Vortrag St - Kinderleicht
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Fachtagung in Seefeld: Zukunft. Von Anfang an<br />
Hört denn dieser Spuk nie auf- Resilienzfördereung bei Kindern aus sucht-und<br />
psychisch belasteten Familien durch ein kinderpsychodramatisches<br />
Gruppenangebot (<strong>Vortrag</strong> Alfons Aichinger Ulm)<br />
Kindern in ihrer belasteten Situation eine <strong>St</strong>imme zu geben, ist ein schwieriges<br />
Unterfangen. Schon Janusz Korczak, der bekannte Leiter des Warschauer<br />
Waisenhauses und Schriftsteller betonte, dass es keine schwierigere Kunst gibt, als<br />
Kinder anzusprechen und sich mit ihnen über Probleme zu verständigen. Denn viele<br />
Kinder, vor allem Kinder unter 10 Jahren, können sich nicht gut verbal ausdrücken,<br />
einige sprechen überhaupt nicht, sind schüchtern oder verweigern sich, über ihre<br />
belastenden Erfahrungen zu sprechen, zumal wenn sie aus sucht- oder psychisch<br />
belasteten Familien mit einem Schweigegebot kommen und sich schämen, das zu<br />
erzählen, was ihnen täglich zugemutet wird. Will man Kinder nicht wie in der<br />
mittelalterlichen Malerei als kleine Erwachsene behandeln, mit denen man über die<br />
Probleme reden kann, und will man erfolgreich mit Kindern arbeiten, muss man ihre<br />
eigene Ausdrucks- und Verarbeitungsform, nämlich das Symbolspiel, nutzen und<br />
spielerisch vorgehen.<br />
Wie dies aussehen kann, möchte ich zunächst an einem Beispiel einer<br />
Gruppensitzung von 9jährigen Kindern, die alle einen sucht- oder psychisch kranken<br />
Vater haben, verdeutlichen.<br />
In der <strong>St</strong>uhlrunde, als wir die Kinder fragen, welche Geschichte sie heute zusammen<br />
spielen wollen, schlägt ein Junge Kaiserhof vor. Der 2. Junge stimmt sofort zu, da<br />
könnten sie Ritterturnier spielen. Die Mädchen ergänzen, dort gebe es auch schöne<br />
Prinzessinnen, die prächtige Kleider, tollen Schmuck und Araberpferde zum<br />
Ausreiten hätten. Es müsse aber auch noch was Gefährliches passieren, schlägt ein<br />
Junge vor. Sofort stimmen die anderen zu und entwickeln die Idee, es müsse ein<br />
böser Zauberer auftauchen, andere sind für einen Drachen. Da schlägt Max, dessen<br />
Vater am Mittagstisch wegen größerem Drogenhandel verhaftet wurde und seitdem<br />
zwischen Ängsten und Wutausbrüchen schwankt, vor, auf dem Schloss lebe ein<br />
lieber Diener, der sei aber auch ein Zauberer und verwandle sich in einen Drachen.<br />
Und Judith, deren Vater alkoholkrank und gewalttätig ist und die in der Schule<br />
wegen Aggressivität auffällt, ergänzt, der wolle das Kaiserreich zerstören. Aber das<br />
schaffe der nicht, darüber sind sich die Kinder einig. Nachdem die Kinder so ihr<br />
Spielthema gefunden haben, fragen wir sie, wer sie in der Geschichte sein wollen.
Max will Kaiser sein, Bilal, dessen Vater psychotisch wurde und der in der Schule<br />
durch aggressive Durchbrüche auffällt, ist Prinz Eisenherz. Judith will Prinzessin<br />
Fantagiro sein, die schön ist, aber auch kämpfen kann. Amela, deren Vater depressiv<br />
wurde und die in der Schule wegen starken Hemmungen auffiel, will eine gefährliche<br />
Raubkatze sein. Und Agatina, deren Vater auch wegen Drogenhandel einsitzt und<br />
die wegen Ängsten und Verdacht auf sexuellen Missbrauch angemeldet wurde, will<br />
eine Babyprinzessin sein, aber nur wenn Amela als Raubkatze auf sie aufpasse,<br />
wozu diese bereit ist. Die Therapeutin soll eine gute Dienerin sein, die alle gut<br />
versorgt und pflegt und auf das Baby aufpasst. Ich soll ein Diener sein, der für die<br />
Jagd und Schwertkampfübungen zuständig ist. Ich sei aber nur zunächst gut.<br />
Insgeheim sei ich aber ein böser Zauberer, der verwandle sich eines Nachts in einen<br />
Drachen, der das Kaiserreich zerstören will. Agatina sagt, der Drache wolle auch<br />
das Baby in seine dunkle, stinkige Höhle entführen. Doch das würden alle vereiteln.<br />
Nach dem Aufbau des Schlosses, der prächtigen Gemächer, des Turnierplatzes und<br />
des Waldes mit Polstern und Tüchern schmücken sich alle mit schönen Tüchern,<br />
Max, Bilal und Judith bauen sich noch mit Baufix Schwerter. Dann kann das Spiel mit<br />
einem Verwandlungsritual beginnen. Während die Dienerin das Baby und die<br />
Wildkatze gut versorgt, dem fordernden Baby alle Wünsche abzulesen versucht, der<br />
Wildkatze dicke Knochen serviert und Prinzessin Fantagiro zum Ausreiten herrichtet,<br />
muss ich mit dem Kaiser, Prinz Eisenherz und später auch mit Prinzessin Fantagiro<br />
als Übungspartner für Schwertkampf herhalten. Dabei bewundere ich ihre<br />
Waffenkunst, ihre Schnelligkeit und Geschicklichkeit. Kein Gegner sei ihnen<br />
gewachsen. Bei diesem bewundernden Spiegeln strahlen die Kinder.<br />
Dann reiten sie zur Jagd aus und erlegen imaginierte Bären und Hirsche. Wieder<br />
bewundere ich ihre Kraft, Geschicklichkeit und ihren Mut. Währenddessen planscht<br />
das Baby im Rosenbad und die Wildkatze fängt große Ratten, von der Dienerin<br />
bewundert. Anschließend muss die Dienerin den Bärenschinken braten und allen<br />
auftischen, selbst das Baby will eine Keule.<br />
Nachdem die Kinder die Versorgung und die Nähe an der Tafel genossen haben,<br />
geben sie die Regieanweisung, es werde Nacht und als der Diener glaube, alle<br />
schlafen tief und fest, würde er sich in den Zauberer und dann in den Drachen<br />
verwandeln.<br />
Als Diener spreche ich vor mich hin, jetzt überkomme mich die böse Macht, gegen<br />
die mich zu wehren ich zu schwach sei. Ich verwandle mich, lege mir einen
Zaubermantel um und spreche als Zauberer: jetzt sei die <strong>St</strong>unde gekommen, da alle<br />
im Schloss schlafen und nichts von meiner dunklen Seite wissen. Jetzt könnte ich<br />
mich dem Rausch des Zauberns hingeben, egal was auch passiere. Mit dem<br />
Zauberstab probiere ich neue Zaubersprüche aus und werde plötzlich in einen<br />
Drachen verwandelt. Ich lege mir ein grünes Tuch um und fauche, jetzt werde ich das<br />
Baby rauben und im Schloss wüten, Da alle schlafen, könnte mich keiner aufhalten.<br />
Bei diesem Selbstgespräch kichern die Kinder, die sich schon, ermutigt durch die<br />
Dienerin, auf die Lauer gelegt haben. Um den Spannungsbogen zu erhöhen halte<br />
ich inne: „War da was?“ Als die Kinder sofort still sind, beruhige ich mich und nähere<br />
mich langsam dem Schlafgemach des Babys. Da stürzen alle über den Drachen her.<br />
Kaiser, Prinz Eisenherz, Prinzessin Fantagiro stechen mit ihren Schwertern im So-<br />
tun-als ob auf den Drachen ein, die Wildkatze zerkratzt ihm die Augen und selbst das<br />
Baby wird wehrhaft und schlägt auf ihn ein. Als ich als Spielleiter kurz nachfrage, ob<br />
der Drache sich noch wehren könne, verneinen die Kinder, der zucke nur noch ein<br />
bisschen. Dann geben die Kinder die Regieanweisung, alles böse Blut würde nun<br />
aus dem Drachen fließen und er würde sich wieder in den Zauberer<br />
zurückverwandeln. Nachdem der Drache getötet und alles Blut ausgeflossen ist,<br />
werde ich zum Zauberer und versuche mich herauszureden- so die Anweisung der<br />
Kinder. Sie hätten das alles nur geträumt und ich wollte gerade nachschauen, ob sie<br />
auch gut schlafen und zugedeckt seien. Entrüstet fallen die Helden über mich her.<br />
Sie hätten mich beobachtet und alles mitangehört. Und im Triumph schleppen sie<br />
mich in den Kerker. Wieder versuche ich mich herauszureden, mit dem Drachen<br />
hätte ich nichts zu tun, das sei ein fremder. Unter Androhungen von Folter gestehe<br />
ich meine Schuld. Das Böse, über das ich keine Kontrolle hätte, sei über mich<br />
gekommen und unter diesem Bann hätte ich, ohne an die bösen Folgen zu denken,<br />
rumgezaubert. Und da sei ein Drache entstanden, der das Kaiserreich zerstört hätte,<br />
wenn sie sich nicht so mutig und schlau eingesetzt hätten. Zur <strong>St</strong>rafe werde ich für<br />
1000 Jahre in den Kerker gesteckt, danach würde ich dann wieder zum guten Diener<br />
werden.<br />
Da die Spielzeit vorbei ist, beenden wir das Spiel, lassen sich alle wieder<br />
zurückverwandeln und fragen im <strong>St</strong>uhlkreis die Kinder kurz, was ihnen heute am<br />
Spiel gefallen habe. Alle finden das Spiel super, welch tolle Helden sie waren und<br />
wie sie den Drachen und Zauberer besiegt haben. Auch wir bestätigen ihre <strong>St</strong>ärke,<br />
Mut, Schlauheit und ihren Zusammenhalt.
In den folgenden <strong>St</strong>unden muss ich dann bei Wasser und Brot, umgeben von Ratten<br />
und Schlangen dafür büßen, was ich ihnen angetan habe. Bei kleinsten Fehlern,<br />
Ungehorsam oder wenn ich nicht genug Reue zeige wird meine <strong>St</strong>rafe jeweils um<br />
100Jahre erhöht. Sie zeigen, wie gut sie das Reich auch ohne den Diener regieren<br />
können, halten Turniere ab, gehen zusammen auf die Jagd, auch das Baby, das<br />
schnell gewachsen ist, reitet mit, und sie feiern Feste, von den Dienerin bestens<br />
geschmückt und versorgt. Ich muss sie aus dem Kerker heraus bewundern und<br />
beklagen, dass ich zu Recht am schönen Leben auf dem Schloss nicht mehr<br />
teilhaben darf.<br />
Wie Sie an diesem Beispiel hören konnten: Ganz anders Erwachsenen reinszenieren<br />
und bearbeiten Kinder ihre Konfliktsituationen, ohne sich dem mit den Szenen<br />
verbundenen Schmerz, Leid, der Trauer und Wut erneut auszusetzen und diese<br />
Gefühle erneut zu erleiden. Nicht wie Erwachsene, die über die schreckliche,<br />
ohnmächtige Erfahrung reden würden, dass der gute Vater plötzlich eine böse,<br />
zerstörerische Seite zeigte, wie sie hilflos der Gewalt ausgeliefert waren, wie<br />
unberechenbar er geworden ist, wie sie hin und her gerissen sind zwischen Wut und<br />
Mitleid, wie sie sich über diese dunkle Seite des Vaters schämen und sie<br />
verschwiegen u.ä.. Im Spiel, dem Königsweg der Kinder stellen Kinder ihre innere<br />
Wirklichkeit dar, eignen sie an und gestalten sie. Und das auf eine Weise, dass sie<br />
ihre belastenden Szenen lustvoll inszenieren und viel Spaß bei der Bearbeitung ihrer<br />
Erfahrungen haben. Wie kommen Kinder zu dieser kreativen Leistung? Mit zwei<br />
hochtherapeutischen Kunstgriffen verschaffen sie sich Spaß in der Therapie (vgl.<br />
Fryzer 1995):<br />
1. Mit einer spezifischen Inszenierungsform, die sich wesentlich von der Art der<br />
Konfliktbearbeitung Erwachsener unterscheidet, dem Symbolspiel, können sie<br />
schwierige Situationen externalisieren und verfremdet darstellen und aus<br />
sicherer Distanz (wie in der Traumatherapie) betrachten und dabei ihre<br />
Gefühle erfolgreich regulieren. Die „heilende Kraft des kindlichen Spiels“<br />
(Zulliger), beruht nicht zuletzt auf dieser regulatorischen Eigenschaft (Dornes<br />
2001, S. 203f).<br />
Sie legen ihre belastenden Erfahrungen in eine andere Zeit( in die Ritterzeit), an<br />
einen anderen Ort (ins Schloss), in andere Figuren (es ist nicht vom guten Vater
die Rede, sondern vom Diener, nicht von seiner destruktiven Seite, sondern vom<br />
Zauberer und Drachen, nicht von Max, sondern vom Kaiser).<br />
2. erlaubt ihnen der Rollenwechsel und die Rollenumkehr, die sie spontan, von<br />
sich aus und ohne Anweisung des Therapeuten vollziehen, aus der Rolle des<br />
passiv Erleidenden in die Rolle des aktiv Gestaltenden und Wirkmächtigen zu<br />
kommen und so „die Perspektive des schöpferisch Tätigen“, wie Moreno es<br />
nennt, zu gewinnen. Sie sind im Spiel nicht ohnmächtige Kinder, die dem<br />
bösen Vateranteil hilflos ausgeliefert sind, sondern wehrhafte Helden, die die<br />
Bedrohung meistern, sind Kaiser, Wildkatze. Selbst das Baby ist- anders als<br />
zuhause, wo die Mutter hilflos dem Treiben des Mannes zuschaute- beschützt<br />
und wird im Laufe des Spiels wehrhaft.<br />
Das Spiel ist somit nicht nur kreativ verfremdete Inszenierung eines Konfliktes,<br />
sondern auch aktive Umsetzung und Bearbeitung von Erfahrungen, ein <strong>St</strong>ück<br />
Bewältigungsarbeit. So wird das Symbolspiel ein Ort der Neugeburt zu einem<br />
anderen, befriedigenderen Leben, so wie es Bastian, dem Versager, in Michael<br />
Endes „Unendlicher Geschichte“ gelingt. „Es gibt Menschen, die können nie nach<br />
Phantásien kommen“, sagte Herr Koreander, „und es gibt Menschen, die können es,<br />
aber sie bleiben für immer dort. Und dann gibt es noch einige, die gehen nach<br />
Phantásien und kehren wieder zurück. So wie Du. Und die machen beide Welten<br />
gesund“ (1979, S. 426).<br />
Dass Kinder aus sucht -und psychisch kranken Familien hohen Risiken und<br />
Beeinträchtigungen ausgesetzt sind und daher der Unterstützung bedürfen, dafür<br />
gibt es erdrückende Belege in der internationalen Forschungsliteratur. Kinder aus<br />
suchtbelasteten Familien sind die größte bekannte Risikogruppe zur Entwicklung von<br />
Suchtkrankheit, ähnlich ist es bei psychischer Krankheit der Eltern. So ist zB das<br />
Erkrankungsrisiko für Schizophrenie um mehr als das 10fache erhöht, wenn ein<br />
Elternteil darunter leidet, sind beide erkrankt, liegt das Erkrankungsrisiko bei den<br />
Kindern bei 40%. Und beide Gruppen haben ein erhöhtes Risiko, im Verlaufe der<br />
Kindheit und Jugend ohne eine resilienzfördernde Massnahme eine psychische<br />
<strong>St</strong>örung zu entwickeln. Die genetischen Faktoren bestimmen als Vulnerabilität dabei<br />
mit, ob sich belastende Lebensereignisse pathogen auswirken oder, wenn<br />
Schutzfaktoren zur Verfügung stehen, nicht.
Kinder und Jugendliche aus alkohol- oder psychisch belasteten Familien sind<br />
anderen familiären Bedingungen ausgesetzt als ihre Altersgenossen:<br />
1. Sie erleben mehr <strong>St</strong>reit, konflikthafte Auseinandersetzungen und Disharmonie<br />
zwischen den Eltern.<br />
2. Sie sind extremeren <strong>St</strong>immungsschwankungen und Unberechenbarkeiten im<br />
Elternverhalten ausgesetzt. Sie erfahren weniger Verlässlichkeiten und<br />
Klarheiten im familiären Ablauf. Das Erziehungsverhalten ist schwankend.<br />
Versprechen, Ankündigungen oder Vorsätze werden häufig nicht eingehalten.<br />
3. Sie geraten häufiger in Loyalitätskonflikte zwischen den Eltern, werden<br />
parentifiziert und nehmen Rücksicht auf die schwachen Eltern.<br />
4. Vernachlässigung, sexueller Missbrauch und aggressive Misshandlungen<br />
kommen häufiger vor. „ Wie zahlreiche internationale <strong>St</strong>udien zeigen, sind sie<br />
eine besondere Hochrisikogruppe für alle Arten innerfamiliärer Gewalt. Dies<br />
umfasst körperliche, emotionale und verbale Misshandlungen und kann dazu<br />
führen, dass sie selbst Ziel oder Zeuge solcher Gewalt zwischen ihren Eltern<br />
oder anderen Familienmitgliedern werden. In einzelnen europäischen Ländern<br />
wird die Quote solcher gegen Kinder und Jugendliche gerichteten Gewalt<br />
durch den Vater oder die Mutter unter Alkoholeinfluss mit knapp über 50 %<br />
angegeben“ (Velleman und Reuber 2007, S.18).<br />
5. Die Empathie, Feinfühligkeit und emotionale Verfügbarkeit der Eltern ist<br />
eingeschränkt. Die Befriedigung der kindlichen Bedürfnisse nach Sicherheit,<br />
Verlässlichkeit und Geborgenheit kommt zu kurz.<br />
6. Außerdem fehlt soziale Unterstützung, da die Kontakte zu anderen aufgrund<br />
des Schweigegebotes und der Scham eingeschränkt werden. Die Krankheit<br />
wird tabuisiert und verschleiert.<br />
7. Auch ist die Abhängigkeit v.a. des Vaters häufiger mit Arbeitslosigkeit und<br />
finanziellen Problemen, Armut verbunden (Zobel 2005).<br />
Daher müssen diese Kinder gestärkt werden, muss ihre Widerstandskraft, ihre<br />
Resilienz gefördert werden, damit sie die Basiskompetenzen erwerben, die sie für<br />
die Bewältigung ihrer schwierigen Lebensumstände benötigen, damit sie wieder<br />
Vertrauen in ihre eigene Wirkmacht gewinnen, sich selbst als wertvoll erleben und<br />
soziale Kontakte aufbauen können. Dazu sind in den letzten Jahren Programme<br />
entwickelt worden. Im Unterschied zu modulhaften, themenzentrierten und sehr
strukturierten Gruppeninterventionsprogrammen, in der die Kinder angeregt<br />
werden, über ihre Erfahrungen mit süchtigen oder psychisch kranken Eltern zu<br />
reden, ging ich mit dem Kinderpsychodrama einen anderen Weg, indem ich die<br />
heilende Wirkung des Spiels nutzte und die therapeutischen Interventionen zum<br />
Aufbau von personalen und sozialen Resilienzfaktoren spielerisch einsetzte.<br />
Wie dies aussehen kann, möchte ich an einigen Beispielen aufzeigen.<br />
Zunächst möchte ich noch kurz auf das Setting und den Ablauf der<br />
Gruppensitzung eingehen:<br />
Setting:<br />
Je nach Verhaltensauffälligkeiten, die die Kinder mitbringen, bieten wir 20-40<br />
wöchentliche, einstündige Gruppensitzungen an. In die Gruppe werden 4- 6<br />
Kinder aufgenommen, so können sich Kindergartenkinder oder Kinder mit<br />
Beziehungsschwierigkeiten nur auf wenige Kinder beziehen. Die Kinder sollen<br />
einen ähnlichen Entwicklungsstand haben, damit sie in den Spielen die gleichen<br />
Entwicklungsaufgaben angehen können. Die Gruppe wird möglichst von einem<br />
gegengeschlechtlichen Therapeutenpaar geleitet, damit die Kinder ihre<br />
Erfahrungen mit dem Elternpaar gut darstellen und bearbeiten können. Mit den<br />
Eltern wird eine begleitende Eltern-oder Familienberatung vereinbart, in der zB<br />
auch psychoedukativ besprochen wird, wie Eltern dem Kind die psychische<br />
Erkrankung erklären können.<br />
Ablauf der Sitzung<br />
Jede Sitzung wird durch 3 Phasen strukturiert:<br />
1.Erwärmungsphase:<br />
� Zur Themenfindung fragen wir zu Beginn jeder <strong>St</strong>unde in einer<br />
<strong>St</strong>uhlrunde, welche Geschichte die Kinder heute zusammen spielen<br />
wollen. Die verschiedenen Beiträge versuchen wir mit ihnen<br />
zusammen unter ein gemeinsames Thema zu bringen.<br />
� Rollenwahl: Haben sich die Kinder auf ein gemeinsames Spielthema<br />
geeinigt, lassen wir sie die Rollen, die sie im Spiel spielen wollen,<br />
wählen und kurz beschreiben. Danach erfragen wir, welche Rollen<br />
sie uns übertragen möchten. Bei unstrukturierten Kindern oder in
2. Spielphase<br />
der Anfangsphase übernimmt einer der Therapeuten eine stützende<br />
Doppelgängerrolle, um die Kinder zu unterstützen, zu gelingenden<br />
Spielerfahrungen zu kommen.<br />
� Aufbau der Szenerie:<br />
Die LeiterInnen helfen mit Kissen, Schaumstoffblöcken und Tüchern<br />
den Raum zu strukturieren. Es wird abgesprochen, wer wo seine Höhle<br />
oder sein Haus aufbauen möchte. Oder welche Hindernisse die Helden<br />
überwinden müssen, um den Bösen zu fangen. Bevor dann das Spiel<br />
beginnt, lassen wir die Kinder ihre Bauten beschreiben, damit sich jeder<br />
orientieren kann.<br />
Das Therapeutenpaar spielt im Gegensatz zum Erwachsenenpsychodrama immer (!)<br />
mit. Erst als Mitspielende ist es den LeiterInnen wirklich möglich, ihre Rollen so<br />
anzulegen, dass sie bei den Kindern therapeutische Prozesse anregen und<br />
unterstützen. Auch als Spielleiter können sie das Spiel strukturieren, indem sie -kurz<br />
aus der Rolle heraustretend- fragen, wie die Spielhandlung weitergehen soll oder wie<br />
sie sich in ihrer Rolle zu verhalten haben. Durch das aktive Mitspielen der Leiter und<br />
Ernstnehmen der Rollen, die die Kinder spielen, kommt das Spiel besser in Gang,<br />
und die Kinder werden ihrerseits für das Spiel „angestiftet“.<br />
3. Abschlussphase<br />
In der abschließenden Runde, nachdem die Kinder und Spielleiter – analog zur<br />
Einstimmung – wieder in die realen Personen zurückverwandelt wurden, setzen sich<br />
alle noch einmal kurz zusammen. Jedes Kind wird gefragt, was ihm heute gut<br />
gefallen hat. Die Spielleiter geben abschließend positive Rückmeldungen<br />
insbesondere von Spielaktionen, die auf die Gruppenkohäsion abzielen: „Wir haben<br />
gesehen, wie einfallsreich die Helden zusammen gearbeitet habt!“.<br />
Nun möchte ich aufzeigen, wie Kinder ihre Erfahrungen auf der Symbolebene<br />
bearbeiten und wie wir ihre Gefühle spiegeln und ihnen so helfen, ihren<br />
Gefühlszustand zu verstehen und regulieren zu können.<br />
In Familien mit Sucht- oder psychischer Krankheit wird mit Kindern meist nicht über<br />
die Sucht oder Krankheit und die damit verbundenen Erfahrungen geredet, sie wird<br />
verharmlost, verdrängt oder tabuisiert. Diese massive Verleugnung dient der Abwehr
der Familie, ist oft der einzig gangbare Weg, um trotz zahlloser Enttäuschungen,<br />
Verletzungen, Ängste und Schuldgefühlen in der Familie weiter leben zu können.<br />
Daher ist es für Kinder, vor allem für Kinder unter 10 Jahren, äußerst schwer, über<br />
ihre Erlebnisse zu reden, ohne das Tabu der Familie zu brechen. Im Symbolspiel<br />
können Kinder über einen Rollenwechsel, den sie von sich aus, ohne therapeutische<br />
Intervention, vollziehen, aus sicherer Distanz und ohne das Schweigegebot der<br />
Familie zu brechen, ihre oft schrecklichen Erlebisse darstellen<br />
Eine Möglichkeit der Mitteilung besteht darin, dass die Kinder vergangene oder<br />
gegenwärtige Konflikte in der Rollenübertragung aktualisieren und reinszenieren,<br />
aber mit einer Rollenumkehr, in der sie die Position der mächtigen Erwachsenen<br />
einnehmen und den Therapeutlnnen die Position der ohnmächtigen Kinder zuweisen.<br />
Indem sie den Therapeutlnnen die Rolle zuweisen, die sie sonst im realen Leben<br />
innehaben, und ihnen in der Rollenumkehr der ursprünglichen Objektbeziehungen<br />
das Unangenehme zufügen, das ihnen selbst widerfahren ist, teilen sie ihren Konflikt<br />
mit. Und sie können diesen austragen, indem sie die Rolle des aktiv Zufügenden<br />
übernehmen und wieder ihre Wirkmacht und Kontrollfähigkeit über die erlebten<br />
Geschehnisse erleben. Diese erlebte Kontrollfähigkeit führt dazu, dass sich die<br />
Kinder dann nicht mehr als Opfer oder passives, wehrloses Wesen seiner Umwelt<br />
erfahren, sondern als ein aktiv gestaltender Mensch. Dieses Grundbedürfnis nach<br />
Kontrolle ist auch eng mit psychischer Gesundheit verbunden (Grawe 2004).<br />
Wenn der Therapeut sich auf die übertragene Rolle richtig einlässt, kann er in einer<br />
konkordanten Identifizierung die in ihm aufkommenden Gefühle der Wut, Trauer,<br />
Ohnmacht und Hilflosigkeit wahrnehmen und so das Kind verstehen. Und er kann<br />
dann im Spiel dem Kind seine Not, seine Verzweiflung, seine ohnmächtige Wut und<br />
Angst, Gefühle, die das Kind selbst nicht mehr erlebt, sondern in seine Symptomatik<br />
eingebunden hat, widerspiegeln, indem er laut mentalisierend vor sich hin spricht.<br />
Dem Affektspiegelungsmodell (Fonagy & Target 2000) zufolge lernt das Kind erst<br />
aus der Reaktion des Therapeuten, in welchem Gefühlzustand es sich befindet.<br />
Indem es nämlich durch Externalisierung im Therapeuten Angst und Ohnmacht<br />
erzeugt, bemerkt es über die Spiegelung, welche Angst und Ohnmacht es selber hat.<br />
Ein Beispiel mag zeigen, wie die Kinder ihre schlimmen Erfahrungen darstellen,<br />
wenn sie in der Nacht verwirrende und beängstigende Dinge erleben, wenn das
Haus „von allen guten Geistern verlassen“ ist, wenn sie ihrer eigenen Wahrnehmung<br />
nicht mehr trauen können, weil die Eltern am nächsten Morgen das Erlebte<br />
verharmlosen oder sich wie ausgewechselt geben:<br />
In einer Gruppenstunde einigen sich sechs 8-9 jährige Jungen auf das Thema<br />
„Schlossgespenster“. Das Therapeutenpaar soll die Schlossbesitzer spielen,<br />
die Jungen wollen tagsüber Bedienstete sein, des Nachts aber<br />
Schlossgespenster.<br />
Nach dem Aufbau der Szene und der Verkleidung beginn das Spiel, als die<br />
Schlossbesitzer nach einem Nachtmahl zufrieden ins Bett gehen. Um<br />
Mitternacht beginnt aber der Spuk. Sie werden von den unterschiedlichsten<br />
Gespenstern über Schreie, schrecklich rote Augen, Kältestrahlen, Decken<br />
wegziehen, Gegenstände, die durch den Raum fliegen, aber auch Schläge<br />
und Angriffe zu Tode geängstigt und erschreckt. Die Therapeuten spiegeln<br />
mentalisierend die Gefühle, die die Kinder zu Hause erleben, indem sie laut<br />
vor sich hin sprechen, wie schrecklich es ist, hilf- und wehrlos diesem Spuk<br />
ausgesetzt zu sein, vor Angst zu zittern, nur abwarten zu können, bis er zu<br />
Ende geht. Hoffentlich werde es bald Tag, da könne man ja kein Auge zu<br />
machen vor Angst. Und es sei kaum aushaltbar, wenn das jede Nacht<br />
passiere, da müsse man ja vor jedem Abend Angst haben.<br />
Am nächsten Morgen, als die Schlossbesitzer noch schlotternd von ihren<br />
schrecklichen Erfahrungen berichten, lachen die Bediensteten sie aus. Das<br />
hätten sie nur geträumt, die Nacht sei ganz ruhig gewesen, sie hätten ja sonst<br />
auch was hören müssen. Wieder spiegeln mentalisierend die Therapeuten die<br />
Verwirrung, wie es einem ergeht, wenn das als Einbildung abgetan wird, was<br />
sie so schrecklich erlebt haben, und dass sie jetzt ganz unsicher werden, ob<br />
sie ihrer Wahrnehmung trauen können, wenn andere dies als Täuschung<br />
hinstellen.<br />
Eine weitere Mitteilungsmöglichkeit besteht darin, dass die Therapeuten nach den<br />
Anweisungen der Kinder sich so verhalten und so reagieren müssen, wie es früher<br />
oder jetzt Bezugspersonen aus der Sicht der Kinder taten oder tun. Doch<br />
wiederholen sie diese schlimmen Szenen nicht einfach, sondern tauschen im Spiel<br />
die mit den Rollen verbundenen Verhaltensweisen und Gefühle. Die Therapeutlnnen<br />
werden dann im Laufe des Spiels in einer Rollenumkehr in den mächtigen Rollen der
Bezugspersonen ohnmächtig und hilflos gemacht, und die unterlegenen Kinder<br />
werden wehrhaft und mächtig und können so die alten Szenen mit veränderten,<br />
getauschten Vorzeichen durchspielen.<br />
Eine gemischte Gruppe von Zwölfjährigen, in der die Kinder starke<br />
Vernachlässigung, Missbrauch und Gewalt durch die sucht-, drogenabhängigen<br />
und psychisch kranken Eltern erlebt hatten, einigt sich darauf, Zirkus zu spielen.<br />
Die Kinder wählen die Rollen von Raubtieren, die Therapeutin wird zur<br />
Zirkusdirektorin und Dompteurin gemacht, der Therapeut soll Fernsehreporter<br />
sein, der in einer Eurovisionssendung den Auftritt direkt überträgt. Die Therapeu-<br />
tin bekommt die Anweisung, sie solle als Zirkusdirektorin und Dompteurin sehr<br />
streng sein, die Tiere schlagen und ihnen nichts zum Essen geben. Bei der<br />
Vorstellung soll sie sich aber verstellen und ganz lieb tun. Nachdem die<br />
Therapeutin diese Handlungsanweisungen ausführte und die Tiere schlecht<br />
behandelte, steht der Tag der Premiere an. Der Reporter berichtet im Fernsehen,<br />
dass in wenigen Minuten eine großartige, noch nie gesehene Tierschau beginnen<br />
werde. Während der Raubtiernummer stirbt dann aber plötzlich der Tiger, der von<br />
Tanja, die eine heroinabhängige Mutter hat und massive Vernachlässigung und<br />
Gewalt erlebt hat, dargestellt wird. Der Reporter ist über den plötzlichen Tod<br />
dieses schönen Tieres entsetzt und fragt sich, was die Ursache ist. Da wechselt<br />
Tanja die Rolle und kommt als Jaguar zum Reporter. Tanja, die bisher kaum ein<br />
Wort geredet hat und völlig verschüchtert war, gibt dem Fernsehreporter als<br />
Jaguar in der Tiersprache zu verstehen, dass der Tiger deshalb gestorben sei,<br />
weil er gefesselt und misshandelt wurde. Als der Reporter nach dem Täter fragt,<br />
deutet sie auf die Dompteurin. Der Reporter berichtet sofort im Fernsehen über<br />
diese Tierquälerei und Misshandlungen. Da gehen alle Tiere, die vorher noch<br />
gekuscht hatten, auf die Dompteurin los, fallen über sie her, beißen sie und<br />
sperren sie dann in einen Käfig. Diese muss dann jammern und beklagen, dass<br />
ihre Schandtaten jetzt ans Licht kommen. Die Tiere berichten nun dem Reporter<br />
vor laufender Kamera, die Dompteurin habe andere Tiere vergiftet und ihnen<br />
Alkohol und Drogen gegeben und verrückte Sachen gemacht. So werden die<br />
Tierquälereien öffentlich gemacht, und die Dompteurin gesteht, dass sie, weil sie<br />
mit ihrem Leben nicht zurecht gekommen sei, ihre Wut an den Tieren
ausgelassen und sie schlecht versorgt habe. Daraufhin wird sie, dieser negative<br />
Anteil der Mutter, zum Schluss zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt.<br />
Auch frühe Erfahrungen, die im Leibgedächtnis gespeichert sind und Kinder nie in<br />
Worte fassen könnten, sind im Symbolspiel ausdrückbar.<br />
So spielte ein Junge von drogenabhängigen Eltern, der nach Aussagen seiner<br />
Pflegeeltern nichts über die Drogensucht seiner Eltern weiß, einen<br />
Babygepard, der sich vergiftet auf die Tierstation schleppt und stirbt. Auf<br />
Nachfrage der Therapeuten will er ein Begräbnis haben. Er baut sich ein<br />
Grab, hüllt sich in Decken und hört lächelnd, mit geschlossenen Augen die<br />
Trauerrede der Tierhüter (Therapeuten) an. Die anderen Tiere (Kinder) liegen<br />
aufmerksam um das Grab. Die Tierhüter beklagen, dass ein so wertvolles Tier<br />
so früh sterben musste, weil es so schlechte Bedingungen zum Aufwachsen<br />
hatte, und fragen sich, wer das Tierbaby wohl vergiftet hat. Da zeigt der<br />
Gepard auf die Tierhüterin und sagt, die hätte Gift ins Fläschchen gemischt.<br />
Der Tierhüter ist entsetzt und bringt sie in Fesseln zur Polizei, wo alle Tiere -<br />
das gestorbene Tier war zu neuem Leben erwacht- sie anklagen und sie zur<br />
<strong>St</strong>rafe zerfleischen.<br />
Nach Black(1988, S.43ff) wurde den Kindern in ihrer Familie die Botschaft vermittelt:“<br />
Vertraue nicht, fühle nicht, rede nicht“. Sie lernen daher ihre Gefühle, besonders das<br />
der Wut, zu unterdrücken oder einfach gar nicht mehr zu fühlen. Außerdem wollen<br />
Kinder häufig den schwachen oder kranken Elternteil schonen und nicht belasten.<br />
Daher brauchen gerade heikle Gefühle wie Wut und Zorn, Raum und<br />
Ausdrucksmöglichkeit. Und die Kinder müssen dabei unterstützt werden, diese<br />
verdrängten oder unterdrückten Gefühle zu äußern:<br />
Kinder wollen wertvolle Rassenhunde spielen, die von einer meist<br />
betrunkenen Gräfin, der Therapeutin, auf ihrem heruntergekommenen Gut<br />
gezüchtet werden. Der Therapeut soll ein Angestellter sein, der sich aber nicht<br />
traue, sich gegen die Gräfin zu stellen. Die Hunde wehren sich zunächst nicht<br />
gegen die Verwahrlosung, sondern liegen wie betäubt lethargisch herum.<br />
Da wechselt der Therapeut die Rolle und kommt als stützendes Doppel in der<br />
Rolle des Tierschützers, ist entsetzt über die so schlecht gepflegten wertvollen<br />
Hunde und deckt die skandalösen Zustände auf. Er wundert sich, dass diese<br />
Hunde nicht bissig wurden, was sonst bei schlecht behandelten Hunden der
Fall sei, wahrscheinlich habe die Gräfin denen ein Schwächungspulver ins<br />
Essen getan. Oder haben die Hunde etwa Mitleid mit der suchtkranken Gräfin<br />
und schonen sie? Er gibt ihnen <strong>St</strong>ärkungsknochen, damit die Zähne schnell<br />
wieder wachsen. Auf dieses stützende Doppeln hin legen die Kinder ihr<br />
apathisches Verhalten ab, fallen als Hunde über die Gräfin her und richten sie<br />
schlimm zu. Dann wird sie vom Tierschützer der Polizei vorgeführt (im<br />
Rollenwechsel von zwei Kindern gespielt), die ihr einen Prozess macht und sie<br />
zu lebenslanger Haft verurteilt.<br />
Im Folgenden möchte ich aufzeigen, wie die wichtigsten Resilienzfaktoren,<br />
Selbstwert, Selbstwirksamkeit und Beziehungsfähigkeit gefördert werden<br />
können:<br />
1. Aufbau von Selbstwert<br />
Den Selbstwert zu stärken ist für diese Kinder ein wichtiger Schutzfaktor. Häufig<br />
wurden ihre Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung von den Eltern nicht<br />
wahrgenommen wurden. Auch erfahren sie oft in ihren Familien wenig Bestätigung<br />
und Anerkennung. „ Damit macht keines der Kinder die wichtige Erfahrung, dass es<br />
liebenswert und in Ordnung ist, so wie es ist“ (Berke 2008, S.67). Und da sie sich<br />
für die Eltern schämen, fühlen sie sich selbst als wertlos.<br />
Über den Rollenwechsel mit wertvollen, bedeutenden Rollen und das bewundernde<br />
Spiegeln der Therapeuten können in der symbolischen Wunscherfüllung die in ihrem<br />
Selbstwert verunsicherten Kinder aufgewertet und gestärkt werden:<br />
Eine gemischte Gruppe von 10Jährigen spielt <strong>St</strong>ar Wars. Sie sind Jedi-Ritter,<br />
die Therapeuten Darth Vader und Imperator, die die totale Kontrolle über die<br />
Galaxien gewinnen wollen. In einem Kampf auf Leben und Tod besiegen die<br />
Jedi-Ritter die beiden und zerstören ihr Raumschiff „Todesstern“. Nach einem<br />
Rollenwechsel zeichnet der Therapeut als Präsident der Galaxien in einer<br />
„Bewunderungsszene“ die Jedi-RitterInnen mit dem höchsten galaktischen<br />
Tapferkeitsorden unter Anwesenheit der galaktischen Presse aus. Die Kinder<br />
lassen sich mit glänzenden Augen den Orden (Wäscheklammer) anheften und<br />
stellen sich mit geschwellter Brust dem Blitzlichtgewitter der Presse.
Die Spiegelrolle bietet die Möglichkeit, Bewunderung auszudrücken, den „Glanz im<br />
Auge der Mutter“ zu zeigen und in der symbolischen Wunscherfüllung die in ihrem<br />
Selbstwert verunsicherten Kinder aufzuwerten und die „Kraft der liebevollen Blicke“<br />
(Petzold 1995, S.21) zu nützen. Daher sorgen wir dafür, dass die Kinder positive<br />
Heldenrollen wählen und sich nicht mit Täterrollen identifizieren.<br />
.<br />
2. <strong>St</strong>ärkung des Selbstwirksamkeitsgefühls<br />
Für Kinder aus sucht- und psychisch belasteten Familien sind die dauernden<br />
Erfahrungen, keine ausreichende Kontrolle über die Umwelt ausüben können, sehr<br />
einschneidend. Immer wieder erfahren sie, dass ihr Bemühen erfolglos ist, dass ihre<br />
Übernahme von Verantwortung nicht ausreicht, den überforderten Elternteil zu<br />
entlasten, dass sie mit ihren Provokationen nicht die Eltern lange genug ablenken<br />
können, dass ihr Entlastungsversuch und ihr Versuch, für gute <strong>St</strong>immung zu sorgen,<br />
nicht wirkungsvoll genug ist. Dies kann zu einer negativen<br />
Selbstwirksamkeitserwartung und zur erlernten Hilflosigkeit führen, da diese Kinder<br />
zu wenige Erfahrungen erfolgreicher Interaktionen mit ihrem Umfeld machen und sie<br />
ihre Handlungsziele überwiegend nicht durchsetzen können. Daher ist es<br />
entscheidend, ihnen im Spiel die Gegenerfahrung der Selbstwirksamkeit zu<br />
ermöglichen, Szenen so zu gestalten und Hindernisse und Herausforderungen<br />
einzubauen, dass sie Wirksamkeit erfahren. Dadurch können sie von einer hilflosen,<br />
entmutigten Position wegkommen und wieder Mut und Zuversicht gewinnen, dass es<br />
lohnend ist, sich für die Lösung der anstehenden Probleme einzusetzen und<br />
Schwierigkeiten als Herausforderungen zu sehen, die bewältigt werden können<br />
(nach dem Salutogenese-Modell von Antonovsky besteht eine enge Verbindung<br />
zwischen körperlicher und seelischer Gesundheit und diesem Kohärenzgefühl) :<br />
6jährige Jungen aus Sucht- und psychisch kranken Familien entscheiden sich<br />
in einer Gruppenstunde für das Thema: Kampf gegen einen<br />
menschenfressenden Drachen mit 500 Köpfen. Sie wählen die Rollen von<br />
Generälen, die den Drachen besiegen. Sie bauen sich einen riesigen Panzer,<br />
in dem versteckt sie sich der Unterwasserhöhle des Drachen nähern. Der<br />
Therapeut soll der Fahrer sein, die Therapeutin der giftige Drachen. Sie<br />
beschießen mit der Bordkanone den Drachen, was dem aber nichts
ausmachen soll. Als Fahrer bewundert der Therapeut ihren Mut und äußert<br />
seine Angst vor diesem unberechenbaren Ungeheuer. Da stürzt sich ein Junge<br />
in das Wasser und taucht in die Höhle hinab. Der Therapeut äußert sein<br />
Entsetzen, dieser tapfere General sei verloren. Der Junge gibt aber die<br />
Regieanweisung, er könne den Drachen mit Schweinefleisch füttern, das<br />
schmecke ihm viel besser als Menschenfleisch, und legt sich dann zum<br />
friedlich gewordenen Drachen. Daraufhin springen auch die anderen Generäle<br />
in die Tiefe und füttern den Drachen. Vom Panzer aus beschreibt der<br />
Therapeut den Mut der Generäle und rühmt ihre Fähigkeit, einen 500köpfigen<br />
Drachen zu zähmen. Das würde er sich nie und nimmer trauen. Zu seinem<br />
Entsetzen wird der Fahrer in die Höhle herunter gezogen. Sie demonstrieren<br />
ihm dann, wie der Drache ihnen aus der Hand frisst. Er filmt dies, da sonst<br />
niemand das glauben könne. In Nahaufnahmen muss er die Fütterung filmen.<br />
Dann führen sie vor, welche Kontrolle und Macht sie über den Drachen<br />
besitzen. Sie hetzen ihn auf den Fahrer, dass der zu Tode erschrecken muss.<br />
Sie geben dabei Befehle wie zu einem Hund: “Aus!“ oder „Fass!“. Zitternd<br />
anerkennt der Fahrer, dass der 500köpfige Drachen zu ihrem Haushund<br />
geworden ist, sodass sie künftig vor allen Gefahren sicher sein können.<br />
3. Förderung der Beziehungsfähigkeit<br />
Eine gute Beziehung zu Gleichaltrigen gehört mit zunehmendem Alter zu den<br />
wichtigsten Schutzfaktoren. Gerade Kinder von Sucht- und psychisch Kranken sind<br />
in Isolation zu den Gleichaltrigen geraten, da sie sich für ihre Eltern schämen und die<br />
Krankheit vor anderen Kindern verbergen wollen. Durch ihren Rückzug können sie<br />
aber ihre soziale Kompetenz nicht ausbauen. Hinzu kommt, dass sie durch ihre<br />
externalisierten oder internalisierten , durch die <strong>St</strong>ressituation ausgelösten<br />
Verhaltensauffälligkeiten häufig in ihrer sozialen Kompetenz eingeschränkt sind und<br />
nicht mehr gruppenfähig sind. Verfügen diese Kinder nicht über eine ausreichende<br />
soziale Kompetenz und sind deshalb nicht gut in ihre Gleichaltrigengruppe<br />
eingebaut, dann fällt eine wesentliche <strong>St</strong>ütze weg. Daher ist es eine wichtige<br />
Aufgabe der präventiven Gruppenarbeit, ihre Beziehungsfähigkeit zu stärken und sie<br />
aus der Einsamkeit zu holen. Gerade die präventive Gruppe ist ein Ort, wo Kinder<br />
ihre soziale Kompetenz durch Aushandlungs-und Abstimmungsprozesse entwickeln,
Solidarität und hilfreiche Beziehungen untereinander erfahren und so einen sehr<br />
wichtigen Schutzfaktor aufbauen können.<br />
Eine gemischte Gruppe von 10Jährigen will eine Harry Potter- Geschichte<br />
spielen. Sie wählen die Rollen von ZauberschülerInnen, die Therapeutin soll<br />
eine Zauberlehrerin sein, die nur mit ihren Zaubertränken beschäftigt ist und<br />
die Gefahr nicht wahrnimmt, der Therapeut soll Voldemort sein, der in Schloss<br />
Hogwarts die böse Macht aufrichten möchte. Obwohl die Kinder besprochen<br />
haben, wie sie Voldemort unschädlich machen wollen, halten sie sich nicht an<br />
die Absprache, sondern jeder will ihn als erster mit seinem Superzauber<br />
besiegen. Da darüber ein <strong>St</strong>reit ausbricht, interveniere ich als Spielleiter.<br />
Voldemort hätte einen neuen Abwehrzauber entwickelt, bei jedem<br />
Einzelzauber werde er stärker, nur durch einen gemeinsamen 4fach Zauber<br />
werde er besiegt. Und als Voldemort trumpfe ich auf, diese Einzelgänger<br />
könnten micht nie bezwingen. Nachdem sie mit dieser Hilfe gemeinsam<br />
Voldemort entmachten und mit dem Fesslungszauber zu Dumbledore<br />
schleppen( die Thin im Wechsel), lobt dieser ihre Schlauheit. Dann geben die<br />
Kinder die Regieanweisung, in der Nacht werde Voldemort von bösen<br />
Anhängern befreit. Und sie würden ihm mit einer List seinen mächtigen<br />
Zauberstab entwenden. Da aber wieder jeder der erste sein will, der das<br />
schafft, entkomme ich als Voldemort. Da bietet die Therapeutin an, ihre Eule<br />
zu sein. In dieser Rolle kann sie die Kinder stützen, sich an Absprachen zu<br />
halten, dass 2 Voldemort anlocken, indem sie ihn verspotten, und 2 ein<br />
unsichtbares Seil spannen, über das er dann bei der Verfolgung fällt und<br />
seinen Zauberstab verliert.<br />
Für Moreno ist die Erfahrung des Gegenseitig-Helfen-Könnens, die kooperative<br />
gegenseitige Hilfe ein wesentlicher Faktor der Gruppentherapie. Um Kinder<br />
aufeinander zu beziehen und hilfreiche Beziehungserfahrungen zu ermöglichen,<br />
schaffen wir immer wieder Bedingungen, die ein Zusammenspiel, ein kooperatives<br />
Verhalten erfordern und fördern über Interventionen gegenseitige Hilfe und<br />
Empathie:<br />
Vier 5jährige Kindergartenkinder spielen Powerturtels, der Leiterin weisen sie<br />
die Rolle der Köchin zu und mir die Rolle eines Schleimmonsters, das die<br />
Powerturtels fressen will. Ohne Absprache und Bezug zueinander versucht
jeder, das Monster mit seiner Laserkanone oder Karateschläge zu vernichten.<br />
Um die Kinder mehr aufeinander zu beziehen und hilfreiches Verhalten<br />
anzuregen, frage ich, ob nun ein grünes Schleimmonster käme, das einige<br />
Powerturtels mit seinem grünen Schleim (grünes Tuch) einzuschleimen<br />
versuche. Schaffe dieses, einen Powerturtel mit seinem grünen Schleim zu<br />
überziehen, könnte er nur gerettet werden, wenn ein Gefährte heimlich ihm mit<br />
einem Entschleimungsmittel (weißes Tuch) zu Hilfe komme. Die Kinder greifen<br />
dieses Spielangebot auf. 2 wollen sich fangen und dann retten lassen. Ich<br />
werfe meinen Schleim, das grüne Tuch, über sie und trage sie in meine Höhle.<br />
Als ich prüfe, ob sie schon weich genug geschleimt sind, kommt ein Junge auf<br />
die Idee, mir einen Holzstab hinzuhalten. Der tät nicht gut sehen und glauben,<br />
wir wären noch hart. Als ich vor mich hin schimpfe, was das für harte Helden<br />
seien und ewig weich geschleimt werden müssten, kichern die Jungs, die sich<br />
unter dem grünen Tuch zusammen gekuschelt haben. Ich beschließe, solange<br />
einen Mittagsschlaf zu halten. Diese Chance nutzen die anderen Powerturtels<br />
und schleichen mit der Köchin an. Leise legen sie das Entschleimungsmittel<br />
über die Gefangenen und schleppen die Geschwächten in ihre Festung.<br />
Während sich einer rasch erholt, bleibt Tobias, der von seinem alkoholkranken<br />
Vater misshandelt wurde, liegen und wird immer schwächer. Die Therapeutin<br />
wechselt die Rolle und kommt als Ärztin und untersucht den <strong>St</strong>erbenskranken.<br />
Leise, aus ihrer Rolle herausgehend, fragt sie Tobias, was die Ärztin<br />
herausfinden würde. Der entgegnet:“ Die tät sagen, dass nur das<br />
Schleimmonster mit seinem Pulver ihn retten könne“. Sofort bittet die Ärztin<br />
die Powerturtels, das Monster zu fangen und herzuschleppen, was diese<br />
sofort ausführen. Tobias fragt dann vorwurfsvoll das Monster, warum er das<br />
getan habe. Ich frage ihn leise, was das Monster sagen würde. ER gibt die<br />
Anweisung, das tät sagen, er wolle sein Freund werden und ihm sein<br />
<strong>St</strong>ärkepulver geben. Als Monster bitte ich um Vergebung. Eine Krankheit<br />
habe mich so böse und wütend gemacht, dass ich sogar die guten Helden, die<br />
völlig schuldlos seien, vernichten wollte. Ich sehe meine Schuld ein und sage,<br />
am meisten würde ich mir die Freundschaft zu den Powerturtels wünschen,<br />
aber die hätten ja allen Grund auf mich wütend zu sein. Daher müsste ich<br />
zuerst viel wiedergutmachen. Und ich reiche der Ärztin das <strong>St</strong>ärkepulver,<br />
damit sie dem Kranken eine Suppe kochen könne, die ihn wieder stark mache.
Darauf gesundet der auch. Dann verpflichten mich alle, ihnen täglich<br />
<strong>St</strong>ärkesuppen zu kochen, damit sie weitere Gefahren gut bewältigen könnten.<br />
4. Auflösung von Rollenfixierungen<br />
Kinder kümmern sich häufig mit großem Einsatz um die abhängigen Eltern oder<br />
versorgen ihre jüngeren Geschwister. Gerade diese „Helden“ zeigen sich<br />
verantwortungsbewusst und ernsthaft, übernehmen Eltern- oder Partnerfunktion und<br />
stellen ihre eigenen Bedürfnisse zurück. Es ist eine wichtige Aufgabe, diese<br />
Rollenfixierungen, die bis ins Erwachsenalter weitergeführt werden kann, frühzeitig<br />
aufzulösen und Kinder wieder zu einer ungebundenen Kreativität zu führen (vgl. dazu<br />
auch Weiss 2010, 227ff):<br />
10Jährige spielen: „Untergang der Titanic“. Sie wollen berühmte und reiche<br />
<strong>St</strong>ars sein, der Therapeut soll ein Säufer-Kapitän sein, die Therapeutin eine<br />
<strong>St</strong>ewardess. Während die anderen Kinder sich als <strong>St</strong>ars bedienen und<br />
verwöhnen lassen und der Kapitän immer mehr sich betrinkt, verzichtet ein<br />
Junge, der die Rolle eines Fussballstars gewählt hat, auf das Festmenue, hält<br />
Ausschau nach Eisbergen, prüft die Wassertiefe und warnt den Kapitän vor<br />
nahen Eisbergen. Da dieser, nach Anweisung der Kinder, nicht mehr darauf<br />
reagiert, sondern am Tisch betrunken eingeschlafen ist, übernimmt er auch<br />
das <strong>St</strong>euer und rettet im letzten Moment das Schiff vor dem Untergang. Als<br />
das Schiff unversehrt im Hafen von New York einläuft, wechselt die<br />
Therapeutin die Rolle und zeichnet als Präsidentin den Retter mit der höchsten<br />
Rettungsmedaille aus. Es sei ja nicht Aufgabe von Gästen, für einen guten<br />
Kurs zu sorgen, das sei Aufgabe des Kapitäns, doch ohne den Einsatz und die<br />
Kompetenz dieses Helden wäre eine Katastrophe geschehen. Zum Dank<br />
erhält er eine Freifahrt auf dem „Traumschiff“, um sich von den <strong>St</strong>rapazen und<br />
Sorgen erholen zu können.<br />
Und in der nächsten <strong>St</strong>unde will der Junge diesen Gutschein einlösen. Auch<br />
die anderen Kinder springen auf diese Spielidee an, sie hätten andere<br />
Unglücke verhindert und auch Gutscheine für dieses Kreuzfahrtschiff erhalten.<br />
Und das Therapeutenpaar muss dann die ganze <strong>St</strong>unde diese Gäste bestens<br />
mit Essen und Trinken versorgen, sie massieren, Luft zufächeln, Rosen ins
Bad geben u.ä. In dieser Szene können die Kinder ihre bedürftige Seite zeigen<br />
und ihr Bedürfnis nach Versorgung befriedigen.<br />
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Beispielen einen Einblick bieten konnte, wie<br />
Kinder aus psychisch- und suchtkranken Familien über ein<br />
kinderpsychodramatisches Gruppenangebot in ihrer Resilienz gestärkt werden<br />
können, wie Kinder dadurch ihre kreativen Seiten und ihre Kraft wiederentdecken<br />
und diese bei der Bewältigung ihres Problems nutzen.<br />
Literatur:<br />
A.Aichinger, W.Holl: Gruppentherapie mit Kindern. Wiesbaden 2010 (VS Verlag)<br />
A.Aichinger: Resilienzförderung mit Kindern. Wiesbaden 2011 (VS Verlag)<br />
Weiterbildung:<br />
Über das Moreno Institut <strong>St</strong>uttgart in Ulm und über das Szenen Institut in Köln