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2022_05_20_Kent_Nagano

Toshio Hosokawa Intermezzo aus der Oper „Stilles Meer“ (2016) Charles Ives „The Unanswered Question“ (1906/1935) Anton Bruckner Sinfonie Nr. 6 A-Dur (1879-1881) Kent Nagano | Dirigent Dresdner Philharmonie

Toshio Hosokawa
Intermezzo aus der Oper „Stilles Meer“ (2016)
Charles Ives
„The Unanswered Question“ (1906/1935)
Anton Bruckner
Sinfonie Nr. 6 A-Dur (1879-1881)

Kent Nagano | Dirigent
Dresdner Philharmonie

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SINFONIEKONZERT<br />

<strong>Kent</strong> <strong>Nagano</strong> dirigiert<br />

Bruckner<br />

SA <strong>20</strong>. MAI <strong><strong>20</strong>22</strong> | <strong>20</strong>.00 UHR<br />

FRAUENKIRCHE


30. SEP BIS 15. OKT <strong><strong>20</strong>22</strong><br />

KULTURPALAST DRESDEN<br />

Richard Wagner<br />

Der Ring<br />

des Nibelungen<br />

Konzertante Aufführungen<br />

FR 30. SEP <strong><strong>20</strong>22</strong> Das Rheingold<br />

SO 2. OKT <strong><strong>20</strong>22</strong> Die Walküre<br />

SA 8. OKT <strong><strong>20</strong>22</strong> Siegfried<br />

SA 15. OKT <strong><strong>20</strong>22</strong> Götterdämmerung<br />

MAREK JANOWSKI | Dirigent<br />

DRESDNER PHILHARMONIE<br />

ticket@dresdnerphilharmonie.de | dresdnerphilharmonie.de


PROGRAMM<br />

Toshio Hosokawa (* 1955)<br />

Intermezzo aus der Oper »Stilles Meer« (<strong>20</strong>16)<br />

für vier Schlagzeuger<br />

Charles Ives (1874 – 1954)<br />

»The Unanswered Question« (1906/1935)<br />

für Trompete, zwei Flöten, Oboe, Klarinette und Streicher<br />

Adagio<br />

Anton Bruckner (1824 – 1896)<br />

Sinfonie Nr. 6 A-Dur WAB 106 (1879-1881)<br />

Majestoso<br />

Adagio. Sehr feierlich<br />

Scherzo. Nicht schnell – Trio. Langsam<br />

Finale: Bewegt, doch nicht zu schnell<br />

<strong>Kent</strong> <strong>Nagano</strong> | Dirigent<br />

Dresdner Philharmonie<br />

Im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele


JÜRGEN OSTMANN<br />

In Kürze<br />

Klang als Mittel, mit übernatürlichen<br />

Kräften in Verbindung zu treten, religiöse<br />

Inhalte zu vermitteln, einen gemeinsamen<br />

Glauben zu festigen – solche<br />

Vorstellungen verbanden sich zu allen<br />

Zeiten und in allen Kulturen mit Musik.<br />

Sie bestimmen auch, wenngleich in ganz<br />

unterschiedlicher Weise, die drei Werke<br />

unseres Konzerts.<br />

Der US-Amerikaner Charles Ives war ein<br />

Nonkonformist, und das sowohl als Musiker<br />

wie auch in seiner Einstellung zur Religion.<br />

In seinem um 1906 entstandenen<br />

Werk »The Unanswered Question« bezog<br />

er sich auf Ideen »transzendentalistischer«<br />

Denker wie Ralph Waldo Emerson<br />

(1803-1882) oder Henry David Thoreau<br />

(1817-1862). Drei Klangschichten lassen<br />

sich unterscheiden: Die Streicher verkörperten<br />

»das Schweigen der Druiden,<br />

die nichts wissen, sehen und hören«, eine<br />

Trompete stellt »die ewige Frage nach der<br />

Existenz«, und ein Flötenquartett sucht<br />

nach »der unsichtbaren Antwort«.<br />

Toshio Hosokawa absolvierte sein Kompositionsstudium<br />

in Deutschland, ließ<br />

sich aber auch durch die Musik, Ästhetik<br />

und Spiritualität seiner japanischen Hei-<br />

mat beeinflussen. Seine vierte Oper »Stilles<br />

Meer« (<strong>20</strong>16) versteht er als Requiem<br />

für die Opfer des Tohoku-Erdbebens und<br />

der Reaktorkatastrophe von Fukushima<br />

im Jahr <strong>20</strong>11. Das Libretto verbindet ein<br />

jahrhundertealtes Stück des No-Theaters<br />

mit der Geschichte einer Frau, die durch<br />

den Tsunami Ehemann und Sohn verliert.<br />

Einer Schamanin gleich, nimmt sie<br />

singend Kontakt mit den Verstorbenen<br />

auf. Angeregt durch <strong>Kent</strong> <strong>Nagano</strong>, der die<br />

Hamburger Uraufführung der Oper leitete,<br />

schrieb Hosokowa ein instrumentales<br />

Intermezzo, dessen Schlagzeugklänge an<br />

japanische Taiko-Trommeln erinnern.<br />

Der tief gläubige Anton Bruckner komponierte<br />

alle seine Werke, ob geistlich oder<br />

weltlich, »zur größeren Ehre Gottes«. Mit<br />

seiner Sechsten, zwischen 1879 und 1881<br />

komponierten Sinfonie muss er sehr zufrieden<br />

gewesen sein – schließlich nahm<br />

er an ihr, ganz untypisch für ihn, keine<br />

nachträglichen Überarbeitungen mehr<br />

vor. Im Konzertleben wurde die Sechste<br />

dennoch lange Zeit vernachlässigt,<br />

vielleicht wegen der Abweichungen vom<br />

gewohnten Bruckner-Bild: Zwar enthält<br />

die Sinfonie manche typischen Züge,<br />

diese allerdings in konzentrierter Form.<br />

Ihr fehlt die Monumentalität, die viele<br />

mit Bruckner verbinden.<br />

2


Im Geist schamanischer Gebete<br />

Toshio Hosokawas Intermezzo<br />

aus »Stilles Meer«<br />

Toshio Hosokawas Entwicklung ist schwer<br />

zu verstehen ohne einen kurzen Blick in<br />

die Geschichte seines Landes. Japan hatte<br />

sich ja vom 16. bis ins späte 19. Jahrhundert<br />

fast hermetisch von der Außenwelt<br />

abgeschlossen und in dieser Zeit eine sehr<br />

eigenständige, originelle Kultur entwickelt.<br />

Erst auf Druck der USA und Europas<br />

öffnete sich der Inselstaat danach dem<br />

internationalen Handel. Während der<br />

rasanten »Modernisierung« der nächsten<br />

Jahrzehnte wurden allerdings die einst<br />

beherrschenden japanischen Traditionen<br />

weitgehend an den Rand gedrängt – und<br />

daran änderte sich bis in die Zeit von Hosokawas<br />

Jugend nicht viel. Obwohl seine<br />

Mutter noch das japanische Instrument<br />

Koto (eine Art Zither) spielte, begeisterte<br />

sich der Sohn eher für Mozart und Beethoven.<br />

Nach ersten Studien in Tokio kam<br />

er 1976 nach Berlin, um bei dem Koreaner<br />

Isang Yun Komposition zu erlernen.<br />

Seine Ausbildung setzte er 1983 bis 1986<br />

in Freiburg bei Klaus Huber und Brian<br />

Ferneyhough fort. Angeregt durch eine<br />

Äußerung Hubers, erwachte erst jetzt sein<br />

Interesse an japanischer Musik, mit der<br />

er sich fortan intensiv auseinandersetzte.<br />

Überrascht stellte er fest, dass einige Mittel<br />

der avantgardistischen europäischen<br />

Musik in der japanischen Tradition schon<br />

seit jeher gebräuchlich sind.<br />

Seitdem komponiert Hosokawa als Grenzgänger<br />

zwischen zwei Kulturen: Seine<br />

Partituren verlangen bisweilen japanische<br />

Instrumente neben den europäischen,<br />

oder sie lassen westliche Instrumente<br />

3


Toshio Hosokawa<br />

fast japanisch klingen. Auf asiatische<br />

Einflüsse verweist auch Hosokawas<br />

Kommentar zur neueren Entwicklung<br />

seines Schaffens: »Musik war für mich<br />

stets ein Mittel, die Harmonie zwischen<br />

Mensch und Natur zu finden. Nach dem<br />

Tohoku-Erdbeben von <strong>20</strong>11 fing sie jedoch<br />

an, sich grundlegend zu verändern. Ich<br />

begann neu über die Existenz der Musik<br />

nachzudenken und darüber, wie sie sein<br />

sollte. Wir haben die urtümliche Kraft<br />

und den Schrecken der Natur vergessen<br />

und preisen sie in sentimentaler Weise.<br />

Durch unser unbegründetes Vertrauen<br />

in die Beherrschbarkeit der Natur stehen<br />

wir kurz davor, die menschlichen Lebensgrundlagen<br />

zu zerstören. Was kann Musik<br />

in einer solchen Zeit bewirken? Musik ist<br />

eine Form des Schamanismus; Menschen<br />

beten mit ihrer Hilfe und besänftigen die<br />

Geister der Verstorbenen, indem sie durch<br />

sie eine Brücke zwischen dem Hier und<br />

dem Jenseits formen. Seit <strong>20</strong>11 habe ich<br />

Stücke im Geist schamanischer Gebete<br />

komponiert.«<br />

4


Hosokawa konzipierte seine vierte Oper<br />

»Stilles Meer«, die <strong>20</strong>16 unter der Leitung<br />

von <strong>Kent</strong> <strong>Nagano</strong> an der Staatsoper<br />

Hamburg uraufgeführt wurde, als eine Art<br />

Requiem für die Opfer des Erdbebens und<br />

der Reaktorkatastrophe von Fukushima.<br />

Die Hauptfigur Claudia (eine deutsche<br />

Ballett-Tänzerin) hat durch den Tsunami<br />

ihren Ehemann und ihren Sohn verloren.<br />

Hosokawa sieht sie als eine Schamanin,<br />

die durch ihren Gesang mit den Seelen<br />

der Toten Verbindung aufnimmt. Auf<br />

Anregung <strong>Kent</strong> <strong>Nagano</strong>s komponierte er<br />

nachträglich noch ein Intermezzo, das<br />

zwei Szenen der Oper verbindet. Mit vier<br />

Schlagzeugern besetzt, erinnert es an die<br />

japanische Tradition der Taiko-Trommelensembles.<br />

TOSHIO HOSOKAWA<br />

* 23. Oktober 1955 in Hiroshima<br />

Intermezzo aus der Oper<br />

»Stilles Meer«<br />

ENTSTEHUNG<br />

<strong>20</strong>16<br />

WIDMUNG<br />

den Opfern des Tōhoku-Erdbebens und<br />

des Tsunamis<br />

URAUFFÜHRUNG DER OPER<br />

24. Januar <strong>20</strong>16 in der Staatsoper Hamburg,<br />

Dirigent: <strong>Kent</strong> <strong>Nagano</strong><br />

IN DIESEM KONZERT ERSTMALS VON DER<br />

DRESDNER PHILHARMONIE GESPIELT<br />

BESETZUNG<br />

Zwei große Trommeln, eine kleine Trommel,<br />

Bongos<br />

DAUER<br />

ca. 5 Min.<br />

5


Ewige Frage,<br />

schweigende Druiden<br />

Charles Ives’<br />

»The Unanswered Question«<br />

Wer sich mit Leben und Werk des USamerikanischen<br />

Komponisten Charles<br />

Ives beschäftigt, stößt immer wieder auf<br />

eine eigenartige, scheinbar widersprüchliche<br />

Mischung aus Bodenständigkeit<br />

und Mystizismus, aus Realitätssinn und<br />

gedanklicher Radikalität. Schon Ives’<br />

Vater George muss als Organist und Chorleiter,<br />

Musiklehrer und Dirigent diverser<br />

Blaskapellen ein sehr praktischer Mann<br />

gewesen sein – einerseits. Doch andererseits<br />

experimentierte er mit Vierteltönen,<br />

Polytonalität und Raumklangwirkungen,<br />

lange bevor diese Eingang in die neue<br />

Musik fanden. Ihn trieb dabei nicht<br />

kompositorischer Ehrgeiz, sondern reine<br />

Neugier. Anders als sein Vater entschied<br />

sich Charles Ives gegen eine Musiker-<br />

Laufbahn. Er arbeitete zunächst bei einer<br />

Versicherungsgesellschaft und führte<br />

später erfolgreich ein eigenes Unternehmen;<br />

das Komponieren betrachtete er als<br />

Freizeitbeschäftigung, auch wenn es ihn<br />

zeitweise kaum weniger beanspruchte als<br />

sein Brotberuf. An Aufführungen seiner<br />

Musik dachte er nicht, und so musste er<br />

auch keine Rücksicht auf Interpreten und<br />

Publikum nehmen. Er konnte mit den<br />

Traditionen der europäischen Klassik<br />

brechen, zahlreiche Neuerungen des<br />

<strong>20</strong>. Jahrhunderts vorwegnehmen und<br />

zum ersten wirklich eigenständigen Komponisten<br />

der USA werden.<br />

6


Charles Ives<br />

In vielen Werken verarbeitete Ives<br />

musikalische Eindrücke, die auf seine<br />

Kindheit in der Kleinstadt Danbury in<br />

Connecticut zurückgehen – das erklärt<br />

die häufigen Zitate aus Märschen und<br />

Fiedeltänzen, christlichen Hymnen und<br />

volkstümlichen Liedern. Andere Kompositionen,<br />

unter ihnen auch »The Unanswered<br />

Question«, befassen sich mit<br />

Ideen der »transzendentalistischen«<br />

Denker seiner neuenglischen Heimat.<br />

Intellektuelle wie Ralph Waldo Emerson<br />

(1803-1882) oder Henry David Thoreau<br />

(1817-1862) glaubten an eine übermaterielle<br />

Daseins-Ebene, lehnten allerdings<br />

religiöse Dogmen ab. Stattdessen traten<br />

sie für eine intuitive Spiritualität ein,<br />

die auf der Einheit von Gott, Natur und<br />

Mensch beruhen sollte. Mystische Vorstellungen<br />

– doch sie hatten praktische<br />

Konsequenzen: Die Bewegungen für Sklavenbefreiung,<br />

Frauenrechte und Naturschutz<br />

erhielten von den amerikanischen<br />

Transzendentalisten wichtige Impulse.<br />

Ives schrieb »The Unanswered Question«<br />

um das Jahr 1906. In den 1930ern bearbeitete<br />

er das Stück noch einmal, doch<br />

uraufgeführt wurde es erst 1946 von<br />

einem Studenten-Kammerorchester.<br />

7


Ralph Waldo Emerson, aus dessen Gedicht »The<br />

Sphinx« Ives den Titel »The Unanswered Question«<br />

entlehnte<br />

Die Besetzung ist in drei Klanggruppen<br />

unterteilt: Die Streicher spielen einen impulslosen,<br />

ruhig-sphärischen, wohlklingenden<br />

Hintergrund, die Trompete eine<br />

sich wiederholende atonale Passage und<br />

die Holzbläser eine Reihe ineinander verwobener<br />

Phrasen, die zunehmend schneller,<br />

lauter und misstönender werden. Wie<br />

der Titel (»Die unbeantwortete Frage«)<br />

schon ahnen lässt, liegt der Komposition<br />

ein metaphysisches, ziemlich rätselhaftes<br />

Programm zugrunde. Für Ives verkörperten<br />

die Streicher »das Schweigen der<br />

Druiden, die nichts wissen, sehen und<br />

hören«, die Trompete stellt »die ewige<br />

Frage nach der Existenz«, und das Holzbläserquartett<br />

sucht nach »der unsichtbaren<br />

Antwort« – offenbar vergeblich.<br />

8


CHARLES IVES<br />

* <strong>20</strong>. Oktober 1874 in Danbury, Connecticut<br />

† 19. Mai 1954 in New York City<br />

»The Unanswered Question«<br />

ENTSTEHUNG<br />

1906, Überarbeitung 1935<br />

URAUFFÜHRUNG<br />

11. Mai 1946, Uraufführung der revidierten<br />

Fassung in der Columbia University (New York),<br />

Dirigent: Theodore Bloomfield<br />

17. März 1984, Uraufführung der Erstfassung in<br />

New York, Dirigent: Dennis Russell Davies<br />

ERSTMALS VON DER DRESDNER<br />

PHILHARMONIE GESPIELT<br />

<strong>20</strong>. Oktober 1974, DDR-Erstaufführung<br />

zum 100. Geburtstag des Komponisten,<br />

Dirigent: Hartmut Haenchen<br />

ZULETZT<br />

25. November <strong>20</strong>17, Dirigent:<br />

Antonello Manacorda<br />

BESETZUNG<br />

Trompete, 4 Flöten (oder alternative Bläser),<br />

Streicher<br />

DAUER<br />

ca. 7 Minuten<br />

9


Konzentration statt<br />

Monumentalität<br />

Anton Bruckners Sechste Sinfonie<br />

Anton Bruckner ist oft als »Musikant<br />

Gottes« bezeichnet worden – und dies,<br />

obwohl die meisten geistlichen Kompositionen<br />

des Österreichers relativ früh<br />

entstanden und die Sinfonien, weltliche<br />

Werke für den Konzertsaal also, später<br />

den größten Teil seiner Schaffenskraft<br />

beanspruchten. Das Etikett hat trotzdem<br />

seine Berechtigung, denn es gibt<br />

wohl keinen anderen Komponisten des<br />

19. Jahrhunderts, der so fest in volkstümlicher<br />

Frömmigkeit und katholischer<br />

Glaubenspraxis wurzelte wie er. Ob Messe<br />

oder Sinfonie, Bruckner schrieb alles zur<br />

größeren Ehre Gottes: »O.A.M.D.G.« (Omnia<br />

ad maiorem Dei gloriam), wie in manchem<br />

seiner Manuskripte zu lesen ist.<br />

Schon aus diesem Grund liegt es nahe,<br />

die Sinfonien, obwohl ohne liturgische<br />

Funktion, auch einmal in einer Kirche erklingen<br />

zu lassen. Auch choralartige und<br />

fugierte Abschnitte wecken kirchliche<br />

Assoziationen, ebenso Bruckners Orchesterbehandlung,<br />

die an eine Orgel und<br />

ihre Register erinnert: Wechselnde, aber<br />

in sich stabile, reine Klangfarben stehen<br />

einander blockhaft gegenüber, statt sich<br />

subtil zu vermischen oder ineinander<br />

überzugehen.<br />

Hinzu kommt noch, dass die Sinfonien<br />

wegen ihres gewaltigen Umfangs gelegentlich<br />

als »domhaft« bezeichnet<br />

worden sind. Ihre Zeitdauern sinnvoll zu<br />

10


»Bruckners Ankunft im Himmel«, Scherenschnitt<br />

von Otto Böhler, 1890<br />

gestalten, verlangt ein gleichsam architektonisches<br />

Denken. Gerade in dieser<br />

Hinsicht ist die zwischen 1879 und 1881<br />

entstandene Sechste allerdings nicht<br />

ganz typisch: Zwar enthält sie alle Charakteristika<br />

einer echten Bruckner-Sinfonie:<br />

das Majestätische der Themenentfaltung,<br />

das Weihevolle des Adagios, die<br />

kraftvolle Motorik der Scherzosätze. Doch<br />

diese Züge bietet sie in gestraffter Form.<br />

Gemeinsam mit der Ersten zählt sie zu<br />

den kürzesten Sinfonien Bruckners, und<br />

auch ihre Besetzung ist nicht größer<br />

als etwa bei Schumann oder Brahms.<br />

Manche Musikfreunde mögen diese<br />

Konzentration aufs Wesentliche als einen<br />

Vorzug betrachten, während andere die<br />

gewohnte Monumentalität vermissen.<br />

Vielleicht zählte die Sechste ja sogar aus<br />

diesem Grund lange Zeit zu den seltener<br />

aufgeführten unter den neun – erst<br />

in den letzten Jahrzehnten gewann sie<br />

deutlich an Beliebtheit. Bruckner selbst<br />

hielt sie offenbar für besonders gelungen.<br />

Jedenfalls fand er ausnahmsweise einmal<br />

nichts am fertigen Werk zu verbessern,<br />

sodass es nur in einer gültigen Fassung<br />

existiert.<br />

11


Vollständig gespielt wurde die Sechste<br />

zu seinen Lebzeiten dennoch nie – oder<br />

zumindest nicht öffentlich: Die Wiener<br />

Philharmoniker, die am 11. Februar 1883<br />

unter der Leitung von Wilhelm Jahn<br />

den zweiten und dritten Satz vortrugen,<br />

gaben Bruckner immerhin während einer<br />

»Novitätenprobe« die Möglichkeit, sein<br />

Werk komplett zu hören. Doch selbst die<br />

Aufführung der weniger problematischen<br />

Mittelsätze war damals offenbar noch<br />

riskant genug. So urteilte etwa Bruckners<br />

Intimfeind Eduard Hanslick in der Neuen<br />

Freien Presse: »Das Adagio konnte, trotz<br />

seiner ermüdenden Wiederholung derselben<br />

Figuren und unabsehbar ausgesponnener,<br />

teilweise an ‚Meistersinger‘-Motive<br />

anklingender Rosalien durch eine gewisse<br />

feierliche Sanftmut der Stimmung für<br />

sich einnehmen. Der groteske Humor des<br />

in lauter unerklärlichen Gegensätzen sich<br />

müde taumelnden Scherzo fand mich dagegen<br />

völlig ratlos.« Alle vier Sätze führte<br />

erst Gustav Mahler im Februar 1899, mehr<br />

als zwei Jahre nach Bruckners Tod, auf –<br />

zwar nicht ohne eigenmächtige Kürzungen<br />

und Änderungen der Instrumentierung,<br />

doch mit glänzendem Erfolg.<br />

ANTON BRUCKNER<br />

* 4. September 1824 in Ansfelden,<br />

Oberösterreich<br />

† 11. Oktober 1896 in Wien<br />

SINFONIE NR. 6 A-DUR<br />

WAB 106<br />

ENTSTEHUNG<br />

1879-1881<br />

URAUFFÜHRUNG<br />

11. Februar 1883, Wien: Uraufführung der beiden<br />

Mittelsätze, Dirigent: Wilhelm Jahn<br />

26. Februar 1899, Wien: erste Gesamtaufführung<br />

einer gekürzten Fassung durch Gustav Mahler<br />

14. März 1901, Stuttgart: Uraufführung der<br />

Fassung des (fehlerhaften) Erstdrucks,<br />

Dirigent: Karl Pohlig<br />

ERSTMALS VON DER DRESDNER<br />

PHILHARMONIE GESPIELT<br />

28. Januar 19<strong>20</strong>, Dirigent: Kurt Striegler<br />

9. Oktober 1935: Uraufführung der<br />

Originalfassung (unter Benutzung der Ausgabe<br />

von Robert Haas), Dirigent: Paul van Kempen<br />

(Chefdirigent 1934-1942)<br />

ZULETZT<br />

14. Mai <strong>20</strong>17, Dirigent: Marek Janowski<br />

BESETZUNG<br />

2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte,<br />

4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba,<br />

Pauken, Streicher<br />

DAUER<br />

ca. 60 Minuten<br />

12


DIRIGENT<br />

KENT<br />

NAGANO<br />

<strong>Kent</strong> <strong>Nagano</strong> gilt als einer der<br />

herausragendsten Dirigenten<br />

sowohl für das Opern- als auch<br />

für das Orchesterrepertoire. Seit<br />

September <strong>20</strong>15 ist er Generalmusikdirektor<br />

der Hamburgischen<br />

Staatsoper und Chefdirigent des<br />

Philharmonischen Staatsorchesters<br />

Hamburg. Von <strong>20</strong>06 bis <strong>20</strong><strong>20</strong><br />

war er Musikdirektor des Orchestre<br />

symphonique de Montréal und<br />

wurde im Februar <strong>20</strong>21 zum Ehrendirigenten<br />

ernannt. Bereits <strong>20</strong>06<br />

war er zum Ehrendirigenten des<br />

Deutschen Symphonie-Orchesters<br />

Berlin ernannt worden und <strong>20</strong>19<br />

zum Ehrendirigenten von Concerto<br />

Köln. Als gefragter Gastdirigent<br />

arbeitet <strong>Kent</strong> <strong>Nagano</strong> mit den<br />

weltweit führenden internationalen<br />

Orchestern zusammen. Seine<br />

CD-Produktionen erscheinen bei<br />

Labels wie BIS, Decca, Sony Classical,<br />

FARAO Classics und Analekta.<br />

Anlässlich seines 70. Geburtstags<br />

<strong>20</strong>21 erschien eine 3-CD-Box mit<br />

Werken von Olivier Messiaen beim<br />

Label BR Klassik. Im September<br />

<strong>20</strong>21 veröffentlichte <strong>Kent</strong> <strong>Nagano</strong><br />

sein zweites Buch: In »10 Lessons<br />

of my Life« erinnert er sich an sehr<br />

persönliche und prägende Begegnungen.<br />

Darunter sind die isländische<br />

Popkünstlerin Björk, Frank<br />

Zappa, Leonard Bernstein, Pierre<br />

Boulez und der Nobelpreisträger<br />

für Physik Donald Glaser.<br />

BIOGRAPHIE ONLINE<br />

13


ORCHESTER<br />

DRESDNER<br />

PHILHARMONIE<br />

Musik für alle – Die Dresdner<br />

Philharmonie steht für Konzerte<br />

auf höchstem künstlerischen<br />

Niveau, musikalische Bildung für<br />

jedes Alter und den Blick über den<br />

musikalischen Tellerrand hinaus.<br />

Gastspiele auf fast allen Kontinenten<br />

und die Zusammenarbeit mit<br />

Gästen aus aller Welt haben den<br />

Ruf des Orchesters in der internationalen<br />

Klassikwelt verankert. Seit<br />

der Konzertsaison <strong>20</strong>19/<strong>20</strong><strong>20</strong> ist<br />

Marek Janowski zum zweiten Mal<br />

Chefdirigent und künstlerischer<br />

Leiter der Dresdner Philharmonie.<br />

BIOGRAFIE ONLINE<br />

14


KONZERTVORSCHAU<br />

FR 3. JUN <strong><strong>20</strong>22</strong> | 19.30 UHR<br />

SO 5. JUN <strong><strong>20</strong>22</strong> | 18.00 UHR<br />

KONZERTSAAL<br />

SINFONIEKONZERT<br />

RACHMANINOW 2<br />

Schostakowitsch: Violinkonzert Nr. 1 a-Moll<br />

Rachmaninow: Sinfonie Nr. 2 e-Moll<br />

Kahchun Wong | Dirigent<br />

Vilde Frang | Violine<br />

Dresdner Philharmonie<br />

SA 11. JUN <strong><strong>20</strong>22</strong> | 19.30 UHR<br />

SO 12. JUN <strong><strong>20</strong>22</strong> | 18.00 UHR<br />

KONZERTSAAL<br />

SINFONIEKONZERT<br />

ROMEO UND JULIA<br />

Satie: Musik zu ›Parade – Ballet réaliste‹ nach einem<br />

Thema von Jean Cocteau<br />

Saunders: ›Still‹ für Violine und Orchester<br />

Prokofjew: Suite Nr. 2 aus dem Ballett ›Romeo und Julia‹<br />

Maxime Pascal | Dirigent<br />

Carolin Widmann | Violine<br />

Dresdner Philharmonie<br />

FR 17. JUN <strong><strong>20</strong>22</strong> | 19.30 Uhr<br />

KONZERTSAAL<br />

SINFONIEKONZERT<br />

STARKE STÜCKE<br />

Sibelius: Sinfonie Nr. 3 C-Dur<br />

Strawinski: Violinkonzert in D-Dur<br />

Ravel: Boléro<br />

Nicholas Collon | Dirigent<br />

Leila Josefowicz | Violine<br />

Dresdner Philharmonie<br />

15


IMPRESSUM<br />

HERAUSGEBER<br />

Intendanz<br />

der Dresdner Philharmonie<br />

Schloßstraße 2, 01067 Dresden<br />

T +49 351 4866-282<br />

dresdnerphilharmonie.de<br />

TEXT<br />

Jürgen Ostmann<br />

Der Text ist ein Originalbeitrag<br />

für dieses Heft;<br />

Abdruck nur mit ausdrücklicher<br />

Genehmigung des Autors.<br />

BILDNACHWEISE<br />

Wikimedia commons S.7/8/11<br />

Kazu Ishikawa S.4<br />

Anne Zeuner S.13<br />

Björn Kadenbach S.14<br />

CHEFDIRIGENT UND<br />

KÜNSTLERISCHER LEITER<br />

Marek Janowski<br />

INTENDANTIN<br />

Frauke Roth (V.i.S.d.P.)<br />

REDAKTION<br />

Dr. Claudia Woldt und<br />

Adelheid Schloemann<br />

MUSIKBIBLIOTHEK<br />

Die Musikabteilung der<br />

Zentralbibliothek (2. OG) hält<br />

zu den aktuellen Programmen<br />

der Philharmonie für<br />

Sie in einem speziellen Regal<br />

am Durchgang zum Lesesaal<br />

Partituren, Bücher und CDs<br />

bereit.<br />

Preis 2,50€<br />

Änderungen vorbehalten.<br />

Die Dresdner Philharmonie als Kultureinrichtung der Landeshauptstadt<br />

Dresden (Kulturraum) wird mitfinanziert durch<br />

Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag<br />

beschlossenen Haushaltes.<br />

MEDIZINISCHES Gesundheitspartner<br />

LABOR der Dresdner<br />

OSTSACHSEN<br />

Philharmonie<br />

DRESDEN<br />

BAUTZEN<br />

GÖRLITZ<br />

16


SINFONIEKONZERT<br />

ROMEO&<br />

JULIA<br />

SA 11. JUN <strong><strong>20</strong>22</strong> | 19.30 UHR<br />

SO 12. JUN <strong><strong>20</strong>22</strong> | 18.00 UHR<br />

KULTURPALAST<br />

ERIC SATIE<br />

Musik zu ›Parade – Ballet réaliste‹<br />

nach einem Thema von Jean Cocteau<br />

REBECCA SAUNDERS<br />

›Still‹ für Violine und Orchester<br />

SERGEI PROKOFJEW<br />

Suite Nr. 2 aus dem Ballett<br />

›Romeo und Julia‹<br />

MAXIME PASCAL | Dirigent<br />

CAROLIN WIDMANN | Violine<br />

DRESDNER PHILHARMONIE<br />

Tickets ab 18 € | 9 € Schüler:innen, Junge Leute<br />

ticket@dresdnerphilharmonie.de | dresdnerphilharmonie.de<br />

© Lennard Rühle


TICKETSERVICE<br />

Schloßstraße 2 | 01067 Dresden<br />

T +49 351 4 866 866<br />

MO – MI 10 – 15 Uhr<br />

DO, FR 14 – 19 Uhr<br />

SA, SO, feiertags geschlossen<br />

Änderungen entnehmen Sie der Homepage<br />

ticket@dresdnerphilharmonie.de<br />

Bleiben Sie informiert:<br />

dresdnerphilharmonie.de<br />

kulturpalast-dresden.de

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