procontra Recht 2022
Die wichtigsten Artikel für Versicherungsmakler:innen von der Kanzlei Michaelis in unserer Sonderausgabe
Die wichtigsten Artikel für Versicherungsmakler:innen von der Kanzlei Michaelis in unserer Sonderausgabe
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FINANZEN<br />
THEMA RECHT<br />
KRISEN-<br />
JAHR<br />
2021<br />
Die wichtigsten Artikel für<br />
Versicherungsmakler:innen<br />
von der Kanzlei Michaelis<br />
in unserer Sonderausgabe<br />
Verlags-Sonderveröffentlichung in Kooperation mit:
<strong>Recht</strong><br />
Wir schaffen innovative und nachhaltige Versicherungskonzepte<br />
KAB – Ihr Partner seit 1999<br />
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Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
Inhalt<br />
1. Die „Bayerische Lösung“ für die Betriebsschließungsversicherung auf dem Prüfstand geltenden <strong>Recht</strong>s<br />
Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski<br />
2. Der Widerruf der Erlaubnis für Versicherungsmakler und Erfolgschancen beim Vorgehen dagegen<br />
RA Stephan Michaelis, LL.M., Fachanwalt für Versicherungsrecht, & RA Daniel Schönfelder<br />
3. Variable Vergütung im Arbeitsrecht<br />
RA Dr. Jan Freitag, Fachanwalt für Arbeitsrecht<br />
4. Konkrete Handlungsempfehlungen zur Off-VO („Nachhaltigkeits-VO“) und die Fra-gen zur Vermeidung der Maklerhaftung bei<br />
Versicherungsanlageprodukten<br />
RA Stephan Michaelis, LL.M., Fachanwalt für Versicherungsrecht, & RA Oliver Timmermann<br />
5. Die Haftung bei Insolvenzverschleppung nach der Neuregelung in § 15b Insolvenzordnung<br />
RA Dr. Robert Boels, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht<br />
6. Maklerpflicht auch Direktversicherungen zu berücksichtigen?<br />
RA Stephan Michaelis, LL.M., Fachanwalt für Versicherungsrecht<br />
7. Die Betriebsschließungsversicherung: Anmerkung zum Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15.02.2021 – 7 U 351/20<br />
RA Lars Krohn, LL.M., Fachanwalt für Versicherungsrecht<br />
8. Verpflichtet Krebs zur Aufgabe des Unternehmens? – Zur abstrakten Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
RAin Kathrin Pagel, Fachanwältin für Versicherungsrecht<br />
9. Corona-Schutzimpfung und Arbeitsrecht<br />
RAin Sarah Kolß<br />
10. Wettbewerbsverbote des Geschäftsführers<br />
RA Dr. Robert Boels, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht<br />
11. Ein kurzer Leitfaden für die Elementarversicherung<br />
RAin Lea Siegmund<br />
12. Abmahnwelle für vermeintlich fehlerhafte Maklerhomepages<br />
Dipl.-Jur. Fabian Kosch<br />
13. Warum Versicherungsleistungen gegenüber Unternehmern mit 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen sind<br />
RA Boris-Jonas Glameyer, Fachanwalt für Bank- & Kapitalmarktrecht, Fachanwalt für Handels- & Gesellschaftsrecht und<br />
RA Valerie Schreiber<br />
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Impressum<br />
Verlags-Sonderveröffentlichung der<br />
Alsterspree Verlag GmbH<br />
in Kooperation mit der Kanzlei<br />
Michaelis <strong>Recht</strong>sanwälte<br />
Postanschrift Verlag:<br />
Kurfürstendamm 173/174<br />
10707 Berlin<br />
Telefon: +49 (0)30 232 56 27 00<br />
www.alsterspree.de<br />
Adresse Kanzlei Michaelis:<br />
Glockengießerwall 2<br />
20095 Hamburg<br />
Telefon: +49 (0)40 888 88 777<br />
Fax: +49 (0)40 888 88 737<br />
www.Kanzlei-Michaelis.de<br />
Layout: Sabine Müller<br />
Lektorat: TextSchleiferei.de<br />
Coverbild: iStock / Ilja Burdun<br />
© 2021 Alle <strong>Recht</strong>e vorbehalten.<br />
Nachdruck, Aufnahme in Onlinedienste,<br />
Internet und Vervielfältigung<br />
auf Datenträger oder durch<br />
andere Verfahren (auch auszugsweise)<br />
nur mit schriftlicher<br />
Genehmigung des Verlags.<br />
Sonderausgabe<br />
3
<strong>Recht</strong><br />
Die »Bayerische Lösung« für die Betriebsschließungs -<br />
ver sicherung auf dem Prüfstand des geltenden <strong>Recht</strong>s<br />
– TEXT: PROF. DR. HANS-PETER SCHWINTOWSKI –<br />
A. SACHVERHALTE UND FRAGESTELLUNGEN<br />
I. Sachverhalt<br />
1. März 2020: Vertriebsinformation im Internet<br />
Anfang März 2020 veröffentlichte die<br />
Versicherungskammer Bayern im Internet<br />
eine Vertriebsinformation unter dem Titel:<br />
„Corona-Virus-Versicherungsschutz in<br />
der Betriebsschließungsversicherung“.<br />
Darunter hieß es:<br />
„Wir informieren Sie heute über den<br />
aktuellen Stand zum Versicherungsschutz<br />
in der gewerblichen Betriebsschließungsversicherung<br />
Ihrer Bestandskunden, sowie<br />
zur Annahme von neuen Risiken.<br />
Corona-Virus im Deckungsumfang der<br />
bestehenden gewerblichen Betriebsschließungsversicherung<br />
enthalten<br />
Wir stellen den Corona-Virus ‚2019-<br />
nCoV‘ den in unseren Bedingungen für<br />
die gewerbliche Betriebsschließungsversicherung<br />
[…] namentlich genannten<br />
Krankheitserregern gleich. Als Basis<br />
gilt die Verordnung vom 01.02.2020<br />
durch den Bundesminister für Gesundheit<br />
zur Erweiterung der Meldepflicht<br />
nach dem Infektionsschutzgesetz. Damit<br />
sind behördlich angeordnete Betriebsschließungen<br />
auf Grund des neuartigen<br />
Corona-Virus in unserer gewerblichen<br />
Betriebsschließungsversicherung mitversichert.<br />
Ab sofort keine Annahme von Neuanträgen<br />
und Summenerhöhungen<br />
Wir bedauern, dass wir auf Grund der<br />
derzeitigen Lage keine neuen Anträge<br />
für gewerbliche Betriebsschließungsversicherungen<br />
annehmen und Angebote<br />
dafür abgeben. Diese Regelung gilt bis auf<br />
Weiteres. Wir informieren über etwaige<br />
Änderungen.“<br />
Diese Vertriebsinformation wurde von<br />
einigen weiteren Versicherern in ähnlicher<br />
Form öffentlich erklärt, jeweils unter Bezugnahme<br />
auf die geltenden AVB für die<br />
Betriebsschließungsversicherung. Teilweise<br />
haben VU ausgesuchte VN und/oder<br />
Vermittler in gleicher Weise (individuell)<br />
informiert.<br />
2. April 2020: Bayerisches Staatsministerium<br />
Am 03.04.2020 gab das Bayerische Staatministerium<br />
für Wirtschaft, Landesentwicklung<br />
und Energie eine Pressemeldung<br />
zur Corona-Pandemie (veröffentlicht im<br />
Internet) heraus. Dort hieß es:<br />
„Gute Nachrichten für Gaststätten und<br />
Hotels in Bayern, die zwar über eine<br />
Betriebsschließungsversicherung verfügen,<br />
deren Anwendbarkeit im Rahmen der Corona-Pandemie<br />
allerdings strittig ist. Das<br />
Bayerische Wirtschaftsministerium hat<br />
nun zusammen mit den Branchenverbänden<br />
und Versicherungsunternehmen eine<br />
Lösung ausgearbeitet. Die gemeinsame<br />
Empfehlung sieht vor, dass die Versicherer<br />
zwischen 10 und 15 Prozent der bei der<br />
Betriebsschließung jeweils vereinbarten<br />
Tagessätze übernehmen und an die Gaststätten<br />
und Hotels auszahlen.<br />
Diese Empfehlung wurde bisher von den<br />
folgenden Organisationen und Versicherungsunternehmen<br />
unterzeichnet:<br />
• Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft,<br />
Landesentwicklung und Energie<br />
• DEHOGA Bayern<br />
• Vereinigung der Bayerischen<br />
Wirtschaft e. V.<br />
• Versicherungskammer Bayern<br />
• Allianz<br />
• Die Haftpflichtkasse VVaG<br />
Weitere Unternehmen haben ihre Unterstützung<br />
bereits signalisiert.“<br />
3. April 2020: Versicherungskammer Bayern:<br />
Pressemitteilung<br />
Ebenfalls am 03.04.2020 hat auch die<br />
Versicherungskammer Bayern eine Pressemitteilung<br />
mit folgendem (verkürztem)<br />
Inhalt herausgegeben:<br />
„Die Corona-Pandemie stellt die deutsche<br />
Wirtschaft vor außerordentliche Herausforderungen<br />
[…] – die Hotel- und Gaststättenbetriebe<br />
sind wirtschaftlich sehr<br />
stark belastet. Die Betriebsschließungsversicherung<br />
findet in diesem Fall jedoch<br />
keine Anwendung. Die Betriebsschließungsversicherung<br />
ist für die Schließung<br />
eines Betriebs, in dem eine entsprechende<br />
Krankheit oder Krankheitserreger aufgetreten<br />
sind, konzipiert. Die Allgemeinverfügungen<br />
der Länder betreffen überwiegend<br />
Betriebe, die nicht von einem<br />
Infektionsfall betroffen sind. Auf eine vorsorgliche<br />
flächendeckende Schließung von<br />
Betrieben sind das Infektionsschutzgesetz<br />
und damit auch die Betriebsschließungsversicherung<br />
nicht ausgerichtet.<br />
Der Konzern Versicherungskammer<br />
nimmt in dieser Ausnahmesituation<br />
gesamtgesellschaftliche Verantwortung<br />
wahr. Unter Federführung mehrerer Versicherer<br />
[…] wurde heute eine gemeinsame<br />
Lösung mit der Bayerischen Staatsregierung<br />
[…] gefunden. […]<br />
Den Kunden der Versicherungskammer<br />
aus dem Hotel- und Gaststättenbereich,<br />
die eine Betriebsschließungsversicherung<br />
bei ihr abgeschlossen haben, zahlt die<br />
Versicherungskammer auf die verbleibenden<br />
durchschnittlichen Einbußen<br />
des Kunden von ca. 30 Prozent die<br />
Hälfte, d. h. 15 Prozent der vereinbarten<br />
Tagesentschädigung, für die Dauer der<br />
Versicherungshaftzeit. Die Zahlung der<br />
Versicherungskammer wird nicht auf die<br />
staatliche Unterstützung angerechnet.“<br />
4 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
4. Angebote an Versicherte: Bayerische Lösung<br />
Ausgehend von dieser mit der Bayerischen<br />
Staatsregierung, Verbänden und mehreren<br />
Versicherern vereinbarten „Bayerischen<br />
Lösung“ sind in der Folgezeit den<br />
Versicherten Angebote, zum Beispiel von<br />
der Allianz, zugegangen, die in der Regel<br />
folgenden Inhalt hatten:<br />
„In Ihrer Schadensmeldung teilen Sie uns<br />
mit, dass Ihr Betrieb auf Grund einer<br />
behördlichen Allgemeinverfügung zur<br />
Vermeidung einer weiteren Ausbreitung<br />
von COVID-19 zu schließen war […].<br />
Die Schließung erfolgte somit aus generalpräventiven<br />
Gründen und nicht, weil von<br />
Ihrem Betrieb eine unmittelbare Gefahr<br />
für die Gesundheit anderer ausgeht […].<br />
Diese […] Einschränkungen und die<br />
daraus entstehenden Einbußen für jeden<br />
Einzelnen und jedes Unternehmen sind<br />
über die Betriebsschließungsversicherung<br />
nicht versichert. Hinzu kommt, dass das<br />
Corona-Virus ein neuer Krankheitserreger<br />
ist, der nicht unter die versicherten, meldepflichtigen<br />
Krankheiten Ihrer Betriebsschließungsversicherung<br />
fällt. Der Katalog<br />
in § 1 Absatz 3 (der jeweiligen AVB) ist in<br />
Bezug auf die versicherten Krankheiten<br />
abschließend.<br />
Wir sind uns dessen bewusst, dass Sie<br />
gerade auch in einer solchen Situation auf<br />
alle nur denkbaren finanziellen Unterstützungen<br />
angewiesen sind. Obwohl wir<br />
Ihnen aus den o. g. Gründen gemäß den<br />
Versicherungsbedingungen keinen Versicherungsschutz<br />
bieten können, haben wir<br />
unter Einbeziehung staatlicher Stellen und<br />
Ihrer Interessenverbände, insbesondere<br />
des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands,<br />
der Vereinigung der Bayerischen<br />
Wirtschaft sowie des Gesamtverbands<br />
der Deutschen Versicherungswirtschaft,<br />
zahlreiche Gespräche geführt und eine<br />
gemeinsame Lösung gefunden […].<br />
Unser Angebot an Sie ist nun, auf den<br />
verbleibenden durchschnittlichen wirtschaftlichen<br />
Schaden von ca. 30 Prozent<br />
die Hälfte, d. h. konkret 15 Prozent der<br />
vereinbarten Tagesentschädigung für die<br />
Dauer der versicherten Schließungszeit<br />
(max. für 30 Tage) zu zahlen […].<br />
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass<br />
wir Sie nicht mit einer höheren Zahlung<br />
unterstützen können und Nachverhandlungen<br />
auch im Interesse einer Gleichbehandlung<br />
aller betroffenen Versicherungsnehmer<br />
nicht möglich sind.<br />
Aus den o. g. Gründen erfolgt die<br />
Zahlung ohne Anerkennung einer<br />
<strong>Recht</strong>spflicht und setzt voraus, dass Sie<br />
Frage 1<br />
Die im Folgenden zu klärenden Fragen<br />
lauten, ob die Versicherer, die ihren VN<br />
im April 2020 die „Bayerische Lösung“<br />
angeboten haben, mit ihnen wirksame<br />
Vergleichsverträge (§ 779 Absatz 1 BGB)<br />
geschlossen haben.<br />
Wenn ja, so würde die daraus resultierende<br />
weitere Frage lauten, ob diese Vergleiche<br />
durch die Vertriebsinformationen der<br />
Versicherer von Anfang März 2020 in<br />
ihrer rechtlichen Wirksamkeit mögim<br />
Nachhinein keine Ansprüche aus der<br />
Betriebsschließungsversicherung erheben.<br />
Insoweit dürfen wir Sie im Falle Ihres<br />
Einverständnisses um Rücksendung der<br />
anliegenden Erklärung bis spätestens drei<br />
Wochen ab Zugang des Angebots bitten<br />
(PDF mit Ihrer eingescannten Unterschrift<br />
ist ausreichend). Wir überweisen das Geld<br />
dann schnellstmöglich auf Ihr Konto.“<br />
In der anliegenden Erklärung, die für den<br />
VN vorbereitet war, hieß es:<br />
„Hiermit nehme ich Ihr Angebot … an.<br />
Mit der Zahlung in Höhe von […] (Tagesentschädigung<br />
[…] x 30 Tage x 15 %)<br />
sind alle Ansprüche aus der Betriebsschließungsversicherung<br />
im Zusammenhang<br />
mit ‚Corona-Virus SARS-CoV-2/<br />
Covid-19‘ abschließend erledigt. Dies<br />
gilt auch für etwaige zukünftige Entwicklungen<br />
in direktem oder indirektem<br />
Zusammenhang mit ‚Corona-Virus<br />
SARS-CoV-2/Covid-19‘, z. B. erneute<br />
Verfügungen bzw. Anordnungen, auch<br />
bezüglich Ausbrüchen von Covid-19 oder<br />
Mutationen hiervon.“<br />
Es folgten eine Zeile für den Namen des<br />
VN, seine Bankverbindung und der Hinweis<br />
auf das Datum sowie die Unterschrift<br />
des VN. Eine Reihe von VN haben in der<br />
Vergangenheit diese „Bayerische Lösung“<br />
angenommen und 15 Prozent der vereinbarten<br />
Tagesentschädigung für 30 Tage<br />
ausgezahlt bekommen. Bei einem Teil der<br />
betroffenen VN hatten Versicherer allerdings<br />
Anfang März 2020 eine öffentliche<br />
oder eine individualisierte Vertriebsinformation,<br />
wie oben zitiert, abgegeben.<br />
II. Fragestellungen<br />
Die daraufhin zu klärenden Fragen lauten:<br />
1. ob ein Versicherer, der Anfang März<br />
2020 erklärt hat, dass „behördlich<br />
angeordnete Betriebsschließungen auf<br />
Grund des neuartigen Corona-Virus in<br />
der gewerblichen Betriebsschließungsversicherung<br />
mitversichert“ sind, rechtlich<br />
wirksam an der „Bayerischen Lösung“<br />
aus April 2020 teilnehmen konnte.<br />
2. ob die „Bayerische Lösung“ als solche<br />
rechtlich wirksam war und im bestmög<br />
li chen Interesse der VN lag oder ob<br />
Wirk sam keitshindernisse entgegenstehen,<br />
die ihren Bestand möglicherweise infrage<br />
stellen.<br />
3. ob ein Makler, der seinem Kunden zur<br />
Annahme der „Bayerischen Lösung“ geraten<br />
hat, für daraus resultierende Nachteile<br />
möglicherweise in Anspruch genommen<br />
werden kann.<br />
B. WICHTIGE RECHTSGRUNDLAGEN<br />
1. § 779 BGB „Vergleich“<br />
(1) Ein Vertrag, durch den der Streit oder<br />
die Ungewissheit der Parteien über ein<br />
<strong>Recht</strong>sverhältnis im Wege gegenseitigen<br />
Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), ist<br />
unwirksam, wenn der nach dem Inhalt<br />
des Vertrags als feststehend zugrunde<br />
gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht<br />
entspricht und der Streit oder die Ungewissheit<br />
bei Kenntnis der Sachlage nicht<br />
entstanden sein würde.<br />
(2) Der Ungewissheit über ein <strong>Recht</strong>sverhältnis<br />
steht es gleich, wenn die Verwirklichung<br />
eines Anspruchs unsicher ist.<br />
2. § 123 BGB „Arglistige Täuschung“<br />
(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung<br />
durch arglistige Täuschung oder<br />
widerrechtlich durch Drohung bestimmt<br />
worden ist, kann die Erklärung anfechten.<br />
3. § 124 BGB „Anfechtungsfrist“<br />
(1) Die Anfechtung einer nach § 123 BGB<br />
anfechtbaren Willenserklärung kann nur<br />
binnen Jahresfrist erfolgen.<br />
(2) Die Frist beginnt im Falle der arglistigen<br />
Täuschung mit dem Zeitpunkt,<br />
in dem der Anfechtungsberechtigte die<br />
Täuschung entdeckt.<br />
4. § 1 a VVG „Vertriebstätigkeit des Versicherers“<br />
(1) Der Versicherer muss bei seiner<br />
Vertriebstätigkeit gegenüber Versicherungsnehmern<br />
stets ehrlich, redlich und<br />
professionell in deren bestmöglichem<br />
Interesse handeln. Zur Vertriebstätigkeit<br />
gehören […]:<br />
4. Mitwirken bei Verwaltung und Erfüllung<br />
von Versicherungsverträgen, insbesondere<br />
im Schadensfall.<br />
(2) Alle Informationen im Zusammenhang<br />
mit der Vertriebstätigkeit […], die der<br />
Versicherer an Versicherungsnehmer […]<br />
richtet, müssen redlich und eindeutig sein<br />
und dürfen nicht irreführend sein.<br />
C. RECHTSWISSENSCHAFTLICHE BEWERTUNG<br />
DER „BAYERISCHEN LÖSUNG“<br />
Sonderausgabe<br />
5
<strong>Recht</strong><br />
licherweise berührt, vielleicht sogar<br />
unwirksam sind.<br />
I. Die Voraussetzungen für einen Vergleich nach<br />
§ 779 BGB<br />
1. Begriff des Vergleichsvertrages<br />
Der Begriff des Vergleichs ist in § 779 Absatz<br />
1 BGB legal definiert. Ein Vergleich<br />
ist ein Vertrag, durch den der Streit oder<br />
die Ungewissheit der Parteien über ein<br />
<strong>Recht</strong>sverhältnis im Wege gegenseitigen<br />
Nachgebens beseitigt wird. Aus dieser<br />
Legaldefinition folgt, dass es sich bei dem<br />
Vergleich um einen materiell-rechtlichen,<br />
genauer um einen schuldrechtlichen Vertrag<br />
handelt. 1 Wie jeder Vertrag kommt<br />
auch der Vergleichsvertrag durch Angebot<br />
und Annahme zustande. 2<br />
2. Keine Formvorschriften<br />
Der Vergleich als solcher ist nicht formbedürftig,<br />
kann somit auch mündlich geschlossen<br />
werden. 3 Soweit er formbedürftige<br />
Verpflichtungen oder Verfügungen<br />
enthält, sind die gesetzlichen Formvorschriften<br />
einzuhalten. 4 Im vorliegenden<br />
Fall geht es um etwaige Vergleichsverträge<br />
zwischen Versicherern und VN – insoweit<br />
sind keinerlei Formvorschriften weder im<br />
BGB noch im VVG vorgesehen.<br />
Dies bedeutet, zwischen den Versicherern,<br />
die ein Angebot im Sinne der „Bayerischen<br />
Lösung“ gemacht haben, und den<br />
VN, die ihn angenommen haben, könnte<br />
durch Austausch entsprechender, übereinstimmender<br />
Willenserklärung ein Vergleichsvertrag<br />
zustande gekommen sein.<br />
3. Streit oder Ungewissheit über<br />
ein <strong>Recht</strong>sverhältnis<br />
Ein Vertrag ist nur dann ein Vergleichsvertrag,<br />
wenn er darauf gerichtet ist, einen<br />
Streit oder die Ungewissheit der Parteien<br />
über ein <strong>Recht</strong>sverhältnis im Wege<br />
gegenseitigen Nachgebens zu beseitigen.<br />
Der Begriff <strong>Recht</strong>sverhältnis ist weit zu<br />
fassen. 5 Gemeint sind <strong>Recht</strong>sverhältnisse<br />
jeder Art. 6 Im vorliegenden Fall geht es<br />
um Betriebsschließungsversicherungen,<br />
also um <strong>Recht</strong>sverhältnisse, die in der<br />
Form eines privaten Versicherungsvertrages<br />
entstanden sind. Versicherungsverträge<br />
zählen zu der Gattung der mehrseitigen<br />
<strong>Recht</strong>sgeschäfte. 7<br />
Im Rahmen dieser Versicherungsrechtsverhältnisse<br />
bestand zwischen den<br />
Parteien zumindest Ungewissheit darüber,<br />
ob der bestehende Versicherungsvertrag<br />
das Risiko der präventiven Betriebsschließung<br />
durch behördliche Allgemeinverfügungen<br />
mit Blick auf das Corona-Virus<br />
das Angebot auf Zahlung von 15 Prozent<br />
aus 30 Tagessätzen durch Unterschrift<br />
anzunehmen.<br />
Dies bedeutet, dass die Versicherer zwar<br />
behaupteten, „die Betriebsschließungsversicherung<br />
findet keine Anwendung“<br />
– Corona sei über die Betriebsschließungsversicherung<br />
nicht versichert, dass sie<br />
aber selbst daran offenbar nicht glaubten.<br />
Zwar sollte den Kunden offenbar suggeriert<br />
werden, es bestehe in diesen Fällen<br />
kein Versicherungsschutz, sodass es sich<br />
bei der Zahlung der Versicherer allenfalls<br />
um eine Kulanzzahlung (also um eine<br />
Schenkung) handeln würde.<br />
In einer solchen Situation hätten die Versicherer<br />
ohne Wenn und Aber die 15 Prozent<br />
an die Kunden ausgezahlt. Stattdessen<br />
verlangten sie von den Kunden eine<br />
Erledigungserklärung, und zwar mit einer<br />
Frist von drei Wochen, bezogen auf alle<br />
Ansprüche aus dem ersten Lockdown und<br />
auf alle weiteren Ansprüche aus einem<br />
möglicherweise in Zukunft drohenden<br />
weiteren Lockdown.<br />
Daraus folgt, dass die Versicherer in<br />
Wahrheit nicht sicher waren, dass keine<br />
Deckung im Rahmen der Betriebsschließungsversicherung<br />
bestand. Um ihre<br />
Unsicherheit über die Frage ihrer Leistungspflicht<br />
ein für alle Mal zu beseitigen,<br />
boten sie die Zahlung von 15 Prozent<br />
innerhalb einer bestimmten Frist an. Ziel<br />
dieses Angebots war, ihre eigene Unsicherheit<br />
bei der Frage, ob die Betriebsschließungsversicherung<br />
Deckung gewährte<br />
oder nicht, zu beseitigen.<br />
Dass diese Einschätzung der Versicherer<br />
völlig berechtigt war, hat die Entwicklung<br />
seit April 2020 vielfältig belegt. Inzwischen<br />
sind Hunderte von Prozessen gegen<br />
Versicherer bei den Gerichten deutschlandweit<br />
anhängig. 8 In vielen Fällen ist<br />
den VN Deckungsschutz gewährt worden<br />
– daneben stehen vielfältige Vergleiche,<br />
die von den VU mit den VN geschlossen<br />
und in der Presse teilweise prominent<br />
dargestellt wurden.<br />
Im Ergebnis kann somit kein Zweifel<br />
daran bestehen, dass die Versicherer, die<br />
an der „Bayerischen Lösung“ mitwirkten,<br />
zwar behaupteten, es bestehe (objektiv) in<br />
der Betriebsschließungsversicherung keine<br />
Deckungsverpflichtung. Ob sie mit dieser<br />
Auffassung letztlich aber bei den Gerichten<br />
wirklich durchdringen würden, war<br />
und ist bis heute unsicher.<br />
Umgekehrt bestand aber auch für alle<br />
VN eine Ungewissheit darüber, ob die Betriebsschließungsversicherung<br />
Deckungsumfasste<br />
oder nicht. Es ging also nicht<br />
nur um moralische oder gesellschaftliche<br />
Verpflichtungen zwischen den Versicherern<br />
und den VN, sondern um die Frage,<br />
ob die Schließung des Betriebs durch<br />
behördliche Allgemeinverfügungen als<br />
Folge von Corona vom Versicherungsschutz<br />
umfasst war. Die Versicherer, die<br />
an der „Bayerischen Lösung“ mitwirkten,<br />
stellten sich auf den Standpunkt, dass sich<br />
der Deckungsschutz auf das in den AVB<br />
nicht namentlich genannte Corona-Virus<br />
nicht beziehe. Außerdem seien Betriebsschließungen<br />
in keinem Fall mitversichert,<br />
wenn sie vorbeugend behördlich verfügt<br />
wurden, etwa um Infektionsketten zu<br />
unterbrechen. Über eine Deckung im<br />
Rahmen der bestehenden Versicherungen<br />
könne überhaupt nur gesprochen werden,<br />
wenn die Schließung auf konkreten<br />
Krankheitsfällen im jeweiligen zu schließenden<br />
Unternehmen beruhte. Schließlich,<br />
ganz generell, erstrecke sich die Deckung<br />
der Betriebsschließungsversicherungen<br />
nicht auf Pandemien, sondern allenfalls<br />
auf punktuelle Infektionsereignisse, um<br />
die es bei Corona aber nicht gehe.<br />
Diese die gesamte Gesellschaft, einschließlich<br />
Wirtschaftsunternehmen, betreffenden<br />
Einschränkungen und die daraus<br />
entstehenden Einbußen für jeden einzelnen<br />
und jedes Unternehmen sind über<br />
die Betriebsschließungsversicherung nicht<br />
versichert. So formulierte es etwa die<br />
Allianz gegenüber ihren Kunden. Ähnlich<br />
formulierten alle anderen Versicherer, die<br />
an der „Bayerischen Lösung“ teilnahmen.<br />
In der Presseerklärung der Versicherungskammer<br />
Bayern hieß es etwa: „Die<br />
Betriebsschließungsversicherung findet in<br />
diesem Fall jedoch keine Anwendung.“<br />
Die Erklärung der Versicherer, es bestehe<br />
aus ihrer Sicht keine Leistungspflicht,<br />
erscheint aus der Perspektive eines<br />
außenstehenden Betrachters zunächst<br />
einmal objektiv. Tatsächlich waren die<br />
Versicherer aber unsicher darüber, ob ihre<br />
<strong>Recht</strong>sauffassung wirklich trägt. Andernfalls<br />
hätte es nahegelegen, nunmehr<br />
ihren Kunden gegenüber die Kulanzzahlung<br />
(15 Prozent von 30 Tagessätzen)<br />
zu veranlassen. Das allerdings taten die<br />
Versicherer nicht. Obwohl sie nach außen<br />
hin erklärten, es bestünde keine Deckung,<br />
verlangten sie von den Kunden, dass diese<br />
im Nachhinein keine Ansprüche aus der<br />
Betriebsschließungsversicherung erheben<br />
würden. Um insoweit völlig sicher<br />
zu gehen, forderten sie die Kunden auf,<br />
innerhalb einer Frist von drei Wochen<br />
6 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
triebsschließungsdeckungen vor Gerichten<br />
geführt worden sind. 11<br />
Aus der Perspektive der VU, die die „Bayerische<br />
Lösung“ entwickelt und/oder angeboten<br />
haben, bestand eine Ungewissheit<br />
über die Frage, ob die zugrunde liegenden<br />
AVB das Risiko der Betriebsschließung<br />
durch Corona-bedingte Maßnahmen abdeckten<br />
oder nicht. Die gleiche Ungewissheit<br />
herrschte und herrscht auch heute<br />
noch bei den betroffenen VN. Insoweit<br />
kann davon ausgegangen werden, dass die<br />
„Bayerische Lösung“ als solche darauf gerichtet<br />
war, die bestehende Ungewissheit<br />
über das Ob und das Wie der Betriebsschließungsdeckung<br />
zu beseitigen.<br />
4. Gegenseitiges Nachgeben<br />
Letzte Voraussetzung für einen Vergleichsvertrag<br />
ist das gegenseitige Nachgeben.<br />
Die Ungewissheit muss hinsichtlich der<br />
Anspruchsverwirklichung durch gegenseitiges<br />
Nachgeben beseitigt werden. 12<br />
Gegenseitigkeit im Sinne des § 779 BGB<br />
ist nicht in einem engen juristischen Sinne,<br />
sondern im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs<br />
zu verstehen. 13 Eine synallagschutz<br />
für die Schließungen im Rahmen<br />
des ersten Lockdowns durch das Corona-<br />
Virus abdeckten und ob der Deckungsschutz<br />
auch weitere Schließungsverfügungen<br />
(zweiter oder dritter Lockdown)<br />
umfassen könnte. Diese Ungewissheit<br />
bestand und besteht auch heute noch für<br />
alle betroffenen VN.<br />
Es geht bei der Ungewissheit um den<br />
subjektiven Standpunkt der Parteien. 9 Ob<br />
ein Dritter, zum Beispiel der BGH, die<br />
<strong>Recht</strong>slage eindeutig beurteilen könnte,<br />
ist insoweit unerheblich. Die objektive<br />
Ungewissheit ist für den Vergleich weder<br />
erforderlich noch ausreichend. Das folgt<br />
schon aus dem Wortlaut von § 779 Absatz<br />
1 BGB („Ungewissheit der Parteien“). Voraussetzung<br />
ist allerdings, dass die Ungewissheit<br />
auf Zweifeln beider Parteien über<br />
das <strong>Recht</strong>sverhältnis beruht. Den Zweck,<br />
die Ungewissheit zu beseitigen, können<br />
die Parteien ernsthaft nur verfolgen, wenn<br />
sie davon ausgehen, dass eine vorliegt.<br />
Gehen sie davon in Wahrheit nicht aus,<br />
oder täuschen sie die Ungewissheit nur<br />
vor, so ist der erforderliche Bereinigungszweck<br />
für den Vergleich nicht gegeben. In<br />
diesem Fall handelt es sich in Wirklichkeit<br />
um einen „Scheinvergleich“ 10 . In einem<br />
solchen Falle würden sich die <strong>Recht</strong>sfolgen<br />
nach § 117 BGB richten. Willenserklärungen,<br />
die mit Einverständnis der<br />
anderen Seite nur zum Schein abgegeben<br />
werden, sind nichtig. Wenn dies nicht der<br />
Fall ist, so finden die für das verdeckte<br />
<strong>Recht</strong>sgeschäft geltenden Vorschriften<br />
Anwendungen – dies könnte dann § 779<br />
BGB sein.<br />
Zu Fragen dieser Art ist im vorliegenden<br />
Zusammenhang nicht vertieft Stellung<br />
zu nehmen, da die „Bayerische Lösung“<br />
ersichtlich von einer Ungewissheit über<br />
das Ob und das Wie der Deckungspflicht<br />
bestehender Betriebsschließungsversicherungen<br />
in Bayern ausging. Sowohl die VN<br />
als auch die VU waren (und sind) unsicher<br />
bei der Frage, ob Deckungsschutz bestand<br />
und besteht und in welchem Umfang dies<br />
der Fall ist. Beredten Ausdruck dieser<br />
bestehenden Unsicherheiten geben die verschiedenen<br />
<strong>Recht</strong>sstreite, die inzwischen<br />
zu Fragen des Ob und des Wie der Be-<br />
matische Verknüpfung derart, dass jeder<br />
Teil gerade nur wegen des Nachgebens<br />
des anderen Teils nachgibt, ist deshalb<br />
nicht erforderlich. 14 Vor allem müssen die<br />
gegenseitigen Zugeständnisse nicht unbedingt<br />
gleichwertig sein. 15 Mit Nachgeben<br />
ist das völlige oder teilweise Aufgeben<br />
eines zuvor eingenommenen Standpunkts<br />
zugunsten des Gegners gemeint. 16 Der Begriff<br />
ist weit auszulegen. Jedes Opfer, das<br />
eine Partei auf sich nimmt, genügt, auch<br />
wenn es nur geringfügig ist. 17<br />
Im vorliegenden Fall waren die VU der<br />
Auffassung, dass sie wegen der Betriebsschließungen<br />
infolge der Corona-Pandemie<br />
keine Deckung aus den geschlossenen<br />
Verträgen schulden, waren aber in<br />
Wahrheit unsicher, ob ihre Auffassung<br />
zutraf. Die betroffenen VN wiederum<br />
waren (und sind es auch heute noch) der<br />
entgegengesetzten Auffassung. Zugleich<br />
allerdings waren sie unsicher, ob sie recht<br />
haben. Sie scheuten mit anderen Worten<br />
den <strong>Recht</strong>sstreit und das damit verbundene<br />
Kostenrisiko.<br />
Beide Seiten haben somit nachgegeben.<br />
Die Versicherer, indem sie bereit waren,<br />
15 Prozent der vereinbarten Tagesentschädigung<br />
für 30 Tage zu zahlen. Die VN,<br />
indem sie bereit waren, auf die Differenz<br />
von 85 Prozent zu verzichten, um in den<br />
Genuss der restlichen 15 Prozent schnell,<br />
unbürokratisch und ohne jeden <strong>Recht</strong>sstreit<br />
zu kommen. So gesehen kann kein<br />
Zweifel daran sein, dass beide Seiten<br />
(gegenseitig) nachgegeben haben.<br />
5. Vorläufiges Ergebnis<br />
Hiernach erweist sich die „Bayerische Lösung“<br />
als ein Vertrag, der die Ungewissheit<br />
über das Ob und Wie bestehender<br />
Betriebsschließungspolicen zwischen VU<br />
und VN beseitigen sollte. Es handelt sich<br />
folglich um einen Vergleichsvertrag.<br />
II. Unwirksamkeit des Vergleichsvertrages<br />
In der Literatur wird vertreten, dass<br />
schon dann kein Vergleichsvertrag mehr<br />
vorliegt, wenn nur auf einer Seite eine<br />
bestehende Ungewissheit beseitigt wird. 18<br />
Eine solche Situation könnte in den Fällen<br />
gegeben sein, in denen der Versicherer<br />
(Anfang März 2020) Deckungsschutz in<br />
der Betriebsschließungsversicherung in<br />
Form einer Vertriebsinformation bestätigt<br />
hat. In diesem Fall bestünde beim<br />
Versicherer keine Ungewissheit über seine<br />
Leistungspflicht. Demgegenüber könnte<br />
es bei einem VN jedenfalls dann eine Ungewissheit<br />
geben, wenn er von dieser<br />
Sonderausgabe<br />
7
<strong>Recht</strong><br />
den Vertrieb war somit klar, dass man den<br />
Bestandskunden gegenüber die Mitversicherung<br />
von Corona bestätigen konnte,<br />
und umgekehrt, dass man die Bestandskunden<br />
nicht auf eine eventuell bestehende<br />
Deckungslücke hinzuweisen hatte. Für<br />
die Bestandskunden folgt hieraus, dass sie<br />
die Leistung bei etwaigen behördlichen<br />
Schließungsanordnungen erwarten durften.<br />
Sie mussten sich mit anderen Worten<br />
um eine anderweitige Risikoabsicherung<br />
für diesen (nicht mehr sehr fernliegenden)<br />
Fall nicht mehr bemühen.<br />
Die Erklärung der Versicherer über den<br />
Deckungsschutz bei Corona betraf und<br />
betrifft ihre Vertriebstätigkeit. Die Versicherer<br />
äußerten sich rechtlich nach § 1<br />
a Absatz 1 Nummer 4 VVG und wiesen<br />
darauf hin, dass bei einer Betriebsschließung<br />
wegen Corona im Schadensfall Deckungsschutz<br />
besteht. Sie handelten damit<br />
im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden.<br />
Ihre Erklärung entsprach zugleich den<br />
Grundsätzen der Ehrlichkeit, der Redlichkeit<br />
und der Professionalität. Diese<br />
Erklärung entfaltete folglich mit Blick<br />
auf die versicherten Kunden rechtliche<br />
Wirksamkeit, so wie es der mit Wirkung<br />
13.02.2018 eingeführte § 1 a VVG 20<br />
seitdem vorsieht. Darüber hinaus folgt die<br />
Wirksamkeit dieser Erklärung gegenüber<br />
den Kunden aber auch aus der Adressierung<br />
an die Vertriebe. Die Vertriebe<br />
sind entweder der verlängerte Arm (Auge<br />
und Ohr des VU) oder aber Sachwalter<br />
der VN. In beiden Fällen übermitteln die<br />
Vertriebe die Erklärungen des VU an die<br />
Kunden und sorgen auf diese Weise letztlich<br />
für die Wirksamkeit der Erklärungen<br />
des VU gegenüber den einzelnen Bestandskunden.<br />
Dies bedeutet, die Erklärung der<br />
VU in diesem Sinne hat Anfang März<br />
2020 nicht nur die Ungewissheit der VU<br />
über den Deckungsumfang der Betriebsschließungsversicherung<br />
beseitigt, sondern<br />
auch bei den VN. Denn diese konnten<br />
sich nunmehr, als Folge der eindeutigen<br />
Erklärung der VU, auf den bestehenden<br />
Deckungsschutz bei Betriebsschließungen<br />
durch Corona berufen. 21 Das Gleiche gilt,<br />
wenn ein VU im Einzelfall einem VN die<br />
Deckung individuell bestätigt hat oder<br />
wenn das VU diese Erklärung gegenüber<br />
einem Vermittler für dessen Bestand abgegeben<br />
haben sollte.<br />
2. Keine Ungewissheit bei Kenntnis<br />
dieser Sachlage<br />
Als Folge hiervon wäre die Ungewissheit<br />
über das Ob und das Wie des Deckungsartigen<br />
Corona-Virus in unserer gewerblichen<br />
Betriebsschließungsversicherung<br />
mitversichert.“<br />
Diese Erklärung ist eindeutig. Das<br />
Corona-Virus, so die Verlautbarung, ist<br />
in dem Deckungsumfang der bestehenden<br />
Betriebsschließungsversicherungen enthalten.<br />
Betriebsschließungen aufgrund dieses<br />
Virus sind mitversichert.<br />
Dies bedeutet, der von den Parteien als<br />
feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt<br />
(Ungewissheit über die Deckungspflicht<br />
bei Betriebsschließungen) bestand in<br />
Wirklichkeit nicht. Im Gegenteil, die VU,<br />
die sich in dieser Weise geäußert haben,<br />
waren der Auffassung, dass behördlich<br />
angeordnete Betriebsschließungen<br />
auffrund des neuartigen Corona-Virus<br />
mitversichert waren.<br />
Bei Versicherern, die sich auf diese Weise<br />
geäußert haben, bestand mit anderen<br />
Worten keine Ungewissheit über die Deckungsverpflichtung.<br />
Aus diesen Gründen<br />
haben auch einige Versicherer ohne Wenn<br />
und Aber geleistet, während sich andere<br />
(auch heute noch) auf den Standpunkt<br />
stellen, die Deckungspflicht bestehe nicht.<br />
Entscheidend ist aber, dass Versicherer, bei<br />
denen kein Zweifel über ihre Leistungspflicht<br />
bestand, schon begrifflich nicht in<br />
der Lage waren, einen Vergleichsvertrag<br />
anzubieten, da es nach ihrer eigenen<br />
Einschätzung keine Ungewissheit gab, die<br />
man hätte beseitigen können.<br />
Da es für einen Vergleichsvertrag immer<br />
nur auf die subjektive Ungewissheit für<br />
eine Partei ankommt und niemals auf eine<br />
objektive Tatsache – oder <strong>Recht</strong>slage 19 –,<br />
fehlt es bei den Versicherern, die (subjektiv)<br />
von einer Leistungsverpflichtung<br />
ausgingen, an einer Ungewissheit über<br />
diese Deckungspflicht. Der im April 2020<br />
zugrunde gelegte Sachverhalt (Ungewissheit<br />
über die Deckungsverpflichtung) bestand<br />
in Wirklichkeit nicht, jedenfalls bei<br />
den Versicherern, die Anfang März 2020<br />
genau das Gegenteil erklärt hatten.<br />
Die Erklärung der Versicherer Anfang<br />
März 2020 (Deckungsverpflichtung<br />
besteht) erfolgte teilweise im Internet öffentlich<br />
und teilweise individualisiert. Die<br />
Erklärung war als Vertriebsinformation<br />
gestaltet, sie sollte mit anderen Worten die<br />
Vertreter und Makler oder den VN direkt<br />
darüber informieren, dass für bereits<br />
bestehende Betriebsschließungsversicherungen<br />
Deckung gewährt wird. Daneben<br />
sollten die Vertriebspartner darüber<br />
informiert werden, dass Neuanträge nicht<br />
mehr entgegengenommen werden. Für<br />
Vertriebsinformation keine Kenntnis<br />
gehabt haben sollte. Fälle dieser Art werden<br />
letztlich über § 779 Absatz 1 Halbsatz<br />
2 BGB einer Lösung zugeführt. Danach ist<br />
ein Vergleich unwirksam, wenn der nach<br />
dem Inhalt des Vertrages als feststehend<br />
zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit<br />
nicht entspricht und der Streit<br />
oder die Ungewissheit bei Kenntnis der<br />
Sachlage nicht entstanden sein würde.<br />
1. Der als feststehend zugrunde<br />
gelegte Sachverhalt<br />
Die „Bayerische Lösung“ beruht, wie<br />
eben dargestellt, auf der Ungewissheit<br />
über das Ob und das Wie der Leistungspflicht<br />
aus der Betriebsschließungsversicherung<br />
wegen eines Lockdowns infolge<br />
von Corona. In diesem Sinne haben die<br />
VU Anfang April 2020 die VN informiert<br />
und darauf hingewiesen, dass es nach<br />
ihrer Auffassung keine Leistungsverpflichtung<br />
in den Fällen gäbe, in denen ein Restaurant<br />
oder ein Hotel vorsorglich, also<br />
nicht wegen eines konkret aufgetretenen<br />
Corona-Falls, geschlossen wurde. Aus der<br />
Sicht der VN stellte sich die Frage, ob diese<br />
Auffassung der VU möglicherweise zutrifft<br />
– die VN konnten und können dies<br />
nicht ausschließen. Dies ist der Grund für<br />
die „Bayerische Lösung“ – die Parteien<br />
beseitigten eine Ungewissheit über das Ob<br />
und das Wie der Leistungspflicht der VU.<br />
Völlig anders liegen die Dinge, wenn der<br />
von beiden Seiten zugrunde gelegte Sachverhalt<br />
(Ungewissheit) der Wirklichkeit<br />
nicht entsprach. Dies wäre dann denkbar,<br />
wenn es gar keine Ungewissheit über die<br />
Deckungspflicht der VU gegeben hat,<br />
wenn die VU selbst von ihrer Leistungspflicht<br />
ausgegangen sein sollten, die VN<br />
dies aber möglicherweise nicht wussten.<br />
Dann wäre der als feststehend zugrunde<br />
gelegte Sachverhalt aus Sicht der VU nicht<br />
durch Unsicherheit, sondern durch Sicherheit<br />
(Leistungsverpflichtung) geprägt.<br />
Aus Sicht der VN würde der zugrunde<br />
gelegte Sachverhalt (Ungewissheit über<br />
die Leistungspflicht) wegfallen, weil die<br />
Leistungspflicht in Wirklichkeit bestand.<br />
Genauso stellen sich die Dinge für die<br />
Kunden derjenigen Versicherer dar, die<br />
Anfang März 2020 in einer Vertriebsinformation<br />
öffentlich im Internet oder individualisiert<br />
ausdrücklich erklärt haben:<br />
„Wir stellen den Corona-Virus ‚2019-<br />
nCoV‘ den in unseren Bedingungen<br />
für die gewerbliche Betriebsschließung<br />
namentlich genannten Krankheitserregern<br />
gleich. Somit sind behördlich angeordnete<br />
Betriebsschließungen auf Grund des neu-<br />
8 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
schutzes bei Betriebsschließungsversicherungen<br />
der VU, die Anfang März 2020<br />
Deckungsschutz als bestehend erklärt<br />
haben, beseitigt. Infolgedessen konnte<br />
über diese Deckungsverpflichtung keine<br />
Ungewissheit mehr entstehen. Entscheidend<br />
ist dabei letztlich, dass § 779 Absatz<br />
1 BGB auf den „nach dem Inhalt des<br />
Vertrags zugrunde gelegten Sachverhalt“<br />
Bezug nimmt. Die Vorschrift stellt also<br />
nicht auf die Umstände ab, auf denen der<br />
Vertrag objektiv aufbaut, sondern nur<br />
auf solche, die ihm von den Parteien nach<br />
seinem Inhalt subjektiv zugrunde gelegt<br />
worden sind. 22<br />
3. Ergebnis<br />
Der mit der „Bayerischen Lösung“<br />
angestrebte Vergleichsvertrag ist in jenen<br />
Fällen unwirksam, in denen der Versicherer<br />
im Vorfeld öffentlich erklärt hat,<br />
dass behördlich angeordnete Betriebsschließungen<br />
aufgrund des neuartigen<br />
Corona-Virus in seiner gewerblichen<br />
Betriebsschließungsversicherung mitversichert<br />
sind. In diesen Fällen ist der später<br />
geschlossene Vergleich („Bayerische Lösung“)<br />
rechtlich unwirksam. Er entfaltet<br />
keinerlei Wirkungen. 23 Das ursprüngliche<br />
<strong>Recht</strong>sverhältnis (die Betriebsschließungsversicherung)<br />
besteht fort.<br />
III. Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung<br />
(§ 123 BGB)<br />
Nach § 123 Absatz 1 BGB kann derjenige,<br />
der zur Abgabe einer Willenserklärung<br />
durch arglistige Täuschung bestimmt<br />
worden ist, die Erklärung anfechten.<br />
Dabei ist die Jahresfrist des § 124 BGB zu<br />
beachten. Eine solche Anfechtung wegen<br />
arglistiger Täuschung könnte für jene VN<br />
sinnvoll sein, die nicht sicher sind, ob der<br />
Vergleich („Bayerische Lösung“), den sie<br />
unterzeichnet haben (so wie eben dargestellt),<br />
wirklich unwirksam ist. Sie sollten<br />
über eine hilfsweise Anfechtung ihrer auf<br />
Abschluss des Vergleichsvertrages gerichteten<br />
Willenserklärung nachdenken.<br />
Getäuscht wurden die Kunden derjenigen<br />
Versicherer, die zunächst ihre Leistungsverpflichtung<br />
bekundeten (Anfang März<br />
2020), dann aber Anfang April 2020<br />
gegenüber den betroffenen Kunden<br />
erklärten, sie seien zur Leistung aus der<br />
Betriebsschließungsversicherung nicht<br />
verpflichtet und böten deshalb einen<br />
Vergleich in Höhe von 15 Prozent der<br />
vereinbarten Tagesentschädigung für<br />
maximal 30 Tage an.<br />
Versicherer, die Anfang März 2020 in<br />
einer Vertriebsinformation erklärt haben,<br />
dass behördlich angeordnete Betriebsschließungen<br />
aufgrund des Corona-Virus<br />
in der gewerblichen Betriebsschließungsversicherung<br />
mitversichert seien, wussten,<br />
dass sie dies erklärt hatten. Es handelte<br />
sich in der Regel um (internetbasierte)<br />
Vertriebsinformationen, also vor allem<br />
um Informationen für diejenigen, die für<br />
den Versicherer Kunden informierten, umwarben<br />
und betreuten. Zugleich handelte<br />
es sich um Informationen des Versicherers<br />
selbst im Rahmen seiner Vertriebstätigkeit<br />
nach § 1 a VVG. Er, der Versicherer,<br />
erklärte gegenüber allen Bestandskunden,<br />
dass die bei ihm bestehende Betriebsschließungsdeckung<br />
etwaige Schließungen<br />
infolge des Corona-Virus umfasste. Diese<br />
Erklärung erfolgte im bestmöglichen<br />
Kundeninteresse, ehrlich, professionell<br />
und redlich nach § 1 a Absatz 1 Nummer<br />
4 VVG mit Blick auf den möglicherweise<br />
drohenden Schadensfall.<br />
Es spielt insoweit keine Rolle, ob der<br />
Kunde diese Erklärung wahrgenommen<br />
hat. Dass diese Erklärung rechtliche Wirksamkeit<br />
entfaltet, ergibt sich im Zweifel<br />
aus § 1 a Absatz 1 VVG. Jeder Kunde<br />
konnte sich von nun an gegenüber seinem<br />
VU, das in dieser Weise Erklärungen<br />
gegeben hatte, auf Mitversicherung von<br />
Corona im Rahmen der Betriebsschließungsversicherung<br />
berufen. Vertriebserklärungen<br />
dieser Art führen somit nach<br />
§ 1 a VVG zu einer Selbstbindung<br />
Sonderausgabe<br />
9
<strong>Recht</strong><br />
des Versicherers, ähnlich wie in den<br />
Fällen der Selbstbindung der Verwaltung<br />
oder bei öffentlichen Werbeaussagen nach<br />
§ 434 Absatz 1 Satz 3 BGB. Dies bedeutet,<br />
der Versicherer wusste im April 2020,<br />
dass bei ihm Corona mitversichert war,<br />
sodass er nicht mehr behaupten konnte,<br />
dass die Betriebsschließungsversicherung<br />
„keine Anwendung“ findet. Seine<br />
Täuschung war arglistig, denn sie diente<br />
der Erregung oder der Aufrechterhaltung<br />
eines Irrtums über die in Wahrheit bestehende<br />
Mitversicherung von Corona.<br />
Diese Täuschung erfordert, im Gegensatz<br />
zum Betrugstatbestand (§ 263 StGB),<br />
weder eine Bereicherungsabsicht des<br />
Täuschenden noch eine Schädigung des<br />
Getäuschten. 24 Der Täuschende (hier VU)<br />
muss nicht mit einer moralisch verwerflichen<br />
Gesinnung handeln. 25 Dies folgt aus<br />
dem Zweck des § 123 BGB, den Schutz<br />
der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit<br />
zu gewährleisten. 26<br />
Zwischen der Täuschung und der irrtumsbedingten<br />
Willenserklärung (hier Annahme<br />
der Vergleichsangebots im Sinne der<br />
„Bayerischen Lösung“) muss ein Kausalzusammenhang<br />
bestanden haben. 27 Der<br />
Irrtum muss auf einer Täuschung (wie<br />
hier) beruhen und seinerseits den Getäuschten<br />
(VN) zur Abgabe der Willenserklärung<br />
„bestimmt“ haben. 28 Es genügt<br />
eine Mitverursachung. 29<br />
In den vorliegenden Fällen haben die VN<br />
die „Bayerische Erklärung“ akzeptiert,<br />
weil sie glaubten, es bestünde möglicherweise<br />
kein Versicherungsschutz. Sie<br />
wollten mit Annahme der „Bayerischen<br />
Lösung“ die Ungewissheit über die bestehende<br />
oder nicht bestehende Deckungsverpflichtung<br />
des Versicherers beseitigen.<br />
Hätte der Versicherer ihnen gegenüber<br />
offengelegt, dass nach seiner eigenen Erklärung<br />
(Anfang März 2020) in Wahrheit<br />
Corona mitversichert war, wären sie also<br />
nicht getäuscht worden, so hätten sie die<br />
„Bayerische Lösung“ nicht akzeptiert,<br />
also den Vergleich nicht unterschrieben.<br />
Sie sind mit anderen Worten von den Versicherern,<br />
die ihre Erklärungen (Anfang<br />
März 2020) kannten, in die Irre geführt<br />
und damit arglistig getäuscht worden.<br />
IV. FRIST (§ 124 BGB)<br />
Nach § 124 BGB kann die Anfechtung<br />
einer nach § 123 BGB anfechtbaren<br />
Willenserklärung nur binnen Jahresfrist<br />
erfolgen. Die Frist beginnt im Falle der<br />
arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt,<br />
den Verbraucher in der Europäischen<br />
Union einheitlich besser zu schützen als<br />
bisher. 34 Der Versicherer muss bei seiner<br />
Vertriebstätigkeit gegenüber Versicherungsnehmern<br />
stets ehrlich, redlich und<br />
professionell in deren bestmöglichen<br />
Interesse handeln. Zur Vertriebstätigkeit<br />
gehören nach Nummer 4 auch das „Mitwirken<br />
bei der Verwaltung und Erfüllung<br />
von Versicherungsverträgen, insbesondere<br />
im Schadensfall“.<br />
Die „Bayerische Lösung“ bezieht sich<br />
auf bereits eingetretene oder drohende<br />
Versicherungsfälle infolge von Betriebsschließungen<br />
aufgrund des Corona-Virus.<br />
Insoweit handelt es sich eindeutig um<br />
eine Mitwirkung bei der Verwaltung und<br />
Erfüllung von Betriebsschließungsversicherungen,<br />
insbesondere im Schadensfall.<br />
Darüber hinaus müssen nach § 1 a Absatz<br />
3 VVG alle Informationen im Zusammenhang<br />
mit der Vertriebstätigkeit, die der<br />
Versicherer an bestehende oder potenzielle<br />
Versicherungsnehmer richtet, redlich und<br />
eindeutig sein, sie dürfen nicht irreführen.<br />
Alle Informationen, die die Versicherer<br />
im Zusammenhang mit der „Bayerischen<br />
Lösung“ an die Versicherungsnehmer<br />
gerichtet haben, werden somit von § 1 a<br />
Absatz 3 VVG erfasst und müssen redlich,<br />
eindeutig und nicht irreführend sein.<br />
Die unbestimmten <strong>Recht</strong>sbegriffe<br />
„ehrlich, redlich, professionell“ entsprechen<br />
weitgehend den Grundsätzen von<br />
Treu und Glauben (§ 242 BGB), die das<br />
deutsche Zivilrecht bei vertraglichen<br />
Beziehungen – wie hier – beherrschen,<br />
auch wenn möglicherweise keine völlige<br />
Deckungsgleichheit zwischen den Grundsätzen,<br />
die auf der Basis des § 242 BGB<br />
entwickelt worden sind, und der Regelung<br />
des Artikels 17 Absatz 1 IDD besteht. 35<br />
In der Literatur wird darauf hingewiesen,<br />
dass ehrlich bedeutet, den VN sachlich<br />
richtig zu informieren und Fragen des VN<br />
gegebenenfalls wahrheitsgemäß zu beantworten.<br />
36 Redlich bedeutet, dass der VR<br />
nicht nur formal richtig zu informieren<br />
hat; vielmehr muss er missverständliche<br />
Informationen erläutern und erkennbare<br />
Missverständnisse aufseiten des VN ausräumen.<br />
37<br />
Darüber hinaus besteht die Pflicht des<br />
VR, stets im bestmöglichen Interesse<br />
des VN zu handeln. Gemeint ist, wie die<br />
Sprachfassungen von Artikel 17 Absatz<br />
1 RL (EU) 2016/97 ergeben, das „beste<br />
Interesse“ aus der Sicht des VN. 38<br />
1. Ehrlich, redlich<br />
Im vorliegenden Fall haben die Versiin<br />
dem der Anfechtungsberechtigte die<br />
Täuschung entdeckt (§ 124 Absatz 2<br />
BGB). Der VN muss somit positive Kenntnis<br />
von der Täuschung des VU gehabt<br />
haben. Ein bloßes Kennenmüssen (fahrlässige<br />
Unkenntnis) genügt nicht. 30<br />
Der VN muss somit die Täuschung, die<br />
das VU ihm gegenüber verübt hat, positiv<br />
entdeckt haben. Dabei muss er nicht alle<br />
Einzelheiten der Täuschung kennen oder<br />
die volle Gewissheit des bestehenden<br />
Anfechtungsrechts haben. 31 Vielmehr<br />
entscheidet der Gesamteindruck. 32<br />
Positive Kenntnisse in diesem Sinne liegen<br />
für die betroffenen Kunden erst dann vor,<br />
wenn ihnen bewusst wird, dass sie durch<br />
das Angebot der „Bayerischen Lösung“ in<br />
Wirklichkeit über die bestehende Mitversicherung<br />
von Corona getäuscht wurden.<br />
Sie müssen also Kenntnis erhalten über<br />
die öffentlichen Erklärungen ihrer VU<br />
(Anfang März 2020) und sie müssen<br />
darüber hinaus erfahren haben, dass die<br />
Behauptung der VU (Anfang April 2020),<br />
die im Rahmen der „Bayerischen Lösung“<br />
aufgestellt wurde, um sie, die Kunden,<br />
über die in Wahrheit bestehende Mitversicherung<br />
von Corona zu täuschen.<br />
Diese Zusammenhänge werden die Kunden<br />
in der Regel erst positiv kennen, wenn<br />
sie dieses <strong>Recht</strong>sgutachten oder zumindest<br />
seine wesentlichen Inhalte entweder<br />
selbst zur Kenntnis nehmen können oder<br />
wenn ihnen darüber von dritter Seite<br />
substantiiert berichtet werden sollte. Es<br />
würde nicht reichen, an der Wirksamkeit<br />
der „Bayerischen Lösung“ zu zweifeln,<br />
sondern die positive Kenntnis über die<br />
Täuschung des jeweiligen VU müsste<br />
hinzukommen.<br />
Hiervon ausgehend, dürfte mit Blick<br />
auf die allermeisten betroffenen VN die<br />
Jahresfrist im Februar 2021 noch nicht<br />
begonnen haben, weil sie von der die<br />
Täuschung begründenden Diskrepanz der<br />
Erklärungen ihres VU Anfang März 2020<br />
und später dann April 2020 gar keine<br />
Kenntnis hatten und haben.<br />
Frage 2<br />
Mit der zweiten Frage ist zu klären,<br />
ob die „Bayerische Lösung“ als solche<br />
ehrlich, redlich war und im bestmöglichen<br />
Interesse der VN lag oder ob Wirksamkeitshindernisse<br />
entgegenstehen, die ihren<br />
Bestand möglicherweise infrage stellen.<br />
Diese Frage stellt sich aus der Sicht von<br />
§ 1 a VVG, der am 23.02.2018 in Kraft<br />
getreten ist. 33 Der Norm geht es darum,<br />
das Vertrauen der Kunden zu stärken und<br />
10 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
der „Bayerischen Lösung“ gaben, waren<br />
aber auch nicht redlich. Die Versicherer<br />
informierten nicht nur formal nicht<br />
richtig, sondern sie formulierten auch<br />
missverständlich. Sie erweckten nämlich<br />
den Eindruck, als stünde quasi objektiv<br />
fest, dass Einbußen für Einzelne und Unternehmen<br />
aus Betriebsschließungen nicht<br />
versichert waren. Um diesen Eindruck<br />
zu unterstreichen, wiesen die Versicherer<br />
daraufhin, dass sie zahlreiche Gespräche<br />
unter Einbeziehung staatlicher Stellen und<br />
von Interessenverbänden geführt hatten.<br />
Bei den staatlichen Stellen handelte es<br />
sich um die Bayerische Staatsregierung.<br />
Teilgenommen hatten außerdem die Vereinigung<br />
der Bayerischen Wirtschaft, der<br />
Deutsche Hotel- und Gaststättenverband<br />
sowie der Gesamtverband der Deutschen<br />
Versicherungswirtschaft.<br />
Die Versicherer erweckten den Eindruck,<br />
dass alle Beteiligten unisono davon<br />
ausgingen, dass die zugrunde liegenden<br />
Versicherungsbedingungen für vorsorgliche<br />
Betriebsschließungen keinen<br />
Versicherungsschutz geboten haben. Aus<br />
der Perspektive eines durchschnittlichen,<br />
verständigen Versicherungsnehmers<br />
konnte dies nur bedeuten: Die Bayerische<br />
Staatsregierung und wichtige Wirtschaftsverbände<br />
waren und sind sich mit der<br />
Versicherungswirtschaft einig: Für die<br />
vorsorglichen Betriebsschließungen durch<br />
Corona gab und gibt es in der Betriebsschließungsversicherung<br />
keine Deckung.<br />
Dies war und ist eine objektive Aussage.<br />
Sie erreichte die VN so, als stünde es<br />
quasi unanfechtbar fest, dass für Betriebsschließungen<br />
infolge von Corona keine<br />
Deckung bestehe.<br />
Den Versicherern ging es offenbar darum,<br />
den Eindruck zu erwecken, als bestünde<br />
an ihrer Einschätzung, geprüft von<br />
der Bayerischen Staatsregierung, kein<br />
nennenswerter Zweifel. Es ging darum,<br />
den betroffenen Kunden den Eindruck<br />
zu vermitteln, als lohne es sich nicht, an<br />
dieser Einschätzung auch nur zu zweifeln<br />
oder sie womöglich infrage zu stellen. Die<br />
an der Einschätzung beteiligten Verkehrskreise<br />
waren so bedeutend und, wie es<br />
schien, ohne jedes Eigeninteresse, dass an<br />
der Einschätzung der Versicherer jedwede<br />
Zweifel verstummen sollten. Wer aus dem<br />
Kreise der VN wollte sich schon über das<br />
Urteil der Bayerischen Staatsregierung<br />
und der bayrischen Wirtschaftsverbände<br />
hinwegsetzen?<br />
Diese Art der scheinbar auf objektiven<br />
Fakten beruhenden Information war uncherer<br />
in der „Bayerischen Lösung“ den<br />
Eindruck erweckt, „Einbußen für jeden<br />
Einzelnen und jedes Unternehmen sind<br />
über die Betriebsschließungsversicherung<br />
nicht versichert“ (Wortlaut des Schreibens<br />
der Allianz an ihre Kunden). Die Versicherungskammer<br />
Bayern hat formuliert:<br />
„Die Betriebsschließungsversicherung<br />
findet in diesem Fall jedoch keine Anwendung.“<br />
Andere Versicherer haben ähnlich<br />
formuliert. Im Schreiben der Allianz zur<br />
„Bayerischen Lösung“ hieß es ausdrücklich:<br />
„Obwohl wir Ihnen aus den o. g.<br />
Gründen gemäß den Versicherungsbedingungen<br />
keinen Versicherungsschutz bieten<br />
können, haben wir unter Einbeziehung<br />
staatlicher Stellen und Ihrer Interessenverbände,<br />
insbesondere des Deutschen Hotelund<br />
Gaststättenverbands, der Vereinigung<br />
der Bayerischen Wirtschaft sowie des<br />
Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft,<br />
zahlreiche Gespräche<br />
geführt und eine gemeinsame Lösung<br />
gefunden.“ Ähnliche Formulierungen<br />
finden sich bei allen Versicherern, die an<br />
der „Bayerischen Lösung“ teilgenommen<br />
haben. Im Zentrum der Informationen<br />
an die VN stand der Gedanke, dass „wir<br />
Ihnen gemäß den Versicherungsbedingungen<br />
keinen Versicherungsschutz bieten<br />
können“. Die Einbußen wegen einer<br />
Betriebsschließung sind, so heißt es zuvor,<br />
nicht versichert.<br />
Diese Erklärungen der Versicherer waren<br />
nicht ehrlich und nicht redlich. Die VN<br />
wurden durch die Verlautbarungen zur<br />
„Bayerischen Lösung“ sachlich nicht richtig<br />
informiert. Sachlich richtig, und damit<br />
ehrlich, wäre es gewesen, wenn die Versicherer<br />
darauf hingewiesen hätten, dass sie<br />
Zweifel an ihrer Leistungsverpflichtung<br />
aus der Betriebsschließungsversicherung<br />
hatten. Richtig wäre es gewesen, wenn<br />
sie darauf hingewiesen hätten, dass die<br />
Versicherungsbedingungen möglicherweise<br />
keinen Versicherungsschutz für<br />
das Corona-Risiko enthielten. Richtig<br />
wäre es ferner gewesen, wenn sie die VN<br />
darauf hingewiesen hätten, dass es bisher<br />
keinerlei <strong>Recht</strong>sprechung zu den Leistungs<br />
pflich ten bei Corona gegeben hatte,<br />
sodass zurzeit (April 2020) niemand sagen<br />
könne, ob und wie die Gerichte über die<br />
Auslegung der AVB wohl entscheiden<br />
würden. Diese Zweifel, die die Versicherer<br />
hatten, verdeckten sie durch ihre Formulierung,<br />
wonach angeblich gemäß „den<br />
Versicherungsbedingungen“ kein Versicherungsschutz<br />
bestand.<br />
Die Informationen, die die Versicherer mit<br />
redlich, nämlich zumindest missverständlich.<br />
Die Versicherer hätten darauf hinweisen<br />
müssen, dass die Frage, ob Corona<br />
in der Betriebsschließungsversicherung<br />
mitversichert ist, zumindest damals umstritten<br />
war und heute noch ist. Sie haben<br />
aber genau das Gegenteil getan und damit<br />
ihre überlegene Sach- und <strong>Recht</strong>skenntnis<br />
zum Nachteil des VN ausgenutzt.<br />
Schon vor Inkrafttreten von § 1 a VVG<br />
hat der BGH im Jahr 2017 entschieden,<br />
dass der VR seine überlegene Sach- und<br />
<strong>Recht</strong>skenntnis nicht zum Nachteil des<br />
VN ausnutzen dürfe. 39 Es ging um eine<br />
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.<br />
Dort, so der BGH, handelt der VR<br />
treuwidrig, wenn er „bei naheliegender<br />
Berufsunfähigkeit die ernsthafte Prüfung<br />
seiner Leistungspflicht durch das Angebot<br />
einer befristeten Kulanzzahlung hinausschiebt<br />
und so das nach Sachlage gebotene<br />
Anerkenntnis unterläuft“. Überträgt<br />
man diese <strong>Recht</strong>sprechung des BGH auf<br />
die „Bayerische Lösung“, so wird man<br />
zu dem Ergebnis kommen müssen, dass<br />
damals wie heute in der Betriebsschließungsversicherung<br />
eine unklare <strong>Recht</strong>slage<br />
vorlag, sodass der VN ausreichend<br />
auf die strittigen Punkte hinsichtlich des<br />
Deckungsschutzes hingewiesen werden<br />
musste. Ein unterlassener Hinweis kann<br />
somit eine Pflichtverletzung des Versicherers<br />
darstellen. 40<br />
Dem könnte man entgegenhalten, dass<br />
die Kunden in der Information über<br />
die „Bayerische Lösung“ durchaus auf<br />
strittige Punkte hingewiesen wurden. Das<br />
ist richtig. Die VU wiesen darauf hin, dass<br />
vorsorgliche Betriebsschließungen nicht<br />
mitversichert seien, vom Betrieb müsse<br />
eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit<br />
anderer ausgehen. Das Corona-Virus<br />
sei im Katalog der AVB nicht benannt,<br />
der Katalog sei abschließend. Aus diesen<br />
Gründen, so die Versicherer, seien Betriebsschließungen<br />
nicht versichert, die<br />
Versicherungsbedingungen böten keinen<br />
Versicherungsschutz.<br />
Die Versicherer haben also durchaus<br />
begründet, warum sie der Meinung sind,<br />
dass kein Versicherungsschutz bestünde,<br />
sie haben aber nicht darauf hingewiesen,<br />
dass dieser Befund weder damals noch<br />
heute durch die <strong>Recht</strong>sprechung, und<br />
schon gar nicht durch eine höchstrichterliche<br />
<strong>Recht</strong>sprechung, objektiviert<br />
ist. Sie haben also bei den Kunden den<br />
Eindruck erweckt, als bestünde objektiv<br />
kein Versicherungsschutz, obwohl sie<br />
genau wussten, dass diese Frage weder<br />
Sonderausgabe<br />
11
<strong>Recht</strong><br />
95 Prozent eines möglicherweise zu 100<br />
Prozent bestehenden Anspruchs verliert,<br />
kann und darf dann, und nur dann geschlossen<br />
werden, wenn geradezu sicher<br />
ist, dass der Kunde bei Nichtannahme<br />
quasi leer ausgehen würde. Genau das<br />
haben die Versicherer auch suggeriert<br />
– deshalb sind diese Vergleiche angenommen<br />
worden.<br />
Bei sachlich genauer Betrachtung ist es<br />
aber völlig abwegig anzunehmen, dass die<br />
Kunden mit Blick auf die typisch geschlossenen<br />
Betriebsschließungsversicherungen<br />
mit allergrößter Sicherheit leer ausgehen.<br />
Heute wissen wir, dass dies nicht der Fall<br />
ist – eine Vielzahl von Urteilen, die den<br />
Kunden 100 Prozent ihrer Ansprüche zuweisen,<br />
sind ergangen. 41 Richtig ist, dass<br />
im April 2020 noch keine Entscheidungen<br />
auf dem Tisch lagen. Ganz grundsätzlich<br />
aber gilt, dass bei unklarer, unsicherer<br />
<strong>Recht</strong>slage die Wahrscheinlichkeit, dass<br />
man gewinnen oder verlieren kann,<br />
irgendwo zwischen 30 und 60 Prozent<br />
schwankt.<br />
Aus diesen Gründen dürften die Versicherer<br />
auch in der „Bayerischen Lösung“<br />
suggeriert haben, die VN bekämen im ersten<br />
Lockdown mit Sicherheit 70 Prozent<br />
ihrer Ausfälle vom Staat ersetzt, sodass<br />
nur noch eine Lücke von 30 Prozent blieb.<br />
Diese Lücke wurde zur Hälfte durch das<br />
großzügige Angebot der Versicherer geschlossen.<br />
Tatsächlich war es völlig anders<br />
– der Staat hat im ersten Lockdown Unternehmen<br />
zwar unterstützt, aber keineswegs<br />
70 Prozent der Ausfälle im Vergleich<br />
zum Vorjahr ausgeglichen. Im Ergebnis<br />
aber konnte jeder rational Handelnde<br />
den Vergleich im April 2020 („Bayerische<br />
Lösung“) dann und nur dann annehmen,<br />
wenn er sicher davon ausging, dass er ansonsten<br />
völlig leer ausgehen würde. Jeder,<br />
der demgegenüber darüber nachdachte,<br />
welche Chancen für die jeweils geschlossene<br />
Police vor den Gerichten bestünden,<br />
hätte zu dem Ergebnis kommen müssen,<br />
dass die Chancen zu gewinnen zwischen<br />
30 und 60 Prozent lagen, sodass es sehr<br />
viel vernünftiger gewesen wäre, den<br />
Vergleich nicht zu akzeptieren, <strong>Recht</strong>sstreite<br />
abzuwarten und dann möglicherweise<br />
Vergleiche mit Versicherern auf<br />
der Grundlage von 70 bis 80 Prozent des<br />
versicherten Interesses zu schließen. So<br />
machen es heute Unternehmen, die dem<br />
Vergleich nicht beigetreten sind.<br />
Es geht nicht darum herauszustellen, dass<br />
„jeder im Nachhinein klüger“ ist. Es geht<br />
darum klarzumachen, dass die Versichein<br />
<strong>Recht</strong>sprechung noch in Literatur<br />
endgültig geklärt ist.<br />
Inzwischen gibt es eine Vielzahl von<br />
Urteilen, die aus den unterschiedlichsten<br />
Gründen den Kunden Versicherungsschutz<br />
aus den Betriebsschließungsversicherungen<br />
zugewiesen haben – einige<br />
allerdings haben den Deckungsschutz<br />
auch abgelehnt. Es ist aber keineswegs<br />
so, dass womöglich objektiv feststeht,<br />
dass die Betriebsschließungsversicherung<br />
keine Deckung gewährt – im Gegenteil,<br />
die allermeisten Gerichte kommen zu dem<br />
Ergebnis, dass die geschlossenen Verträge<br />
auf der Grundlage der vom Gesamtverband<br />
empfohlenen Bedingungen Deckung<br />
gewähren, sodass die Versicherer zur<br />
Leistung verpflichtet sind.<br />
Die Versicherer hätten in der „Bayerischen<br />
Lösung“ somit ehrlich und redlich<br />
darauf hinweisen müssen, dass es über<br />
die Frage des Deckungsumfangs bei der<br />
Betriebsschließungsversicherung große<br />
Unsicherheiten gibt. Sie hätten darauf<br />
hinweisen müssen, dass die Möglichkeit<br />
besteht, vor Gericht zu gewinnen, aber<br />
auch zu verlieren. Sie hätten darauf hinweisen<br />
müssen, dass es keinerlei verbindliche<br />
Grundlagen für die Überlegungen<br />
der Bayerischen Staatsregierung und der<br />
bayerischen Wirtschaft gab, da diese Institutionen<br />
nicht dazu aufgerufen und auch<br />
nicht dazu kompetent waren und sind,<br />
über den Inhalt von Versicherungsbedingungen<br />
zu entscheiden.<br />
2. Bestmögliches Interesse<br />
Sollten aber noch Zweifel daran bestehen,<br />
ob die Versicherer die VN möglicherweise<br />
ehrlich und redlich im Rahmen der<br />
„Bayerischen Lösung“ informiert haben,<br />
so dürfte es keinerlei Zweifel mehr daran<br />
geben, dass die VR jedenfalls nicht im<br />
bestmöglichen Interesse der VN gehandelt<br />
haben. Im bestmöglichen Interesse der VN<br />
hätte es nämlich gelegen, ihnen zu raten,<br />
einen Vergleich im Sinne der „Bayerischen<br />
Lösung“ nicht zu akzeptieren. Genauer<br />
gesagt: Im bestmöglichen Interesse der<br />
Kunden hätte es gelegen, ihnen einen solchen<br />
Vergleich gar nicht erst anzubieten.<br />
Der Vergleich beinhaltete den Verlust von<br />
85 Prozent des möglicherweise zu 100<br />
Prozent bestehenden Anspruchs gegen die<br />
Versicherer. Die 85 Prozent waren auf 30<br />
Tagessätze bezogen – VN, die mehr als<br />
30 Tagessätze versichert hatten, verloren<br />
durch Annahme dieses Vergleichs also<br />
sehr viel mehr als 85 Prozent – wahrscheinlich<br />
fast 95 Prozent.<br />
Ein Vergleich, bei dem ein Kunde 85 bis<br />
rer mit dem Angebot der „Bayerischen<br />
Lösung“ nicht im bestmöglichen Interesse<br />
der VN gehandelt haben können, weil sie<br />
dann einen so schlechten Vergleich, wie<br />
sie ihn präsentiert haben, nicht präsentiert<br />
hätten. Das war ihnen auch bewusst,<br />
denn sonst hätten sie keine drei Wochen<br />
Frist zur Annahme des Vergleichs gesetzt,<br />
sondern „ohne Wenn und Aber“ Zahlung<br />
geleistet, und zwar an alle Kunden, die<br />
mit ihnen eine Betriebsschließungsversicherung<br />
verabredet hatten.<br />
Dies gilt auch dann, wenn man, so wie<br />
der Gesetzgeber es andeutet, den Begriff<br />
des bestmöglichen Interesses im Sinne des<br />
das Schuldrecht beherrschenden Grundprinzips<br />
von Treu und Glauben interpretiert.<br />
42 Zwar ist keine Partei vertraglich<br />
verpflichtet, eigene Interessen gegenüber<br />
dem anderen Teil grundsätzlich zurückzustellen.<br />
43 Im vorliegenden Fall geht es aber<br />
nicht darum, dass die Versicherer ihre<br />
eigenen Interessen zurückstellen müssen,<br />
sondern nur darum, dass sie ehrlich und<br />
redlich ihre Kunden, so wie es Treu und<br />
Glauben verlangt, auf die bestehenden<br />
Zweifel und Unsicherheiten beim Deckungsschutz<br />
in der Betriebsschließungsversicherung<br />
hingewiesen hätten. Damit<br />
handelten sie zugleich auch nicht mehr<br />
im bestmöglichen Interesse ihrer Kunden,<br />
nämlich treuwidrig.<br />
3. <strong>Recht</strong>sfolgen<br />
Die <strong>Recht</strong>sfolgen bei der Verletzung der<br />
Pflichten aus § 1 a VVG im Schadensfall<br />
– wie hier – enthält nicht § 1 a VVG. Sie<br />
ergeben sich bei fehlerhaften Beratungsverhältnissen<br />
aus § 6 Absatz 5 VVG und<br />
in Fällen der fehlerhaften Vertriebstätigkeit<br />
bei der Schadensbearbeitung – wie<br />
hier – aus § 280 Absatz 1 BGB. 44<br />
Nach § 280 Absatz 1 BGB kann der<br />
Gläubiger (hier: VN) Ersatz des ihm entstehenden<br />
Schadens immer dann verlangen,<br />
wenn der Schuldner (hier: VR) eine<br />
Pflicht aus dem Schuldverhältnis (hier: aus<br />
§ 1 a VVG) verletzt. Dies gilt nur dann<br />
nicht, wenn der Schuldner (hier: VR) die<br />
Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.<br />
Letzteres ist, wie oben gezeigt wurde,<br />
ausgeschlossen. Die Versicherer wussten<br />
von den Unsicherheiten der bestehenden<br />
<strong>Recht</strong>slage und haben jene im eigenen<br />
Interesse beschönigt – also das Gegenteil<br />
dessen getan, was bei ehrlicher und redlicher<br />
Vertriebstätigkeit im bestmöglichen<br />
Interesse des Kunden opportun gewesen<br />
wäre.<br />
Dies bedeutet, dass die Kunden der VU<br />
Anspruch auf Ersatz des entstandenen<br />
12 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
Schadens haben. Sie können somit nach<br />
§ 249 BGB verlangen, den Zustand<br />
wiederherzustellen, der bestehen würde,<br />
wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand<br />
nicht eingetreten wäre (Naturalersatz).<br />
Der zum Ersatz verpflichtende Umstand<br />
liegt darin, dass die VU in der „Bayerischen<br />
Lösung“ die bestehenden rechtlichen<br />
Unsicherheiten verschleiert haben,<br />
sodass die VN glaubten, sie würden<br />
ohne Unterschrift unter diesen Vergleich<br />
leer ausgehen. Denkt man sich diesen<br />
Umstand hinweg, würden die VU also<br />
richtig und angemessen über die bestehenden<br />
Unsicherheiten aufgeklärt haben,<br />
so hätten sie ihren Kunden auf der einen<br />
Seite eine Kulanzleistung in Höhe von 15<br />
Prozent ausgezahlt und auf der anderen<br />
Seite die Möglichkeit eröffnet, wegen der<br />
verbleibenden Differenz möglicherweise<br />
den <strong>Recht</strong>sweg zu suchen. Sie hätten dann<br />
darauf hingewiesen, dass es, wie immer<br />
auf Hoher See und vor Gericht, unsicher<br />
sei, wie man aus der Sache herauskommt.<br />
Aber: Sie hätten auf der einen Seite eine<br />
Kulanzzahlung ohne Wenn und Aber<br />
gezahlt, um den Menschen in einer sehr<br />
schwierigen gesamtgesellschaftlichen Lage<br />
zu helfen (wie sie in der „Bayerischen Lösung“<br />
beschrieben haben), und sie hätten<br />
ihnen die Möglichkeit der Klärung von<br />
Fragen vor den Gerichten gelassen.<br />
Sie hätten auch nicht verlangt, dass man<br />
nicht über Vergleiche im Einzelfall reden<br />
darf. Mit Blick auf diese Vereinbarung<br />
hätten sie vielmehr darauf hingewiesen,<br />
dass eine solche Gleichstellung aller Kunden<br />
im Regulierungsverfahren möglicherweise<br />
gegen das Kartellverbot (§ 1 GWB)<br />
verstößt und sowieso unwirksam sein<br />
könnte. Es gibt jedenfalls keinen Sachgrund<br />
dafür, die Entschädigungszahlungen<br />
bei unterschiedlichen AVB zwischen vielen<br />
Versicherern gleichförmig auszugestalten<br />
und somit die Auszahlungsquote zu kartellieren.<br />
Dies wäre der Sachgrund dafür gewesen,<br />
dass die Versicherer Individualvergleiche<br />
selbstverständlich eröffnet hätten. Die<br />
Tatsache, dass sie genau das Gegenteil getan<br />
haben, beinhaltet den <strong>Recht</strong>sverstoß,<br />
der zugleich zu dem bei den VN entstandenen<br />
Schaden, nämlich der Unmöglichkeit<br />
geführt hat, Individualvergleiche und<br />
<strong>Recht</strong>sstreite vor den Gerichten über die<br />
angemessene Leistung der Versicherer aus<br />
den jeweiligen Versicherungsverträgen zu<br />
führen.<br />
Kunden, die Schadensersatz nach §§ 280,<br />
249 BGB in Verbindung mit § 1 a VVG<br />
verlangen können, würden also so gestellt,<br />
als hätten sich die VU zutreffend und<br />
richtig verhalten. In diesem Falle hätten<br />
sie eine Kulanzleistung in Höhe von 15<br />
Prozent erhalten und wären ansonsten<br />
an der Geltendmachung berechtigter<br />
Ansprüche nicht gehindert worden. Dies<br />
bedeutet, ein Kunde, der sich auf § 249<br />
BGB (Naturalersatz) heute beruft, wird so<br />
behandelt, als gäbe es den geschlossenen<br />
Vergleich („Bayerische Lösung“) nicht.<br />
Auf der anderen Seite verbleiben ihm die<br />
gezahlten 15 Prozent, denn diese sollten ja<br />
ohnehin (kulanzweise) an ihn fließen.<br />
4. Verjährung<br />
Der Anspruch auf Rückgängigmachung<br />
des Vergleichs („Bayerische Lösung“)<br />
unterliegt der Verjährung (§ 194 Absatz<br />
1 BGB). Die regelmäßige Verjährungsfrist<br />
beträgt drei Jahre. Für einige Sonderfälle<br />
gibt es auch längere Verjährungsfristen<br />
(§§ 197, 199 BGB). Im vorliegenden Fall<br />
lautet die Frage, wann die regelmäßige<br />
Verjährungsfrist von drei Jahren beginnt.<br />
Die Antwort ergibt sich aus § 199 Absatz<br />
1 BGB. Danach beginnt die Verjährungsfrist<br />
mit dem Schluss des Jahres, in dem<br />
der Anspruch entstanden ist und der<br />
Gläubiger von den den Anspruch begründenden<br />
Umständen und der Person des<br />
Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne<br />
grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.<br />
Im vorliegenden Fall („Bayerische<br />
Lösung“) ist der Anspruch auf Rückgängigmachung<br />
mit Unterzeichnung<br />
des Vergleichs entstanden. Die Kunden<br />
(Gläubiger), die den Vergleich angenommen<br />
haben, haben aber bisher keinerlei<br />
Kenntnis von den den Anspruch begründenden<br />
Umständen, da sie erst durch<br />
dieses <strong>Recht</strong>sgutachten erfahren, dass es<br />
diesen Anspruch überhaupt gibt.<br />
Dies bedeutet, dass die Verjährungsfrist<br />
für die betroffenen Kunden frühestens mit<br />
der Kenntnis von diesem Anspruch, nämlich<br />
der Kenntnis von diesem <strong>Recht</strong>sgutachten<br />
oder ähnlichen Veröffentlichungen,<br />
beginnen kann. Geht man einmal davon<br />
aus, dass die Kunden im Jahr 2021<br />
von der Existenz dieses Anspruchs auf<br />
Rückgängigmachung der „Bayerischen<br />
Lösung“ erfahren, so beginnt die Verjährungsfrist<br />
am Schluss des Jahres 2021,<br />
also am 31.12.2021, zu laufen. Damit endet<br />
die Verjährungsfrist drei Jahre später,<br />
nämlich am 31.12.2024, 24 Uhr.<br />
Frage 3<br />
Die Frage 3 bezieht sich auf die Makler,<br />
die ihren Kunden zur Annahme der „Ba-<br />
yerischen Lösung“ geraten haben. Müssen<br />
Makler möglicherweise damit rechnen,<br />
wegen etwaiger Nachteile von ihren Kunden<br />
in Anspruch genommen zu werden?<br />
Richtig ist, dass auch die Makler den Verhaltenspflichten<br />
des § 1 a VVG unterliegen<br />
– dies ergibt sich aus § 59 Absatz 1 Satz 2<br />
VVG. Richtig ist aber auch, dass ein Makler<br />
an der „Bayerischen Lösung“ nicht<br />
mitgewirkt hat. Diese ist ausschließlich<br />
von den Versicherern mit der Bayerischen<br />
Staatsregierung und bayerischen Verbänden<br />
verabredet worden. Die formale und<br />
inhaltliche Konzeption der „Bayerischen<br />
Lösung“ wurde somit von keinem einzelnen<br />
Makler noch von etwaigen Maklerverbänden<br />
oder Maklerpools beeinflusst.<br />
Die einzige Frage, die man sich stellen<br />
kann, lautet deshalb, ob der Makler, der<br />
von seinem Kunden als Sachwalter befragt<br />
wurde, möglicherweise von der Annahme<br />
des Vergleichs hätte abraten müssen.<br />
Mit Blick auf diese Frage, für die es bisher<br />
in Literatur und <strong>Recht</strong>sprechung keinerlei<br />
Vorbilder gibt, wird man zunächst einmal<br />
sagen müssen, dass es an einer dem<br />
Makler vorwerfbaren Pflichtverletzung<br />
fehlt. Eine Pflichtverletzung könnte nur<br />
dann bejaht werden, wenn der Makler<br />
die überlegene Sach- und Fachkunde der<br />
Bayerischen Staatsregierung, der bayerischen<br />
Wirtschaftsverbände und des<br />
Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft<br />
aufgrund seiner Sachwalterstellung<br />
infrage stellen könnte. Das ist<br />
praktisch ausgeschlossen – bei einer derartig<br />
geballten Fach- und Sachkompetenz<br />
der eben erwähnten Institutionen ist jeder<br />
Makler gehalten, dieser genauso zu vertrauen,<br />
wie es auch sein Kunde tun muss.<br />
Er, der Makler, kann nicht an die Stelle<br />
dieser großen Institutionen und Verbände<br />
treten – auf ihn kann das Haftungsrisiko<br />
nicht weiterverlagert werden, weil er<br />
genauso wenig Einschätzungsprärogative<br />
hat wie auch sein Kunde selbst.<br />
In jedem Falle aber fehlt es am Verschulden<br />
des Maklers. Wenn er den großen<br />
Institutionen und Verbänden vertraut,<br />
die sich im Rahmen der „Bayerischen<br />
Lösung“ an seinen Kunden wenden, so<br />
verletzt er auf keinen Fall die im <strong>Recht</strong>sverkehr<br />
erforderliche Sorgfalt, wenn er<br />
dem Kunden zur Annahme des Vergleichs<br />
rät. Denn das tun diese Institutionen<br />
auch. Mit welchen Sachgründen will ein<br />
Makler seinem Kunden erklären, dass er<br />
„klüger ist“ als die geballte Kompetenz<br />
der Bayerischen Staatsregierung, der<br />
gesamten bayerischen Wirtschaft und<br />
Sonderausgabe<br />
13
<strong>Recht</strong><br />
des GDV?<br />
Hiervon abgesehen werden sich diese<br />
Fragen aber in der Praxis nicht stellen,<br />
denn wie eben gezeigt ist die „Bayerische<br />
Lösung“ von den betroffenen Kunden nach<br />
§ 249 BGB (Naturalersatz) zu beseitigen.<br />
Die Kunden können diesen Anspruch, der<br />
aus § 280 Absatz 1 BGB in Verbindung<br />
mit § 1 a VVG erwächst, nunmehr geltend<br />
machen. In Konsequenz fällt die Bindung<br />
an den Vergleich weg – die <strong>Recht</strong>slage ist<br />
wieder offen. Die Kunden können mit ihrem<br />
Versicherer (auch vor Gericht) klären,<br />
ob Deckung für Corona-bedingte Schließungen<br />
besteht oder nicht. Folge: Selbst<br />
dann, wenn ein Makler die Annahme der<br />
„Bayerischen Lösung“ empfohlen haben<br />
sollte, hätte das nicht zu einem Schaden bei<br />
dem Kunden geführt, weil dieser Ver-gleich<br />
im Nachhinein beseitigt werden kann.<br />
D. GESAMTERGEBNIS<br />
Frage 1<br />
1. Die „Bayerische Lösung“ stellt einen<br />
Vergleich nach § 779 BGB dar, da sie<br />
die Ungewissheit zwischen VU und VN<br />
über den Deckungsumfang bestehender<br />
Betriebsschließungsversicherungen im<br />
Rahmen der Corona-Pandemie durch<br />
gegenseitiges Nachgeben beseitigte.<br />
2. VU, die (etwa Anfang März 2020)<br />
erklärt haben, dass behördlich angeordnete<br />
Betriebsschließungen aufgrund<br />
des Corona-Virus in der gewerblichen<br />
Betriebsschließungsversicherung mitversichert<br />
sind, sind an diese Erklärungen nach<br />
§ 1 a Absatz 1 Nummer 4 VVG gebunden.<br />
3. VU, die eine öffentliche Deckungszusage<br />
für Corona-bedingte Betriebsschließungen<br />
abgegeben haben, konnten an der<br />
„Bayerischen Lösung“ nicht mehr wirksam<br />
teilnehmen, da sie die Ungewissheit<br />
über den bestehenden Deckungsschutz<br />
durch ihre öffentliche Deckungszusage<br />
beseitigt hatten.<br />
4. VN, die bei solchen VU die „Bayerische<br />
Lösung“ akzeptiert (unterzeichnet) haben,<br />
haben in Wirklichkeit keinen wirksamen<br />
Vergleichsvertrag geschlossen. Im Gegenteil:<br />
Der Vergleich ist unwirksam. Er<br />
entfaltet keinerlei Bindungswirkungen.<br />
5. VN, die die „Bayerische Lösung“<br />
akzeptiert haben, sollten ihre darauf<br />
gerichtete Willenserklärung (hilfsweise)<br />
wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB)<br />
anfechten, wenn sie herausfinden, dass<br />
ihr VU im Vorfeld (zum Beispiel Anfang<br />
März 2020) den Deckungsschutz für<br />
Corona-bedingte Betriebsschließungen<br />
erklärt hatte.<br />
6. In solchen Fällen liegt eine arglistige<br />
Täuschung vor, weil das VU wusste, dass<br />
es Deckungsschutz erklärt hatte, und<br />
dessen ungeachtet mit der „Bayerischen<br />
Lösung“ behauptete, nicht zur Deckung<br />
verpflichtet zu sein.<br />
7. Die (hilfsweise) Anfechtungserklärung<br />
dient nur dem Zweck, etwaige Zweifel<br />
bei der Frage der Unwirksamkeit des Vergleichs<br />
nach § 779 BGB auszuräumen.<br />
8. Die Anfechtung wegen arglistiger<br />
Täuschung ist innerhalb eines Jahres nach<br />
positiver Kenntnis über die arglistige<br />
Täuschung zu erklären (§ 124 Absatz 2<br />
BGB). Die Jahresfrist beginnt mit positiver<br />
Kenntnis zu laufen, also dann, wenn der<br />
VN von der Täuschung durch das VU<br />
positiv Kenntnis hat. Bloßes Nichtwissen<br />
(fahrlässige Unkenntnis) genügt für das<br />
Ingangsetzen der Frist nicht.<br />
9. Da die allermeisten VN erst dann von<br />
der Täuschung Kenntnis erlangen, wenn<br />
sie wesentliche Inhalte dieses Gutachtens<br />
positiv erfahren, dürfte die Jahresfrist bei<br />
praktisch allen Betroffenen im Dezember<br />
2020 noch nicht begonnen haben.<br />
Frage 2<br />
10. Die „Bayerische Lösung“ als solche<br />
war weder redlich noch ehrlich. Sie lag<br />
nicht im bestmöglichen Interesse der<br />
VN. Die Versicherer, die die „Bayerische<br />
Lösung“ angeboten haben, haben damit<br />
zugleich § 1 a VVG verletzt.<br />
11. Die Kunden haben als <strong>Recht</strong>sfolge einen<br />
Schadensersatzanspruch nach §§ 280,<br />
249 BGB.<br />
12. Die Kunden können im Wege des<br />
Naturalersatzes die Wiederherstellung<br />
des Zustandes ohne den schädigenden<br />
Eingriff der VU verlangen. Sie wären also<br />
so gestellt, als wären ihnen 15 Prozent<br />
kulanzweise zugeflossen, während sie wegen<br />
des offenen Rests Individualvergleiche<br />
verhandeln können und dürfen und/oder<br />
vor den Gerichten über den angemessenen<br />
Deckungsumfang streiten könnten. Diesen<br />
Anspruch können sie jederzeit geltend machen<br />
– er ist bisher nicht verjährt.<br />
13. Die Verjährung des Anspruchs auf<br />
Rückgängigmachung der „Bayerischen<br />
Lösung“ beginnt mit Kenntnis dieses<br />
Anspruchs – frühestens im Jahr 2021<br />
mit Kenntnis dieses <strong>Recht</strong>sgutachtens. In<br />
diesem Fall endet die Verjährungsfrist am<br />
31.12.2024.<br />
Frage 3<br />
14. Ein Makler, der seinen Kunden zur Annahme<br />
der „Bayerischen Lösung“ geraten<br />
hat, haftet nicht auf Schadensersatz.<br />
15. Es liegt weder eine Pflichtverletzung<br />
noch ein Verschulden des Maklers vor, da<br />
er genau wie die Kunden auf die Redlichkeit<br />
und Ehrlichkeit des Angebots der<br />
Versicherer im Rahmen der „Bayerischen<br />
Lösung“ vertrauen dürfte.<br />
16. Den Kunden entsteht auch kein Schaden<br />
durch den Rat des Maklers, da sie<br />
die „Bayerische Lösung“ durch Geltendmachung<br />
ihres Anspruchs gegen den<br />
Versicherer beseitigen können.<br />
1<br />
BeckOK BGB, Hau-Poseck, 56. Edition, Stand 01.11.2020, § 779 Rn 9; MüKo/<br />
Habersack, BGB-Kom, 8. Aufl., § 779 Rn 2; jurisPK- BGB, 9. Aufl./Bork § 779 Rn 5.<br />
2<br />
jurisPK-BGB, 9. Auflage/Bork § 779 Rn 5; Staudinger/Hau (2020) BGB § 779<br />
Rn 62.<br />
3<br />
So bereits RGZ 56, 333, 335; 142, 1, 3; RG JW 1905, 721; vertiefend Staudinger/<br />
Hau (2020) BGB § 779 Rn 71.<br />
4<br />
BGH vom 18.12.2007 – XI ZR 76/06 = NJW-RR-2008, 643, 645 Rn 24;<br />
Staudinger/Hau (2020) BGB § 779 ab Rn 72.<br />
5<br />
BGH vom 27.10.1971 – IV ZR 182 /69 = NJW 1972, 157; BGH vom 06.11.1991 –<br />
XII ZR 168/90 = NJW-RR 1992, 363.<br />
6<br />
Staudinger/Hau (2020) § 779 Rn 12; MüKo/Habersack BGB- Kom 8. Aufl. § 779<br />
Rn 3.<br />
7<br />
Palandt/Ellenberger 79 BGB-Kom Überbl. v § 104 Rn 11.<br />
8<br />
Dazu Fortmann, Betriebsschließungsversicherung – ein Update, r+s 2020, 665,<br />
Nachweise in Rn. 1.<br />
9<br />
Staudinger/Hau (2020) BGB § 779 Rn 47.<br />
10<br />
jurisPK- BGB, 9. Aufl./Bork § 779 Rn 10.<br />
11<br />
Beispielsweise LG Mannheim vom 29.04.2020 – II O 6620; OLG Hamm vom<br />
15.07.2020 – 20 W 21/20; LG Bochum vom 15.07.2020 – 4 O 215/ 20; LG<br />
München I vom 22.10.2020 – 12 O 5868/20; LG München I vom 24.11.2020 – 23<br />
O 5937 / 20; LG München vom 01.10.2020 – 120 O 5895 / 20.<br />
12<br />
BGH vom 08.03.2012 – IX ZR 51/11 = NJW 2012, 2099, 2101 Fn. 31; ähnlich<br />
BAG vom 15.09.2009 – 3 AZR 173/08 = NJW 2010 550; 554 Rn. 46.<br />
13<br />
BGH vom 19.09.1963 – III ZR 121/62 NJW 1963, 2316, 2317; vertiefend<br />
Staudinger/Hau (2020) BGB § 779 Rn. 45.<br />
14<br />
Staudinger/Hau (2020) BGB § 779 Rn. 54; einschränkend OLG München,<br />
Beschl. vom 21.04.1969 – 11 W 177/68 = NJW 1969, 1306, 1307.<br />
15<br />
BGH vom 25.05.1964 – II ZR 87/62 = NJW 1964, 1787.<br />
16<br />
RGZ 158, 210, 213; BGH vom 31.01.1963 – III ZR 117/62 = BG- HZ 39, 60, 65.<br />
17<br />
RG JW 1910; 280 Nr. 3; BGH LM § 779 Nr. 1 a.<br />
18<br />
RG SeuffA 95 Nr. 52; Staudinger/Hau (2020) BGB § 779 Rn. 49, jurisPK-BGB;<br />
jurisPK-BGB, 9. Aufl./Bork § 779 Rn. 10; Palandt/Sprau 80 § 779 Rn. 4.<br />
19<br />
Nachweise in Staudinger/Hau (2020), BGB § 779 Rn. 47.<br />
20<br />
Vertiefend BT-Drs. 18/11627, S. 42.<br />
21<br />
Wie hier auch LG München I vom 01.10.2020 – 12 O 5895/20, S. 17/18.<br />
22<br />
jurisPK – BGB, 9. Aufl./Bork § 779 Rn 15 m. w. N.<br />
23<br />
jurisPK – BGB, 9. Aufl./Bork § 779 Rn. 16.<br />
24<br />
BGH vom 25.10.2007 – VII ZR 205/06 = BGH NJW-RR 2008; 258 Rn. 20; OLG<br />
Köln vom 18.11.2003 – 9 U 32/03 = VersR. 2004, 90; vertiefend Palandt/<br />
Ellenberger 80 § 123 Rn. 2.<br />
25<br />
BGH vom 08.12.1989 – V ZR 246/87 = NJW 1990, 975, 976.<br />
26<br />
MüKo/Armbrüster, 8. Aufl. 2018, § 123 Rn. 27, jurisPK – BGB, 9. Aufl./Moritz<br />
§ 123 Rn. 14.<br />
27<br />
Staudinger/Singer/Finckenstein (2017) BGB § 123 Rn. 5; Rn. 48.<br />
28<br />
RG JW 1911, 275.<br />
29<br />
RGZ 77, 309, 314; vertiefend Staudinger/Singer/Finckenstein (2017) BGB<br />
§ 123 Rn. 48.<br />
30<br />
BGH vom 26.04.1973 – III ZR 116/71 = BGH WM 1973, 750, 751; OLG Hamm<br />
vom 28.07.2010 – I-20 U 20/10 n = VersR 2011, 793, 794; OLG Braunschweig<br />
vom 06.11.2014 – 8 U 163/13 = BeckRS 2015, 00155.<br />
31<br />
OLG Celle vom 21.12.2010 – 8 U 44/10 = BeckRS 2012, 00631.<br />
32<br />
BGH vom 20.05.2009 – VIII ZR 247/06 = NJW 2009, 2532, 2533; OLG Köln vom<br />
21.11.2008 – 19 Sch 12/08 = MedR 2010, 264, 266.<br />
33<br />
Art. 6 S. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/97<br />
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.01.2016 über<br />
Versicherungsvertrieb und zur Änderung weiterer Gesetze vom 20.07.2017<br />
(BGBl.I 2789, 2803).<br />
34<br />
Erwägungsgrund 10 der RL (EU) 2016/97.<br />
35<br />
So BT-Drs. 18/11627, S. 42.<br />
36<br />
HK-VVG/Brömmelmeyer, VVG, 4. Aufl., § 1 a Rn. 8.<br />
37<br />
HK-VVG/Brömmelmeyer, a. a. O., § 1 a Rn. 8; ähnlich Prölss/Martin/Armbrüster,<br />
VVG, 31. Aufl. 2021, § 1 a Rn. 2; Langheid/Rixecker/Rixecker, 6. Aufl. 2019, VVG,<br />
§ 1 a Rn. 5.<br />
38<br />
HK-VVG/Brömmelmeyer, a. a. O., § 1 a Rn. 10.<br />
39<br />
BGH, Beschluss vom 15.02.2017 – IV ZR 280/15, r+s 2017, 368ff.; zuvor schon<br />
BGH vom 07.02.2007 – IV ZR 244/03, NJW- RR 2007, 753.<br />
40<br />
Wie hier Fortmann, Betriebsschließungsversicherung – ein Update, r+s 2020,<br />
665, 673.<br />
41<br />
Beispiele in Fn. 11 und bei Fortmann, Betriebsschließungsversicherung – ein<br />
Update, r+s 2020, 665 in Fn. 1.<br />
42<br />
BT-Drs. 18/11627, S. 42.<br />
43<br />
BGH LM § 455 Nr. 21 Bl2, § 242 (Be) Nr. 36.<br />
44<br />
VVG/Brömmelmeyer, a. a. O., § 1 a Rn. 18; Prölss/Martin/Armbrüster, VVG, 31.<br />
Aufl. § 1 a Rn. 9; Rixecker/Rixecker, VVG, 6. Aufl., § 1 a Rn. 1; BT-Dr. 18/11627,<br />
S. 42.<br />
14 Sonderausgabe
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<strong>Recht</strong><br />
Der Widerruf der Erlaubnis für<br />
Versiche rungsmakler und Erfolgschancen<br />
beim Vorgehen dagegen<br />
– TEXT: RECHTSANWÄLTE STEPHAN MICHAELIS, LL. M., FACHANWALT FÜR VERSICHERUNGSRECHT, UND DANIEL SCHÖNFELDER –<br />
1. ERLAUBNISPFLICHT UND<br />
WIDERRUFSMÖGLICHKEIT<br />
Der Versicherungsmakler braucht bekanntlich<br />
eine Erlaubnis gemäß § 34d<br />
GewO, um seine Tätigkeit der Vermittnete<br />
Vermögensverhältnisse des Versicherungsmaklers.<br />
Als Anbieter in einem sogenannten<br />
„Vertrauensgewerbe“ 1 haben Versicherungsmakler<br />
nicht nur zivilrechtlich 2 ,<br />
sondern auch öffentlich-rechtlich weitgehende<br />
Pflichten. Während im Zivilrecht<br />
unter anderem Haftungsansprüche drohen,<br />
die jedoch in vielen Fällen von den<br />
einschlägigen Haftpflichtversicherungen<br />
abgedeckt werden, geht es im öffentlichen<br />
<strong>Recht</strong> ums „Eingemachte“, und das ganz<br />
ohne Absicherungsmöglichkeit durch<br />
Haftpflichtversicherungen: die Erlaubnis,<br />
geschäftlich tätig zu werden und<br />
den Kundenbestand betreuen zu dürfen.<br />
Sollte es zu einem öffentlich-rechtlichen<br />
Widerruf der Erlaubnis kommen, ist<br />
jedoch nicht alles verloren. Wie immer<br />
in unserem <strong>Recht</strong>sstaat gibt es strenge<br />
Voraussetzungen für die staatlichen<br />
Maßnahmen und Schutzmöglichkeiten<br />
für den Betroffenen, weil der Entzug<br />
der Erlaubnis existenzbedrohend sein<br />
kann. Dieser Beitrag erörtert anhand von<br />
<strong>Recht</strong>sprechung aus den letzten Jahren die<br />
relevantesten Fallkonstellationen für den<br />
Versicherungsmakler.<br />
lung und der Betreuung ausüben zu dürfen.<br />
Diese erhält er gemäß § 34d Absatz 5<br />
GewO unter anderem dann nicht, wenn er<br />
„unzuverlässig“ ist oder in ungeordneten<br />
Vermögensverhältnissen lebt. Was aber<br />
passiert, wenn nach der rechtmäßigen 3 Erteilung<br />
der Erlaubnis Umstände eintreten,<br />
die die IHK zu der Überzeugung gelangen<br />
lassen können, der Versicherungsmakler<br />
sei „unzuverlässig“ oder Ähnliches? Die<br />
Antwort liefert § 49 Absatz 2 Nummer<br />
3 VwVfG. Danach „kann“ die Erlaubnis<br />
widerrufen werden, wenn nachträglich<br />
Tatsachen auftreten, die es erlaubt hätten,<br />
die Erlaubnis nicht zu erteilen. Also: Der<br />
Widerruf knüpft im Wesentlichen an die<br />
Erteilungsvoraussetzungen an. 4<br />
Nehmen wir nun an, dem Leser als<br />
gestandenem Versicherungsmakler wird<br />
seine Erlaubnis gemäß § 34d Absatz 5<br />
GewO seitens der IHK widerrufen und er<br />
denkt darüber nach, dagegen vorzugehen.<br />
Ob ein derartiges Vorgehen von Erfolg<br />
gekrönt wird, hängt natürlich von unzähligen<br />
Aspekten des jeweiligen Einzelfalls<br />
ab. Aus der <strong>Recht</strong>sprechung lassen sich<br />
jedoch einige Leitlinien ableiten, die im<br />
Folgenden dargestellt werden. Hier setzen<br />
wir den Schwerpunkt vor allem auf die<br />
von der <strong>Recht</strong>sprechung am häufigsten<br />
behandelten Konstellationen: Straftaten<br />
des Versicherungsmaklers und ungeord-<br />
2. ÜBERSICHT ÜBER DIE VORAUSSETZUNGEN<br />
DES WIDERRUFS<br />
Vorab seien kurz die Widerrufsvoraussetzungen<br />
erläutert. Diese umfassen:<br />
• Widerrufsgrund (unter anderem nachträgliche<br />
Tatsachen, die die Erlaubnisverweigerung<br />
erlaubt hätten, Auflagennichterfüllung,<br />
Widerrufsvorbehalt<br />
– § 49 Absatz 2 VwVfG)<br />
• Tätigwerden der Behörde innerhalb eines<br />
Jahres ab ihrer Kenntnis der Tatsachengrundlage<br />
des Widerrufsgrundes (§§ 49<br />
Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit 48<br />
Absatz 4 Satz 1 VwVfG)<br />
• Gefährdung des öffentlichen Interesses<br />
ohne Widerruf<br />
• Fehlerfrei ausgeübtes Ermessen<br />
(vor allem Verhältnismäßigkeit)<br />
a. Unzuverlässigkeit – Straftaten des<br />
Versicherungsmaklers<br />
Dem Versicherungsmakler ist die Erlaubnis<br />
gemäß §§ 49 Absatz 2 Nummer 3<br />
VwVfG in Verbindung mit 34d Absatz<br />
5 GewO zu widerrufen, wenn er unzuverlässig<br />
ist. Als unzuverlässig hat dabei<br />
derjenige Gewerbetreibende zu gelten, der<br />
nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens<br />
nicht die Gewähr dafür bietet, dass er<br />
das von ihm ausgeübte Gewerbe künftig<br />
ordnungsgemäß, das heißt entsprechend<br />
den gesetzlichen Vorschriften und unter<br />
Beachtung der guten Sitten, 5 betreiben<br />
wird, ohne dass es auf Verschuldenstatbestände<br />
ankäme. 6<br />
Das ist laut § 34d Absatz 5 Satz 2 GewO<br />
im Regelfall dann gegeben, wenn er in den<br />
letzten fünf Jahren wegen eines Verbrechens<br />
– also einer Straftat mit einer Mindeststrafe<br />
von einem Jahr – oder wegen<br />
Diebstahls, Unterschlagung, Erpressung,<br />
Betrugs, Untreue, Geldwäsche, Urkundenfälschung,<br />
Hehlerei, Wuchers oder einer<br />
Insolvenzstraftat rechtskräftig verurteilt<br />
16 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
worden ist.<br />
Erste wichtige Einschränkung: Es handelt<br />
sich um ein sogenanntes „Regelbeispiel“.<br />
Das heißt, selbst wenn es zu einer derartigen<br />
Straftat kam, muss nicht unbedingt<br />
von der Unzuverlässigkeit ausgegangen<br />
werden: nämlich dann, wenn ein untypischer<br />
Fall vorliegt. Das ist eine komplizierte<br />
Frage des Einzelfalls.<br />
Es muss bei der Auslegung berücksichtigt<br />
werden, dass die gesetzliche Regelung den<br />
Zweck verfolgt, den <strong>Recht</strong>sverkehr vor<br />
typischen Gefahren durch unzuverlässige<br />
Versicherungsmakler zu schützen. Typischerweise<br />
im Fokus stehende Gefahren<br />
sind etwa, dass der Versicherungsmakler<br />
zur Gewinngenerierung dem Versicherungsnehmer<br />
Produkte vermittelt, die<br />
dessen Interessen in keiner Weise dienen.<br />
Nach der <strong>Recht</strong>sprechung wird hierbei<br />
davon ausgegangen, dass diese Gefahr<br />
steigt, umso mehr der Versicherungsmakler<br />
unter finanziellem Druck steht. 7 Auch<br />
kann es vorkommen, dass ein Versicherungsmakler<br />
Zugriffs- und Verfügungsmöglichkeiten<br />
zur Manipulation von Versicherungsfällen<br />
und -anträgen 8 ausnutzt.<br />
Eine andere Gefahr ist der umgekehrte<br />
Fall: dass der Versicherungsmakler einen<br />
bestehenden Versicherungsbedarf nicht<br />
erkennt. Unserer Ansicht nach muss nach<br />
teleologischer Auslegung umso eher von<br />
einem atypischen Fall ausgegangen werden,<br />
je weniger aus der gegebenen Straftat<br />
darauf geschlossen werden kann, dass die<br />
beschriebenen Gefahren bei dem betreffenden<br />
Versicherungsmakler besonders<br />
hoch sind.<br />
Diese Logik wird allerdings durch die<br />
pauschale Annahme der Unzuverlässigkeit<br />
bei jedwedem Verbrechen in § 34d Absatz<br />
5 GewO abgeschwächt. Hier reicht es<br />
angesichts der bewussten Entscheidung<br />
des Gesetzgebers, nicht nur die sachnahen<br />
Vermögensdelikte, sondern allgemein<br />
Verbrechen (Straftaten mit mehr als einem<br />
Jahr Mindeststrafe, § 12 StGB) ausreichen<br />
zu lassen, – außer in absoluten Ausnahmefällen<br />
– immer für die Unzuverlässigkeit<br />
– das Kriterium des Gesetzgebers ist<br />
hier Unrechtsgewicht, nicht Sachnähe. 9<br />
Deshalb bejahte das OVG Berlin-Brandenburg<br />
auch bei BTM-Delikten (Drogen)<br />
die Unzuverlässigkeit – jedoch nach näherer<br />
Erörterung des Zusammenhangs zur<br />
beruflichen Tätigkeit, 10 was eine restriktive<br />
Anwendung erkennen lässt.<br />
Jede Annahme eines atypischen Falls –<br />
also die Ablehnung der Unzuverlässigkeit<br />
trotz eines der dargestellten Regelbeispiele<br />
– erfordert eine umfassende Würdigung<br />
des Einzelfalls. 11 Kriterien aus der <strong>Recht</strong>sprechung,<br />
die zur Annahme eines derartigen<br />
untypischen Falls führen können,<br />
sind etwa:<br />
• Zeit zwischen Tat und Verurteilung 12 – je<br />
mehr Zeit verstrich, umso eher besteht<br />
Atypik.<br />
• Deutliche zeitliche Nähe zum Erreichen<br />
des Endes des Fünf-Jahres-Zeitraums 13 –<br />
je mehr Zeit verstrich, umso eher besteht<br />
Atypik.<br />
• Stärke des Bezugs der Straftat zur<br />
Versicherungsbranche; 14 Vermögenskriminalität<br />
15 – insbesondere vor dem Hintergrund<br />
des Artikels 4 Absatz 2 erster<br />
Unterabsatz Satz 2 der der deutschen<br />
Norm zugrunde liegenden RL 2002/92/<br />
EG 16 – je weniger die Straftat mit dem<br />
Versicherungsmaklergewerbe zu tun hat,<br />
umso eher besteht Atypik.<br />
• Hohes Strafmaß, 17 Schwere der Tat,<br />
Höhe des Schadens, 18 besonders hohe<br />
kriminelle Energie, Häufigkeit der<br />
Straftaten 19 – je schwerer Strafe und Tat<br />
wiegen, umso weniger besteht Atypik.<br />
• Nicht nur „Augenblicksversagen“ 20 – je<br />
mehr von einem absoluten Einzelfall auszugehen<br />
ist, umso mehr besteht Atypik.<br />
Im Umkehrschluss führt die Auflistung<br />
der Straftaten dazu, dass andere Vergehen,<br />
die nicht beispielhaft genannt<br />
werden, eben in der Regel nicht zur<br />
Unzuverlässigkeit führen. Hier wird das<br />
Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt.<br />
Sollte ein Versicherungsmakler wegen<br />
einer anderen Straftat als den aufgelisteten<br />
Straftaten verurteilt worden sein, muss die<br />
Behörde explizit und plausibel begründen,<br />
warum er deshalb „unzuverlässig“<br />
ist. Die Gesetzessystematik geht nämlich<br />
davon aus, dass mangels Vorliegens einer<br />
Regelstraftat im Regelfall gerade keine<br />
Unzuverlässigkeit gegeben ist.<br />
b. Andere Fälle der Unzuverlässigkeit:<br />
Weiterbildungspflicht?<br />
Maßgeblich sind alle Umstände des<br />
Einzelfalls und die Gesamtpersönlichkeit<br />
des Antragstellers. Deshalb kann auch<br />
sonstiges Fehlverhalten des Antragstellers<br />
auf seine Unzuverlässigkeit schließen<br />
lassen, sofern ein relevanter Bezug zur<br />
Versicherungsvermittlung vorliegt. 21 Das<br />
kann etwa das Nichterfüllen der Voraussetzungen<br />
zur Weiterbildungspflicht aus<br />
§ 34d Absatz 9 Satz 2 GewO betreffen.<br />
Hierbei sind zuerst Ordnungswidrigkeiten<br />
gemäß § 144 Absatz 2 Nummer 7c<br />
GewO mit Geldbußen bis zu 5.000 Euro<br />
zu befürchten. Bei andauernden Verstößen<br />
ist allerdings damit zu rechnen, dass<br />
die zuständige Behörde auch über eine<br />
nachträgliche Unzuverlässigkeit gemäß<br />
§ 34d Absatz 5 Nummer 1 GewO wegen<br />
Verstoß gegen rechtliche Pflichten oder<br />
von einem Indiz für eine mangelnde Sachkunde<br />
gemäß § 34d Absatz 5 Nummer 4<br />
GewO ausgeht und einen Widerruf nach<br />
erfolgloser Aufforderung zur Wahrnehmung<br />
von Weiterbildungsverpflichtungen<br />
angeht. Denn die Nichterfüllung gesetzlicher<br />
Pflichten ist ein typischer Grund<br />
für die Annahme von Unzuverlässigkeit 22<br />
durch nicht ordnungs- bzw. rechtmäßige<br />
Gewerbeausübung.<br />
c. Ungeordnete Vermögensverhältnisse<br />
Ungeordnete Vermögensverhältnisse im<br />
Sinne des § 34d Absatz 5 Satz 1 Nummer<br />
2 GewO liegen in der Regel vor, wenn<br />
über das Vermögen des Antragstellers<br />
das Insolvenzverfahren eröffnet worden<br />
oder er in das Schuldnerverzeichnis nach<br />
§ 882b der Zivilprozessordnung eingetragen<br />
ist. Vor dem Hintergrund der hohen<br />
Schutzwürdigkeit der betroffenen Berufsfreiheit<br />
(Artikel 12 GG) ist diese Variante<br />
restriktiv auszulegen. 23 Hintergrund dieser<br />
Widerrufsmöglichkeit ist der Gedanke,<br />
dass Versicherungsmakler in finanzieller<br />
Bedrängnis einen besonders hohen Verkaufsdruck<br />
empfinden könnten, der einen<br />
Anreiz zur übermäßigen Vermittlung von<br />
risikomäßig nicht gebotenen Versicherungsvermittlungen<br />
setzt. 24<br />
Hierbei ist zu berücksichtigen, dass gemäß<br />
§ 12 GewO für die Zeitdauer bestimmter<br />
Maßnahmen innerhalb des Insolvenzverfahrens<br />
in Bezug auf das Gewerbe, für das<br />
der Insolvenzantrag gestellt wurde, diese<br />
Widerrufsmöglichkeit keine Anwendung<br />
findet. Hintergrund ist der Gedanke, dass<br />
es im Gläubiger- und Schuldnerinteresse<br />
liegt, die Fortführung des Betriebs zur<br />
Erwirtschaftung von Mitteln zur Schuldenrückzahlung<br />
zu ermöglichen. Das<br />
führt zu dem Ergebnis, dass ein eröffnetes<br />
Insolvenzverfahren über den laufenden<br />
Betrieb eines Versicherungsmaklers keinen<br />
Widerruf zulässt, sondern nur ein Insolvenzverfahren<br />
über einen anderen Betrieb.<br />
Wie bei dem Widerrufsgrund der Straftaten<br />
formuliert § 34d Absatz 5 Satz 1<br />
Nummer 2 GewO ein Regelbeispiel. Trotz<br />
Vorliegen der Voraussetzungen kann<br />
deshalb wiederum in atypischen Fällen ein<br />
Widerrufsgrund abgelehnt werden. 25<br />
In der <strong>Recht</strong>sprechung uneinheitlich<br />
bewertet wird die Phase der Rest-<br />
Sonderausgabe<br />
17
<strong>Recht</strong><br />
schuldbefreiung. Das VG Münster<br />
ließ insoweit die Restschuldbefreiung<br />
angesichts noch nicht abgelaufener<br />
Wohlverhaltensfrist nicht ausreichen<br />
und argumentiert, erst mit Abschluss der<br />
sechsjährigen Wohlverhaltensphase könne<br />
von einer neuerlichen Zuverlässigkeit<br />
ausgegangen werden. 26 Überzeugender<br />
erscheint es, mit dem die Entscheidung<br />
des VG Münster aufhebenden OVG<br />
Münster davon auszugehen, dass die angekündigte<br />
Restschuldbefreiung ausreicht:<br />
Denn damit soll gerade dem Schuldner<br />
nach Abschluss des Insolvenzverfahrens<br />
der Eintritt ins Wirtschaftsleben erleichtert<br />
werden. Ein Zustand geordneter<br />
wirtschaftlicher Verhältnisse ist bereits<br />
mit der Ankündigung der Restschuldbefreiung<br />
erreicht, 27 denn die abstrakte<br />
Möglichkeit der Schuldbefreiung durch<br />
das Insolvenzverfahren verdichtet sich<br />
hier bereits zu einer konkreten Aussicht. 28<br />
Ein zusätzliches Argument bietet hierzu<br />
Artikel 4 Absatz 2 und Absatz 1 der<br />
Richtlinie 2002/92/EG vom 9. Dezember<br />
2002 über Versicherungsvermittlung, der<br />
durch § 34d GewO umgesetzt wurde.<br />
Demnach sollen Versicherungsvermittler<br />
nie in Konkurs gegangen sein, es sei denn,<br />
sie sind gemäß nationalem <strong>Recht</strong> rehabilitiert<br />
worden. 29 Bei Eintragungen in das<br />
Schuldnerverzeichnis werden wegen der<br />
restriktiven Auslegung hohe Maßstäbe<br />
angelegt. Das VG Berlin ließ acht Eintragungen<br />
zwar ausreichen zur Annahme der<br />
ungeordneten Vermögensverhältnisse, zog<br />
aber ergänzend zusätzliche Umstände heran.<br />
30 Das VG Münster hat sich bei sieben<br />
Eintragungen 31 ausführlich mit möglichen<br />
Umständen der Atypik auseinandergesetzt.<br />
Obwohl im genannten Verfahren vor dem<br />
VG Münster der Versicherungsmakler<br />
einige seiner Schulden bei beachtlichen<br />
Umsätzen tilgte, reichte das nicht zur Wiederlegung<br />
des Regelfalls. 32 Hierbei war für<br />
das Gericht vor allem relevant, dass die<br />
Tilgung jeweils durch den Gerichtsvollzieher<br />
– also unfreiwillig – erfolgte, die<br />
einzelnen Zahlungen nicht genau aufgelistet<br />
werden konnten 33 und dass kein<br />
Tilgungsplan inklusive Aufstellung der<br />
Verpflichtungen mit Angabe der Gläubiger,<br />
ihrer Höhe und wie weit sie noch<br />
durch entsprechende Unterlagen belegt<br />
werden konnte, vorlag 34 Das zeigt, dass<br />
bei einer sorgfältigeren Planung der Schuldentilgung<br />
ein Widerruf durchaus hätte<br />
abgewendet werden können. Für Versicherungsmakler<br />
lässt sich daraus lernen:<br />
Auch bei Eintragungen in das Schuldner-<br />
verzeichnis kann ein Widerruf vermieden<br />
werden, wenn ausreichende Umsätze und<br />
ein nachweisbarer Plan zur Begleichung<br />
der Schulden vorliegen! Das VG Münster<br />
fasst das so zusammen und gibt dem aufmerksamen<br />
Leser damit gleich Tipps zum<br />
richtigen Vorgehen:<br />
„Aufgrund der vorstehend dargestellten<br />
Umstände kann danach weder die Glaubhaftmachung<br />
eines geordneten Verfahrens<br />
noch eines detaillierten Sanierungskonzeptes<br />
angenommen werden, aus dem<br />
ersichtlich würde, dass der Antragsteller<br />
planvoll, nachhaltig und zielgerichtet<br />
die Ablösung seiner Verbindlichkeiten<br />
betreibt. Überdies fehlt es an jeder Art<br />
von Belegen und Unterlagen, die eine<br />
solche Vorgehensweise zur Herstellung im<br />
übrigen geordneter Vermögensverhältnisse<br />
ausweisen.“ 35<br />
d. Gefährdung des öffentlichen Interesses<br />
Die Gefährdung des öffentlichen Interesses<br />
wurde von den entscheidenden<br />
Gerichten jeweils als durch das Vorliegen<br />
der sonstigen Voraussetzungen oder den<br />
Schutz von Verbrauchern vor unzuverlässigen<br />
Versicherungsmaklern 36 indiziert 37<br />
angesehen.<br />
3. ERMESSEN UND VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT<br />
Da § 49 Absatz 2 VwVfG durch die<br />
Formulierung „kann“ der handelnden<br />
Behörde Ermessen einräumt, kann jeder<br />
Widerruf auf Ermessensfehler überprüft<br />
werden. Hierbei lohnt sich vor allem<br />
ein Blick auf eine mögliche Ermessensüberschreitung<br />
durch Verstoß gegen das<br />
Verhältnismäßigkeitsprinzip. Demnach<br />
muss jede Eingriffsmaßnahme einen legitimen<br />
Zweck verfolgen, zu dessen Erreichung<br />
geeignet, erforderlich (keine gleich<br />
wirksame, mildere Maßnahme ersichtlich)<br />
und angemessen sein. Regelmäßig wird<br />
das keine Ansatzpunkte für ein Vorgehen<br />
bieten, da nach der <strong>Recht</strong>sprechung<br />
der Gesetzgeber den mit dem Widerruf<br />
verbundenen Existenzverlust gleichsam<br />
als notwendige Folge der Widerrufsvoraussetzungen<br />
zum Schutz von Verbraucherinteressen<br />
38 indiziert. 39 Im Regelfall<br />
wird daher bei Vorliegen der anderen<br />
Voraussetzungen von besonderen Härten<br />
auszugehen sein. Mögliche Ansatzpunkte<br />
für besondere Härten können etwa sein:<br />
• hohe Zahl von Arbeitnehmern, die am<br />
Betrieb hängen<br />
• lange Dauer der vorherigen beanstandungsfreien<br />
Betriebsausübung, inklusive<br />
großer Investitionen.<br />
4. FAZIT<br />
Festzuhalten bleibt: An den Versicherungsmakler<br />
werden strenge Anforderungen<br />
gestellt. Mit der Verübung von<br />
Straftaten, der Nichteinhaltung von<br />
gesetzlichen Pflichten wie der zur Weiterbildung<br />
oder bei der Eingehung hoher<br />
wirtschaftlicher Risiken begeben sich<br />
Versicherungsmakler in einen gefährlichen<br />
Bereich, da sie neben allen anderen<br />
drohenden Nachteilen straf- und ordnungsrechtlicher<br />
Art auch ihre berufliche<br />
Existenz und die künftigen Bestandseinnahmen<br />
riskieren. Jeder Widerruf<br />
muss allerdings gewisse Hürden nehmen,<br />
bei denen den Behörden durchaus auch<br />
<strong>Recht</strong>sfehler unterlaufen können. Angesichts<br />
des drohenden Existenzverlustes<br />
lohnt sich die gerichtliche Überprüfung<br />
mit anwaltlicher Unterstützung abgesehen<br />
von völlig klaren Fällen 40 deshalb fast<br />
immer – vor allem wenn die Entscheidung<br />
sofort vollzogen werden soll, denn dann<br />
liegen die Hürden für ein behördliches Tätigwerden<br />
angesichts des wirtschaftlichen<br />
Existenzverlustes besonders hoch. 41 <br />
1<br />
VG Augsburg ab, Urteil v. 11.04.2013 (Au 5 K 12.1479), Rn. 40.<br />
2<br />
Siehe etwa Michaelis/Schönfelder, ZfV 2020, S. 335 f.<br />
3<br />
Die deutlich weitreichenderen Voraussetzungen zur Rücknahme einer<br />
ursprünglich rechtswidrig erteilten Erlaubnis werden in diesem Beitrag nicht<br />
erörtert.<br />
4<br />
Andere Widerrufsmöglichkeiten enthält § 49 VwVfG auch, u. a. zu nennen<br />
ist der Verstoß gegen Auflagen, die mit der Erlaubnis verbunden sind. Der<br />
hiesige Beitrag wird die wichtigsten Fallkonstellationen beschreiben. Die im<br />
Beitrag analysierte Ermächtigungsgrundlage §§ 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG iVm 34d<br />
Abs. 5 GewO war Grundlage der Entscheidungen VG Berlin v. 16.09.2016 VG<br />
4 K 466.15, VG Augsburg v. 11.04.2013 AN 4 K 12.1479, VG Ansbach, Urteil v.<br />
21.10.2014 (AN 4 K 14.00288), VG Augsburg, Urteil v. 01.03.2012 (Au 5 K 11.774).<br />
5<br />
BVerwGE 65, 1 = NVwZ 1982, 503; st. Rspr., die in der Literatur allgemein<br />
Anerkennung gefunden hat.<br />
6<br />
VG Augsburg, Urteil v. 11.04.2013 (Au 5 K 12.1479), Rn. 30.<br />
7<br />
VG Münster, Beschluss v. 05.06.2009 (9 L 242/09), Rn. 24.<br />
8<br />
VG Münster, Beschluss v. 05.06.2009 (9 L 242/09), Rn. 24.<br />
9<br />
VG Ansbach, Urteil v. 21.10.2014 (AN 4 K 14.00288), Rn. 25.<br />
10<br />
OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 19.08.2010 (1 M 73/10), Rn. 11 f.<br />
11<br />
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 19.11.2013 (1 M 116/13), Rn. 5.<br />
12<br />
VG Ansbach, Urteil v. 21.10.2014 (AN 4 K 14.00288), Rn. 24.<br />
13<br />
VG Ansbach, Urteil v. 21.10.2014 (AN 4 K 14.00288), Rn. 24, angedeutet vom<br />
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 19.11.2013 (1 M 116/13), Rn. 7.<br />
14<br />
Darauf stellt etwa das VG Augsburg ab, Urteil v. 11.04.2013 (Au 5 K 12.1479),<br />
Rn. 31, 33; VG Augsburg, Urteil v. 01.03.2012 (Au 5 K 11.774), Rn. 39, 42;<br />
relativierend aber implizit OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 19.08.2010 (1<br />
M 73/10), Rn. 10 f.<br />
15<br />
VG Augsburg, Urteil v. 01.03.2012 (Au 5 K 11.774), Rn. 42.<br />
16<br />
Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 19.08.2010 (1 M 73/10), Rn. 10.<br />
17<br />
VG Augsburg ab, Urteil v. 11.04.2013 (Au 5 K 12.1479), Rn. 34.<br />
18<br />
VG Augsburg ab, Urteil v. 11.04.2013 (Au 5 K 12.1479), Rn. 34.<br />
19<br />
VG Augsburg ab, Urteil v. 11.04.2013 (Au 5 K 12.1479), Rn. 32.<br />
20<br />
VG Augsburg ab, Urteil v. 11.04.2013 (Au 5 K 12.1479), Rn. 34 a. E.<br />
21<br />
Emde, ZVertriebsR 2018, 292 (299).<br />
22<br />
Siehe Definition BVerwG. Fn 5.<br />
23<br />
VG Berlin, Urteil v. 16.09.2016 (VG 4 K 466.15), Rn. 18 mwN.<br />
24<br />
VG Berlin, Urteil v. 16.09.2016 (VG 4 K 466.15), Rn. 20.<br />
25<br />
Vgl. VG Berlin, Urteil v. 16.09.2016 (VG 4 K 466.15), Rn. 19.<br />
26<br />
VG Münster, Urteil v. 14.04.2010 (9 K 320/09), Rn. 23.<br />
27<br />
OVG Münster, Urteil v. 08.12.2011 (4 A 1115/10), Rn. 51.<br />
28<br />
OVG Münster, Urteil v. 08.12.2011 (4 A 1115/10), Rn. 55.<br />
29<br />
VG Berlin, Urteil v. 16.09.2016 (VG 4 K 466.15), Rn. 20.<br />
30<br />
VG Berlin, Urteil v. 16.09.2016 (VG 4 K 466.15), Rn. 18.<br />
31<br />
VG Münster, Beschluss v. 05.06.2009 (9 L 242/09), Rn. 12 ff.<br />
32<br />
VG Münster, Beschluss v. 05.06.2009 (9 L 242/09), Rn. 22.<br />
33<br />
VG Münster, Beschluss v. 05.06.2009 (9 L 242/09), Rn. 20.<br />
34<br />
VG Münster, Beschluss v. 05.06.2009 (9 L 242/09), Rn. 20.<br />
35<br />
VG Münster, Beschluss v. 05.06.2009 (9 L 242/09), Rn. 21; ähnlich OVG<br />
Münster, Urteil v. 08.12.2011 (4 A 1115/10), Rn. 61.<br />
36<br />
VG Berlin, Urteil v. 16.09.2016 (VG 4 K 466.15), Rn. 22; VG Augsburg ab, Urteil<br />
v. 11.04.2013 (Au 5 K 12.1479), Rn. 37.<br />
37<br />
VG Ansbach, Urteil v. 21.10.2014 (AN 4 K 14.00288), Rn. 28; OVG Sachsen-<br />
Anhalt, Beschluss v. 19.11.2013 (1 M 116/13), Rn. 9.<br />
38<br />
VG Ansbach, Urteil v. 21.10.2014 (AN 4 K 14.00288), Rn. 30.<br />
39<br />
VG Augsburg ab, Urteil v. 11.04.2013 (Au 5 K 12.1479), Rn. 40; OVG Sachsen-<br />
Anhalt, Beschluss v. 19.11.2013 (1 M 116/13), Rn. 10.<br />
40<br />
Ein solcher lag etwa angesichts der Verurteilung wegen Untreue in 61 Fällen<br />
in VG Augsburg, Urteil v. 01.03.2012 (Au 5 K 11.774), ganz eindeutig vor.<br />
41<br />
BayVGH, Beschluss v. 10.11.2011 (22 CS 11.1928), Rn. 16.<br />
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<strong>Recht</strong><br />
Variable Vergütung im Arbeitsrecht<br />
– TEXT: RA DR. JAN FREITAG, FACHANWALT FÜR ARBEITSRECHT –<br />
Im Vertrieb von Finanzdienstleistungsprodukten<br />
spielt, wie im Vertrieb jeder<br />
Branche, das Thema variable Vergütung<br />
eine große Rolle. Vertriebsmitarbeiter<br />
sollen motiviert werden, möglichst<br />
erfolgreich die Produkte, zum Beispiel<br />
die Finanzdienstleistungsprodukte des<br />
Arbeitgebers, zu verkaufen oder diese für<br />
ihn zu vermitteln.<br />
Eine übliche Vorgehensweise von Arbeitgebern<br />
ist dabei die Gewährung variabler<br />
Vergütung. Neben einem arbeitsrechtlich<br />
notwendigen Grundgehalt (Untergrenze:<br />
Mindestlohngesetz) soll und darf ein<br />
Mitarbeiter darüber motiviert werden,<br />
von erfolgreichen Vertriebsleistungen<br />
finanziell zu profitieren. Arbeitsrechtliche<br />
Instrumente sind die Vereinbarungen von<br />
Provisionen bzw. Provisionsvorschüssen,<br />
generell oder für einen bestimmten<br />
Zeitraum.<br />
In der Ausgestaltung gibt es Modelle, die<br />
zum Beispiel bei Stornierungen Rückforderungsmöglichkeiten<br />
der Provisionen<br />
zulasten des Arbeitnehmers vorsehen.<br />
Eine andere Variante der variablen Vergütung<br />
ist die arbeitsvertragliche Einigung<br />
auf eine Zielvereinbarung zwischen<br />
Arbeitgeber und Arbeitnehmer.<br />
Dieser Artikel ist sowohl für Arbeitgeber,<br />
die solche Regelungen in Arbeitsverträgen<br />
gestalten möchten, als auch für Arbeitnehmer,<br />
die prüfen möchten, ob ihre Regelungen<br />
im bestehenden Arbeitsvertrag<br />
tatsächlich wirksam sind, interessant. Es<br />
gab in den letzten Jahren und gibt auch<br />
aktuell Entwicklungen in der Arbeitsrechtsrechtsprechung:<br />
I. PROVISIONEN<br />
Der Unterzeichner hat im Jahr 2015 unter<br />
dem Aktenzeichen BAG 10 AZR 84/14<br />
ein höchstrichterliches Urteil des Bundesarbeitsgerichts<br />
(BAG) in Erfurt erwirkt,<br />
welches im Kern in zwei wichtigen Punkten<br />
Vorgaben für die arbeitsvertragliche<br />
Gestaltung von Klauseln im Bereich von<br />
Provisionsvereinbarungen festlegt.<br />
Das BAG hat die Auffassung vertreten,<br />
dass ein Arbeitgeber bei einer Rückforderung<br />
von Vergütung vom Arbeitnehmer<br />
auch darlegen und beweisen müsse, wie<br />
er konkret die Provisions- und Stornohaftungsbedingungen<br />
dem Arbeitnehmer<br />
nähergebracht habe. Die Vorlage und<br />
Kenntnisnahme (inklusive Einverständnis)<br />
der Provisions- und Stornohaftungsbedingungen<br />
durch den Arbeitnehmer seien<br />
danach für das BAG Teil der geforderten<br />
Transparenz, wenn der Arbeitgeber<br />
Provisionsvergütung in Form von an den<br />
Arbeitnehmer ausgezahlten Provisionsvorschüssen<br />
vom Arbeitnehmer zurückerlangen<br />
möchte. Es sind die §§ 305 ff.<br />
BGB („AGB-<strong>Recht</strong>“), mit denen das BAG<br />
rechtlich argumentiert.<br />
Das BAG hat außerdem sehr hohe<br />
Schlüssigkeitsanforderungen für Arbeitgeber,<br />
die Provisionen vom Arbeitnehmer<br />
zurückfordern, aufgestellt. Jene werden<br />
als deutliche Erhöhung der Bearbeitungsund<br />
Dokumentationslast für Arbeitgeber<br />
bei Stornierungen von vom Arbeitnehmer<br />
vermittelten Produkten interpretiert.<br />
Der Arbeitgeber darf sich zwar grundsätzlich<br />
über Stornoreservekonten absichern.<br />
Er darf aber nicht mit dem Arbeitnehmer<br />
vereinbaren, dass dieser über die Provision<br />
erst dann verfügen dürfe, wenn sich<br />
kein Vertrag mit einem Kunden mehr in<br />
der Stornohaftungszeit befinde und auch<br />
sonst keine Rückforderungsansprüche des<br />
Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer<br />
bestünden. Spätestens nach Ablauf<br />
der jeweils vereinbarten Stornohaftungszeit<br />
eines vom Arbeitnehmer vermittelten<br />
Vertrages ist die vom Arbeitgeber<br />
einbehaltene Stornoreserve für diesen<br />
Vertrag an den Arbeitnehmer auszukehren.<br />
Anderslautende Klauseln in Arbeitsverträgen<br />
machten die Vereinbarung einer<br />
Stornoreserve unwirksam.<br />
Möchte der Arbeitgeber nach Stornierungen<br />
von vom Arbeitnehmer vermittelten<br />
Verträgen oder (Finanz-)Produkten<br />
die an den Arbeitnehmer (vorschüssig)<br />
ausgezahlte Provision (Arbeitsvergütung)<br />
zurückerhalten, muss er dies im Arbeitsvertrag<br />
präzise regeln.<br />
Für den Arbeitnehmer bedeutet dies, dass<br />
er spätestens im Streitfall kritisch schauen<br />
sollen, ob seine Regelungen im Arbeitsvertrag<br />
zu den Provisionen bzw. zu Rückforderungen<br />
von Provisionen überhaupt<br />
wirksam sind. Dabei geht es häufig um<br />
einen erheblichen Teil des Gehalts.<br />
In der Praxis wird in der Arbeitsvertragsgestaltung<br />
in diesem Zusammenhang<br />
vorgeschlagen, Provisionen in Arbeitsverträgen<br />
nicht mehr generell, sondern nur<br />
mit kurzen Laufzeiten (zum Beispiel Jahr<br />
für Jahr) zu vereinbaren. Dies ist jedenfalls<br />
für den Arbeitgeber flexibler.<br />
In der Praxis beliebt sind in der Arbeitsvertragsgestaltung<br />
auch sogenannte Verfallklauseln,<br />
bei denen man allerdings eine<br />
Gesetzesänderung aus dem Jahr 2016 in<br />
der Vertragsformulierung zu beachten hat.<br />
Verfallklauseln sollen <strong>Recht</strong>sstreitigkeiten<br />
vermeiden, indem sie Ansprüche aus dem<br />
Arbeitsverhältnis schon frühestens nach<br />
drei Monaten arbeitsvertraglich verfallen<br />
lassen.<br />
II. ZIELVEREINBARUNGEN<br />
Eine andere übliche Variante, Vertriebsmitarbeiter<br />
zu motivieren, ist, Zielvereinbarungen<br />
zu formulieren. Viele Arbeitsverträge<br />
sehen die jährliche Einigung auf<br />
Zielvereinbarungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien<br />
vor, nennen häufig sogar<br />
Vergütungshöhen, die mit den Zielvereinbarungen<br />
(mindestens) zu erreichen seien.<br />
Hinter dem Begriff Zielvereinbarung<br />
steckt allerdings die Problematik, dass<br />
sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer in<br />
jedem Jahr einigen müssen, damit eine<br />
Regelung zustande kommt.<br />
20 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
Es ist dabei erst einmal der Arbeitgeber,<br />
der im Rahmen seiner Vertriebsziele Zielvereinbarungen<br />
vorschlagen darf. Wenn<br />
es arbeitsvertraglich vereinbart ist, muss<br />
er dies aber auch. In der Ausgestaltung ist<br />
der Arbeitgeber im Grundsatz frei. Es dürfen<br />
aber keine willkürlichen, den Arbeitnehmer<br />
etwa erheblich benachteiligenden<br />
Zielvereinbarungen vom Arbeitgeber<br />
vorgeschlagen werden. Es muss für den<br />
Arbeitnehmer möglich sein, die üblichen<br />
variablen Vergütungsbestandteile über die<br />
(arbeitsvertraglich vereinbarte) Zielvereinbarung<br />
zu erreichen.<br />
Was ist aber, wenn sich Arbeitgeber und<br />
Arbeitnehmer nicht einigen können?<br />
Was muss der Arbeitgeber, was muss der<br />
Arbeitnehmer arbeitsvertraglich leisten,<br />
damit eine Zielvereinbarung zustande<br />
kommt?<br />
Kann der Arbeitnehmer Schadensersatz<br />
verlangen, wenn eine Zielvereinbarung<br />
nicht zustande gekommen ist?<br />
Das Arbeitsgericht Köln hat sich in einem<br />
aktuellen, vom Unterzeichner erwirkten<br />
Urteil vom 03.05.2018 unter dem Aktenzeichen<br />
5 Ca 8594/17 mit dieser Frage<br />
beschäftigt. Das Arbeitsgericht hat in der<br />
mittlerweile rechtskräftigen Entscheidung<br />
einen hilfreichen Überblick über die BAG-<br />
<strong>Recht</strong>sprechung in diesem Themenfeld<br />
vorgelegt. Es hat dabei Schadensersatz bei<br />
nicht geschlossenen Zielvereinbarungen<br />
nach Ablauf der Zielperiode gemäß § 280<br />
Absatz 1 und Absatz 3 BGB in Verbindung<br />
mit den §§ 283 Satz 1, 252 BGB<br />
für grundsätzlich möglich gehalten (zum<br />
Beispiel BAG vom 12.12.2007 und vom<br />
10.12.2008, 10 AZR 97/07, 10 AZR<br />
889/07).<br />
Der Arbeitgeber habe, wenn im Arbeitsvertrag<br />
Zielvereinbarungen vorgesehen<br />
sind, die Pflicht, ein Gespräch mit dem<br />
Arbeitnehmer über eine Zielvereinbarung<br />
anzuberaumen und ein Angebot vorzulegen,<br />
„Verhandlungspflicht des Arbeitgebers“<br />
(BAG vom 12.05.2010, 10 AZR<br />
390/09).<br />
Die Pflicht des Arbeitnehmers ist es wiederum,<br />
auf diese Angebote zu reagieren.<br />
Wenn der Arbeitnehmer nicht reagiert,<br />
also zum Beispiel keine eigenen Angebote<br />
vorgelegt hat oder nicht offenbart,<br />
weshalb er die Angebote des Arbeitgebers<br />
nicht für annahmefähig hält, kann er den<br />
Arbeitgeber nicht in Verzug setzen. Ein<br />
solches Verhalten sei widersprüchlich und<br />
verstoße gegen den Grundsatz von Treu<br />
und Glauben. Denn der Arbeitgeber muss<br />
lediglich alles aus seiner Sicht Notwendige<br />
in die Wege geleitet haben, um eine Zielvereinbarung<br />
zu erreichen (BAG, ArbG<br />
Köln, a. a. O.).<br />
In diesem Spannungsfeld bewegen sich<br />
die wechselseitigen Verpflichtungen bei<br />
Zielvereinbarungen zwischen Arbeitgeber<br />
und Arbeitnehmer.<br />
Wenn Zielvereinbarungen in einem Arbeitsvertrag<br />
vorgesehen sind, muss mithin<br />
sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer<br />
sehr gründlich die rechtlichen<br />
Schritte abwägen.<br />
Durch die Vermeidung einer arbeitsvertraglichen<br />
Pflicht zur Verhandlung einer<br />
Zielvereinbarung kann jedoch insbesondere<br />
der Arbeitgeber in diesem Punkt<br />
flexibler werden. Auch bei Zielvereinbarungen<br />
könnte der Arbeitgeber es arbeitsvertraglich<br />
so gestalten, dass er Jahr für<br />
Jahr „nur“ freiwillig dem Arbeitnehmer<br />
Angebote für Zielvereinbarungen vorlegt.<br />
Und auch bei Zielvereinbarungen spielt<br />
das Thema Verfallklausel (siehe oben)<br />
eine große Rolle.<br />
III. FAZIT<br />
Variable Vergütung ist ein sehr wichtiges<br />
arbeitsvertragliches Instrument im<br />
Vertrieb, auch und besonders im Finanzvertrieb.<br />
Es kann sowohl für den Arbeitgeber<br />
als auch für den Arbeitnehmer um<br />
erhebliche Beträge gehen.<br />
Eine gründliche, möglichst arbeitsrechtlich<br />
geprüfte arbeitsvertragliche<br />
Vereinbarung über variable Vergütung<br />
(Provisionen, Umgang mit Stornierungen,<br />
Zielvereinbarungen etc.) sollte daher für<br />
jedes Unternehmen und für jeden Arbeitnehmer<br />
eine Selbstverständlichkeit sein. <br />
Sonderausgabe<br />
21
<strong>Recht</strong><br />
Konkrete Handlungsempfehlungen zur<br />
Off-VO (»Nachhaltigkeits-VO«) und die Fragen<br />
zur Vermeidung der Maklerhaftung<br />
bei Versicherungsanlageprodukten<br />
– TEXT: RA OLIVER TIMMERMANN UND STEPHAN MICHAELIS, LL. M., FACHANWALT FÜR VERSICHERUNGSRECHT –<br />
Im folgenden Beitrag geben wir eine<br />
klare Handlungsorientierung bezüglich<br />
der derzeit bekannten Einzelheiten zu der<br />
Off-VO 1 . Unter<br />
1. wird auf den regulativen Gesamtzusammenhang<br />
der supranationalen Vorschriften<br />
eingegangen, unter<br />
2. die Vorgaben der Normen genannt und<br />
unter<br />
3. derzeit mögliche Handlungsempfehlungen<br />
gegeben.<br />
ZU 1. REGELUNGSKONTEXT –<br />
SINNZUSAMMENHANG<br />
Im Laufe der vergangenen zwei Jahrhunderte<br />
hat sich uns in Europa ein Bild von<br />
Privatrecht eingeprägt, das gekennzeichnet<br />
ist durch die Staatlichkeit der Normen,<br />
durch die Existenz grundsätzlich nur<br />
einer Regelungsebene, der Vorstellung,<br />
dass sich das Privatrecht vom öffentlichen<br />
<strong>Recht</strong> als eigenständiger Bereich abtrennen<br />
lässt und dass es sich dabei um ein<br />
nach innerer Widerspruchsfreiheit strebendes<br />
System handelt, das bestimmten<br />
methodischen Prinzipien folgt.<br />
Durch die europäische Integration sieht<br />
sich dieses Bild von Privatrecht in zunehmendem<br />
Maße infrage gestellt. Dabei<br />
Jüngst ist ein weiterer Grund hinzugekommen,<br />
nämlich die unvollständige<br />
individuelle Rationalität. Die ersten drei<br />
genannten Gründe beziehen sich auf die<br />
gesellschaftliche Interaktion von Individuen.<br />
Ausgrenzungen führen beispielsweise<br />
zu einer ineffizienten Allokation<br />
von Ressourcen, aber fast immer auch zu<br />
einem Konflikt zwischen Verursacher und<br />
Betroffenen. In einer Welt mit positiven<br />
Transaktionskosten, in der beide Parteien<br />
diesen Konflikt nicht ohne Weiteres unter<br />
sich lösen können, kann der staatliche<br />
Eingriff effizient sein.<br />
Ähnliches gilt für die Umverteilung von<br />
Einkommen, die Individuen aufgrund<br />
ihrer divergierenden Interessen naturgemäß<br />
kaum dezentral und freiwillig regeln<br />
können, sowie für die konjunkturelle<br />
Stabilisierung, welche die Funktionsbedingungen<br />
der Marktwirtschaft insgesamt<br />
verbessern soll und insoweit ein öffentliches<br />
Gut darstellt.<br />
Anders sieht es beim vierten Grund aus.<br />
Hier geht es, zumindest vordergründig,<br />
darum, individuelle Entscheidungsdefizite<br />
auf der Ebene des einzelnen Entscheidungsträgers<br />
so zu korrigieren, dass das<br />
Ergebnis für ihn selbst besser ist.<br />
Die <strong>Recht</strong>fertigung für eine Intervention<br />
liegt also gerade nicht in Konflikten<br />
zwischen Individuen oder in über-indistanden<br />
die Entwicklungen zunächst im<br />
Schlaglicht sogenannter „edukatorischer<br />
Gesetzgebung“. 2 Von edukatorischem<br />
Charakter im weiteren Sinne kann gesprochen<br />
werden, sobald eine Regelung ihrer<br />
Intention nach zur Einübung bestimmter,<br />
vom Gesetzgeber als erwünscht betrachteter<br />
Verhaltensweisen führt. 3 Einer explizit<br />
– etwa in der Gesetzesbegründung – vom<br />
Gesetzgeber formulierten Regelungsintention<br />
wird man es gleichstellen müssen,<br />
wenn der verhaltenssteuernde Effekt<br />
faktisch bewirkt wird und sich bruchlos<br />
in den objektiv verstandenen Regelungszweck<br />
einer Norm einfügt.<br />
Von edukatorischem Charakter im<br />
engeren Sinne kann gesprochen werden,<br />
wenn <strong>Recht</strong>snormen auf die Herbeiführung<br />
eines Bewusstseinswandels hinwirken.<br />
Vereinfacht ausgedrückt: Wenn sie<br />
bewirken sollen, dass der Normadressat<br />
ein bestimmtes Verhalten nicht nur zur<br />
Herbeiführung vorteilhafter und zur Vermeidung<br />
nachteilhafter <strong>Recht</strong>sfolgen übt,<br />
sondern deswegen, weil er es als „richtiges“<br />
Verhalten verinnerlicht hat. 4<br />
Hierher gehört nun unseres Erachtens<br />
durchaus die sogenannte paternalistische<br />
Privatrechtsgesetzgebung. Diese basiert<br />
ebenfalls auf der verhaltenstheoretischen<br />
Grundlage.<br />
Die ökonomische Theorie kannte in ihrer<br />
neoklassischen Ausprägung traditionell<br />
drei Gründe, die ein staatliches Eingreifen<br />
in den Marktprozess rechtfertigen:<br />
• eine Verbesserung der Allokation von<br />
Ressourcen<br />
• eine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen<br />
Wohlfahrt durch Umverteilung von<br />
Einkommen und Vermögen<br />
• makroökonomische Stabilisierung. 5<br />
22 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
viduellen, gesellschaftlichen Wohlfahrtskriterien<br />
und unterscheidet sich damit<br />
wesentlich von den bisher regelmäßig<br />
herangezogenen Argumenten für korrigierende<br />
Eingriffe in die dezentralen Entscheidungen<br />
von Marktteilnehmern. Es<br />
geht hier tatsächlich um paternalistische<br />
Eingriffe, also um solche, bei denen der<br />
Eingreifende mit Sicherheit oder zumindest<br />
hoher Wahrscheinlichkeit davon<br />
ausgeht, angeblich besser als Betroffene<br />
zu wissen, welches Verhalten in dessen<br />
eigenem Interesse wäre.<br />
Warum erlauben der Staat und die supranationale<br />
Einrichtung EU sich nun diese<br />
Anmaßung? Moderne demokratische<br />
Verfassungsstaaten sind vom Leitbild des<br />
normativen Individualismus bestimmt:<br />
Der Einzelne ist frei, seinen Neigungen<br />
und Interessen zu folgen. Staatliche<br />
Behinderungen dieser Freiheit müssen<br />
gerechtfertigt werden. Eine solche <strong>Recht</strong>fertigung<br />
gelingt relativ unproblematisch<br />
nach dem „no harm“-Prinzip: Die eigene<br />
Freiheitsausübung darf <strong>Recht</strong>e Dritter<br />
nicht verletzten.<br />
Staatlicher Paternalismus, der Schutz eines<br />
Dritten vor sich selbst, lässt sich hingegen<br />
aus Sicht des normativen Individualismus<br />
nur unter sehr eingeschränkten<br />
Bedingungen begründen. Für John Stuart<br />
Mill, den Ahnherrn des Utilitarismus,<br />
war klar, dass Kinder und Geisteskranke<br />
vor sich selbst geschützt werden müssen.<br />
Gegenüber dem vernunftbegabten<br />
Normalbürger hingegen sollten allenfalls<br />
retardierende Interventionen gestattet<br />
werden, um Informationsmängel auszugleichen.<br />
Genau an dieser Stelle setzen<br />
Befürworter des modernen Paternalismus<br />
ein: Auch das Handeln der sogenannten<br />
„Normal-Bürger“ folgt oft nicht der<br />
pareto-Rationalität, sondern muss unter<br />
den Bedingungen begrenzter Rationalität<br />
entscheiden. 7 Wir handelten eben oft<br />
nicht vernünftig, sondern im Grunde wie<br />
Kleinkinder; dies auch im Wirtschaftsleben.<br />
Mag diese Beobachtung der Verhaltensökonomik<br />
wohl richtig sein, doch<br />
genügt sie auch, um die Grundannahmen<br />
des normativen Individualismus auszuhebeln?<br />
8<br />
Ist es aus Sicht einer normativen politischen<br />
Theorie sinnvoll, unter Rückgriff<br />
auf die Einsichten der „Behavioural Economics“<br />
die Interventionsgründe für den<br />
Staat unbegrenzt auszuweiten? Staatliches<br />
Nudging will menschliches Verhalten<br />
bevormundend steuern. Das gilt es zunächst<br />
einmal festzuhalten. Es muss sich<br />
als paternalistische Intervention deshalb<br />
unseres Erachtens besonders hohen <strong>Recht</strong>fertigungsanforderungen<br />
stellen. 9<br />
Moral wird immer dann aktiviert, wenn<br />
die aktuellen Probleme sich nicht mehr im<br />
Rahmen herkömmlicher rechtlicher und<br />
sozialer Muster lösen lassen. Im Hintergrund<br />
dieses nun anrollenden Regulierungs-Instrumentariums<br />
der EU im Zuge<br />
des „Green Deals“ 10 steht die Erkenntnis,<br />
dass die (inzwischen) überschuldeten<br />
Wohlfahrtsstaaten mit einem bloß weiteren<br />
Aufblähen der Gesetzesproduktion<br />
keine Antwort mehr auf die modernen,<br />
globalen Probleme geben können. 11 Der<br />
erreichte Grad sozialer und wirtschaftlicher<br />
Komplexität schafft eine Netzwerk-<br />
Gesellschaft und verlangt zur Problemlösung<br />
nicht nur nach einem quantitativen,<br />
sondern nach einem qualitativen Anstieg<br />
der Modellbildung und rechtlicher Problemlösung.<br />
ZU 2. NACHHALTIGKEIT<br />
Die beiden Regelwerke stehen künftig bei<br />
der Regulierung der „Nachhaltigkeit“ im<br />
Vordergrund:<br />
• die VO (EU) 2019/2088 über nachhaltigkeitsbezogene<br />
Offenlegungspflichten im<br />
Finanzdienstleistungssektor („Disclosure-<br />
VO“), die auf den Finanzsektor gerichtet<br />
ist und neue Transparenzpflichten<br />
begründet;<br />
• die VO (EU) 2020/852 über die Errichtung<br />
eines Rahmens zur Erleichterung<br />
nachhaltiger Investitionen („Taxonomie-<br />
VO“), die an die Wirtschaftstätigkeit von<br />
Unternehmen anknüpft und fragt, ob<br />
diese ökologisch nachhaltig ist.<br />
Hintergrund der neuen Regeln sind aus<br />
Sicht des EU-Gesetzgebers bestehende Informationsasymmetrien,<br />
die derzeit nach<br />
wie vor verhindern, dass Investoren sich<br />
über die Nachhaltigkeit ihrer Investitionen<br />
hinreichend informieren können.<br />
Es fehle an einer harmonisierten Offenlegung.<br />
Neben der bereits praktizierten<br />
Offenlegung zu finanziellen Risiken sind<br />
daher künftig auch nachhaltigkeitsbezogene<br />
Informationen zu berichten. Damit<br />
sollen Kapitalflüsse verstärkt zu nachhaltigen<br />
Investitionen gelenkt werden. 12<br />
Schon seit einiger Zeit gelten zahlreiche<br />
qualitative Vorgaben zur Nachhaltigkeit.<br />
Im Vordergrund steht dabei die (vollständige)<br />
Erfassung von Nachhaltigkeitsrisiken,<br />
das heißt von Risiken für die Vermögens-,<br />
Finanz- und Ertragslage sowie<br />
Reputation infolge von Umwelt- und gegebenenfalls<br />
sozialen Risiken. Weniger Be-<br />
achtung finden hingegen die tatsächlichen<br />
Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren<br />
(das heißt Umwelt-, Sozialbelange<br />
inklusive Arbeitnehmerbelangen, Achtung<br />
der Menschenrechte und Bekämpfung von<br />
Korruption und Bestechung). So stellt die<br />
Klimaerwärmung zum Beispiel ein Nachhaltigkeitsrisiko<br />
für Investoren in Agrarbetriebe<br />
dar. Die BaFin veröffentlichte<br />
bereits 2019 ein Merkblatt zum Umgang<br />
mit Nachhaltigkeitsrisiken. 13 Es verpflichtet<br />
von der BaFin beaufsichtigte Unternehmen,<br />
Nachhaltigkeitsrisiken umfassend zu<br />
ermitteln und zu bewerten. Im November<br />
2020 erschienen parallel auch die Leitlinien<br />
der EZB zu Klima- und Umweltrisiken,<br />
die auf von der EZB beaufsichtigte,<br />
bedeutende Institute Anwendung finden.<br />
Im Wesentlichen bilden diese Regeln<br />
jedoch weitgehend lediglich die Inhalte<br />
des oben genannten sektorübergreifenden<br />
BaFin-Merkblatts bzw. der EZB-Leitlinien<br />
ab und werden als eigenständige Anforderungen<br />
keine größeren Auswirkungen auf<br />
die Marktpraxis der deutschen Finanzindustrie<br />
mehr haben. 14<br />
a) Nachhaltigkeitsbegriff<br />
Die Disclosure-VO folgt einem weiten<br />
Verständnis des Nachhaltigkeitsbegriffs.<br />
Nachhaltig sind demnach Investitionen in<br />
eine wirtschaftliche Tätigkeit,<br />
• die zur Erreichung eines Umweltziels<br />
(ökologisches Ziel) oder<br />
• die zur Erreichung eines sozialen Ziels<br />
beiträgt (vergleiche Artikel 2 Nummer<br />
17 Disclosure-VO).<br />
Zu unterscheiden ist damit die ökologische<br />
und die soziale Nachhaltigkeit. Der<br />
Begriff der ökologischen (nicht jedoch der<br />
sozialen) Nachhaltigkeit wird in der Taxonomie-VO<br />
weiter konkretisiert. Damit<br />
soll „Greenwashing“, also die Vermarktung<br />
eines Finanzprodukts als umweltfreundlich,<br />
obwohl es grundlegenden Umweltstandards<br />
nicht entspricht, verhindert<br />
werden. Die Taxonomie-VO legt künftig<br />
EU-weit verbindlich fest, ob und inwieweit<br />
eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch<br />
nachhaltig einzustufen ist. Diese<br />
Nachhaltigkeitseinstufung wird dann von<br />
anderen Regelwerken übernommen, etwa<br />
von der Disclosure-VO. Zudem enthalten<br />
die Disclosure- und Taxonomie-VO Mindestanforderungen<br />
unter anderem an die<br />
Unternehmensführung (Governance) und<br />
an soziale Standards.<br />
b) Adressaten<br />
Die Disclosure- und Taxonomie-VO richten<br />
sich an unterschiedliche Adressaten.<br />
Sonderausgabe<br />
23
<strong>Recht</strong><br />
(1) Adressaten der Disclosure-VO<br />
Verpflichtete der Disclosure-VO sind<br />
„Finanzmarktteilnehmer“ (vergleiche<br />
Artikel 2 Nummer 1 Disclosure-VO) und<br />
„Finanzberater“ (vergleiche Artikel 2<br />
Nummer 11 Disclosure-VO) in Bezug auf<br />
sogenannte „Finanzprodukte“ im Sinne<br />
des Artikels 1 Nr. 1, 11 und insbesondere<br />
12 Disclosure-VO. 15<br />
• Finanzberater nach Maßgabe der Disclosure-VO<br />
ist ein Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitut<br />
sowie ein Versicherungsvermittler<br />
und -unternehmen,<br />
„der Versicherungsberatung für IBIP<br />
erbringt“, vergleiche Artikel 2 Nummer<br />
11 Buchstabe a) und b) Disclosure-VO; 16<br />
• Finanzmarktteilnehmer sind Kredit- und<br />
Finanzdienstleistungsinstitute als Finanzportfolioverwalter,<br />
Manager kollektiver<br />
Vermögensanlagen (Fonds), Einrichtungen<br />
der betrieblichen Altersvorsorge<br />
und Hersteller von Altersvorsorgeprodukten<br />
sowie Versicherungsunternehmen<br />
in Bezug auf das Angebot von Versicherungsanlageprodukten<br />
(sogenannten<br />
IBIP).<br />
Damit erhebt die Disclosure-VO nicht<br />
den Anspruch, umfassende Transparenzvorschriften<br />
für alle Finanzprodukte über<br />
alle Vertriebskanäle zu begründen. Erfasst<br />
werden primär Beratungsfälle. Ferner<br />
erfasst die Disclosure-VO für den Versicherungsvermittler<br />
nur die dort genannten<br />
Finanzprodukte der IBIP.<br />
(2) Finanzprodukte<br />
Die Disclosure-VO unterscheidet zwischen<br />
Finanzprodukten, die ein nachhaltiges<br />
Investment anstreben, und solchen,<br />
auf die dies nicht zutrifft.<br />
Artikel 2 Nummer 12 Disclosure-VO<br />
nennt als Finanzprodukte explizit:<br />
• ein Portfolio, das verwaltet wird<br />
• einen alternativen Investmentfonds (AIF)<br />
• ein IBIP<br />
• ein Altersvorsorgeprodukt<br />
• ein Altersversorgungssystem<br />
• einen Organismus für gemeinsame Anlagen<br />
in Wertpapieren (OGAW)<br />
• ein PEPP.<br />
In Artikel 4 Nummer 2 PRIIP-VO – auf<br />
die die Disclosure-VO Bezug nimmt –<br />
werden „Versicherungsanlageprodukte“<br />
als Versicherungsprodukte definiert, die<br />
„einen Fälligkeitswert oder einen Rückkaufwert<br />
bieten, der vollständig oder<br />
teilweise direkt oder indirekt Marktschwankungen<br />
ausgesetzt“ ist. In den<br />
Anwendungsbereich der PRIIP-VO fallen<br />
somit auch LV-Verträge und innerhalb<br />
dieser Sparte vornehmlich die kapital-<br />
bildende LV in ihren unterschiedlichen<br />
Erscheinungsformen. Angesichts der weit<br />
gefassten Definition und des bezweckten<br />
Kleinanlegerschutzes soll es grundsätzlich<br />
keinen Unterschied machen, in welcher<br />
Art und Weise der Versicherer das ihm zur<br />
Verfügung gestellte Kapital anlegt, insbesondere<br />
ob es sich bei dem Vertrag um<br />
eine fondsgebundene oder eine konventionelle<br />
Kapital-LV handelt. 17 Wurden gemäß<br />
Artikel 2 Absatz 2 PRIIP-VO wiederum<br />
bestimmte Versicherungsprodukte vom<br />
Anwendungsbereich ausgenommen, darunter<br />
Altersvorsorgeverträge, sind diese<br />
durch Artikel 2 Nummer 12 Disclosure-<br />
VO wieder aufgenommen.<br />
c) Anzugebende Informationen<br />
Im Detail begründet die Disclosure-VO<br />
folgende Transparenzpflichten:<br />
• Veröffentlichung der Unternehmensstrategie<br />
zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken<br />
– unterschieden werden muss hier<br />
aber nach den Anforderungen, die an<br />
Finanzmarktteilnehmer und an Finanzberater<br />
zu stellen sind. Die Finanzmarktteilnehmer<br />
haben sich zur Einbeziehung von<br />
Nachhaltigkeitsrisiken in Investitionsentscheidungsprozesse<br />
zu äußern (vergleiche<br />
Artikel 3 Absatz 1 Disclosure-VO) und<br />
Finanzberater hierzu im Rahmen ihrer Beratungsdienstleistung<br />
(vergleiche Artikel 3<br />
Absatz 2 Disclosure-VO).<br />
• Veröffentlichung von Informationen<br />
zu den wichtigsten nachteiligen Auswirkungen<br />
auf Nachhaltigkeitsfaktoren. Die<br />
Regelung unterscheidet inhaltlich wieder<br />
zwischen Finanzmarktteilnehmern und<br />
Finanzberatern.<br />
Finanzmarktteilnehmer sind verpflichtet<br />
eine Erklärung „über Strategien zur<br />
Wahrung der Sorgfaltspflicht im Zusammenhang<br />
mit den nachteiligen Auswirkungen<br />
von Investitionsentscheidungen“<br />
im Internet zu veröffentlichen (vergleiche<br />
Artikel 4 Absatz 1 Disclosure-VO). Gegenstand<br />
ist damit die Darlegung interner<br />
Organisations- und Verhaltensvorgaben,<br />
die sicherstellen sollen, dass wichtige,<br />
nachteilige Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren<br />
bei Investitionsprozessen<br />
zutreffend erkannt und bewertet werden.<br />
Finanzmarktteilnehmer müssen dann ihre<br />
Entscheidung jedoch im Internet begründen<br />
und gegebenenfalls mitteilen, ob<br />
und wann erstmals die Berücksichtigung<br />
nachteiliger Auswirkungen geplant ist<br />
(vergleiche Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe<br />
b) Disclosure-VO).<br />
Der Umfang der Offenlegung für Finanzberater<br />
ist dagegen erheblich begrenzter<br />
(vergleiche Artikel 4 Absatz 5 Disclosure-<br />
VO): Insoweit ist lediglich zu veröffentlichen,<br />
„ob“ die wichtigsten nachteiligen<br />
Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren<br />
berücksichtigt werden, und falls dies<br />
nicht der Fall ist, muss eine Begründung<br />
hierzu abgegeben werden.<br />
• Vergütungspolitik – Finanzmarktteilnehmer<br />
und -berater werden durch die<br />
Disclosure-VO verpflichtet zu veröffentlichen,<br />
inwiefern ihre Vergütungspolitik<br />
mit der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken<br />
im Einklang steht (vergleiche<br />
Artikel 5 Disclosure-VO).<br />
• Transparenz auf Produktebene – schließlich<br />
begründet die Disclosure-VO<br />
produktbezogene Transparenzpflichten,<br />
die primär über vorvertragliche<br />
Informationen gegenüber Kunden zu<br />
erfüllen sind. Das konkret einschlägige<br />
vorvertragliche Informationsdokument<br />
wird in der Disclosure-VO nach Art<br />
des Finanzprodukts bzw. der einschlägigen<br />
Finanzdienstleistung konkretisiert<br />
(Artikel 6 Absatz 3 Disclosure-VO). In<br />
vorvertraglichen Informationen sind<br />
gemäß Artikel 6 Disclosure-VO Erläuterungen<br />
zur Art und Weise zu geben,<br />
wie Nachhaltigkeitsrisiken bei Investitionsentscheidungen<br />
(für Finanzmarktteilnehmer)<br />
bzw. wie Nachhaltigkeitsrisiken<br />
bei Anlage- oder Versicherungsberatung<br />
(für Finanzberater) einbezogen werden.<br />
Des Weiteren sind die Ergebnisse der<br />
Bewertung der zu erwartenden Auswirkungen<br />
von Nachhaltigkeitsrisiken auf<br />
die Rendite der Finanzprodukte, die<br />
sie zur Verfügung stellen (für Finanzmarktteilnehmer)<br />
bzw. die Gegenstand<br />
ihrer Beratung sind (für Finanzberater),<br />
anzugeben. Erachten Finanzmarktteilnehmer<br />
und Finanzberater Nachhaltigkeitsrisiken<br />
als nicht relevant, so haben<br />
die Erläuterungen eine klare und knappe<br />
Begründung dafür zu enthalten.<br />
Die Disclosure-VO unterscheidet insoweit<br />
zwischen Nachhaltigkeitsrisiken<br />
und nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen.<br />
• Nachhaltigkeitsrisiken sind ein „Ereignis<br />
oder eine Bedingung im Bereich Umwelt,<br />
Soziales oder Unternehmensführung (…)<br />
dessen bzw. deren Eintreten erhebliche<br />
negative Auswirkungen auf den Wert der<br />
Investition haben könnte“ (vergleiche<br />
ErwG 12, 14 Disclosure-VO).<br />
• Nachteilige Nachhaltigkeitsauswirkungen<br />
stellen hingegen negative Auswirkungen<br />
auf Nachhaltigkeitsfaktoren<br />
selbst dar (das heißt Umwelt-, Sozial-<br />
24 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
und Arbeitnehmerbelange, die Achtung<br />
der Menschenrechte und die Bekämpfung<br />
von Korruption und Bestechung).<br />
vertreter kann also derzeit offen angeben,<br />
keine eigenständige Nachhaltigkeitsstrategie<br />
zu verfolgen. Er kann insofern auf § 23<br />
Absatz 1c VAG 22 rekurrieren und zusätzlich<br />
erwähnen, dass jedoch selbstverständlich<br />
bei der Auswahl von Versicherungsgesellschaften<br />
und Versicherungsprodukten<br />
die von diesen Versicherern zur Verfügung<br />
gestellten Informationen Beachtung finden.<br />
Über die jeweilige Berücksichtigung<br />
von Nachhaltigkeitsrisiken bei Investitionsentscheidungen<br />
hat der jeweilige<br />
Versicherer – wie dargelegt – mit seinen<br />
vorvertraglichen Informationen den VN<br />
selbst zu informieren. Auch ein Makler<br />
ohne Nachhaltigkeitsstrategie wird diese<br />
aber für die Zukunft entwickeln müssen<br />
und die Aspekte dieser Strategie bei der<br />
künftigen Beratung beachten.<br />
Versicherer, die erkennbar keine Strategie<br />
zur Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken<br />
in ihre Investitionsentscheidungen<br />
haben, sollte der Makler dennoch per se<br />
ausschließen.<br />
Es sollte dies vielmehr offen komgreift<br />
die Ausnahme des Artikels 17<br />
Absatz 1 Disclosure-VO, das heißt, diese<br />
wäre nicht anzuwenden. Es wäre dann<br />
zu beobachten, ob Deutschland von der<br />
Mitgliedsstaatenoption (vergleiche Artikel<br />
17 Absatz 2 Disclosure-VO) Gebrauch<br />
macht und trotzdem auch kleinere Vermittlerbetriebe<br />
zur Anwendung der VO<br />
verpflichtet.<br />
Abzuwarten sein wird auch, wie der<br />
Begriff „Beschäftigte“ in Artikel 17<br />
Absatz 1 Disclosure-VO auszulegen ist.<br />
ZU 3. KONKRETE HANDLUNGSANWEISUNGEN<br />
Zur Konkretisierung der Disclosure-VO<br />
lag ein gemeinsames Konsultationspapier<br />
der ESAs mit dem Entwurf einer delegierten<br />
VO („Disclosure-DelVO“) vor. 18 Es<br />
enthielt sehr weitreichende Vorgaben an<br />
den Aufbau, Inhalt und die Ausgestaltung<br />
der Offenlegungsanforderungen. Die Vorgaben<br />
richteten sich hier jedoch primär<br />
an Finanzmarktteilnehmer und nur sehr<br />
eingeschränkt auch an Finanzberater.<br />
Der Entwurf liegt im Moment auf Eis 19<br />
und scheint zumindest in der ursprünglichen<br />
Fassung nicht weiterverfolgt zu<br />
werden. So teilte die Kommission ausgewählten<br />
Verbänden schon im Oktober<br />
2020 mit: „Um den Finanzmarktteilnehmern<br />
und Finanzberatern sowie den<br />
Aufsichtsbehörden Zeit für die Umsetzung<br />
zu geben, werden die technischen<br />
Regulierungsstandards zu einem späteren<br />
Zeitpunkt anwendbar“, 20 das heißt<br />
nicht schon mit Geltung der Disclosure-<br />
VO. Betroffene Unternehmen sollen die<br />
Disclosure-VO nunmehr (zunächst nur)<br />
prinzipienbasiert umsetzen.<br />
Aufgrund dieser „ungefähren“ Anordnung<br />
der EU-Kommission selbst können<br />
derzeit nur folgende Handlungsangaben<br />
getroffen werden:<br />
a) Ausnahme-Regel<br />
Wenn weniger als drei Beschäftigte in<br />
einem Vermittlerbetrieb vorhanden sind,<br />
Orientiert man sich am englischen Begriff<br />
des „employers“ aus dem Original der<br />
Verordnung, dürften nur Festangestellte<br />
gemeint sein. Dies dann allerdings<br />
unabhängig davon, ob sie einen Bezug zur<br />
Produktberatung aufweisen, das heißt,<br />
auch Reinigungspersonal etc. wäre dann<br />
mitzuberücksichtigen.<br />
b) Anwendungsbereich<br />
Wie erörtert, greift die Disclosure-VO nur<br />
bei Vermittlung von Versicherungsanlageprodukten<br />
(zum Beispiel ungeförderte<br />
Lebens- und Rentenversicherungen) ein.<br />
c) Einzelheiten<br />
(1) Nachhaltigkeitsstrategie –<br />
Homepage (vergleiche Artikel 3 Disclosure-VO)<br />
Besteht derzeit keine eigene Nachhaltigkeitsstrategie<br />
(Strategien zur Einbeziehung<br />
von Nachhaltigkeitsrisiken bei Ihrer beratenden<br />
Tätigkeit, zum Beispiel zur Befragung<br />
nach Wünschen und Bedürfnissen,<br />
zur Versicherer- und zur Produktauswahl,<br />
zur Bewertung der Angebote etc.), hat der<br />
Vermittler hierauf auf der Internetseite<br />
hinzuweisen. 21 Als Grund dafür kann<br />
zurzeit noch problemlos auf das Fehlen<br />
der technischen Regulierungsstandards<br />
der Europäischen Aufsichtsbehörden (sogenannte<br />
RTS) sowie Informationen der<br />
Versicherungsgesellschaften hingewiesen<br />
werden. Der Vermittler allein kann ohne<br />
diese Vorgaben gar nicht detailliert prüfen,<br />
welche Nachhaltigkeitsrisiken bzw.<br />
nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren<br />
bestehen und wie diese in<br />
die Beratung einbezogen werden könnten.<br />
Ein Versicherungsmakler bzw. Mehrfach-<br />
Sonderausgabe<br />
25
<strong>Recht</strong><br />
muniziert und der Kundenwunsch<br />
abgewartet bzw. hierzu eingeholt werden.<br />
Alles andere würde zu einem Problem<br />
bezüglich der angemessenen Beratungsgrundlage<br />
(vergleiche § 60 VVG) und<br />
damit gegebenenfalls zu weitreichenden<br />
Haftungsproblemen führen können. 23<br />
(2) Vergütungspolitik (vergleiche Artikel 5<br />
Disclosure-VO)<br />
Der Kunde soll erfahren, ob die Vergütungspolitik<br />
mit der Einbeziehung von<br />
Nachhaltigkeitsrisiken in Einklang steht.<br />
Es ist deshalb durch einen entsprechenden<br />
Hinweis auf der Homepage ferner anzugeben,<br />
ob unterschiedlich hohe Vergütungen<br />
(Provisionen, Courtagen, Bonifikationen<br />
etc.) für Versicherungsanlageprodukte<br />
erwirtschaftet werden, je nachdem ob sie<br />
nachhaltig sind oder nicht.<br />
Es ist anzugeben, ob eine Vermittlungsvergütung<br />
von Versicherern unterschiedlich<br />
ausfällt, je nachdem, ob das empfohlene<br />
Versicherungsanlageprodukt Nachhaltigkeitsrisiken<br />
bzw. Nachhaltigkeitsauswirkungen<br />
berücksichtigt oder nicht.<br />
Wenn Versicherer die Berücksichtigung<br />
von Nachhaltigkeitsrisiken bei Investitionen<br />
durch eine höhere Vergütung für die<br />
Vermittlung fördern, ist vom Vermittler<br />
anzugeben, wenn sich dies auch in einer<br />
höheren Vergütung auswirkt.<br />
Es ist auch anzugeben, ob der Vermittler<br />
selbst bei der Vergütung seiner Mitarbeiter<br />
oder Untervermittler die „Nachhaltigkeit“<br />
mitberücksichtigt oder nicht.<br />
(3) Vorvertragliche Informationen (vergleiche §<br />
6 Absatz 2 Disclosure-VO)<br />
Schließlich sind durch entsprechenden<br />
Hinweis in der Beratung (und der Beratungsdokumentation)<br />
Nachhaltigkeitsrisiken<br />
in die Beratung sowie zu erwartende<br />
Auswirkungen auf die Rendite in die<br />
Bewertung einzubeziehen.<br />
Es muss klar angegeben werden, wenn<br />
bei einer Beratung zu Versicherungsanlageprodukten<br />
Nachhaltigkeitsrisiken für<br />
nicht relevant erachtet werden. Als Grund<br />
könnte angegeben werden, dass diese bereits<br />
durch den Versicherer selbst berücksichtigt<br />
und in dessen vorvertraglichen<br />
Informationen dargelegt werden.<br />
Soll die Nachhaltigkeit für den Vermittler<br />
selbst eine Rolle spielen, hat auch<br />
dies zum Ausdruck zu kommen. Für die<br />
Berücksichtigung dieser Nachhaltigkeitsrisiken<br />
sollte hinsichtlich der Informationsgrundlage<br />
dann auf die vorvertraglichen<br />
Informationen der Versicherer verwiesen<br />
werden. Bezüglich der auszusprechenden<br />
Empfehlung (Rat) sollte dann der Hinweis<br />
erfolgen, dass bei einer pflichtgemäßen<br />
Einschätzung einer vergleichbaren oder<br />
besseren Rendite das Produkt, das Nachhaltigkeitsrisiken<br />
berücksichtigt, vorrangig<br />
empfohlen wird.<br />
4. ERGEBNIS<br />
Will man dem Menschen Würde zuerkennen,<br />
kann man ihm schwerlich seine<br />
Autonomie absprechen. Mark D. White<br />
hat diesen Aspekt in die Paternalismus-<br />
Diskussion eingeführt, indem er an die auf<br />
Kant zurückgehende interne Autonomie<br />
erinnerte. 24 Von dieser ist dann die Rede,<br />
wenn Menschen die Fähigkeit haben, ihre<br />
eigenen Entscheidungen selbst kritisch zu<br />
reflektieren, und sich die innere Freiheit<br />
bewahren, nicht immer den ersten<br />
Impulsen scheinbar nutzenmaximierenden<br />
Handelns zu folgen. Dies impliziert also<br />
die Fähigkeit zur Selbstkontrolle in alltäglichen<br />
Entscheidungssituationen, aber vor<br />
allem auch die Fähigkeit zur kritischen<br />
Reflexion der eigenen Ziele, Wertvorstellungen<br />
und Lebenspläne. Es geht hier um<br />
die Fähigkeit, Autor des eigenen Lebens<br />
zu sein. Wiederum würden Befürworter<br />
des neuen Paternalismus argumentieren,<br />
dass sie gerade dies ermöglichen wollen,<br />
und auf den Unterschied zwischen kurzund<br />
langfristigen Präferenzen verweisen. 25<br />
Jedoch impliziert die Autorenschaft am eigenen<br />
Leben die Möglichkeit, die Gewichtung<br />
zwischen möglichen Zielen, Werten<br />
und auch Präferenzen für Konsumgüter<br />
selbst vorzunehmen und auch immer<br />
wieder neu zu justieren. Dies entspricht<br />
der klassischen liberalen Vorstellung von<br />
individueller Freiheit. Genau dem wirkt<br />
eine Politik des neuen Paternalismus allerdings<br />
systematisch entgegen, indem sie<br />
den manipulativen Entscheidungsdesigner<br />
zumindest zum einflussreichen Mitautor<br />
von für ihn fremdem Leben macht. Dass<br />
die Verfasser diesem verhaltenssteuernden<br />
„new deal“, der auch den EU-Regularismus<br />
antreibt, sehr kritisch gegenüberstehen,<br />
dürfte deutlich geworden sein.<br />
Die Disclose-VO ist jedoch auch vor dem<br />
Hintergrund eines prinzipiengesteuerten<br />
EU-Sekundärrechts zu sehen, 26 das die<br />
netzförmigen Strukturen der komplexen<br />
Wirtschaftsbeziehungen anders abbildet,<br />
als noch die linear-systemkonformen<br />
nationalen Gesetze es konnten.<br />
Für den Versicherungsvermittler gibt es<br />
bis zum Erlass der RTS bislang nur übersichtlichen<br />
Handlungsbedarf. Gedanken<br />
über die neuen Vorgaben sind aber besser<br />
„zu früh“ als zu spät anzustellen. Jeder<br />
wird sich hier positionieren müssen.<br />
Das setzt auch den geübten Umgang mit<br />
anderen neuen <strong>Recht</strong>sinstituten voraus:<br />
Als Makler muss man gegenüber seinem<br />
Produktgeber den Anspruch aus § 23 Absatz<br />
1c VAG (bzw. Artikel 8 Absatz 2 EU<br />
2017/2358) einzufordern verstehen.<br />
Ob bzw. welche Haftungen im Zuge der<br />
Nachhaltigkeits-Offensive der EU auf die<br />
Vermittler von Versicherungsanlageprodukten<br />
noch anrollen, bleibt den weiteren,<br />
geplanten Änderungen vorbehalten.<br />
Thematisieren Sie aber den Nachhaltigkeitsaspekt<br />
auf der Internetseite, in der<br />
Beratung und vor allem in der Dokumentation.<br />
1<br />
Vgl. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX:32019R2088.<br />
2<br />
Vgl. Lüdemann, „Edukatorisches Staatshandeln. Steuerungstheorie und<br />
Verfassungsrecht am Beispiel der staatlichen Förderung von Abfallmoral“,<br />
2002, S. 98 f.<br />
3<br />
Vgl. Zippelius, „Verhaltenssteuerung durch <strong>Recht</strong> und kulturelle Leitideen“,<br />
2004; Raiser, „Grundlagen der <strong>Recht</strong>ssoziologie“, 2009, S. 185 f. Ganz radikal ist<br />
in dieser Hinsicht die Strömung der „ökonomischen Theorie des <strong>Recht</strong>s“, die die<br />
<strong>Recht</strong>snormen als die zur Steuerung des menschlichen Verhaltens dienenden<br />
Anreize betrachtet. Dazu Schäfer/Ott, „Lehrbuch der ökonomischen Analyse<br />
des Zivilrechts“, 2005, S. 3, 58 ff.<br />
4<br />
Vgl. Raiser (Fn. 3), S. 254; ders., „<strong>Recht</strong>sgefühl, <strong>Recht</strong>sbewusstsein,<br />
<strong>Recht</strong>skenntnis und <strong>Recht</strong>sakzeptanz“, in: Pichler (Hrsg.),„<strong>Recht</strong>sakzeptanz und<br />
Handlungsorientierung“, 1998, S. 109 ff.<br />
5<br />
Vgl. Musgrave, „The Theory of Public Finance: A Study in Public Economy“,<br />
New York 1959.<br />
6<br />
Vgl. zu den Einzelheiten der Kantschen Freiheits-Deontik: Eller, „Das <strong>Recht</strong> der<br />
Verantwortungsgesellschaft“, RW 2019, S. 5 ff.<br />
7<br />
Vgl. Schimank, „Die Entscheidungsgesellschaft: Komplexität und<br />
Rationalität“, 2012, S. 121 ff., 173 ff.; zur „bounded rationality“ auch: Göbel,<br />
„Entscheidungstheorie“, 2. Aufl. 2018, S. 179 ff.<br />
8<br />
Vgl. dass die „Nachhaltigkeit“ sogar als Prinzip mit Verfassungsrang<br />
ausgestattet werden soll, siehe https://www.insm-oekonomenblog.<br />
de/21546-nachhaltigkeit-als-verfassungsprinzip-warum-wir-einegrundgesetzaenderung-brauchen/.<br />
9<br />
Vgl. Volkmann, „Darf der Staat seine Bürger erziehen?“, in: Würzburger<br />
Vorträge zur <strong>Recht</strong>sphilosophie und <strong>Recht</strong>ssoziologie, 2012, S. 37 ff.<br />
10<br />
Vgl. https://ec.europa.eu/info/strategy/priorities-2019-2024/europeangreen-deal_de.<br />
11<br />
Vgl. Bock, „Die Eigendynamik der Verrechtlichung in der modernen<br />
Gesellschaft“, in: Lampe (Hg.),„Zur Entwicklung von <strong>Recht</strong>sbewußtsein“, 1997,<br />
403 ff.; Galanter, „Law Abounding: Legalisation Around the North Atlantic“, 55<br />
MOD. L. REV. 1 (1992); Schmidt, „Verrechtlichung von Intimbeziehungen“, in:<br />
Lampe (Hg.),„Zur Entwicklung von <strong>Recht</strong>sbewußtsein“, 1997, 429 ff.<br />
12<br />
Vgl. ErwG 17 Disclosure-VO.<br />
13<br />
Vgl. https://www.bafin.de/SharedDocs/Downloads/DE/Merkblatt/dl_mb_<br />
Nachhaltigkeits- risiken.html.<br />
14<br />
Allerdings sind ferner Anpassungen der Delegierten-VO EU<br />
2017/593 (zum Schutz der Finanzinstrumente und Gelder von Kunden,<br />
Produktüberwachungspflichten und Vorschriften für die Entrichtung bzw.<br />
Gewährung oder Entgegennahme von Gebühren, Provisionen) und der RL<br />
2014/65/EU (MiFID II) nebst Erweiterungen der Geeignetheitsprüfung) geplant.<br />
15<br />
Hierauf wird ausführlich unter (2) eingegangen werden.<br />
16<br />
Wobei IBIP, sog. insurance-based investment products, wiederum unter Art. 2<br />
Nr. 3 Disclosure-VO definiert werden.<br />
17<br />
Vgl. Baroch Castellvi, „Zum Anwendungsbereich der PRIIP-Verordnung auf<br />
Produkte von Lebensversicherern – was ist ein Versicherungsanlageprodukt?“,<br />
VersR 2017, 129 ff.<br />
18<br />
Vgl. Europäische Aufsichtsbehörden, Joint Consultation Paper, ESG disclosure,<br />
JC 2020/16 vom 23.04.2020.<br />
19<br />
Das von der Europäischen Kommission beauftragte Joint Committee of<br />
European Supervisory Authorities (ESAs), bestehend aus den drei europäischen<br />
Aufsichtsorganen EBA, EIOPA und ESMA, veröffentlichte am 04.02.2021 seinen<br />
Abschlussbericht mit den finalen „Regulatory Technical Standards“ („Draft-<br />
RTS“). Der finale RTS-Entwurf der ESAs kann nun entweder von der Kommission<br />
innerhalb von drei Monaten gebilligt und dem Europäischen Rat und dem<br />
Europäischen Parlament zur Zustimmung vorgelegt oder aber zurückgewiesen<br />
und den europäischen Aufsichtsbehörden zur erneuten Überarbeitung<br />
delegiert werden. Es ist derzeit also davon auszugehen, dass der finale RTS-<br />
Draft sich bis <strong>2022</strong> verschiebt.<br />
20<br />
Vgl. Europäische Kommission, Brief vom 20.10.2020 an die ESAs, Application<br />
of Regulation (EU) 2020/2088.<br />
21<br />
Empfohlen wird, dies an der Stelle der sonstigen Statusangaben zu ergänzen.<br />
22<br />
Darin heißt es: „Unternehmen, die Versicherungsprodukte konzipieren,<br />
haben allen Vertreibern sämtliche sachgerechten Informationen zu dem<br />
Versicherungsprodukt und dem Produktfreigabeverfahren, einschließlich des<br />
bestimmten Zielmarkts des Versicherungsprodukts, zur Verfügung zu stellen.“<br />
Außerdem wird auf Art. 8 Abs. 2 Delegierten-VO EU 2017/2358 hingewiesen.<br />
2 3<br />
Vgl. Timmermann, Urteilskritik: Entscheidung OLG Zweibrücken, Urt. v.<br />
12.12.2018 – 1 U 167/14 –„Zur Schadensersatzpflicht des Versicherungsmaklers<br />
für unterlassene Beratung über ein ‚naheliegendes Risiko‘“, ZfV 2019, 701 ff.<br />
2 4<br />
Vgl. White, „The Manipulation of Choice. Ethics and Libertarian Paternalism“,<br />
2013, S. 123 ff.; Frey/Stutzer, „Beyond Outcomes: Measuring Procedural Utility“,<br />
Oxford Economic Papers 57, 2005, S. 90 ff.<br />
2 5<br />
Vgl. Thaler/Sunstein, „Nudge. Improving Decisions about Health, Wealth and<br />
Happiness“, 2008.<br />
26<br />
Vgl. Wandt, „Prinzipienbasiertes <strong>Recht</strong> und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“,<br />
2012, S. 14 ff.<br />
27<br />
Vgl. Fn. 14.<br />
26 Sonderausgabe
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sicherer gestalten. Der Fokus unserer diesjährigen<br />
Jahrestagung beschäftigt sich mit der Fragestellung:<br />
Wie sieht die optimale Berufshaftpflichtversicherung<br />
des Versicherungsmaklers aus?<br />
Es gibt auf dem Markt bereits viele interessante<br />
und erweiterte Deckungskonzepte für die Berufs-<br />
haftpflichtversicherung (VSH) des Versicherungsmaklers.<br />
Was es aber bislang noch nicht gibt, ist<br />
eine All-Risk Deckung als Berufshaftpflichtversicherung.<br />
Ein solches Produkt hat aber die Kanzlei<br />
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in Ziff. 2:<br />
Versicherungsschutz besteht im Rahmen einer Allgefahrendeckung<br />
(All Risk Cover) für die Vermögensschaden-<br />
Haftpflichtversicherung. Versicherungsschutz besteht<br />
demnach für alle Gefahren und Risiken, die nicht explizit<br />
ausgeschlossen sind (siehe Ziff. 4).<br />
Ich persönlich bin davon überzeugt, dass es damit gelungen<br />
ist, den derzeit bestmöglichen Versicherungsschutz<br />
für Versicherungsmakler*innen zu entwickeln. Ich<br />
würde meinen guten Namen nicht für das All-Risk<br />
Michaelis Cover hergeben, wenn ich nicht persönlich<br />
davon überzeugt wäre, dass dies derzeit das beste<br />
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damit Sie nicht die existenzbedeutende Berufszulassung<br />
verlieren. Außergerichtlich unterstützen wir Ihre<br />
Interessen kostenfrei bei <strong>Recht</strong>sstreitigkeiten gegenüber<br />
der IHK, dem Versicherungsombudsmann, der<br />
BaFin, bei berufsrechtlichen Ordnungswidrigkeiten<br />
oder auch gegenüber der Staatsanwaltschaft. Damit<br />
wird auch Ihr Risiko, die Berufszulassung zu verlieren,<br />
durch unsere außergerichtliche anwaltliche Begleitung<br />
in gute Hände gegeben. Natürlich bieten wir auch ein<br />
kostenloses Beratungstelefon für alle Versicherungsnehmer<br />
an.<br />
Neben diesen Sonderleistungen haben Sie sogar freie<br />
Anwaltswahl im Haftungsprozess, aber auch das <strong>Recht</strong>,<br />
auch unser Haus beauftragen zu dürfen.<br />
Besonders erwähnenswert empfinde ich z.B. auch die<br />
Tatsache, dass ein Leistungsanspruch auch besteht,<br />
wenn Sie keine Beratungsdokumentation vorweisen<br />
können. Trotzdem genießen Sie den Deckungsumfang<br />
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frei zugänglichen Deckungskonzepten die möglichen<br />
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bis 100.000 €, außergerichtliche Kostenübernahme,<br />
der Kündigungsverzicht im Schadenfall, die<br />
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Schäden in häuslicher Gemeinschaft, Versicherungsschutz<br />
für gutachterliche Beurteilung, Einschluss der<br />
erlaubten <strong>Recht</strong>sberatung, Abwehrschutz unterhalb<br />
eines Selbstbehaltes, die Versehensklausel, die Vorversicherungsgarantie,<br />
die Tarifoptimierung, Mitversicherung<br />
von berufsbezogenen Nebentätigkeiten und Servicedienstleistungen<br />
(App-RIORI.de), Kostenübernahme bei unlauterem<br />
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nach dem Geldwäschegesetz und Urheberrechtsverletzungen<br />
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Letzt auch ein Versicherungsschutz bei Bestandsübernahme<br />
- kauf runden die vielen Leistungserweiterungen<br />
Mit freundlicher Unterstützung durch:
dieses All-Risk Michaelis Cover ab (siehe bitte Ziff. 2).<br />
Wir sind sehr gespannt auf Ihre fachmännische Bewertung!<br />
Denn niemand kann es besser beurteilen als Sie!<br />
Die Moderation der Fachtagung erfolgt wie gewohnt<br />
durch Prof. Dr. Hans-Wilhelm Zeidler. Sponsor der Veranstaltung<br />
ist die CGPA Europe Underwriting GmbH.<br />
Der Underwriter Herr Christian Henseler wird Ihnen<br />
persönlich alle Produkthighlights referieren. Unsere<br />
Fachreferenten (siehe Agenda) werden Ihnen neben den<br />
typischen Haftungsgefahren gerne die Vor- und Nachteile<br />
dieser All-Risk Michaelis Cover Deckung darlegen und<br />
rechtlich bewerten.<br />
Zur Begründung meiner Einschätzung beziehe ich mich<br />
nicht nur auf die Einschätzungen meiner referierenden<br />
Fachkollegen, sondern auch auf die Bewertung von<br />
Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski (Humboldt-<br />
Universität zu Berlin), der ebenfalls über die Feinheiten<br />
in der Optimierung Ihres Versicherungsschutzes aus<br />
wissenschaftlicher Sicht für Sie nachgedacht hat und<br />
bringt interessante Erkenntnisse mit.<br />
Darum sollten Sie die Teilnahme an dieser Live-<br />
Veranstaltung am<br />
Donnerstag, den 27. Januar <strong>2022</strong> ab 13:30 Uhr<br />
auf keinen Fall verpassen. Denn für Sie kann es nichts<br />
Wichtigeres geben, als selbst über einen möglichst<br />
umfassenden Versicherungsschutz zu verfügen!<br />
Wenn Sie sich schon vorher in das Deckungs-<br />
konzept einarbeiten wollen, finden Sie hier die<br />
Versicherungsbedingungen des<br />
All-Risk-Michaelis Covers<br />
Wir bitten um großes Verständnis, dass wir Sie wegen<br />
der anhaltenden Corona-Situation leider nicht in die<br />
Universität in Hamburg persönlich einladen können.<br />
Wir freuen uns aber umso mehr, wenn Sie an dem angebotenen<br />
Live-Streaming über unsere Internetseite<br />
www.Kanzlei-Michaelis.de<br />
teilnehmen und sich damit auch Ihre Weiterbildungszeit<br />
direkt zum Jahresbeginn aufbauen. Bei der Teilnahme<br />
erhalten Sie nach der erfolgreichen Registrierung<br />
Ihre technisch dokumentierte Anwesenheitszeit<br />
als Download-Zertifikat angeboten.<br />
Eine vorherige Anmeldung zur Veranstaltung ist nicht<br />
erforderlich. Ihre Fragen können Sie uns gern vor oder<br />
während der Veranstaltung schicken:<br />
info@kanzlei-michaelis.de<br />
Bleiben Sie gesund! Wir freuen uns auf Sie!<br />
Herzliche Grüße!<br />
Ihr,<br />
Stephan Michaelis LL.M.<br />
Fachanwalt für Versicherungsrecht<br />
Mit freundlicher Unterstützung durch:
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13:30 Uhr<br />
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13:45 Uhr<br />
13:45 Uhr<br />
–<br />
14:15 Uhr<br />
Begrüßung durch<br />
Prof. Dr. Hans-Wilhelm Zeidler,<br />
Unternehmensberater<br />
Versichert oder nicht? Was<br />
können Sie oder Ihre Mitarbeiter<br />
richtig falsch machen?<br />
Ein Vortrag von <strong>Recht</strong>sanwalt<br />
Dr. Jan Freitag,<br />
Fachanwalt für Arbeitsrecht<br />
16:00 Uhr<br />
–<br />
16:30 Uhr<br />
16:30 Uhr<br />
–<br />
16:45 Uhr<br />
Die exklusiven<br />
Sonderleistungen der Kanzlei<br />
Michaelis und weitere Vorteile<br />
im All-Risk Michaelis Cover<br />
Ein Vortrag von <strong>Recht</strong>sanwalt<br />
Fabian Kosch<br />
PAUSE<br />
(Interview Prof. Dr.<br />
Hans-Wilhelm Zeidler<br />
mit Herrn Christian Henseler)<br />
14:15 Uhr<br />
–<br />
15:00 Uhr<br />
Die aktuelle Haftungsbrisanz<br />
des Versicherungsmaklers<br />
Ein Vortrag von <strong>Recht</strong>sanwalt<br />
Stephan Michaelis LL.M.,<br />
Fachanwalt für<br />
Versicherungsrecht<br />
16:45 Uhr<br />
–<br />
17:15 Uhr<br />
Achtung Ausschlüsse: Die<br />
wissentliche Pflichtverletzung<br />
und vieles mehr…<br />
Ein Vortrag von<br />
Lars Krohn LL.M., Fachanwalt<br />
für Versicherungsrecht<br />
15:00 Uhr<br />
–<br />
15:15 Uhr<br />
15:15 Uhr<br />
–<br />
16:00 Uhr<br />
PAUSE<br />
(Interview Prof. Dr.<br />
Hans-Wilhelm Zeidler<br />
mit <strong>Recht</strong>sanwalt<br />
Stephan Michaelis LL.M.)<br />
Wie sieht die beste<br />
Berufshaftpflichtversicherung<br />
für Versicherungsmakler aus?<br />
Ein Vortrag von<br />
Christian Henseler (Underwriter<br />
Deutschland für die CGPA S.A.)<br />
17:15 Uhr<br />
–<br />
18:00 Uhr<br />
18:00 Uhr<br />
–<br />
18:20 Uhr<br />
18:20 Uhr<br />
–<br />
18:30 Uhr<br />
Sinn oder Unsinn der<br />
All- Risk Michaelis Cover Deckung<br />
Ein Vortrag von Professor<br />
Dr. Hans-Peter Schwintowski<br />
Fragen der Zuschauer<br />
von Vincent Jacobsen LL.B.<br />
eingebracht<br />
Zusammenfassung der<br />
Fachtagung von Prof. Dr.<br />
Hans-Wilhelm Zeidler<br />
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<strong>Recht</strong><br />
Die Haftung bei Insolvenzverschleppung nach<br />
der Neuregelung in § 15b Insolvenzordnung<br />
– TEXT: RA DR. ROBERT BOELS, FACHANWALT FÜR BANK- UND KAPITALMARKTRECHT –<br />
I. NEUREGELUNGEN DES SanInsFoG<br />
UND StaRUG<br />
Das Sanierungs- und Insolvenzanfechtungsgesetz<br />
(SanInsFoG) vom 22. Dezember<br />
2020 wurde am 29. Dezember 2020<br />
im Bundesgesetzblatt veröffentlicht (BGBl.<br />
I, Seite 3256 ff.) und ist in weiten Teilen<br />
am 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Mit<br />
Artikel 1 des SanInsFoG trat auch das Unternehmensstabilisierungs-<br />
und -restrukturierungsgesetz<br />
(StaRUG) zum 1. Januar<br />
2021 in weiten Teilen in Kraft.<br />
Hintergrund der Regelungen ist, dass seit<br />
Ablauf des Jahres 2020 überschuldete<br />
Unternehmen grundsätzlich wieder der<br />
Insolvenzantragspflicht unterliegen, da die<br />
temporäre Aussetzung der Antragspflicht<br />
wegen einer Überschuldung, die zunächst<br />
über den 30. September 2020 hinaus<br />
verlängert wurde, zum Jahresende auslief.<br />
Mit den Neuregelungen soll sichergestellt<br />
werden, dass insbesondere die von der<br />
Covid-19-Pandemie betroffenen Unternehmen,<br />
die (rechnerisch) überschuldet,<br />
aber nicht zahlungsunfähig sind, von den<br />
im Gesetz vorgesehenen Erleichterungen<br />
profitieren und von der Möglichkeit<br />
einer außerhalb des Insolvenzverfahrens<br />
stattfindenden Restrukturierung Gebrauch<br />
machen können.<br />
II. ANTRAGSPFLICHT DER GESCHÄFTSLEITUNG<br />
Wird eine juristische Person zahlungsunfähig<br />
oder überschuldet, haben die<br />
Mitglieder des Vertretungsorgans oder<br />
die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern<br />
einen Eröffnungsantrag zu stellen (§ 15a<br />
Absatz 1 InsO). Neben der Zahlungsunfähigkeit<br />
ist nach § 18 Absatz 1 InsO auch<br />
die drohende Zahlungsunfähigkeit ein<br />
Eröffnungsgrund. Der Prognosezeitraum<br />
für die Beurteilung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit<br />
wurde auf 24 Monate<br />
(§ 18 Absatz 2 Satz 2 InsO) und der<br />
Zeitraum für die Fortführungsprognose<br />
im Rahmen der Überschuldung auf nur<br />
12 Monate (§ 19 Absatz 2 Satz 1 InsO)<br />
festgelegt. Geschäftsführer/Vorstände<br />
müssen daher spätestens 24 Monate vor<br />
dem prognostizierten Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit<br />
Restrukturierungsmaßnahmen<br />
einleiten. Droht der Eintritt einer<br />
Zahlungsunfähigkeit binnen Jahresfrist,<br />
müssen sie einen Insolvenzantrag wegen<br />
Überschuldung stellen.<br />
Ergänzend hierzu wurde mit § 1 StaRUG<br />
ein Instrument zur Krisenfrüherkennung<br />
installiert. Danach sind Geschäftsleiter<br />
verpflichtet, fortlaufend über Entwicklungen<br />
zu wachen, welche den Fortbestand<br />
der Gesellschaft gefährden können,<br />
gegebenenfalls Gegenmaßnahmen zu<br />
ergreifen und den zur Überwachung der<br />
Geschäftsleitung berufenen Organen<br />
unverzüglich Bericht zu erstatten. Der<br />
Regierungsentwurf sah in diesem Zusammenhang<br />
eine weitergehende Reorganisationsverschleppungshaftung<br />
vor, die<br />
jedoch im Gesetzgebungsverfahren als<br />
nicht praktikabel kritisiert und in der Folge<br />
auch nicht gesetzlich geregelt wurde.<br />
III. ERSATZPFLICHT DER GESCHÄFTSLEITER<br />
Bezüglich der vorstehenden Insolvenzantragspflichten<br />
der Geschäftsführer/<br />
Vorstände tritt neben der Thematik eines<br />
möglicherweise strafrechtlich relevanten<br />
Verhaltens (§ 266a StGB) auch die Frage<br />
auf, ob sie einer eigenen Haftung gegenüber<br />
der insolventen Gesellschaft bzw.<br />
dem Insolvenzverwalter ausgesetzt sind.<br />
Denn die Geschäftsführer/Vorstände<br />
haben nach wie vor grundsätzlich alles<br />
zu ersetzen, was nach einer Insolvenzreife<br />
aus dem Vermögen der Gesellschaft<br />
abgeflossen ist.<br />
Mit dem Inkrafttreten des SanInsFoG<br />
wurden auch die Regelungen zur Haftung<br />
von Vertretungsorganen juristischer<br />
Personen verändert. Bis Ende 2020 war<br />
die Haftung der GmbH-Geschäftsführer<br />
in § 64 Satz 1 GmbHG a. F., der AG-Vorstände<br />
in § 92 Absatz 2 AktG a. F. und<br />
weitere Haftungsgrundlagen in §§ 130a<br />
und 177a HGB geregelt. Seit dem 1.<br />
Januar 2021 gilt nun § 15b Absatz 1 Satz<br />
1 InsO einheitlich für antragspflichtige<br />
Mitglieder der Vertretungsorgane und die<br />
Abwickler juristischer Personen. Danach<br />
dürfen nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit<br />
oder der Überschuldung einer<br />
juristischen Person grundsätzlich keine<br />
Zahlungen mehr für diese vorgenommen<br />
werden.<br />
Zu diesem Zahlungsverbot formuliert<br />
§ 15b Absatz 1 Satz 2 InsO die bereits<br />
aus § 64 Satz 2 GmbHG a. F. bekannte<br />
Ausnahmeregelung: „Dies gilt nicht für<br />
Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines<br />
ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters<br />
vereinbar sind.“ Nach einem<br />
in § 15b Absatz 2 Satz 1 InsO eingefügten<br />
Anwendungsbeispiel wird nun eine Beachtung<br />
der Sorgfalt insbesondere für alle<br />
Zahlungen vermutet, die der Aufrechterhaltung<br />
des Geschäftsbetriebs dienen.<br />
Zu begrüßen ist, dass damit eine Differenzierung<br />
in privilegierte Zahlungen,<br />
denen von Gläubigern sinnvoll verwertbare<br />
Gegenleistungen gegenüberstehen,<br />
und nicht privilegierte Zahlungen nicht<br />
mehr vorgenommen wird. Damit entfällt<br />
eine Verunsicherung der Geschäftsleiter.<br />
Unschädlich sind jedoch nur solche Zahlungen,<br />
die innerhalb der in § 15a Absatz<br />
1 Satz 2 InsO eingefügten Insolvenzantragsfrist<br />
von spätestens drei Wochen<br />
nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit<br />
und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung<br />
erfolgen, soweit in dieser Zeit<br />
Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung<br />
der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung<br />
32 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
des Insolvenzantrags betrieben werden.<br />
Als Geschäftsleiter dürften Sie in dieser<br />
Situation also nicht untätig bleiben!<br />
In dem Zeitraum zwischen der Antragstellung<br />
und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
gelten Zahlungen nur dann als<br />
mit der Sorgfalt eines ordentlichen und<br />
gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar,<br />
wenn sie mit Zustimmung des vorläufigen<br />
Insolvenzverwalters erfolgen. Lassen Sie<br />
sich also in einer solchen Situation Zahlungen<br />
stets vom vorläufigen Insolvenzverwalter<br />
freigeben! Bezüglich der steuerlichen<br />
Zahlungspflichten regelt § 15b<br />
Absatz 8 InsO ausdrücklich, dass mit der<br />
Nichterfüllung nach einer Antragstellung<br />
keine (strafbare) Verletzung steuerlicher<br />
Zahlungspflichten verbunden ist.<br />
Stellt der Geschäftsleiter innerhalb der<br />
drei- bzw. sechswöchigen Insolvenzantragsfrist<br />
keinen Insolvenzantrag, gelten<br />
nach § 15b Absatz 3 InsO alle Zahlungen<br />
regelmäßig als nicht mit der Sorgfalt<br />
eines ordentlichen und gewissenhaften<br />
Geschäftsleiters vereinbar. Damit entfällt<br />
künftig auch hier eine Unterscheidung<br />
nach privilegierten und nicht privilegierten<br />
Zahlungen. Ausnahmen sind allenfalls<br />
in absoluten Einzelfällen im Rahmen einer<br />
Notgeschäftsführung zur Vermeidung<br />
größerer konkreter Schäden denkbar.<br />
Das Zahlungsverbot betrifft auch bisher<br />
von der <strong>Recht</strong>sprechung anerkannte<br />
Zahlungen an Sozialversicherungsträger<br />
oder Finanzbehörden. Wird der Insolvenzantrag<br />
lediglich verspätet gestellt und<br />
werden dadurch bis zur Bestellung des<br />
vorläufigen Insolvenzverwalters fällig werdende<br />
Ansprüche aus dem Steuerverhältnis<br />
nicht beglichen, ergibt sich aus § 15b<br />
Absatz 8 Satz 2 InsO, dass eine (strafbare)<br />
Verletzung steuerlicher Zahlungspflichten<br />
vorliegt. Ohne eine pflichtgemäße Antragstellung<br />
haftet der Geschäftsleiter also für<br />
Zahlungen persönlich oder macht sich bei<br />
Zahlungsverzug strafbar!<br />
IV. UMFANG DER ERSATZPFLICHT<br />
Die <strong>Recht</strong>sprechung des Bundesgerichtshofs<br />
zum bisherigen § 64 GmbHG a. F.<br />
stellte allein auf den Vermögensabfluss<br />
bei der Gesellschaft ab und gewährte<br />
dem Insolvenzverwalter umfassenden<br />
Ersatz. Eine differenzierte Betrachtung des<br />
konkret entstandenen Schadens erfolgte<br />
nicht. Der neue § 15 Absatz 4 Satz 2 InsO<br />
lässt nun eine Gesamtbetrachtung zu:<br />
„Ist der Gläubigerschaft der juristischen<br />
Person ein geringerer Schaden entstanden,<br />
beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den<br />
Ausgleich des Schadens.“ Der Geschäftsführer<br />
ist jedoch beweisbelastet für den<br />
Umstand, dass der Schaden der Gläubigerschaft<br />
tatsächlich geringer als die<br />
Gesamthöhe der geleisteten Zahlungen ist.<br />
Angesichts des Umstands, dass § 15b<br />
Absatz 4 InsO von einem „Schaden“ der<br />
Gläubigerschaft spricht, ist gut vertretbar,<br />
dass die Ersatzpflicht als Schadensersatz<br />
im Sinne von D&O-Versicherungsbedingungen<br />
ausgestaltet ist und somit<br />
gegebenenfalls von einer D&O-Versicherung<br />
gedeckt ist. Diese Ansicht hat der<br />
Bundesgerichtshof bereits jüngst in seinem<br />
Urteil vom 18.11.2020 – IV ZR 217/19 –<br />
zum § 64 GmbHG a. F. vertreten. Sollte<br />
die <strong>Recht</strong>sprechung diese Ansicht auch<br />
zum § 15b InsO bestätigen, wird dies<br />
voraussichtlich zu einer Anpassung von<br />
Versicherungsbedingungen und -prämien<br />
führen. Geschäftsleiter sollten also darauf<br />
achten, dass diese Risiken nicht ausdrücklich<br />
ausgeschlossen werden!<br />
Angesichts des Umstands, dass der Insolvenzverwalter<br />
möglicherweise auf die<br />
Kooperation des Geschäftsleiters angewiesen<br />
ist, wird er den Geschäftsleiter erst<br />
im späteren Verlauf des Insolvenzverfahrens<br />
in Anspruch nehmen. Dann wird es<br />
dem Geschäftsleiter jedoch nicht leichter<br />
fallen (ohne einen Zugriff auf Unterlagen)<br />
nachzuweisen, dass und in welcher Höhe<br />
ein geringerer Schaden entstanden ist. Vor<br />
diesem Hintergrund sollte der Geschäftsleiter<br />
einen mit der Zahlung verbundenen<br />
Vermögenszuwachs (zum Beispiel eine<br />
Maschine mit einem Wert X ist mit der<br />
Zahlung in das Vermögen der Gesellschaft<br />
gelangt) gegebenenfalls zeitnah dokumentieren.<br />
Ficht der Insolvenzverwalter die Zahlungen<br />
des Geschäftsleiters erfolgreich an,<br />
fällt der Schaden der Gläubigerschaft (und<br />
damit der Umfang der Ersatzpflicht des<br />
Geschäftsleiters) ebenfalls geringer aus.<br />
Aus diesem Grund kann die Neuregelung<br />
auch dazu führen, dass die Kooperationsbereitschaft<br />
der betroffenen Geschäftsleiter<br />
(zulasten der Geschäftspartner) durch<br />
die Einführung einer Gesamtbetrachtung<br />
steigt.<br />
V. VERZICHT ODER VERGLEICH<br />
ÜBER ERSATZANSPRÜCHE<br />
Grundsätzlich ist ein Verzicht der Gesellschaft<br />
auf Erstattungs- oder Ersatzansprüche<br />
gegenüber dem Geschäftsleiter oder<br />
ein Vergleich mit der Gesellschaft über<br />
diese Ansprüche nach § 15b Absatz 4 Satz<br />
4 InsO unwirksam. Ausnahmen bestehen<br />
zum einen, wenn der Geschäftsleiter selbst<br />
zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung<br />
eines eigenen Insolvenzverfahrens<br />
mit seinen Gläubigern vergleicht, und<br />
zum anderen, wenn ein Vergleich über die<br />
Ersatzansprüche in einem Insolvenzplan<br />
geregelt oder mit dem Insolvenzverwalter<br />
vereinbart wird. In jedem Fall wird<br />
der Geschäftsleiter künftig nachweisen<br />
müssen, dass ein Verzicht oder Vergleich<br />
zur Abwendung einer eigenen Insolvenz<br />
erforderlich ist.<br />
VI. FAZIT<br />
Die neue Haftungsnorm des § 15b InsO<br />
zeigt dem Geschäftsleiter seine Pflichten<br />
wesentlich deutlicher als die alten Regelungen<br />
auf. Die Neuregelung definiert eine<br />
einheitliche Insolvenzantragsfrist und regelt<br />
die Haftung des Geschäftsleiters übersichtlich<br />
für die Zeiträume vor, während<br />
und nach Ablauf der Frist. Zahlungen<br />
nach versäumter Antragstellung sind nun<br />
ausdrücklich nicht mit der Sorgfalt eines<br />
ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters<br />
vereinbar und führen zur Ersatzpflicht<br />
des Geschäftsleiters. Dies sollte<br />
für alle Geschäftsleiter Anlass genug sein,<br />
ihre Antragspflichten sorgfältig zu prüfen<br />
und einen Insolvenzantrag gegebenenfalls<br />
rechtzeitig zu stellen.<br />
Auch wenn die Neuregelungen bezüglich<br />
des Umfangs der Ersatzpflicht nun eine<br />
Gesamtbetrachtung ermöglichen, die zu<br />
einer Reduzierung der Ersatzpflicht führen<br />
kann, bleibt festzuhalten, dass Geschäftsleiter<br />
gut daran tun, Insolvenzanträge<br />
rechtzeitig zu stellen, damit sich die<br />
weiterhin hohe Gefahr ihrer Inanspruchnahme<br />
gar nicht erst realisiert.<br />
Die <strong>Recht</strong>sanwaltskanzlei Michaelis steht<br />
Ihnen für eine gesellschaftsrechtliche Beratung<br />
zum Thema der Geschäftsleiterhaftung<br />
gerne zur Verfügung.<br />
Sonderausgabe<br />
33
<strong>Recht</strong><br />
Maklerpflicht, auch Direktversicherungen<br />
zu berücksichtigen?<br />
– TEXT: RA STEPHAN MICHAELIS, LL. M., FACHANWALT FÜR VERSICHERUNGSRECHT –<br />
Hat das Landgericht Konstanz im<br />
Urteil vom 21.01.2021 (Me 4 O<br />
90/19) wirklich recht? Ein Versicherungsmakler<br />
hatte bei einer Beratung für den<br />
Versicherungsschutz des Wohnwagens<br />
zur Vollkaskoversicherung keine Direktversicherer<br />
berücksichtigt. Aufgrund der<br />
preislichen Angebote hatte sich der Kunde<br />
dann nur für eine Teilkaskoversicherung<br />
entschieden. Der dann eingetretene<br />
Versicherungsfall wäre aber nur über die<br />
Vollkaskoversicherung gedeckt gewesen.<br />
Nun argumentiert der Kunde, dass er bei<br />
der günstigen Prämie des Direktversicherers<br />
die Vollkasko genommen hätte.<br />
Der Makler habe ihn aber nicht auf diese<br />
günstige Möglichkeit hingewiesen.<br />
Das LG Konstanz hatte den Versicherungsmakler<br />
zum Ersatz des (nicht<br />
versicherten) Vollkaskoschadens verurteilt.<br />
Nach der richterlichen Einschätzung<br />
hätte der Versicherungsmakler bei der<br />
Beratung darauf hinweisen müssen, dass<br />
er keine Direktversicherer in seine Beratungsgrundlage<br />
(vergleiche § 60 VVG)<br />
einbezieht. Es sei auch nicht ausreichend,<br />
dass dieser Hinweis nur im Maklervertrag<br />
gestanden habe.<br />
Tipp: Um auf Nummer sicher zu gehen,<br />
kann ich jedem/r Versicherungsmakler*in<br />
nur empfehlen, eine solche Regelung<br />
ausdrücklich im Rahmen der Beratungsdokumentation<br />
bei der Beratung mit dem<br />
Kunden zu besprechen und zu dokumentieren.<br />
So jedenfalls auch die Vorstellung<br />
des Landgerichts Konstanz.<br />
Aus meiner Sicht überspannt das Gericht<br />
die Beratungspflichten des Versicherungsmaklers.<br />
Es ist meines Erachtens<br />
richtig und ausreichend, wenn der<br />
Versicherungsmakler schon in seinem<br />
Versicherungsmaklervertrag deutlich<br />
und hervorgehoben darauf hinweist,<br />
dass er keine Direktversicherer in seine<br />
Beratungsgrundlage einbezieht und nur<br />
Produktgeber einbezieht, die eine übliche<br />
Courtage zahlen. Ebenso muss es einem<br />
Versicherungsmakler auch gestattet sein,<br />
diejenigen Versicherer auszugrenzen, die<br />
überhaupt nicht mit einem Versicherungsmakler<br />
zusammenarbeiten. Selbiges gilt<br />
auch für exklusive Deckungskonzepte,<br />
auf die ein Versicherungsmakler mangels<br />
Zugang zum Produkt nicht zugreifen<br />
kann, oder ausländische Versicherer.<br />
Faktisch hat der Versicherungsmakler<br />
eben nicht die Möglichkeit, alle Versicherungsprodukte<br />
anzubieten und auch dann<br />
fortlaufend zu betreuen. Wie soll das ein<br />
Versicherungsmakler bei einem Direktversicherer<br />
gewährleisten, der zumeist eine<br />
Korrespondenzpflicht aus „technischen<br />
Gründen“ verweigert? Warum will ein<br />
Gericht von zwei Parteien, die beide nicht<br />
miteinander zusammenarbeiten wollen,<br />
das verlangen? Nur Verbraucherschutz?<br />
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<strong>Recht</strong><br />
Die Betriebsschließungsversicherung:<br />
Anmerkung zum Urteil des Oberlandesgerichts<br />
Stuttgart vom 15.02.2021 – 7 U 351/20<br />
Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20.05.2020 – 314 O 109/18 (rechtskräftig)<br />
– TEXT: RA LARS KROHN, LL.M., FACHANWALT FÜR VERSICHERUNGSRECHT –<br />
I.<br />
1. Mit Urteil vom 15.02.2021 hat das<br />
OLG Stuttgart zum Aktenzeichen 7 U<br />
351/20 als erstes Oberlandesgericht über<br />
einen Anspruch aus der Betriebsschließungsversicherung<br />
unter Zulassung der<br />
Revision zum Bundesgerichtshof entschieden.<br />
Der Entscheidung lagen Versicherungsbedingungen<br />
zugrunde, die im Hinblick auf<br />
versicherte Krankheiten und Erreger eine<br />
Kombination aus Liste und Verweis auf<br />
das Infektions(schutz)gesetz vorsehen.<br />
2. Nach dem bei beck-online veröffentlichten<br />
Obersatz hat das OLG Stuttgart<br />
folgendermaßen entschieden: „Eine<br />
Regelung in den Bedingungen, nach der<br />
meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger<br />
‚die folgenden, im Infektionsschutzgesetz<br />
in den §§ 6 und 7 namentlich<br />
genannten Krankheiten und Krankheitserreger‘<br />
sind, stellt einen abschließenden<br />
Verweis auf die folgende Aufzählung dar.<br />
Diese Regelung ist auch nicht mehrdeutig,<br />
sie ist ferner transparent und höhlt den<br />
Versicherungsschutz nicht aus.“<br />
3. Tatsächlich lauteten die zugrunde liegenden<br />
Allgemeinen Versicherungsbedingungen<br />
der Betriebsschließungsversiche-<br />
rung (Stand: 01.07.2016) laut Tatbestand<br />
des Urteils wie folgt:<br />
„1. Betriebsschließung<br />
1.1 Der Versicherer leistet Entschädigung,<br />
wenn die zuständige Behörde aufgrund<br />
des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung<br />
von Infektionskrankheiten beim<br />
Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG)<br />
beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten<br />
oder Krankheitserreger<br />
a) den versicherten Betrieb oder eine<br />
versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung<br />
der Verbreitung von meldepflichtigen<br />
Krankheiten oder Krankheitserregern bei<br />
Menschen schließt;<br />
Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebs<br />
angehörige eines Betriebes oder<br />
einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung<br />
gleichgestellt;<br />
…<br />
1.2 Meldepflichtige Krankheiten und<br />
Krankheitserreger<br />
Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger<br />
im Sinne dieser Bedingungen<br />
sind die folgenden, im Infektionsgesetz<br />
in den §§ 6 und 7 namentlich genannten<br />
Krankheiten und Krankheitserreger:<br />
a) Krankheiten<br />
…<br />
b) Krankheitserreger<br />
…<br />
1.3 Nicht versicherte Schäden<br />
Nicht versichert sind, ohne Rücksicht auf<br />
mitwirkende Ursachen, Schäden<br />
...<br />
e) von Prionenerkrankungen oder dem<br />
Verdacht hierauf;<br />
…“<br />
Nicht in Ziffer 1.2 genannt sind die<br />
Corona-Virus-Krankheit-2019 (Covid-19)<br />
oder das Severe Acute Respiratory Syndrome<br />
– Corona-Virus (SARS-CoV) und<br />
das Severe Acute Respiratory Syndrome –<br />
Corona-Virus-2 (SARS-CoV-2).<br />
II.<br />
1. Wie Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski<br />
bereits in seiner Anmerkung zu dem hier<br />
behandelten Urteil des OLG Stuttgart in<br />
der Zeitschrift für Versicherungswesen<br />
07/20, 21, Seite 213 ff. zutreffend dargestellt<br />
hat, lautet das Leistungsversprechen<br />
des Versicherers, Entschädigung bei<br />
einer Betriebsschließung beim Auftreten<br />
meldepflichtiger Krankheiten/Krankheitserreger<br />
nach dem Infektionsschutzgesetz<br />
zu leisten. Dieses Leistungsversprechen<br />
findet sich in Ziffer 1.1 der AVB niedergeschrieben<br />
und regelt die Leistung bei einer<br />
Betriebsschließung aufgrund meldepflichtiger<br />
Krankheiten/Krankheitserreger<br />
nach dem Infektionsschutzgesetz in der<br />
jeweils geltenden Fassung. Schwintowski<br />
zeigt ferner auf, dass die vom OLG<br />
Stuttgart so eingeordnete Konkretisierung<br />
des Leistungsversprechens in Ziffer 1.2<br />
dann aber in einem Widerspruch gegen<br />
das in Ziffer 1.1 formulierte klare und<br />
eindeutige Leistungsversprechen steht, es<br />
sogar ins Gegenteil verkehrt, letztlich mit<br />
dem Leitbild des geschlossenen Vertrages<br />
unvereinbar und diese leistungsverkürzende<br />
Klausel insgesamt ungewöhnlich<br />
und überraschend sei, weswegen sie nach<br />
§ 305c Absatz 1 BGB nicht Vertragsbestandteil<br />
werde; dem kann im Ergebnis<br />
nur zugestimmt werden, da der verständige<br />
durchschnittliche Versicherungsnehmer,<br />
dessen Verständnis für die Auslegung<br />
von Versicherungsbedingungen nach ständiger<br />
höchstrichterlicher <strong>Recht</strong>sprechung<br />
ausschlaggebend ist, nicht erkennen kann,<br />
dass das ursprüngliche Leistungsversprechen<br />
des Versicherers durch die Regelung<br />
in Ziffer 1.2 eingeschränkt werden soll.<br />
Aus diesem Grund ist eine solche Klausel<br />
aber nicht nur widersprüchlich und damit<br />
überraschend, sondern auch unklar im<br />
Sinne des § 305c Absatz 2 BGB.<br />
36 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
Da Ziffer 1.2 AVB nicht als Risikoausschluss<br />
bzw. als leistungsverkürzend<br />
gekennzeichnet ist, wird sie – da sie für<br />
den VN überraschen und unklar ist –<br />
nicht Vertragsbestandteil und ist unklar,<br />
sodass Auslegungszweifel zulasten des<br />
Verwenders gehen und die versicherungsnehmerfreundlichste<br />
Auslegung greift, die<br />
die Klausel als bloße Information über<br />
mögliche meldepflichtige Krankheiten und<br />
Krankheitserreger interpretiert.<br />
Folgte man dagegen der Interpretation des<br />
OLG Stuttgart, ist die Klausel unter Ziffer<br />
1.2 aber auch als intransparent gemäß<br />
§ 307 Absatz 1 Satz 2 BGB unwirksam,<br />
weil sie verschleiert, dass der ursprünglich<br />
gewährte Versicherungsschutz für<br />
alle meldepflichtigen Krankheiten und<br />
Krankheitserreger im Sinne des Infektionsschutzgesetzes<br />
eingeschränkt wird.<br />
2. Diesen von Prof. Schwintowski in seiner<br />
vorgenannten Anmerkung herausgearbeiteten<br />
Ergebnissen ist zuzustimmen, ebenso<br />
der Konsequenz, dass Versicherungsschutz<br />
nach Ziffer 1.1 der Versicherungsbedingungen<br />
uneingeschränkt dann zu gewähren<br />
ist, wenn die zuständige Behörde<br />
aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und<br />
Bekämpfung von Infektionskrankheiten<br />
beim Menschen (Infektionsschutzgesetz<br />
– IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger<br />
Krankheiten oder Krankheitserreger den<br />
versicherten Betrieb schließt, wobei das<br />
Infektionsschutzgesetz in § 6 meldepflichtige<br />
Krankheiten und in § 7 meldepflichtige<br />
Krankheitserreger auflistet, die Liste<br />
der meldepflichtigen Krankheiten aber<br />
nicht abschließend ist, weil nach § 6 Absatz<br />
1 Nummer 5 IfSG auch der Verdacht<br />
einer Erkrankung, die nicht bereits nach<br />
den Nummern 1 bis 4 meldepflichtig ist,<br />
die Meldepflicht auslöst, was parallel für<br />
Krankheitserreger nach § 7 Absatz 2 IfSG<br />
vorgesehen ist, wenn Hinweise auf eine<br />
schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit<br />
bestehen, so wie es vorliegend<br />
für Covid-19 und SARS-CoV über die Corona-Meldeverordnung<br />
bereits im Februar<br />
2020 auch umgesetzt wurde.<br />
III.<br />
1. Vorstehendes Ergebnis kann aber noch<br />
weitergehend – Schwintowskis Anmerkung<br />
ergänzend – begründet werden, da<br />
sich der Versicherer in der vorzitierten<br />
Klausel Ziffer 1.2 des Bedingungswerks –<br />
warum auch immer – auf „die folgenden,<br />
im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7<br />
namentlich genannten Krankheiten und<br />
Krankheitserreger“ bezieht. Ein Infekti-<br />
onsgesetz gab und gibt es nicht.<br />
Dass der Versicherer hier nicht das Infektionsschutzgesetz<br />
wie in Ziffer 1.1 nennt,<br />
sondern (abweichend) von einem Infektionsgesetz<br />
spricht, hat das OLG Stuttgart<br />
nicht behandelt, sondern ausweislich der<br />
Gründe zum Urteil außer Acht gelassen,<br />
obwohl sich die Intransparenz und<br />
infolgedessen die Unwirksamkeit der<br />
Regelung nach Ziffer 1.2 AVB aus dem<br />
dortigen Verweis auf ein „Infektionsgesetz“<br />
ergibt, das es gar nicht gibt, sodass<br />
eine Kenntnis oder eine Kenntnisnahme<br />
einem Versicherungsnehmer verwehrt<br />
ist. Da das Infektionsschutzgesetz in<br />
Ziffer 1.1 AVB aber bereits ausdrücklich<br />
genannt ist, erkennt der Versicherungsnehmer<br />
den begrifflichen Unterschied und<br />
wird es nicht mit dem „Infektionsgesetz“<br />
gleichsetzen oder gleichsetzen müssen.<br />
Ein hinreichend transparenter Verweis auf<br />
das Infektionsschutzgesetz liegt in Ziffer<br />
1.2 AVB damit nicht vor, die Intransparenz<br />
führt zur Unwirksamkeit und damit<br />
zu dem Ausschluss der Annahme einer<br />
abgeschlossenen Aufzählung bzw. Liste,<br />
vergleiche Landgericht Darmstadt – 28 O<br />
168/20.<br />
2. Nicht nur diesbezüglich sind die zutreffenden<br />
Ausführungen Prof. Dr. Schwintowskis<br />
zum Urteil des OLG Stuttgart – 7<br />
U 351/20 – zu ergänzen, sondern auch<br />
hinsichtlich des ausdrücklichen Ausschlusses<br />
für Prionenerkrankungen (beim<br />
Menschen: Creutzfeldt-Jakob-Krankheit)<br />
unter Ziffer 1.3 AVB. Bereits die Existenz<br />
dieses Ausschlusses steht einem Verständnis,<br />
dass die Auflistung unter Ziffer 1.2<br />
AVB abschließend sein könnte, diametral<br />
entgegen. Der Ausschluss für Prionenerkrankungen<br />
in den AVB wäre dann<br />
nämlich völlig gegenstandslos und machte<br />
keinen Sinn, wenn die Liste unter Ziffer<br />
1.2 AVB bereits abschließend wäre. Im<br />
Falle einer abschließenden Liste bedürfte<br />
es keines zusätzlichen Ausschlusses für<br />
eine Krankheit oder einen Krankheitserreger,<br />
denn dann wäre ohnehin alles, was<br />
nicht gelistet ist, ausgeschlossen.<br />
Vielmehr wird der Versicherungsnehmer<br />
seine Versicherungsbedingungen derart<br />
lesen, dass er zunächst das Leistungsversprechen<br />
in Ziffer 1.1 entdeckt und dann<br />
bei einer Suche nach etwaigen Leistungseinschränkungen<br />
auf die Überschrift der<br />
Ziffer 3 AVB und den dort gemachten<br />
Ausschluss für Schäden „von Prionenerkrankungen<br />
oder dem Verdacht hierauf“<br />
stößt, wodurch er den unzweideutigen<br />
Rückschluss ziehen darf und ziehen wird,<br />
dass die Liste unter Ziffer 1.2 im Hinblick<br />
auf meldepflichtige Krankheiten und<br />
Krankheitserreger gar nicht abschließend<br />
sein kann, weil hier ein expliziter Ausschluss<br />
einer (meldepflichtigen) Krankheit<br />
erfolgt, der bei einer abgeschlossenen<br />
Liste keinen Sinn machte, vergleiche<br />
Landgericht München I – 12 O 5868/20;<br />
Armbrüster VersR 2020, 577; Fortmann<br />
ZFV 2020, 300 Armbrüster in Prölss/<br />
Martin, VVG, 31. Aufl., BSV Rn. 10.<br />
Das OLG Stuttgart ist der Auffassung,<br />
dass „ein Rückschluss von dieser Ausnahme<br />
auf den Umfang der Leistungspflicht<br />
... für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer<br />
gerade nicht nahe“ läge und<br />
dass „schon gar nicht hieraus bei verständiger<br />
Betrachtung der Schluss gezogen<br />
werden“ könne, „der in Ziffer 1.2 AVB<br />
erkennbar abschließend formulierte Katalog<br />
solle wieder geöffnet werden“.<br />
Insoweit begeht das OLG aber einen<br />
Denkfehler, da es auf eine „Wiedereröffnung“<br />
des „erkennbar abschließend<br />
formulierten Katalogs in Ziffer 1.2 AVB“<br />
abstellt. Der Senat setzt also das Erkennen<br />
einer unterstellten Abgeschlossenheit des<br />
Katalogs in Ziffer 1.2 AVB voraus, gerade<br />
das Erkennen einer Abgeschlossenheit<br />
bzw. einer Abgeschlossenheit selbst wird<br />
aber durch den Ausschluss für Prionenerkrankungen<br />
verhindert, da er einer solchen<br />
Erkenntnis diametral entgegensteht.<br />
Insofern ist es unzutreffend, auf eine Wiedereröffnung<br />
eines Katalogs abzustellen,<br />
der eben nie geschlossen war, und zwar<br />
unter anderem deshalb, weil der Annahme<br />
eines geschlossenen Katalogs gerade der<br />
Ausschluss für Prionenerkrankungen zwingend<br />
entgegensteht. Die Erkennbarkeit<br />
der Abgeschlossenheit des formulierten<br />
Katalogs ist mithin durch den Ausschluss<br />
für Prionenerkrankungen einerseits ausgeschlossen<br />
und kann nicht wie vom OLG<br />
Stuttgart schlicht vorausgesetzt werden;<br />
es kann mithin nicht um die Wiedereröffnung<br />
eines geschlossenen Katalogs gehen,<br />
denn der Katalog war nie geschlossen.<br />
3. All dies führt – wie gesagt – dazu,<br />
dass sich der Versicherer entgegen der<br />
Auffassung des OLG Stuttgart an sein<br />
Leistungsversprechen, Entschädigung bei<br />
einer Betriebsschließung beim Auftreten<br />
meldepflichtiger Krankheiten/Krankheitserreger<br />
nach dem Infektionsschutzgesetz<br />
zu leisten, halten muss, und zwar im<br />
Sinne einer dynamischen Verweisung auch<br />
bei hinzukommenden meldepflichtigen<br />
Krankheiten und Krankheitserregern und<br />
damit auch bei „Corona“.<br />
Sonderausgabe<br />
37
<strong>Recht</strong><br />
Verpflichtet Krebs zur Aufgabe des<br />
Unternehmens? - Zur abstrakten Verweisung in<br />
der Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
– TEXT: RA KATHRIN PAGEL, FACHANWÄLTIN FÜR VERSICHERUNGSRECHT –<br />
OLG KARLSRUHE,<br />
BESCHLUSS VOM 06.05.2020 – 9 U 54/18<br />
Verstirbt der Versicherungsnehmer in<br />
der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung,<br />
bevor er seine Berufsunfähigkeitsleistungen<br />
erhalten hat, besteht der<br />
Anspruch auf Leistungen fort und geht<br />
auf die Erben über. Die mentalen sowie<br />
rechtlichen Herausforderungen für die<br />
Hinterbliebenen bestehen darin, nun die<br />
Auseinandersetzung mit dem Versicherer<br />
zu führen. In einem solchen Prozess<br />
hatte das OLG Karlsruhe unter anderem<br />
darüber zu entscheiden, ob der Versicherer<br />
einen selbstständigen mitarbeitenden<br />
Kfz-Werkstatt-Besitzer bei Berufsunfähigkeit<br />
wegen eines Pankreaskarzinoms<br />
mit Lebermetastasen auf eine abhängige<br />
Tätigkeit als Kfz-Service-Berater verweisen<br />
durfte, um dadurch der Leistungsverpflichtung<br />
aus einem privaten Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag<br />
zu entgehen.<br />
MÖGLICHKEIT EINER<br />
»ABSTRAKTEN VERWEISUNG«<br />
Grundsätzlich ist an einem Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag<br />
die<br />
Absicherung der tatsächlich zuletzt in<br />
gesunden Tagen ausgeübten beruflichen<br />
Tätigkeit vereinbart. Kann der Versicherungsnehmer<br />
diese aus gesundheitlichen<br />
Gründen nicht mehr ausüben, erhält er<br />
Versicherungsleistungen aus dem Vertrag.<br />
Einige ältere Versicherungsverträge<br />
in der Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
enthalten jedoch noch Vertragsklauseln<br />
über eine sogenannte „abstrakte Verweisung“.<br />
Eine solche Klausel kann es dem<br />
Versicherer unter Umständen sehr viel<br />
weitergehend gestatten, den Versicherungsnehmer<br />
im Falle der Berufsunfähigkeit<br />
in seinem alten Beruf auf eine andere<br />
berufliche Tätigkeit zu verweisen. Nach<br />
dem Gesetz dürfen solche Verweisungen<br />
auf eine andere Tätigkeit grundsätzlich<br />
vertraglich vereinbart werden. Es muss<br />
sich nach § 172 Absatz 3 VVG um eine<br />
Tätigkeit handeln, zu der die versicherte<br />
Person aufgrund ihrer Ausbildung und<br />
Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer<br />
bisherigen Lebensstellung entspricht. Will<br />
der Versicherer den Versicherungsnehmer<br />
im Versicherungsfall tatsächlich auf<br />
einen Vergleichsberuf verweisen, muss er<br />
umfassend und detailreich den avisierten<br />
Vergleichsberuf zunächst aufzeigen. Die<br />
lediglich allgemeine Verweisung auf ein<br />
Berufsbild, wie zum Beispiel „Servicetechniker“<br />
oder „Bäcker“, genügt dann nicht.<br />
In dem Fall des OLG Karlsruhe enthielt<br />
der Vertrag eine abstrakte Verweisung und<br />
diese wurde vom Versicherer für eine abhängige<br />
Tätigkeit als Kfz-Service-Berater<br />
38 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
liert nicht geprüft, denn ein Berufswechsel<br />
setzt zudem voraus, dass er auch für den<br />
Versicherten zumutbar wäre.<br />
ZUMUTBARKEIT DES BERUFSWECHSELS<br />
Zur Frage der Zumutbarkeit wurde<br />
weiter ermittelt. Im Zusammenhang mit<br />
der Pankreaskarzinom-Diagnose wurde<br />
ein Sachverständiger gehört, der eine Prognose<br />
zur Überlebenswahrscheinlichkeit<br />
gestellt hatte. Die Chancen des Versicherten<br />
für die Fortführung seines Unternehmens<br />
wurden bei einer von dem Sachverständigen<br />
festgestellten nicht mehr als<br />
20-prozentigen Ein-Jahres-Überlebensrate<br />
als relativ gering angesehen. Das OLG<br />
Karlsruhe befand dennoch, dass es von<br />
dem Versicherten nicht zu verlangen wäre,<br />
seinen Betrieb aufzugeben, nur um bis zu<br />
seinem voraussichtlichen Tod noch eine<br />
ungewisse Zeit von wenigen Monaten gegebenenfalls<br />
eine abhängige Beschäftigung<br />
bei einem Drittunternehmen ausüben zu<br />
können.<br />
FAZIT<br />
Bei einem BU-Vertrag mit einer abstrakten<br />
Verweisung ist generell mit Verzögerungen<br />
in der Leistungsabwicklung zu rechnen.<br />
Der Versicherer wird immer versuchen,<br />
einen anderen Vergleichsberuf zu finden<br />
und damit die Leistungsverpflichtung abzuwenden.<br />
Versicherungsnehmer müssen<br />
ohnehin in der Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
besondere Herausforderungen<br />
der Leistungsbeantragung bewältigen,<br />
die Verknüpfung von versicherungsrechtlichen<br />
Fragestellungen mit medizinischen<br />
und berufskundlichen Fragen. Dabei<br />
benötigt der Versicherungsnehmer Hilfe.<br />
Jeder Einzelfall ist anders gelagert und<br />
muss individuell behandelt werden. Der<br />
Leistungsfall in der Berufsunfähigkeitsversicherung<br />
ist anspruchsvoll, aufwendig<br />
und für Versicherungsmakler ohne<br />
entsprechende Expertise haftungsträchtig.<br />
Mit einer professionellen Leistungsfallbegleitung,<br />
einem Service von <strong>Recht</strong>sanwältin<br />
Pagel in der Kanzlei Michaelis, können<br />
von Beginn an viele Fallstricke überwunden<br />
werden.<br />
In fallende Messer<br />
greift man nicht.<br />
Diese und weitere Weisheiten im<br />
täglichen <strong>procontra</strong>-Nachrichtenupdate.<br />
<strong>procontra</strong>-online.de/newsletter<br />
Sonderausgabe<br />
ausgesprochen. Der Kfz-Werkstatt-Besitzer<br />
hatte nach seiner Diagnose zunächst auf<br />
die Wiederherstellung seiner Gesundheit<br />
gehofft und darauf, dass er seinen bereits<br />
seit 20 Jahren bestehenden und von ihm<br />
selbst aufgebauten Kfz-Werkstattbetrieb<br />
aufrechterhalten könnte. Daher wurde<br />
der Betrieb nicht eingestellt. Es folgten die<br />
Operation und längere Chemotherapie.<br />
Die fortschreitende Verschlechterung des<br />
Gesundheitszustands und letztlich der Tod<br />
konnten nicht verhindert werden, aber<br />
seine Hoffnung behielt der Versicherte<br />
über den gesamten Zeitraum. Daher gab<br />
er den Betrieb seiner Werkstatt bis zum<br />
Ende nicht auf. Die Erben stritten sich mit<br />
dem Versicherer darüber, ob der Versicherte,<br />
trotz der Hoffnung auf die Fortsetzung<br />
seiner Tätigkeit, sein Unternehmen<br />
und die Selbstständigkeit hätte aufgeben<br />
müssen. Der Versicherer war der Ansicht,<br />
stattdessen hätte der Versicherte auf die<br />
Tätigkeit als Kfz-Service-Berater abstrakt<br />
verwiesen werden können. Das wäre der<br />
Fall, wenn es sich um einen vergleichbaren<br />
Beruf handelt und der Versicherte über die<br />
Ausbildung und Fähigkeiten sowie ausreichende<br />
gesundheitliche Voraussetzungen<br />
zur Ausübung verfügt. Dies wurde detail<strong>procontra</strong><br />
– Das freie Finanzmagazin<br />
39
<strong>Recht</strong><br />
Corona-Schutzimpfung und Arbeitsrecht<br />
– TEXT: RA SARAH KOLSS –<br />
Vor einigen Wochen haben die Unternehmen<br />
Facebook und Google<br />
angekündigt, dass künftig nur Mitarbeiter<br />
in den Büros vor Ort arbeiten<br />
dürfen, wenn sie gegen das Corona-Virus<br />
geimpft sind. 1 Es stellt sich die Frage, ob<br />
eine solche Anordnung auch hierzulande<br />
möglich wäre und in welchen anderen<br />
Bereichen des Arbeitsverhältnisses sich<br />
der Impfstatus von Arbeitnehmern auswirken<br />
kann. Es beginnt schon mit der<br />
Frage, ob der Arbeitgeber überhaupt den<br />
Impfstatus seiner Arbeitnehmer erfragen<br />
darf. Weiter stellt sich die Frage, welche<br />
Folgen es im laufenden Arbeitsverhältnis<br />
für Arbeitnehmer haben kann, ob ein<br />
Mitarbeiter geimpft ist oder nicht, und ob<br />
der Arbeitgeber eine Impfung anordnen<br />
darf. Schließlich ist danach zu fragen, ob<br />
ein Arbeitgeber nur geimpfte Personen<br />
einstellen kann oder gar ungeimpften<br />
Mitarbeitern kündigen darf.<br />
Vorweggeschickt werden soll, dass es in<br />
Deutschland derzeit keine Impfpflicht für<br />
die Corona-Schutzimpfung gibt, wie sie<br />
etwa für Masern gemäß § 20 Absatz 8<br />
bis 12 Infektionsschutzgesetz (IfSG) für<br />
bestimmte Personengruppen besteht. Die<br />
Bundesregierung betont immer wieder,<br />
dass es keine Impfpflicht geben soll, 2<br />
auch wenn die Einführung als <strong>Recht</strong>sverordnung<br />
unter den Voraussetzungen des<br />
§ 20 Absatz 6 IfSG bzw. entsprechend<br />
den Regelungen zur Masernimpfpflicht<br />
durch Gesetz möglich wäre. Dies ist bei<br />
der Beantwortung der Fragen genauso zu<br />
berücksichtigen wie die Tatsache, dass<br />
es sich bei allen diesen Fragen um neue<br />
<strong>Recht</strong>sfragen handelt, zu denen bisher<br />
keine oder zumindest keine höchstrichterliche<br />
<strong>Recht</strong>sprechung existiert. Es bleibt<br />
also abzuwarten, wie sich die Arbeitsgerichte<br />
zu diesen Fragen verhalten werden.<br />
HAT DER ARBEITGEBER EIN<br />
FRAGERECHT ZUM IMPFSTATUS?<br />
Beim Impfstatus handelt es sich um<br />
Gesundheitsdaten und damit um besondere<br />
persönliche Daten gemäß Artikel<br />
9 Absatz 1 DSGVO. Deren Erhebung<br />
ist nach § 26 Absatz 3 BDSG nur unter<br />
strengen Voraussetzungen zulässig, und<br />
zwar wenn sie zur Ausübung von <strong>Recht</strong>en<br />
oder zur Erfüllung rechtlicher Pflichten<br />
aus dem Arbeitsverhältnis, dem <strong>Recht</strong> der<br />
sozialen Sicherung und des Sozialschutzes,<br />
erforderlich ist und kein Grund zu der<br />
Annahme besteht, dass das schutzwürdige<br />
Interesse der betroffenen Person an dem<br />
Ausschluss der Verarbeitung überwiegt.<br />
Trotzdem wird die Ansicht vertreten,<br />
dass ein Fragerecht besteht. Dies ergäbe<br />
sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers<br />
gegenüber anderen Arbeitnehmern.<br />
Außerdem spreche dafür auch § 23a IfSG,<br />
der Arbeitgebern bestimmter Branchen<br />
erlaube, Angaben zum Impfstatus der Beschäftigten<br />
zu verarbeiten. 3 Die besseren<br />
Argumente sprechen jedoch gegen ein<br />
Fragerecht. Es muss im Rahmen der Interessenabwägung<br />
berücksichtigt werden,<br />
dass derzeit keine Impfpflicht besteht. 4<br />
Die Schaffung von § 23a IfSG spricht eher<br />
dafür, dass der Gesetzgeber eine Erfassung<br />
des Impfstatus in anderen Fällen<br />
nicht durch den Arbeitgeber ermöglichen<br />
wollte. 5 Etwas anderes ergibt sich auch<br />
nicht aus der Gesetzesbegründung. 6 Auch<br />
das Bundesministerium für Arbeit und<br />
Soziales verneint eine Auskunftspflicht. 7<br />
DARF DER ARBEITGEBER EINE IMPFUNG<br />
ANORDNEN?<br />
Es besteht weitgehend Einigkeit darüber,<br />
dass in den meisten Arbeitsverhältnissen<br />
eine Corona-Impfung nicht durch den<br />
Arbeitgeber angeordnet werden darf,<br />
solange es keine allgemeine Impfpflicht<br />
gibt. Eine Anordnung der Corona-Schutz-<br />
impfung kommt lediglich in besonderen<br />
Arbeitsverhältnissen in Betracht. Als<br />
Beispiele sind Beschäftigungsverhältnisse<br />
in Krankenhäusern oder Pflegeheimen<br />
zu nennen. Dies gilt insbesondere für<br />
Beschäftigte, die direkten Kontakt zu<br />
vulnerablen Gruppen haben. Nur in diesen<br />
speziellen Arbeitsverhältnissen wird<br />
die Anordnung der Impfung durch das<br />
Weisungsrecht des Arbeitgebers gemäß §<br />
106 Satz 1 GewO 8 als gedeckt angesehen<br />
sowie die Einführung einer Impfpflicht<br />
durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung,<br />
Arbeitsvertrag oder Treuepflicht für möglich<br />
gehalten. 9 Teilweise wird die Ansicht<br />
dadurch eingeschränkt, dass eine Anordnung<br />
durch den Arbeitgeber nicht mehr<br />
verhältnismäßig sei, wenn genug Impfstoff<br />
zur Verfügung stehe und deshalb jeder<br />
selbst entscheiden könne, ob er auf eine<br />
Impfung verzichte und somit ein erhöhtes<br />
Risiko einer Corona-Erkrankung bzw.<br />
eines schweren Verlaufs dieser eingehe. 10<br />
Gegen eine arbeitsrechtliche Impfpflicht<br />
spricht aber in allen Fällen, dass eine<br />
solche nicht weitergehen kann als eine<br />
allgemeine Impfpflicht. Für eine allgemeine<br />
Impfpflicht gilt der Gesetzesvorbehalt.<br />
Bei einer Impfpflicht handelt es sich um<br />
einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff<br />
in das Grundrecht des Einzelnen auf<br />
körperliche Unversehrtheit nach Artikel<br />
2 Absatz 2 GG. In dieses kann auch nicht<br />
zum Schutz anderer ohne gesetzliche<br />
Grundlage eingegriffen werden. 11 Solange<br />
eine allgemeine Impfpflicht nicht besteht,<br />
kann eine Impfung also nicht durch den<br />
Arbeitgeber vorgegeben werden.<br />
VORTEILE FÜR GEIMPFTE –<br />
NACHTEILE FÜR UNGEIMPFTE?<br />
Dies bedeutet jedoch nicht, dass deshalb<br />
alle Maßnahmen, die die Impfbereitschaft<br />
der Beschäftigten fördern sollen, gleichermaßen<br />
unzulässig sind.<br />
Maßnahmen zur gesundheitlichen Aufklärung<br />
der Arbeitnehmer, 12 die bezahlte<br />
Freistellung zur Wahrnehmung von Impfterminen<br />
und auch finanzielle Anreize wie<br />
Impfboni werden für zulässig erachtet.<br />
Eine Ungleichbehandlung nach dem<br />
allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz<br />
40 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
sei gerechtfertigt, da sachliche Gründe für<br />
die Ungleichbehandlung vorlägen. Durch<br />
die Förderung der empfohlenen Impfung<br />
werde Schutzpflichten gegenüber anderen<br />
Mitarbeitern genügt 13 und sie entspreche<br />
den wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers.<br />
14<br />
Gleiches gelte für Zutritts- und Teilhaberechte<br />
15 bzw. Ausschluss von sozialen<br />
Kontaktpunkten wie Kantine oder Sozialräumen,<br />
jedenfalls solange die vertraglich<br />
geschuldete Tätigkeit noch ausgeübt<br />
werden könne. 16<br />
Andere haben zumindest hinsichtlich der<br />
Zulässigkeit von Impfboni Zweifel, da die<br />
<strong>Recht</strong>sprechung beim Ausschluss einzelner<br />
Arbeitnehmer von Sonderleistungen<br />
vergleichsweise restriktiv sei. 17<br />
Insgesamt bleibt abzuwarten, wie die<br />
Arbeitsgerichte diese Fragen beantworten.<br />
Jedenfalls ist höchst fraglich, ob am Arbeitsplatz<br />
strengere Regeln gelten dürfen<br />
als im Alltag, wo auch zukünftig für den<br />
Zutritt öffentlicher Einrichtungen in der<br />
Regel die 3G-Regel (geimpft, genesen oder<br />
getestet) gelten soll. 18<br />
DARF DIE ENTGELTFORTZAHLUNG BEI CORONA-<br />
ERKRANKUNG NACH VERWEIGERTER IMPFUNG<br />
VERWEIGERT WERDEN?<br />
Zwar gibt es auch Stimmen, welche die<br />
Entgeltfortzahlung im Falle einer Corona-<br />
Erkrankung nach verweigerter Impfung<br />
verweigern wollen, wenn die Impfung<br />
nicht aus religiösen Motiven verweigert<br />
wurde. 19 Dem ist jedoch nicht zuzustimmen,<br />
zumindest solange keine allgemeine<br />
Impfplicht besteht. Die Entgeltfortzahlungspflicht<br />
nach § 3 Absatz 1 EFZG<br />
besteht nur dann nicht, wenn den Arbeitnehmer<br />
bezüglich der Krankheit Verschulden<br />
gegen sich selbst trifft. Dieses ist nur<br />
dann zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer<br />
in erheblichem Maße gegen die von<br />
einem verständigen Menschen im eigenen<br />
Interesse zu erwartende Verhaltensweise<br />
verstößt. Erforderlich ist ein grober oder<br />
gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse<br />
eines verständigen Menschen und<br />
damit ein besonders leichtfertiges oder<br />
vorsätzliches Verhalten. 20 Dazu kommt,<br />
dass die derzeitigen Corona-Schutzimpfungen<br />
keinen vollständigen Impfschutz<br />
bieten. 21 Es ergibt sich aber bereits aus<br />
dem Wortlaut des § 3 I 1 EFZG, dass das<br />
Risiko der Unaufklärbarkeit der Ursachen<br />
einer Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit<br />
und eines möglichen Verschuldens des<br />
Arbeitnehmers daran beim Arbeitgeber<br />
liegt. 22 Im Entgeltfortzahlungsgesetz findet<br />
sich außerdem keine Regelung entsprechend<br />
§ 56 Absatz 1 Satz 3 IfSG, der die<br />
Entschädigungszahlung bei behördlich<br />
angeordneter häuslicher Quarantäne von<br />
einer Impfung abhängig macht. 23<br />
IST EINE KÜNDIGUNG WEGEN VERWEIGERTER<br />
IMPFUNG MÖGLICH?<br />
Wie auch die Anordnung der Corona-<br />
Schutzimpfung durch den Arbeitgeber,<br />
dürfte eine Kündigung wegen verweigerter<br />
Impfung ebenfalls nicht in Betracht kommen,<br />
solange keine Impfpflicht besteht.<br />
Dies gilt jedenfalls für alle gewöhnlichen<br />
Arbeitsverhältnisse. Anders könnte die<br />
Frage hinsichtlich der oben genannten<br />
besonderen Arbeitsverhältnisse zu beantworten<br />
sein. Es wird angenommen, dass<br />
eine Kündigung in den oben genannten<br />
besonderen Arbeitsverhältnissen, insbesondere<br />
zum Schutz vulnerabler Personengruppen,<br />
in Erwägung gezogen werden<br />
kann. 24 Aber eine Kündigung darf immer<br />
nur das letzte Mittel sein. Stehen mildere<br />
Mittel zur Auswahl, müssen diese gewählt<br />
werden. Als solche kommen regelmäßige<br />
Corona-Tests oder die Versetzung auf<br />
einen Arbeitsplatz in Betracht, an dem<br />
die Arbeitnehmer nicht mit vulnerablen<br />
Gruppen in Kontakt kommen.<br />
HOMEOFFICE: KANN DER ARBEITGEBER HOME-<br />
OFFICE ANORDNEN? HAT DER ARBEITNEHMER<br />
EINEN ANSPRUCH?<br />
Eindeutig ist die <strong>Recht</strong>slage, was die<br />
Anordnung von Homeoffice durch den<br />
Arbeitgeber sowie den Anspruch des Arbeitnehmers<br />
auf Homeoffice angeht. Auch<br />
wenn das Homeoffice viele Vorteile mit<br />
sich bringt, gibt es keine „Homeoffice-<br />
Pflicht“, auch nicht für Arbeitnehmer, die<br />
eine Impfung verweigern. 25 Wegen der Unverletzlichkeit<br />
der Wohnung gemäß Artikel<br />
13 GG ist die Homeoffice-Anordnung<br />
nicht vom Weisungsrecht des Arbeitgebers<br />
nach § 106 Satz 1 GewO umfasst. 26 <br />
1<br />
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/usa-googleimpfpflicht-101.html<br />
(abgerufen: 13.08.2021, 16:43 Uhr).<br />
2<br />
https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/pressekonferenz-vonbundeskanzlerin-merkel-buergermeister-mueller-und-ministerpraesidentsoeder-nach-der-besprechung-der-bundeskanzlerin-mit-denregierungschefinnen-und-regierungschefs-der-laender-1949588<br />
(abgerufen:<br />
17.08.2021, 16:43 Uhr).<br />
3<br />
Fuhlrott/Fischer: Impfpflicht im Arbeitsverhältnis, in: NJW 2021, 657, 661.<br />
4<br />
Wittek: COVID-19 Impfpflicht im Arbeitsverhältnis?, in: ArbRAktuell 2021,<br />
61, 63 f.<br />
5<br />
So auch Naber/Schulte: Können Arbeitnehmer zu einer Corona-Impfung oder<br />
einem Impfnachweis verpflichtet werden?, in: NZA 2021, 81, 84.<br />
6<br />
BT-Drs. 18/10938, S. 66.<br />
7<br />
https://www.bmas.de/DE/Corona/Fragen-und-Antworten/Fragen-und-<br />
Antworten-ASVO/faq-corona-asvo.html#doc89168596-e024-487b-980fe8d076006499bodyText1<br />
(abgerufen: 17.08.2021, 16:43 Uhr).<br />
8<br />
Fuhlrott/Fischer a. a. O. S. 659; Müller/Ahrendt: Arbeitsrechtliche Impfpflicht<br />
für jedermann oder Gleichbehandlung für alle?, in: ArbRAktuell 2021, 309, 310.<br />
9<br />
Naber/Schulte: Können Arbeitnehmer zu einer Corona-Impfung oder einem<br />
Impfnachweis verpflichtet werden?, in: NZA 2021, 81, 83.<br />
10<br />
Müller/Ahrendt: Arbeitsrechtliche Impfpflicht für jedermann oder<br />
Gleichbehandlung für alle?, in: ArbRAktuell 2021, 309, 311.<br />
11<br />
Wittek: COVID-19 Impfpflicht im Arbeitsverhältnis?, in: ArbRAktuell 2021,<br />
61, 61.<br />
12<br />
Wittek a .a. O. S. 63.<br />
13<br />
Fuhlrott/Fischer a. a. O. S. 660.<br />
14<br />
Wittek a. a. O. S. 63.<br />
15<br />
Fuhlrott/Fischer a. a. O. S. 660.<br />
16<br />
Wittek a. a. O. S. 63.<br />
17<br />
Naber/Schulte a. a. O. S. 85.<br />
18<br />
https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1949532/d3f1d<br />
a493b643492b6313e8e6ac64966/2021-08-10-mpk-data.pdf?download=1<br />
(abgerufen: 17.08.2021; 16:44 Uhr)<br />
19<br />
Krainbring: Entgeltfortzahlung bei Corona-Infektion nach verweigerter<br />
Schutzimpfung, in: NZA, 2021, 247, 251.<br />
20<br />
BAG, Urteil vom 18.3.2015 – 10 AZR 99/14, NZA 2015, 801, 801.<br />
21<br />
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/COVID-Impfen/FAQ_Liste_Wirksamkeit.<br />
html (abgerufen: 17.98.2021, 16:44 Uhr).<br />
22<br />
BAG, Urteil vom 18.3.2015 – 10 AZR 99/14, NZA 2015, 801, 803.<br />
23<br />
So auch: Naber/Schulte a. a. O. S. 86.<br />
24<br />
Fuhlrott/Fischer a. a. O. S. 659 f.; Wittek, a. a. O. S. 63; Stück: Abmahnung und<br />
Kündigung im Zusammenhang mit Corona, in: ArbRAktuell 2021, 70.<br />
25<br />
https://www.bmas.de/DE/Corona/Fragen-und-Antworten/Fragen-und-<br />
Antworten-ASVO/faq-corona-asvo.html#doc89168596-e024-487b-980fe8d076006499bodyText4<br />
(abgerufen: 17.98.2021, 16:44 Uhr); eine solche<br />
Pflicht gab es auch während der Geltung der Corona-ArbSchV und des<br />
§ 28b Abs. 7 IfSG bis 30.06.2021 nicht, denn auch in dieser Zeit war Arbeit im<br />
Homeoffice an die Zustimmung des Arbeitnehmers geknüpft.<br />
26<br />
ErfK/Preis, 21. Aufl. 2021, GewO § 106 Rn. 28a; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil<br />
vom 14.11.2018 - 17 Sa 562/18.<br />
Sonderausgabe<br />
41
<strong>Recht</strong><br />
Wettbewerbsverbote des Geschäftsführers<br />
– TEXT: RA DR. ROBERT BOELS, FACHANWALT FÜR BANK- UND KAPITALMARKTRECHT –<br />
Wettbewerbsverbote spielen immer dann<br />
eine besondere Rolle, wenn sich mehrere<br />
Personen als Gesellschafter und/oder<br />
Geschäftsführer an einem Unternehmen<br />
beteiligen.<br />
Mehrheitsgesellschafter von Mehrpersonengesellschaften<br />
haben maßgeblichen<br />
Einfluss auf die Geschäftsführung oder<br />
sind zugleich Geschäftsführer. Sie können<br />
der Versuchung unterliegen, zulasten der<br />
Mitgesellschafter der gleichen wirtschaftlichen<br />
Betätigung wie die der Gesellschaft<br />
nachzugehen. Sie unterliegen daher in ihrer<br />
Treuepflicht begründeten gesetzlichen<br />
Wettbewerbsverboten, die in der Praxis<br />
durch vertragliche Wettbewerbsklauseln,<br />
Beteiligungsverbote, Mitarbeiterabwerbeverbote<br />
und Kunden- oder Wissensschutzklauseln<br />
in den Gesellschaftsverträgen<br />
konkretisiert werden. Entsprechende<br />
Wettbewerbsverbote bestehen auch für<br />
Nichtgesellschafter, die etwa als Treugeber,<br />
stille Gesellschafter, Unterbeteiligte<br />
oder mit vereinbarten Sonderrechten<br />
einen maßgeblichen Einfluss auf die<br />
Gesellschaft ausüben können. Für Minderheitsgesellschafter<br />
ohne einen maßgeblichen<br />
Einfluss auf die Gesellschaft und<br />
deren Geschäftsführung kann ein Wettbewerbsverbot<br />
hingegen im Einzelfall zu<br />
verneinen sein. Die Wettbewerbsverbote<br />
gelten schon in der Vorgründungsgesellschaft<br />
bzw. ab dem späteren Beitritt eines<br />
Gesellschafters bis zu dessen Austritt.<br />
Wird die Gesellschaft liquidiert und stellt<br />
ihre werbende Tätigkeit ein, kann der<br />
Zeitpunkt der Beendigung des Wettbe-<br />
werbsverbots unter den Gesellschaftern<br />
ohne eine konkrete vertragliche Regelung<br />
streitig werden.<br />
Alleingesellschafter-Geschäftsführer<br />
unterliegen mangels einer Treuepflicht<br />
gegenüber ihrer Gesellschaft weder als<br />
Gesellschafter noch als Geschäftsführer<br />
Wettbewerbsverboten.<br />
Wird ein Minderheitsgesellschafter als<br />
Gesellschafter-Geschäftsführer tätig oder<br />
bestellt die Gesellschaft einen Fremdgeschäftsführer,<br />
stellt sich die Frage, ob,<br />
in welchem Zeitraum und in welchem<br />
Umfang gesetzliche Wettbewerbsverbote<br />
des Geschäftsführers bestehen oder ob<br />
mit diesem konkretisierende vertragliche<br />
Wettbewerbsverbote vereinbart werden<br />
können.<br />
I. WETTBEWERBSVERBOT<br />
DES AKTIVEN GESCHÄFTSFÜHRERS<br />
Jeder Geschäftsführer unterliegt grundsätzlich<br />
für die Dauer seiner Geschäftsführerbestellung<br />
und seines gegebenenfalls<br />
vereinbaren Dienstverhältnisses einem<br />
Wettbewerbsverbot. Das Wettbewerbsverbot<br />
folgt aus seiner, dem Dienstherrn<br />
gegenüber bestehenden, Treuepflicht. Er<br />
darf die Ressourcen der Gesellschaft nicht<br />
für eigene Geschäftszwecke (zum Beispiel<br />
um sich selbstständig zu machen) verwenden<br />
und ist zudem nach § 85 GmbHG<br />
strafbewehrt zur Verschwiegenheit über<br />
Angelegenheiten der Gesellschaft Dritten<br />
gegenüber verpflichtet. Ferner darf der<br />
Geschäftsführer sich nicht maßgeblich<br />
an Unternehmen beteiligen oder diese<br />
leitend (als Geschäftsführer, Vorstand<br />
oder persönlich haftender Gesellschafter)<br />
unterstützen, wenn sie mit der Gesellschaft,<br />
deren Geschäftsführer er ist, im<br />
Wettbewerb stehen.<br />
Dementsprechend sieht § 60 Absatz 1<br />
HGB vor, dass Handlungsgehilfen (Geschäftsführer)<br />
ohne die Einwilligung des<br />
Prinzipals (Gesellschafterversammlung)<br />
weder ein Handelsgewerbe betreiben noch<br />
im Handelszweig des Prinzipals für eigene<br />
oder fremde Rechnung Geschäfte machen<br />
dürfen. Entsprechend regelt § 88 Absatz<br />
1 Satz 1 AktG für den Vorstand einer<br />
Aktiengesellschaft, dass dieser nicht ohne<br />
Einwilligung des Aufsichtsrates mit der<br />
Gesellschaft in Wettbewerb treten darf.<br />
Der Umfang des Wettbewerbsverbots des<br />
Geschäftsführers richtet sich nach dem<br />
im Gesellschaftsvertrag bezeichneten<br />
Unternehmensgegenstand, auch wenn die<br />
dort benannte Tätigkeit vom Unternehmen<br />
nicht vollständig ausgeübt wird. Der<br />
Geschäftsführer darf Vertragsbeziehungen<br />
des Unternehmens durch eigene Geschäfte<br />
nicht beeinträchtigen oder vereiteln. Der<br />
Geschäftsführer unterliegt damit einem<br />
weitreichenden Wettbewerbsverbot, auch<br />
wenn es weder im Gesellschaftsvertrag<br />
noch im Dienstvertrag ausdrücklich geregelt<br />
ist. Übliche Wettbewerbsklauseln sind<br />
nur klarstellender und konkretisierender<br />
Natur. Der Fremd-Geschäftsführer gilt<br />
als Verbraucher im Sinne des § 13 BGB.<br />
Deswegen unterliegt sein Dienstvertrag als<br />
Verbrauchervertrag im Sinne des § 310<br />
Absatz 3 BGB der AGB-Kontrolle. Die<br />
Unwirksamkeit einer Wettbewerbsklausel<br />
führt nicht dazu, dass der Geschäftsführer<br />
(während seiner aktiven Tätigkeit) mit der<br />
Gesellschaft in Wettbewerb treten darf.<br />
II. KEIN WETTBEWERBSVERBOT BEI KAPITAL-<br />
BETEILIGUNG AN KONKURRENZGESELLSCHAFT?<br />
Der Geschäftsführer darf wie vorstehend<br />
erläutert kein konkurrierendes Gewerbe<br />
betreiben. Ist er lediglich Mitgesellschafter<br />
einer konkurrierenden Kapitalgesellschaft,<br />
liegt weder ein vertragliches noch<br />
ein gesetzliches Wettbewerbsverbot vor,<br />
wenn er in diesem Unternehmen nicht in<br />
leitender Position tätig ist und mit seiner<br />
Beteiligung auch keinen Einfluss auf unternehmerische<br />
Entscheidungen und/oder<br />
die Geschäftsführung nehmen kann. Ob<br />
eine Einflussnahme möglich ist, kann im<br />
Einzelfall streitig werden. Daher wird die<br />
Höhe der zulässigen Beteiligung regelmäßig<br />
im Geschäftsführer-Dienstvertrag<br />
festgelegt.<br />
III. BEFREIUNGEN VOM WETTBEWERBSVERBOT<br />
DES GESCHÄFTSFÜHRERS<br />
Betreibt der Geschäftsführer bereits vor<br />
dem Abschluss des Geschäftsführer-<br />
Dienstvertrages bzw. vor seiner Bestellung<br />
zum Geschäftsführer ein konkurrierendes<br />
42 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
Handelsgewerbe, gilt die Einwilligung<br />
des Prinzipals (der Gesellschafterversammlung)<br />
entsprechend § 60 Absatz<br />
2 HGB als erteilt, wenn der Betrieb des<br />
Gewerbes bekannt ist und dessen Aufgabe<br />
im Geschäftsführer-Dienstvertrag nicht<br />
ausdrücklich vereinbart wird. Daher sollte<br />
ein Geschäftsführer seine Tätigkeiten im<br />
Eigeninteresse spätestens zum Vertragsschluss<br />
nachweislich offenlegen.<br />
Die Gesellschafterversammlung kann<br />
auch beschließen, den Geschäftsführer<br />
während seiner Tätigkeit für die Gesellschaft<br />
für einzelne Geschäfte vom Wettbewerbsverbot<br />
zu befreien.<br />
Eine grundsätzliche Befreiung vom Wettbewerbsverbot<br />
ist für eine bestimmte Art<br />
von Geschäften durch ausdrückliche Bestimmung<br />
in der Satzung oder im Dienstvertrag<br />
möglich. Aber Achtung: Lässt sich<br />
ein Gesellschafter-Geschäftsführer von<br />
seinem Wettbewerbsverbot befreien, kann<br />
seine Konkurrenztätigkeit im Einzelfall als<br />
verdeckte Gewinnausschüttung im steuerlichen<br />
Sinne betrachtet werden, wenn die<br />
Befreiung üblicherweise nur gegen eine<br />
Gegenleistung zu erwarten ist.<br />
IV. NACHVERTRAGLICHES WETTBEWERBS-<br />
VERBOT DES GESCHÄFTSFÜHRERS<br />
Geschäftsführer unterliegen grundsätzlich<br />
keinem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot.<br />
Ein nachvertragliches<br />
Wettbewerbsverbot entsteht nur, wenn es<br />
vertraglich vereinbart wird. Dann muss<br />
es zum einen den berechtigten Interessen<br />
der Gesellschaft dienen. Ein berechtigtes<br />
Interesse liegt regelmäßig darin begrün-<br />
ternehmen verboten werden. Wird durch<br />
die Vereinbarung etwa eine Tätigkeit in<br />
der Buchhaltung oder als Hausmeister des<br />
Konkurrenzunternehmens ausgeschlossen,<br />
führt dies zur Unwirksamkeit des<br />
Verbots, sodass dann auch eine Stellung<br />
als Geschäftsführer angenommen werden<br />
kann. Die örtliche Einschränkung darf<br />
weiter sein, je spezieller die verbotene<br />
gegenständliche Tätigkeit ist.<br />
Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot<br />
kann in dem Dienstvertrag des Geschäftsführers<br />
auch ohne eine Karenzentschädigung,<br />
wie diese etwa in § 74 Absatz 2<br />
HGB für Arbeitnehmer vorgesehen ist,<br />
ausdrücklich vereinbart werden. Soll ein<br />
anderweitiger Erwerb auf die Karenzentschädigung<br />
angerechnet werden, ist<br />
auch dies ausdrücklich zu vereinbaren.<br />
Allerdings werden Geschäftsführer einen<br />
Dienstvertrag mit solchem Wettbewerbsverbot<br />
kaum unterzeichnen, es sei denn,<br />
die Geschäftsführer beabsichtigen sich<br />
nach Vertragsende zur Ruhe zu setzen<br />
oder die Konditionen sind im Übrigen<br />
so großzügig gestaltet, dass sie auf eine<br />
Karenzentschädigung verzichten.<br />
Nachvertragliche Wettbewerbsverbote<br />
können mangels Anwendbarkeit des<br />
§ 74 Absatz 1 HGB auch separat in<br />
Textform (zum Beispiel Fax oder Brief<br />
ohne Unterschrift, Kopie des Originals<br />
und E-Mail oder SMS) vereinbart werden<br />
und es bedarf keiner Aushändigung einer<br />
unterzeichneten Vertragsurkunde. Aus<br />
Nachweisgründen ist jedoch die Schriftform<br />
zu empfehlen.<br />
Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot<br />
stellt keine verbotene wettbewerbsbeschränkende<br />
Vereinbarung im Sinne des<br />
§ 1 GWB dar, weil es der Absicherung<br />
des dem Dienstvertrag innewohnenden<br />
Zwecks dient.<br />
Wurde ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot<br />
wirksam vereinbart, kann<br />
es durch ein Verhalten der Gesellschafterversammlung,<br />
aufgrund dessen der<br />
Geschäftsführer fristlos kündigt, entfallen.<br />
Dann ist es der Gesellschaft nach Treu<br />
und Glauben verwehrt, den Geschäftsführer<br />
an einen nachvertraglichen Wettbewerbsverbot<br />
festzuhalten.<br />
Wurde kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot<br />
vereinbart, könnte die Gesellschaft<br />
versuchen, den Geschäftsführer<br />
abzuberufen, den Dienstvertrag ordentlich<br />
zu kündigen und ihn für die verbleibende<br />
Vertragslaufzeit freizustellen, um ihm<br />
auf diese Weise unter Aufrechterhaltung<br />
des Wettbewerbsverbots eine Zudet,<br />
dass sich das Dienstverhältnis ohne<br />
ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot<br />
nicht durchführen lässt. Denn es wird<br />
sich kaum vermeiden lassen, dass der<br />
Geschäftsführer mit Daten von Kunden<br />
und sonstigen Vertragspartnern sowie<br />
Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen<br />
in Kontakt kommt. Dadurch entsteht<br />
die Gefahr, dass er dieses Wissen ohne<br />
ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot<br />
verwertet. Die Vereinbarung eines<br />
nachvertraglichen Wettbewerbsverbots<br />
ist daher zulässig, um die Gesellschaft<br />
vor einer missbräuchlichen Ausnutzung<br />
der Berufsfreiheit des Geschäftsführers zu<br />
schützen. Fehlt es an einem berechtigten<br />
Interesse der Gesellschaft, ist ein nachvertragliches<br />
Wettbewerbsverbot ohne eine<br />
geltungserhaltende Reduktion, also in<br />
vollem Umfang, unwirksam.<br />
Bei der Abfassung eines nachvertraglichen<br />
Wettbewerbsverbots müssen zum anderen<br />
die „guten Sitten“ im Sinne des § 138<br />
BGB beachtet werden. Das bedeutet,<br />
dass insbesondere die Berufsausübung<br />
des Geschäftsführers nach Ort, Zeit und<br />
Gegenstand nicht unbillig erschwert werden<br />
darf. Der Umfang des Wettbewerbsverbots<br />
ist auf das notwendige Maß zu<br />
beschränken. Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot<br />
darf zwei Jahre nicht überschreiten.<br />
Bei einer Überschreitung ist eine<br />
geltungserhaltende Reduktion auf zwei<br />
Jahre möglich. Gegenständlich muss sich<br />
das Verbot nach dem Unternehmenszweck<br />
und der konkret ausgeübten Geschäftsführertätigkeit<br />
bestimmen. Es darf nicht<br />
jegliche Tätigkeit für ein Konkurrenzun-<br />
Sonderausgabe<br />
43
<strong>Recht</strong><br />
griffsmöglichkeit auf Geschäfts- und<br />
Betriebsgeheimnisse zu entziehen. Will<br />
der Geschäftsführer bereits vor Ablauf<br />
der Vertragslaufzeit wieder beruflich aktiv<br />
werden, ohne gegen sein Wettbewerbsverbot<br />
zu verstoßen, könnte er eventuell<br />
seinerseits den Vertrag außerordentlich<br />
kündigen. Eine solche außerordentliche<br />
Kündigung kann jedoch unwirksam sein,<br />
wenn er seinerseits Anlass zur ordentlichen<br />
Kündigung gegeben hat oder der<br />
Zeitraum zum Vertragsende nur wenige<br />
Monate beträgt, sodass sein <strong>Recht</strong> zur<br />
Teilnahme am Berufsleben nicht unzumutbar<br />
beeinträchtigt ist.<br />
sungsverfügung im Wege des einstweiligen<br />
<strong>Recht</strong>sschutzes erwirken und wahlweise<br />
Schadensersatz oder die Herausgabe der<br />
Erlöse aus den wettbewerbswidrigen<br />
Geschäften verlangen.<br />
Bei einer außerordentlichen Kündigung<br />
ist zu beachten, dass der Geschäftsführer<br />
ohne ein vertraglich vereinbartes nachvertragliches<br />
Wettbewerbsverbot den Wettbewerb<br />
infolge der Kündigung – nunmehr<br />
sanktionslos – fortsetzen könnte.<br />
Ein Unterlassungsanspruch kann im<br />
Rahmen des einstweiligen <strong>Recht</strong>sschutzes<br />
geltend gemacht und auf das vertragliche<br />
und/oder gesetzliche Wettbewerbsverbot<br />
gestützt werden. Dabei ist glaubhaft<br />
zu machen, dass die Durchsetzung des<br />
Wettbewerbsverbots ohne die Unterlassungsverfügung<br />
vereitelt oder wesentlich<br />
erschwert werden könnte. Schwierigkeiten<br />
können darin bestehen, glaubhaft zu<br />
machen, dass ein effektiver <strong>Recht</strong>sschutz<br />
V. FOLGEN VON VERSTÖSSEN<br />
GEGEN DAS WETTBEWERBSVERBOT<br />
Verstößt der Geschäftsführer gegen sein<br />
Wettbewerbsverbot, kann die Gesellschaft<br />
den Geschäftsführer-Dienstvertrag<br />
außerordentlich kündigen, eine Unterlasnicht<br />
bereits durch die Möglichkeit einer<br />
Verfolgung von Schadensersatzansprüchen<br />
gewährleistet ist.<br />
Damit eine Entscheidung getroffen<br />
werden kann, ob vom Geschäftsführer<br />
Schadensersatz oder eine Herausgabe der<br />
Erlöse aus dem wettbewerbswidrigen Verhalten<br />
verlangt wird, sollte der Geschäftsführer<br />
zunächst zur Auskunft über den<br />
erzielten Gewinn aufgefordert werden.<br />
Ansprüche aus Verstößen des Geschäftsführers<br />
gegen das Wettbewerbsrecht<br />
können nicht nur durch die Gesellschaft<br />
selbst, sondern auch im Wege der sogenannten<br />
actio pro socio durch einen Mitgesellschafter<br />
für die Gesellschaft geltend<br />
gemacht werden.<br />
Die Kanzlei Michaelis <strong>Recht</strong>sanwälte<br />
steht Ihnen für eine gesellschaftsrechtliche<br />
Beratung rund um das Thema der Wettbewerbsverbote<br />
von Geschäftsführern gerne<br />
zur Verfügung.<br />
Ein kurzer Leitfaden für die<br />
Elementarversicherung<br />
– TEXT: RA LEA SIEGMUND –<br />
Die Elementarversicherung deckt Schäden<br />
durch bestimmte Naturgewalten<br />
ab und ist angesichts der vielen Unwetter<br />
aktueller denn je. Erfasst sind zumeist<br />
Erdbeben, Erdsenkung, Erdrutsch,<br />
Schnee druck, Eisdruck und vor allem die<br />
momentan so wichtigen Überschwemmungsschäden.<br />
Doch was meinen die so beschriebenen<br />
Schäden eigentlich genau und worauf ist<br />
zu achten?<br />
I. ÜBERSCHWEMMUNG<br />
Nach den gängigen Versicherungsbedingungen<br />
ist eine Überschwemmung die<br />
„Überflutung von Grund und Boden des<br />
Versicherungsgrundstücks mit erheblichen<br />
Mengen von Oberflächenwasser. Dies gilt<br />
nur, wenn<br />
1. eine Ausuferung von oberirdischen<br />
(stehenden oder fließenden) Gewässern,<br />
2. Witterungsniederschläge<br />
oder<br />
ein Austritt von Grundwasser an die Erdoberfläche<br />
als Folge von 1. oder 2.<br />
die Überflutung verursacht haben.“<br />
Diese Beschreibung an sich lässt an der<br />
Transparenz der Klausel zweifeln. So<br />
ergibt sich doch aus der Formulierung an<br />
sich noch nicht für den Versicherungsnehmer,<br />
ab wann es sich beispielsweise um<br />
„erhebliche“ Mengen von Oberflächenwasser<br />
handelt. Dennoch arbeitet auch die<br />
<strong>Recht</strong>sprechung mit diesen Begriffen. Dies<br />
birgt für den Versicherungsnehmer eine<br />
gewisse <strong>Recht</strong>sunsicherheit. Ein Überblick<br />
über die derzeitige <strong>Recht</strong>sprechung hilft,<br />
die Schäden besser einzuordnen:<br />
Grundsätzlich verlangt eine Überschwemmung,<br />
dass das Wasser über die Oberfläche<br />
hinaustritt und nicht mehr erdgebunden<br />
ist.<br />
Nicht ausreichend ist es für eine Überschwemmung<br />
nach dem Oberlandesgericht<br />
Hamm, wenn das Wasser zwar die<br />
Erde bis zur Sättigungsgrenze anreichert,<br />
aber nicht auf der Geländeoberfläche<br />
steht.<br />
Das Landgericht Kiel hat beispielsweise<br />
entschieden, dass es nicht ausreichend ist,<br />
wenn Rasen- und Bepflanzungsflächen<br />
unmittelbar vor Eintritt des Schadens<br />
„derart matschig“ gewesen seien, dass<br />
„ein Betreten ohne Gummistiefel nicht<br />
möglich gewesen ist“. Ein matschiger<br />
Boden, der nach längeren Regenfällen<br />
sicherlich nicht unüblich sei, habe nichts<br />
44 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
mit einer Überflutung zu tun und müsse<br />
nicht durch eine solche bedingt sein.<br />
Die Abgrenzung von Überschwemmung<br />
zu Grundwasser stellt das Erfordernis<br />
des Austritts von Grundwasser an die<br />
Erdoberfläche dar. Hierzu passend entschied<br />
das Oberlandesgericht Köln, eine<br />
bedingungsgemäße Überschwemmung<br />
sei nicht anzunehmen, wenn nur in den<br />
Keller des versicherten Gebäudes Wasser<br />
eingedrungen sei. Vielmehr müsse sich<br />
das schadensstiftende Wasser infolge der<br />
Ausuferung von oberirdischen Gewässern<br />
oder von Witterungsniederschlägen auch<br />
außerhalb des Gebäudes, nämlich auf<br />
dem umgebenden Grund und Boden, auf<br />
welchem das Gebäude liegt, angesammelt<br />
haben.<br />
Grundwasser an sich stellt keine in der<br />
Elementarversicherung versicherte Gefahr<br />
dar.<br />
Nicht ausreichend ist es, wenn das Wasser<br />
ausschließlich Gebäudeteile (beispielsweise<br />
eine Terrasse) bedeckt.<br />
Für die Voraussetzung der „Witterungsniederschläge“<br />
ist zu beachten, dass es<br />
nicht auf den Aggregatzustand ankommt,<br />
in dem der Witterungsniederschlag auf<br />
die Erde trifft. Auch Schnee und Hagel<br />
können Witterungsniederschlag in diesem<br />
Sinne sein, wenn sie den flüssigen Aggregatzustand<br />
im Zeitpunkt des schadensauslösenden<br />
Moments erreicht haben.<br />
Auch eine mittelbare Schadensverursachung<br />
durch Überflutung des Versicherungsgrundstücks<br />
kann zu einem<br />
Versicherungsschutz für Überschwemmungsschäden<br />
führen. Dies entschied<br />
der BGH bereits im Jahr 2005. Für den<br />
Versicherungsnehmer sei es nach den<br />
Bedingungen nicht ersichtlich, dass Ersatz<br />
nur geleistet wird, wenn Wasser oberirdisch<br />
direkt in das Gebäude eindringt.<br />
II. ERDBEBEN<br />
Erdbeben sind zumeist als naturbedingte<br />
Erschütterungen des Erdbodens, die durch<br />
geophysikalische Vorgänge im Erdinneren<br />
ausgelöst werden, definiert. Demnach<br />
sollen ausschließlich naturbedingte<br />
Erschütterungen versichert sein. Schäden,<br />
die beispielsweise durch Bergbau oder<br />
Sprengung ausgelöst wurden, sind nicht<br />
erfasst. Eine bestimmte Stärke des Erdbebens<br />
fordern die Bedingungen zumeist<br />
nicht. Der in der Beweispflicht stehende<br />
Versicherungsnehmer kann den Beweis<br />
durch Ergebnisse des seismologischen<br />
Messnetzes erbringen, das natürliche<br />
Bodenerschütterungen von künstlichen<br />
unterscheiden kann.<br />
III. ERDSENKUNG<br />
Die Erdsenkung beschreibt eine natürlich<br />
bedingte Absenkung des Erdbodens über<br />
naturbedingten Hohlräumen. Natürliche<br />
Hohlräume sind nur solche Räume, die<br />
vom Erdreich völlig umschlossen sind und<br />
nach oben mit einer natürlichen Decke<br />
aus einer Erdschicht enden. Das OLG<br />
Jena verlangt für eine Eintrittspflicht des<br />
Versicherers, dass es zu einem Schaden an<br />
der Sachsubstanz gekommen ist. Der auf<br />
Sicherheitsgründen beruhende Ausschluss<br />
der Nutzung solle demnach nicht ausreichen.<br />
Zu beachten sind Ausschlüsse für<br />
„Trockenheitsschäden“. Bei diesen kann<br />
es aufgrund anhaltender Trockenheit<br />
zu einem Zusammenziehen der Erde<br />
kommen, infolgedessen sich der Boden<br />
insgesamt absenkt. Ob die Absenkung<br />
trocknungsbedingt ist, wird sich häufig<br />
nur durch einen Sachverständigen klären<br />
lassen.<br />
IV. ERDRUTSCH<br />
Das naturbedingte Abrutschen oder<br />
Abstürzen von Erd- oder Gesteinsmassen<br />
ist im Gegensatz zur Erdsenkung ein an<br />
der Oberfläche stattfindendes Ereignis, bei<br />
dem sich ein Teil der Erdoberfläche aus<br />
einem natürlichen Zusammenhang löst<br />
und in Bewegung übergeht. Dabei wird<br />
mitunter angenommen, dass es sich dabei<br />
um einen für den Versicherungsnehmer<br />
wahrnehmbaren Vorgang handeln muss.<br />
Anders hat es das OLG Koblenz gesehen.<br />
Demnach liegt ein Erdrutsch auch dann<br />
vor, „wenn in dem Hanggelände, in dem<br />
das versicherte Haus steht, teilweise der<br />
Boden auf einer tieferliegenden Bodenschicht<br />
(hier: 3. Schichtlage aus organischen<br />
Tonen) nur ‚langsam‘ abgleitet<br />
und hierdurch Rissbildungen verursacht<br />
werden“.<br />
V. SCHNEEDRUCK UND EISDRUCK<br />
Hierfür muss die Belastung einer Sache<br />
durch das Gewicht von Schnee oder Eis<br />
vorliegen. Häufiger Streitpunkt ist, ob<br />
Schnee oder Eis infolge „Ruhens“ auf<br />
der Sache den Schaden hervorgerufen<br />
haben muss oder ob auch der durch eine<br />
Bewegung erhöhte Druck (beispielsweise<br />
durch Herunterfallen) vom Versicherungsschutz<br />
umfasst ist. Nach der herrschenden<br />
Meinung sollen durch zusätzliche Kräfte<br />
verursachte Schäden zwar nicht versichert<br />
sein, jedoch spricht die Auslegung des<br />
Wortes „Druck“ ohne weitere Spezifikationen<br />
für ein versicherungsfreundliches<br />
weites Verständnis des Wortes.<br />
VI. FAZIT<br />
Die dargestellten Urteile und Definitionen<br />
können nur der groben Orientierung<br />
dienen.<br />
Lehnt der Versicherer die Regulierung<br />
ab, sollte der Einzelfall stets von einem<br />
kompetenten Anwalt geprüft werden. <br />
1<br />
Thomas Behrens, Die Naturgefahr Überschwemmung in den Allgemeinen<br />
Bedingungen der Sachversicherung.<br />
2<br />
Robert-Joachim Wussow, Versicherung gegen die Folgen von<br />
Naturereignissen in der erweiterten Elementarschadenversicherung.<br />
3<br />
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 03.08.2005, Az. 20 U 103/05.<br />
4<br />
LG Kiel, Hinweisbeschluss vom 31.03.2008, Az. 8 S 130/07.<br />
5<br />
Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 9.4.2013 (Aktenzeichen 9 U 198/12).<br />
6<br />
BGH, Urteil vom 20.04.2005, Az. IV ZR 252/03.<br />
7<br />
Langheid/Wandt, 2. Teil. Systematische Darstellungen 3. Kapitel.<br />
Versicherungssparten 230. Elementarschadenversicherung Rn. 56.<br />
8<br />
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 15.11.2006, Az. 8 O 6517/05.<br />
9<br />
OLG Jena, Urteil vom 03.09.2013, Az. 4 U 997/12.<br />
10<br />
Langheid/Wandt, 2. Teil. Systematische Darstellungen 3. Kapitel.<br />
Versicherungssparten 230. Elementarschadenversicherung Rn. 77.<br />
11<br />
OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 03.02.2014, Az. 10 U 1268/13.<br />
Sonderausgabe<br />
45
<strong>Recht</strong><br />
Abmahnwelle für vermeintlich fehlerhafte<br />
Maklerhomepages<br />
– TEXT: DIPL.-JUR. FABIAN KOSCH –<br />
Maklerhomepages wurden in der<br />
Vergangenheit immer wieder durch<br />
vermeintliche Verbraucherschützer oder<br />
Mitbewerber abgemahnt. Der vorliegende<br />
Beitrag soll die größten drei Abmahnfallen<br />
skizzieren und dem Leser kurze<br />
Mechanismen an die Hand geben, diese<br />
zu umgehen.<br />
1. IMPRESSUM<br />
Ein Impressum ist gemäß § 5 TMG für<br />
geschäftliche Websites vorgeschrieben.<br />
Aufgrund der nicht unerheblichen Bedeutung<br />
des Impressums empfiehlt sich daher<br />
einen sogenannten Impressums-Generator<br />
zu nutzen. Hierfür sind mehrere Anbieter<br />
auf dem Markt. Auch ein Vergleich mit<br />
anderen Maklerhomepages ist dabei empfehlenswert.<br />
Unbedingt enthalten muss<br />
das Impressum Namen und Anschrift<br />
sowie <strong>Recht</strong>sform des Maklers, die Mail-<br />
Adresse, unter der mit ihm Kontakt aufgenommen<br />
werden kann, und den Verweis<br />
auf die behördliche Zulassung bzw. auf<br />
die Erstinformation.<br />
2. ERSTINFORMATION<br />
Die zweite spannende Frage ist, ob tatsächlich<br />
immer eine Pflicht zur Mitteilung<br />
der Erstinformation auf der Homepage<br />
eines Maklers besteht. Das Urteil in Sachen<br />
BVK gegen Check24 (OLG Mün<br />
chen – 29 U 3139/16) sorgt nach wie vor<br />
für einige Unsicherheiten. In jedem Fall<br />
sollte eine Erstinformation dann erfolgen,<br />
wenn eine Beratungssituation entsteht<br />
bzw. ein Rechner genutzt wird. Eine Erstinfopflicht<br />
sehen wir jedoch dort nicht,<br />
wo der Makler sich und seine Leistungen<br />
lediglich präsentiert, wo er Werbung<br />
betreibt. <strong>Recht</strong>ssicherheit besteht hier<br />
ausdrücklich aber nicht.<br />
3. MAKLERVERTRÄGE MIT AGB ONLINE STELLEN<br />
Das im Ergebnis wohl einschneidendste<br />
Risiko für Abmahnungen ist das Onlinestellen<br />
von Makler-AGB. So hat etwa das<br />
LG Leipzig (Urteil vom 16.12.2016 – 8<br />
O 321/16) zwölf Klauseln für unwirksam<br />
und damit abmahnfähig erachtet. Dabei<br />
waren unter anderem Klauseln wie: Der<br />
Makler berücksichtigt bei seiner Tätigkeit<br />
keine Direktversicherer oder Unternehmen,<br />
welche dem Makler keine marktübliche<br />
Vergütung zahlen, oder der Kunde<br />
willigt ein, dass der Makler ihm per Fax,<br />
Telefon, SMS bzw. auch per E-Mail Informationen<br />
jedweder Art zukommen lässt.<br />
4. AUSBLICK<br />
Gerade der Kampf mit Verbraucherschutzorganisationen<br />
ist, selbst wenn man<br />
das <strong>Recht</strong> auf seiner Seite hat, aufgrund<br />
des Kostenumfangs wenig lohnend. Da<br />
diese ihre Vergütung kaum über solche<br />
Abmahnungen generieren, wird man sie<br />
durch das Protekt-Siegel kaum abschrecken.<br />
Ganz anders sieht das jedoch bei<br />
den klassischen Abmahnanwälten aus. Da<br />
diese schnelles Geld wollen, haben sie in<br />
der Regel kein Interesse daran, sich mit<br />
gegnerischen <strong>Recht</strong>sanwälten abzukämpfen.<br />
Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund,<br />
dass durch das „Anti-Abmahn-<br />
Gesetz“ die Hürden für Abmahnungen<br />
nach oben gesetzt worden sind. Ein Risiko<br />
besteht dennoch fort.<br />
46 Sonderausgabe
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<strong>Recht</strong><br />
Warum Versicherungsleistungen gegenüber<br />
Unternehmern mit 9 Prozentpunkten über dem<br />
Basiszinssatz zu verzinsen sind<br />
– TEXT: RA BORIS-JONAS GLAMEYER, FACHANWALT FÜR BANK- & KAPITALMARKTRECHT, FACHANWALT FÜR HANDELS-<br />
& GESELLSCHAFTSRECHT, UND RA VALERIE SCHREIBER –<br />
ropäischen Parlaments und des Rates (RL<br />
2000/35/EG vom 29. Juni 2000).<br />
Ziel der Richtlinie 2000/35/EG ist die<br />
Bekämpfung des Zahlungsverzugs im<br />
Geschäftsverkehr, der als einer der Hauptgründe<br />
für die Insolvenzen von Unternehmen<br />
angesehen wird (Erwägungsgrund 7).<br />
Die Richtlinie ist demgemäß „auf die als<br />
Entgelt für Handelsgeschäfte geleis teten<br />
Zahlungen beschränkt und umfasst weder<br />
Geschäfte mit Verbrauchern noch die<br />
Zahlung von Zinsen im Zusammenhang<br />
mit anderen Zahlungen, z. B. unter das<br />
Scheck- und Wechselrecht fallende Zahlungen<br />
oder Schadensersatzzahlungen einschließlich<br />
Zahlungen von Versicherungsgesellschaften“<br />
(Erwägungsgrund 13).<br />
Allein die Erwähnung der Zahlungen von<br />
Versicherungsgesellschaften in diesem<br />
Zusammenhang sieht der BGH als Ausschluss<br />
dieser aus dem Anwendungsbereich<br />
des § 288 Absatz II BGB an.<br />
Dem kann nicht zugestimmt werden. Die<br />
Nennung der Zahlungen von Versicherungsgesellschaften<br />
erfolgt in einem völlig<br />
anderen Kontext, sodass ein Ausschluss<br />
von Versicherungsleistungen im Rahmen<br />
von § 288 Absatz II BGB hierauf nicht<br />
gestützt werden kann.<br />
Richtigerweise sind Entgeltforderungen<br />
nach der allgemeinen Definition zu<br />
Über die Höhe der Verzugszinsen einer<br />
verspäteten Versicherungsleistung, die an<br />
einen Unternehmer zu leisten ist, besteht<br />
aktuell Uneinigkeit. Im Rahmen der<br />
Betriebsschließungsversicherungen hat das<br />
Landgericht München I jüngst entschieden,<br />
dass die Verzugszinsen bei Versicherungsleistungen<br />
dem erhöhten Zinssatz<br />
des § 288 Absatz II BGB unterliegen. 1 Diese<br />
Auffassung wird auch in der Literatur<br />
teilweise vertreten. 2 Der BGH vertritt die<br />
Auffassung, dass Versicherungsleistungen<br />
vom Anwendungsbereich des § 288<br />
Absatz II BGB ausgeschlossen sind. 3 Eine<br />
tragfähige Begründung führt er nicht an.<br />
Der <strong>Recht</strong>sstreit ist in der Praxis von<br />
großer Bedeutung, da es sich bei Versicherungsleistungen<br />
an Unternehmer häufig<br />
um Summen im sechsstelligen Bereich<br />
handelt und sich die Prozesse über Jahre<br />
erstrecken können.<br />
Der BGH hat in seiner Entscheidung vom<br />
21. April 2010 im Zusammenhang mit<br />
einer Streitigkeit über Garantiezahlungen<br />
im Rahmen eines Mietgarantievertrags<br />
in einem Halbsatz beiläufig festgestellt,<br />
dass Zahlungen von Versicherungsgesellschaften<br />
nicht der erhöhten Verzinsung<br />
des § 288 Absatz II BGB unterfallen. 4 Er<br />
stützt sich dabei auf den Erwägungsgrund<br />
13 der Zahlungsverzugs-Richtlinie des Eubestimmen.<br />
Demnach liegt eine Entgeltforderung<br />
vor, wenn die Forderung auf<br />
die Zahlung eines Entgelts als Gegenleistung<br />
für eine vom Gläubiger erbrachte<br />
oder zu erbringende Leistung gerichtet ist.<br />
Darunter fällt insbesondere die Lieferung<br />
von Gütern oder die Erbringung<br />
von Dienstleis tungen, wobei der Begriff<br />
Dienstleistung sich nicht nach § 611 BGB<br />
bestimmt, sondern weiter gefasst ist. Zudem<br />
bedarf es keiner synallagmatischen<br />
Verknüpfung zwischen der Leistung des<br />
Gläubigers und der Zahlung durch den<br />
Schuldner. Vielmehr reicht eine konditionale<br />
Verknüpfung in dem Sinne aus, dass<br />
die Leistung des einen Teils Bedingung<br />
für die Entstehung der Verpflichtung des<br />
anderen Teils ist. 5 Entscheidend ist, ob die<br />
Leistung im wirtschaftlichen Sinne abgegolten<br />
werden soll. 6 Einen ausdrücklichen<br />
Ausschluss von Zahlungen von Versicherungsgesellschaften<br />
gibt es nicht.<br />
Die Versicherungsleistung ist konditional<br />
mit den Zahlungen des Versicherungsnehmers<br />
verknüpft. Die Zahlung<br />
der Versicherungsprämien durch den<br />
Versicherungsnehmer ist Bedingung für<br />
die Entstehung der Verpflichtung der<br />
Versicherungsgesellschaft zur Zahlung<br />
der Versicherungsleistung. Sie ist zu einer<br />
durch den Eintritt des Versicherungsfalls<br />
aufschiebend bedingten Versicherungsleistung<br />
verpflichtet. Die Zahlung der<br />
Versicherungsleistung durch die Versicherungsgesellschaft<br />
fällt damit unter<br />
die allgemein anerkannte Definition der<br />
Entgeltforderung.<br />
Diese Definition deckt sich mit der Legaldefinition<br />
der Entgeltforderung im UStG.<br />
Gemäß § 10 Absatz I Satz 2 UStG ist Entgelt<br />
alles, was den Wert der Gegenleistung<br />
bildet, die der leistende Unternehmer<br />
vom Leistungsempfänger oder von einem<br />
anderen als dem Leistungsempfänger für<br />
die Leistung erhält oder erhalten soll,<br />
einschließlich der unmittelbar mit dem<br />
48 Sonderausgabe
<strong>Recht</strong><br />
Preis dieser Umsätze zusammenhängenden<br />
Subventionen, jedoch abzüglich der für<br />
diese Leistung gesetzlich geschuldeten<br />
Umsatzsteuer. Der BFH stellte konkretisierend<br />
fest, dass Entgelt alles ist, was der<br />
Leistungsempfänger aufwendet, um die<br />
Leistung zu erhalten. Entscheidend sei,<br />
dass zwischen Leistendem und Leistungsempfänger<br />
ein <strong>Recht</strong>sverhältnis besteht,<br />
in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen<br />
ausgetauscht werden und zwischen der<br />
erbrachten Leistung und dem hierfür<br />
erhaltenen Gegenwert ein unmittelbarer<br />
Zusammenhang besteht. 7<br />
Auch in diesem Zusammenhang wird<br />
maßgeblich darauf abgestellt, dass es sich<br />
um eine vertragliche Beziehung handelt,<br />
bei der – genau wie beim Versicherungsvertrag<br />
– ein Leistungsaustausch stattfindet.<br />
Die Versicherungsleistung bildet den<br />
Wert der Gegenleistung, die der Versicherer<br />
vom Versicherungsnehmer durch<br />
die Zahlung der Versicherungsprämien<br />
erhalten hat.<br />
Für den Ausschluss von Leistungen von<br />
Versicherungsgesellschaften im Rahmen<br />
des § 288 Absatz II BGB, wie ihn der<br />
BGH ohne jegliche tragfähige Begründung<br />
jeweils in einem Halbsatz in seinen<br />
Entscheidungen vom 21. April 2010 8<br />
und vom 4. Juli 2018 9 und infolgedessen<br />
– ebenfalls ohne jegliche Begründung – einige<br />
weitere Gerichte vornehmen, besteht<br />
keine Veranlassung. Die begründungslosen<br />
Entscheidungen des BGH sind nicht<br />
tragfähig und es ist davon auszugehen,<br />
dass der BGH, wenn er sich mit der Problematik<br />
argumentativ auseinandersetzt,<br />
zu einem anderen Ergebnis kommen wird.<br />
Seine Herkunft hat der Begriff der<br />
Entgeltforderung im Rahmen des § 288<br />
Absatz II BGB zwar in der Zahlungsverzugs-Richtlinie<br />
des Europäischen Parlaments<br />
und des Rates (RL 2000/35/EG<br />
vom 29. Juni 2000), der Ausschluss von<br />
Zahlungen von Versicherungsgesellschaften<br />
kann hieraus entgegen der begründungslosen<br />
Behauptung des BGH aber<br />
nicht geschlossen werden. Die Richtlinie<br />
2000/35/EG ist gemäß Artikel 1 auf alle<br />
Zahlungen, die als Entgelt im Geschäftsverkehr<br />
zu leisten sind, anzuwenden. Der<br />
Begriff Entgelt wird hierbei nicht definiert.<br />
Insbesondere findet kein Ausschluss<br />
von Leistungen von Versicherungsgesellschaften<br />
statt. Eine Konkretisierung<br />
des Begriffs Entgelt findet sich lediglich<br />
in Erwägungsgrund 13 der Richtlinie.<br />
Dort wird der Begriff der Zahlungen von<br />
Versicherungsgesellschaften wie oben<br />
gezeigt erwähnt. Indem „Schadensersatzzahlungen<br />
einschließlich Zahlungen von<br />
Versicherungsgesellschaften“ aufgezählt<br />
werden, wird der Begriff hierbei als<br />
Unterfall von Schadensersatzzahlungen<br />
verwendet, die vom Geltungsbereich der<br />
Richtlinie ausgeschlossen sind, und bezieht<br />
sich mithin nach dem grammatikalisch<br />
eindeutigen Wortlaut ausschließlich<br />
auf Schadensersatzzahlungen. Somit sind<br />
Zahlungen von Versicherungsgesellschaften<br />
nur dann ausgeschlossen, wenn sie<br />
Schadensersatzzahlungen sind.<br />
Vertragliche Versicherungsleistungen<br />
von Versicherungsgesellschaften sind<br />
keinesfalls gleichzusetzen mit Schadensersatzzahlungen.<br />
Durch einen Versicherungsvertrag<br />
übernimmt der Versicherer<br />
die Absicherung eines bestimmten Risikos<br />
des Versicherungsnehmers. Die Absicherung<br />
besteht in der Verpflichtung des<br />
Versicherers, für den Fall des Eintritts des<br />
vertraglich bestimmten Versicherungsfalls<br />
die vertraglich versprochene Leistung zu<br />
erbringen. 10 Die Versicherungsleistung<br />
basiert mithin auf einem gegenseitigen<br />
Vertrag eigener Art, dem Versiche-<br />
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Sonderausgabe<br />
49
<strong>Recht</strong><br />
Richtlinie vorgenommen. Zwar legen<br />
die Gesetzesmaterialien nahe, dass eine<br />
überschießende Umsetzung nicht intendiert<br />
war, 13 eine solche hat aber in jedem<br />
Fall stattgefunden, indem die Richtlinie<br />
für alle <strong>Recht</strong>sgeschäfte, an denen ein<br />
Verbraucher nicht beteiligt ist, umgesetzt<br />
wurde.<br />
Zunächst wird in Artikel 2 der Richtlinie<br />
der Ausdruck „Geschäftsverkehr“ als<br />
„Geschäftsvorgänge zwischen Unternehmen<br />
oder zwischen Unternehmen und<br />
öffentlichen Stellen“ definiert, auf die die<br />
Richtlinie Anwendung finden soll. Erwägungsgrund<br />
13 der Richtlinie nimmt darüber<br />
hinaus eine Einschränkung des Anwendungsbereichs<br />
auf Handelsgeschäfte<br />
vor. Trotzdem wurde die Richtlinie für<br />
alle Geschäfte, an denen kein Verbraucher<br />
beteiligt ist – also lediglich Unternehmer<br />
im Sinne des § 14 BGB handeln –,<br />
umgesetzt. Der dadurch in § 288 Absatz II<br />
BGB entstandene Regelungsgehalt umfasst<br />
weit mehr Geschäfte als nur Handelsgeschäfte.<br />
Der Begriff des Unternehmers ist<br />
weit umfassender als die Einschränkung<br />
auf Handelsgeschäfte, da er jeden erfasst,<br />
der in Ausübung seiner gewerblichen<br />
oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit<br />
handelt. Für Handelsgeschäfte ist gemäß<br />
§ 343 Absatz I HGB das Handeln eines<br />
Kaufmanns, das zum Betrieb seines Handelsgewerbes<br />
gehört, erforderlich.<br />
Indem die Richtlinie für alle Geschäfte<br />
umgesetzt wurde, bei denen ein Verbraucher<br />
nicht beteiligt ist, wurde sie bereits<br />
weit überschießend umgesetzt. Genauso<br />
hat der deutsche Gesetzgeber – sollte<br />
man Zahlungen von Versicherungsgesellschaften<br />
in Erwägungsgrund 13 entgegen<br />
dessen Wortlaut für ausgenommen halten<br />
– die Richtlinie in Bezug auf Versicherungsleistungen<br />
überschießend umgesetzt,<br />
indem diese nicht explizit ausgenommen,<br />
vom Begriff der Entgeltzahlungen nach<br />
der allgemeinen Definition aber umfasst<br />
sind.<br />
Diese Betrachtung steht insbesondere im<br />
Einklang mit dem Zweck des § 288 Absatz<br />
II BGB, Unternehmen vor der Gefahr<br />
einer Insolvenz durch den verspäteten<br />
Eingang von Zahlungen zu schützen. 14<br />
Diese Schutzbedürftigkeit besteht für<br />
gewerbliche Versicherungsnehmer, die<br />
einen versicherten betrieblichen Schaden<br />
erlitten haben, ebenso wie für Gläubiger,<br />
die Waren geliefert oder Dienstleistungen<br />
im klassischen Sinne erbracht haben. 15<br />
Primärziel der Zahlungsverzugsrichtlinie<br />
ist, Unternehmen vor absichtlich verzörungsvertrag,<br />
in dem die Leistungen<br />
des Versicherungsnehmers und des Versicherers<br />
festgelegt werden.<br />
Schadensersatz dagegen ist der Anspruch,<br />
der entsteht, wenn durch schuldhafte Verletzung<br />
eines <strong>Recht</strong>s Schaden entstanden<br />
und zu ersetzen ist. Der Ersatzpflichtige<br />
hat im Fall des Schadensersatzes aufgrund<br />
von Gesetz oder Vertrag für einen<br />
Schaden und seine Folgen einzustehen.<br />
Ersatzpflichtiger ist beim Schadensersatz<br />
in der Regel der Schädiger.<br />
Anders ist dies bei Versicherungsleistungen.<br />
Bei Versicherungsleistungen leistet<br />
die vertraglich verpflichtete Versicherung<br />
und nicht der für den schädigenden<br />
Umstand Verantwortliche. Die Leistung<br />
der Versicherung stellt gerade keinen<br />
Schadensersatz, sondern eine Ausgleichsleistung<br />
aufgrund einer vertraglichen<br />
Vereinbarung dar. Mit ihr werden die im<br />
Gegenzug regelmäßig gezahlten Versicherungsprämien<br />
abgegolten. 11<br />
Bei der Summenversicherung muss für den<br />
Eintritt der Fälligkeit der Versicherungsleistung<br />
dem Versicherungsnehmer nicht<br />
einmal ein Schaden bzw. kein Schaden in<br />
Höhe der fällig werdenden Versicherungsleistung<br />
entstanden sein, es reicht, dass<br />
die im Versicherungsvertrag definierten<br />
Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls<br />
eingetreten sind, um die<br />
im Versicherungsvertrag definierte Summe<br />
fällig werden zu lassen. 12<br />
Nachdem die Zahlungen von Versicherungsgesellschaften<br />
aufgrund eines Versicherungsvertrages<br />
wie aufgezeigt keine<br />
Schadensersatzzahlungen darstellten,<br />
sind sie nicht vom Anwendungsbereich<br />
des § 288 Absatz II BGB ausgeschlossen.<br />
Auch die Versicherungsleistung stellt eine<br />
Gegenleistung für Leistungen (Versicherungsprämien)<br />
des Versicherungsnehmers<br />
dar.<br />
Selbst wenn man Zahlungen von Versicherungsgesellschaften<br />
in Erwägungsgrund<br />
13 der Richtlinie für ausgenommen<br />
halten sollte, findet diese Ausnahme keine<br />
Anwendung im deutschen <strong>Recht</strong>, denn<br />
ein solcher Ausschluss hat im Gesetz<br />
gerade keinen Ausdruck gefunden. § 288<br />
Absatz II BGB enthält genauso wie § 286<br />
Absatz III Satz 1 BGB keine Definition<br />
der Entgeltforderung; insbesondere<br />
keinen Ausschluss von Zahlungen von<br />
Versicherungsgesellschaften. Sollte man<br />
Zahlungen von Versicherungsgesellschaften<br />
in Erwägungsgrund 13 für ausgenommen<br />
halten, hat der Bundesgesetzgeber<br />
eine überschießende Umsetzung der<br />
gerter Erfüllung von Zahlungsverpflichtungen<br />
der Großunternehmen und der<br />
öffentlichen Hand zu schützen. 16 Dieses<br />
Ziel kann nur umfassend umgesetzt<br />
werden, indem Versicherungsleistungen<br />
miteinbezogen werden. Besonders Versicherungsgesellschaften<br />
stellen solche<br />
Großunternehmen dar, vor deren vorsätzlichem<br />
Zahlungsverzug gerade kleinere<br />
und mittlere Unternehmen geschützt<br />
werden sollen. Genau wie Unternehmen<br />
auf Zahlungen im Gegenzug zur<br />
Lieferung von Waren angewiesen sind,<br />
sind Unternehmen darauf angewiesen,<br />
Versicherungsleistungen von den Versicherungsgesellschaften<br />
zu erhalten, für die sie<br />
jahrelang Versicherungsprämien gezahlt<br />
haben, um gegebenenfalls eine mögliche<br />
Insolvenz abzuwenden.<br />
Im Ergebnis ist ein Ausschluss von<br />
Zahlungen von Versicherungsgesellschaften<br />
außerdem nicht sachgerecht.<br />
Zahlungen an Versicherungsgesellschaften<br />
– etwa Versicherungsprämien – stellen<br />
Entgeltleis tungen dar und unterfallen<br />
im Verzugsfall der höheren Verzinsung<br />
nach § 288 Absatz II BGB. Zahlt aber<br />
eine Versicherungsgesellschaft Versicherungsprämien<br />
an einen Rückversicherer,<br />
wären diese Zahlungen als Zahlungen<br />
von Versicherungsgesellschaften keine<br />
Entgeltleis tungen und damit von § 288<br />
Absatz II BGB ausgeschlossen. Für eine<br />
derartige Unterscheidung besteht keine<br />
Veranlassung.<br />
Es besteht weder eine Veranlassung noch<br />
eine gesetzliche Grundlage, Zahlungen<br />
von Versicherungsgesellschaften vom<br />
Anwendungsbereich des § 288 Absatz II<br />
BGB auszunehmen. Deshalb beträgt der<br />
Verzugszinssatz gemäß § 288 Absatz II<br />
BGB bei Versicherungsnehmern, die keine<br />
Verbraucher sind, 9 Prozentpunkte über<br />
dem Basiszinssatz der EZB. 17 <br />
1<br />
LG München I 23 O 5937/20, Urteil vom 24.11.2020.<br />
2<br />
Fausten in Langheidt/Wandt, MüKo VVG, 2. Aufl., § 14 VVG, Rn. 128; Johannsen<br />
in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl. § 14 Rn 33.<br />
3<br />
BGH XII ZR 10/08, Urteil vom 21.04.2010; BGH VIII ZR 259/09 vom 16.06.2010.<br />
4<br />
BGH XII ZR 10/08, Urteil vom 21.04.2010.<br />
5<br />
BAG 8 AZR 26/18, Urteil vom 25.09.2018.<br />
6<br />
Palandt/Grüneberg § 286 Rn. 27; MüKo § 286 Rn. 82; Lorenz in BeckOK BGB,<br />
Stand 01.08.2021 § 286 Rn. 40; BGH XII ZR 10/08 vom 21.04.2010; BGH VIII ZR<br />
259/09 vom 16.06.2010.<br />
7<br />
Urteil des BFH V R 36/01 vom 16.01.2003; so auch EuGH C-16/93 vom<br />
03.03.1994.<br />
8<br />
BGH XII ZR 10/08, Urteil vom 21.04.2010.<br />
9<br />
BGH IV ZR 297/16, Urteil vom 04.06.2018.<br />
10<br />
Looschelders in Langheidt/Wandt, MüKo VVG, 2. Aufl., § 1 Rn. 8; BT-Drucks.<br />
16/3945 S. 56.<br />
11<br />
Vgl. Treiber in Sölch/Ringleb, UstG 92. EL § 10 Rn. 101; Looschelders in<br />
Langheidt/Wandt, MüKo VVG, 2. Aufl., § 1 Rn. 25.<br />
12<br />
Looschelders in Langheidt/Wandt, MüKo VVG, 2. Aufl., § 1 Rn. 26.<br />
13<br />
BT-Drucks. 14/6857, S. 14.<br />
14<br />
Palandt/Heinrichs, BGB, § 288, Rn. 3; RL 2000/35/EG, Erwägungsgrund 7.<br />
15<br />
Johannsen in Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 14 VVG, Rn. 33.<br />
16<br />
Schulte-Nölke in Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht § 288 Rn. 9.<br />
17<br />
Fausten in Langheidt/Wandt, MüKo VVG, 2. Aufl., § 14 VVG, Rn. 128; LG<br />
München I 23 O 5937/20, Urteil vom 24.11.2020.<br />
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