23.12.2012 Aufrufe

Seite - Dr. Schreier & Partner

Seite - Dr. Schreier & Partner

Seite - Dr. Schreier & Partner

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

) Staatsbürgerschaft<br />

Die Frage nach der Staatsbürgerschaft ist prinzipiell zulässig, weil das<br />

AGG die Staatsbürgerschaft nicht erfasst. 52 Der Arbeitgeber hat zudem<br />

an dieser Information regelmäßig wegen ggf. notwendiger Aufenthalts-<br />

und Arbeitserlaubnisse ein berechtigtes betriebliches Interesse.<br />

53<br />

HINWEIS: Die Frage nach der Staatsbürgerschaft kann aber leicht als Interesse<br />

an der ethnischen Herkunft aufgefasst werden, insbesondere wenn<br />

(unvorsichtig) nicht nach der Staatsbürgerschaft, sondern nach dem Geburtsort<br />

oder allgemein nach der Herkunft gefragt wird.<br />

Vorsichtshalber sollte die Frage direkt auf das berechtigte, betriebliche<br />

Interesse abstellen, d.h. nur darauf gerichtet sein, ob der Bewerber<br />

zur Erwerbstätigkeit in Deutschland berechtigt ist. Dies vermeidet das<br />

Indiz einer (mittelbaren) Diskriminierung wegen Rasse/ethnischer<br />

Herkunft.<br />

c) Sprachkenntnisse<br />

Die Frage nach Deutschkenntnissen – z.B. im Schriftlichen – kann<br />

mittelbar diskriminieren. 54 Die Frage ist dennoch zulässig, wenn die<br />

Sprachkenntnisse für den Arbeitsplatz von Bedeutung sind. Andernfalls<br />

ist die Frage unzulässig. 55<br />

Auch eine Benachteiligung wegen schlechter mündlicher Deutschkenntnisse<br />

ist unzulässig, wenn keine Rechtfertigung vorliegt, es also<br />

für die ausgeschriebene Stelle gar nicht auf gute Deutschkenntnisse<br />

ankommt. Neben Fragen können jegliche (auch beiläufige) Kommentare<br />

über schlechte Sprachkenntnisse des Bewerbers ein Indiz für eine<br />

Diskriminierung sein, wenn die Sprachkenntnisse nicht entscheidend<br />

für die zu besetzende Stelle sind. Auch diese sollten daher vermieden<br />

werden.<br />

d) Scientology<br />

Neben den Weltreligionen sind auch die Lehren von Sekten nach dem<br />

AGG geschützt, 56 so dass Fragen im Bewerbungsgespräch nach einer<br />

Sektenzugehörigkeit, ebenso wie Fragen nach der Religion und Weltanschauung,<br />

regelmäßig nicht gestellt werden dürfen. Zulässig hingegen<br />

könnte die Frage nach einer Mitgliedschaft bei der Organisation<br />

Scientology sein, da das Bundesarbeitsgericht 57 Scientology nicht als<br />

Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft anerkennt. 58 Das BAG<br />

betrachtete allerdings nur die Vereinigung, ohne auch auf die Sicht<br />

eines einzelnen Scientology-Mitglieds abzustellen. Ein Mitglied kann<br />

durchaus von der weltanschaulichen Ausrichtung von Scientology<br />

überzeugt sein; 59 kaum ein Mitglied wird von sich aus annehmen,<br />

dass er Anhänger einer Vereinigung mit „religiösen oder weltanschaulichen<br />

Lehren nur als Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher<br />

Ziele“ 60 ist.<br />

Neben dem diskriminierungsrechtlichen Aspekt, der nicht abschließend<br />

geklärt ist, müssen auch die allgemeinen Grundsätze des Fragerechts<br />

beachtet werden. Das Fragerecht bestimmt sich im Einzelfall<br />

nach dem Informationsinteresse des Arbeitgebers in Abwägung mit<br />

dem schutzwürdigen Interesse des Bewerbers. 61 Die Rechtsprechung<br />

hat sich zum Fragerecht nach einer Scientology-Mitgliedschaft noch<br />

nicht geäußert. Die Zulässigkeit der Frage hängt daher nach momentanem<br />

Stand vom berechtigten betrieblichen Interesse des Arbeitgebers<br />

im Einzelfall ab und dürfte damit in Vertrauensstellungen bei ei-<br />

Arbeitsrecht<br />

Ohlendorf/<strong>Schreier</strong> · AGG-konformes Einstellungsverfahren – Handlungsanleitung und Praxistipps<br />

ner Kollision zwischen den Lehren von Scientology und den Zielen<br />

des Arbeitgebers zulässig sein. 62<br />

e) Schwerbehinderung<br />

Eine gesetzlich anerkannte Schwerbehinderteneigenschaft (§ 2 Abs. 2<br />

SGB IX) bzw. ihre Gleichstellung (§ 2 Abs. 3 SGB IX) ist von Krankheiten<br />

und „einfachen“ Behinderungen zu trennen, deren Abgrenzung<br />

zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des AGG höchst<br />

problematisch und umstritten ist. 63 Dies trifft auf eine Schwerbehinderteneigenschaft<br />

bzw. ihre Gleichstellung nicht zu. Sie sind vom Anwendungsbereich<br />

des AGG erfasst, 64 was schon aus dem Verweis des<br />

§ 81 Abs. 2 S. 2 SGB IX deutlich wird.<br />

Vor Inkrafttreten des AGG wurde die Frage nach einer anerkannten<br />

Schwerbehinderteneigenschaft vom Bundesarbeitsgericht als zulässig<br />

angesehen. 65 Nach Inkrafttreten des AGG ist die Rechtslage nicht abschließend<br />

geklärt; überwiegend wird das Fragerecht verneint. 66 Für<br />

die Zulässigkeit der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft<br />

spricht jedoch, dass der Arbeitgeber nur mit Kenntnis von der<br />

Schwerbehinderteneigenschaft einen freien Arbeitsplatz gem. § 72<br />

SGB IX gezielt mit einem schwerbehinderten Menschen besetzen<br />

kann. Dazu muss er den Bewerber – wenn die Schwerbehinderteneigenschaft<br />

nicht offensichtlich ist – danach fragen dürfen. 67 Die Frage<br />

ist nach hier vertretener Auffassung damit nur zulässig, wenn eine<br />

gezielte Förderung von schwerbehinderten Menschen gewollt ist. 68<br />

Der Bewerber soll aber, selbst wenn die Frage ausnahmsweise zulässig<br />

ist, das Recht zur Lüge haben. 69 Es sollte dem Bewerber daher stets<br />

freigestellt werden, auf die Frage zu antworten.<br />

Grundsätzlich ist aber von der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft<br />

abzuraten, weil sie ein gewichtiges Indiz für eine Diskriminierung<br />

darstellt. 70<br />

f) Familienstand/Familienplanung<br />

Das Merkmal Familienstand ist vom AGG nicht erfasst. 71 Dennoch<br />

birgt die Frage nach dem Familienstand diskriminierungsrechtliche<br />

Risiken. 72 Unter dem Familienstand ist z.B. zu verstehen, ob der Bewerber<br />

verheiratet ist oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft<br />

lebt. Damit zielt die Frage nach dem Familienstand zugleich auch auf<br />

52 Voggenreiter, in: Rudolf/Mahlmann, Gleichbehandlungsrecht, 2007, § 8 Rn. 100.<br />

53 Wisskirchen/Bissels, NZA 2007, 169, 171.<br />

54 Däubler, in: Däubler/Bertzbach, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 7 Rn. 24; a. A. ArbG Berlin,<br />

Urteil vom 26.9.2007, Az. 14 Ca 10356/07.<br />

55 Vgl. Boemke/Danko, AGG im Arbeitsrecht, 2007, § 3 Rn. 19.<br />

56 <strong>Schreier</strong>, JuS 2007, 308, 311.<br />

57 BAG, NJW 1996, 143; vgl. <strong>Schreier</strong>, JuS 2007, 308, 311.<br />

58 Adomeit/Mohr, Kommentar zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 2 Rn. 36 ff.; a. A. Boemke/Danko,<br />

AGG im Arbeitsrecht, 2007, § 2 Rn. 30.<br />

59 Meinel/Heyn/Herms, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 1 Rn. 19.<br />

60 BAG, NJW 1996, 143, Rn. 52 – zitiert nach juris.<br />

61 Buchner, in: Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, § 41 Rn. 9 ff.<br />

62 Adomeit/Mohr, Kommentar zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 2 Rn. 38; Däubler, in:<br />

Däubler/Bertzbach, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 7 Rn. 33.<br />

63 Siehe nur Rust, in: Rust/Falke, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 1 Rn. 72 ff.; Steinkühler, Allgemeines<br />

Gleichbehandlungsgesetz, 2007, Rn. 229; <strong>Schreier</strong>, ZIAS 2008, 309, 321 f.<br />

64 Nollert-Borasio/Perreng, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 1 Rn. 26; vgl.<br />

<strong>Schreier</strong>, ZIAS 2008, 308, 322; Thüsing/Wege, NZA 2006, 136, 138.<br />

65 BAG, Urteil v. 5.10.1995, Az. 2 AZR 923/94.<br />

66 Däubler, in: Däubler/Bertzbach, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 7 Rn. 35; Brors, DB 2003,<br />

1734 ff.; Düwell, BB 2006, 1741, 1743; ders., BB 2001, 1527, 1529.<br />

67 Vgl. Boemke/Danko, AGG im Arbeitsrecht, 2007, § 10 Rn. 28; Däubler, in: Däubler/Bertzbach, Allgemeines<br />

Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 7 Rn. 36. Ausführlich Mohr, BehindR 2008, 34, 45 f.<br />

68 Vgl. Boemke/Danko, AGG im Arbeitsrecht, 2007, § 10 Rn. 28; Däubler, in: Däubler/Bertzbach, Allgemeines<br />

Gleichbehandlungsgesetz, 2007, § 7 Rn. 36; Kania/Merten, ZIP 2007, 8, 11; a. A. Wisskirchen/Bissels, NZA<br />

2007, 169, 173.<br />

69 Boemke/Danko, AGG im Arbeitsrecht, 2007, § 10 Rn. 28; Düwell, BB 2006, 1741, 1743.<br />

70 Steinkühler, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, Rn. 221.<br />

71 Für eine Ausweitung: <strong>Schreier</strong>, ZIAS 208, 309, 330.<br />

72 Vgl. <strong>Schreier</strong>, ZIAS 2008, 309, 317 f.<br />

Betriebs-Berater // BB 45.2008 // 3.11.2008 2461

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!