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Flanke, Kopfball, Tor! - Universität Erlangen-Nürnberg

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viel aggressiver als vergleichbare Erzeugnisse<br />

im Ausland und kontrastiert stärker<br />

zur weltweit geschätzten seriösen Presse<br />

des Landes (The Independent, The Daily<br />

Telegraph, The Guardian, The Times). In<br />

diesem Teil der Presse spiegelt die Stimmungsmache<br />

gegen Deutschland das,<br />

was The Independent (25. 6. 1996) in<br />

einem Artikel mit der Überschrift Don’t be<br />

beastly to the Germans prägnant und<br />

passend so charakterisiert: ‚For us Germany<br />

remains a land apart, little visited<br />

and less understood’.<br />

Mit Deutschland verbundene Assoziationen<br />

lassen sich leicht auf den 2. Weltkrieg<br />

und den Nationalsozialismus verengen.<br />

Schon einzelne deutsche Wörter<br />

erwecken Abscheu, ähnlich wie Symbole<br />

des Nationalsozialismus und Militarismus.<br />

Wenige Beispiele aus der Zeit der EM<br />

1996 mögen genügen. The Daily Star<br />

forderte auf: ‚Herr we go’. (In Anspielung<br />

auf den englischen Ausdruck ‚here we go’<br />

[Jetzt geht’s los]). ‚Bring on the Krauts.’<br />

[Macht die Deutschen fertig]. Noch rüder<br />

war vor dem EM-Spiel England-Deutschland<br />

der Daily Mirror: ‚Achtung! Surrender<br />

[ergebt euch] For you Fritz, ze Euro 96<br />

Championship is over’. Eingerahmt von<br />

den beiden Sprüchen sind die Karikaturen<br />

von zwei deutschen Spielern mit<br />

Stahlhelm und weit aufgerissenem Mund<br />

zu sehen. Man beachte das Wörtchen ze,<br />

eine den Deutschen unterstellte Falschaussprache<br />

des englischen Artikels the.<br />

The Daily Mirror erklärte: ‚Football war on<br />

Germany’. The Daily Star: ‚Watch out<br />

Krauts. England are gonna bomb you to<br />

bits’. The Sun: ‚Let’s blitz Fritz’.<br />

Selbstkritisches<br />

In Deutschland werden solche Bösartigkeiten<br />

nur selten registriert. So bleibt es<br />

den in England lebenden Deutschen, vor<br />

allem aber der englischen Qualitätspresse<br />

vorbehalten, darauf zu reagieren. Das<br />

Goethe-Institut macht es besonders geschickt,<br />

wenn es z. B. nach der 1:5-<br />

Niederlage Deutschlands im 2.<br />

Qualifikationsspiel zur WM 2002<br />

humorvoll und selbstironisch wirbt: ‚5:1<br />

Learn German (There’s nothing to lose.)’<br />

Die wichtigste Aufklärungsarbeit wird allerdings<br />

vom seriösen Teil der englischen<br />

Presse geleistet. The Independent, The<br />

Guardian, The Daily Telegraph, seltener<br />

<strong>Flanke</strong>, <strong>Kopfball</strong>, <strong>Tor</strong>! Wissenschaft rund um den Fußball<br />

auch The Sunday Times widmen dem<br />

Thema viel Raum. Dabei geißeln sie die<br />

Exzesse der Regenbogenpresse genauso<br />

wie die Ausschreitungen englischer Hooligans<br />

bei Spielen im In- und Ausland. Sie<br />

erledigen diese Aufgabe vorbildlich,<br />

indem sie versuchen die thug culture<br />

[Schlägertypenmentalität] im größeren<br />

Zusammenhang darzustellen und zu erklären.<br />

Es ist erstaunlich, wie kritisch und<br />

schonungslos sie dabei mit Fehlern, Vorurteilen<br />

und Ignoranz der eigenen Landsleute<br />

umgehen und wieviel Positives über<br />

Deutschland zu lesen ist. In seinem<br />

Beitrag ‚It’s time to say „we like the<br />

Germans“’ vom 25. 6. 1996 lobt The<br />

Independent Deutschland als friedfertiges,<br />

demokratisches Land, das großzügig<br />

Entwicklungshilfe leistet und eine<br />

liberale Einwanderungspolitik betreibt. Es<br />

sei ein wohlhabendes, kultiviertes Land, in<br />

dem viele Menschen gutes Englisch<br />

sprechen. Schließlich darf auch der Hinweis<br />

auf die großartige deutsche Klassik,<br />

vor allem in der Musik, nicht fehlen.<br />

The Sunday Telegraph fragt am Vorabend<br />

des WM-Endspiels Deutschland-Brasilien<br />

(30. 6. 2002): ‚What is wrong with us<br />

British that we have such primitive and<br />

outdated attitudes?’ und sieht die Antwort<br />

darin, dass die Briten gegenüber Nachkriegsdeutschland<br />

einen Minderwertigkeitskomplex<br />

entwickelt haben, die einzigen<br />

Anspielungen, die sie verstehen, die<br />

aus der Zeit von 1933 bis 1945 seien und<br />

selbst gebildete Briten das Land heute<br />

weder bereisen noch seine Sprache und<br />

Literatur kennen.<br />

Noch härter mit den eigenen Landsleuten<br />

geht ein Leitartikel des Daily Telegraph<br />

vom 16. 6. 1998 ins Gericht, wenn er die<br />

Gleichung aufmacht: wir Fans identifizieren<br />

uns mit der englischen Mannschaft.<br />

Wer die schlägt, beleidigt uns,<br />

beleidigt England. Und er gibt Politikern<br />

eine Mitschuld, wenn sie Popularität<br />

durch Nähe zu prominenten Spielern<br />

erheischen. Selbst die Königin wird von<br />

der Kritik nicht ausgenommen. Warum,<br />

wird gefragt, musste sie Geoff Hurst 30<br />

Jahre nach dem WM-Finale für sein umstrittenes<br />

<strong>Tor</strong> zum Ritter schlagen?<br />

Stimmungswende<br />

Die Aufklärungsarbeit der seriösen Presse<br />

allein wird die Situation nicht ändern. Der<br />

11 uni.kurier.magazin 106/juni 2005<br />

Sport und die Sportler selber, pikanterweise<br />

gerade die, gegen die sich die Ausfälle<br />

häufig richteten, Schwarze oder<br />

Deutsche, tragen zu einer Stimmungswende<br />

bei. Im Tennis haben Steffi Graf<br />

und Boris Becker große Erfolge gerade in<br />

England errungen und sind dort populär.<br />

Und dem damals für den englischen Erstligisten<br />

Tottenham Hotspur spielenden<br />

Jürgen Klinsmann widmete The Independent<br />

(25. 10. 1994) einen ausführlichen<br />

Artikel, der in solchen euphorischen<br />

Phrasen wie ‚Jürgen Klinsmann, Tottenham’s<br />

international Mr Clean’ und ‚What a<br />

gentleman’ gipfelt. Überhaupt erfährt der<br />

englische Leser nur Positives: Klinsmann<br />

spendet für Greenpeace, nimmt für Interviews<br />

kein Geld, ist zu jedermann<br />

freundlich, ja, er sei eigentlich wie ein Engländer<br />

ein ‚fair-playing, good-living sportsman’.<br />

Sein sonst perfektes Englisch bleibt<br />

dennoch verbesserungswürdig: ‚some<br />

"v"s coming out as "w"s so that volley<br />

sounds like wally’. Aber das ist nicht bösartig<br />

gemeint.<br />

In der Tat trägt die Internationalisierung<br />

der Vereinsmannschaften zum Abbau von<br />

Rassismus und Hurrapatriotismus, auch<br />

in England, bei: Wenn Anhänger sich mit<br />

Mannschaften identifizieren, in denen sie<br />

immer mehr Schwarze und Ausländer vorfinden,<br />

wenn ursprünglich rein katholische<br />

oder protestantische Mannschaften diese<br />

Grenzen längst fallen gelassen haben,<br />

wenn Berti Vogts der erste ausländische<br />

Manager der schottischen Nationalmannschaft<br />

wird und ihm The Guardian einen<br />

langen Beitrag widmet (25. 10. 1999) oder<br />

Kevin Keegan, der jahrelang als Engländer<br />

beim Hamburger SV gespielt hatte, die<br />

englische Nationalmannschaft trainiert.<br />

Die Liste wird immer länger werden.<br />

Transparente wie das, das die Anhänger<br />

von Leeds United 1975 zum Europapokalendspiel<br />

gegen Bayern München mitgebracht<br />

hatten, nämlich ‚We won the war<br />

we’ll win the cup’, erledigen sich dann von<br />

selbst, wenn weder auf der einen noch auf<br />

der anderen Seite Spieler der ehemaligen<br />

kriegführenden Nationen stehen.<br />

Dr Hubert Gburek ist Akademischer<br />

Oberrat des Lehrstuhls für Anglistik, insbesondere<br />

Linguistik am Institut<br />

für Anglistik der <strong>Universität</strong> <strong>Erlangen</strong>-<br />

<strong>Nürnberg</strong>.

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