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Bahnhof und Gastronomie in Ober-Piesting - Waldegg-Aktuell

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Nr. 2 / 2009 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 9<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 112. Folge<br />

<strong>Bahnhof</strong> <strong>und</strong> <strong>Gastronomie</strong> <strong>in</strong> <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g<br />

Im vergangenen Jahr, am 7.6.2008, eröffnete der „Vere<strong>in</strong><br />

zur Förderung der Kommunikation“ im Gebäude der<br />

ehemaligen <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>ger Bahnstation e<strong>in</strong> <strong>Bahnhof</strong>sstüberl.<br />

Frau Dagmar Kuchner <strong>und</strong> ihr Team machten <strong>in</strong> der<br />

Zwischenzeit aus dem ehemaligen Warteraum <strong>und</strong> der<br />

anschließenden <strong>Bahnhof</strong>skanzlei e<strong>in</strong>en ansprechenden<br />

Treffpunkt, der nach e<strong>in</strong>er jahrelangen Durststrecke ohne<br />

Gasthaus im Ort wieder e<strong>in</strong> Platzerl für e<strong>in</strong>en Frühschoppen<br />

oder e<strong>in</strong> Plauscherl <strong>in</strong> gemütlicher R<strong>und</strong>e bietet. So<br />

wurde das Stüberl <strong>in</strong> der Zwischenzeit zum Stammlokal<br />

für die <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>ger Damenr<strong>und</strong>e „Golden Girls“.<br />

Es sei daher Frau Kuchner, ihrer „Haubenköch<strong>in</strong>“ Frau<br />

Zeng<strong>in</strong> <strong>und</strong> all ihren Helfer<strong>in</strong>nen hier für ihr Bemühen<br />

<strong>und</strong> Wirken herzlichst gedankt.<br />

Das neue <strong>Bahnhof</strong>sstüberl regt dazu an, sich mit dem<br />

Werden <strong>und</strong> Vergehen des <strong>Bahnhof</strong>es <strong>und</strong> der <strong>Gastronomie</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g näher zu befassen.<br />

<strong>Bahnhof</strong>sstüberl (2008)<br />

Dr. Alexander Curti, Großunternehmer <strong>in</strong> der Erzeugung<br />

von hydraulischen Zement-Kalk, betrieb auf dem Areal der<br />

ehemaligen Hofmühle <strong>in</strong> <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g die Zement-Kalk<br />

Erzeugung. Er war gründendes Mitglied der „Gesellschaft<br />

für Österreichische Verb<strong>in</strong>dungsbahnen“ <strong>und</strong> legte schon<br />

1872 die ersten Pläne für den Bau e<strong>in</strong>er Verb<strong>in</strong>dungsbahn<br />

<strong>in</strong> das Piest<strong>in</strong>gtal vor, die aber nicht verwirklicht werden<br />

konnten. 1876 wurde daher e<strong>in</strong>e neue Gesellschaft, die<br />

„K.K.priv.nö.Süd-West-Bahn“ gegründet. Dr. Curti war<br />

auch bei ihr wieder e<strong>in</strong>er der ersten Hauptaktionäre,<br />

denn e<strong>in</strong>e Bahn <strong>in</strong> das Piest<strong>in</strong>gtal war für se<strong>in</strong>en Betrieb<br />

von großer geschäftlicher Wichtigkeit. Die Bahn wurde<br />

gebaut, aber wegen großer f<strong>in</strong>anzieller Schwierigkeiten<br />

gleich nach ihrer Eröffnung vom Staat übernommen <strong>und</strong><br />

betrieben. (5)<br />

Dr. Curti erhielt vom <strong>Bahnhof</strong> <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g aus den<br />

ersten Schleppanschluss auf der ganzen Strecke <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />

„Kalk- <strong>und</strong> Portland-Cement-Fabrik“. Er hatte aber auch<br />

noch weitere Zement-Kalköfen <strong>in</strong> Betrieb. So auch e<strong>in</strong>en<br />

<strong>in</strong> Fromberg. Beim Försterhaus <strong>in</strong> Miesenbach führt e<strong>in</strong><br />

Fahrweg nach Fromberg (Ru<strong>in</strong>e), wo e<strong>in</strong> solcher Ofen von<br />

ihm <strong>in</strong> Betrieb war. Er erhielt daher 1877 beim Bahnbau <strong>in</strong><br />

der Station Oed e<strong>in</strong>e Verladerampe, wo der Zementkalk,<br />

vom Fuhrwerk auf die Bahn verladen, nach <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong> Werk transportiert wurde. E<strong>in</strong> weiterer Hochofen<br />

Curtis stand an der hohen Ste<strong>in</strong>mauer beim Wohnhaus<br />

Müller-Lenauer, Wopf<strong>in</strong>g Nr. 155.<br />

Als im April 1945, zum Ende des Zweiten Weltkrieges, das<br />

Kriegsgeschehen auch unser Tal erreichte, wurde der Teil<br />

des <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>ger <strong>Bahnhof</strong>es mit der Vorstandswohnung<br />

durch Artillerietreffer zerstört. Der angeschlossene Riegelbau<br />

mit Wartesaal <strong>und</strong> Büroraum blieb unbeschädigt.<br />

Aber auch er wurde im Laufe der Jahre baufällig <strong>und</strong><br />

musste 1959 durch den heute noch bestehenden Neubau<br />

ersetzt werden. (4)<br />

In der <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>ger <strong>Bahnhof</strong>schronik f<strong>in</strong>den wir im<br />

Vorstandsverzeichnis folgende Herren angeführt:<br />

August Graber .............................. – 1940<br />

Karl Bendl ............................ 1940 – 1944<br />

August Graber ...................... 1944 – 1951<br />

Johann Radsch<strong>in</strong>er ............... 1951 – 1955<br />

Ernst Perger .......................... 1955 – 1982<br />

Wilhelm Hulik ...................... 1982 – 1993<br />

Seit der Modernisierung <strong>und</strong> Rationalisierung des Bahnbetriebes<br />

im Tal gibt es im ganzen <strong>Waldegg</strong>er Streckenabschnitt<br />

ke<strong>in</strong>e mit Beamten besetzte Bahnstation mehr.<br />

Dafür hat die Marktgeme<strong>in</strong>de <strong>Waldegg</strong> die neue Haltestelle<br />

Dürnbach erhalten, so dass jetzt 7 Stationen <strong>in</strong> unserem<br />

Geme<strong>in</strong>degebiet liegen: Dreistetten, <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g,<br />

Wopf<strong>in</strong>g, <strong>Waldegg</strong>, Dürnbach, Oed <strong>und</strong> Miesenbach.<br />

<strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g war e<strong>in</strong>st bekannt für se<strong>in</strong>e gute <strong>Gastronomie</strong>,<br />

aber leider g<strong>in</strong>gen im Laufe der Zeit alle Gasthäuser<br />

verloren.<br />

Von <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>gern gerne besucht wurde der Gasthof<br />

der Brauerei Lehn. Er lag an der Grenze zwischen<br />

<strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g <strong>und</strong> Markt Piest<strong>in</strong>g, schon auf Piest<strong>in</strong>ger<br />

Geme<strong>in</strong>degebiet. Aus geschichtlichem Interesse, weil bei<br />

Fortsetzung auf Seite 10


Nr. 2 / 2009 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 10<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

Fortsetzung von Seite 9<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 112. Folge<br />

se<strong>in</strong>er Entstehung auch e<strong>in</strong>e <strong>Waldegg</strong>er Persönlichkeit mit<br />

im Spiel war, sei hier das Folgende festgehalten:<br />

Im M<strong>in</strong>natal war auf dem Areal des e<strong>in</strong>stigen „Hammers<br />

am Kasten“ die Eisenkochgeschirrfabrik Kupelwieser<br />

entstanden. E<strong>in</strong>e neue Menageschale für das K.u.K Heer<br />

der Österreichischen Monarchie sollte das bis dah<strong>in</strong><br />

gebrauchte schädliche Kupfergeschirr ersetzen. Aber der<br />

Staat war e<strong>in</strong> säumiger Zahler. Josef Kupelwieser, der<br />

Begründer der Fabrik <strong>und</strong> Großvater des im dortigen Herrenhaus<br />

geborenen Malers Leopold Kupelwieser war beim<br />

Um- <strong>und</strong> Ausbau se<strong>in</strong>es Werkes <strong>in</strong> f<strong>in</strong>anzielle Schwierigkeiten<br />

geraten. Er starb 1799, von „Kummer <strong>und</strong> Sorge <strong>in</strong>s<br />

Grab gebracht“. (1) E<strong>in</strong>en se<strong>in</strong>er Nachfolger, J.N. Müller,<br />

plagten auch immer Geldsorgen. Er hoffte, sich 1824 mit<br />

der „Zuerkennung Braugerechtigkeit verb<strong>und</strong>en mit e<strong>in</strong>er<br />

Branntwe<strong>in</strong>brennerei <strong>und</strong> Leimsiederei“ von se<strong>in</strong>en Geldnöten<br />

befreien zu können. (2) Er baute dafür auf e<strong>in</strong>em<br />

se<strong>in</strong>er Gr<strong>und</strong>stücke jenseits der Piest<strong>in</strong>g die dafür nötigen<br />

Betriebsgebäude. Aber für die weitere E<strong>in</strong>richtung fehlte<br />

dann das Geld. Nach zweimaligem Besitzwechsel kaufte<br />

der „Bierversilberer <strong>und</strong> Bierwirt“ Tiberius Lehn aus Himberg<br />

am 3.4.1841 den Gebäudekomplex für se<strong>in</strong>en Sohn<br />

Josef. Dieser war gelernter Braumeister <strong>und</strong> Schwager<br />

des Georg Joachim Zugmayer, der als Schwiegersohn des<br />

Tiberius Lehn zu diesem Kauf geraten hatte.<br />

Die Familie Lehn erwarb dann auch die oben genannte<br />

Schenke <strong>in</strong> der Grenzgasse <strong>und</strong> errichtete dort e<strong>in</strong>en<br />

Braugasthof, der seit 1930 auch über e<strong>in</strong>en schönen großen<br />

Saal verfügt. Dieser wurde leider im letzten Krieg zerstört<br />

<strong>und</strong> nicht mehr aufgebaut.(2) Pächter des Gasthofes waren<br />

dann noch Franz Bauer, Josef Piller <strong>und</strong> die Familie<br />

Oszenasek. Unter dem Wirt Walter Ste<strong>in</strong>berger hörte um<br />

1980 der Gastbetrieb auf. (2)<br />

Brauhaus-Restaurant um 1915<br />

Das nächste abgekommene Gasthaus <strong>in</strong> <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g, der<br />

„Braunwirt“, lag an der Gutenste<strong>in</strong>erstraße. Dieser war<br />

wegen se<strong>in</strong>er guten <strong>Gastronomie</strong> im ganzen Tal bekannt.<br />

Se<strong>in</strong> Schankrecht hat e<strong>in</strong>e bemerkenswerte Geschichte.<br />

Das Gr<strong>und</strong>stück des Gastbetriebes grenzte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er<br />

ganzen Länge an das Werksgelände der Fabrik Curtis,<br />

das auf dem Areal der ehemaligen Hofmühle der Burg<br />

Starhemberg lag. Die Hofmühlen hatten meistens auch<br />

das Schankrecht. So war es auch hier. Als Curti 1869<br />

die Hofmühle erwarb, benutzte er das Schankrecht zum<br />

Betreiben e<strong>in</strong>er Betriebskant<strong>in</strong>e <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Werk.<br />

Die Familie Reis<strong>in</strong>ger, als Besitzer des angrenzenden<br />

Gr<strong>und</strong>stückes, erwarb 1900 von Curti das Schankrecht<br />

<strong>und</strong> errichtete e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>kehrgasthaus. 1922 heiratete<br />

Emmerich Braun die Tochter der Familie Reis<strong>in</strong>ger <strong>und</strong><br />

wurde Mitbesitzer des Betriebes. Nach dem Tod se<strong>in</strong>er<br />

Frau war er ab 1936 Alle<strong>in</strong>besitzer. Ab 1937 s<strong>in</strong>d im<br />

Gr<strong>und</strong>buch er <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e zweite Frau Rosa als Besitzer<br />

der Gastwirtschaft e<strong>in</strong>getragen. Im Saal beim „Braunwirt“<br />

feierte man alle größeren Festivitäten <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>gs.<br />

Nach dem Tode se<strong>in</strong>er Eltern führte der Sohn Hans Braun<br />

bis <strong>in</strong> die 80er Jahre den Gastbetrieb weiter. Der ältere<br />

Sohn Emmerich sammelte jahrelang Berufserfahrung im<br />

Ausland <strong>und</strong> auf Passagier- <strong>und</strong> Kreuzfahrtschiffe <strong>und</strong><br />

war bis zu se<strong>in</strong>er Pensionierung e<strong>in</strong> beliebter Fachlehrer<br />

an der Gastgewerbeschule <strong>in</strong> <strong>Waldegg</strong>.<br />

Gasthaus Braun (l<strong>in</strong>ks) um 1930<br />

Quellen:<br />

1) Hofrat Kellerer, Hausbestand <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g seit 15.7.1881<br />

2) Adi Michel / Günter Kolar, Wirtshäuser & Gaststätten des<br />

Piest<strong>in</strong>gtales<br />

3) Eduard Ste<strong>in</strong>hauser, Bleistiftnotizen auf losen Blättern zur<br />

Geschichte <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g<br />

4) Ernst Perger, <strong>Bahnhof</strong>schronik von <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g<br />

5) Ernst Katzer, Festschrift „100 Jahre Gutenste<strong>in</strong>er Bahn“<br />

Abbildungen:<br />

Fotoarchiv Ing. Hans Georg Mössner<br />

Adi Michel: Wirtshäuser <strong>und</strong> Gaststätten des Piest<strong>in</strong>gtales<br />

Fortsetzung <strong>in</strong> der nächsten Ausgabe


Nr. 3 / 2009 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 9<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 113. Folge<br />

<strong>Bahnhof</strong> <strong>und</strong> <strong>Gastronomie</strong> <strong>in</strong> <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g – Teil 2<br />

Fortsetzung aus WALDEGG AKTUELL Nr. 2/2009<br />

Der verstorbene Hofrat Kellerer, ehemaliger Direktor<br />

der Realschule <strong>in</strong> Wiener Neustadt, wohnte nach se<strong>in</strong>er<br />

Pensionierung mit se<strong>in</strong>er Frau <strong>in</strong> deren Elternhaus<br />

(Karnitschhaus, heute <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g 54). Er war heimatk<strong>und</strong>lich<br />

sehr <strong>in</strong>teressiert <strong>und</strong> sammelte viele Daten zur<br />

Geschichte der <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>ger Wohnhäuser. Über das<br />

ehemalige Gasthaus „Wöhrer-Posch-Panzenböck“ ist bei<br />

ihm zu lesen:<br />

Haus Nr. 60 (12, EZ 201, Besitzer:<br />

3.10.1879 Johanna Karl, geb. Wallner, 1/1 (d.h.<br />

Alle<strong>in</strong>besitzer<strong>in</strong>)<br />

7.11.1881 Magdalena Wallner<br />

21.5.1885 nach Tod von M.Wallner für Johann Karl 1/1<br />

1917 Teilung <strong>in</strong> 12/a <strong>und</strong> 12/b auf EZ 261 überschrieben.<br />

1.8.1917 Josef <strong>und</strong> Maria Wöhrer je zur Hälfte<br />

6.2.1940 Maria Wöhrer 1/1<br />

14.8.1940 Johann <strong>und</strong> Paul<strong>in</strong>e Panzenböck, geb.<br />

Wöhrer<br />

1945 durch Krieg zerstört, 1946 Neubau.<br />

Vom verstorbenen Hauptschuldirektor Eduard Ste<strong>in</strong>hauser<br />

habe ich Bleistiftnotizen erhalten, nach denen hier<br />

das ursprüngliche Karl-Bauernhaus gestanden sei. Man<br />

habe es aber wegen der ständigen Hochwassergefahr<br />

auf die gegenüberliegende Hangstufe verlegt. Das Haus<br />

wurde vom Ganzlehen abgetrennt <strong>und</strong> nach Erhalt e<strong>in</strong>er<br />

Schankkonzession <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Gasthaus umgewandelt. Um<br />

1900 soll der Gastbetrieb begonnen haben. Im letzten<br />

Krieg brannte das Haus durch Artilleriebeschuss aus.<br />

Es wurde von Johann <strong>und</strong> Paul<strong>in</strong>e Panzenböck wieder<br />

aufgebaut. Neben der Familie Panzenböck war auch die<br />

Familie Posch bis zur Schließung um 1970 hier um das<br />

Wohl der Gäste bemüht.<br />

Gasthaus Wöhrer (Panzenböck) um 1910<br />

Für das Gebäude des ehemaligen Gasthauses Haas f<strong>in</strong>den<br />

wir bei Hofrat Kellerer folgende Angaben: „1871 erwirbt<br />

Marie Terzer das Haus durch Kauf. Von 1898 bis 1911<br />

bleibt es im Besitz ihres Sohnes Johann <strong>und</strong> dessen Frau<br />

Anna Maria, die als Witwe 1921 Franz Weis heiratet.<br />

Von ihr kauft es 1931 Franz Haas für sich <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Frau Anna.“ Nach Angaben von Eduard Ste<strong>in</strong>hauser hat<br />

das Wirtshaus Johann Terzer errichtet. Er stammte aus<br />

Gutenste<strong>in</strong> <strong>und</strong> war <strong>in</strong> der Schwertfabrik beschäftigt.<br />

Franz Haas <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Frau Anna machten das Gasthaus<br />

zu e<strong>in</strong>em beliebten Treffpunkt <strong>in</strong> gemütlicher R<strong>und</strong>e. Sie<br />

waren die ersten Wirtsleute im Ort, die für ihre Gäste e<strong>in</strong>en<br />

Fernseher <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en Plattenspieler <strong>in</strong>s Lokal stellten. Da<br />

ihre Tochter an e<strong>in</strong>er Weiterführung des Gasthausbetriebes<br />

nicht <strong>in</strong>teressiert war, kam 1972 das Aus.<br />

Gasthaus Haas um 1904<br />

Eduard Ste<strong>in</strong>hauser erwähnt für <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g noch e<strong>in</strong><br />

Gasthaus auf der Hausnummer 44 (früher 33). Es kam<br />

1865 durch Kauf an Franz <strong>und</strong> Juliane Rabe. Ihre Tochter<br />

ehelichte Johann Hampel. 1882 wird es von Franz<br />

Hochegger erworben, der es 1891 an den Baumeister<br />

Josef Eichholzer verkauft. 1900 wird es von der Familie<br />

Welsner erworben. Das grüne Lusthaus, das heute noch<br />

steht, ist e<strong>in</strong> Teil e<strong>in</strong>er ehemaligen Kegelstatt, die sich<br />

entlang der Feuermauer des ehemaligen Gasthauses<br />

nach rückwärts zog. Baumeister Eichholzer richtete <strong>in</strong><br />

dem Lusthaus se<strong>in</strong>e Kanzlei e<strong>in</strong>, da es damals ke<strong>in</strong>en<br />

Gastbetrieb mehr gab.<br />

Ins <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>ger Ortsgeschehen e<strong>in</strong>geb<strong>und</strong>en war auch<br />

der alte E<strong>in</strong>kehrgasthof „Zum grünen Baum“ (Wopf<strong>in</strong>g 2),<br />

Fortsetzung auf Seite 10


Nr. 3 / 2009 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 10<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

Fortsetzung von Seite 9<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 113. Folge<br />

direkt an der Grenze zwischen Wopf<strong>in</strong>g <strong>und</strong> <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g.<br />

Er wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Touristenführer von 1884 wegen se<strong>in</strong>er<br />

vorzüglichen We<strong>in</strong>e besonders erwähnt. Dem Gasthaus<br />

gegenüber liegt e<strong>in</strong> großer We<strong>in</strong>keller. Im darüber gebauten<br />

Tanzsaal hielten die Schwertfeger der Schwertfabrik<br />

Jung-Zeitler ihre traditionellen Fasch<strong>in</strong>gsbälle ab. Als es<br />

Schwierigkeiten mit der Pfarrbesetzung <strong>in</strong> Wopf<strong>in</strong>g gab,<br />

erklärte sich 1830 die damalige Wirt<strong>in</strong> bereit, dem neuen<br />

Lokalkaplan e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>richtungsbeitrag von 100 Gulden<br />

zu zahlen. 1834 spendete die Wirt<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en silbernen<br />

Kelch <strong>und</strong> der Wirt Johann Pull<strong>in</strong>g ließ 1864 das große<br />

Friedhofskreuz mit e<strong>in</strong>em vergoldeten Christus um 100<br />

Gulden aufstellen. Johann Pull<strong>in</strong>gs Nachfolger errichtete<br />

e<strong>in</strong>en Neubau, der 1936 von der Familie Kampichler zuerst<br />

gepachtet <strong>und</strong> dann gekauft wurde. Am 17.4.1945 wurde<br />

das Gasthaus vom russischen Militär <strong>in</strong> Brand geschossen,<br />

weil deutsche Scharfschützen sich auf se<strong>in</strong>em Dachboden<br />

e<strong>in</strong>genistet hatten. Nach dem Krieg stellte die Familie<br />

Kampichler e<strong>in</strong>en großzügig geplanten, zweistöckigen<br />

Rohbau auf, der im Inneren bis heute noch nicht ganz<br />

fertiggestellt ist. Das Gasthaus verfügte im Erdgeschoß<br />

über e<strong>in</strong>en schönen Saal, Josef Artner, e<strong>in</strong> Fleischhauer,<br />

heiratete die Kampichlertochter Maria <strong>und</strong> baute den<br />

straßenseitigen Teil des Saales <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Geschäftslokal für<br />

se<strong>in</strong>e Fleischhauerei um.<br />

Von 1971 bis 1997 war deren Tochter Eva, verehelichte<br />

9.10. - 26.10.2009<br />

Gasthaus Pataki um 1920<br />

Pataki, Wirt<strong>in</strong>. Der ehemalige Saal <strong>und</strong> die Fleischhauerei<br />

wurden <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Kaffeehaus umgebaut <strong>und</strong> im Keller e<strong>in</strong>e<br />

moderne Kegelbahn errichtet. In der Schlussphase lief<br />

es als „Cafe Monaco“ <strong>und</strong> Disco „Tanzcafe Checkpo<strong>in</strong>t“<br />

unter der Familie Foric.<br />

Quellen:<br />

1) Hofrat Kellerer, Hausbestand <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g seit 15.7.1881<br />

2) Adi Michel / Günter Kolar, Wirtshäuser & Gaststätten des<br />

Piest<strong>in</strong>gtales<br />

3) Eduard Ste<strong>in</strong>hauser, Bleistiftnotizen auf losen Blättern zur<br />

Geschichte <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g<br />

4) Ernst Perger, <strong>Bahnhof</strong>schronik von <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g<br />

5) Ernst Katzer, Festschrift „100 Jahre Gutenste<strong>in</strong>er Bahn“<br />

6) Fotoarchiv Ing. Hans Georg Mössner u. Adi Michel „Wirtshäuser<br />

<strong>und</strong> Gaststätten des Piest<strong>in</strong>gtales”


Nr. 4 / 2009 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 13<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 114. Folge<br />

Wiedertäufer <strong>in</strong> <strong>Waldegg</strong><br />

Unter diesem Titel erschien <strong>in</strong> der Kulturbeilage zum<br />

Amtsblatt der BH Wiener Neustadt (Nr. 8/128 vom 16.<br />

April 2009) e<strong>in</strong> Beitrag von Frau Prof. Hiltraud Ast, der<br />

e<strong>in</strong> Thema behandelt, das im Zusammenhang mit unserer<br />

Pfarre <strong>und</strong> Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> der „<strong>Waldegg</strong>er Chronik“ noch<br />

nie behandelt wurde.<br />

Die Erklärung dafür: Das Gebiet der 1136 gegründeten<br />

Pfarre <strong>Waldegg</strong> war zu dieser Zeit (um 1527) nicht mehr<br />

selbständig, sondern e<strong>in</strong> Teil der Pfarre Waidmannsfeld.<br />

<strong>Waldegg</strong> wurde erst mit kaiserlichem Beschluss vom 20.<br />

Juli 1783 von der Pfarre Dreistetten, der sie damals zugeteilt<br />

war, getrennt <strong>und</strong> wieder zur eigenen Pfarre erhoben.<br />

Mit diesem Datum beg<strong>in</strong>nen daher auch die vorhandenen<br />

(Pfarr)chronikaufzeichnungen.<br />

Die Waidmannsfelder Pfarre war wegen ihrer guten<br />

Pfarre<strong>in</strong>künfte begehrt. Ihre Pfarrer versahen oft hohe<br />

Kirchen- oder Hofämter <strong>und</strong> betrachteten die guten Pfarre<strong>in</strong>künfte<br />

als Pfründe. Sie waren durch ihre Ämter allzu<br />

oft abwesend <strong>und</strong> hätten die Pflicht gehabt, sich <strong>in</strong> der Zeit<br />

ihrer Abwesenheit von e<strong>in</strong>em Vikar vertreten zu lassen.<br />

Aber leider kam es oft vor, dass ke<strong>in</strong> Priester erreichbar<br />

war, wenn er gebraucht wurde. (1)<br />

Es ist also ke<strong>in</strong> W<strong>und</strong>er, dass sich die Bewohner <strong>Waldegg</strong>s<br />

damals kirchlich vernachlässigt fühlten <strong>und</strong> Abhilfen<br />

für diesen Übelstand suchten. Interessant ist <strong>in</strong> diesem<br />

Zusammenhang, dass <strong>in</strong> den ältesten Aufzeichnungen des<br />

Geschäftshauses Funk <strong>in</strong> Wiener Neustadt e<strong>in</strong> Schuldenbuch<br />

für die Jahre 1517 bis 1529 sowohl e<strong>in</strong>en Pfarrer von<br />

<strong>Waldegg</strong> als auch e<strong>in</strong>en von „Wameßföld“ als Schuldner<br />

führen. Es sche<strong>in</strong>t also, dass man damals den Versuch<br />

gemacht habe, die Pfarre mit e<strong>in</strong>em eigenen Pfarrer zu<br />

versehen. (10)<br />

Das Auftreten der Wiedertäufer <strong>in</strong> <strong>Waldegg</strong> fällt gerade <strong>in</strong><br />

diese Zeitspanne, die überhaupt durch Schwierigkeiten im<br />

kirchlichen Bereich gekennzeichnet ist. Ihr waren schon<br />

im 14. <strong>und</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert Missstände vorausgegangen.<br />

Die Lexika zählen dafür die Krise des Papsttums, die<br />

Verweltlichung <strong>und</strong> mangelnde Bildung mancher Kleriker<br />

auf, aber auch den Ablasshandel. Er entstand <strong>in</strong> der<br />

Bußpraxis des Frühmittelalters, wo bereits Sündenstrafen<br />

<strong>in</strong> Geldzahlungen umgewandelt werden konnten. Als der<br />

Ablass im 14. <strong>und</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert rückwirkend auch für<br />

die Seelen der Verstorbenen gewährt wurde, um damit<br />

deren Verbleib im Fegefeuer abzukürzen, entwickelte sich<br />

der Ablasshandel zu e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>träglichen Geschäft, das<br />

leider von manchen Beteiligten zur Selbstbereicherung<br />

benutzt wurde. (9)<br />

Um diese Missstände abzuschaffen, entstanden damals<br />

Reformbewegungen, die <strong>in</strong> der Geschichte als die<br />

„Reformation“ bezeichnet werden. In dieser Reformationszeit<br />

entstanden nicht nur das Luthertum mit<br />

se<strong>in</strong>en Abspaltungen, sondern auch viele Sekten,<br />

<strong>in</strong> denen Prediger ihre eigenen Auslegungen des<br />

Evangeliums verbreiteten <strong>und</strong> die Wiederherstellung<br />

des ihrer Me<strong>in</strong>ung wahren Christentums anstrebten.<br />

Das erste öffentliche Auftreten des Protestantismus <strong>in</strong><br />

Österreich fällt <strong>in</strong>s Jahr 1521. Der Schwabe Dr. Paul<br />

Speratus richtete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Predigt im Stephansdom <strong>in</strong> Wien<br />

se<strong>in</strong>e Angriffe auf das alte christliche Religionsbekenntnis<br />

<strong>und</strong> verwarf <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Schrift die päpstlichen<br />

Lehrsätze. Er wurde 1524 als Ketzer h<strong>in</strong>gerichtet. Als se<strong>in</strong><br />

Schicksal sogar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Volkslied besungen wurde, feierten<br />

ihn sowohl die Lutheraner als auch die Wiedertäufer<br />

als e<strong>in</strong>en der ihren.<br />

Die Wiedertäufer verwarfen die K<strong>in</strong>dertaufe <strong>und</strong> forderten,<br />

dass erst der erwachsene Mensch <strong>in</strong> die Religionsgeme<strong>in</strong>schaft<br />

aufgenommen werde, deshalb tauften<br />

sie die Erwachsenen nochmals. Darum wurde sie nach<br />

ihrem Entstehen polemisch „Wiedertäufer“ genannt.<br />

Sie waren ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heitlich organisierte Kirche sondern<br />

e<strong>in</strong>e Bewegung, die von Vertretern des urchristlichen<br />

Kommunismus mit Frauen- <strong>und</strong> Gütergeme<strong>in</strong>schaft bis<br />

zu harmlosen Bibelgeme<strong>in</strong>schaften reichte <strong>und</strong> neben<br />

radikalen umstürzlerischen auch friedliche Gruppen<br />

umfasste. (2) Als Quelle stand bei ihnen immer die Bibel<br />

voran. Sie waren vornehmlich sozial betont <strong>und</strong> schürten<br />

im H<strong>in</strong>blick auf die krasse Ungleichheit der Stände mit<br />

der erregten Religiosität zugleich die Unzufriedenheit<br />

mit den sozialen Zuständen zu dieser Zeit. Für sie war<br />

mit der angestrebten Wiederherstellung des wahren<br />

Christentums auch die Herstellung sozial gerechter Verhältnisse<br />

verb<strong>und</strong>en. (5) Sie hatten daher regen Zulauf<br />

durch die Landbevölkerung. Die Bedrückung des Bauernstandes<br />

durch die Gr<strong>und</strong>herrschaft war nämlich seit<br />

dem 13. Jahrh<strong>und</strong>ert gewachsen. Hatten die meisten<br />

e<strong>in</strong>heimischen Bauern im 13. <strong>und</strong> 14. Jahrh<strong>und</strong>ert noch<br />

<strong>in</strong> bescheidenem Wohlstand gelebt, so verschlimmerte der<br />

Übergang vom Naturaldienst zur Geldwirtschaft <strong>und</strong> die<br />

Verschlechterung der Geldwährung die wirtschaftliche<br />

Lage der Bauern immer mehr. Die Religionswirren <strong>in</strong><br />

der ersten Hälfte des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts wirkten sich daher<br />

auf die Gemüter der Bauernschaft unruhestiftend aus.<br />

Fortsetzung auf Seite 14


Nr. 4 / 2009 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 14<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

Fortsetzung von Seite 13<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 114. Folge<br />

Mitteleuropa war zu dieser Zeit durch die Vielzahl von<br />

Sekten <strong>und</strong> Glaubensbekenntnissen so zerrissen, dass<br />

vier Fünftel der Bevölkerung der österreichischen Länder<br />

vom katholischen Glauben abgefallen waren. (3) Daran<br />

waren die religiösen Zustände zu dieser Zeit maßgeblich<br />

beteiligt. Die geistlichen Würdenträger waren, wie schon<br />

angeführt, oft <strong>in</strong> weltliche Interessen verstrickt <strong>und</strong> trieben<br />

gleich den Renaissancefürsten großen Aufwand. Sie<br />

Theologieprofessor Dr. Balthasar Hubmaier<br />

verschafften sich leider die Mittel dafür aus kirchlichen<br />

E<strong>in</strong>nahmequellen. (6) E<strong>in</strong>e davon war eben die missbräuchliche<br />

Gewährung von Ablässen.<br />

Die Menschen dieser Zeit waren zwar von großer Frömmigkeit<br />

durchdrungen, die aber vielfach veräußerlicht<br />

war. Häufiger Kirchenbesuch, Wallfahrten, Opfergaben<br />

<strong>und</strong> Stiftungen wurden als das Wesentliche im religiösen<br />

Leben angesehen, daneben wurde noch auf die Gew<strong>in</strong>nung<br />

von Ablässen größter Wert gelegt. (6)<br />

Der Ablass entstand als Teil der Bußpraxis im 11. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Mit dem Ablass konnten Sündenstrafen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e<br />

Geldzahlung umgewandelt werden. Als der Ablass im<br />

14. <strong>und</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert rückwirkend für die Seelen<br />

Verstorbener gewährt wurde, damit deren Verbleib im<br />

Fegefeuer abgekürzt werde, entwickelte er sich zu e<strong>in</strong>em<br />

e<strong>in</strong>träglichen Geschäft.<br />

Der Ertrag der Ablässe wurde anfänglich genutzt, um<br />

damit Baumaßnahmen <strong>und</strong> Reparaturen an Kirchen<br />

<strong>und</strong> Kreuzzüge zu f<strong>in</strong>anzieren. Leider traten bei der<br />

Gewährung dieser Ablässe große Missstände auf, deren<br />

Beseitigung <strong>in</strong> der Reformation zum Ausdruck kam.<br />

Man forderte daher die Erneuerung der Kirche im S<strong>in</strong>ne<br />

urchristlicher Re<strong>in</strong>heit <strong>und</strong> die Überw<strong>in</strong>dung kirchlicher<br />

Missstände. Schätzungen weisen darauf h<strong>in</strong>, dass Mitteleuropa<br />

zu dieser Zeit durch die Vielzahl der entstandenen<br />

Glaubensrichtungen zerrissen war. E<strong>in</strong>e der neuen<br />

Glaubensrichtungen waren die Wiedertäufer. Neben ihrer<br />

Forderung nach Freiheit <strong>und</strong> Gleichheit waren sie aber<br />

mit ihrem Bekenntnis zur Gütergeme<strong>in</strong>schaft gleichsam<br />

e<strong>in</strong>e frühe Vorläufer<strong>in</strong> des Kommunismus. (4)<br />

Die Bewegung der Wiedertäufer nahm von der Schweiz<br />

ihren Ausgang <strong>und</strong> hatte regen Zulauf durch die Landbevölkerung.<br />

Namentlich die Bauern schlossen sich ihr an,<br />

weil sie sich neben der freien Lehre des Evangeliums <strong>und</strong><br />

der Wahl der Geistlichen durch die Geme<strong>in</strong>de auch die<br />

Aufhebung des Frondienstes <strong>und</strong> des Zehntes erhofften.<br />

(6)<br />

In Österreich war der Hauptherd der Wiedertäufer Tirol.<br />

E<strong>in</strong> bedeutender Verbreiter ihrer Lehre war der ehemalige<br />

Theologieprofessor Dr. Balthasar Hubmaier. (4) Er wurde<br />

1528 <strong>in</strong> Wien auf der Erdbergerlände auf dem Scheiterhaufen<br />

verbrannt. Se<strong>in</strong>e Frau wurde mit e<strong>in</strong>em Ste<strong>in</strong> um<br />

den Hals <strong>in</strong> der Donau ertränkt.<br />

Schon ab 1526 breiteten sich die Wiedertäufer über Wien<br />

kommend, <strong>in</strong> Niederösterreich immer mehr aus.<br />

Dazu können wir <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>gangs genannten Beitrag von<br />

Prof. H. Ast das Folgende lesen:<br />

„In diese Situation h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> tauchte bald nach dem 23.<br />

Mai 1527 der Prediger Hans Hut <strong>in</strong> der kle<strong>in</strong>en Pfarre<br />

<strong>Waldegg</strong> auf …… Er wird der erste wahre „Täufer-Apostel“<br />

genannt. Er ist <strong>in</strong> He<strong>in</strong>e <strong>in</strong> Thür<strong>in</strong>gen geboren…..<br />

Vor 1517 war der erlernte Buchb<strong>in</strong>der vier Jahre Küster<br />

(Mesner) <strong>in</strong> dem kle<strong>in</strong>en Dorf Bibre, wo er e<strong>in</strong> Anwesen<br />

hatte. In Wittenberg hatte er den ersten Kontakt mit den<br />

Wiedertäufern. Er wurde aus se<strong>in</strong>em Wohnort ausgewiesen.<br />

In Frankenhausen, wo sich die aufständischen Bauern<br />

gesammelt hatten, lernte er Thomas Müntzer kennen <strong>und</strong><br />

übernahm von ihm Manches <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Glaubensme<strong>in</strong>ungen,<br />

um auf Erden e<strong>in</strong> Reich Gottes errichten zu können.<br />

Die Fortsetzung f<strong>in</strong>den Sie <strong>in</strong> der nächsten Ausgabe<br />

der „WALDEGG AKTUELL”


Nr.: 1/2010 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 7<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 115. Folge<br />

(Fortsetzung von <strong>Waldegg</strong> <strong>Aktuell</strong> 4/2009)<br />

Wiedertäufer <strong>in</strong> <strong>Waldegg</strong><br />

Nach der blutigen Unterdrückung des Bauernaufstandes<br />

wandte sich Hans Hut nach Augsburg, unterzog sich dort<br />

der Erwachsenentaufe <strong>und</strong> trat der „Bruderschaft der Täufer“<br />

bei.<br />

In Nikolsburg traf er den Reformator Dr. Balthasar Hubmeier.<br />

Hut wurde wegen se<strong>in</strong>er Tätigkeit als „Wiedertäufer-<br />

Apostel“ verfolgt. Helfer ließen ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Netz über die<br />

Schlossmauer von Nikolsburg h<strong>in</strong>ab. Er floh nach Wien.<br />

Dort konnte er e<strong>in</strong>e Reihe von Leuten gew<strong>in</strong>nen, darunter<br />

auch Konz Schmaus, der ihn dann auch nach <strong>Waldegg</strong> begleitete.<br />

Die drohende Türkennot war für Hut e<strong>in</strong> sicheres<br />

Zeichen vom baldigen Weltende <strong>und</strong> der Ankunft Christi,<br />

um das Reich Gottes zu errichten. Die täuferische Überlieferung<br />

spricht von mitreißenden Predigten Huts im kle<strong>in</strong>en<br />

<strong>Waldegg</strong>er Kirchle<strong>in</strong>.<br />

H. Hut gelang es, den <strong>Waldegg</strong>er Pfarrer Ulrich N. für se<strong>in</strong><br />

Werk zu gew<strong>in</strong>nen. Er war fest überzeugt vom baldigen<br />

Ende der Welt. Nach se<strong>in</strong>en Worten stand dieses furchterregende<br />

Ereignis <strong>in</strong> nur mehr wenigen Wochen bevor. Unvorstellbar,<br />

wie solche Reden das e<strong>in</strong>fache Volk ängstigten, das<br />

nicht lesen <strong>und</strong> schreiben konnte <strong>und</strong> auf das gesprochene<br />

Wort umso mehr hörte. Daher konnte Hut die Massen des<br />

Volkes mit zauberischer Anziehungskraft ergreifen. So wurde<br />

für vierzehn Tage e<strong>in</strong> Aufenthalt im <strong>Waldegg</strong>er Pfarrhof<br />

möglich. (Dieser alte Pfarrhof stand früher dort, wo sich an<br />

der Friedhofsmauer das heutige Pfarrheim bef<strong>in</strong>det.) „Se<strong>in</strong><br />

Wirken stellte alles Bisherige <strong>in</strong> den Schatten. Der angeworbene<br />

Kreis von Glaubensbrüdern war so groß, dass Hut<br />

se<strong>in</strong>en Gefährten Konz Schmaus als Prediger <strong>und</strong> Vorsteher<br />

der Brüdergeme<strong>in</strong>de <strong>Waldegg</strong> zurückließ, als er weiterzog.<br />

Nach der Überlieferung habe er <strong>in</strong> <strong>Waldegg</strong> an die h<strong>und</strong>ert<br />

Brüder <strong>in</strong> die Brüderschaft gebracht.“<br />

Kurz darauf wurden <strong>in</strong> der Herrschaft Gutenste<strong>in</strong> „Taufges<strong>in</strong>nte“<br />

im Auftrag des Erzbischofs von Salzburg festgenommen.<br />

Die Religionsforscher<strong>in</strong> Grete Mesenseffy me<strong>in</strong>t,<br />

es müsse sich ausschließlich um Untertanen aus <strong>Waldegg</strong><br />

handeln. Man bedenke aber, wie rege der Handelsverkehr<br />

durch das Piest<strong>in</strong>gtal damals war. Mit den Kohlbauern <strong>und</strong><br />

Fortsetzung auf Seite 8


Nr.: 1/2010 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 8<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 115. Folge<br />

Fortsetzung von Seite 7<br />

Schmiedegesellen hatte sich <strong>in</strong> W<strong>in</strong>deseile der Ruf dieses<br />

außerordentlichen Predigers rasch verbreitet. Die Leute waren<br />

Hut <strong>in</strong> Scharen zugelaufen. Die oben erwähnten Gefangenen<br />

könnten somit aus der ganzen Herrschaft Gutenste<strong>in</strong><br />

stammen.<br />

Hut fand nach <strong>Waldegg</strong> <strong>in</strong> Melk das nächste Missionsfeld.<br />

Westwerts ziehend wurde se<strong>in</strong>e Reise e<strong>in</strong> wahrer Siegeszug,<br />

der ihn über Steyr, Freistadt <strong>und</strong> Wels nach L<strong>in</strong>z führte.<br />

Wagemutig <strong>und</strong> verfolgt kam er über Salzburg <strong>und</strong> Passau<br />

nach Augsburg. Hier wurde er am 25. September 1527 vom<br />

Augsburger Lutheranischen Stadtrat verhaftet. Nach Er<strong>in</strong>nerungen<br />

se<strong>in</strong>es Sohnes Philipp habe man ihn „gereckt“<br />

(gemartert). „Da sei er wie e<strong>in</strong> Toter liegen geblieben.“<br />

Man habe den Leichnam, so, als sei er lebendig, auf e<strong>in</strong>en<br />

Stuhl geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> auf den Sch<strong>in</strong>derkarren gesetzt, ihm<br />

se<strong>in</strong> „Urgicht“ (Geständnis) vorgelesen, verurteilt <strong>und</strong> am<br />

7. Dezember 1527 verbrannt.<br />

Se<strong>in</strong> Auftreten <strong>und</strong> die Bildung e<strong>in</strong>er Täufergeme<strong>in</strong>de <strong>in</strong><br />

<strong>Waldegg</strong> haben bis heute <strong>in</strong> der Geschichtsschreibung ke<strong>in</strong>en<br />

Platz gef<strong>und</strong>en.<br />

„Dies ist der Gr<strong>und</strong> für die Herausgabe dieses Beitrages“<br />

schreibt Frau Professor Ast zum Schluss.<br />

Das Geschehen <strong>und</strong> die Gräuel der 1529 folgenden Türkenkriege<br />

sche<strong>in</strong>en die kurzen Jahre der Wiedertäufer-Episode<br />

aus dem Gedächtnis der damaligen Bewohner <strong>Waldegg</strong>s<br />

vollkommen gelöscht zu haben, so dass sie auch <strong>in</strong> der<br />

Überlieferung ke<strong>in</strong>e Spuren h<strong>in</strong>terließ.<br />

Quellenverzeichnis:<br />

1.) Hiltraud Ast, E<strong>in</strong>e Wiedertäufergeme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> <strong>Waldegg</strong>, Kulturbeilage<br />

zum Amtsblatt der BH Wiener Neustadt, Nr. 8/128.Jg.,<br />

15.4.2009<br />

2.) Karl Ziak, Unvergängliches Österreich, Europaverlag 1958<br />

3.) Wilhelm J. Wagner, Bildatlas zur Geschichte Österreichs, Verlag<br />

Kremayer/Scheriau 1995<br />

4.) Karl Gutkas, Geschichte des Landes Niederösterreich, NÖ Pressehaus<br />

St. Pölten 1982<br />

5.) Franz Thalln, Glaubensstreit <strong>und</strong> Türkennot, Styria Graz<br />

6.) H.Ebner/H.Ste<strong>in</strong>er, Lehrbuch der Weltgeschichte, 1. Teil<br />

7.) Stephan Vajda, Felix Austria, Verlag Ueberreuter, Wien 1980<br />

8.) Dr. Gerhard Gartner, Geschichte der Pfarre Weistrach, Verlag<br />

W.Ennstaler, Steyr 1973<br />

9.) Claudia Märtl, Die 101 wichtigsten Fragen zum Mittelalter, Verlag<br />

Beck 2007


Nr.: 2/2010 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 9<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 116. Folge<br />

Sägewerk wandert <strong>in</strong>s Museum<br />

Im „Holz-Kurier“ (31. Jahrgang, vom 21.10.1976) ist zu<br />

lesen:<br />

„Zweih<strong>und</strong>ertjähriges Sägewerk im Holzmuseum <strong>in</strong> Gu-<br />

Sägemühle, Wohnhaus, dah<strong>in</strong>ter Mahlmühle – Foto aus 1903<br />

tenste<strong>in</strong>, NÖ. Aus <strong>Ober</strong>piest<strong>in</strong>g wurde e<strong>in</strong> komplettes Sägewerk<br />

aus dem Jahre 1768 <strong>in</strong> das Gutenste<strong>in</strong>er Museum<br />

übertragen“ (1)<br />

Dieses Sägewerk erwähnt bereits<br />

1802 der Arzt <strong>und</strong> Reiseschriftsteller<br />

J.A. Schultes, e<strong>in</strong> Zeitgenosse Jakob<br />

Gauermanns, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch „Ausflüge<br />

nach dem Schneeberg <strong>in</strong> Niederösterreich“<br />

bei der Beschreibung<br />

des Abstieges von der Burg Starhemberg<br />

<strong>in</strong> das Piest<strong>in</strong>gtal, die uns den<br />

damaligen wüsten Zustand des heutigen<br />

Wanderweges durch den Sch<strong>in</strong>dergraben<br />

beschreibt:<br />

„Wir eilten über e<strong>in</strong>en Feldweg <strong>in</strong>s<br />

Tal. Am westlichen Abhang steht<br />

e<strong>in</strong>e Hütte. Es ist die Wohnung des<br />

Scharfrichters dieser Gegend. An<br />

ihr vorbei führt e<strong>in</strong> Weg <strong>in</strong>s Tal, das<br />

man das Tal der Verwüstung nennen<br />

könnte. Trümmer von Felsen liegen<br />

auf Trümmern von e<strong>in</strong>gestürzten<br />

Mauern (des e<strong>in</strong>stigen Stauwerkes<br />

des Sch<strong>in</strong>derbaches, Anm. Ml<strong>in</strong>er).<br />

Immer größer werden die Trümmer.<br />

Die Sträucher werden dichter, <strong>und</strong> mit e<strong>in</strong>em Male steht<br />

man <strong>in</strong>mitten e<strong>in</strong>es Ackers. Häuser <strong>und</strong> Hütten treten unter<br />

den Weiden der Piest<strong>in</strong>g hervor. Bei e<strong>in</strong>er Sägemühle geht<br />

man über e<strong>in</strong>e Brücke <strong>und</strong> nun ist man wieder <strong>in</strong><br />

der wirklichen Welt.“ (2)<br />

Das Foto im Text aus dem Jahr 1903 aus der<br />

Sammlung von Ing. H.G. Mössner zeigt dieses<br />

Sägewerk <strong>und</strong> dah<strong>in</strong>ter die ebenerdigen Gebäude<br />

(Mühle <strong>und</strong> Wohnhaus), der ehemaligen Haas-<br />

Mühle. Diese Mühle wurde bei Kampfhandlungen<br />

<strong>in</strong> den letzten Kriegstagen 1945 beschädigt.<br />

Frau Margarethe Strohmayer, die Erb<strong>in</strong> nach Rudolf<br />

Haas, ließ 1953 mit dem Wiederaufgaufond<br />

an ihrer Stelle das heutige Wohnhaus <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g<br />

Nr. 57 errichten.<br />

Mahlmühlen gab es an der Piest<strong>in</strong>g schon lange.<br />

Schon um 1170 wird im Falkenste<strong>in</strong>er Kodex<br />

der Talabschnitt zwischen der Wopf<strong>in</strong>ger Kirche<br />

<strong>und</strong> dem Piest<strong>in</strong>ger Brauhaus wegen der häufigen<br />

Mühlen als „multhal“ erwähnt.<br />

Sägewerke gab es aber bei uns im Tal erst viel<br />

später. Weil man sie meist bei schon bestehenden Mühlen<br />

errichtete, nannte man sie Sägemühlen.<br />

Vorgänger unserer Handsägen gab es schon <strong>in</strong> der Ste<strong>in</strong>zeit.<br />

Sie bestanden aus hartem<br />

Feuerste<strong>in</strong>, der mit Schlägen<br />

an se<strong>in</strong>er Längskante primitiv<br />

gekerbt wurde. In der Bronzezeit<br />

verwendeten die Ägypter<br />

schon bronzene Sägeblätter<br />

<strong>und</strong> bei den Römern stand<br />

bereits die Rahmensäge mit<br />

Spannschnur, mit eisernem Sägeblatt<br />

<strong>und</strong> geschränkten Zähnen<br />

<strong>in</strong> Verwendung.<br />

Das erste mit Wasserkraft betriebene,<br />

selbständig arbeitende<br />

Sägewerk wurde 1235 von<br />

dem französischen Architekten<br />

Villard entworfen.<br />

1322 wird e<strong>in</strong> mit Wasserkraft<br />

betriebenes Sägewerk <strong>in</strong> Augsburg<br />

erwähnt. Aber erst seit<br />

dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert verbrei-<br />

Ansicht etwa aus 1926<br />

Fortsetzung auf Seite 10


Nr.: 2/2010 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 10<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er Fortsetzung von Seite 9<br />

116. Folge<br />

Foto um 1938<br />

teten sich die bäuerlichen Venezianer-Gatter oder<br />

Leier-Sägen <strong>und</strong> stiegen <strong>in</strong> Österreich rasch <strong>in</strong> die<br />

entlegendsten Gebirgstäler h<strong>in</strong>auf. „Leiern“ sagt<br />

man heute noch, wenn jemand e<strong>in</strong>tönig redend,<br />

fast mechanisch, se<strong>in</strong>en Text „Herunterleiert“.<br />

Im Dienstbuch der Herrschaft Hernste<strong>in</strong> werden<br />

1728 erstmals e<strong>in</strong> Urban <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Helene Toifel<br />

als Besitzer dieser Säge <strong>und</strong> Mühle genannt. Es<br />

folgen dann Matthias Ste<strong>in</strong>hauser, Franz Hadten,<br />

Benedikt Werer, Franz Wöhrer, Mart<strong>in</strong> Berger.<br />

1882 kommt die Mühle durch Erbteilung an Rudolf<br />

Haas <strong>und</strong> das Sägewerk an Franz Haas. Franz<br />

Haas hatte das Sägewerk bis 1965 <strong>in</strong> Betrieb.<br />

Anton Lechner, mit Wilhelm Ast Mitbegründer<br />

des heutigen Waldbauernmuseums <strong>in</strong> Gutenste<strong>in</strong><br />

begann schon 1966 Verhandlungen mit der Familie<br />

Haas wegen e<strong>in</strong>er Übertragung ihres Sägewerkes<br />

auf das Museumsgelände. (3)<br />

Gleichsam symbolisch für die vielen holzverarbeitenden<br />

Betriebe dreht sich jetzt das Wasserrad<br />

der ehemaligen Haas-Säge aus <strong>Ober</strong>-Piest<strong>in</strong>g<br />

heute als Schaustück wieder an der Piest<strong>in</strong>g im<br />

Gelände des Museums <strong>in</strong> Gutenste<strong>in</strong>.<br />

Quellen:<br />

1 Holzkurier, 31. Jahrgang., Okt. 1976<br />

2 J.A. Schultes, Ausflüge nach dem Schneeberg <strong>in</strong> Unterösterreich,<br />

1802<br />

3 Waltraud Ast, Sägemühlen <strong>in</strong> der nö. Waldmark, Gesellschaft der<br />

Fre<strong>und</strong>e Gutenste<strong>in</strong>s 2005<br />

Sägemühle vor der Abtragung – Foto etwa aus 1970


Nr.: 3/2010 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 11<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 117. Folge<br />

Der erste Seelsorger der Pfarre Wopf<strong>in</strong>g<br />

Beim Stöbern <strong>in</strong> alten Aufzeichnungen s<strong>in</strong>d mir <strong>in</strong>teressante<br />

Blätter <strong>in</strong> die Hände gefallen. Da die erste Wopf<strong>in</strong>ger<br />

Pfarrchronik schon ganz vergilbt <strong>und</strong> daher fast unleserlich<br />

war, begann ich 1962 Wichtiges daraus abzuschreiben.<br />

Wopf<strong>in</strong>g, wozu auch die diesseits der Piest<strong>in</strong>g gelegenen<br />

Häuser <strong>in</strong> Peisch<strong>in</strong>g <strong>und</strong> <strong>Waldegg</strong> gehörten, war e<strong>in</strong>st e<strong>in</strong>e<br />

Filiale der Pfarre Hernste<strong>in</strong>, über welche das Zisterzienserstift<br />

Neuberg <strong>in</strong> der Steiermark das Patronatsrecht hatte.<br />

Als sich zur Zeit der Pfarrgründungen unter Joseph II. auch<br />

Wopf<strong>in</strong>g um e<strong>in</strong>en eigenen Seelsorger bewarb, wurde das<br />

Kloster Neuberg beauftragt, e<strong>in</strong>en tauglichen Priester dafür<br />

zu stellen. Die Wahl fiel auf Pater Wenzl Firns<strong>in</strong>.<br />

Alte Ansicht (v.l<strong>in</strong>ks): Pfarrhaus Wopf<strong>in</strong>g (Nr. 8), Haus Nr. 7 <strong>und</strong> Kirche Wopf<strong>in</strong>g, rechts oben Ru<strong>in</strong>e Starhemberg<br />

Wie schwer es e<strong>in</strong>em Ordensgeistlichen, plötzlich aus<br />

dem geregelten Klosterleben herausgerissen, fiel, sich<br />

im „sündigen“ Alltag se<strong>in</strong>er neu gegründeten Pfarre<br />

zurechtzuf<strong>in</strong>den, zeigen se<strong>in</strong>e schriftlichen Aufzeichnungen<br />

zum Beg<strong>in</strong>n der Wopf<strong>in</strong>ger Pfarrchronik (wörtlich):<br />

„Das derbe Los fiel über mich <strong>und</strong> <strong>in</strong> denselben Augenblick<br />

tönte <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Gehör der Spruch der Wahrheit, daws<br />

ke<strong>in</strong> Prophet <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Vaterlande angenehm seyn werde.<br />

– Jedoch, wie blendet nicht uns Sterbliche der gewaltige<br />

Klostergehorsam so, dass man auch über solche Wege<br />

nicht wollend gehet, über welche zu gehen man von allen<br />

Rechten zwangsfrey wäre! Ich sah, weiß nicht wie, im<br />

Geiste vor, was mich für Beschwernüsse dort <strong>in</strong> Wopf<strong>in</strong>g<br />

erwarteten. Gleichwohl trat ich die Reise an <strong>und</strong> es wurde<br />

mir unerwartet den 3ten Juny Ao 1783 im Pfarrhofe zu<br />

Hörnste<strong>in</strong> die fernere Herberge statt e<strong>in</strong>er zu Wopf<strong>in</strong>g<br />

e<strong>in</strong>geraumet.<br />

Was ich nun bey solchen Umständen denen <strong>in</strong> Wopf<strong>in</strong>g,<br />

oder sie mich ang<strong>in</strong>gen, wußte ich nicht bis auf den 2ten<br />

Hornung (alter Monatsname für Februar) Ao 1784, an<br />

welchem nachstehendes Consistorial-Dekret <strong>in</strong> Hörnste<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>gelaufen ware: ……<br />

Auf Anlangen der Geme<strong>in</strong>de zu Wopf<strong>in</strong>g um Zutheilung<br />

e<strong>in</strong>es Seelsorgers … wurde verordnet, es seye dem sich zu<br />

Hörnste<strong>in</strong> bef<strong>in</strong>denden,<br />

für Wopf<strong>in</strong>g bestimmten<br />

Stif Neubergl. Professen<br />

(e<strong>in</strong>er, der das Mönchsgelübte<br />

abgelegt hatte)<br />

aufzutragen, dass er …..<br />

sich alsogleich nach<br />

Wopf<strong>in</strong>g begebe, <strong>und</strong> allda<br />

der Seelsorge vorstehen<br />

soll.<br />

Diesem Dekret zu ‚Folge<br />

riß mich das noch nicht<br />

ganz entlarvte Schicksal<br />

<strong>in</strong> den Abgr<strong>und</strong> nach<br />

Wopf<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>ab. Den 3.<br />

Hornung (Februar) im<br />

Jahre 1784 nahm ich<br />

bey dem Andre Wimmer<br />

Hammerschmiedemeister<br />

aldort das Quartier,<br />

welches ich hernach am<br />

15ten Juny selben Jahres<br />

auf Befehl me<strong>in</strong>es Herrn<br />

Prälaten bey dem Thomas Prent<strong>in</strong>ger nehmen mußte.<br />

Nun setzte me<strong>in</strong>e Gegegenwart ganz Wopf<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Freude<br />

– aber sie wußten nicht, was sie begehret <strong>und</strong> erhalten<br />

haben. Sie wußten nicht, dass e<strong>in</strong> an die Zügellosigkeit <strong>und</strong><br />

Ausschweifung längst gewohntes Volk wie sie, schwerlich<br />

die Maßregeln e<strong>in</strong>es tugendhaften Lebens annehmen<br />

würden.<br />

Sie wußten nicht, dass e<strong>in</strong> ihnen an der Seite stehender Hirt<br />

dazumal e<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>ger über se<strong>in</strong>en M<strong>und</strong> nicht legen darf,<br />

da ihn se<strong>in</strong> Amt zum Reden verpflichtet. Sie wußten nicht,<br />

Fortsetzung auf Seite 12


Nr.: 3/2010 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 12<br />

Fortsetzung von Seite 11<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 117. Folge<br />

Der erste Seelsorger der Pfarre Wopf<strong>in</strong>g<br />

dass er alle Sorten der Verfolgung bevor auf sich nehmen,<br />

ja selbst se<strong>in</strong>e eigene Seele für das Wohl se<strong>in</strong>er Schafe<br />

abgeben müsse. …………<br />

…… Der Ursache wegen zergliedere ich ihnen die<br />

Wahrheiten der Evangelien <strong>und</strong> wurde immer mehr<br />

überzeugt, dass Mißgunst – zuweilen auch Verachtung –<br />

der Wahrheit nachstelle.<br />

In eben diesem 1784ten Jahre wurde der Conkurs für die<br />

neuerrichtete Lokalkaplaney Wopf<strong>in</strong>g ausgeschrieben. Auch<br />

ich wurde durch e<strong>in</strong> Consistorial Dekret hierzu berufen. Ich<br />

mußte nach Wien als Provisor <strong>und</strong> kehrte von dannen als<br />

Capellanus localis denom<strong>in</strong>atus (ernannter Kaplan, Anm.<br />

Ml<strong>in</strong>er) zurück.<br />

Man sollte nun <strong>in</strong> Wopf<strong>in</strong>g e<strong>in</strong> Pfarrhaus bauen. Welcher<br />

Dolch hat jemals die Brust e<strong>in</strong>es Herrn Abten e<strong>in</strong>e so tiefe<br />

W<strong>und</strong>e, wie dieser Auftrag versezet? Man schrieb, man<br />

reiste, man entschuldigte, man weigerte sich, man schützte<br />

zentnerschwere H<strong>in</strong>dernisse vor. Man sucht zu diesem<br />

Ziel Wopf<strong>in</strong>g der Pfarre <strong>Waldegg</strong> e<strong>in</strong>zuverleiben. Alle<strong>in</strong><br />

Vergebens! Aus nachgesetzem Regierungsdekret könnt ihrs<br />

ermessen.<br />

Dekret – Die Hochl. NÖ. Landesregierung hat mittels<br />

Dekret vom 14ten April dies anher er<strong>in</strong>nert: Über den nach<br />

Hof erstatteten Bericht betreff der von dem Herrn Abten<br />

zu Neuberg <strong>in</strong> Steyermarkte gebetene Enthebung von der<br />

Lokalkaplaney Wopf<strong>in</strong>g sei der Hofbeschayd ddo 2ten Aprs.<br />

dies erfolgt:<br />

Es habe bei der angeordneten Expositur <strong>in</strong> Wopf<strong>in</strong>g<br />

allerd<strong>in</strong>gs zu verbleiben, <strong>und</strong> sey der Herr Prälat mit<br />

seynen Vorstellungen e<strong>in</strong> für allemal abzuweisen. Welches<br />

derselben zur Wissenschaft hiemit er<strong>in</strong>nert wird. (Von dem<br />

K.K.Kreisamt V.U.W.W. Wien den 29ten Oktober 1784)“<br />

Im darauffolgenden Jahre 1785 wurde mit dem Bau des<br />

Pfarrhauses begonnen. Neuberg bestimmte Werkleute,<br />

streckte Geld vor <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>mauern schienen schon<br />

etliche Klafter aus der Erde emporzusteigen. Alles, was<br />

sich <strong>in</strong> Wopf<strong>in</strong>g bewegen konnte, bot zur Herstellung des<br />

Gebäudes se<strong>in</strong>e Dienste gegen bare Münze an.<br />

„Aber e<strong>in</strong> neydig <strong>und</strong> hässliches Schicksal spielte hier e<strong>in</strong>en<br />

Streich, der mit dem Turmbau zu Babylon viel Ähnliches<br />

hatte. ……..Ich sah diesen Embrionen von e<strong>in</strong>em Gebäude<br />

an durch die Jahre 1785, 1786 <strong>und</strong> 1787 ohne me<strong>in</strong> Quartier<br />

verändern zu können . Ungetreue Hoffnung kränkte<br />

me<strong>in</strong>e Brust, - unvermeidliche Verordnungen gegen die<br />

festgesetzten Lebensregeln schwächten die Kräfte me<strong>in</strong>es<br />

Körpers. – Häßliche Ausschweifungen der Bösewichter<br />

marterten me<strong>in</strong>e Seele, alles Reelle verschwand aus<br />

me<strong>in</strong>em Gemüthe, <strong>und</strong> nun schwebte die Gefahr e<strong>in</strong>er<br />

unheilbaren Krankheit sichtbar vor me<strong>in</strong>en Augen. Daher<br />

überließ ich mich dem Leibarzte <strong>und</strong> verließ Wopf<strong>in</strong>g. Ich<br />

h<strong>in</strong>terließ diesem rauhem Volke die mühevollen Arbeiten<br />

<strong>und</strong> christlichen Sittenlehren, die ich für ihr dauerndes<br />

Wohl unternommen hatte, - Euch aber, /: Theuerste Brüder<br />

<strong>in</strong> Christo Jesu, <strong>und</strong> Nachfolger im Seelsorgegeschäft: /<br />

weyhe ich diese kurze Anmerkungen zum Angedenken mit<br />

heißem Wunsch: Gott wolle durch die Kraft se<strong>in</strong>es Geistes<br />

die Ste<strong>in</strong>herzen, deren ihr noch viele <strong>in</strong> dieser Geme<strong>in</strong>de<br />

antreffen werdet, <strong>in</strong> beugsames Fleisch verwandeln, damit<br />

eure Freude vollkommen werde. Ich lebe hiefort <strong>in</strong> aller<br />

Hochachtung Euer ergebenster Diener Joseph Wenzel<br />

Firns<strong>in</strong> Weltpriester“<br />

Diesen Anmerkungen über den Ursprung der Pfarre Wopf<strong>in</strong>g<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>es ersten Seelsorgers wird von e<strong>in</strong>em Nachfolger <strong>in</strong><br />

der Chronik Folgendes h<strong>in</strong>zugefügt:<br />

„Firns<strong>in</strong> an Leib <strong>und</strong> Seele krank, begab sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Geburtsstadt Wr. Neustadt, wo er bis ans Ende se<strong>in</strong>es Lebens<br />

blieb <strong>und</strong> starb. Im Jahre 1784, den 6ten April verrichtete er<br />

se<strong>in</strong>e erste Taufhandlung <strong>und</strong> am 18. März 1787 se<strong>in</strong>e letzte<br />

Function. Er war also im Ganzen 3 Jahre „rector eclesia<br />

Wopf<strong>in</strong>gerensis“. Er hatte ke<strong>in</strong>en Nachfolger sede vacante<br />

durch vier Monathe, so lange kommt im Taufprotocolle ke<strong>in</strong>e<br />

Function vor. Dann ersche<strong>in</strong>t als Provisor Pater Placentius<br />

Dalhammer Capuc<strong>in</strong>us aus dem Kapuz<strong>in</strong>erkloster zu Wr.<br />

Neustadt, welchem anfangs August des Jahres 1787 bis<br />

zum 5ten Juny 1788 die Seelsorge <strong>in</strong> Wopf<strong>in</strong>g oblag. Nun<br />

ersche<strong>in</strong>t wieder e<strong>in</strong> eigentlicher Seelsorger, nämlich Ignatz<br />

Prathengeyer, primus Capellanus localus ad hunc locum<br />

episc. Primus <strong>in</strong>vestitus (erster Kaplan, für diesen Ort<br />

bischöfl. <strong>in</strong>vestiert, Anm. Ml<strong>in</strong>er). Aus dieser Anmerkung<br />

geht hervor, dass sich der erste Seelsorger, Joseph Wenzel<br />

Firns<strong>in</strong>, der Concursprüfung unterzog, ja wohl wie er selbst<br />

sagte, unterziehen mußte, aber canonice nicht <strong>in</strong>vestiert<br />

worden sey.‘“<br />

Prathengeyer war von Wiener Neustadt gebürtig. Er war<br />

der Sohn e<strong>in</strong>es Bäckers. Er soll sehr lebenslustig <strong>und</strong><br />

menschenfre<strong>und</strong>lich gewesen se<strong>in</strong>. Se<strong>in</strong>e Gastfre<strong>und</strong>schaft<br />

wird sehr gerühmt. Er stand der Pfarre durch 8 Jahre <strong>und</strong> 4<br />

Monate vor, nämlich vom August 1788 bis Ende des Jahres<br />

1795. Er wurde Pfarrer <strong>in</strong> Zill<strong>in</strong>gdorf, wo er nach e<strong>in</strong>igen<br />

Jahren starb.


Nr.: 4/2010 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 13<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 118. Folge<br />

200 Jahre Firma Zugmayer<br />

Diese Feier am 24.9.2010 regt dazu an, neben der großen <strong>in</strong>dustriellen<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlichen Bedeutung dieser Firma für die<br />

Entwicklung <strong>Waldegg</strong>s aufzuzeigen, dass Mitglieder der Familie<br />

Zugmayer auch über <strong>Waldegg</strong> h<strong>in</strong>aus kulturell Bedeutendes geleistet<br />

haben.<br />

Hier ist gleich der Sohn des Firmengründers Sever<strong>in</strong>, nämlich<br />

Georg Zugmayer, zu nennen. Als die revolutionären Ereignisse<br />

im Jahre 1848 die Entstehung der freien Ortsgeme<strong>in</strong>den brachten,<br />

<strong>und</strong> an Stelle der früheren Ortsrichter e<strong>in</strong> <strong>in</strong> freier Wahl zu<br />

bestimmender Geme<strong>in</strong>derat die Ortsgeschäfte führte, wählte<br />

dieser 1861 Georg Zugmayer nach V<strong>in</strong>zenz Eisenkirchner zum<br />

2. Bürgermeister der Ortsgeme<strong>in</strong>de Peisch<strong>in</strong>g. Er übte dieses Amt<br />

bis 1876 aus. Als wegen der immer mehr steigenden Schülerzahl<br />

die alte Schule l<strong>in</strong>ks vor der Kirche viel zu kle<strong>in</strong> wurde, spendete<br />

Georg Zugmayer den dafür benötigten Baugr<strong>und</strong>, auf dem heute<br />

noch das seither oft um- <strong>und</strong> ausgebaute große, moderne Schulgebäude<br />

steht.<br />

Nach dem Tode se<strong>in</strong>es Bruders <strong>und</strong> Gesellschafters Mart<strong>in</strong> nahm<br />

Georg Zugmayer se<strong>in</strong>e Söhne Karl <strong>und</strong> He<strong>in</strong>rich <strong>in</strong> die Firma auf.<br />

Karl (oft auch „Carl“ geschrieben) war 1889 – 1907 Bürgermeister<br />

von Wopf<strong>in</strong>g, denn das Firmengelände lag auf dem Gebiet<br />

der Ortsgeme<strong>in</strong>de Wopf<strong>in</strong>g, das sich l<strong>in</strong>ks der Piest<strong>in</strong>g von Reichental<br />

bis zum Mühltal erstreckt. Die <strong>Waldegg</strong>er Schulchronik<br />

vermerkt für se<strong>in</strong>e Zeit: „Freitag, den 2. Dez. 1898 wurde das<br />

fünfzigjährige Regierungsjubiläum se<strong>in</strong>er Majestät unseres allergnädigsten<br />

Kaisers (Franz Joseph, Anm. Ml<strong>in</strong>er) gefeiert. Herr<br />

Karl Zugmayer überreichte den K<strong>in</strong>dern zur dauernden Er<strong>in</strong>nerung<br />

e<strong>in</strong>e Jubiläumsmedaille.“ ……“Karl Artner, welcher sich<br />

als Obmann des Ortsschulrates um die Erweiterung der Schule<br />

große Verdienste erwarb, ist am 22. Nov. 1898 aus dem Ortsschulrat<br />

ausgetreten, Obmann wurde Herr Karl Zugmayer.“<br />

Bei der Firma Zugmayer wirkte damals auch e<strong>in</strong> Dr. Karl Schmidt<br />

als Fabriksarzt. Dass er auch Geme<strong>in</strong>dearzt war, erfahren wir aus<br />

e<strong>in</strong>er „Note“ des k.k. Bezirkshauptmannes von Wiener Neustadt<br />

vom 31. Mai 1884. Dort heißt es, dass er als Totenbeschauer der<br />

Geme<strong>in</strong>de Wopf<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e Jahresremmuneration von 40 Gulden erhielt.<br />

(Mitteilung von Hofrat Dr. St<strong>und</strong>ner). Dr. Schmidt hatte se<strong>in</strong>e<br />

Praxis <strong>und</strong> Wohnung im Haus <strong>Waldegg</strong> 109, das ihm die Firma<br />

Zugmayer zur Verfügung stellte. In diesem Doktorhaus wirkten<br />

auch noch se<strong>in</strong>e Nachfolger. Dr. Franz Holzer sen. ab 1908 <strong>und</strong><br />

als dessen Nachfolger se<strong>in</strong> Sohn Dr. Franz Holzer jun. ab 1941.<br />

Dieser verlegte se<strong>in</strong>e Praxis erst 1960 <strong>in</strong> das Haus Nr. 154 (gegenüber<br />

dem Geme<strong>in</strong>deamt).<br />

Die Firma Zugmayer brachte also nicht nur den ersten Geme<strong>in</strong>dearzt<br />

nach <strong>Waldegg</strong>, sondern stellte für se<strong>in</strong> Wirken auch Haus <strong>und</strong><br />

Wohnung zur Verfügung, die bis 1960 auch se<strong>in</strong>en Nachfolgern<br />

Dr. Holzer sen. <strong>und</strong> Dr. Holzer jun. als Wirkungsstätte dienten.<br />

Neben Karl Zugmayer dürfen wir nicht vergessen, se<strong>in</strong>en Bruder<br />

He<strong>in</strong>rich zu erwähnen. Er war Geologe aus Liebhaberei <strong>und</strong> erlangte<br />

dabei europäischen Ruf. Neben se<strong>in</strong>em Wirken <strong>in</strong> der Firma<br />

war He<strong>in</strong>richs großes Hobby die Geologie, die Wissenschaft<br />

vom Bau <strong>und</strong> der Geschichte der Erde. Er fand dafür so zu sagen<br />

vor se<strong>in</strong>er Haustür e<strong>in</strong> reiches Betätigungsfeld. Er war e<strong>in</strong> hochbegabter<br />

Mann mit großem zeichnerischen Können, der <strong>in</strong> vielen<br />

Bleistiftskizzen <strong>Waldegg</strong>er Ansichten festhielt. Er hatte sich die<br />

Gegend unseres Tales vom Kitzberg bis h<strong>in</strong>aus zur Ru<strong>in</strong>e Starhemberg<br />

zum Gegenstand sorgfältigster Forschungen erkoren. In<br />

der Familienchronik wird se<strong>in</strong>e wissenschaftliche Abhandlung<br />

„Über rhätische Brachiopoden“ besonders erwähnt. Brachiopo-<br />

Terrakotta beim Haus <strong>Waldegg</strong> 109<br />

den, auch Armfüßer genannt, s<strong>in</strong>d festsitzende, muschelartige<br />

Meerestiere, deren letzte Vertreter heute noch leben, aber e<strong>in</strong>st<br />

sehr artenreich entwickelt <strong>und</strong> <strong>in</strong> unserem Gebiet als Fossilien<br />

reichlich zu f<strong>in</strong>den waren. E<strong>in</strong>en sehr ergiebigen F<strong>und</strong>ort rhätischer<br />

Petrefakte (Verste<strong>in</strong>erungen) waren die Ste<strong>in</strong>wälle zwischen<br />

den ehemaligen We<strong>in</strong>gärten, am Hang l<strong>in</strong>ks der Piest<strong>in</strong>g <strong>in</strong><br />

unserer Geme<strong>in</strong>de, mit e<strong>in</strong>er Ausbeute von über 60 Arten. Besonders<br />

auffallend waren dabei Geste<strong>in</strong>sstücke von breccienartiger<br />

Zusammensetzung. Die Breccie o. Brekzie ist e<strong>in</strong>e Geste<strong>in</strong>sart,<br />

die durch e<strong>in</strong> B<strong>in</strong>demittel verfestigt wurde. In unserem Fall s<strong>in</strong>d<br />

es Zahn-, Knochen- <strong>und</strong> Schuppenbruchstücke von Reptilien,<br />

Amphibien <strong>und</strong> Fischen, die diese Geste<strong>in</strong>sart derart füllen, dass<br />

gleichsam e<strong>in</strong>e Knochenbrekzie entstand. Diese Brekzie tritt <strong>in</strong>sbesonders<br />

<strong>in</strong> Schwaben <strong>und</strong> <strong>in</strong> England <strong>in</strong> der rhätischen Stufe<br />

unter der Bezeichnung „Bonebed“ (Knochenbrekzie) auf. Die genauere<br />

Untersuchung ergab dann, dass diese <strong>in</strong> Österreich bisher<br />

unbekannte Geste<strong>in</strong>sart von He<strong>in</strong>rich Zugmayer als „Alp<strong>in</strong>es Bonebed“<br />

bezeichnet wurde.<br />

An ihrer stärksten Gefällstufe trennte die Piest<strong>in</strong>g im Schwarzviertel<br />

vom Kalkste<strong>in</strong>block der Mandl<strong>in</strong>g den Gressenberg ab.<br />

Dort ist beim Steg des Radweges über die Piest<strong>in</strong>g, l<strong>in</strong>ks von<br />

der Kalks<strong>in</strong>terader e<strong>in</strong>e ca. 3 m hohe Felswand zu sehen, die wie<br />

e<strong>in</strong> Urk<strong>und</strong>enbuch e<strong>in</strong>en w<strong>und</strong>erbaren E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die geologi-<br />

Fortsetzung auf Seite 14


Nr.: 4/2010 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 14<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er Fortsetzung von Seite 13<br />

118. Folge<br />

200 Jahre Firma Zugmayer<br />

sche Vergangenheit unseres Geme<strong>in</strong>degebietes bietet. Mit se<strong>in</strong>er<br />

zeichnerischen Begabung hat sie He<strong>in</strong>rich Zugmayer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er aufschlussreichen<br />

Skizze festgehalten. In e<strong>in</strong>er genauen Beschreibung<br />

der Geste<strong>in</strong>sschichten s<strong>in</strong>d die Knochenbrekzien durch<br />

He<strong>in</strong>rich Zugmayer als „Alp<strong>in</strong>es Bonebed“ erstmals bei uns entdeckt<br />

worden.<br />

Betrieb He<strong>in</strong>rich Zugmayer se<strong>in</strong>e geologischen Forschungen<br />

noch als Hobby, so studierte se<strong>in</strong> Sohn Erich <strong>in</strong> Heidelberg <strong>und</strong><br />

war wegen se<strong>in</strong>er Leistungen als Forschungsreisender <strong>und</strong> Zoologe<br />

mit 31 Jahren so bekannt, dass über ihn <strong>in</strong> Herders Konversationslexikon<br />

im Ergänzungsband 1910 zu lesen ist:“Zugmayer<br />

Erich, Forschungsreisender <strong>und</strong> Zoologe (Leiter der Ichthyologischen<br />

[fischk<strong>und</strong>lichen] Abteilung der Bayrischen Staatssamm-<br />

Neuer Terrakottaschmuck beim Haus <strong>Waldegg</strong> 51<br />

lungen <strong>in</strong> München), geb. 16.5.1979 <strong>in</strong> Wien, bereiste 1902 Island,<br />

1904 Vorderasien, 1906 Ch<strong>in</strong>esisch Turkestan <strong>und</strong> Kaschmir.<br />

Schrieb unter anderem: „E<strong>in</strong>e Reise durch Island“ 1903,<br />

„E<strong>in</strong>e Reise durch Vorderasien“ 1905, „E<strong>in</strong>e Reise durch Zentralasien“<br />

1908.“<br />

Für se<strong>in</strong>e Reise durch Vorderasien erhielt Erich Zugmayer e<strong>in</strong>e<br />

namhafte Unterstützung durch das Wiener Naturhistorische Hofmuseum,<br />

dem dafür die zoologische Sammlung zugesichert war.<br />

Für das Aufbewahren der dabei gesammelten naturwissenschaftlichen<br />

Präparate führte er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em umfangreichen Gepäck viele<br />

Kisten, Z<strong>in</strong>kwannen, Gläser <strong>und</strong> Konservierungsmaterial mit, die<br />

e<strong>in</strong>en großen Begleittross erforderten. Diese Reise war e<strong>in</strong>e wertvolle<br />

Vorbereitung für se<strong>in</strong>e späteren Forschungsfahrten.<br />

In dem Buch über se<strong>in</strong> nächstes Unternehmen „E<strong>in</strong>e Reise<br />

durch Zentralasien im Jahre 1908“ erfahren wir, dass neben dem<br />

Hauptzweck der geologischen <strong>und</strong> zoologischen Sammelarbeit<br />

aber auch die Geologie, die Flora <strong>und</strong> Völkerk<strong>und</strong>e nicht zu kurz<br />

kamen. E<strong>in</strong>e bedeutende Unterstützung dieser Reise verdankte<br />

er den Empfehlungsbriefen <strong>und</strong> Begleitschreiben. Es sei hier der<br />

„Ch<strong>in</strong>esische Schutzbrief“ mit dem großen kaiserlichen Siegel<br />

aus Pek<strong>in</strong>g erwähnt, den er dem damals <strong>in</strong> Pek<strong>in</strong>g residierenden<br />

Beamten der Österr. Monarchie, namens „WRHA“, verdankte.<br />

Mit diesem Wort war der aus Oed stammende Arthur von Rosthorn<br />

geme<strong>in</strong>t, der damals Legationsrat an der k.k. österr.-ung.<br />

Gesandtschaft <strong>in</strong> Pek<strong>in</strong>g war. Bei der Reise durch die Hochfläche<br />

Westtibets (5.000 m Seehöhe) überlebten die großen Strapazen<br />

von se<strong>in</strong>en ursprünglich 60 Lasttieren nur 1 Esel, 4 Pferde <strong>und</strong> die<br />

dort gekauften <strong>und</strong> gemieteten Yaks.<br />

Die zoologische Bilanz dieser Reise war außerordentlich. Ihre<br />

große Ausbeute erhielt die Zoologische Sammlung <strong>in</strong> München.<br />

1911 erschien <strong>in</strong> Monaco <strong>in</strong> französischer Sprache<br />

Erich Zugmayers Buch „Fischforschungen auf der<br />

Jacht Pr<strong>in</strong>cesse Alice 1901-1910“, <strong>in</strong> dem er die Ergebnisse<br />

se<strong>in</strong>er wissenschaftlichen Forschungsreisen<br />

darlegt. Es war die Zeit des Beg<strong>in</strong>ns der <strong>in</strong>ternationalen<br />

Unterwasserforschung. He<strong>in</strong>rich Zugmayer<br />

wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fischforschung<br />

der Zoologischen Staatssammlung München<br />

<strong>und</strong> gründete dort die erste Ichthyologische Abteilung.<br />

Erich Zugmayer fand im alten Teil unseres Waldfriedhofes<br />

an der Straße nach Dürnbach <strong>in</strong> der Zugmayerschen<br />

Familiengruft se<strong>in</strong>e letzte Ruhestätte.<br />

Auf dem großen Grabste<strong>in</strong> f<strong>in</strong>det sich dort auch der<br />

Name:<br />

Paul<strong>in</strong>e von Pelz-Fel<strong>in</strong>au, geb. Zugmayer, geb.<br />

23.4.1843 – gest. 26.4.1869. Dies sei hier nur darum<br />

erwähnt, weil Paul<strong>in</strong>e Zugmayer die Großmutter von<br />

Hans Hass ist, der mit se<strong>in</strong>en Forschungen <strong>und</strong> Büchern<br />

e<strong>in</strong> großes Publikum für die Erforschung der<br />

Meeresunterwelt begeistert hat <strong>und</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch<br />

„Er<strong>in</strong>nerungen <strong>und</strong> Abenteuer“ oft auf Gespräche zu diesem Thema<br />

mit se<strong>in</strong>em Onkel Erich Zugmayer h<strong>in</strong>weist. Er erwähnt auch,<br />

dass er gerne morgens zu se<strong>in</strong>er Großmutter <strong>in</strong>s Bett kroch <strong>und</strong><br />

h<strong>in</strong>gerissen ihren w<strong>und</strong>erbaren Geschichten lauschte.<br />

Erwähnenswert ist noch, dass vom vorbildlich renovierten „Herrenhaus“<br />

der Firma Zugmayer zum Jubiläum dem Beschauer Terrakotten<br />

als Fassadenschmuck entgegen strahlten. Diese Kunstgegenstände<br />

aus gebranntem Ton stammen aus der Terrakottafabrik<br />

<strong>in</strong> Kott<strong>in</strong>gbrunn, die damals dem Fabrikanten Viktor Brausewetter<br />

gehörte, dem Mann von Paul<strong>in</strong>e Zugmayers Tochter Meta, der<br />

Mutter von Hans Hass.<br />

Außer dem w<strong>und</strong>erschön restaurierten „Herrenhaus“ gibt es noch<br />

zwei alte Zugmayer-Häuser mit Terrakotta geschmückten Fassaden.<br />

Es s<strong>in</strong>d die die ehemalige Zugmayer-Kant<strong>in</strong>e, <strong>Waldegg</strong><br />

Nr. 52, <strong>und</strong> das ehemalige Doktor-Haus, <strong>Waldegg</strong> Nr. 109. Nach<br />

Mitteilung unseres Bürgermeisters i.R. Walter Eder hielt Hans<br />

Hass <strong>in</strong> den 1960iger Jahren im <strong>Waldegg</strong>er K<strong>in</strong>o e<strong>in</strong>en Vortrag<br />

über se<strong>in</strong>e Forschungsarbeiten <strong>und</strong> Haiabenteuer.


Nr.: 1/2011 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 9<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 119. Folge<br />

Unsere „<strong>Waldegg</strong>er Chronik“ ist stets bestrebt, für Geschichts<strong>in</strong>teressierte durch Rückblicke <strong>in</strong><br />

die Vergangenheit <strong>in</strong>teressante Begebenheiten <strong>in</strong> unserer Heimat festzuhalten. So befasste sich<br />

e<strong>in</strong> Beitrag <strong>in</strong> ihrer 16. Folge im Jahre 1983 unter dem Titel „Die Türken<strong>in</strong>vasion von 1683“<br />

mit e<strong>in</strong>em Geschichtsereignis, das <strong>in</strong> allen Bezirks- <strong>und</strong> Ortsk<strong>und</strong>en Beachtung f<strong>in</strong>det. Nun<br />

haben sich <strong>in</strong> den seit damals vergangenen 28 Jahren viele neue Fakten <strong>und</strong> Aspekte zu diesem<br />

Ereignis angesammelt, die e<strong>in</strong>en neuen Beitrag verlangen.<br />

Der Vorstoß der Türken 1683 unter Kara Mustafa <strong>und</strong><br />

die Belagerung Wiens bedrohte damals ganz Europa <strong>und</strong><br />

ist daher <strong>in</strong> der Geschichtsliteratur oft dokumentiert <strong>und</strong><br />

beschrieben worden. Aber die Ereignisse im östlichen<br />

Niederösterreich <strong>und</strong> <strong>in</strong> unserem Piest<strong>in</strong>gtal fanden<br />

meist nur <strong>in</strong> Ortschroniken Erwähnung, da sie zwar<br />

oft sehr schrecklich aber nicht kriegsentscheidend im<br />

Gesamtgeschehen waren.<br />

Nun erschien im Jahre 2009 e<strong>in</strong> Buch unter dem Titel<br />

„Niederösterreich brennt“, <strong>in</strong> dem der Autor Harald Lacom<br />

<strong>in</strong> präziser Kle<strong>in</strong>arbeit – unter Berücksichtigung auch<br />

osmanischer Quellen – auf neue Aspekte für die Beurteilung<br />

des Geschehens im Jahre 1683 h<strong>in</strong>weist, <strong>und</strong> die daher auch<br />

<strong>in</strong> unserem heutigen Beitrag aufgezeigt werden. (1)<br />

Für die meisten Ortschronisten ist 1683, die Zeit der<br />

„Türkene<strong>in</strong>fälle“ mit all ihren Schrecken <strong>und</strong> Gräuel,<br />

obwohl oft nicht die Türken die wahren Täter waren.<br />

Während <strong>in</strong> der „Berndorfer Geme<strong>in</strong>dechronik“ noch 1999<br />

zu lesen ist: „E<strong>in</strong>en Sommer lang durchstreiften türkische<br />

Horden das Triest<strong>in</strong>gtal, spürten mit Bluth<strong>und</strong>en die<br />

geflüchteten E<strong>in</strong>wohner auf, töteten sie oder verschleppten<br />

sie als Sklaven“, schreibt Gertrud Gerhartl schon 1977 (3):<br />

„Wie se<strong>in</strong>erzeit 1532 die „Ak<strong>in</strong>dschi“ unter Kasim Beg<br />

verbreiteten die „Tataren“ Angst <strong>und</strong> Schrecken“<br />

Wer waren nun diese „Ak<strong>in</strong>dschi“ <strong>und</strong> „Tataren“?<br />

Ak<strong>in</strong>dschi bedeutet türkisch „Stürmer“. In ihrem Kern<br />

waren sie Tataren aus der Krim. (1) Sie durchstreiften vor<br />

oder neben der osmanischen Hauptarmee die Gegend. Sie<br />

kamen angeritten <strong>und</strong> sprengten wieder davon wie es ihnen<br />

passte. Sie hockten wie Jockeys mit kurzen Steigbügeln<br />

auf ihren Pferden <strong>und</strong> waren treffsichere Bogenschützen.<br />

(1) 1683 stießen sie erst am 27. Juni zur osmanischen<br />

Hauptarmee. Der Großwesir hatte sie „e<strong>in</strong>geladen“. Sie<br />

waren ke<strong>in</strong>e regulären türkischen Truppen. Diese Muslime<br />

türkischer Kultur aus dem Khanat Krimm (Khan = türk.tatarischer<br />

Herrschertitel) bewachten die Nordgrenze<br />

des damaligen osmanischen Reiches, wofür sie jährlich<br />

Subsidien (Hilfsgelder) aus Istanbul erhielten. Der Sultan<br />

war ihr Schutzherr <strong>und</strong> als Kalif (geistlicher Nachfolger<br />

Mohammeds) auch ihr geistiges <strong>Ober</strong>haupt. (1) Die stolzen<br />

Tataren-Khane betrachteten sich als entfernte Nachkommen<br />

des Dsch<strong>in</strong>gis-Kahns, dessen Weltreich sich e<strong>in</strong>st vom<br />

Ch<strong>in</strong>esischen Meer bis Europa erstreckte. Im Kriegsfall<br />

forderte der Sultan den Kahn nicht zur Heeresfolge auf,<br />

sondern lud ihn vielmehr dazu e<strong>in</strong>. Folgte er der E<strong>in</strong>ladung,<br />

gebührte ihm dafür e<strong>in</strong>e hohe Geldsumme. (1) Um das<br />

Gleichgewicht der Kräfte zu erhalten verbündeten sich<br />

die Tataren bald mit den Kosaken bald mit den Polen oder<br />

dem russischen Zaren. Sie gewährten Asyl <strong>und</strong> entsandten<br />

Gesandtschaften. So 1633 auch nach Wien.<br />

Die Kleidung dieser mobilen Reitertruppe war aus<br />

Schaffell, welche sie, je nach Witterung, mit der Pelzseite<br />

nach außen oder <strong>in</strong>nen trugen. Sie bildeten Geme<strong>in</strong>schaften<br />

von 10 – 20 Mann. Ihr Proviant war e<strong>in</strong>e Art Mehl, das sie<br />

mit Pferdemilch oder Wasser zu e<strong>in</strong>em Brei verkochten. Bei<br />

ihrer mobilen Kampfweise war e<strong>in</strong>e geregelte Versorgung<br />

schwer möglich. E<strong>in</strong>gegangene Pferde wurden notfalls roh<br />

gegessen!<br />

Alle Beute, die sie nicht vor anderen verstecken konnten,<br />

wurde brüderlich geteilt. Ihre Pferde verbrachten<br />

Marschleistungen bis zu 13 St<strong>und</strong>en am Tag. Jeder ihrer<br />

Krieger hatte Ersatzpferde, die sich ihr Futter selbst suchen<br />

mussten.<br />

Im Gefecht beherrschten sie alle Tricks <strong>und</strong> Taktiken der<br />

Steppenreiter. E<strong>in</strong> hochentwickeltes Stück Technologie<br />

war ihr Reflexbogen. Se<strong>in</strong>e Enden bogen sich <strong>in</strong><br />

Schussrichtung nach vorn. Das Bogenspannen verlangte<br />

Kraft <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Handhabung jahrelange Übung. Der<br />

Pfeil e<strong>in</strong>es Reflexbogens mit dreikantiger Metallspitze<br />

vermochte e<strong>in</strong>en Kettenpanzer, unter Umständen auch<br />

e<strong>in</strong>en Plattenpanzer, zu durchschlagen. Bei Versuchen mit<br />

Reflexbogen <strong>in</strong> unserer Zeit durchschlugen ihre Pfeile auf<br />

20 Meter Pressspanplatten von 27 mm Dicke.<br />

Es waren aber nicht die Tataren alle<strong>in</strong>, die raubten <strong>und</strong><br />

plünderten. Oft fanden sich Überläufer <strong>und</strong> ungarische<br />

Rebellen <strong>in</strong> ihren Reihen, durch die sie mit den<br />

Ortsverhältnissen bestens vertraut waren. Daher waren<br />

E<strong>in</strong>heimische oft überrascht, wenn sie von „Tataren“<br />

deutsch angesprochen wurden. Wegen der Aussicht auf<br />

Beute bei ihren Raubzügen schlossen sich ihnen immer<br />

wieder Marodeure <strong>und</strong> Deserteure an. Niederösterreich hat<br />

großteils unter den Gräueltaten dieser Hilfstruppen gelitten<br />

Der Hubsteiger der Feuerwehr Wiener Neustadt<br />

Fortsetzung auf Seite 10


Nr.: 1/2011 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 10<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er Fortsetzung von Seite 9<br />

119. Folge<br />

Ernst Katzer schreibt <strong>in</strong> der Festschrift „859 Jahre<br />

Pfarre <strong>Waldegg</strong>“: „In der zweiten Juliwoche 1683 hat<br />

mit der Belagerung Wiens durch die türkische Armee<br />

mit dem Tatarene<strong>in</strong>fall unser Tal e<strong>in</strong>e Katastrophe von<br />

unvorstellbarem Ausmaß getroffen. Die als Hilfstruppe<br />

vorauseilenden Tataren überrannten das ungeschützte<br />

Land, das Alarm- <strong>und</strong> Defensionssystem hatte versagt.<br />

Ganze Dörfer <strong>und</strong> Märkte, aber auch zahlreiche E<strong>in</strong>zelhöfe<br />

wurden abgebrannt.“ Die Tataren, die oft auch als „Renner<br />

<strong>und</strong> Brenner“ bezeichnet wurden, waren also ke<strong>in</strong>e<br />

reguläre türkische Truppene<strong>in</strong>heit. Im Gegensatz zu diesem<br />

Erkenntnis kann man aber noch im Jahre 2000 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Publikation über unser Tal lesen: „Im Türkenjahr 1683<br />

drangen die Ak<strong>in</strong>dschi, beutegierige türkische Reiterhorden,<br />

bis nach Gutenste<strong>in</strong> vor <strong>und</strong> ließen brennende Höfe, Tod<br />

<strong>und</strong> we<strong>in</strong>ende Menschen zurück…….. Viele Opfer nahmen<br />

sie als Sklaven mit sich.“<br />

Dem osmanischen Heer vorauseilend verbreiteten sie schon<br />

im Juli 1683 Schrecken <strong>in</strong> unserer Gegend. Besonders<br />

<strong>in</strong> Perchtoldsdorf, wo sich ihr Anführer als türkischer<br />

Pascha ausgab, <strong>und</strong> es nach Übergabeverhandlungen zu<br />

Massenmorden auf dem Hauptplatz kam (2)<br />

Beim Fluchen <strong>und</strong> Verfluchen ruft man alles Böse<br />

oder Gottes Strafe auf jemand herab. Doch der Fluch<br />

„Kruzitürken“ hat mit Kruzifix (Christus am Kreuz)<br />

nichts zu tun, sondern der Wortteil „Kruzi“ steht hier für<br />

Kuruzzen, aufständische habsburgfe<strong>in</strong>dliche Ungarn, die<br />

mit den Türken geme<strong>in</strong>same Sache machten.<br />

Am 31. März 1683 übersandte Kara Mustafa e<strong>in</strong>e<br />

formelle Kriegserklärung nach Wien, „…. e<strong>in</strong> sonderbares<br />

Schriftstück, über das man bei Hof gewiss hätte lachen<br />

können, wäre die Lage nicht so bitter ernst gewesen.“ (4)<br />

Zum Schluss heißt es <strong>in</strong> ihr: „…..dass wir im Begriff s<strong>in</strong>d,<br />

De<strong>in</strong> Ländchen mit Krieg zu überziehen <strong>und</strong> führen Wir<br />

mit uns 13 Könige mit 1.300.000 Kriegern, Fußvolk <strong>und</strong><br />

Reiterei <strong>und</strong> werden De<strong>in</strong> Ländchen mit diesem Heer, von<br />

dem weder Du noch De<strong>in</strong>e Anhänger e<strong>in</strong>e Ahnung hatten,<br />

ohne Gnade <strong>und</strong> Barmherzigkeit mit Hufeisen zertreten <strong>und</strong><br />

mit dem Feuer <strong>und</strong> Schwert überliefern“ (4)<br />

Das türkische Heer, das dann am 31. März 1683 von<br />

Konstant<strong>in</strong>opel nach Wien aufbrach, bestand aber nur aus<br />

etwa 180.000 Mann, davon an die 60.000 Elitesoldaten,<br />

Janitscharen <strong>und</strong> Saphis. Der Rest verteilte sich auf<br />

leichtbewaffnete Hilfsvölker, Tataren, Rumänen usw.<br />

Könige zogen nicht mit! Der Kuruzzenführer Tököly<br />

schloss sich mit se<strong>in</strong>er Reiterschar an. Die Rumänen führten<br />

offen ihre Fahne mit, auf der das Kruzifix <strong>und</strong> das Bildnis<br />

der Jungfrau Maria zu sehen war. Sie unternahmen auch<br />

alles, was sie nur konnten, um die Operation der Türken<br />

zu stören. Die Spannung zwischen dem Kahn <strong>und</strong> dem<br />

Großwesir wuchs von Tag zu Tag. Sie trug e<strong>in</strong>ige Wochen<br />

später wesentlich zur Niederlage des türkischen Heeres bei.<br />

Tölkölys Kuruzzen liefen scharenweise zu den Kaiserlichen<br />

über.<br />

Die Reiter des Tataren-Kahns plünderten die Dörfer,<br />

erschlugen die Bewohner <strong>und</strong> setzten Häuser <strong>in</strong> Brand.<br />

Interessant ist, dass zur gleichen Zeit e<strong>in</strong>e österreichische<br />

Delegation <strong>in</strong> Konstant<strong>in</strong>opel weilte, um die Verlängerung<br />

des Eisenburger Friedens zu verhandeln. Am Kaiserhof<br />

war daher die Besorgnis nicht übermäßig groß, weil<br />

man annahm, „der Türk wird doch nicht mitten <strong>in</strong> den<br />

Verhandlungen e<strong>in</strong>en Krieg anfangen.“<br />

Aber schon am 2. Jänner 1683 brach das türkische Heer –<br />

von e<strong>in</strong>em ungeheuren Tross begleitet – nach Belgrad auf.<br />

Nach der E<strong>in</strong>nahme Belgrads im März 1683, wurde der<br />

Großwesir Kara Mustafa zum Kommandierenden des<br />

Feldzuges ernannt. In Stuhlweißenburg gab er se<strong>in</strong>e Absicht<br />

bekannt, Wien anzugreifen.<br />

Am 27. Juni 1683 war der Tataren-Kahn Musad Giraj mit<br />

ca. 30.000 Mann <strong>in</strong> Stuhlweißenburg e<strong>in</strong>getroffen <strong>und</strong><br />

überfiel bereits am 2. Juli 1683 den rückmarschierenden<br />

kaiserlichen Tross östlich des Neusiedler Sees. (1)<br />

Kaiser Leopold war auf der Hirschjagd im Wienerwald,<br />

als Flüchtl<strong>in</strong>ge zu Fuß <strong>und</strong> mit Wagen die Jagdgesellschaft<br />

belästigten. Während er bei Tafelmusik se<strong>in</strong> Mahl e<strong>in</strong>nahm,<br />

balgten sich <strong>in</strong> Perchtoldsdorf die Bewohner schon um<br />

sichere Schlafplätze <strong>in</strong> der befestigten Wehrkirche. Ob<br />

Kaiser Leopold I. wirklich so gleichgültig <strong>und</strong> träge war<br />

oder absichtlich e<strong>in</strong>e so unerschütterliche Ruhe zur Schau<br />

stellte? Der Jagdausflug musste also unter diesen Umständen<br />

abgebrochen werden.<br />

Das heranrückende osmanische Heer war nun schon vier<br />

Monate unterwegs. Der Tross war weit größer als die<br />

kämpfende Truppe, mit e<strong>in</strong>er ungeheuren Schafherde an der<br />

Spitze. (1) Jeden Morgen wurden e<strong>in</strong>e festgesetzte Anzahl<br />

von Tieren geschlachtet <strong>und</strong> die vorüberziehenden Soldaten<br />

fassten ihre Ration aus. Unzählige schellenbehängte Kamele,<br />

Maultiere, Esel <strong>und</strong> Pferde trotteten <strong>in</strong> der Kolonne.<br />

Die reguläre Truppe marschierte diszipl<strong>in</strong>iert unter der<br />

Rossschweifstandarte. Es waren die Janitscharen, ungefähr<br />

7.000 bis 8.000 Mann.<br />

Fortsetzung folgt<br />

Literatur:<br />

1.) Harald Lacom, „Niederösterreich brennt!“ Tatarisch-Osmanische Kampfe<strong>in</strong>heiten<br />

1683, Verlag Stöhr, Wien 2009<br />

2.) Walter Maria Neuwirth, „Im Schatten <strong>und</strong> Glanz des goldenen Apfels“ ISBN<br />

3-900433-01-1, Perchtoldsdorf 1982<br />

3.) Gertrud Gerhartl, „WIENER NEUSTADT“ Geschichte, Kunst Kultur, Wirtschaft,<br />

VLG Braunmüller, Wien 1978<br />

4.) Stephan Vajda „Felix Austria“, E<strong>in</strong>e Geschichte Österreichs, Ueberreuther Verlag<br />

1980<br />

5.) Ernst Katzer, „Das zerstörte Land“, <strong>in</strong> Unser Neustadt Nr. 2/84, 3/84 u. 1/85


Nr.: 2/2011 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at Seite 9<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 120. Folge<br />

Fortsetzung von <strong>Waldegg</strong> <strong>Aktuell</strong> 1/2011<br />

Niederösterreich brennt!<br />

Die berittenen Kerntruppen, Spahi genannt, waren <strong>in</strong> Ka- Fe<strong>in</strong>d noch <strong>in</strong> Westungarn aufzuhalten. Man bildete e<strong>in</strong>e<br />

puzenmäntel gehüllt. Darunter trugen sie Kettenpanzer, Verteidigungsl<strong>in</strong>ie an der Raab unter E<strong>in</strong>beziehung der Fe-<br />

R<strong>und</strong>schild <strong>und</strong> spitze Helme. Mit zur Kerntruppe gehörten stungen Raab <strong>und</strong> Komorn. Aber als die Tataren den rechnoch<br />

die Artilleristen <strong>und</strong> die Artilleriefuhrleute. Neben ih- ten Flügel der Kaiserlichen zu umgehen versuchten, zogen<br />

nen <strong>und</strong> dem Aufgebot der Prov<strong>in</strong>zen gab es noch das Kon- sich diese über Wien donauaufwärts zurück.<br />

t<strong>in</strong>gent der Vasallenstaaten, die zur Heerfolge verpflichtet In Belgrad erhielt Kara Mustafa die grüne Fahne des Prowaren.<br />

Weil sie Christen waren, wurden sie meist nicht im pheten überreicht. Damit vere<strong>in</strong>te dieser für die Dauer des<br />

Kampf e<strong>in</strong>gesetzt <strong>und</strong> mussten als Pioniere <strong>und</strong> M<strong>in</strong>ierer Feldzuges alle Macht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Händen. Gleich nach Wien<br />

schanzen <strong>und</strong> graben. E<strong>in</strong>e noch heute <strong>in</strong> Rumänien kursie- zu marschieren verkündete Kara Mustafa erst am 27. Juni<br />

rende Legende erzählt, sie hätten sich am Ende auf die Seite beim Kriegsrat <strong>in</strong> Stuhlweißenburg.<br />

der Wiener geschlagen. Richtig ist, dass Landsleute von ih- Schon am 6. Juli hatten Tatarenschwärme, die e<strong>in</strong>en Tag<br />

nen (Moldauer, Walachen <strong>und</strong> Siebenbürger) <strong>in</strong> den Reihen später <strong>in</strong> der Gegend von Wien <strong>und</strong> Wiener Neustadt<br />

der polnischen Befreiungsarmee unter Sobieski kämpften. schwärmten, die Leitha überschritten,.<br />

(1) Anfangs brachten die Tataren ihre Beute, Gefangene <strong>und</strong><br />

E<strong>in</strong>e Sonderstellung nahmen die 15.000 Kuruzzen unter Viehherden <strong>in</strong> ihre Lager nach Westungarn zurück. Nach-<br />

dem ungarischen Grafen Tököly e<strong>in</strong>. „Sie wollen nicht als dem sie auf ke<strong>in</strong>en Widerstand stießen - im ganzen Viertel<br />

Vasallen gelten, denn ei- gab es für e<strong>in</strong>e bewegliche Kriegsführung weder reguläres<br />

gentlich soll der Feldzug Militär noch Landesaufgebot - löste sich der Angriff der Ta-<br />

ja die Unabhängigkeit taren <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelaktionen auf. Von ihrem Standlager im Ste<strong>in</strong>-<br />

ihres Landes wieder her- feld aus unternahmen sie Streifzüge, die immer tiefer <strong>in</strong>s<br />

stellen.“ (1) Sie fallen Gebirge führten. (3)<br />

durch besonders präch- Am 7. Juli griff e<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>dlicher Schwarm den Tross des kaitige<br />

Kleidung auf „<strong>und</strong> serlichen Heeres bei Petronell an.<br />

ihre Standarte mit dem Der Kaiser flüchtete über Krems, Melk, Seitenstätten nach<br />

Wappen des Tököly gibt L<strong>in</strong>z <strong>und</strong> Passau. 30.000 sollen auch aus Wien geflüchtet<br />

den Osmanen zu verste- se<strong>in</strong>. Dafür flohen viele Handwerke aus den Vorstädten <strong>in</strong><br />

hen, dass sie dem künf- die Stadt.<br />

tigen König von Ungarn Das türkische Hauptheer bewegte sich <strong>in</strong> täglich 5-stündi-<br />

dienen <strong>und</strong> nicht dem gen Märschen auf Wien zu.<br />

Sultan.“<br />

Am 13. Juli erreichte die türkische Vorhut Wien <strong>und</strong> am 16.<br />

Lacon schreibt: „Es ist war die E<strong>in</strong>kreisung der Stadt vollendet. Kara Mustafa als<br />

schon problematisch, Belagerer stand Graf Rüdiger von Starhemberg als Vertei-<br />

Kara Mustafa<br />

diese zusammengewürdiger gegenüber. Die Vorstädte wurden schon vorher dem<br />

felte Armee „türkisch“ zu nennen - um wie viel mehr gilt Erdboden gleichgemacht, um den Angreifern ke<strong>in</strong>e Unter-<br />

das für den Vielvölkerstaat, aus dem sie sich rekrutiert.“ schlupfmöglichkeiten zu bieten. In der Vorstadt St. Ulrich<br />

(1) Demzufolge gab es offiziell weder „Türken“ noch e<strong>in</strong>e stand das Prunkzelt Kara Mustafas <strong>und</strong> <strong>in</strong> ca. 25.000 Zelten<br />

„Türkei“. Der Westen entschied sich allerd<strong>in</strong>gs schon recht lagerten die türkischen Kampftruppen.<br />

früh dafür, alles Osmanische pauschal als „türkisch“ zu be- Zum besseren Verständnis der folgenden Ereignisse ist es<br />

zeichnen.<br />

angebracht, sich mit dem widersprüchlichen Persönlich-<br />

Dieses bunte Aufgebot soll nach Aufzeichnungen e<strong>in</strong>er unkeitsbild Kara Mustafa zu befassen, denn zeitgenössische<br />

garischen Feldkanzlei über 285.600 Mann verfügt haben. Aufzeichnungen zeigen uns, dass oft Zufälle den Ablauf<br />

Aber berücksichtigt man alles, was nicht kampffähig oder geschichtlicher Ereignisse bee<strong>in</strong>flussen. Auch sche<strong>in</strong>bar<br />

kriegswillig war, so schrumpft die Truppe vor Wien auf weniger<br />

als 90.000 Mann zusammen. (1)<br />

private Details im Leben beteiligter Personen – wie z.B.<br />

Von kaiserlicher Seite hatte man sich vorgenommen, den<br />

Fortsetzung auf Seite 10<br />

Der Hubsteiger der Feuerwehr Wiener Neustadt


Nr.: 2/2011 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at Seite 10<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er Fortsetzung von Seite 9 120. Folge<br />

Zwistigkeiten zwischen dem Tataren Khan <strong>und</strong> Kara Mustafa<br />

– machen dieses Netzwerk sichtbar . (4)<br />

Kara Mustafa wurde zwischen 1626 <strong>und</strong> 1636 geboren,<br />

verlor sehr bald se<strong>in</strong>en Vater <strong>und</strong> verbrachte se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit<br />

<strong>und</strong> Jugend zusammen mit K<strong>in</strong>dern des Großwesirs<br />

Köprülü, mit denen ihn e<strong>in</strong>e echte Fre<strong>und</strong>schaft verband.<br />

(4) E<strong>in</strong>e Tochter des Großwesirs wurde sogar se<strong>in</strong>e Frau,<br />

was ihm e<strong>in</strong>e rasche politische Karriere ermöglichte. Nach<br />

Quellenangaben eignete er sich die Kunst des Lesens <strong>und</strong><br />

Schreibens aber erst an, als er schon zweithöchster Beamter<br />

des osmanischen Reiches war. (1)<br />

Abraham a Sante Clara prangert besonders se<strong>in</strong>e Gier <strong>und</strong><br />

Bestechlichkeit an. In se<strong>in</strong>er Habgier soll er die Erstürmung<br />

Wiens verh<strong>in</strong>dert haben, um die Janitscharen um ihr Plünderungsrecht<br />

zu prellen. Er wollte die Stadt aushungern bis<br />

zur Übergabe, weil dann die ganze Beute ihm geblieben<br />

wäre.<br />

Es heißt auch, er habe es sich mit dem Tataren-Khan mit<br />

der unrichtigen Äußerung verscherzt, se<strong>in</strong>e Tataren würden<br />

verdorbenes Pferdefleisch essen.<br />

Nach dem hohen türkischen Würdenträger Mehmet Aga<br />

habe Kara Mustafa absichtlich auf die Mitnahme schwerer<br />

Belagerungsgeschütze <strong>und</strong> Bombenmörser verzichtet, weil<br />

er dem Sultan das reiche Wien nach e<strong>in</strong>er friedlichen Übergabe<br />

unbeschädigt präsentieren wollte. Nach e<strong>in</strong>er Erstürmung<br />

hätte er nach türkischem Kriegsrecht Wien drei Tage<br />

zur Plünderung freigeben müssen. Ergab sich aber die Stadt,<br />

durfte sich der <strong>Ober</strong>befehlshaber die Beute aussuchen <strong>und</strong><br />

die Soldaten bekamen nur das, was er nicht wollte. (4)<br />

Türkische Chronisten werfen ihm vor, dass se<strong>in</strong>e Taktik vor<br />

Wien jeglicher erfolgreicher Strategie entbehrte. Wenn man<br />

diese Notizen von Zeitzeugen <strong>in</strong> Betracht zieht, wird Kara<br />

Mustafas Taktik bei der Belagerung Wiens viel verständlicher.<br />

Die Stadt sollte im M<strong>in</strong>enkrieg zermürbt <strong>und</strong> durch totale<br />

E<strong>in</strong>kreisung <strong>und</strong> Aushungerung zur Übergabe gebracht<br />

werden. (3)<br />

Se<strong>in</strong>e Hauptangriffsziele waren die Burg- <strong>und</strong> Löwelbastei<br />

(Raum des heutigen Heldenplatzes bis zum Südflügel der<br />

Burg), weil dort das Terra<strong>in</strong> für diese Pläne am günstigsten<br />

war. Dieser M<strong>in</strong>enkrieg brachte den Verteidigern oft große<br />

Probleme. Befestigungen der Basteien wurden gesprengt.<br />

Am 6. September riss e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>e gewaltige Bresche <strong>in</strong><br />

die Löwelbastei <strong>und</strong> der folgende Ansturm der Osmanen<br />

konnte nur mit großer Mühe zurückgeschlagen werden.<br />

Anfang September kam es <strong>in</strong> Wien zum Ausbruch e<strong>in</strong>er<br />

Ruhrepidemie. Am 9.9. wurde auch Bürgermeister Liebenberg<br />

ihr Opfer. (3)<br />

E<strong>in</strong> weiteres Problem brachte der Lebensmittel- <strong>und</strong> Munitionsmangel,<br />

aber nicht nur für die Verteidiger, sondern<br />

auch für die Angreifer. Da die Tataren das Wiener Umland<br />

verwüstet hatten, stockte die Versorgung der osmanischen<br />

Armee. Ja sogar die Diszipl<strong>in</strong> der Truppe bereitete dem<br />

Großwesir zunehmende Sorgen. Nach E. Katzer berichtet<br />

der Zeremonienmeister der Hohen Pforte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Tagebuch,<br />

dass „vom türkischen Lager vor Wien aus Beutezüge<br />

bis tief <strong>in</strong>s Land h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> unternommen wurden.“<br />

Es waren also nicht die „Tataren“ alle<strong>in</strong>, die raubten <strong>und</strong><br />

plünderten. (4)<br />

Auch die Janitscharen, e<strong>in</strong>e<br />

Kerntruppe der Belagerer, zeigte<br />

große Unlust, weil sie nach<br />

e<strong>in</strong>er Vere<strong>in</strong>barung nur 40 Tage<br />

vor e<strong>in</strong>er Festung liegen sollten<br />

<strong>und</strong> die Belagerung schon seit<br />

dem 13. Juli dauerte.<br />

Der geflohene Leopold I war <strong>in</strong><br />

Passau <strong>und</strong> später <strong>in</strong> L<strong>in</strong>z nicht<br />

untätig. Er brauchte Geld. Papst<br />

Innozenz XI. stellte über e<strong>in</strong>e<br />

halbe Million Gulden zur Verfügung. Portugal, Spanien, die<br />

Toskana <strong>und</strong> Genua machten e<strong>in</strong>e weitere Million flüssig.<br />

(4) Der polnische König Sobieski war gegen e<strong>in</strong>e Bezah-<br />

lung von 500.000 Gulden bereit, mit 18.000 Mann an der<br />

Rettung Wiens teilzunehmen.<br />

Gegen Ende August sammelten sich zwischen L<strong>in</strong>z <strong>und</strong><br />

Krems etwa 35.000 Bayern, Sachsen, Brandenburger, Hannoveraner<br />

<strong>und</strong> Würtenberger. Die österreichische Feldarmee<br />

unter Herzog Karl von Lothr<strong>in</strong>gen bestand aus 21.000<br />

Mann.<br />

Als die Polen bei Krems die Donaubrücke passierten, sah<br />

der beleidigte Tatarenkahn tatenlos zu. „Jetzt soll er (Kara<br />

Mustafa) erfahren, was es heißt, ohne die Tataren kämpfen<br />

zu müssen.“ (4)<br />

So konnte sich das Entsatzheer ungeh<strong>in</strong>dert vere<strong>in</strong>igen <strong>und</strong><br />

ihre Bereitstellungen beziehen. Die Tataren sahen tatenlos<br />

zu.<br />

Am 12. September griff nun das Entsatzheer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Stärke<br />

von 140.000 Mann an. (4)<br />

Literatur:<br />

1.) Harald Lacom, „Österreich brennt!“, Verlagsbuchhandlung Stöhr,<br />

Wien 2009<br />

2.) Walter Maria Neuwirth, „Im Schatten <strong>und</strong> Glanz des goldenen Apfels“<br />

ISBN 3-900433-01-1<br />

3.) Ernst Katzer, „Tatarene<strong>in</strong>fall 1683“, <strong>in</strong> Unser Neustadt Nr. 2,3,4/1983,<br />

1/1984, 3/84 u. 1/85<br />

4.) R.F. Kreutel, Kara Mustafa vor Wien 1683 aus der Sicht türkischer<br />

Quellen, 1982<br />

Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg<br />

Die Fortsetzung folgt <strong>in</strong> der nächsten Ausgabe


Nr.: 3/2011 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 9<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er 121. Folge<br />

Fortsetzung von <strong>Waldegg</strong> <strong>Aktuell</strong> 2/2011<br />

Niederösterreich brennt!<br />

Kara Mustafa sche<strong>in</strong>t an der Eroberung Wiens nie gezweifelt<br />

zu haben. Aber der Zeremonienmeister der Hohen Pforte<br />

war da <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Aufzeichnungen des damaligen Geschehens<br />

anderer Me<strong>in</strong>ung <strong>und</strong> führt dort die Gründe an, warum<br />

es am Ende für die Osmanen doch zu dieser katastrophalen<br />

Niederlage vor Wien kommen konnte. Mustafas Strategie<br />

habe jede erfolgreiche Taktik gefehlt.<br />

Der Zeremonienmeister schreibt: (5)<br />

„Weil man die bisherigen Kriegserfolge aus Selbstgefälligkeit<br />

den eigenen Kräften <strong>und</strong> nicht Allahs Gunst <strong>und</strong> Gnade<br />

zuschrieb, ließ Kara Mustafa die Belagerungsgräben vor<br />

Wien auch während des Kampfes mit der Befreiungsarmee<br />

besetzt. Er me<strong>in</strong>te, er würde im Feldkampf dem Fe<strong>in</strong>d auch<br />

so die Hölle heiß machen. Aber es kam dann ganz anders.“<br />

Es kam zu dieser für Sultan Mehmed so unfassbaren Blamage<br />

für das osmanische Heer, nach der er Kara Mustafa<br />

an deren Spitze nicht mehr dulden konnte. Nach altem Gewohnheitsrecht<br />

schickten die Sultane den <strong>in</strong> Ungnade gefallenen<br />

Personen die „Seidene Schnur“, das sichere Zeichen<br />

für deren Tod.<br />

Die „Seidene Schnur“ wurde auch Kara Mustafa überbracht<br />

<strong>und</strong> er musste die Zeichen se<strong>in</strong>er bisherigen Würde – die<br />

Heilige Fahne, die Reichs<strong>in</strong>signien <strong>und</strong> die Schlüssel der<br />

Kaba – zurückgeben. (Die Kaba, auch Kaaba geschrieben,<br />

war das Hauptheiligtum der Mohammedaner, die Anbetungsstätte<br />

des wahren Gottes <strong>in</strong> Mekka. (Anm. Ml<strong>in</strong>er)<br />

Das bedeutete für diesen neben se<strong>in</strong>em Tod auch die Enthebung<br />

aus allen Ämtern <strong>und</strong> Würden.<br />

Kara Mustafa soll sogar selbst se<strong>in</strong>en Bart gehoben haben,<br />

als man ihm die Schl<strong>in</strong>ge um den Hals legte. Makaber, aber<br />

nicht erf<strong>und</strong>en! Nach se<strong>in</strong>em Tod stopfte man se<strong>in</strong>e Gesichtshaut<br />

aus <strong>und</strong> schickte diesen „Schädel“ dem Sultan.<br />

Se<strong>in</strong> Kopfskelett war bis 1975 im Historischen Museum der<br />

Stadt Wien deponiert <strong>und</strong> wurde 2006 endlich beigesetzt.<br />

Beim Zeremonienmeister heißt es weiter: (5)<br />

„Als die Giauren (Ungläubigen, mohammedanisches<br />

Schimpfwort) mit 200.000 Mann angerückt kamen (nach<br />

österr. Angaben waren es nur 60.000! Anm. Ml<strong>in</strong>er), waren<br />

die Streiter des Islams von dem schon 60 Tage dauernden<br />

Belagerungskampf ermüdet. Als dazu noch am Tage des<br />

Entscheidungskampfes die zahlreichen im Lager anwesenden<br />

Händler <strong>in</strong> Angst um ihre Ware <strong>und</strong> Beute ihre Flucht<br />

vorbereiteten, drang die K<strong>und</strong>e auch zu den Kampfe<strong>in</strong>heiten.<br />

So strebten auch die danach, ihr Hab <strong>und</strong> Gut <strong>in</strong> Sicherheit<br />

zu br<strong>in</strong>gen. In dem entstehenden Wirrwarr konnten<br />

die Giauren an diesen Stellen durchbrechen. Nach sechsstündigem<br />

Kampf drangen sie bis zur Zeltburg des Großwesirs<br />

vor, was <strong>in</strong> weiterer Folge zur vernichtenden Niederlage<br />

führte.“<br />

Auf e<strong>in</strong>e sehr <strong>in</strong>teressante Quelle über das damalige Geschehen<br />

<strong>in</strong> unserem Tale hat mich Herr Ing. Hans Georg<br />

Mössner aufmerksam gemacht. E<strong>in</strong> Vorfahre von Herrn<br />

Helmut Schöbitz, namens Ferd<strong>in</strong>and Grill, war 1683 vom<br />

„Erbfe<strong>in</strong>d“ abgefangen <strong>und</strong> verschleppt worden. Er war <strong>in</strong><br />

Piest<strong>in</strong>g ansässig <strong>und</strong> damals 33 Jahre alt. Se<strong>in</strong>e Ehefrau<br />

Ursula (geb. Meitz) <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e vier K<strong>in</strong>der überlebten diese<br />

furchtbare Zeit.<br />

Im Zuge se<strong>in</strong>er Beschäftigung mit Familienforschung erschien<br />

von H. Schöbitz 1983 <strong>in</strong> der Zeitschrift „UNSERE<br />

HEIMAT“ der Beitrag „Kirchenmatriken als Quelle zur<br />

Türken<strong>in</strong>vasion 1683“. (4)<br />

Se<strong>in</strong>e systematische Auswertung der Kirchenbuche<strong>in</strong>tragungen<br />

der Pfarren Dreistetten <strong>und</strong> Gutenste<strong>in</strong> liefert e<strong>in</strong><br />

gutes Bild des damaligen Geschehens <strong>in</strong> unserer Gegend.<br />

(4)<br />

Dreistetten war damals Filialkirche von Piest<strong>in</strong>g <strong>und</strong> führte<br />

eigene Kirchenbücher. Die Pfarre <strong>Waldegg</strong>, vor dem Tatarene<strong>in</strong>fall<br />

noch Filiale von Waidmannsfeld (3), wurde ab<br />

Herbst 1683 vom Piest<strong>in</strong>ger Pfarrer J.Ch. Moschner betreut.<br />

Daraus ist zu schließen, dass der noch 1682 genannte Waidmannsfelder<br />

Pfarrer J.D. Schürle entweder den Tataren oder<br />

der folgenden Seuchenwelle zum Opfer gefallen war. (4)<br />

Die Burg Starhemberg gewährte damals den Bewohnern<br />

unseres Tales mit Gutenste<strong>in</strong> sichere Zuflucht. Aber auch<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge von weit her fanden dort Schutz. Die Kirchenbücher<br />

nennen uns aber nicht die Namen aller <strong>in</strong> diesen<br />

Burgen Schutz suchenden, sondern nur die Namen der dort<br />

Verstorbenen <strong>und</strong> der dort <strong>in</strong> dieser Zeit Geborenen.<br />

Da bei den verstorbenen Personen ihre Herkunft <strong>und</strong> bei<br />

den geborenen K<strong>in</strong>dern dazu die Namen der Eltern angegeben<br />

s<strong>in</strong>d, lässt sich e<strong>in</strong> recht anschauliches Bild über die<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> der Burg gew<strong>in</strong>nen.<br />

In der Sterbematrik von Dreistetten ist zu lesen (4):<br />

„Während Wien von den Türken belagert wurde <strong>und</strong> die<br />

Tataren alles durch Brand zerstörten, retteten sich die meisten<br />

Christen zur Burg Starhemberg. Von diesen s<strong>in</strong>d die<br />

Folgenden gestorben <strong>und</strong> <strong>in</strong> der Burg begraben.“ Auf die-<br />

Der Hubsteiger der Feuerwehr Wiener Neustadt<br />

Fortsetzung auf Seite 10


Nr.: 3/2011 www.<strong>Waldegg</strong>-<strong>Aktuell</strong>.at<br />

Seite 10<br />

<strong>Waldegg</strong>er Chronik<br />

E<strong>in</strong>e Serie von OSR Josef Ml<strong>in</strong>er Fortsetzung von Seite 9<br />

121. Folge<br />

sen Vermerk folgen die Namen von 83 Verstorbenen (26<br />

Erwachsenen <strong>und</strong> 57 K<strong>in</strong>dern oder Jugendlichen.).<br />

Der Älteste war der 100jährige Stephan Hauer aus <strong>Ober</strong>piest<strong>in</strong>g.<br />

Die steigenden Sterberaten zeigen die Zunahme<br />

der Infektionskrankheiten <strong>und</strong> die mangelhafte Ernährung<br />

<strong>in</strong> den Burgen.<br />

„Die auf Starhemberg Verstorbenen 83 Personen stammen<br />

aus folgenden Orten:<br />

Piest<strong>in</strong>g 24, Dreistetten 9, <strong>Ober</strong>waltersdorf 9, Muthmannsdorf<br />

7, Deutsch Prodersdorf 3, Matzendorf 3, <strong>Ober</strong>piest<strong>in</strong>g<br />

3, Unterwaltersdorf 3, Wampersdorf 2, Alkersdorf 1,<br />

Breitenbrunn 1, Dürnbach 1, Eisenstadt 1, Hernste<strong>in</strong> 1,<br />

Hölles 1, Leithaprodersdorf 1, L<strong>in</strong>dabrunn 1, Maiersdorf 1,<br />

Peisch<strong>in</strong>g 1, Sollenau 1, Sommere<strong>in</strong> 1, Starhemberg1,<br />

Ste<strong>in</strong>abrückl 1, Stollhof 1, Wimpass<strong>in</strong>g 1, Wopf<strong>in</strong>g 1, aus<br />

der Steiermark 1, unbekannt 2.“ (4)<br />

Nach Regionen zusammengefasst stammen 60 Personen<br />

aus der näheren Umgebung der Burg Starhemberg, das<br />

entspricht ungefähr dem natürlichen <strong>und</strong> zu erwartenden<br />

E<strong>in</strong>zugsgebiet. E<strong>in</strong>e auch noch recht starke Gruppe kommt<br />

aus der Gegend zwischen Baden <strong>und</strong> dem Leithagebirge.<br />

Nur mehr wenige stammen aus der Gegend zwischen dem<br />

Leithagebirge <strong>und</strong> dem Neusiedler See. (4)<br />

Von den auf Starhemberg verstorbenen 83 Personen stammen<br />

aus dem heutigen <strong>Waldegg</strong>er Geme<strong>in</strong>degebiet: Thomas<br />

Stippel aus Dürnbach; aus <strong>Ober</strong>piest<strong>in</strong>g N. Drachsler,<br />

Stephan Hauer (100 Jahre alt), Matthias Stix, K<strong>in</strong>d des<br />

Richter Elias, N. B<strong>in</strong>er (7 Jahre alt); aus Wopf<strong>in</strong>g Barbara<br />

Berger (20 Jahre).<br />

In dem gleichen Zeitraum, <strong>in</strong> dem auf Starhemberg diese 83<br />

Menschen starben, wurden hier auch 4 K<strong>in</strong>der geboren. Ihre<br />

Eltern stammen aus <strong>Ober</strong>waltersdorf (2), Deutsch-Prodersdorf<br />

<strong>und</strong> Maiersdorf. Alle 4 K<strong>in</strong>der haben überlebt, denn sie<br />

f<strong>in</strong>den sich nicht unter den auf der Burg Verstorbenen. (4)<br />

Von den auf der Burg Gutenste<strong>in</strong> verstorbenen Personen<br />

stammen aus Oed Eva Payer (11 Jahre) <strong>und</strong> Elisabeth Stükkelberger<br />

(6 Jahre), aus <strong>Waldegg</strong> Eva Regner (6 Jahre) <strong>und</strong><br />

Andreas Sandaschitz (6 Jahre).<br />

Schöbitz folgert: „Nehmen wir an, dass auf Starhemberg jeder<br />

10. gestorben ist, kämen wir auf 830 dorth<strong>in</strong> geflüchtete<br />

Personen. Starb aber jeder 20. so wäre mit 1.660 Flüchtl<strong>in</strong>gen<br />

zu rechnen.“ Auf jeden Fall ist die Zahl von 11.000<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gen auf Starhemberg, die <strong>in</strong> der heimatk<strong>und</strong>lichen<br />

Literatur immer wieder angegeben wird, viel zu hoch! E<strong>in</strong><br />

Alarmsystem aus „Kreid(en)feuern, Kreid(en)schüssen <strong>und</strong><br />

Glockenstreichen“ sollte bei Fe<strong>in</strong>de<strong>in</strong>brüchen die Fluchtbewegung<br />

<strong>in</strong> Gang setzen. (3) (mhd. kriden, kreien = lärmen,<br />

schreien). Aber das Alarmsystem sche<strong>in</strong>t versagt zu haben,<br />

weil die <strong>in</strong> den Seitengräben unseres Tales liegenden Sied-<br />

lungen <strong>und</strong> E<strong>in</strong>zelhöfe überhaupt nicht gewarnt waren. (2)<br />

Auch <strong>in</strong> den tiefen Wäldern wurden Flüchtl<strong>in</strong>ge von den<br />

Tataren mit Spürh<strong>und</strong>en aufgestöbert, getötet oder verschleppt.<br />

In den damaligen Ortsteilen Peisch<strong>in</strong>g, Dürnbach <strong>und</strong> <strong>Waldegg</strong><br />

gab es damals 43 steuerpflichtige behauste Güter, von<br />

denen 20 abgebrannt wurden, deren Bewohner den Tod fanden<br />

oder gefangen wurden. Von 15 Brandstätten hatten sich<br />

die Bewohner gerettet, fanden bei ihrer Rückkehr aber nur<br />

mehr ihre ausgebrannten Häuser vor. (3)<br />

Die <strong>Waldegg</strong>er Kirche dürfte ebenfalls abgebrannt se<strong>in</strong>,<br />

worauf bei der Renovierung im Jahre 1875 aufgef<strong>und</strong>ene<br />

Brandspuren schließen lassen.<br />

Im Dorfe Wopf<strong>in</strong>g g<strong>in</strong>gen 18 Häuser mit ihren Bewohnern<br />

zu Gr<strong>und</strong>e. Auf 14 Brandstätten kehrten die Leute zurück.<br />

Alle Bauerngüter zu <strong>Ober</strong>piest<strong>in</strong>g waren verbrannt. Für 3<br />

Brandstätten fehlten die Leute. (3)<br />

Vier Monate nach der Belagerung Wiens begann die Bestandsaufnahme<br />

der Kriegsschäden <strong>in</strong> allen 4 Vierteln Niederösterreichs.<br />

(1b) Die ru<strong>in</strong>ierten Häuser wurden <strong>in</strong> Klassen<br />

e<strong>in</strong>geteilt:<br />

1. Totalschaden <strong>in</strong> Haus <strong>und</strong> Hof, Landwirtschaft verwüstet,<br />

Bewohner getötet oder gefangen.<br />

2. Haus <strong>und</strong> Hof verwüstet, Bewohner vorhanden aber<br />

ke<strong>in</strong>e Unterkunft, ke<strong>in</strong>e Lebens- <strong>und</strong> Anbaumittel<br />

3. Haus <strong>und</strong> Hof geplündert, Bewohner ohne Vieh<br />

<strong>und</strong> Saatgut.<br />

Die Frage der Gefangenen, die Todeserklärung der Vermissten,<br />

später der Loskauf von Gefangenen, blieb über Jahrzehnte<br />

aktuell. Die Schriftquellen über diese Zeit eröffnen<br />

uns oft erschütternde Menschenschicksale. (1c)<br />

E<strong>in</strong> Edikt von 1685 sagt aus: „……… was Massen höchst<br />

missfällig vorkommen … also dass diejenigen, deren Eheweiber<br />

<strong>und</strong> -männer durch den Erbfe<strong>in</strong>d entführt wurden,<br />

als wie zusammen gegebene Eheleute mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Ungebühr<br />

leben <strong>und</strong> von ihren Seelsorgern sich ke<strong>in</strong>esfalls abmahnen<br />

lassen.“ (1d)<br />

Schluss folgt <strong>in</strong> der nächsten Ausgabe<br />

Literatur:<br />

1.) Ernst Katzer: a) Das zerstörte Land, Unser Neustadt 2 u. 3/84, 1/85<br />

b) Die Türken im Raume Wr. Neustadt 1683 (Kulturberichte<br />

1972)<br />

c) Der Tatarene<strong>in</strong>fall 1683, Unser Neustadt 2/83<br />

d) Der Wiederaufbau nach 1683, Unser Neustadt 4/85<br />

2.) Ernst Katzer / F.St<strong>und</strong>ner: Piest<strong>in</strong>g im Wandel der Zeit<br />

3.) Ernst Katzer: 850 Jahre Pfarre <strong>Waldegg</strong><br />

4.) Helmut Schöbitz: Kirchenmatriken als Quellen der Türken<strong>in</strong>vasion<br />

1683, Uns.Heimat 3/83 5.) R.F. Kreutel: Kara Mustafa vor Wien<br />

(1683 aus der Sicht türkischer Quellen) 1982

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