Leseprobe: Dies & Das aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts 2019/2020
Mit diesem Band setzen wir die Reihe „Dies und Das aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts“ nahtlos anschließend an die Bände 1 bis 3 fort. Band 4 enthält 93 ausgewählte Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, die im Zeitraum 2019 bis Dezember 2020 veröffentlicht wurden. Vorgestellt und besprochen werden 49 Entscheidungen aus dem kollektiven Arbeitsrecht und 44 Entscheidungen aus dem Individualarbeitsrecht. Beibehalten wurde die Interviewform, die sich bewährt hat. In Frage und Antwort werden nicht nur die Entscheidungen und Sachverhalte dargestellt und erläutert. Großer Wert wurde auf die Wiedergabe der allgemein geltenden Rechtsgrundsätze gelegt und auf die vom Bundesarbeitsgericht vorgegeben Definitionen der entscheidungserheblichen Rechtsbegriffe. Der Band 4 gibt aus diesen Gründen nicht nur einen schnellen Überblick über die ausgewählte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, sondern kann als Nachschlagewerk benutzt werden und ist hilfreich für die Vermittlung von Grundkenntnissen des Arbeitsrechts. Band 4 ist gleichermaßen für Rechtsanwälte, Verbandsvertreter, Personalabteilungen, Betriebsräte und Studenten geeignete Lektüre.
Mit diesem Band setzen wir die Reihe „Dies und Das aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts“ nahtlos anschließend an die Bände 1 bis 3 fort.
Band 4 enthält 93 ausgewählte Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, die im Zeitraum 2019 bis Dezember 2020 veröffentlicht wurden. Vorgestellt und besprochen werden 49 Entscheidungen aus dem kollektiven Arbeitsrecht und 44 Entscheidungen aus dem Individualarbeitsrecht.
Beibehalten wurde die Interviewform, die sich bewährt hat. In Frage und Antwort werden nicht nur die Entscheidungen und Sachverhalte dargestellt und erläutert. Großer Wert wurde auf die Wiedergabe der allgemein geltenden Rechtsgrundsätze gelegt und auf die vom Bundesarbeitsgericht vorgegeben Definitionen der entscheidungserheblichen Rechtsbegriffe.
Der Band 4 gibt aus diesen Gründen nicht nur einen schnellen Überblick über die ausgewählte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, sondern kann als Nachschlagewerk benutzt werden und ist hilfreich für die Vermittlung von Grundkenntnissen des Arbeitsrechts.
Band 4 ist gleichermaßen für Rechtsanwälte, Verbandsvertreter, Personalabteilungen, Betriebsräte und Studenten geeignete Lektüre.
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Raffael Wohlfarth
Dies & Das aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
2019/2020
Raffael Wohlfarth
Dies & Das
aus der Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts
2019/2020
hansdieter wohlfarth verlag
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-947133-15-4
© 2021 hansdieter wohlfarth verlag
Alle Rechte vorbehalten
Spemannstraße 35
70186 Stuttgart
Deutschland
info@edition-wohlfarth.net
☛ www.edition-wohlfarth.net
Text: Hans-Dieter Wohlfarth, Raffael Wohlfarth
Konzeption, Satz, Layout & Covergestaltung:
Raffael Wohlfarth, Augsburg
☛ www.ra-wo.net
Druck: WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang
Inhalt
Vorwort.....................................................................................................................................7
Teil A: Kollektives Arbeitsrecht.........................................................................9
Kapitel 1: Wahl des Betriebsrats...........................................................................................9
Kapitel 2: Mitglieder des Betriebsrats...............................................................................17
Kapitel 3: Betriebsratsgremien...........................................................................................25
Kapitel 4: Auskunftsanspruch des Betriebsrats...............................................................35
Kapitel 5: Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten...............................................47
Kapitel 6: Arbeits- und Gesundheitsschutz.....................................................................59
Kapitel: 7 Personelle Angelegenheiten.............................................................................71
Kapitel 8: Betriebsvereinbarung.........................................................................................89
Kapitel 9: Einigungsstelle..................................................................................................103
Kapitel 10: Sozialplan......................................................................................................... 111
Kapitel 11: Wirtschaftsausschuss.....................................................................................121
Kapitel 12: Recht der Schwerbehindertenvertretung...................................................127
Teil B Individuelles Arbeitsrecht................................................................... 131
Kapitel 1: Vergütung...........................................................................................................131
Kapitel 2: Urlaub.................................................................................................................157
Kapitel 3: Betriebsübergang..............................................................................................177
Kapitel 4: Kündigungsrecht..............................................................................................193
V
Kapitel 5: Befristung.......................................................................................................... 209
Kapitel 6: Arbeitnehmerdatenschutz...............................................................................219
Kapitel 7: Recht der Schwerbehinderten....................................................................... 223
Vorabentscheidungsersuchen EuGH............................................................239
Entscheidungen zur betrieblichen Altersversorgung................................... 241
Anhang..................................................................................................................................243
VI
Vorwort
Mit diesem Band setzen wir die Reihe „Dies und Das aus der Rechtsprechung
des Bundesarbeitsgerichts“ nahtlos anschließend an die Bände 1 bis 3 fort.
Band 4 enthält 93 ausgewählte Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, die
im Zeitraum 2019 bis Dezember 2020 veröffentlicht wurden. Vorgestellt und besprochen
werden 49 Entscheidungen aus dem kollektiven Arbeitsrecht und 44 Entscheidungen
aus dem Individualarbeitsrecht.
Beibehalten wurde die Interviewform, die sich bewährt hat. In Frage und Antwort
werden nicht nur die Entscheidungen und Sachverhalte dargestellt und erläutert.
Großer Wert wurde auf die Wiedergabe der allgemein geltenden Rechtsgrundsätze
gelegt und auf die vom Bundesarbeitsgericht vorgegeben Definitionen der entscheidungserheblichen
Rechtsbegriffe.
Der Band 4 gibt aus diesen Gründen nicht nur einen schnellen Überblick über die
ausgewählte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, sondern kann als Nachschlagewerk
benutzt werden und ist hilfreich für die Vermittlung von Grundkenntnissen
des Arbeitsrechts.
Band 4 ist gleichermaßen für Rechtsanwälte, Verbandsvertreter, Personalabteilungen,
Betriebsräte und Studenten geeignete Lektüre.
Die Verfasser im Januar 2021
Teil A: Kollektives Arbeitsrecht
Kapitel 1: Wahl des Betriebsrats
Thema: Betriebsratswahl - Wahlvorstand - Bestellung durch Arbeitsgericht
R. W.: Der Weg zur Errichtung eines Betriebsrats ist oft ein beschwerlicher und
langwieriger, wie der Beschluss des 7. Senats vom 20. Februar 20191 eindringlich
beweist, selbst bei einem Betrieb mit gerade einmal 23 Arbeitnehmern, vielleicht
gerade deshalb. Ver.di und drei Arbeitnehmer des Betriebes luden zu einer Wahlversammlung
zur Wahl eines Wahlvorstands ein, an der 21 Arbeitnehmer teilnahmen.
Acht stellten sich zur Wahl für den aus drei Personen bestehenden Wahlvorstand.
Für den Kandidaten, der am meisten Stimmen auf sich vereinigen
konnte, wurden zehn Stimmen abgegeben. Ein zweiter Wahlgang wurde nicht
durchgeführt. Daraufhin beantragten vier Arbeitnehmer die Bestellung eines Wahlvorstands
mit drei Mitgliedern und zwei Ersatzmitgliedern beim Arbeitsgericht.
Die Arbeitgeberin beantragte die Abweisung des Antrags mit der Begründung, es
hätte auf der Betriebsversammlung ein weiterer Wahlvorgang stattfinden müssen.
Der 7. Senat musste sich mit vielerlei prozessualen Fragen, insbesondere der Antragsberechtigung,
beschäftigen, auf die wir in der gebotenen Kürze am Ende der
Besprechung eingehen werden.
RA W.: Die gerichtliche Bestellung eines Wahlvorstands in einem Kleinbetrieb wie
vorliegend bestimmt sich nach § 17a BetrVG. Da im Unternehmen weder ein
Gesamt- noch ein Konzernbetriebsrat bestand, ist der Wahlvorstand nach § 17a Nr.
3 Satz 1 iVm. § 17 Abs. 2 BetrVG in einer Betriebsversammlung von der Mehrheit
der anwesenden Arbeitnehmer zu wählen. Wählt die Betriebsversammlung
keinen Wahlvorstand, so bestellt ihn das Arbeitsgericht nach § 17a Nr. 4 iVm. §
17 Abs. 4 BetrVG auf Antrag von mindestens drei Wahlberechtigten oder einer
1 Beschluss vom 20. Februar 2019 - 7 ABR 40/17
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im Betrieb vertretenen Gewerkschaft. Ein Wahlvorstand wurde im ersten und einzigen
Wahlgang nicht gewählt, weil keiner der Kandidatinnen und Kandidaten die
erforderliche Stimmenanzahl von mindestens 11 Stimmen der anwesenden Arbeitnehmer
auf sich vereinen konnte. Es genügt nämlich nicht die Mehrheit der abgegeben
Stimmen. Erforderlich ist die Mehrheit der Stimmen der bei der Betriebsversammlung
anwesenden Arbeitnehmer. Es wurde folglich kein Wahlvorstand
gewählt.
R. W.: Muss kein zweiter Versuch unternommen werden, ehe das Arbeitsgericht die
Mitglieder des Wahlvorstands bestimmt?
RA W.: Nein. Es wäre zulässig gewesen, notfalls mehrere Wahlvorgänge durchzuführen
oder zu weiteren Wahlversammlungen einzuladen. Das ist aber nach den
Feststellungen des 7. Senats keine Voraussetzung dafür, einen Antrag auf gerichtliche
Bestellung des Wahlvorstands stellen zu können. In unserem Fall kam es auch
nicht dazu. Der Vorrang der Belegschaft des Betriebs, selbst einen Wahlvorstand
nach ihren Vorstellungen einzusetzen, wird gesichert, weil die gerichtliche Bestellung
eines Wahlvorstands nach § 17 Abs. 4 BetrVG nur erfolgen kann, wenn es
den Arbeitnehmern des Betriebs nicht gelungen ist, auf einer Wahlversammlung,
zu der ordnungsgemäß eingeladen wurde, einen Wahlvorstand zu wählen.
R. W.: Kann dieser Vorrang auch noch gesichert werden, wenn das gerichtliche Bestellungsverfahren
noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist?
RA W.: In der Tat. Den Arbeitnehmern des Betriebs bleibt es unbenommen, bis
zur Rechtskraft der durch das Arbeitsgericht erfolgten Bestellung eines Wahlvorstands
in einer weiteren Betriebsversammlung einen Wahlvorstand zu wählen. Die
Arbeitnehmer des Betriebs haben es also in der Hand, noch bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Verfahrens selbst einen Wahlvorstand zu wählen. Der 7. Senat nahm
das Verfahren zum Anlass, darauf hinzuweisen, die gerichtliche Bestellung eines
Wahlvorstands setze voraus, dass eine ordnungsgemäße Einladung zu einer Wahlversammlung
nach § 17a Nr. 3, § 17 Abs. 3 BetrVG erfolgt ist. In unserem Fall
(Wahl eines Betriebsrats im vereinfachten Wahlverfahren nach § 14a BetrVG) sind
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die Besonderheiten der Wahlordnung zu beachten. Diese sind in § 28 WO wie
folgt geregelt:
(1) Zu der Wahlversammlung, in der der Wahlvorstand nach § 17a Nr. 3 des Gesetzes
(§ 14a Abs. 1 des Gesetzes) gewählt wird, können drei Wahlberechtigte des Betriebs
oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft einladen (einladende Stelle) und Vorschläge
für die Zusammensetzung des Wahlvorstands machen. Die Einladung muss
mindestens sieben Tage vor dem Tag der Wahlversammlung erfolgen. Sie ist durch Aushang
an geeigneten Stellen im Betrieb bekannt zu machen. Ergänzend kann die Einladung
mittels der im Betrieb vorhandenen Informations- und Kommunikationstechnik
bekannt gemacht werden; § 2 Abs. 4 Satz 4 gilt entsprechend. Die Einladung
muss folgende Hinweise enthalten:
a) Ort, Tag und Zeit der Wahlversammlung zur Wahl des Wahlvorstands;
b) dass Wahlvorschläge zur Wahl des Betriebsrats bis zum Ende der Wahlversammlung
zur Wahl des Wahlvorstands gemacht werden können (§ 14a Abs. 2 des Gesetzes);
c) dass Wahlvorschläge der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Wahl des Betriebsrats
mindestens von einem Zwanzigstel der Wahlberechtigten, mindestens jedoch
von drei Wahlberechtigten unterzeichnet sein müssen; in Betrieben mit in der Regel bis
zu zwanzig Wahlberechtigten reicht die Unterzeichnung durch zwei Wahlberechtigte;
d) dass Wahlvorschläge zur Wahl des Betriebsrats, die erst in der Wahlversammlung zur
Wahl des Wahlvorstands gemacht werden, nicht der Schriftform bedürfen.
Werden diese Regeln nicht eingehalten wird nicht ordnungsgemäß eingeladen und
ein Wahlvorstand kann nicht vom Arbeitsgericht eingesetzt werden!
R. W.: Abschließend zu den prozessualen Fragen: Oftmals beenden Antragsteller
während eines laufenden Beschlussverfahrens ihr Arbeitsverhältnis, im Antrag genannte
Arbeitnehmer für das Amt des Wahlvorstands nehmen ihr Einverständnis
zurück. So war es auch im vorliegenden Verfahren. Von den vier Antragstellern beendeten
im Laufe des Beschwerdeverfahrens beim Landesarbeitsgericht zwei ihr
Arbeitsverhältnis, zwei andere traten dem Verfahren bei. Nach der Verkündung der
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Beschwerdeentscheidung teilten zwei Arbeitnehmer mit, die Aufgabe als Wahlvorstand
nicht mehr annehmen zu wollen. Während des Rechtsbeschwerdverfahrens
beim Bundesarbeitsgericht beendete ein weiterer Antragsteller sein Arbeitsverhältnis
und ein anderer nahm seinen Antrag zurück und ver.di beteiligte sich am Verfahren.
Beteiligte im Rechtsbeschwerdeverfahren waren daher formell noch sechs
Arbeitnehmer und ver.di. Die Anträge von drei Arbeitnehmern hatten keinen
Erfolg, weil diese im Verlauf des Verfahrens aus ihren Arbeitsverhältnissen mit
der Arbeitgeberin ausgeschieden waren und sie damit ihre für die gerichtliche Bestellung
eines Wahlvorstands erforderliche Antragsberechtigung verloren hatten.
Im Unterschied hierzu muss in einem Wahlanfechtungsverfahren die Wahlberechtigung
des die Betriebsratswahl anfechtenden Arbeitnehmers nur zum Zeitpunkt
der Wahl gegeben sein, so dass der spätere Wegfall der Wahlberechtigung
durch Ausscheiden aus dem Betrieb nicht zum Wegfall der Anfechtungsbefugnis
führt, es sei denn sämtliche die Wahl anfechtenden Arbeitnehmer sind aus dem
Betrieb ausgeschieden. Obwohl ein Arbeitnehmer seinen Antrag im Verfahren
zur Bestellung des Wahlvorstands zurückgenommen hat, bleibt er gleichwohl Beteiligter
des Verfahrens. Das hat seinen Grund darin, dass eine Rücknahme des
Antrags im Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 92 Abs. 2 Satz 3 ArbGG nur mit
Zustimmung der übrigen Beteiligten des Verfahrens zulässig ist. Die notwendige
Zustimmung lag nicht vor. Der Antrag von ver.di war nicht mehr zulässig, weil
dieser eine Beteiligtenänderung auf Seiten der Antragsteller darstellt, die im Rechtsbeschwerdeverfahren
nicht mehr erfolgen kann. Und noch ein Hindernis kann eintreten:
Wenn das Gericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung davon ausgehen muss,
dass die bestellte Person die Amtsübernahme ablehnen wird, kann eine Bestellung
nicht erfolgen.
RA W.: Von der Antragstellung am 10. November 2015 bis zum Beschluss des
Bundesarbeitsgerichts vom 20. Februar 2019 sind drei Jahre und fast vier Monate
vergangen und noch immer ist kein Wahlvorstand bestellt, da die Sache an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden musste, das das Bundesarbeitsgericht
nicht berechtigt ist, selbst die Personen für den Wahlvorstand zu bestellen. Das obliegt
dem Tatsachengericht!
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Wir halten fest: Die Anforderungen an die Wahl eines Wahlvorstands und eine
evtl. gerichtlich notwendig werdende Bestellung sind hoch. Fehlerquellen erkennen
und vermeiden!
Thema: Betriebsratswahl - Anfechtung - Öffnung der Freiumschläge
R. W.: Die Anforderungen an einen Wahlvorstand, die Betriebsratswahl so zu
organisieren und durchzuführen, dass möglichts keine Gründe für eine Anfechtung
der Wahl entstehen, sind immens. Insbesondere die Briefwahl birgt
ein großes Anfechtungsrisiko, wie der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom
20. Mai 2020 zeigt. 2 Die Daten der Wahl in Kürze: Wahl laut Wahlausschreiben
am Wahltag von 06:30 Uhr bis 18:30 Uhr und Auszählung der Stimmen am Wahltag
ab 18:35 Uhr im Wahlraum. Gegen 16:30 Uhr begann der Wahlvorstand mit
der Öffnung der Freiumschläge der Briefwähler, dem Vermerken der Stimmabgabe
in der Wählerliste und dem Einwerfen der Wahlumschläge in die Wahlurne. Dieser
Vorgang wurde gegen 17:30 Uhr abgeschlossen. Eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft
hat die Wahl aus mehreren Gründen angefochten. Im Zentrum stand
die Verletzung von § 26 Abs. 1 Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes
(BetrVGDV1WO):
§ 26 Verfahren bei der Stimmabgabe
(1) Unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe öffnet der Wahlvorstand in
öffentlicher Sitzung die bis zu diesem Zeitpunkt eingegangenen Freiumschläge und
entnimmt ihnen die Wahlumschläge sowie die vorgedruckten Erklärungen. Ist die
schriftliche Stimmabgabe ordnungsgemäß erfolgt (§ 25), so legt der Wahlvorstand den
Wahlumschlag nach Vermerk der Stimmabgabe in der Wählerliste ungeöffnet in die
Wahlurne.
Streitig und zu prüfen war, ob der Wahlvorstand die Verpflichtung erfüllt hatte,
unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe die eingegangenen Freiumschläge zu
2 Beschluss vom 20. Mai 2020 – 7 ABR 42/18
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öffnen, da er gegen 16:30 Uhr mit der Öffnung der Freiumschläge der Briefwähler
begonnen hatte und die Stimmabgabe um 18.30 Uhr abgeschlossen war.
RA W.: Das Landesarbeitsgericht war noch davon ausgegangen, der Wahlvorstand
habe zu früh mit der Öffnung der Freiumschläge begonnen und der Anfechtung
mit dieser Begründung stattgegeben. Das Bundesarbeitsgericht ist dem nicht gefolgt.
Der Wahlvorstand habe einen Beurteilungsspielraum, welcher Zeitraum für
die nach § 26 Abs. 1 WO gebotenen Handlungen zu veranschlagen ist, um so den
Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem die Freiumschläge geöffnet werden dürfen bzw.
müssen, damit die Vorgabe „unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe“ eingehalten
werden kann. Ob die Festlegung des Zeitpunkts vom Beurteilungsspielraum
des Wahlvorstands noch gedeckt war, kann erst im Nachhinein festgestellt
werden. Unproblematisch ist es, wenn der Wahlvorstand die Aufgaben nach § 26
Abs. 1 WO mit oder innerhalb weniger Minuten vor oder nach dem Ende der für
die Stimmabgabe vorgesehenen Zeit beendet. Seine Prognose wurde dann bestätigt.
R. W.: Wie ist es aber, wenn wie hier eine Stunde dazwischen liegt?
RA W.: Daraus folgt nach der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nicht ohne
weiteres, dass die Prognose unzutreffend war. Vielmehr können im Verfahren
um die Wahlanfechtung die Gründe dargelegt werden, aufgrund derer der Wahlvorstand
davon ausgehen durfte, mit dem Öffnen der Freiumschläge so frühzeitig
beginnen zu müssen. Zu berücksichtigen sei nicht nur der Zeitaufwand für
die Öffnung der Freiumschläge, sondern auch die Klärung der Ordnungsgemäßheit
der schriftlichen Stimmabgabe und ob die Stimme als ungültig zu werten
ist. Dies kann im Einzelfall längere Zeit in Anspruch nehmen. Der Wahlvorstand
hatte pro Freiumschlag eine Dauer von einer Minute kalkuliert, also mindestens 80
Minuten für die Vornahme der notwendigen Handlungen bei einer Anzahl von 80
bis 100 Freiumschlägen. Die Berücksichtigung eines Zeitpuffers von 40 Minuten
wegen der persönlichen Abgabe von Stimmen durch Wahlberechtigte im Wahlraum
sei grundsätzlich durch den Beurteilungsspielraum des Wahlvorstands gedeckt.
Andererseits wäre eine andere Betrachtung geboten, wenn es sich nur um 46
zu öffnende Freiumschläge gehandelt hätte. Selbst bei einem noch zulässigen Zeit-
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puffer von 60 Minuten wäre der Vorgang ca. eine viertel Stunde vor dem Abschluss
der Stimmabgabe erfolgt und damit zu früh. Auf die Zahl kommt es also an, was
vom Landesarbeitsgericht infolge der Zurückverweisung zu prüfen ist.
R. W.: Warum führt ein solcher Verstoß zur Unwirksamkeit der Wahl? Das erschließt
sich mir noch nicht.
RA W.: Ich darf daran erinnern, dass die gebotenen Handlungen des Wahlvorstands
in öffentlicher Sitzung bis zum Abschluss der Stimmabgabe zu erfolgen
haben. Das Bundesarbeitsgericht führt aus:
Nach § 26 Abs. 1 WO hat der Wahlvorstand die im Freiumschlag enthaltenen Unterlagen
- Wahlumschläge und Erklärung über die persönliche Stimmabgabe - zu prüfen
und - ähnlich wie bei der Stimmauszählung - Entscheidungen zu treffen. Deshalb
hat die Betriebsöffentlichkeit ein Interesse daran, diesen Vorgang - ebenso wie die
Stimmauszählung - verfolgen zu können. Beginnt der Wahlvorstand zu früh mit der
Öffnung der Freiumschläge, ist die Anwesenheit der Betriebsöffentlichkeit gefährdet.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es bei der Öffnung der Freiumschläge zu
Fehlern kommt, die bei Anwesenheit wahlberechtigter Arbeitnehmer nicht unterlaufen
wären.
R. W.: Habe ich verstanden. Wie erfährt die Belegschaft von der öffentlichen
Sitzung des Wahlvorstands, die in unserem Fall wohl um 16.30 Uhr mit dem
Öffnen der Freiumschläge begonnen hat? Den Arbeitnehmern war der Zeitpunkt
der Öffnung der Freiumschläge weder im Wahlausschreiben noch anderweitig mitgeteilt
worden!
RA W.: Gute Frage. Dazu gibt uns weder das BetrVG noch die WO eine Antwort.
Das Bundesarbeitsgericht stellte lapidar fest, die öffentliche Sitzung des Wahlvorstands
sei am Wahltag konkludent einberufen, da alle Mitglieder des Wahlvorstands
im einzigen Wahlraum versammelt waren und gemeinsam mit der Öffnung
der Freiumschläge begonnen haben. Das geschehe regelmäßig im Rahmen einer
konkludent einberufenen öffentlichen Sitzung des Wahlvorstands. Im Übrigen sei
mehr angesichts der im Wahlausschreiben enthaltenen Angaben zu den Öffnungs-
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zeiten eines einzigen Wahllokals zur persönlichen Stimmabgabe nicht erforderlich.
Da der Wahlvorstand die Freiumschläge nach § 26 Abs 1 BetrVGDV1WO
„unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe“ öffnet, bestehe kein Zweifel, an
welchem Ort und zu welcher Zeit dies zu geschehen hat.
R. W.: Abschließend noch ein Hinweis. Bemängelt wurde auch, dass teilweise
auf eine Frankierung und entsprechende Beschriftung der Freiumschläge verzichtet
worden sei. Das Bundesarbeitsgericht misst diesem Einwand keine Bedeutung
zu, wenn ein Wahlberechtigter gegenüber dem Wahlvorstand erklärt, er
werde im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb an der persönlichen
Stimmabgabe verhindert sein, und um die Unterlagen zur schriftlichen Stimmabgabe
bittet. Dieses Verlangen umfasse regelmäßig alle in § 24 Abs. 1 S. 1 Nr.
1 bis Nr. 5 BetrVGDV1WO genannten Unterlagen. Erklärt der Wahlberechtigte
jedoch, er werde die Briefwahlunterlagen im Betrieb ausfüllen und persönlich an
den Wahlvorstand zurückreichen, so liege hierin im Zweifel kein Verlangen nach
einem frankierten und nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BetrVGDV1WO beschrifteten
Umschlag. Es genüge die Übergabe eines größeren Umschlags, um die schriftliche
Stimmabgabe im Betrieb durchzuführen. Ein solches Vorgehen dient der Vermeidung
nicht erforderlicher Wahlkosten iSd. § 20 Abs. 3 S. 1 BetrVG.
Und noch ein Hinweis: Bei der erneuten Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht
hat dieses nicht nur die von den Antragstellern vorbrachten Anfechtungsgründe
zu prüfen, sondern von Amts wegen alle Gründe, die im Verlauf des Anfechtungsverfahrens
auf Grund des vorgetragenen Sachverhalts sichtbar werden.
Eine Wahlanfechtung ist daher immer für überraschende Ergebnisse gut!
Wir halten fest: Der Ablauf und die Durchführung einer Briefwahl sind besonders
sorgsam zu organisieren, insbesondere die zeitlichen Vorgaben bei der
Öffnung der Freiumschläge.
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