Seite - Dr. Schreier & Partner
Seite - Dr. Schreier & Partner
Seite - Dr. Schreier & Partner
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Arbeitsrecht<br />
Ohlendorf/<strong>Schreier</strong> · AGG-konformes Einstellungsverfahren – Handlungsanleitung und Praxistipps<br />
die sexuelle Identität des Bewerbers. Nach dem EuGH knüpfen Ehe<br />
und eingetragene Lebenspartnerschaft unmittelbar an das Merkmal<br />
der sexuellen Identität an. 73 Die Frage nach dem Familienstand darf<br />
daher nicht gestellt werden. 74<br />
Auch die Frage nach der Familienplanung ist unzulässig. 75 Die Frage<br />
nach der Familienplanung bei Frauen bedeutet im Ergebnis nichts anderes<br />
als die Frage nach einer Schwangerschaft. Zudem besteht noch<br />
das Indiz einer Diskriminierung von Bewerbern gleich welchen Geschlechts<br />
wegen der sexuellen Identität, weil eine Fortpflanzung bei<br />
gleichgeschlechtlich orientierten Menschen in der <strong>Partner</strong>schaft biologisch<br />
nicht möglich ist.<br />
2. Sechs-Augen-Prinzip?<br />
Häufig wird vertreten, dass das Bewerbungsgespräch auf Arbeitgeberseite<br />
mindestens zwei teilnehmende Personen benötigt, um im Falle einer<br />
gerichtlichen Auseinandersetzung mindestes einen Zeugen für die<br />
Beweisführung an der <strong>Seite</strong> zu haben. 76 Richtig ist, dass die Prozesssituation<br />
für den Arbeitgeber umso erfolgversprechender ist, je mehr Beteiligte<br />
im Bewerbungsgespräch auf Arbeitgeberseite agierten. Aus<br />
Gründen der äußersten Vorsicht ist ein solches Vorgehen auch anzuraten.<br />
Allerdings ist ein Sechs-Augen-oder-mehr-Gespräch bei kleinen<br />
Unternehmen mit geringer Beschäftigtenzahl oftmals nicht angebracht,<br />
weil es (nicht vorhandene) Personalkapazitäten binden würde und<br />
(vermeidbare) Kosten verursacht. In kleinen Unternehmen gehört das<br />
Vier-Augen-Gespräch zur typischen Bewerbungssituation.<br />
In der Situation vor Gericht nützt dem vermeintlichen Diskriminierungsopfer<br />
(Bewerber) als Kläger zunächst die Beweiserleichterung<br />
gem. § 22 AGG, indem er nur Vermutungstatsachen konkret darlegen<br />
muss. 77 Der Arbeitgeber hat dann zum Vortrag des Klägers gem. § 138<br />
ZPO konkret Stellung zu nehmen. 78 Werden die vorgetragenen Vermutungstatsachen<br />
– z.B. in der Situation Aussage gegen Aussage – streitig,<br />
so muss der Kläger die Indizien beweisen, wobei das Beweismaß dahingehend<br />
abgesenkt wird, dass das Gericht ihr Vorliegen nur für überwiegend<br />
wahrscheinlich halten muss. 79 Für den Kläger ist prozesstaktisch<br />
von Nachteil, dass er selbst Partei ist. Das Gericht kann die Partei zwar<br />
anhören (§ 141 ZPO) und vernehmen (§ 448 ZPO). Für den Arbeitgeber<br />
ist aber spiegelbildlich von Vorteil, dass er regelmäßig – sofern er<br />
nicht als Inhaber einer Einzelfirma, als Gesellschafter einer GbR oder<br />
als Geschäftsführer/Vorstand einer GmbH/AG persönlich handelt – einen<br />
Zeugen benennen kann. Kann der abgelehnte Bewerber die überwiegende<br />
Wahrscheinlichkeit für die von ihm darzulegenden Vermutungstatsachen<br />
nicht beweisen, so liegt ein non liquet vor. 80 Der Bewerber<br />
unterliegt. Eine solche Prozesssituation zu Gunsten des Arbeitgebers<br />
ist allerdings dann nicht mehr gegeben, wenn weitere, über das persönliche<br />
Gespräch hinausgehende, Indizien geschaffen wurden, die<br />
zumindest im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit durch<br />
den Kläger beweisbar sind (z.B. durch Stellenausschreibung oder Absageschreiben).<br />
Liegt ein durchweg AGG-konformes Einstellungsverfahren<br />
vor, so ist das Risiko, das mit einem Vier-Augen-Gespräch verbunden<br />
sein kann, minimal und angesichts des ansonsten zu betreibenden<br />
Aufwands in den meisten Fällen gerechtfertigt.<br />
V. Bewerberfragebögen<br />
Bewerberfragebögen vor Einstellung sind häufig in kleinen Unternehmen<br />
ein beliebtes Instrument für die Vorauswahl der Bewerber, zumeist<br />
wenn es um „Spontan-Bewerbungen“ z.B. auf Grund eines<br />
Aushangs in einem Geschäft geht. Bewerberfragebögen ersetzen zum<br />
Teil das persönliche Gespräch und ergänzen die Bewerbungsunterlagen.<br />
Damit sind grundsätzlich alle Tatsachen, die im Bewerbungsgespräch<br />
nicht erfragt oder in den Bewerbungsunterlagen verlangt werden<br />
dürfen, als Fragen im Bewerberfragebogen unzulässig. 81 Ein Verstoß<br />
setzt ein – mehr oder weniger starkes – Diskriminierungsindiz.<br />
Daraus ergeben sich folgende unzulässige Fragen mit dem sich bei<br />
Nichtbeachtung aufdrängendem Indiz der Benachteiligung wegen eines<br />
Benachteiligungsmerkmals:<br />
Unzulässige Fragen e Benachteiligungsmerkmal<br />
Geburtsdatum e Alter<br />
Geburtsort e Rasse/ethnische Herkunft<br />
Kirchenzugehörigkeit e Religion/Weltanschauung<br />
Kinder e Geschlecht, sexuelle Identität<br />
Familienstand e Sexuelle Identität<br />
Familienplanung e Geschlecht, sexuelle Identität<br />
Im Regelfall wegen der AGG-Problematik wegzulassende Fragen sind:<br />
Problematische Fragen e Benachteiligungsmerkmal<br />
Staatsbürgerschaft e Rasse/ethnische Herkunft<br />
Sprachkenntnisse e Rasse/ethnische Herkunft<br />
Scientology e Religion/Weltanschauung<br />
Schwerbehinderung e Behinderung<br />
Nur ausnahmsweise wird eine der vorstehenden Fragen zulässig sein,<br />
wenn die Benachteiligung nach dem AGG gerechtfertigt ist. Dann<br />
handelt es sich, schon begrifflich, um keine Diskriminierung. 82<br />
VI. Einstellung<br />
1. Arbeitsvertragsgestaltung<br />
Auch bei der Arbeitsvertragsgestaltung ist auf AGG-Konformität zu<br />
achten. 83 Das AGG gilt gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 schließlich auch für Beschäftigungs-<br />
und Arbeitsbedingungen in individualrechtlichen Vereinbarungen.<br />
a) Geschlechterübergreifende Formulierungen<br />
Im Anstellungsvertrag sollte die richtige Geschlechterform der eingestellten<br />
Person gewählt werden, um kein Indiz für eine geschlechterdiskriminierende<br />
betriebliche Praxis zu setzen. Dies betrifft insbesondere<br />
die Diskriminierung von Frauen. Die Häufung maskuliner Personenbezeichnungen<br />
kann den Eindruck erwecken, dass Frauen übersehen<br />
oder nur mitgemeint werden. 84<br />
73 EuGH, Urteil vom 1.4.2008 – Rs. C-267/06 – EWS 2008, 195 m. Anm. Adamietz/<strong>Schreier</strong> = BB 2008, 1180<br />
m. Anm. <strong>Schreier</strong>.<br />
74 Boemke/Danko, AGG im Arbeitsrecht, 2007, § 10 Rn. 26 u. § 13 Rn. 13; a. A. Schrader/Schubert, Das neue<br />
AGG, 2006, Rn. 240, die unverständlicherweise ein Informationsinteresse am Familienstand schon im<br />
Zeitpunkt der Bewerbung und nicht erst nach Einstellung sehen.<br />
75 Boemke/Danko, AGG im Arbeitsrecht, 2007, § 10 Rn. 26 u. § 13 Rn. 13.<br />
76 Vgl. Groß/Reppelmund, Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – Leitfaden für die unternehmerische<br />
Praxis, S. 29; Steinkühler, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2007, Rn. 237.<br />
77 Vgl. Nollert-Borasio/Perreng, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 8 ff.<br />
78 Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2007, Rn. 651.<br />
79 ArbG Berlin, Urteil v. 12.11.2007, Az. 86 Ca 4035/07, Rn. 69 – zitiert nach juris; Boemke/Danko, AGG im<br />
Arbeitsrecht, 2007, § 10 Rn. 33; Däubler, in: Däubler/Bertzbach, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz,<br />
2007, § 22 Rn. 32 f.<br />
80 ArbG Berlin, Urteil v. 12.11.2007, Az. 86 Ca 4035/07, Rn. 97 – zitiert nach juris.<br />
81 Vgl. Boemke/Danko, AGG im Arbeitsrecht, 2007, § 14 Rn. 7.<br />
82 Vgl. <strong>Schreier</strong>, JuS 2007, 308.<br />
83 Zu den Auswirkungen des AGG auf die inhaltliche Arbeitsvertragsgestaltung ausführlich Lingemann/Müller,<br />
BB 2007, 2006 ff.<br />
84 Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), Handbuch der Rechtsförmlichkeit (2. Aufl. 1999) Teil B, 1.1.1.<br />
Rn. 93.<br />
2462 Betriebs-Berater // BB 45.2008 // 3.11.2008