15.11.2021 Aufrufe

Deutscher Theaterpreis DER FAUST: Retrospektive 2020/21

Der Deutsche Theaterpreis DER FAUST verzichtet dieses Jahr auf den Wettbewerb und stellt außergewöhnliche Formate in einer Retrospektive vor. In dieser Sonderpublikation des Theatermagazins Die Deutsche Bühne werden alle Projekte und Produktionen vorgestellt.

Der Deutsche Theaterpreis DER FAUST verzichtet dieses Jahr auf den Wettbewerb und stellt außergewöhnliche Formate in einer Retrospektive vor. In dieser Sonderpublikation des Theatermagazins Die Deutsche Bühne werden alle Projekte und Produktionen vorgestellt.

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DIE DEUTSCHE BÜHNE 11 | 2021 LEBENSWERK DER FAUST 05

Immer wieder anfangen

Die Schauspielerin Nicole Heesters hat neugierig

und selbstbewusst seit 1954 die Bühnen mitgeprägt. Sie ist bis heute als

Zeugin der Zeiten ein guter Geist des Theaters

TEXT MICHAEL LAAGES

Wer in vergangenen

Zeiten dem Schauspieler

Ulrich Wildgruber

in der Nachbarschaft

des Schauspielhauses

in Hamburg begegnet ist,

konnte Erstaunliches erleben: Wildgruber

nämlich unterhielt sich straßauf,

straßab mit den Parkuhren, die damals

noch an den Bordsteinen standen; so

memorierte er Texte und Rollen für die

Bühne. Immer wieder gibt es am Theater

herausragende Persönlichkeiten, die

sich vor Proben und Vorstellungen mit

derart außergewöhnlichen Techniken,

Tricks und Methoden auf Betriebstemperatur

bringen – auch Nicole Heesters

gehört dazu. Bevor sie die Bühne betritt

– so hat sie es vor Kurzem in einem

Radiogespräch zu Protokoll gegeben –,

zähle sie bis hundert, Zahl um Zahl und

im stetigen Wechsel von Tempo, Lautstärke

und Dynamik: „Bei 40 bin ich

sehr langsam, und dann gebe ich wieder

richtig Gas.“ Bei hundert, kurz vor der

Vorstellung, sei sie dann fit.

Bereit ist sie auch für Ensemblearbeiten

wie zwei Tage vor der Bundestagswahl

am Stuttgarter Schauspiel als Altkanzlerin

Angela Merkel in „Ökozid“,

dem politisch-ökologisch-juristischen

„Modellversuch“ von Andres Veiel und

Jutta Doberstein. Sie spielt allerdings

auch herausfordernde Soli, beispielsweise

„Marias Testament“. Diese spektakuläre

Theaterfassung des Romans von

Colm Tóibín hat Elmar Goerden 2018

an den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt.

Nicole Heesters als Mutter

Gottes, Nicole Heesters als gewesene

Kanzlerin – es sieht ein bisschen so aus,

als sei sie zur Spezialistin für unspielbare

Rollen geworden.

„Ökozid“ ist ein besonderes Beispiel

für die ebenfalls sehr besondere „Methode

Heesters“. Extrem konzentriert,

ja geradezu streng (deutlich strenger

jedenfalls als das politische Vorbild) eignet

sich die Schauspielerin weniger das

Profil als vielmehr Struktur und Funktion

der Politikerin an und zeigt damit

auch die Zwänge und Verstiegenheiten,

die oft so unvermeidlich scheinen und

auch entspannte Persönlichkeiten im

Politikgeschäft verändern (mit eher

unerfreulichem Effekt). Heesters spielt

eigentlich nicht so sehr die Person (der

sie ja auch kein bisschen ähnlich ist),

sondern das System Merkel – und das

ist wohl das Maximum, was in dieser

Inszenierung und mit diesem Material

möglich ist. Nicht selten am Stuttgarter

Premierenabend keimt jedoch der dringende

Wunsch, die Schauspielerin Heesters

(und mit ihr das ganze Stuttgarter

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