobbie

James ein – ein aparter Anblick.

Abb. 3 Die Kletterrose Amadeus (Züchter

Kordes 2001) mit ihren samtroten gefüllten

Blüten ist öfterblühend und eine

Augenweide an jedem Rosenbogen, im

Obelisken oder am Rosenpavillon. Ihre

Blüten sind ausgesprochen langlebig (2 – 3

Wochen) Sie duften angenehm (***). Alle

drei genannten Kletterrosen sind sog.

Rambler (Erklärung s. u.).

Strauchrosen

Von Ihnen gibt es eine geradezu unüberschaubare

Menge von Sorten, einige wenige

sollen vorgestellt werden. Manche werden

von verschiedenen Autoren auch als

Kletterrosen geführt:

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Exkursionsbericht: 1001 Rosenblüte in einem Stadtgarten in Ricklingen

141

Abb. 4 Strauchrose Rosa rugosa mit Hummeln,

ADR-Rose (nur die Sorten Pierette Tantau 1990;

und Foxi Tantau 1989)

Abb. 5 Strauchrose Mozart, Züchter Lambert 1937

Abb. 6 Strauchrose Mozart mit Biene,

Züchter Lambert 1937

Abb. 7 Strauchrose Schloss Eutin,

Züchter Kordes 2005

Abb. 4 Rosa rugosa ist eine alte

Strauchrose und ein Dauerblüher. Sie hat

einen intensiven Duft (****) und ist ursprünglich

aus Ostasien zu uns gekommen.

Sie besitzt noch deutliche Anklänge an die

Wildform. Sie wird Kartoffelrose, manchmal

auch nach ihrem Anbaugebiet z. B.

Syltrose genannt. Die Sorten Foxi (Tantau

1989) und Pierette (Tantau 1990) sind

ADR-Rosen (Erläuterung am Schluss des

Textes). Die Blütenblätter der Rugosa-Rosen

und die einiger anderer Rosen werden

zur Herstellung von Rosenwasser, Rosen-

Eis oder Rosensirup genutzt. Sie gibt es

mittlerweile weiß-, rosa-, rot- und violettblütig.

Sie eignet sich gut für Heckenpflanzungen

und kann auch mit der Heckenschere

geschnitten werden.

Tipp: Hüten Sie sich vor der intensiven

Bestachelung. Mit ihren unterschiedlich

langen Stacheln (die kurzen, dünnen sind

die Schlimmsten) ist diese Rose sehr wehrhaft.

Die kleinen Stacheln, die man zunächst

nicht merkt, setzen sich in der Haut

fest und können gelegentlich zu geringfügigen

lokalen Entzündungen führen. Also

- unbedingt Handschuhe tragen, wenn Sie

diese Rosen einpflanzen oder beschneiden

wollen.

Abb. 5 und 6 Mozart (Züchter Lambert

1937). Sie wächst zu einem großen Strauch

heran und kann leicht 3 m Höhe erreichen.

Sie ist einmalblühend, zeigt aber eine überbordende

Bütenfülle. Ihre kleinen duftlosen

roten Blüten mit weißem Auge, stehen

in Rispen dicht an dicht. Es lohnt sich,

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142 Dieter Schulz

Abb. 8 Strauchrose Centenaire de Lourdes,

Züchter Delbard-Charbert 1958

Abb. 9 Strauchrose Angela, ADR-Rose,

Züchter Kordes 1984

Abb. 10 Strauchrose Windrose, ADR-Rose,

Züchter Noack 1995

Abb. 11 Kleinstrauchrose Aspirin-Rose, ADR-Rose,

Züchter Tantau 1997

die oftmals sehr langen Triebe mit einem

Holzgestell zu unterstützen, dann wirken

die überhängenden Triebe mit den in Massen

auftretenden Blüten wie ein rotweißer

Wasserfall – ein wahrer Hingucker! Die

Blüten stehen sehr lange am Strauch und

diese Rose hat eine gute Nachblüte, allerdings

nur, wenn Sie die alten abgeblühten

Rosenblüten regelmäßig abschneiden.

Abb. 7 Schloss Eutin (Züchter Kordes

2005). Ihre Blüten sind edelrosenartig,

weißlich bis apricotfarben mit dunklerer

Mitte. Sie blüht öfter im Jahr und ist gefüllt.

Sie wird bis zu 100 cm hoch. Zusammen

mit Ambiente und Eifelzauber bildet

sie ein bezauberndes Ensemble. Duft gut

(**).

Abb. 8 Centenaire de Lourdes (Züchter

Delbard-Charbert 1958). Ihre Blüten sind

gefüllt, groß und leuchtend Pink. Sie ist öfterblühend.

Ihre Triebe sind nicht besonders

stark und brauchen daher gelegentlich

eine Stütze. Sie hat einen guten Duft (**).

Höhe bis etwa 120 cm.

Abb. 9 Angela, ADR-Rose (Züchter

Kordes 1984). Sie blüht öfter im Jahr

und hat mittelgroße, kräftig rosafarbene,

becherförmige, halbgefüllte Blüten. Eine

Rose, die auch mit Halbschatten auskommt

und willig regelmäßig blüht. Ohne

Duft. Höhe ca. 120 cm. (Der Name stammt

nicht von unserer derzeitigen Kanzlerin!)

Abb. 10 Windrose, ADR-Rose (Züchter

Noack 1995). Ihre Blüten sind hellrosa und

schwach bis halbgefüllt, mit zartem Duft

(*). Sie ist öfterblühend, ihre Höhe wird

mit 120 cm angegeben.

Abb. 11 Aspirin-Rose, ADR-Rose

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Exkursionsbericht: 1001 Rosenblüte in einem Stadtgarten in Ricklingen

143

Abb. 12 Kleinstrauchrose Escimo, ADR-Rose,

Züchter Kordes 2006

Abb. 13 Beetrose Friesia, Züchter Kordes 1973

Abb. 14 Beetrose Lions-Rose, ADR-Rose,

Züchter Kordes 2002

Abb. 15 Edelrose Ambiente, Züchter Noack 2001

(Züchter Tantau 1997). Sie hat weiße gefüllte

Blüten, die nach Innen rosa überhaucht

sind, sie ist öfterblühend mit

schwachem Duft (*). Sie blüht zuverlässig

und nahezu ununterbrochen bis in

den Herbst hinein. Die Blüten stehen in

Scheindolden eng beieinander. Die nächsten

Knospen stehen dicht unterhalb der

Scheindolde bereit – also unbedingt die alten

Blüten wegschneiden, damit die neuen

Knospen Luft und Licht bekommen.

Höhe ca. 80 cm.

Kleinstrauchrosen

Abb. 12 Escimo, ADR-Rose (Züchter

Kordes 2006). Sie hat einfache, leuchtend

reinweiße Blüten mit einer Vielzahl

gelber Staubgefäße, die einen zarten

Wildrosenduft (*) verströmen. Sie ist öfterblühend.

Die Wuchshöhe wird mit 120

cm angegeben. Diese Rose ist ein gutes

Beispiel für eine fragwürdige Einordnung

in die Rosenklasse der Kleinstrauchrosen

(vgl. Abb. 11 und Text dazu).

Beetrosen

Abb. 13 Friesia (Züchter Kordes 1973)

hat sattgelbe, große, gefüllte Blüten mit

angenehm starkem Duft (****) sie ist öfterblühend

und wirkt am besten mit mehreren

zusammen, daher ist es auch eine Beetrose.

Sie erreicht Höhen von 60 bis 80 cm.

Abb. 14 Die Lions-Rose, ADR-Rose

(Züchter Kordes 2002) ist öfterblühend,

Ihre Blüten sind stark gefüllt,

groß und haben einen cremefarbigen bis

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144 Dieter Schulz

pfirsichfarbenen Ton. Sie wird bis zu 110

cm hoch, eine schöne und zuverlässige

Beetrose, die auch als Solitärrose gut zur

Geltung kommt. Die Blüten duften nicht.

Edelrosen

Abb. 15 Ambiente (Züchter Noack

2001) hat große, weiße, nach innen gelblich

werdende Blüten, die stark gefüllt sind

und sehr angenehm duften (**). Sie ist öfterblühend

und will genügend Licht, aber

keinen zu heißen Standort, also nicht in

die Nähe einer weißen Hauswand, die

nach Süden weist, pflanzen. Sie verträgt

auch Halbschatten. Die Höhe wird mit 60

bis 80 cm angegeben. Pflegeleichte Edelrosen

lassen sich an zwei Händen abzählen.

Diese gehört dazu! Auch als Schnittrose zu

verwenden, da die Blüten oft einzeln am

Ende eines Triebes stehen – wenn Sie denn

wirklich die Rosen abschneiden wollen.

Abb. 16 Nostalgie (Züchter Tantau

1996) ist mit ihren großen, gefüllten Blüten,

deren äußere Blütenblätter kirschrot

leuchten, die sich nach innen in cremeweiße,

mit rotem Rand versehene Kronblätter

verändern, eine wahre Königin unter den

Rosen. Sie ist öfterblühend, ihr Duft ist intensiv

und berauschend (****). Diese Rose

ist ein Ergebnis hoher Züchtungskunst.

Auch als Schnittrose geeignet.

Abb. 16 Edelrose Nostalgie, Züchter Tantau 1996

Rosenensemble

Abb. 17 und 18 – Das Rosenensemble

mit Angela (ADR), Lions-Rose (ADR),

Escimo (ADR), Bonica (ADR) und Rosario

ist eine Farbsinfonie in rosa und weiß

mit dezenten Zwischentönen.

Wichtige Hinweise

Rosenkauf – worauf sollte man achten

Kaufen Sie möglichst nur sog. Container-Rosen,

die bereits Feinwurzeln in

den Töpfen (Containern) ausgebildet haben

und deshalb bedenkenlos sofort nach

Kauf in den frostfreien Boden eingepflanzt

werden können. Sie bekommen sie fast

Abb. 17 Rosenensemble mit Angela, (ADR-Rose),

Lions-Rose (ADR-Rose), Escimo (ADR-Rose) Bonica

(ADR-Rose), Rosario

Abb. 18 Rosenensemble mit Angela (ADR-Rose),

Lions-Rose (ADR-Rose), Escimo (ADR-Rose), Bonica

(ADR-Rose), Rosario

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Exkursionsbericht: 1001 Rosenblüte in einem Stadtgarten in Ricklingen

145

das ganze Jahr über. Vermeiden Sie wurzelnackte

Pflanzen, sie machen größere

Schwierigkeiten, wenn man sich nicht

ganz genau nach der Pflanzanleitung richtet.

Kaufen Sie Rosen nur, wenn Sie bereits

die Blütenfarbe erkennen können. Eine

Blüte sollte voll aufgeblüht sein! Achten

Sie auch auf die Farbe der Knospen, die

oft nicht die Farbe der offenen Blüte widerspiegeln.

Die Farbe auf den anhängenden

Schildchen stimmt meist nicht mit der

echten Blütenfarbe überein, vor allen Dingen,

wenn das Schild bereits längere Zeit

der Sonne ausgesetzt war.

Achten Sie beim Kauf besonders auf Resistenzen

gegen Sternrußtau und Frosthärte

der Rose. Normalerweise wird das mit

der entsprechenden Anzahl von Sternchen

auf der Rückseite des anhängenden

Schildes vermerkt, auf dem auch Standort,

Blütezeit und Größenangaben angegeben

werden. Als Faustregel kann gelten: Rosen

mit festen, dunkleren, glänzenden Blättern

sind in der Regel resístenter gegen Sternrußtau

und tiefe Temperaturen, als solche

mit heller grünen und weichen Blättern.

Zu weiteren Schädlingen verweise ich auf

entsprechende Literatur.

Kaufen Sie nur beim Fachhändler (oder

beim Züchter direkt), in Hannover z. B.

bei „Glende Pflanzenparadies GmbH“ in

Hemmingen, im „Historische Rosengärten“,

ebenfalls in Hemmingen, ca. 800 m

vor Glende, bei Rosen Kroppen in Isernhagen

oder in einem anderen Geschäft Ihrer

Wahl – nicht aber im Baumarkt! Meist

sind Rosen im Fachhandel sogar preisgünstiger,

als in Baumärkten.

Das Pflanzen der Rosen

Die beste Zeit für das Pflanzen von Rosen

ist der Herbst. Dann haben die Rosen

bis zum eintretenden Frost noch ausreichend

Zeit sich in den Boden einzuwurzeln

und das verspricht im Frühjahr einen

guten Blütenansatz (Tipp Container-Rosen

gilt trotzdem).

Schädlingsbekämpfung

Empfindliche Rosen (auf dem Etikett

bei Frosthärte und Sternrußtau nur jeweils

1 bis 2 Sternchen) müssen Sie im Frühjahr

während des Blattaustriebs mit einem Mittel

gegen Sternrußtau spritzen, am besten

dreimal, jeweils im Abstand von einer Woche

(hier ist Baumarkt erlaubt, manchmal

ist es dort etwas preiswerter als im Fachhandel).

Wenn Sie nicht wissen, ob die in

Ihrem Garten bereits vorhandenen Rosen

empfindlich sind oder nicht, sollten Sie alle

Rosen dieser Prozedur unterziehen. Bei

anderen Krankheiten kaufen Sie sich ein

Buch über Rosen in dem auch dieses Kapitel

enthalten ist.

Schnitt der Rosen

Der eigentliche Rückschnitt erfolgt im

Frühjahr (Faustregel: wenn die Forsythien

blühen), vor dem Schwellen der Knospen

trockene und zurückgefrorene Triebe wegschneiden.

Grundsätzlich gilt: starke Triebe

weniger zurückschneiden als schwache.

Sie können kräftig zurückschneiden, bei

Strauch-, Beet- und Edelrosen ruhig bis

auf einen Rest von 30 bis 50 cm über dem

Boden, 3 bis 4 Augen (Triebknospen) sollten

erhalten bleiben. Dabei sollte darauf

geachtet werden, dass die kräftigen Triebe

(Augen) möglichst nach außen weisen. Die

Triebe werden dann mit einer scharfen (!)

Schere etwa ½ cm oberhalb des entsprechenden

Auges (Triebknospe) mit einem

glatten Schnitt gekürzt.

Kletterrosen werden normalerweise

nicht zurückgeschnitten, es sei denn, sie

werden Ihnen zu hoch oder beglücken den

Nachbarn mit Ihrer Blütenpracht. Hier

schneiden Sie nur trockene und braun

gewordene Triebe heraus. Nach einigen

Standjahren sollten Sie auslichten. Zum

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


146 Dieter Schulz

Schnitt gibt es verschiedene Anleitungen,

die nur wenig voneinander abweichen.

Auch dieses Kapitel ist in jedem seriösen

Rosenbuch vorhanden.

Düngung

Düngung der Rosen ist notwendig, wenn

sie einen üppigen Blütenflor lieben und

sich nicht nur mit einigen wenigen Blüten

am Strauch zufrieden geben. Man düngt

während des Blattaustriebs (ab März). Zu

empfehlen ist Langzeitdünger (für 6 Monate),

Sie sparen damit auch Zeit. Wählen

sie Dünger, der granuliert ist (kleine, perlengroße

Kügelchen), er lässt sich besser

dosieren, man erkennt das, wenn man die

Packung schüttelt. Weitere Dünge-Maßnahmen

ebenfalls in entsprechenden Rosenbüchern

nachlesen.

Rosen für den Winter vorbereiten

Vor dem ersten Frosteinbruch sollten die

Rosen mit Erde und/oder Rosenmulch angehäufelt

werden, bei sehr starkem Frost

mit Nadelbaumzweigen zusätzlich abdecken.

Noch etwas am Rande

Zum Duft der Rosen

(Skala nach Prof. Dr. J. Sieber) –

auch hier im Text verwendet:

* leicht

** reichlich

*** intensiv

**** sehr intensiv

***** überragend

Grad der Füllung von Rosenblüten

• Einfache (flache) 5-zählige Blüten –

ohne Füllung (bis zu 100 Staubgefäße)

• Halbgefüllte Blüten – mit 10 bis 19 Blütenblättern

– immer noch viele Staubgefäße

vorhanden

• Gefüllte Blüten – mit 20 bis 39 Blütenblättern,

eine geringere Anzahl von

Staubgefäßen ist noch vorhanden

• stark gefüllte Blüten – mit 40 und mehr

Blütenblättern, keine Staubblätter mehr

vorhanden

• In Quadranten geteilte Blüten – stärkste

Füllung, natürlich sind hier ebenfalls

keine Staubblätter mehr vorhanden

Generell gilt: Die vermehrte Anzahl von

Blütenblättern (Petalen) resultiert aus der

Umwandlung von Staubblättern in Kronblätter.

Diese Rosen, so schön sie anzusehen

sind, nützen den Honigbienen, Wildbienen

und anderen Insekten nicht!

Rambler und Climber

Bei Kletterrosen werden Rambler und

Climber unterschieden (es gibt wohl keine

aussagekräftige deutsche Übersetzung,

die die englischen Begriffe mit einem Wort

benennt).

Rambler:

blühen in reichen Büscheln kleiner Blüten

und bilden weiche, biegsame Triebe. Zu

Anfang müssen sie geleitet werden, danach

haken sie sich in Sträuchern und Bäumen

fest. Die klassischen Rambler-Rosen blühen

nur einmal im Jahr, dafür aber sehr

üppig und mehrere Wochen lang. Sie erreichen

bis zu 5 m Höhe, einige Giganten

unter ihnen klettern bis zu 10 und auch

15 m in die Höhe (s. o.).

Climber:

Gegenüber den Ramblern haben die Climber

größere Blüten meist in Dolden, ihr

Wuchs ist steif aufrecht mit starken Trieben.

Die meisten aktuellen Sorten sind öfterblühend.

Sie erreichen normalerweise

Höhen von 3 bis 5 m. Auch hier gibt es

Ausnahmen, die höher werden oder 3 bis

5 m nicht erreichen.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Exkursionsbericht: 1001 Rosenblüte in einem Stadtgarten in Ricklingen

147

Was ist eine ADR-Rose?

ADR – Allgemeine Deutsche

Rosenneuheitenprüfung

Seit etwa 60 Jahren gibt es dieses „Prüf-

Instrument“. Heute ist die ADR ein Arbeitskreis

aus Vertretern des Bundes Deutscher

Baumschulen (BdB), Rosenzüchtern

und den unabhängigen Prüfungsgärten.

Sichtungsergebnisse der ADR-Prüfung

werden vom Bundessortenamt ausgewertet

und jährlich auf einer gemeinsamen Tagung

diskutiert.

• Bewertung: Die Konzeption der ADR-

Prüfung passt sich gewandelten Ansprüchen

an. An 11 Standorten werden die

Eigenschaften der Neuheiten anhand

von Merkmalen wie Widerstandsfähigkeit,

Winterhärte, Reichblütigkeit, Wirkung

der Blüte, Duft oder Wuchsform

über drei Jahre bewertet.

• Gesundheit: Von höchstem Wert ist die

Widerstandfähigkeit gegen Krankheiten

und Schädlinge. Die ADR-Prüfsorten

wachsen ohne Einsatz von Pflanzenschutzmitteln,

um Gesundheit und

Zierwert der Neuheiten anhand ihrer

natürlichen Eigenschaften beurteilen

zu können. Nach erreichter Mindestpunktzahl

(80 Punkte von 100) wird das

ADR-Zeichen verliehen. Ein ADR-Zeichen

kann aber auch wieder aberkannt

werden, wenn die Rose nach einer Reihe

von Jahren ihre guten Eigenschaften,

z. B. Gesundheit, verliert. Über 30 Sorten

wurden aus der früheren Liste gestrichen.

Viel Spaß mit Rosen – wichtig ist, nicht

ungeduldig werden. Wir waren am Anfang

allerdings auch ungeduldig.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


148

Exkursion „Geest, Marsch, Watt und Meer –

Nordsee, Weser und Elbe bei Cuxhaven“

15. – 17. Juni 2018

Klaus D. Jürgens

Exkursionsbericht: Geest, Marsch, Watt und

Meer – Nordsee, Weser und Elbe bei Cuxhaven

Abb. 1 Blick vom Imsumer Ochsenturm auf

Wattenmeer, Deichvorland, Deich, Marsch und

am Horizont den Geestrücken

Vom 15. bis 17. Juni 2018 fand mit 41

Teilnehmern unter Führung von Prof.

Dr. Hansjörg Küster und organisatorisch

unterstützt von Dr. Dieter Schulz eine

NGH-Exkursion an die Nordseeküste

zwischen Weser- und Elbmündung statt.

Das besuchte Gebiet erstreckt sich von

Bremerhaven, unserem Übernachtungsort,

über Imsum, Mulsum und Dorum im

Land Wursten sowie Cuxhaven mit seinen

Ortsteilen Sahlenburg und Duhnen bis

nach Otterndorf an der Elbe.

Die geologische Besonderheit dieses

Bereichs besteht darin, dass ein eiszeitlich

entstandener Geestrücken, der hier

Nord-Süd-Richtung aufweist und bis an

die Nordseeküste reicht, sich abgrenzt von

einem Marschgebiet, das sich entlang der

Nordseeküste erstreckt. Die sandige Altenwalder

Geest ist als Endmoräne während

der Lamstedter Phase im Warthe-Stadium

der Saale-Kaltzeit vor etwa 160 000 Jahren

entstanden. Ihr nördlichster Punkt bei

Sahlenburg ist eine von 3 Stellen, die noch

mit dem ursprünglichen Küstenverlauf der

aus dem Eem-Meer hervorgegangenen

Nordsee identisch sind. Der übrige heutige

Küstenverlauf ist das Ergebnis der Bildung

von Marschgebieten, die aus Ablagerungen

im Wattenmeer entstanden sind, und der

sich im Laufe der Zeit durch tidenbedingte

Strömungen, Sturmfluten und Deichbaumaßnahmen

ständig verändert hat und

immer noch verändert.

Deutlich sind die Höhenunterschiede

zwischen Geest und Marsch zu sehen

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Exkursionsbericht: Geest, Marsch, Watt und Meer – Nordsee, Weser und Elbe bei Cuxhaven

149

und charakteristisch sind auch die Unterschiede

in der Vegetation. Auf der Geest

(abgeleitet vom friesischen Wort „güst“ =

unfruchtbar, karg) sind die Böden von Natur

aus nährstoffarm und erst durch Düngung

landwirtschaftlich nutzbar gemacht

worden. Typisch sind Wallhecken, die die

einzelnen Felder (Koppeln) voneinander

abgrenzen. Die Marsch (niederdeutsch für

Weideland), entstanden durch Sedimentation

der im Wasser enthaltenen Schwebstoffe

und Mineralien, ist dagegen sehr

fruchtbar und nährstoffreich. Sie wird von

einem Grabensystem (Grüppen) durchzogen,

das die Entwässerung des Gebiets

über Siele in die Nordsee sichert.

Freitag, 15.6.2018

Am Freitag ging unsere Reise mit dem

Bus von Hannover über Bremerhaven zunächst

nach Sahlenburg. Am dortigen

Sandstrand erläuterte Prof. Küster die

mit Ebbe und Flut einhergehenden Prozesse.

Er wies besonders auf die auf dem

Sand- bzw. Schlickwatt der See befindliche

Schicht von Kieselalgen hin (Abb. 2), die

in der Lage sind, Wasser zu speichern und

so dem Boden ein feuchtes Aussehen verleihen.

Diese Diatomeen sind sehr stoffwechselaktiv

und erzeugen durch Fotosynthese

unter CO 2

-Verbrauch Sauerstoff und

organisches Material. Die jährliche Produktivität

dieses Ökosystems in Gramm

pro m 2 Bodenfläche ist höher als die des

tropischen Regenwaldes, hat aber auf der

Erde wegen des relativ kleinen Flächenanteils

nur eine geringe Bedeutung verglichen

mit dem offenen Meer und den tropischen

Regenwäldern.

Nach einem Besuch des Wattenmeer-

Besucherzentrums, in dem man Informationen

über die Beschaffenheit sowie die

Tier- und Pflanzenwelt des Wattenmeeres

erhält, führte unser Weg entlang eines

mit (zwar nichtheimischen aber den Sandboden

festigenden und vor Verwehungen

schützenden) Kartoffelrosen (Rosa rugosa)

gesäumten Weges in die nahegelegene

Duhner Heide. Diese ca. 500 × 400 m 2

große Landschaft ist einzigartig an der gesamten

Nordseeküste (Abb. 3). Das hügelige

Dünengebiet ist vor allem bedeckt mit

Besenheide (Calluna vulgaris). Auch Krähenbeere

(Empetrum nigrum), Glockenheide

(Erica tetralix) und Ginster (Genista

Abb. 2 Die Schaumbildung auf dem Watt von

Sahlenburg entsteht bei der Überflutung der

Kieselalgenschicht. Die organischen Algenprodukte

lagern sich auf der Oberfläche von Luftbläschen an

Abb. 3 Die Duhner Heide grenzt direkt an die

Nordsee

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


150 Klaus D. Jürgens

Abb. 5 Die Marienkirche von Mulsum steht auf

dem höchsten Punkt der Wurt

Abb. 4 Der Ochsenturm von Imsum ist der Rest

einer ehemaligen Kirche und dient als Aussichtsturm

pilosa) wachsen hier. Vereinzelt sieht man

Sandglöckchen ( Jasione montana). In einer

moorigen Senke kommen Wollgras

(Eriophorum angustifolium) und Sonnentau

(Drosera rotundifolia) vor. Ein störender

Neophyt ist die Späte Traubenkirsche

(Prunus serotina), die sich offenbar unaufhaltsam

breit macht.

Samstag, 16.5.2018

Am Samstag ging die Reise ins Marschgebiet.

Nicht sofort auffallend sind hier die

zahlreichen kleinen Hügel in der Landschaft,

die Wurten. Erst der Hinweis Prof.

Küsters, dass hierzu der „norddeutsche

Blick“ nötig sei, schärfte dafür die Sinne.

In den Anfängen der Besiedlung der

Marsch, beginnend schon in der Zeit um

Christi Geburt, wurden Häuser auf diesen

Erdhügeln gebaut, die bei Sturmfluten

der Nordsee nicht überflutet wurden,

während das umgebende Land hin und

wieder überschwemmt wurde. Viele Wurten

(andernorts auch Warften genannt)

sind seit langem verlassen, auf anderen haben

sich größere Ansiedlungen gebildet.

Der Name dieses Gebiets „Land Wursten“

ist abgeleitet vom niederdeutschen

Namen „Wurtsassen“ oder „Wursaten“ für

die Wurtbewohner. Hauptsächlich wegen

der Fruchtbarkeit der Marsch gingen die

dort ansässigen Bauern im Mittelalter dazu

über, Deiche zu bauen, um das Land ganzjährig

vor Überflutungen zu bewahren und

die Sicherheit der Bewohner zu erhöhen.

Da sich im Deichvorland durch die Ablagerungen

von Sand und Schlick und dessen

Festigung durch das Wachsen salzwasserresistenter

Pflanzen wie dem Queller

(Salicornia europaea) ständig neues Land

bildete, wurden die Deiche im Laufe der

Jahrhunderte mehrmals weiter zur Seeseite

verlegt. Das neu gewonnene Land wurde

durch Gräben entwässert und das Wasser

durch Siele in den Deichen abgeleitet.

Dadurch senkte sich das Land etwas ab, so

dass binnendeichs das Land tiefer liegt als

außendeichs. Auf den Resten der ehemaligen

Deiche verlaufen heute oftmals Straßen.

Unsere Fahrt führte zunächst nach Imsum,

einer kleinen Siedlung an der Wesermündung.

Dort befindet sich der besteigbare

Ochsenturm, ein Relikt der 1895

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Exkursionsbericht: Geest, Marsch, Watt und Meer – Nordsee, Weser und Elbe bei Cuxhaven

151

Abb. 6 Der Sielhafen von Dorum-Neufeld mit

seinen Krabbenkuttern

Abb. 7 Blick in die St.-Urbanus-Kirche in Dorum

abgebrochenen Bartholomäus-Kirche, von

dem man meerseitig einen schönen Ausblick

über die Weser und das Watt bis nach

Butjadingen hat und landseitig die Marsch

bis zum Geestrücken überblickt (Abb. 1

und 4). Dort wachsen relativ viele Eschen

(Fraxinus excelsior). Neben der Bedeutung

als Holzlieferant wurden Eschen früher

„geschneitelt“, d.h. junge Äste wurden abgetrennt

und getrocknet und als Laubheu

im Winter an das Vieh verfüttert. Trotz regelmäßiger

Beschneidung treibt die Esche

immer wieder aus, lebt also scheinbar immer

weiter, und wurde deshalb als ein Symbol

für das ewige Leben verehrt. Das verdeutlicht

auch die Darstellung von Eschen

auf einem Relief, das man auf einem Grabstein

des Imsumer Friedhofs findet. Eine

besondere mythologische Bedeutung hat

dieser Baum als Weltenesche Yggdrasil in

der Edda.

Die nächste Unternehmung war ein

Fußmarsch zu einer seit 500 Jahren verlassenen

Wurt, der „Feddersen Wierde“.

Bedeutung erlangte sie durch Grabungen,

die dort zwischen 1954 und 1963 durchgeführt

wurden und die viele Erkenntnisse

über die Lebensweise und die Ernährung

der Wurtbewohner während unterschiedlicher

Zeiten erbrachten.

Anschließend führte die Reise zur evangelischen

St.-Marien-Kirche von Mulsum

(Abb. 5). Die Kirche steht auf dem höchsten

Punkt der ehemaligen Wurt und wurde

im 13. Jahrhundert aus Feldsteinen erbaut.

Der Turm entstand später und ist

aus Ziegeln gemauert. Die Kanzel stammt

aus gotischer Zeit, das Taufbecken wurde

im 14. Jahrhundert aus Blei gegossen

und der wertvolle Flügelaltar ist von 1430.

Nicht nur die Ausstattung ist Zeichen des

Reichtums der Marschbauern, sondern der

gesamte Bau, denn Steine gab es in der

Marsch nicht und auch Holz wuchs nicht

ausreichend vorort, alles musste aus der

Geest herbeigeschafft werden.

Weiter ging es nach Dorum-Neufeld, einem

Sielhafen, in dem einige Krabbenkutter

angelegt hatten (Abb. 6). Die Funktion

von Sieltoren, die sich gezeitengesteuert

automatisch öffnen und schließen, wurde

erklärt, und dass modernere Siele auch über

Pumpen verfügen, die früher über Windmühlen

und heute durch Diesel- oder

Elektromotoren angetrieben werden. Der

Hafen ist stark auf Tourismus ausgerichtet,

u. a. mit einem Süßwasserschwimmbad,

Campingplatz und vielen Imbissbuden im

Außendeichbereich. Gut zu sehen war hier

die durch unterschiedliche Erwärmung

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


152 Klaus D. Jürgens

von Wasser und Festland entstehende

Wolkenbildung über dem Festland und zu

spüren der tagsüber vom Wasser her (auflandig)

wehende Wind, der hilft, die vielen

an der Küste errichteten Windkraftanlagen

anzutreiben. Nachts weht dann ein ablandiger

Wind.

Ein Besuch des Deichbaumuseums

in Dorum schloss sich an, in dem u. a.

die Veränderungen der Küste durch den

Deichbau, der Aufbau von Deichen und

alte Requisiten zum Deichbau gezeigt und

erklärt werden. Danach wurde die St.-Urbanus-Kirche

in Dorum besichtigt (Abb.

7). Sie ist zum Teil aus Granitsteinen, zum

Teil aus Backsteinen gebaut. Besonderheiten

sind die spätgotischen Malereien in

der Decke des Chorgewölbes, der prächtige

Altaraufsatz und die hölzerne Kanzel

mit ihren 17 geschnitzten Bildreliefs sowie

ein turmartiges Sakramentshäuschen

aus Kalkstein, das aus dem 16. Jahrhundert

stammt.

Den Abschluss des Tages bildete der Besuch

des Brockes-(gesprochen Brooks)-

Waldes bei Cuxhaven. Dieser für diese Gegend

untypische Buchenwald wurde vom

Amtmann Barthold Heinrich Brockes

Ende des 18. Jahrhunderts als parkähnliche

Anlage gestaltet. Brockes hat in Gedichten

diese Anlage beschrieben und Anleitungen

zur Naturbeobachtung gegeben. Inmitten

des Waldes befindet sich ein nicht mehr

gepflegter jüdischer Friedhof.

Sonntag, 17.6.2018

Der letzte Tag der Exkursion führte zunächst

an die Elbmündung bei Müggendorf,

einem Ortsteil von Otterndorf, unweit

von Cuxhaven. An dieser Stelle des

Elb-Ästuars (dem von Ebbe und Flut beeinflussten

Mündungstrichter der Elbe)

trifft der Fluss in seinem mäandrierenden

Verlauf auf einen Prallhang, der sehr nahe

Abb. 8 Am Glameyer-Stack verläuft die Fahrrinne

der Elbe unmittelbar am Schardeich

am Elbdeich liegt. Der Deich hat hier kein

Vorland, sondern grenzt direkt ans Wasser,

man spricht von einem „Schardeich“. Die

schiffbare Wasserstraße ist hier nur 200 m

breit, wodurch eine sehr hohe Strömungsgeschwindigkeit

entsteht, die zu einer allmählichen

Verlagerung des Flussbetts immer

weiter zur Landseite hin führt. Am

Prallhang wird ständig Ufersand weggespült

und der Hang ausgekolkt, so dass hier

bereits eine Wassertiefe von ca. 30 Metern

vorliegt. An der Buhne „Glameyer-Stack“

(Abb. 8) ist die ca. 8,5 m hohe Deichkrone

nur gut 300 m vom Prallhang entfernt.

Bei einem Höhenunterschied von fast 40

m auf dieser kurzen Distanz besteht hier

die größte Gefahr eines Deichbruchs an

der gesamten Nordseeküste. Der Deich

wird zwar durch besondere Baumaßnahmen

gepanzert (u. a. betonierte oder mit

Asphalt vergossene Steine, Brandungszaun,

gepflasterter Deichfuß), die Unterspülung

des Grundes und die Erschütterungen

durch die Schifffahrt stellen jedoch

eine immense Gefahr für die Deichstabilität

dar. Diese würde durch eine weitere

Vertiefung des Elbfahrwassers weiter

stromaufwärts noch verstärkt, da sich dadurch

die Strömungsgeschwindigkeit an

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Exkursionsbericht: Geest, Marsch, Watt und Meer – Nordsee, Weser und Elbe bei Cuxhaven

153

Abb. 9 Semaphor und Hamburger Leuchtturm am

Hafen von Cuxhaven

Abb. 10 Die Lateinschule von 1614 in Otterndorf

dieser Stelle nochmals steigern würde. Die

Stadt Otterndorf hatte deswegen vor dem

Bundesverwaltungsgericht gegen das Vorhaben

der weiteren Elbvertiefung geklagt,

die Klage und damit die zur Problematik

erstellten Gutachten wurden aber vom

Gericht aus formellen Gründen abgewiesen,

da nicht die Stadt Otterndorf, sondern

der zuständige Deichverband hätte klagen

müssen. Sollte der Deich an dieser Stelle

brechen, würde ein riesiges Gebiet überflutet

und 16 000 Menschen ihre Wohnungen

verlieren.

Weiter ging es zu einem Besuch an

den Hafen von Cuxhaven. Zu sehen gibt

es hier u. a. einen historischen Semaphor

(Abb. 9), ein mechanisches Seezeichen, das

die Windrichtung und die Windstärke anzeigt,

hier für die Orte Borkum und Helgoland.

Der Schiffsansagedienst Cuxhaven

e. V. informiert an der Aussichtsplattform

„Alte Liebe“ über eine Lautsprecheranlage

über Größe und Herkunft der vorbeifahrenden

Schiffe. Nach einem Blick auf den

ausgedienten Hamburger Leuchtturm (erbaut

Anfang des 19. Jh. von der Hansestadt

Hamburg), den Hafen und die Nordsee

sowie einer mittäglichen Stärkung ging es

zur letzten Station unserer Reise.

Zum Abschluss des Tages und damit der

Exkursion führte uns der Weg nach Otterndorf,

eine ebenfalls ursprünglich auf einer

Wurt entstandenen Stadt. In der verkehrsberuhigten

Innenstadt hielten wir

an der St.-Severi-Kirche, die aber an diesem

Tag nicht geöffnet war. Gegenüber

der Kirche befindet sich ein 1614 erbautes

und ansprechend renoviertes großes Fachwerkhaus,

die Lateinschule (Abb. 10). Als

Rektor der Schule wirkte hier vor gut 220

Jahren für einige Jahre der Dichter und

Übersetzer Johann Heinrich Voß, bekannt

geworden vor allem durch seine Übersetzungen

von Homers Ilias und Odyssee.

Danach ging es über Bremerhaven zurück

nach Hannover, wo unsere Fahrt gegen

18:30 Uhr endete.

Insgesamt ist zu sagen, dass die Exkursion

hervorragend von Prof. Küster geplant

und durchgeführt wurde. Es gab eine Fülle

von Informationen, die in diesem Bericht

natürlich nur teilweise wiedergegeben werden

konnten. Die Erläuterungen waren

immer gut verständlich, keine Frage blieb

unbeantwortet.

Ich danke dem Ehepaar Ehlers/Entzeroth-Ehlers

für die schönen Fotos, die diesen

Text ergänzen.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


154

Exkursion „Von Hexen, Teufeln und

romanischen Kirchen im Harzvorland

bei Quedlinburg“

11. August 2018

Wolfgang Irrlitz

Exkursionsbericht: Von Hexen, Teufeln und

romanischen Kirchen im Harzvorland bei

Quedlinburg

Abb. 1 Blick vom Hexentanzplatz ins Bode-Tal

Der Harz war schon immer ein besonderer

Raum, angefüllt mit einmaligen Naturschönheiten

und geschichtsträchtigen

Kulturstätten. Dorthin ging am 11. August

2018 die eintägige Busexkursion der NGH,

genauer gesagt, in die nördliche Harzrandregion

zwischen Thale und Quedlinburg.

Erster Punkt war der sogenannte „Hexentanzplatz“,

mit fantastischem Blick in

das hier fast 300 m tief in das Grundgebirge

des Harzes aus Granit und Schiefer

eingeschnittene Tal der Bode und auf die

am gegenüberliegenden Talrand liegende

„Roßtrappe“ (Abb. 1). In einem Ring aus

riesigen Granit-Findlingen grüßen uns auf

dem Hexentanzplatz Teufel und Hexen

aus Bronze, dazu viele Souvenirläden.

Weiter ging es zu einem der spektakulärsten

geologischen Gebilde am Harzrand.

Die von uns bestiegene „Teufelsmauer“

bei Neinstedt (Abb. 2) war das erste Naturschutzobjekt

Deutschlands. Infolge der

gebirgsbildnerischen Heraushebung des

alten paläozoischen Harzblockes wurden

alle jüngeren Gesteinsschichten des Mesozoikum

abgetragen oder am Harznordrand

steilgestellt, natürlich über Millionen

Jahre hinweg. Durch spezielle Verfestigung

einiger Schichtpartien und nachfolgender

Erosion entstand ein landschaftsprägendes

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Exkursionsbericht: Von Hexen, Teufeln und romanischen Kirchen im Harzvorland bei Quedlinburg

155

Abb. 2 An der Teufelsmauer

Abb. 3 Romanische Stiftskirche in Gernrode

Abb. 4 Domberg von Quedlinburg

morphologisches Profil aus langgestreckten

Tälern und Höhenzügen. Der sogenannte

Heidelberg-Sandstein der Oberkreide

zeigt sich hierbei in einer besonders eindrucksvollen

10 m hohen Mauer im Gelände,

mit dazwischenliegenden Lücken,

da es, der Sage nach, dem Teufel nicht gelungen

war (gemäß Vertrag mit Gott), die

Mauer rechtzeitig in einer Nacht fertigzustellen.

Genauer gesagt: die über lange Zeit

nagende Abtragung durch Wasser, Wind

und Frost haben deutliche Zeichen hinterlassen.

Dennoch ein immer noch imposanter

Anblick!

Weiter ging es nach Gernrode. Im 10.

und 11. Jahrhundert war der Harzrand das

Zentrum deutscher Geschichte, so waren

der erste deutsche König Heinrich I. und

sein Sohn, Kaiser Otto I. prägende Gestalten

dieses Landschaftsraumes. In dieser

Zeit entstanden viele Kaiserpfalzen und

großartige Kirchenbauten. Die schönste –

und im reinsten romanischen Stil sich präsentierend

– ist die Stiftskirche St. Cyriakus

in Gernrode (Abb. 3), eine Gründung

des Lehensmannes von Kaiser Otto I, Graf

Gero. Hier gab es die einmalige Gelegenheit,

einer dort gerade stattfindenden gregorianischen

Messe in deutscher Sprache

zu lauschen.

Quedlinburg, die Kulturwelterbe-Stadt,

war das nächste Ziel. Hier warten über

1000 historische Fachwerkhäuser aus mehreren

Jahrhunderten auf einen Besuch,

dazu der bedeutende Dom mit der Grablege

von Heinrich I. Eine geführte Stadterkundung

gab einen ersten Eindruck dieser

herausragenden Stadt (Abb. 4).

Den Abschluss der prall gefüllten Exkursion

bildete ein geschichtsträchtiges

Gebäude hoch über Gernrode. Das über

viele Jahre als Einkehrstätte dienende jetzige

Hotel „Stubenberg“ hat schon viele

bekannte Gäste gesehen: Goethe, Eichendorff,

Fontane und Bismarck, um nur einige

zu nennen. Bei Kaffee, Tee und Torte

und einem traumhaften Blick über das

Harzvorland ging dieser erlebnisreiche Tag

zu Ende.

Dank an alle Teilnehmer und an Frau

Entzeroth-Ehlers für die Fotos!

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


156

Exkursion „Lüneburg – eine Perle

unter den Hansestädten.

NatUrgeschichtliche Exkursion VIII“

1. September 2018

Wolfgang Irrlitz

Exkursionsbericht: Lüneburg – eine Perle unter

den Hansestädten

Abb. 1 Vom Kalkberg hat man einen schönen

Blick über Lüneburg mit den Türmen von St.

Nicolai, St. Michaelis und St. Johannis

Ein vollbesetzter Bus brachte uns bei

schönstem Ausflugswetter nach Lüneburg.

Erster Exkursionspunkt war der geologisch

und geschichtlich wichtige Ort für

die weitere Bedeutung der Stadt, der sog.

Kalkberg. In Wirklichkeit besteht er fast

vollständig aus Anhydrit und Gips. Dieser

heute 56,3 m üNN hohe markante

Berg am Rande der Stadt war entscheidend

für ihre weitere Entwicklung. Der

Kalkberg ist, geologisch gesehen, der sog.

Gipshut eines bis an die Oberfläche auf

gedrungenen Salzstocks. Solches Aufdringen

kommt nur selten vor, ist u.a. aber

auch in Bad Segeberg zu sehen. Gebildet

wurde das Salz in der sog. Zechsteinzeit

(vor ca. 250 Mio. Jahren), als aus einem

sich über den norddeutschen Raum bis in

die Nordsee und nach Polen erstreckenden

stark salzhaltigen Meer mehrere 100

m dicke Salzablagerungen entstanden. Im

Lüneburger Raum ist das aufgedrungene

Salz aber schon lange durch Kontakt mit

dem Süßwasser der Oberfläche aufgelöst

worden. Verblieben sind stark salzhaltige

Wässer im Untergrund. Das Salz daraus

zu nutzen, in Zeiten, in denen Salz noch

als „weißes Gold“ galt, hat die Stadt Lüneburg

im Mittelalter zu einem der reichsten

und bedeutendsten Orte in Nordeuropa

gemacht. In sog. Salzsiedereien wurde das

salzhaltige Tiefenwasser eingedampft, natürlich

mit einem Riesenbedarf an Brennholz.

Die heutige Landschaftsform der

Lüneburger Heide ist hierdurch erst entstanden,

indem der ursprüngliche weit

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Exkursionsbericht: Lüneburg – eine Perle unter den Hansestädten

157

Abb. 2 Das mittelalterliche Rathaus Lüneburgs

hat 1720 auf der Marktplatzseite eine prachtvolle

barocke Fassade erhalten.

Abb. 3 Die breite Straße Am Sande mit den schönen

Giebelhäusern wird von der Kirche St. Johannis

im Hintergrund dominiert

verbreitete Wald abgeholzt wurde und sich

Heidekraut ausbreitete. Die Förderung der

Salzsole und damit Auslaugung des Untergrunds

führte in Lüneburg dazu, dass Teile

der Altstadt dauerhaft von Bodensenkungen

betroffen sind. Folge davon sind Schäden

an vielen Bauwerken.

Der Kalkberg, also der Gipshut, diente

den Lüneburger Bürgern als Baumaterial.

Festgestein ist bekanntermaßen im norddeutschen

Raum Mangelware. So ist der

ursprünglich 80 m üNN hohe Berg heute

zu einem weitgehend ausgeräumten Zahn

verkümmert. Immer noch eindrucksvoll

ist aber der Blick vom höchsten Punkt auf

die nahe Stadt (Abb. 1). Von 951 bis 1371

stand auf dem Gipfel des Kalkbergs eine

Burg, zunächst vom Adelsgeschlecht der

Billinger, dann von den Fürsten Lüneburg-

Braunschweig genutzt, ist sie heute leider

nur noch eine Ruine.

Im Anschluss an den Besuch des Kalkbergs

ging es ins Zentrum der Stadt, vorbei

an der alten Michaeliskirche und einem gerade

an diesem Tag wundervoll gestalteten

mittelalterlichen Markt mit vielen Zeugnissen

aus dem damaligen Leben der Stadt.

Ziel war das bedeutende Rathaus von Lüneburg,

eines der ältesten und größten im

deutschen Kulturraum (Abb. 2). Der Bau

des Gebäudes begann um 1230, über Jahrhunderte

hinweg wurde es immer wieder

erweitert und ist heute noch Hauptsitz von

Rat und Verwaltung der Hansestadt Lüneburg.

Dank fachlicher Kontakte unseres Exkursionsleiters

Dr. Veil konnten wir neben

den vielen mittelalterlichen Prachträumen

und Kulturschätzen des Rathauses auch

die sonst unzugänglichen Katakomben in

der Tiefe besichtigen. Durch die schöne

Altstadt von Lüneburg (Abb. 3) mit der

Nikolai- und Johanniskirche ging es anschließend

zum sehenswerten Salzmuseum.

Eine fachkundige Führung unterrichtete

uns über die Entstehung und Nutzung des

„weißen Goldes“. Manch einer nahm neben

schönen Erinnerungen auch eine Original-Salzprobe

mit nach Hause. Wieder

ein inhaltsvoller Ausflug der NGH!

Ich danke dem Ehepaar Roeser für die

Bilder.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


158

Exkursion „Von der Rübe zum Kristallzucker

in nur 12 Stunden – Die Zuckerfabrik

Nordstemmen“

6. Oktober 2018

Dieter Schulz

Exkursionsbericht: Von der Rübe zum

Kristallzucker – Die Zuckerfabrik

Nordstemmen

Abb. 1 Zuckerfabrik Werk Norstemmen.

Bild: Nordzucker.

Am 6. Oktober 2018 besuchte die Naturhistorische

Gesellschaft Hannover

mit 40 Teilnehmern die Zuckerfabrik

Nordstemmen, die zu Nordzucker gehört.

Nordzucker produziert europaweit seit

über 180 Jahren Zucker aus Rüben. Zum

Unternehmen gehören 5 deutsche Werke

in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt

sowie Zuckerfabriken in Dänemark, Finnland,

Litauen, Polen, Schweden und der

Slowakei.

Das Werk in Nordstemmen wurde

1865 erbaut und im Jahr 2003 von

der Nordzucker AG übernommen (Abb.

1). Neben dem Werk in Uelzen, dient

Nordstemmen als zweiter zentraler Standort

der Zuckerherstellung für die Sweet-

Family-Handelsmarken. Hier werden neben

Raffinade und Puderzucker für den

Haushaltsbereich auch Grundsorte, Sandzucker

und einige andere Sonderspezifikationen

für Industrie und Einzelhandel

produziert. Hinzu kommen die Bereitstellung

für die Weiterverarbeitung in der

Lebensmittelindustrie sowie die Herstellung

und Verpackung von Puderzucker für

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Exkursionsbericht: Von der Rübe zum Kristallzucker – Die Zuckerfabrik Nordstemmen

159

Industriekunden. Als Nebenprodukte werden

Melasse, Pellets, Pressschnitzel und

Carbokalk als Düngemittel für die Landwirtschaft

hergestellt.

Im März 2001 wurde in Nordstemmen

ein Flüssigzucker-Werk in Betrieb genommen.

Seitdem werden ganzjährig verschiedene

Sorten Flüssigzucker, Mischungen

mit flüssigen und kristallinen Komponenten,

Fondant, Fruktose und Bienenfuttersirup

und Bienenfutterteig produziert.

Die gesamte Nordzucker-Gruppe

produzierte während der Kampagne

2017/2018 2,7 Millionen Tonnen Zucker.

Über 30 000 Landwirte pflanzen in

Deutschland Zuckerrüben an. Die Rübe

bildet aus Wasser (aus dem Boden), Kohlendioxid

(aus der Luft) und Sonnenenergie

Zucker und speichert ihn. In der Zuckerfabrik

wird dieser mit heißem Wasser

aus der Rübe herausgelöst und auskristallisiert

– das ist die Kurzform.

Nordstemmen

1600 landwirtschaftliche Betriebe liefern

ca. 1,7 Millionen Tonnen Zuckerrüben

nach Nordstemmen. Das Einzugsgebiet

des Rübenanbaus liegt zwischen Bremen

im Norden und Göttingen im Süden. Im

Osten wird das Gebiet in etwa von der A7/

A27 Bremen-Göttingen und im Westen

etwa von Sulingen, Minden, Hameln und

Höxter begrenzt (Abb. 2).

Von der Rübe zum Zucker

Im März und April werden die Rübensamen

gesät. Ab September werden die

Rüben schonend mit einem Rübenernter

geerntet. Dabei werden die Blätter und ein

kleiner Teil des Rübenkopfes abgeschlagen,

gehäckselt und auf dem Feld als Gründünger

eingearbeitet. Die Rüben werden

dann fast ausschließlich mit speziellen

Abb. 2 Einzugsgebiet Rübenanbau für das

Werk Nordstemmen. Grafik: Nordzucker.

Kipp-LKW zur Zuckerfabrik transportiert.

Wenige Bauern liefern noch selbst

mit Trecker ihre Rüben an. Die genannten

LKW wie auch alle weiteren Großgeräte

werden von Maschinenringen zur

Verfügung gestellt, die die gesamte Logistik

übernehmen. In der Fabrik werden die

LKW zunächst voll und im Anschluss leer

gewogen. Außerdem werden Stichproben

entnommen (Prüfung des Zuckergehalts

und des Schmutzanteils). Danach errechnet

sich der Preis für den Landwirt.

Im Werk werden anhaftende Erde, Steine

und Blätter entfernt. Nach intensivem

Waschen werden die Rüben zu Schnitzeln

geschnitten, mit Wasser versetzt und

in 70 °C heißem Wasser erhitzt. Dadurch

löst sich der Zucker aus den Schnitzeln –

es entsteht der Rohsaft. Die extrahierten

Schnitzel werden noch einmal gepresst und

getrocknet und als Viehfutter verwendet.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


160 Dieter Schulz

Während der Rohsaft-Reinigung wird

„Kalkmilch“ (aus gebranntem Kalk und

Dünnsaft) zugesetzt, um Nichtzuckerstoffe

wie Kalium, Natrium und Pflanzensäuren

(Oxalsäure) und Eiweißstoffe

daraus zu eliminieren – so entsteht klarer

Dünnsaft (enthält noch ca. 80 % Wasser).

Der überschüssige Kalk wird durch Einleiten

von Kohlendioxid zu Calciumcarbonat

(Carbokalk) – das nennt man Carbonation

oder Saturation. Dieser Kalkdünger wird

an die Landwirte weitergeben und dient

zur Erhaltung eines gesunden Bodens.

Nach der Abpressung wird der Dünnsaft

eingedampft, bis nur noch ca. 25 % Wassergehalt

vorliegt – so entsteht der Dicksaft

(ca. 70 % Zuckergehalt). Durch weiteres

Kochen wird der Dicksaft weiter

eingedampft bis sich Zuckerkristalle bilden.

Der auskristallisierende Zucker wird

durch Zentrifugation vom Sirup (Melasse)

getrennt – der Kristallzucker entsteht.

Braune Melasse bleibt zurück, sie wird gemeinsam

mit den abgepressten Schnitzeln

getrocknet und als Viehfutter genutzt oder

findet Verwendung für alkoholische Gärung.

Der nun fertige Zucker wird noch einige

Tage getrocknet und dann in großen Silos

gelagert. Später wird er weiterverarbeitet

oder in großen Säcken an Großkunden

oder in handlichen 1-Kilo-Tüten für den

Endverbraucher verpackt.

7 Rüben ergeben 1 kg Zucker.

Der Zuckerverbrauch pro Kopf und Jahr

in Deutschland liegt bei Frauen bei ca. 18

kg und bei Männern bei ca. 20 kg und ist

seit Jahrzehnten relativ konstant geblieben.

Ein wenig Botanik und Historie

Beta vulgaris L. ssp. vulgaris var. altissima

gehört zu den Gänsefußgewächsen

(Chenopodiaceae, die neuerdings zu den

Amaranthaceae gezählt werden).

Bis ins hohe Mittelalter konnte man bei

uns nur mit Honig süßen. Der Rohrzucker

kam erst nach der Entdeckung des Seewegs

nach Asien in unser Land (Stichwort:

Vasco da Gama).

1747 erkannte der Apotheker A. S.

Markgraf in Berlin, dass die schwach süß

schmeckende Substanz in den Runkelrüben

(Beta vulgaris var. crassa) mit dem

Rohrzucker identisch war. Diese Runkelrüben

hatten einen Zuckergehalt von 1,6

bis 3 %. Er wies darauf hin, dass der Zucker

auch aus den Rüben isoliert werden

könne.

1786 begann F. G. Archard Zucker aus

den Rüben zu isolieren und züchtete durch

Auslese zuckerreiche Rüben mit einem

Zuckergehalt bis zu 8 %.

1802 entstand in Cunern in Schlesien

die erste Zuckerfabrik.

Als Wildpflanze und damit als Ursprungspflanze

der Zuckerrübe gilt Beta

vulgaris ssp. maritima (Wilde Beete),

die an den Küsten von Belgien, Holland

Schleswig-Holstein und Dänemark und

auch auf Helgoland vorkommt. Diese hat

noch keine rübenartige Wurzel.

Die Zuckerrübe ist zweijährig. Im 2. Jahr

treibt sie einen bis zu 2 m hohen Blütenstand

und nutzt dafür die in der Rübe gespeicherten

Kohlenhydrate. Gelegentlich

kann es vorkommen, dass der Blütentrieb

bereits im 1. Jahr erscheint (Schosser) –

davon ist der Landwirt ganz und gar nicht

erbaut.

1. Jahr Blattrosette und Rüben-Wurzel

2. Jahr Blütenstand (bis zu 2 m hoch

mit Frucht- und Samenbildung)

Die Tatsache, dass bei den Gänsefußgewächsen

stets drei Früchte In einem

Teilblütenstand entstehen, die bei der

Reife im Verband bleiben, war der frühere

Anbau (nach dem 2. Weltkrieg) sehr

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


Exkursionsbericht: Von der Rübe zum Kristallzucker – Die Zuckerfabrik Nordstemmen

161

Fotosynthese

Kohlendioxid

Sonnenlicht Wasser Sauerstoff

Futtermittel

Mark

Dünger

Nichtzuckerstoffe

Ca. 18 Prozent Zucker

Diverse

Zuckersorten

Gereinigtes

Wasser

75 Prozent Wasser

Abb. 3 Die Zuckerrübe wird zu 100 Prozent

verwertet. Grafik: Nordzucker.

arbeitsintensiv, da immer mehrere Keimlinge

an einer Stelle entstanden. Die Rüben

mussten per Hand verzogen werden –

eine mühsame Arbeit.

Durch Zucht gibt es nun schon seit langer

Zeit monokarpes Saatgut. Die Frucht,

bzw. der Samen kann am Saatgut nicht

mehr ohne weiteres erkannt werden, da er

eine Hülle aus Nährstoffen und Herbiziden

erhält, um ein sicheres Keimen und

Anwachsen zu gewährleisten.

Der Zuckergehalt liegt heute bei ca.

18 %.

Das Wasser der Rüben (ca. 75 % des

Rübenkörpers) wird für Waschvorgänge

während der Zuckerherstellung benutzt.

Das gleiche gilt für das „Waschwasser“ der

Rüben vor dem Zerschneiden, das in einer

betriebseigenen Kläranlage gereinigt wird

und Trinkwasserqualität besitzt.

Nimmt man alles zusammen, das Häckseln

der Rübenblätter für die Gründüngung

auf dem abgeernteten Feld, die

Wiederbenutzung des Rübenwassers im

Zuckerherstellungsprozess, die Verarbeitung

der abgepressten Rübenschnitzel zu

Pellets als Viehfutter wie auch die Melasse,

kann gesagt werden, dass 100 % der Zuckerrübe

verwendet werden (Abb. 3). Es

geht nichts verloren. Hinzu kommt, dass

auch die im Zuckerherstellungsprozess

benutzte Kalkmilch durch Einleitung von

Kohlendioxid zu Carbokalk führt und so

ebenfalls den Landwirten zu Gute kommt.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


162

Heiner Engel

& 21. März 1959 5. Dezember 2017

Ein Nachruf von Jann Wübbenhorst

Heiner Engel wurde am 21.03.1959 in

Bevensen geboren. Nach Abitur und Zivildienst

begann er 1979 sein Studium

der Biologie und Erdkunde für das Höhere

Lehramt an der Universität Hannover.

Da die Berufsaussichten für Lehrer

damals nicht besonders gut waren, entschied

er sich nach dem Staatsexamen für

eine Promotion im Fach Zoologie an der

Tierärztlichen Hochschule Hannover und

legte 1990 seine Arbeit „Untersuchungen

zur Autökologie von Unio crassus (Philipsson)

in Norddeutschland“ vor. Seit 1988

arbeitete er bereits als pädagogischer Angestellter

im Zoologischen Garten Hannover,

von 1990 bis 1991 war er dann Leiter

des damaligen Naturschutzseminars

Sunder (heute NABU Gut Sunder). 1992

kehrte er als Kurator für Huftiere, Antilopen,

Vögel und Reptilien an den Zoo Hannover

zurück, wo er seit 1995 als Zoologischer

Leiter tätig war. 1999 wurde er in

den Prüfungsausschuss IHK Hannover-

Hildesheim berufen, seit 2000 hatte er jahrelang

einen Lehrauftrag an der Universität

Hannover inne.

Im Zoo Hannover war er an der Entwicklung

der Idee eines modernen, ebenso

am Erlebnis- und Bildungswert für den

Besucher wie am Tierschutz und internationalen

Artenschutz orientierten Zoos beteiligt.

Zahlreiche seiner Ideen flossen in

die Gestaltung des heute vielerorts als beispielhaft

geltenden „Erlebnis-Zoos“ ein.

Eine Zooführung mit ihm war aufgrund

seiner Begeisterungsfähigkeit und Originalität

in der Tat immer ein bleibendes

Erlebnis. Sein spezielles Engagement galt

aber auch der Verantwortung Zoologischer

Gärten für die Erhaltung vom Aussterben

bedrohter Tierarten, wobei ihm die Antilopen

Nordafrikas besonders am Herzen

lagen.

Heiner Engel war Koordinator des Europäischen

Erhaltungszuchtprogramms

für die Mendesantilope (Addax nasomaculatus).

Von 1994 bis 2007 wurden auf seine

Initiative insgesamt rund 100 Mendesantilopen

aus Erhaltungszuchten (u.a. aus

dem Zoo Hannover) in den Nationalparks

Souss Massa (Marokko) und Bou Hedma

(Tunesien) wieder angesiedelt. Die Auswilderung

war erfolgreich und führte zur

Entwicklung einer stabilen Population in

den Nationalparks. Heiner setzte sich mit

großem Engagement für den Natur- und

Artenschutz in der Sahararegion ein und

war Gründungsmitglied sowohl der Sahelo-Saharan

Interest Group (SSIG) als auch

des Sahara Conservation Fund (SCF), die

sich dem Schutz von Mendesantilope, Säbelantilope

(Oryx dammah), Nordafrikanischem

Strauß (Struthio c. camelus), Damagazelle

(Gazella dama) und weiterer Arten

der Sahararegion widmen.

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


163

Ich lernte Heiner Engel 1990 kennen,

als ich meinen Zivildienst am damaligen

„Naturschutzseminar Gut Sunder“ des

NABU antrat. Mit seiner Offenheit, seiner

Zugewandtheit, seiner Kreativität, seinem

Humor und seinem Arbeitsethos wurde er

für mich und andere, die wir nur etwa 10

Jahre jünger waren als er, zu einem Vorbild

und wenig später zu einem guten Freund.

Obwohl beruflich vor allem mit zoologischen

Themen befasst, war Heiner mit fast

noch größerer Leidenschaft botanisch interessiert.

Zusammen mit seiner Frau Monika

verwandelte er den eigenen Garten in

Wunstorf in jahrelanger Arbeit (nicht selten

in den frühen Morgenstunden noch vor

der Fahrt in den Zoo) in einen „Biodiversitäts-Hotspot“

und ein gärtnerisches Kleinod.

Später erfüllte er sich mit dem eigenen

Kakteen-Gewächshaus im Garten einen

Jugendtraum – seine Sammlung seltener

Kakteenarten, die er erfolgreich vermehrte,

würde auch einem Botanischen Garten

zur Ehre gereichen. Über seine Liebe zur

Natur und zu allen lebenden Dingen hinaus

war Heiner Engel auch vielfältig kulturell

interessiert, u. a. an jüdischer Musik,

Literatur und Dichtung. Er liebte Lieder

und Gedichte und konnte zu beinahe jedem

Gesprächsthema ein anregendes Buch

aus den endlosen Regalen des Engelschen

Wohnzimmers hervorholen.

Anfang Januar 2013 erkrankte Heiner

Engel schwer an einem Hirntumor. Die

behandelnden Ärzte hatten ihn bereits

beinahe aufgegeben, doch Heiner kämpfte

sich noch einmal ins Leben zurück. An

eine Fortführung seiner beruflichen Tätigkeit

war jedoch nicht mehr zu denken. Mit

der Hilfe seiner Familie und seiner Freunde

konnte er sich, nun auf ständige Medikamenteneinnahmen

und wiederkehrende

Therapien angewiesen, einen Teil seines

alten Lebens zurückholen und sich weiter

den Menschen und den Dingen widmen,

die ihm besonders viel bedeutet haben.

Wenn man ihn nur für kurze Zeit traf und

wenn im Gespräch sein großes Wissen,

seine Belesenheit, sein Humor und seine

Schlagfertigkeit wieder aufblitzten, konnte

man fast glauben, er sei beinahe wieder

derselbe wie vor diesem Schicksalsschlag.

Durch seine Vermittlung konnte ich im

Oktober 2017 einen Vortrag bei der NGH

halten, der sich mit Artenvielfalt in Gärten

beschäftigte und damit mit zwei Themenfeldern,

die ihm ebenso wie mir immer

besonders am Herzen lagen. Ein nächstes

Treffen war wie in den 25 Jahren zuvor

zum Beginn der Adventszeit geplant. Dazu

kam es nicht mehr, da sich Heiners Gesundheitszustand

zusehends verschlechterte.

Am 05.12.2017 ist Heiner Engel an seiner

Erkrankung gestorben.

Allen, deren Leben er bereichert hat,

wird seine Gegenwart fehlen.

Lebewohl, lieber Freund!

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


164

Die Naturhistorische Gesellschaft Hannover

Gesellschaft zur Pflege der Naturwissenschaften · Gegründet 1797

Die Naturhistorische Gesellschaft Hannover versteht sich als eine Vereinigung

von Menschen jeden Alters mit besonderem Interesse an der Natur und

den Naturwissenschaften.

Ein kurzer Blick zurück

Im Jahr 1797 gründeten 25 Herren

und eine Dame aus der Bürgerschaft der

Stadt Hannover eine Lesegesellschaft.

Sie schafften gemeinsam kostspielige Bücher

an, die den Mitgliedern dann reihum

zur Verfügung standen. Daraus entstand

im Laufe des 19. Jahrhunderts eine

Initiativen der NGH

· Treibende Kraft für die Errichtung des

„Museums für Kunst und Wissenschaft“

(das heutige Künstlerhaus)

· Gründungsmitglied des Niedersächsischen

Landesmuseums Hannover

· Gründung des Zoologischen Gartens

Die NGH heute

Nach 220 Jahren verfolgt die NGH

immer noch die gleichen Ziele.

Sie bedient sich dabei allerdings zeitgemäßer

Methoden und beschäftigt sich

mit aktuellen Fragen. In Berichten,

Exkursionen und Vorträgen geht es um

naturwissenschaftliche Themen –

unter anderem aus der

umfangreiche Bibliothek.

Aus dieser Lesegesellschaft ging 1801

die „Naturhistorische Gesellschaft in

Hannover“ hervor. Sie hatte sich das Ziel

gesetzt, „bei allen Bevölkerungsschichten

eine genauere Kenntnis der Naturpro ducte

hiesiger Lande zu befördern“.

· Bau eines Schlachthofs in Hannover

· Mitwirkung in einer „Commission für

die allgemeine Gesundheitspflege“

· Gründungsmitglied des Niedersächsischen

Heimatbundes

· Aufstellung des Naturdenkmals

„Schweden-Findling“ am Deisterkamm

· Geologie

· Paläontologie

· Archäologie

· Botanik

· Zoologie

· Landschaftskunde

· Umweltforschung

· Technik

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


165

Die Naturhisto rica – Berichte der Naturhistorischen

Gesellschaft Hannover ist das

wissenschaftliche Sprachrohr der NGH.

Sie befasst sich mit den verschiedensten

Bereichen der Naturwissenschaften und

nicht zuletzt mit dem Schutz der Umwelt.

Dabei werden auch die besonderen

Verhältnisse in Hannover berücksichtigt.

Besonders begehrt sind die geologischen

Wanderkarten.

Der Natur unmittelbar begegnen kann

man auf den etwa zehn pro Jahr stattfindenden

Exkursionen. Vom Frühjahr bis in

den Herbst führen sie zu den unterschiedlichsten

Zielen und werden von Fachleuten

geleitet. Dabei kommen biologische,

geologische sowie techno logische Themen

zur Sprache, aber auch kulturgeschichtlich

interessante Stätten werden besichtigt.

Die NGH möchte dazu beitragen, über

die Notwendigkeit und die Ergebnisse

naturwissenschaftlicher Forschung zu

informieren. Dies geschieht vor allem

durch Vorträge im Winterhalbjahr, denen

sich spannende Diskussionen anschließen.

Vorstand und Beirat

Vorstand

1. Vorsitzender: Dr. Dieter Schulz

2. Vorsitzender: Prof. Dr. Klaus D. Jürgens

Schatzmeister: Arne Bents

Schriftführer:

Dr. Franz-Jürgen Harms (Geowissensch.)

Prof. Dr. Hansjörg Küster (Botanik,

Ökologie)

Dr. Annette Richter (Paläontologie,

Geologie, Zoologie)

Dr. Dieter Schulz (Biologie)

Beirat

Dr. Jochen Erbacher

Prof. Dr. Bernd Haubitz

Dr. Wolfgang Irrlitz

Dr. Florian Klimscha

Günter Oberjatzas

Dr. Hans Albert Roeser

Ole Schirmer

Ludger Schmidt

Dr. Renate Schulz

Naturhistorische Gesellschaft Hannover

Gesellschaft zur Pflege

der Naturwissen schaften

Willy-Brandt-Allee 5

30169 Hannover

Germany

Telefon (0511) 9807-871

Fax (0511) 9807-879

E-Mail: info@N-G-H.org

www.N-G-H.org

Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018


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Herrenhausen und sieben kurze Wege

im Großen Garten

von Prof. Dr. Joachim Knoll

In diesem Jubiläumsband 150 widmet sich

der Autor einem der schönsten europäischen

Barockgärten auf spezielle Weise. Sieben

Spaziergämge führen zu bekannten und weniger

bekannten Stellen, immer unterhaltsam,

immer fundiert und gewürzt mit Liebe

zum historischen Detail, vermischt mit ein

wenig Ironie.

Naturhistorica 150, 152 S., 12 €

Stechimmen in Gefahr!

Naturhistorica 158/159

• Erfassung von Stechimmen und Umsetzung

von Artenschutzmaßnahmen

• Wintergesellschaften der Waldohreule in

der südlichen Region Hannover

• Berthold Carl Seemann – Vom Gärtnergehilfen

in Herrenhausen zum Weltreisenden

• Doppelkopf (Dizephalie) im Tierreich

• Niederterrassen-Kiese aus Hannover

• Eiszeitliche Terrassen-Sedimente der Weser

und Leine

• Geologie im Bereich Höver–Bilm–Wassel

• Der Jura im Stadtgebiet von Hannover

• Eisenkernkonkretionen aus dem Gezeitenbereich

der Nordsee

209 S.



Naturhistorica 160 · 2018

Die Themen in diesem Heft:

· Salz verändert Landschaften, sowohl oberirdisch

durch Abraumhalden, als auch durch Lösung des

Salzes im Untergrund. Das kann zu Subrosionssenken

führen, die mit Beispielen am Harzrand

anschaulich dargestellt werden.

· Aus der Sammlung Harms des Niedersächsischen

Landesmuseums Hannover wurde der stratigrafische

Themenbereich „Oligozän“ ausgewählt. Die

Autorin führte alle notwendigen Arbeiten für die

Inventarisierung der Objekte durch. Das Ergebnis

steht in vorbildlicher Weise für Synergien zwischen

NGH, Landesmuseum und den beteiligten

Universitäten.

· Rezente und fossile Moschusochsenschädel aus

dem Landesmuseum, dem Dinopark Münchehagen

und dem Landesamt für Bergbau, Energie

und Geologie wurden untersucht, verglichen und

Alters- und Geschlechtsbestimmungen vorgenommen

– ein interinstitutionelles Forschungsprojekt.

· Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura Niedersachsens

sind selten. Die Autoren beschreiben

Funde aus dieser Formation von Hildesheim und

nehmen Gattungs- bzw. Familienzuweisungen vor.

· Kennen Sie das Schottische Moorhuhn? Wenn

nicht, lesen Sie den Artikel „Schottisches Flugwild

in Ostfriesland“. Einbürgerungsversuche, deren

Misslingen und der Landschaftswandel im ausgehenden

19. Jahrhundert werden angesprochen.

· Neue Serie: Exkursionen aus dem Jahr 2018 –

Frischen Sie Ihre Erinnerungen auf.

Josef Paul

Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-

Bergland (Känozoikum, Niedersachsen)

7

Lea Weßel

Die Oligozän-Sammlung Harms des

Landesmuseums Hannover

Ein Tauchgang durch die Ur-Nordsee

43

Jannik Weidtke

Moschusochsenschädel (Ovibos moschatus) aus

dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark

Münchehagen – Vergleich und Interpretation

69

Sven Sachs, Christian J. Nyhuis

Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren

Jura von Hildesheim

115

Burkhard Schäfer

Schottisches Flugwild in Ostfriesland

Ein Beitrag zur frühen Geschichte

des Knyphauser Waldes

129

Aufstellung des Schweden-Findlings

am Deisterkamm am 6. Mai 2018

136

Exkursionsbericht: „1001 Rosenblüte in einem

Stadtgarten in Ricklingen“ (02. und 30.06.2018)

139

Exkursionsbericht: Geest, Marsch, Watt

und Meer – Nordsee, Weser und Elbe bei

Cuxhaven (15. – 17.06.2018)

148

Exkursionsbericht: Von Hexen, Teufeln und romanischen

Kirchen bei Quedlinburg (11.08.2018)

154

Exkursionsbericht: Lüneburg – eine

Perle unter den Hansestädten. (01.09.2018)

156

Exkursionsbericht: Die Zuckerfabrik

Nordstemmen (06.10.2018)

158

www.Naturhistorica.de ISSN 1868-0828

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