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knw journal

Die zweite Ausgabe unseres knw journal ist da. Wir bedanken uns bei allen, die sich an unserer Umfrage zum ersten knw journal beteiligt haben. Hier kam viel positives Feedback, ebenso in den Dutzenden von Rückmeldungen per Mail, was uns sehr gefreut und motiviert hat! Teilen Sie uns gerne weiter Ihre Meinung mit. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns dabei helfen könnten, im knw journal noch mehr Inhalte aus den Mitgliedsorganisationen zu veröffentlichen – Nun hoffen wir, dass Sie wieder zahlreiche Artikel finden, die Sie und Euch interessieren! Auch für die „Kleinen“ ist wieder was dabei …

Die zweite Ausgabe unseres knw journal ist da. Wir bedanken uns bei allen, die sich an unserer Umfrage zum ersten knw journal beteiligt haben. Hier kam viel positives Feedback, ebenso in den Dutzenden von Rückmeldungen per Mail, was uns sehr gefreut und motiviert hat! Teilen Sie uns gerne weiter Ihre Meinung mit. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns dabei helfen könnten, im knw journal noch mehr Inhalte aus den Mitgliedsorganisationen zu veröffentlichen – Nun hoffen wir, dass Sie wieder zahlreiche Artikel finden, die Sie und Euch interessieren! Auch für die „Kleinen“ ist wieder was dabei …

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<strong>knw</strong> <strong>journal</strong><br />

des Kindernetzwerk e.V.<br />

Dachverband der Selbsthilfe von Familien mit Kindern<br />

und jungen Erwachsenen mit chronischen Erkrankungen<br />

und Behinderungen<br />

Ausgabe 01 2022


Unser <strong>knw</strong>-<strong>journal</strong><br />

Liebe Leser:innen,<br />

schön, dass Sie die nun zweite Ausgabe unseres <strong>knw</strong> <strong>journal</strong> geöffnet haben,<br />

das freut uns sehr. Wir bedanken uns bei allen, die sich an unserer Umfrage zum<br />

ersten <strong>knw</strong> <strong>journal</strong> beteiligt haben. Hier kam viel positives Feedback, ebenso in den<br />

Dutzenden von Rückmeldungen per Mail, was uns sehr gefreut und motiviert hat!<br />

Teilen Sie uns gerne weiter Ihre Meinung mit.<br />

Wir würden uns freuen, wenn Sie uns dabei helfen könnten, im <strong>knw</strong> <strong>journal</strong> noch<br />

mehr Inhalte aus den Mitgliedsorganisationen zu veröffentlichen. Bitte alle<br />

möglichen Inhalte senden an jackel@kindernetzwerk.de – ganz herzlichen Dank!<br />

Außerdem wollen wir alle herzlich bitten, uns angesichts der sehr großen<br />

Herausforderungen bei der Versorgung der Menschen aus der Ukraine aktuell alle<br />

Angebote für geflüchtete Menschen (gerade auch für Kinder) mit gesundheitlichen<br />

Einschränkungen und Behinderungen zuzusenden, damit wir diese auf unserem<br />

Themenportal veröffentlichen können, das wir gerade vorbereiten. Erste Infos<br />

finden Sie hier. Alle Infos auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch sowie Englisch<br />

sind interessant, diese können Sie bitte senden an strunk@kindernetzwerk.de.<br />

Wir hoffen, vielen unserer Mitglieder bald wieder „in echt“ begegnen zu können:<br />

Auf unserer diesjährigen Mitgliederversammlung und der anschließenden Jahrestagung<br />

in Berlin am 16. und 17.09.22 im schönen und ruhigen Hotel Aquino.<br />

Bitte merken Sie sich bereits jetzt den Termin vor.<br />

Nun hoffen wir, dass Sie wieder zahlreiche Artikel finden, die Sie und Euch<br />

interessieren! Auch für die „Kleinen“ ist wieder was dabei. :-)<br />

Alles Gute!<br />

Ihr Kindernetzwerk-Redaktionsteam


Inhaltsverzeichnis<br />

3 Aus dem Kindernetzwerk<br />

20 Aus Politik & Gesellschaft<br />

24 Aus dem Gesundheitswesen<br />

37 Buchtipps<br />

42 Für unsere „very special children“: Unsere Kinderseiten<br />

46 Unsere Glosse „zu guter letzt“<br />

47 Impressum


Aus dem Kindernetzwerk


4<br />

Aus dem Kindernetzwerk<br />

Ergebnis der Freiburg-Umfragen (2. Welle):<br />

Die COVID-19-Kindernetzwerk-Studie<br />

In unserer Studie mit der Universität Freiburg wollten<br />

wir erfahren, welche Auswirkungen die COVID<br />

19-Pandemie auf den Alltag von Kindern und Jugendlichen<br />

mit und ohne chronische Krankheiten<br />

und Behinderungen und deren Familien haben.<br />

Nun sind wie angekündigt die Ergebnisse der zweiten<br />

Befragungsrunde online gestellt. Sie zeigen,<br />

wie sich ein Jahr nach ihrem Beginn die Pandemie<br />

selbst und die entsprechenden Gegenmaßnahmen<br />

auf Familien auswirkten. Zusätzlich wurden<br />

diesmal auch Einstellungen zur Impfung gegen das<br />

Sars-CoV-2-Virus untersucht.<br />

Insgesamt haben 521 Eltern, zum Großteil Mütter,<br />

an der Umfrage teilgenommen. Dabei zeigte sich,<br />

dass sich die anhaltende Pandemiesituation auch<br />

auf die Versorgung von Kindern mit besonderem<br />

Pflegebedarf auswirkt. Über die Hälfte der Eltern<br />

gab an, dass die pädagogische bzw. schulische<br />

Förderung nicht dem Bedarf des Kindes entsprach.<br />

Es zeichnete sich eine starke psychische Belastung<br />

ab, über die die teilnehmenden Eltern sowohl für<br />

sich selbst als auch für ihre Kinder berichteten.<br />

Auch in punkto sozioökonomischer Status stellten<br />

sich Unterschiede zwischen besser und schlechter<br />

aufgestellten Familien heraus. Zum Thema Impfung<br />

gaben Eltern mit pflegebedürftigen Kindern im Vergleich<br />

zu Eltern ohne „special health care needs“<br />

(SHCN)-Kind häufiger an, gut über die verschiedenen<br />

Impfstoffe informiert zu sein, möglichst schnell<br />

selbst geimpft werden zu wollen und, dass es wichtig<br />

sei, Kindern unter 16 Jahren ein Impfangebot<br />

zu machen. Eine abschließende dritte Befragungswelle<br />

ist bald geplant. Dabei soll ein besonderer<br />

Schwerpunkt auf Lösungsansätze zur Verbesserung<br />

der Situation von Familien mit SHCN-Kindern und<br />

gesunden Kindern in der andauernden Pandemie<br />

gelegt werden.<br />

Familien für Studie gesucht -<br />

Neue Wege für Ihre Entlastung<br />

Seit vielen Jahren arbeiten wir an der Seite von<br />

Familien, die ihre pflegebedürftigen oder chronisch<br />

kranken Kinder zu Hause versorgen. Unsere Erfahrung<br />

zeigt, dass es immer schwerer wird, für diese<br />

Familien Unterstützung und Entlastung zu finden.<br />

Hinzu kommt der „bürokratische Dschungel“ und,<br />

dass die Angebote oft nicht auf die Anforderungen<br />

der gesamten Familie zugeschnitten sind. Daher<br />

erproben wir in einem Forschungsprojekt neue<br />

Versorgungsformen: Wir wollen neue Wege finden,<br />

Familien mit pflegebedürftigen oder chronisch<br />

kranken Kindern besser zu entlasten. Wir gehen<br />

gerne voran, aber nur gemeinsam mit Ihnen können<br />

wir etwas verändern!<br />

Wir brauchen bei einer Studie Ihre Unterstützung.<br />

Das Kindernetzwerk und Nestwärme e.V. suchen<br />

Familien, die sich an der Studie beteiligen möchten.<br />

Genauere Informationen finden Sie unter<br />

https://forschungsprojekt-nest.de/. Während des<br />

Projektzeitraums von 1,5 Jahren soll ein Familienmitglied<br />

an vier Online-Befragungen teilnehmen.


Aus dem Kindernetzwerk<br />

5<br />

Für die Teilnahme erhält jede Familie 120 EURO.<br />

Sie haben noch Fragen?<br />

Unsere Ansprechpartnerin Birgit Fuchs<br />

ist für Sie da!<br />

Kontakt:<br />

Telefon: 06021 454 400<br />

E-Mail: info@kindernetzwerk.de<br />

Hier geht es zur Teilnahme...<br />

<strong>knw</strong> Creator:innen-Projekt<br />

Redakteurin Birte Struntz erklärt, wie man gute Videos für seinen Vereinsauftritt produziert<br />

Wie schwierig es ist, gute Videos produzieren, die<br />

z.B. auf dem YouTube-Kanal des Selbsthilfevereins<br />

oder einfach auf der Webseite veröffentlicht<br />

werden, erfuhren fünf Teilnehmer:innen des Trainingscamps<br />

„Empowerment digital – Wie man richtig<br />

gute Videos macht!“. Es wurde diesen Winter<br />

vom Kindernetzwerk mit Hilfe der Kaufmännischen<br />

Krankenkasse (KKH) veranstaltet.<br />

In dem Trainingscamp wurden die „Zutaten“<br />

wie Themenrecherche, Dramaturgie des Videos,<br />

Hintergrundgestaltung und Moderation erlernt,<br />

um Videos selbst erfolgreich zu produzieren. Oft<br />

vergeben Vereine daher diese Aufgabe an externe<br />

Produzenten, wofür wiederum Geld benötigt wird,<br />

das nicht immer da ist. Auf die folgenden Tricks und<br />

Kniffe setzte die ehemalige Fernsehautorin, damit<br />

der Dreh effektiv und erfolgreich gelingt. Mit dem<br />

Seminar wurden die Teilnehmer:innen fit gemacht,<br />

um auch für ihre Selbsthilfe aktiv Videos zu produzieren.<br />

Gefördert durch:<br />

Foto: Webinar-Teilnehmer:innen auf dem Kindernetzwerk-YouTube-Kanal.


6<br />

Aus dem Kindernetzwerk<br />

Themenrecherche: Für den richtigen Inhalt<br />

Bildaufbau: Für das richtige Setting<br />

Es empfiehlt sich, gleich drei Themen zu suchen,<br />

die man umsetzen möchte: Hat man die erste Produktion<br />

fertig, die in der Vorbereitung etwas länger<br />

dauert, weil man es zum ersten Mal gemacht<br />

hat, flutschen die anderen so hinterher. Außerdem<br />

kann man das schöne Setting, das man sich für sein<br />

Videodreh gebaut hat, gleich für die anderen weiterverwenden.<br />

Die Themen sollten aus dem eigenen<br />

Erfahrungsbereich kommen, am besten eignen<br />

sich persönliche Erfahrungen, die einen echten<br />

Mehrwert für andere Betroffene und Gleichgesinnte<br />

haben. Machen Sie ein Thema dabei nicht<br />

zu kompliziert und verarbeiten nicht gleich alle drei<br />

Themen in einem Video. Dafür haben Sie die zwei<br />

weiteren Videoproduktionen…<br />

Wählen Sie einen ruhigen Raum, in dem Sie nicht<br />

plötzlich gestört werden, und achten Sie unbedingt<br />

auf den Hintergrund: Mindestens 2 Meter<br />

von der Wand entfernt, entrümpelter Hintergrund<br />

mit schönem Licht. Stellen Sie Ihr Smartphone nun<br />

quer und stellen sich ein Stück nach rechts ins Bild.<br />

Als Technik dienten im Trainingscamp ganz einfache<br />

Hilfsmittel: Eine Camperlampe, ein Smartphonehalter,<br />

ein Stativ, das auch am Tisch oder ähnlich<br />

befestigt werden kann.<br />

Präsentation: Für eine gute Figur vor der Kamera<br />

Treatment: Für die richtige Struktur<br />

Fragen Sie sich, für wen das Thema interessant<br />

ist, d.h. wer ist der Adressat. Es ist ein Unterschied,<br />

ob Sie sich an betroffene Eltern oder kranke<br />

Jugendliche richten. Machen Sie sich auch den<br />

Aufbau des Videos bewusst und fragen sich, wie<br />

Zuschauer:innen an ihrer Geschichte dranbleiben.<br />

Hier gibt es ein Erfolgsrezept: Die Treatmentvorlage.<br />

Foto: Can spricht in seinem Video über Betreutes<br />

Wohnen<br />

Zugegeben: Es ist nicht einfach, sich selbst aufzunehmen,<br />

anzuschauen und dann reden zu hören.<br />

Wenn Sie den Punkt aber überwunden haben, sind<br />

Sie Ihr bester Schauspieler: Bestenfalls erklären Sie<br />

Ihr Thema mit einem Lächeln und Ihre Hände unterstreichen<br />

wichtige Aussagen.<br />

Technik: Für einen guten Schnitt<br />

Foto: Marleen Schmidt vom Verein der Fanconi-<br />

Anämie<br />

Es ist einfach unfassbar, wie einfach es ist, technisch<br />

gute Videos mit dem Smartphone zu produzieren,<br />

für das man vor einem Jahrzehnt noch sehr<br />

viel Geld hätte investieren müssen. Heute hat man


Aus dem Kindernetzwerk<br />

7<br />

mit der Smartphonetechnik alles im Griff. Wenn<br />

es nicht das älteste Smartphone ist und Sie ein<br />

bisschen drauf achten, dass Sie Licht ins Gesicht<br />

bekommen, werden die Aufnahmen alle gelingen.<br />

Und auch der Schnitt ist heutzutage einfach auf<br />

dem Smartphone zu haben. Es gibt viele Schnittprogramme,<br />

viele von ihnen setzen aber automatisch<br />

am Ende ihr Logo ein, was nichts anderes<br />

bedeutet, als dass jedes Video mit diesem Wasserzeichen<br />

ein Werbeclip für den Anbieter ist. Nutzen<br />

Sie daher beispielsweise den „VN-Player“, den man<br />

sich kostenlos auf sein Smartphone herunterladen<br />

kann. In dem Trainingscamp ist die App ausgiebig<br />

getestet und ihre Handhabung als sehr leicht<br />

bewertet worden.<br />

YouTube: Für eine erfolgreiche Performance<br />

Wählen Sie einen Titel, den Sie auch im Internet<br />

suchen würden, beschreiben Sie ihren Videoinhalt<br />

ausführlich und verwenden das Stichwort, das das<br />

Video und den Inhalt am besten beschreibt, mehrmals<br />

– ein wichtiges Kriterium, um gefunden zu<br />

werden. Versehen Sie die Beschreibung noch mit<br />

weiteren Infos beispielsweise zu Ihrem Verein,<br />

Ihrer Webseite, Ihren anderen Kanälen bzw. verlinken<br />

Sie zu anderen Videos, damit Zuschauer:innen<br />

auf Ihrem Kanal bleiben. Versehen Sie am Ende<br />

das Video auf jeden Fall mit sogenannten „Anmerkungen“:<br />

Diese fügen Sie, nachdem Sie das Video<br />

hochgeladen haben, hinzu und bitten um Likes und<br />

Kommentare. So erhält das Video mehr Aufmerksamkeit.<br />

Videos produzieren – Fazit:<br />

Es erfordert ein bisschen Übung, bis der Prozess<br />

routiniert abläuft: Die Ergebnisse aus dem Trainingscamp<br />

der Jungen Selbsthilfe finden Sie hier.<br />

Die Teilnehmer:innen erzählen in ihren Videos aus<br />

ihren alltäglichen Herausforderungen, helfen bei<br />

Themen wie „Betreutes Wohnen“ oder „Rollstuhlfahren“<br />

oder stellen erst einmal grundsätzlich ihre<br />

seltene Erkrankung vor. Am Ende dieses Projekts<br />

hatte jeder an einem Nachmittag ein Thema „im<br />

Kasten“, um für sich bzw. für seine Vereinsarbeit einen<br />

Film zu veröffentlichen.<br />

Das Trainingscamp wurde von unserer Mitarbeiterin,<br />

der studierten Journalistin und Redakteurin<br />

Birte Struntz, durchgeführt. Seit April 2018 leitet sie<br />

im Kindernetzwerk die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.<br />

Tricks vom Profi:<br />

Wie nutze ich YouTube richtig?<br />

Eine erfolgreiche „Contentstrategie“ bei YouTube<br />

ist vor allem bei speziellen Themen wie seltenen Erkrankungen<br />

nicht einfach. Um YouTube effektiv zu<br />

nutzen, hat das Kindernetzwerk Bastian Niemeier<br />

gefragt: Er hat stolze 13.200 Abonnenten auf seinem<br />

Selbsthilfe-Kanal „Diabetes ohne Grenzen“. Er<br />

begann seine YouTube-Karriere als kleiner Junge:<br />

Eines seiner ersten Videos zeigt ihn, wie er sich<br />

zum ersten Mal einen Sensor setzt – bis heute sein<br />

erfolgreichstes Video. Seitdem hat Bastian viele<br />

Videos zum Thema Diabetes Typ 1 hochgeladen<br />

und viele Erfahrungen mit YouTube gemacht. Er<br />

erzählt dem Kindernetzwerk, worauf man bei You-<br />

Tube achten soll, damit der Kanal in der Flut der<br />

Videos auch Beachtung erhält.


8<br />

Aus dem Kindernetzwerk<br />

Wie lang sollten die Videos sein?<br />

Das ist unterschiedlich. Die Aufmerksamkeitsspanne<br />

ist eigentlich nicht hoch bei YouTube. Aber wissenschaftliche<br />

Themen brauchen mehr Zeit zum Erklären.<br />

Diese Videos dienen nicht der Unterhaltung,<br />

das wissen die Leute, die das Video anklicken auch.<br />

Weil sie sich dann auch wirklich für die krankheitsspezifischen<br />

Themen und wissenschaftlichen Informationen<br />

interessieren, kann das Video auch mal<br />

länger, also ruhig 10 - 20 Minuten lang sein. Nichtsdestotrotz<br />

versuche ich, meine Videos immer so<br />

kurz wie möglich zu gestalten und in so wenig Zeit<br />

wie möglich das Wichtigste rüberzubringen.<br />

Fakten aus dem Internet zu einer Krankheit? Wie<br />

wichtig ist der Umgang mit sicheren Quellen und<br />

wie gehst Du da vor?<br />

Ich nehme nicht die erstbeste Quelle. Aber wenn<br />

der Inhalt auch schon bei vielen anderen verlässlichen<br />

Quellen, also auf medizinisch-wissenschaftlichen<br />

Seiten aufgetaucht ist, kann man die Informationen<br />

als verlässlich einstufen.<br />

Was ist gutes Community-Management?<br />

Wenn ich ein Video eingestellt habe, versuche ich,<br />

mir immer die Kommentare anzuschauen und darauf<br />

zu reagieren. Aus Zeitgründen ist das nicht so<br />

leicht. Aber manchmal bitte ich die Leute auch mir<br />

zu schreiben, welches Thema ich als nächstes machen<br />

soll: Da reagieren die Leute gerne drauf. Sogenannte<br />

„Call-to-Actions“ bindet die Community an<br />

meinen Kanal.<br />

Wenn in deinen Kommentaren ein „Störenfried“<br />

auftaucht, der einen bösen und nicht sachdienlichen<br />

Kommentar geschrieben hat, was machst Du<br />

dann?<br />

Die lasse ich die meistens unkommentiert stehen<br />

und versuche, sie nicht an mich ranzulassen. Wenn<br />

sie zu stark beleidigend sind, dann würde ich sie<br />

einfach löschen. Bloß nicht darauf eingehen und<br />

sich selbst erklären wollen – das bringt nichts.<br />

Wie verdient man Geld mit dem Kanal?<br />

Mein Kanal ist nicht megagroß. Aber ich erreiche<br />

mit meinem speziellen Kanal Gleichgesinnte, und<br />

die sind für bestimmte Unternehmen genau die<br />

Zielgruppe. Ich habe angefangen, vor meinen Videos<br />

Werbung zu schalten. Reich werde ich damit<br />

aber gerade noch nicht. Ab und zu, wenn es passt,<br />

gehe ich auch Kooperationen ein, d.h. ich stelle<br />

Produkte vor, die ich selbst gut finde und erhalte<br />

dafür finanzielle Unterstützung.<br />

Hast Du einen Redaktionsplan?<br />

Ja: Ich versuche jede Woche immer sonntags ein<br />

neues Video hochzuladen. Ich arbeite und studiere<br />

noch „nebenbei“ und muss daher versuchen,<br />

alles unter einen Hut zu bringen. Früher habe ich<br />

immer freitags ein Video hochgeladen. Das wurde<br />

mir aber mit Studium und Arbeit zu viel. Deswegen<br />

habe ich mir das Wochenende reserviert, um die<br />

einzelnen Videos jeweils passend fertigzustellen.<br />

Regelmäßiger Content ist ganz wichtig. Das ist wie<br />

Fernsehprogramm: Die Leute müssen mit Dir rechnen<br />

können und merken sich auch, dass Du regelmäßig<br />

postest – und der Algorithmus auch.<br />

Vielen Dank für Deine Einblicke.<br />

Das Interview führte Birte Struntz


Aus dem Kindernetzwerk<br />

9<br />

Unsere Projekte<br />

<strong>knw</strong>-Geschäftsführerin Dr. Henriette Högl (Bereich Medizin, Versorgungsstrukturen)<br />

Das Kindernetzwerk realisiert viele bewährte, aber auch neue Projekte, die wir mit Hilfe unserer<br />

Förderer verwirklichen konnten. Sie finden sie auf unserer Homepage<br />

Projektarbeit im <strong>knw</strong><br />

Die Angebote des Kindernetzwerk e.V. (<strong>knw</strong>) werden<br />

im Wesentlichen durch Projektarbeit bereitgestellt.<br />

Dabei orientieren wir uns ausschließlich an<br />

den Bedürfnissen der betroffenen Familien, der<br />

chronisch kranken oder beeinträchtigten Kinder<br />

und Jugendlichen sowie unserer Mitgliedsorganisationen.<br />

Deshalb suchen wir ständig den Austausch<br />

mit diesen.<br />

Es ist uns aber nicht nur wichtig, die richtigen Inhalte<br />

zu bearbeiten, sondern auch, die größtmögliche<br />

Öffentlichkeit und politische Aufmerksamkeit für<br />

die Bedarfe unserer Betroffenen zu erreichen.<br />

Wir bemühen uns dabei, alle Ebenen der Unterstützung<br />

zu erreichen. Ein klares krankheitsübergreifendes<br />

Denken ist dabei unser Grundprinzip,<br />

um unsere Mitgliedsorganisationen zu stärken und<br />

nicht in Konkurrenz mit ihnen zu treten.<br />

Wir bieten aber auch den Betroffenen selbst diverse<br />

Unterstützungsangebote. Die <strong>knw</strong> Beratungsangebote<br />

konnten wir um eine Peer-Beratung im biopsychosozialen<br />

Familienkontext erweitern.<br />

Ergänzend dazu ist uns aber auch der niedrigschwellige<br />

Austausch der Betroffenen untereinander<br />

und vor allem das Auffinden ähnlich Betroffener<br />

ein großes Anliegen. Daher freuen wir uns, dass<br />

wir mit einer Förderung durch das BMG in Kooperation<br />

mit dem Zentrum für seltene Erkrankungen<br />

Bonn und der Medizinischen Hochschule Hannover<br />

eine mobile App entwickeln können.<br />

Unsere Akademie bietet regelmäßige Weiterbildungs-<br />

und Entlastungsangebote, um den Familienund<br />

Krankheitsalltag besser managen zu können.<br />

Wir versuchen, regelmäßig Entlastungsangebote für<br />

Eltern, aber auch gesunde Geschwisterkinder durchzuführen.<br />

Eine professionelle Begleitung durch psychologisch<br />

geschulte Fachkräfte, aber auch eine<br />

Umgebung, die zum Seele-Baumeln-Lassen einlädt,<br />

sind uns dabei gleichermaßen wichtig. Es soll eine<br />

Atmosphäre geschaffen werden, die es den Betroffenen<br />

erlaubt, wieder auf ihre eigenen Stärken im<br />

Umgang mit ihrer besonderen Situation zugreifen<br />

zu können – oder ganz neue zu entdecken. Um die<br />

Betroffenen weiter zu stärken, bieten wir regelmäßig<br />

Seminare für unterschiedliche Zielgruppen<br />

zu unterschiedlichsten Themen an: Zugang zum<br />

1. Arbeitsmarkt für jungen Erwachsene, das bessere<br />

Arztgespräch oder sozialrechtliche Seminare,<br />

um nur ein paar zu nennen.<br />

Gerade, da wir das erlebte Wissen der Betroffenen<br />

für besonders wichtig erachten, möchten wir diese<br />

auch befähigen, diese Kompetenzen anderen Betroffenen<br />

zu Verfügung zu stellen. Dazu schaffen wir<br />

Weiterbildungsangebote z.B. als Peer-Berater:in<br />

und Transitionscoaches. Hier arbeiten wir immer<br />

mit qualifizierten Schulungsinstitutionen zusammen.<br />

Aktuelle Angebote der Kindernetzwerk Akademie<br />

finden Sie immer hier.


10<br />

Aus dem Kindernetzwerk<br />

Ein weiterer Pfeiler der Unterstützungsarbeit des<br />

<strong>knw</strong> ist das Erfassen von wesentlichen Bedarfen<br />

für die Betroffenen und Selbsthilfeorganisationen<br />

in Form von Studien und Umfragen. Zusätzlich stellen<br />

wir dann wesentliche bewertete Informationen<br />

zusammen, um Hilfe bei der Lösung der identifizierten<br />

Problemlagen geben zu können. In Form<br />

von Online-Handreichung finden Sie diese dann gut<br />

verfügbar auf unserer Homepage, in unserem <strong>knw</strong><br />

<strong>journal</strong> sowie den Sozialen Medien. In nächster Zeit<br />

werden wir uns vor allem der Zukunftsfähigkeit der<br />

Selbsthilfe mit einem Schwerpunkt auf die Junge<br />

Selbsthilfe, der kultursensiblen Selbsthilfe, der Versorgung<br />

von Geflüchteten (anlässlich der Ukraine-<br />

Krise) sowie den Bedarfen von erwachsenen gesunden<br />

Geschwistern widmen. Alles begleitet von<br />

einem starken, präsenten Auftritt der Betroffenen<br />

in der Öffentlichkeit in Form einer medienwirksamen<br />

Kampagne.<br />

Spenden an das Kindernetzwerk?<br />

Wenn Sie unsere Arbeit für die Betroffenen unterstützen<br />

wollen, freuen wir uns sehr über Spenden,<br />

auf die wir dringend angewiesen sind. Vielleicht<br />

könnte eine Firma in Ihrem Umfeld für das Kindernetzwerk<br />

spenden oder Fördermitglied werden?<br />

Mitglied im Kindernetzwerk werden!<br />

Sie sind noch nicht Mitglied im Kindernetzwerk,<br />

wollen es aber werden? Hier erfahren Sie, welche<br />

Vorteile Sie als Mitglied haben und wie Sie Teil des<br />

<strong>knw</strong> werden können.


Aus dem Kindernetzwerk<br />

11<br />

Unsere Mitglieder<br />

im Kindernetzwerk<br />

Hier stellen wir wieder eine Mitgliedsorganisation aus unseren Reihen vor<br />

sowie im Anschluss unsere neuen Mitglieder.<br />

Unser Mitglied im <strong>knw</strong>:<br />

Gemeinsam leben – gemeinsam lernen.<br />

Von Dorothea Terpitz<br />

Im März 2009 unterzeichnete der Deutsche Bundestag<br />

die UN-Behindertenrechtskonvention und<br />

ebnete damit den Weg zur Umsetzung der Inklusion<br />

auf allen staatlichen Ebenen. Die UN-Behindertenrechtskonvention<br />

ist verpflichtende Handlungsgrundlage<br />

für alle politisch Verantwortlichen<br />

auf allen Ebenen: Bei allen Entscheidungsprozessen<br />

sind außerdem die Menschen mit Behinderungen<br />

miteinzubeziehen und anzuhören („nichts über<br />

uns ohne uns“). Sie haben das Recht auf aktive und<br />

selbstbestimmte Teilhabe in der Gesellschaft („participation“).<br />

Der Staat wiederum ist verpflichtet,<br />

zeitnah und ohne Ausnahme die derzeit bestehenden<br />

Sondersysteme in Schule, Ausbildung, Arbeit,<br />

Wohnen, Freizeit etc. in ein inklusives System umzuwandeln,<br />

in dem niemand mehr ausgegrenzt<br />

oder aufgrund seiner Behinderung benachteiligt<br />

wird. Gleichzeitig besteht für alle Betroffenen das<br />

Recht auf angemessene Vorkehrungen. Denn der<br />

Begriff der Behinderung selbst wird nun grundlegend<br />

anders aufgefasst: Behinderung ist nicht nur<br />

aus medizinischer Sicht die körperliche oder seelische<br />

Beeinträchtigung des Einzelnen, sie ist auch<br />

gesellschaftlicher Natur, d.h. der Einzelne ist nicht<br />

nur behindert, sondern er wird durch sein soziales<br />

Umfeld behindert. Und Letzteres lässt sich ändern!<br />

Den Mitgliedern des Bundestags war sicher nicht<br />

klar, welch fundamentalen Charakter das Papier<br />

hat, das sie unterschrieben hatten. Nun ist radikales<br />

Umdenken gefordert, lang gepflegte Vorgehensweisen<br />

müssen überdacht, gesellschaftliche Systeme<br />

müssen von Grund auf neu organisiert werden.<br />

Statt „bevormundender Fürsorge“ gilt nun „selbstbestimmte<br />

Teilhabe“.<br />

Seitdem ist das Recht auf Teilhabe ein Grundrecht,<br />

das heute nicht mehr diskutierbar ist. Es geht nicht<br />

mehr um das OB, es geht nur noch um das WIE:<br />

• WIE wollen wir denn in unserer Gesellschaft<br />

leben?<br />

• WIE gestalten wir Schule?<br />

• WIE organisieren wir den Arbeitsplatz oder<br />

das Wohnen, damit alle unsere Kinder daran<br />

teilhaben können?


12<br />

Aus dem Kindernetzwerk<br />

DIE ELTERNVERTRETUNG<br />

Gemeinsam leben – gemeinsam lernen mit dem<br />

bekannten Logo der beiden Strichmännchen, die<br />

sich gemeinsam fortbewegen, gibt es schon seit<br />

über 30 Jahren. Die Initiative ging von engagierten<br />

Eltern aus, die seither für das Recht ihrer Kinder,<br />

egal welche Beeinträchtigungen sie auch immer<br />

haben, auf volle und selbstbestimmte Teilhabe insbesondere<br />

bei der Bildung kämpfen.<br />

Das staatlich subventionierte Sondersystem der Betreuung<br />

und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen<br />

hat eine lange Tradition. Was ehemals<br />

sicher gut gemeint war, gefiel vielen Eltern nicht.<br />

Sie wollten, dass ihre Kinder trotz ihrer besonderen<br />

Bedürfnisse einfach „mittendrin“ leben können. Sie<br />

wollten sich für ihre Position nicht rechtfertigen<br />

müssen, sie wollten einfach etwas anders für ihre<br />

Kinder.<br />

Aus dieser Idee heraus entstanden zahlreiche<br />

landesweite und lokale Elterninitiativen in ganz<br />

Deutschland, die ebenfalls betroffene Eltern beraten<br />

und unterstützen und sich unvermindert<br />

in Politik und Öffentlichkeit dafür einsetzen, dass<br />

Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit zur<br />

Teilhabe erhalten. Und die immer wieder darauf<br />

hinarbeiten, dass endlich ins öffentliche Bewusstsein<br />

dringt, dass alle Menschen verschieden sind<br />

und deshalb trotzdem niemand ausgegrenzt werden<br />

darf.<br />

Irgendwann und irgendwo kommt immer eine<br />

Familie und setzt Inklusion für sich und ihr Kind<br />

gegen Angst und Skepsis, gegen die Beharrungskräfte<br />

und fragwürdige Traditionen durch. Die<br />

nötige Unterstützung und Beratung gibt es durch<br />

die lokalen Elterninitiativen bundesweit. Sie begleiten<br />

auch weiterhin den Prozess der Inklusion,<br />

sie helfen bei Problemen, sie haben Erfahrung bei<br />

der Beantragung von personeller oder materieller<br />

Unterstützung im jeweiligen Fall, sie kennen andere<br />

Eltern, denen es ähnlich erging oder ergeht. Eltern<br />

unterstützen sich gegenseitig, ihre Vereine und<br />

Initiativen sind eine starke Lobby für ihre Kinder<br />

und deren Rechte. Sie werden sich auch in Zukunft<br />

für die Umsetzung der Inklusion engagieren.<br />

Was macht z.B. Gemeinsam leben Hessen e.V.?<br />

Der Verein betreibt auf Landesebene in Hessen eine<br />

Beratungsstelle für betroffene Eltern und wirkt an<br />

der Umsetzung des hessischen Aktionsplans mit.<br />

Er ist Mitglied im Inklusionsbeirat des Landes, er<br />

unterhält regelmäßige Kontakte zu Abgeordneten<br />

des Landtags und zu den Ministerien und wird bei<br />

Gesetzesänderungen angehört. Außerdem sorgt er<br />

für Vernetzung und Austausch zwischen den hessischen<br />

Elterninitiativen und unterstützt sie auch<br />

bei der Beratung in Einzelfällen. Gemeinsam leben<br />

Hessen pflegt darüber hinaus einen regelmäßigen<br />

Austausch und z.T. enge Kooperation mit Selbsthilfegruppen<br />

für bestimmte Behinderungsarten oder<br />

Krankheiten. Denn wir Eltern sind nicht auf eine Art<br />

der Behinderung spezialisiert, sondern richten unser<br />

Augenmerk immer gezielt darauf, die Teilhabe<br />

durchzusetzen. Wir versuchen Probleme, die einer<br />

erfolgreichen Inklusion im Weg stehen, im Einzelfall<br />

und situationsbedingt zu lösen. Dabei spielt es<br />

keine Rolle, welche Art von Beeinträchtigung oder<br />

Behinderung der/die Einzelne mitbringt. Ziel ist<br />

die Sorge für angemessene Vorkehrungen und die<br />

Chance, mit den anderen zusammen zu leben, zu<br />

lernen und zu arbeiten.


Aus dem Kindernetzwerk<br />

13<br />

DAS BUNDESNETZWERK GEMEINSAM LEBEN –<br />

GEMEINSAM LERNEN<br />

Auf Bundesebene ist „Gemeinsam leben – gemeinsam<br />

lernen“ ein ehrenamtlich arbeitendes<br />

Netzwerk der verschiedenen landesweiten Dachverbände.<br />

Denn die Idee der Inklusion eint über<br />

Landesgrenzen und Landesgesetze hinweg, jenseits<br />

jeglichen Föderalismus. Die Sprecherinnen des<br />

Netzwerks sind derzeit Dorothea Terpitz von Gemeinsam<br />

leben Hessen e.V. und Kirsten Ehrhardt<br />

von der LAG – Landesarbeitsgemeinschaft Baden-<br />

Württemberg Gemeinsam leben – gemeinsam lernen<br />

e.V.<br />

Das Bundesnetzwerk ist bei verschiedenen Gremien<br />

auf Bundesebene vertreten, so z.B.<br />

• bei der Verbändeversammlung des Deutschen<br />

Instituts für Menschenrechte<br />

• beim BMFSFJ zur Reform des SGB VIII,<br />

• beim BMAS zur Neugestaltung und Umsetzung<br />

des BTHG/EUTBs<br />

• aktuell bei Anhörungen zur sonderpädagogischen<br />

Förderung in der KMK<br />

Es ist Mitglied bei weiteren Verbänden wie z.B.<br />

der National Coalition Deutschland (Netzwerk zur<br />

Umsetzung der Kinderrechte) und dem Netzwerk<br />

gegen Diskriminierung und bringt sich über seine<br />

Mitgliedsverbände im Paritätischen Landeswohlfahrtsverband<br />

auf Bundes- und Länderebene sowie<br />

in die Vorlagen zu den Staatenprüfverfahren zur<br />

Umsetzung der UN-BRK in Genf ein.<br />

Inklusion ist mittlerweile im öffentlichen Bewusstsein<br />

angekommen. Gesetze und Verordnungen<br />

wurden bereits geändert, inklusive Projekte verwirklicht.<br />

Doch auch mit der UN-Behindertenrechtskonvention<br />

als Basis gibt es noch viel zu tun.<br />

Denn es ist noch lange nicht selbstverständlich,<br />

dass Menschen mit Behinderungen ihren Platz mittendrin<br />

haben, wenn sie das wollen. Viele Eltern<br />

engagieren sich daher auch weiterhin in Initiativen<br />

und Vereinen in ihrem Ort, ihrem Bundesland, auf<br />

Bundesebene, damit sich das ändert.<br />

Kontakt und weitere Infos:<br />

http://www.gemeinsamleben-gemeinsamlernen.de<br />

Für Fragen und Beratung: Dorothea Terpitz,<br />

info@gemeinsam-leben-hessen.de


14<br />

Aus dem Kindernetzwerk<br />

Unsere neuen Mitgliedsorganisationen<br />

Deutscher Kinderhospizverein e.V.<br />

Austausch, Begleitung, Beratung und Vernetzung<br />

im Rahmen der Selbsthilfe<br />

durch die Mitgliederversammlung, die Beteiligung<br />

an Projekten und die Arbeit in diversen Gremien<br />

des DKHV e.V. wieder.<br />

Bundesweite Anlaufstelle für Familien<br />

Foto: Gemeinsam am Strand (© DKHV)<br />

Mit ca. 1.200 ehrenamtlichen und über 130 hauptamtlichen<br />

Mitarbeiter:innen begleitet der Deutsche<br />

Kinderhospizverein (DKHV e.V.) über 600 Familien<br />

im gesamten Bundesgebiet. Er unterstützt<br />

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene mit<br />

einer lebensverkürzenden Erkrankung, ihre Eltern,<br />

An- und Zugehörige und Geschwister ab der<br />

Diagnose, im Leben, im Sterben und über den Tod<br />

der Kinder hinaus. Der DKHV e.V. bietet als bundesweite<br />

Fachorganisation u. a. auch ein Forum,<br />

das betroffenen Familien in ähnlicher Lebenslage<br />

Austausch und Vernetzung ermöglicht. Über die<br />

haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden ist er an<br />

der Seite der Familien und stärkt die Selbsthilfe. Die<br />

Partizipation der Familien ist ein zentrales Prinzip<br />

des Vereins; es spiegelt sich in der Mitbestimmung<br />

Der Deutsche Kinderhospizverein wurde 1990 von<br />

Eltern, deren Kinder lebensverkürzend erkrankt<br />

waren, gegründet. Er ist bundesweite Anlaufstelle<br />

für betroffene Familien, die vor Ort von hauptund<br />

ehrenamtlichen Mitarbeitenden durch die 25<br />

vereinsinternen ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienste<br />

an 32 Standorten deutschlandweit,<br />

die Deutsche Kinderhospizakademie und die Ansprechpersonen<br />

für die Belange junger Menschen,<br />

Familien bzw. Geschwister begleitet werden.<br />

Interessenvertretung und Fachorganisation<br />

Durch seine regionale und bundesweite Öffentlichkeitsarbeit<br />

regt der DKHV e.V. zu einem offenen und<br />

informierten Umgang mit dem Thema „Sterben<br />

und Tod von Kindern“ an und vertritt die Interessen<br />

der betroffenen Familien in Gesellschaft und Politik.<br />

Als Fachorganisation entwickelt er Standards<br />

für die Kinder- und Jugendhospizarbeit in Deutschland<br />

und setzt sich für deren Einhaltung ein. Dabei<br />

agiert er in einem großen Netzwerk und hat zum<br />

Ziel, die Kinder- und Jugendhospizarbeit bundesweit<br />

in ihren Strukturen zu stärken; hierzu führt er<br />

u. a. Befragungen bei Familien durch, unterstützt<br />

und initiiert wissenschaftliche Forschungsprojekte.


Aus dem Kindernetzwerk<br />

15<br />

Mehr Information:<br />

www.deutscher-kinderhospizverein.de<br />

Ansprechpersonen für junge Menschen, Eltern<br />

und Geschwister:<br />

www.deutscher-kinderhospizverein.de/wie-wirunterstuetzen/ansprechpartnerinnen/<br />

Digitale Angebote bundesweit für Austausch und<br />

Begegnung:<br />

www.deutscher-kinderhospizverein.de/wie-wirunterstuetzen/digitale-angebote/<br />

Ambulante Kinder- u. Jugendhospizdienste vor Ort:<br />

www.deutscher-kinderhospizverein.de/wie-wirunterstuetzen/ambulante-kinderund-jugendhospizarbeit/<br />

Bildungs- und Begegnungsangebote der Deutschen<br />

Kinderhospizakademie im DKHV e.V.:<br />

www.deutscher-kinderhospizverein.de/wie-wirunterstuetzen/bildungs-undbegegnungsangebote/<br />

SYNGAP Elternhilfe e.V.<br />

- Gemeinsam für ein besseres Leben<br />

Eltern spüren schon früh, wenn etwas nicht mit der<br />

Entwicklung ihrer Kinder stimmt. So erging es auch<br />

Verena Schmeder mit ihrem Sohn Jamie und erst<br />

nach einer umfangreicher Gendiagnostik wurde<br />

das volle Ausmaß der Erkrankung ihres Sohnes mit<br />

dem SYNGAP1-Syndrom deutlich. Globale Entwicklungsstörung,<br />

Muskelhypotonie, geistige Behinderung,<br />

Epilepsie und Autismus sind die Hauptsymptome<br />

dieser Krankheit. Für die Mutter war klar:<br />

So etwas kann man nur schwer allein bewältigen.<br />

Deshalb begab sie sich auf die Suche nach anderen<br />

Familien in Deutschland. Gemeinsam gründeten sie<br />

den Verein SYNGAP Elternhilfe e.V.<br />

Gemeinsam sind wir stark: Unter diesem Motto<br />

hilft der Verein den betroffenen Familien. Mit einer<br />

digitalen Chat-Gruppe und Video-Chats stehen die<br />

Eltern zur gegenseitigen Unterstützung im engen<br />

Kontakt. Zudem kommt es immer wieder zu kleinen<br />

persönlichen Treffen der Mitglieder. Um die Eltern<br />

und Familien fit für die Herausforderungen mit<br />

SYNGAP zu machen, plant der Verein zudem Elternworkshops<br />

zu Themen wie Resilienz, Unterstützte<br />

Kommunikation und herausforderndes Verhalten.<br />

Zusätzlich, um den Erfahrungsaustausch noch interessanter<br />

zu machen, ist der Verein international<br />

mit anderen Organisationen über das SYNGAP Global<br />

Network vernetzt.


16<br />

Aus dem Kindernetzwerk<br />

Für die SYNGAP Eltern ist die Vernetzung sehr wichtig.<br />

So hat man im letzten Jahr erfolgreich ein Forschungskonsortium<br />

zusammengestellt, das sich auf<br />

eine EU-Förderung beworben hat. Zudem besteht<br />

eine enge Zusammenarbeit mit einem wissenschaftlichen<br />

Beirat, um an einem Patientenregister<br />

zu arbeiten. Dadurch sollen wichtige Informationen<br />

für Eltern, Ärzt:innen und Forscher:innen gesammelt<br />

werden, auch mit dem Ziel, zu einem späteren<br />

Zeitpunkt klinische Studien über neue Therapien zu<br />

ermöglichen.<br />

Ein sehr wichtiger Punkt ist aber die Öffentlichkeitsarbeit,<br />

um SYNGAP1 bekannter zu machen, mehr<br />

Patient:innen zu finden, frühere Diagnosen zu<br />

ermöglichen. Dazu hat der Verein eine Facebook-<br />

Gruppe für „Kinder mit Entwicklungsstörungen -<br />

Auf dem Weg zur Diagnose“.<br />

Um die Awareness für seltene Erkrankungen wie<br />

das SYNGAP1 Syndrom zu erhöhen, hat sich der<br />

Vorstand letztes Jahr etwas ganz Besonderes einfallen<br />

lassen. Der „Rare Diseases Run 2022“ wurde<br />

ins Leben gerufen und es schlossen sich 10 Vereine<br />

zusammen, um einen virtuellen inklusiven Lauf für<br />

den Tag der seltenen Erkrankungen zu veranstalten.<br />

Unter der Leitung des SYNGAP Elternhilfe e.V.<br />

schaffte man es, fast 2.000 Teilnehmer:innen, darunter<br />

zahlreiche aus dem <strong>knw</strong>, zu motivieren, während<br />

der Laufwoche für die unterschiedlichsten seltenen<br />

Erkrankungen zu laufen.<br />

Da Kinder mit dem SYNGAP1 Syndrom häufig die<br />

Bewegung im Wasser mögen, wird in der internationalen<br />

SYNGAP-Community jährlich am 21. Juni<br />

unter dem Motto das „Splash4Syngap“ gefeiert.<br />

Weitere Informationen und Kontakt:<br />

Tel: 02151/1503439<br />

Email: kontakt@syngap.de<br />

Internet: www.syngap.de<br />

Facebook: www.facebook.com/SyngapElternhilfe<br />

Instagram: @syngap_elternhilfe<br />

Twitter: @syngap1germany


Aus dem Kindernetzwerk<br />

17<br />

Aus unseren Arbeitskreisen<br />

Unser Arbeitskreis Junge Selbsthilfe<br />

wurde wieder aktiviert!<br />

Wir konnten nun im März nach einer etwas<br />

längeren ruhigen Phase wieder das erste online-<br />

Treffen der Plattform Junge Selbsthilfe durchführen<br />

und weitere digitale Formate vereinbaren.<br />

Auch parallel zu unserer Mitgliederversammlung<br />

und Jahrestagung am 16. und 17.09.2022 in<br />

Berlin wird die Junge Selbsthilfe wieder tagen.<br />

Zum nächsten Präsenztreffen wählen wir dann<br />

unsere:n neue:n Sprecher:in.<br />

Bitte macht gerne schon mal Werbung für die<br />

Junge Selbsthilfe-Plattform im <strong>knw</strong>, sendet uns weiter<br />

eure Angebote für junge Menschen, damit wir<br />

diese gut teilen können – künftig geht das neben<br />

Facebook, YouTube und Twitter auch per Instagram!<br />

Interview mit dem<br />

Beraterkreis-Vorsitzenden<br />

Dr. Seeger, Vorsitzender des <strong>knw</strong> Beraterkreises<br />

Der Beraterkreis des Kindernetzwerks wurde im<br />

November 1998 von Raimund Schmid gegründet.<br />

Mit welchem Ziel wurde der Beraterkreis Rhein-<br />

Main ins Leben gerufen?<br />

Ich war nicht von Anfang an dabei. Als ich 2001<br />

dazu kam, schien mir ein wichtiges Anliegen von<br />

Raimund der direkte Austausch mit kompetenten<br />

und kooperativen Kolleginnen und Kollegen zu<br />

sein, vorwiegend aus den verschiedenen Bereichen<br />

der Kinder- und Jugendmedizin. In regelmäßigen<br />

Sitzungen in der Geschäftsstelle (2x/Jahr) wurden<br />

die Projekte des <strong>knw</strong> von ihm vorgestellt, fachlich<br />

vorbereitet und begleitet, Vorschläge aus dem Beraterkreis<br />

wurden besprochen. Zusätzlich wurden<br />

Aufgaben an die Mitglieder verteilt, z.B. im Rahmen<br />

der Erstellung der damals sehr innovativen Krankheitsbeschreibungen.<br />

Daneben standen die Mitglieder<br />

des Beraterkreises der Geschäftsstelle jederzeit<br />

auch kurzfristig zur Beantwortung diffiziler Anfra-<br />

gen aus dem Kreis der Mitglieder des <strong>knw</strong> oder der<br />

Nutzer des Beratungsangebotes zur Verfügung.<br />

Wie setzt sich der Beraterkreis zusammen? Welche<br />

medizinischen Bereiche sind hier vertreten?<br />

Der Beraterkreis besteht überwiegend aus Ärzten<br />

für Kinder- und Jugendmedizin (derzeit leider<br />

tatsächlich nur männlich) mit unterschiedlichen<br />

Schwerpunkten und Arbeitsfeldern. Dabei ist die<br />

Neuropädiatrie immer stark vertreten und es wird<br />

darauf geachtet, dass Kollegen aus den Bereichen<br />

Klinik, Praxis und Sozialpädiatrisches Zentrum beteiligt<br />

sind. Seit vielen Jahren gehört eine Kollegin<br />

aus der Humangenetik zu dem Kreis sowie ein Kinder-<br />

und Jugendpsychiater (dessen Position aktuell<br />

vakant ist). Aufgrund der engen Zusammenarbeit<br />

mit der Geschäftsstelle in Aschaffenburg und der<br />

regelmäßigen Treffen dort stammen die Mitglieder<br />

überwiegend aus dem Großraum Rhein-Main.


18<br />

Aus dem Kindernetzwerk<br />

Der Beraterkreis besteht nun seit fast 25 Jahren<br />

(Jubiläum 2023). Inwiefern haben seine Aufgaben<br />

sich im Vergleich zur Anfangszeit verändert?<br />

In den ersten Jahren bestand ein großer direkter<br />

fachlicher Beratungsbedarf. Vor 20 Jahren waren<br />

die Informationen in Internet noch wesentlich<br />

schwerer - vor allem für Laien – zu erhalten und es<br />

gab häufige Anfragen von Eltern zu seltenen oder<br />

auch ungeklärten Krankheitsbildern, die dann direkt<br />

in den Beraterkreis weitergeleitet wurden.<br />

Daraus entwickelte sich der Auftrag, für zahlreiche<br />

– häufig angefragte – Krankheitsbilder Krankheitsbeschreibungen<br />

zu entwickeln, was von den Mitgliedern<br />

des Beraterkreises übernommen wurde.<br />

Hierbei handelte es sich um allgemeinverständliche,<br />

kurz gehaltene Beschreibungen, die neben den<br />

anderen schon existierenden Materialien im Kindernetzwerk<br />

abgerufen werden konnten und auch<br />

online zugänglich waren. Diese wurden – auch z. B.<br />

von Kinder- und Jugendärzt:innen – gerne genutzt.<br />

Aufgrund der rasanten Entwicklung in vielen Bereichen<br />

der Medizin – wodurch eine ständige Überarbeitung<br />

und Aktualisierung der Papiere notwendig<br />

wurde – sowie auch der Informationstechnologie<br />

mit überwiegend gut zugänglichen Informationen<br />

auch zu seltenen Erkrankungen im Internet wurde<br />

diese Konzept vom Kindernetzwerk verändert.<br />

Die Krankheitsbeschreibungen werden jetzt von<br />

der Berliner Geschäftsstelle gemeinsam mit den<br />

jeweils betroffenen Selbsthilfegruppen erstellt<br />

und gepflegt. Durch das Ausscheiden von Raimund<br />

Schmid und den Wechsel der Geschäftsführung mit<br />

Umzug nach Berlin und die Beschränkungen durch<br />

die Corona-Pandemie gab es eine Pause bezüglich<br />

der Aktivitäten des Beraterkreises. Bezüglich der<br />

Aufgaben des Beraterkreises vor dem Hintergrund<br />

der oben beschriebenen Veränderungen in der<br />

neuen Situation befinden wir uns nach meinem<br />

Eindruck derzeit gemeinsam mit den Vorsitzenden<br />

und den Geschäftsführerinnen noch in einer Findungsphase.<br />

Welche Aufgaben werden aktuell im Beraterkreis<br />

wahrgenommen?<br />

Nach der erwähnten Pause im Rahmen der Umstrukturierungen<br />

im Kindernetzwerk sind wir nach<br />

meinem Eindruck derzeit noch dabei, die Aufgaben<br />

neu zu bestimmen und die Rolle des Beraterkreises<br />

zu definieren. Es werden Anfragen aus der<br />

Geschäftsführung oder dem Vorstand in den Kreis<br />

gegeben und dort bearbeitet, wobei der Inhalt der<br />

Fragen sich gegenüber früher deutlich geändert<br />

hat. Die Fachfragen zu speziellen Krankheiten kommen<br />

praktisch nicht mehr vor, vielmehr geht es z.<br />

B. um die Erarbeitung von Stellungnahmen des Kindernetzwerkes<br />

oder die Mitbeurteilung von Initiativen<br />

aus dem Kreis der Mitgliedsorganisationen.<br />

Weshalb ist für die Ärzt:innen die Zusammenarbeit<br />

mit der Selbsthilfe wichtig? Sehen Sie hier<br />

Entwicklungspotential?<br />

Für die mit dem Kindernetzwerk verbundenen<br />

Kolleg:innen war die Zusammenarbeit mit den<br />

Selbsthilfegruppen schon immer wichtig. Hier ist<br />

die Alltagskompetenz für die jeweiligen Beeinträchtigungen<br />

vorhanden, die den Expert:innen natürlich<br />

weitgehend fehlt. Die Selbsthilfe bietet vielfältige<br />

Unterstützungsmöglichkeiten für Betroffene an,<br />

z. B. in der Phase nach der Diagnosestellung, die<br />

ansonsten – leider – nicht oder nicht ausreichend<br />

zur Verfügung stehen. Gleiches gilt für die Bewältigung<br />

der vielen Probleme im weiteren Verlauf<br />

der Erkrankung. Und wir Fachleute profitieren natürlich<br />

immer wieder von den Rückmeldungen aus<br />

der Selbsthilfe, z. B. zu Unzulänglichkeiten im Versorgungssystem<br />

oder zu Wirkung und möglichen<br />

Nebenwirkungen unserer Therapien. Hier sehe ich


Aus dem Kindernetzwerk<br />

19<br />

auch durchaus noch Entwicklungspotential, wenn<br />

es gelingt, die Stimmen aus der Selbsthilfe in z. B.<br />

gesundheitspolitische Überlegungen einzubinden.<br />

Dabei sollte die Selbsthilfe bemüht sein, sich nicht<br />

unreflektiert zum Sprachrohr wirtschaftlicher Interessen<br />

machen zu lassen.<br />

Versorgungszentren ist hier die gleiche Entwicklung<br />

zu befürchten wie in den Krankenhäusern. Hier ist<br />

meines Erachtens auch die Selbsthilfe gefordert,<br />

ganz klar Stellung zu nehmen: Gesundheit ist Gemeingut<br />

und gehört nicht in die Hände privater Investoren<br />

mit Gewinnabsicht.<br />

Welche Voraussetzungen halten Sie für wichtig<br />

zur Weiterentwicklung der Zusammenarbeit von<br />

Ärzt:innen und Eltern?<br />

Zum einen ist natürlich die Bereitschaft zum Dialog<br />

und das gegenseitige Zuhören essentiell. Zum anderen<br />

müssen sich aber nach meiner Meinung die<br />

gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen ganz<br />

entscheidend ändern, um eine Weiterentwicklung<br />

überhaupt zu ermöglichen. Gegenwärtig befürchte<br />

ich ansonsten vor dem Hintergrund der zunehmenden<br />

Kommerzialisierung unseres Gesundheitswesens<br />

eher eine gegenläufige Entwicklung. Die<br />

Möglichkeit, mit der Krankenversorgung Gewinne<br />

zu machen – was früher verboten war – und die<br />

Einführung des DRG-Abrechnungssystems in der<br />

stationären Versorgung haben zu einem enormen<br />

Rationalisierungsdruck in den Krankenhäusern geführt.<br />

Nachdem dieser sich zunächst überwiegend<br />

auf das Pflegepersonal ausgewirkt hat, sind jetzt<br />

– nach Herausnahme des Pflegebudgets aus der<br />

DRG-Abrechnung – die Ärt:innen dran. Hierunter<br />

wird die Versorgung der Patient:innen auf Station<br />

leiden – und es wird natürlich weniger Zeit und<br />

Energie bleiben, sich um die Belange der Selbsthilfe<br />

und entsprechende Kontakte zu kümmern – zumal<br />

dies in unserem System nicht honoriert wird und<br />

damit unwirtschaftlich ist.<br />

Im ambulanten Bereich stellt die Entwicklung<br />

sich gegenwärtig leider auch nicht günstiger dar.<br />

Mit dem zunehmenden Eindringen von Kapitalinvestoren<br />

in die Versorgung über den Aufkauf<br />

von kleinen Krankenhäusern und Medizinischen<br />

Und denken Sie, dass Ärzt:innen heute einen besseren<br />

Kontakt zu Selbsthilfeorganisationen und<br />

Patientenvertreter:innen haben als früher? Was<br />

hat sich hier verändert?<br />

Zum Glück hat sich hier viel verändert. Raimund<br />

Schmid hat aus den Anfangsjahren des Kindernetzwerks<br />

immer wieder berichtet, auf welche Schwierigkeiten<br />

und gar Ablehnung er und die anderen<br />

Initiator:innen gestoßen sind. Heute ist es schon<br />

nichts Besonderes mehr, wenn auf Kongressen der<br />

medizinischen Fachgesellschaften auch Vorträge<br />

aus den Reihen der Selbsthilfe gehalten werden<br />

oder Vertreter der Selbsthilfe an Podiumsdiskussionen<br />

teilnehmen. Das gab es vor 25 Jahren noch<br />

nicht. Auch im ärztlichen Alltag ist der Kontakt mit<br />

der Selbsthilfe – zumindest in weiten Kreisen – etwas<br />

Selbstverständliches geworden. Um das von<br />

Seiten der Ärzt:innen aufrecht zu erhalten und<br />

auszubauen, braucht es Zeit, Arbeitszeit, die leider<br />

unter dem erwähnten Druck immer mehr auch für<br />

andere Tätigkeiten gebraucht wird. Hier wünsche<br />

ich mir für die Zukunft ein grundsätzliches Umdenken<br />

in der Gesundheitspolitik, da sonst nicht nur<br />

die Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe, sondern<br />

auch die kompetente und zugewandte Betreuung<br />

der Betroffenen im ärztlichen Alltag leiden wird.<br />

Danke ganz herzlich, lieber Herr Dr. Seeger.<br />

Die Fragen stellte Kathrin Jackel-Neusser.


Aus Politik & Gesellschaft


Aus Politik und Gesellschaft<br />

21<br />

Unser politischer Einsatz<br />

für unsere Mitglieder<br />

Kathrin Jackel-Neusser, Geschäftsführerin des <strong>knw</strong> für den Bereich<br />

Politik und Öffentlichkeitsarbeit<br />

Das <strong>knw</strong> hat sich bereits mehrfach an den Ausschuss<br />

für Gesundheit und auch an die neue Pflegebeauftragte<br />

gewendet, um den neuen Abgeordneten<br />

in ihren neuen Funktionen die politischen<br />

Positionen aus den Reihen unserer Mitglieder und<br />

unseres Vorstandes zu übermitteln. Die ersten Treffen<br />

und Veranstaltungen werden bald stattfinden.<br />

Unter anderem führen wir ein politisches Frühstück<br />

mit den Bundestagsabgeordneten zum Thema<br />

„Herausforderungen bei der Versorgung mit<br />

Kinderarzneien“ durch, welches freundlicherweise<br />

gesponsert wird durch Astra Zeneca, den BDI,<br />

Novartis und Sanofi. Hier soll es u.a. um die Probleme<br />

bei Off-Label-Use und Herausforderungen bei<br />

Kinderarzneimittelstudien gehen.<br />

Zu diesem Thema bereiten wir auch eine facettenreiche<br />

Veranstaltung gemeinsam mit dem vfa unter<br />

Mitwirkung unserer Vorsitzenden, einer betroffenen<br />

Mutter und zweier gesundheitspolitischer<br />

Expert:innen vor.<br />

Zu unserer digitalen Veranstaltung von <strong>knw</strong><br />

und vfa am 3.5.22 von 14 bis 16.30 Uhr mit<br />

dem Titel „Aus Groß mach Klein – Herausforderungen<br />

und Lösungsansätze bei der Versorgung<br />

mit Kinderarzneien“ finden Sie hier alle<br />

Informationen:<br />

https://www.kindernetzwerk.de/de/agenda/News<br />

/2022/Versorgung-mit-Kinderarzneien.php<br />

<strong>knw</strong> trifft MdB Stephanie Aeffner<br />

zum politischen Austausch<br />

Am 24. Februar konnten sich Dr. Annette Mund, die<br />

Vorsitzende des <strong>knw</strong>, und Kathrin Jackel-Neusser,<br />

die <strong>knw</strong> Geschäftsführerin, mit Stephanie Aeffner,<br />

der neu gewählten Bundestagsabgeordneten von<br />

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, erstmalig austauschen.<br />

Sie ist ordentliches Mitglied im Ausschuss für Arbeit<br />

und Soziales und in ihrer Fraktion Berichterstatterin<br />

für Behindertenpolitik und Sozialhilfe. Außerdem<br />

gehört sie stellvertretend den drei Ausschüssen<br />

Gesundheit, Recht sowie Bildung, Forschung und<br />

Technikfolgenabschätzung an.<br />

In unserem Gespräch ging es darum, sich über die<br />

Situation der betroffenen Kinder, Jugendlichen<br />

und jungen Erwachsenen mit chronischen Erkrankungen<br />

und Behinderungen ganz generell, aber<br />

auch speziell zur Inklusion in Schulen und auf dem<br />

Arbeitsmarkt ebenso wie zu den Problemen während<br />

der anhaltenden Pandemie auszutauschen.<br />

Dabei schilderten wir die konkreten Umsetzungsprobleme<br />

in den ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungen<br />

(EUTB) und durch die Barrieren<br />

für die betroffenen Familien v.a. im schulischen<br />

Alltag. Hier sind noch mehr spezifisches Wissen<br />

und weitere konkrete Hilfeleistungen notwendig.


22<br />

Aus Politik und Gesellschaft<br />

Dabei stellten wir die Ergebnisse unserer aktuellen<br />

Umfrage zur Belastungssituation der Familien in<br />

der Pandemie und unser Innovationsfondprojekt<br />

NEST (Neue Wege für Ihre Entlastung | <strong>knw</strong> Kindernetzwerk<br />

e.V.) sowie die aktuellen Forderungen des<br />

<strong>knw</strong> an die Politik vor.<br />

Es ging im Gespräch um ethische Fragen wie die<br />

Abwägung individueller Rechte des Kindes und der<br />

Elternrechte, aber auch um ganz konkrete Fragen<br />

rund um den Alltag eingeschränkter Schüler:innen<br />

wie die Forderung des <strong>knw</strong>, Therapien auch im<br />

Setting Kita und Schule zu ermöglichen, indem<br />

Therapeut:innen dorthin kommen können und dies<br />

nicht an Vergütungsfragen scheitert.<br />

Lebenssituationen verschaffte mir meine eigene<br />

Lebenserfahrung besseren Zugang und Verständnis<br />

für die Ratsuchenden.“<br />

2016 wurde Frau Aeffner von Ministerpräsident<br />

Winfried Kretschmann zur Landes-Behindertenbeauftragten<br />

berufen. Gleichzeitig setzte sie sich als<br />

Aktivistin der „Selbstbestimmt-Leben-Bewegung“<br />

für politische Veränderungen ein. Bei der Bundestagswahl<br />

wurde sie als eine von 18 Grünen Abgeordneten<br />

aus Baden-Württemberg in den Deutschen<br />

Bundestag gewählt.<br />

Foto: Stefanie Aeffner (oben links), Kathrin Jackel-<br />

Neusser und Annette Mund<br />

Stephanie Aeffner kennt alle Themen auch aus erster<br />

Hand: Sie hat selbst eine Behinderung und sitzt<br />

im Rollstuhl, hat aber vor allem viele Jahre lang<br />

vielfältige Funktionen in der Arbeit für Menschen<br />

mit Behinderungen innegehabt.<br />

Sie hatte erst Medizin studiert, wechselte dann<br />

aber zur sozialen Arbeit. Nach einer Zusatzausbildung<br />

zur Qualitätsmanagerin und Anstellung in einem<br />

Krankenhaus gab es krankheitsbedingt einige<br />

Brüche in ihrem Lebenslauf, die aber gleichzeitig<br />

viel Empathie für die Situation erkrankter und behinderter<br />

Menschen mit sich brachten.<br />

So schreibt Frau Aeffner auf ihrer Homepage: „Die<br />

Erfahrungen mit diesen Brüchen im Lebenslauf<br />

und mit meiner Behinderung waren eine wichtige<br />

Grundlage für meine späteren Tätigkeiten. Besonders<br />

in der Beratung für Menschen in schwierigen


Aus Politik und Gesellschaft<br />

23<br />

Ideen für das Gespräch mit der Kiko und<br />

mit Bundestagsabgeordneten?<br />

Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages<br />

leistet seit 1988 einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung<br />

der Situation von Kindern und Jugendlichen<br />

in Deutschland. Da kindgerechte Lebensverhältnisse<br />

ein dauerhaftes Anliegen sind, haben die im<br />

Familienausschuss vertretenen Fraktionen auch in<br />

dieser Wahlperiode die Kinderkommission erneut<br />

eingesetzt. Zur konstituierenden Sitzung der Kinderkommission<br />

der 20. Wahlperiode erklärte die<br />

Vorsitzende des Ausschusses für Familie, Senioren,<br />

Frauen und Jugend, Ulrike Bahr: „Vor mehr als 30<br />

Jahren hat der Bundestag mit der Einrichtung der<br />

Kinderkommission ein Zeichen gesetzt und gezeigt,<br />

dass die Rechte und Bedürfnisse der Kinder im<br />

Parlament einen besonderen Stellenwert haben.<br />

Mit der erneuten Einsetzung der Kinderkommission<br />

macht auch der 20. Deutsche Bundestag deutlich,<br />

wie wichtig den Abgeordneten diese Aufgabe ist.<br />

Ich wünsche den Mitgliedern der Kinderkommission,<br />

dass sie auch weiterhin über die Parteigrenzen<br />

hinweg wirkungsvoll für Kinder und Jugendliche<br />

eintreten und ihre Interessen im Parlament vertreten.<br />

Sie können hierfür mit der vollen Unterstützung<br />

des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend rechnen.“<br />

Mit ihrer Konstituierung kann die 10. Kinderkommission<br />

ihre Arbeit aufnehmen und die Interessen<br />

von Kindern und Jugendlichen im Parlament vertreten.<br />

Sie ist darüber hinaus Ansprechpartnerin für<br />

Verbände und Organisationen, die sich für Kinder<br />

einsetzen, aber auch für Eltern und Kinder. Da der<br />

Vorsitz zwischen den Mitgliedern in der Reihenfolge<br />

der Fraktionsgröße wechselt, wird das Mitglied<br />

der SPD als erstes den Vorsitz übernehmen.<br />

Sie können als Eltern oder Betroffene Ihre Anliegen<br />

der Kiko mailen (kinderkommission@bundestag.<br />

de) oder sich telefonisch an sie wenden. Für Informationen<br />

steht das Sekretariat zur Verfügung:<br />

Tel. 030 227-30551.<br />

Wenn Sie einen Vorschlag haben, welche Themen<br />

aus Ihrer Selbsthilfegruppe das Kindernetzwerk<br />

in ein Gespräch mit der Kiko sowie anderen Bundestagsabgeordneten<br />

„mitnehmen“ soll, können<br />

Sie das unserer Geschäftsführerin Kathrin Jackel-<br />

Neusser mailen an jackel@kindernetzwerk.de.


Aus dem Gesundheitswesen


Aus dem Gesundheitswesen<br />

25<br />

Unsere<br />

Gesprächsreihe<br />

Interview mit Dr. med. Ulrike Horacek über den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖDG)<br />

Frau Dr. Horacek, bitte stellen Sie sich doch kurz<br />

vor.<br />

Mehr als mein halbes Leben war ich im Öffentlichen<br />

Gesundheitsdienst (ÖGD) tätig, als Leitung<br />

des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes, kurz<br />

KJGD, dann als Leitung eines großen Gesundheitsamtes<br />

und anschließend auf ministerieller Ebene<br />

im Land. Innerhalb der Deutschen Gesellschaft für<br />

Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ) arbeite<br />

ich im Vorstand und als Fachausschusssprecherin<br />

und vertrete die Belange der bevölkerungsbezogenen<br />

Kinder- und Jugendgesundheit. Auf kommunaler<br />

Ebene wird diese in den Gesundheitsämtern<br />

durch den KJGD repräsentiert. Derzeit wird der<br />

ÖGD in den Gesundheitsämtern fast nur noch mit<br />

Aufgaben des Infektionsschutzes in Verbindung gebracht.<br />

Der KJGD ist den allermeisten durch die verbindliche<br />

Schuleingangsuntersuchung bekannt. Ist das<br />

seine einzige Aufgabe?<br />

Schuleingangsuntersuchungen sind wichtig, stellen<br />

aber nur einen Teil des Aufgabenspektrums dar. Der<br />

KJGD ist Bestandteil und Akteur der kommunalen<br />

Daseinsfürsorge. So ist er zuständig für die Beratung<br />

und Unterstützung von Familien mit Kleinkindern,<br />

für Kitauntersuchungen, für die medizinische<br />

und beratende Begleitung von Schwangeren, für<br />

die Schwangerschaftskonfliktberatung und für die<br />

Mütterberatung, für Gesundheitsberichterstattung<br />

und das Ableiten von Konsequenzen daraus etc.<br />

Natürlich gibt es auch „hoheitliche” Aufgaben wie<br />

Hygieneüberwachung, amtsärztliche Gutachten,<br />

usw. Wichtig ist die Zuständigkeit für Bevölkerungsgruppen,<br />

die durch die Maschen des Versorgungsnetzes<br />

fallen und/oder sich in belasteten Lebenslagen<br />

befinden.<br />

Für gesundheitlich beeinträchtigte Kinder hat der<br />

KJGD nach den meisten Ländergesetzen die Aufgabe,<br />

ihre Inklusion und Teilhabe im natürlichen<br />

Lebensumfeld zu befördern. Dazu gehören auch<br />

Beratungen von Kita und Schule. KJGD sind in der<br />

Regel multiprofessionell aufgestellt und in enger<br />

Abstimmung mit wesentlichen Partnern im jeweilig<br />

örtlichen Netzwerk betroffener Menschen, wie beispielsweise<br />

den Frühen Hilfen, den Sozialen Diensten<br />

und dem Jugendamt. Es geht in ihrer Arbeit<br />

sowohl um Prävention und als auch um die sozialpädiatrische<br />

Versorgung.<br />

Hat Corona den ÖGD verändert?<br />

Vor Corona haben die örtlichen Gesundheitsämter<br />

als kommunale Einrichtungen des ÖGD ihre originären<br />

Aufgaben erfüllt. Mit der Wucht der ersten<br />

Pandemiewelle mussten die Prioritäten anders<br />

gesetzt werden und viele eigentlich „fachfremde”<br />

Mitarbeiter des KJGD wurden in die Nachverfolgung<br />

der Infektionsketten und Beratung und Versorgung<br />

der Infizierten eingebunden. Verständlicherweise<br />

mussten für eine lange Zeit infektionsschutzbezogene<br />

Aufgaben dominieren. Anfangs hatte jeder


26<br />

Aus dem Gesundheitswesen<br />

dafür Verständnis und hat sich wie erforderlich eingebracht.<br />

Nun aber mehren sich die Stimmen, den<br />

KJGD-Teams wieder ihre ursprünglichen Aufgaben,<br />

für die sie auch ausgebildet wurden, zurückzugeben,<br />

und das ist die sozialpädiatrisch gestaltete<br />

örtliche medizinische Netzwerkarbeit zum Wohl<br />

betroffener Menschen.<br />

Was hat sich für Kinder und Jugendliche verändert?<br />

Gerade in dieser Zeit ist die beschriebene Netzwerkarbeit<br />

für Gesundheit und größtmögliche Teilhabe<br />

der Kinder und Jugendlichen besonders wichtig.<br />

Für solche mit besonderen Bedarfen erst recht!<br />

Es ist hinreichend belegt, dass Kinder im Allgemeinen<br />

und von Schwächen betroffene Kinder ganz<br />

besonders Unterstützung brauchen. Nicht zuletzt,<br />

um Folgen von Pandemie, Lockdowns zu bewältigen<br />

und zu überwinden. Dabei ist es egal, ob diese<br />

Bedarfe aus Armutsgründen, aus Gründen einer<br />

unzureichenden Teilhabe oder aus Gründen einer<br />

Beeinträchtigung, Krankheit oder Behinderung resultieren.<br />

Es gilt, die Schwächen auszugleichen, mit<br />

Rat und Unterstützung da zu sein, und das niedrigschwellig<br />

und aufsuchend. Durch die Fokussierung<br />

der letzten beiden Jahre auf Corona versiegte diese<br />

Unterstützung vielfach. Kohortenstudien belegen<br />

beunruhigende Ergebnisse hinsichtlich Sprachentwicklung,<br />

Lernentwicklung, sozialen Verhaltens,<br />

Zahngesundheit usw. von Kindern und Jugendlichen.<br />

Die pandemiebedingten Probleme von Kindern,<br />

Jugendlichen und deren Familien werden ja nicht<br />

nur im Gesundheitsversorgungssystem sichtbar,<br />

sondern zeigen sich auch und gerade im der ganz<br />

konkreten individuellen Lebenswelt. Nun hat jedes<br />

Bundesland einen eigenen ÖGD, der nach<br />

landesspezifischen ÖGD-Gesetzen aufgebaut ist<br />

und arbeitet. Diese Gesetze der Bundesländer ordnen<br />

dem KJGD auf kommunaler Ebene quantitativ<br />

und qualitativ sehr heterogene Aufgaben zu. Generell<br />

sollten diese Aufgabenfelder beschrieben und<br />

bestätigt werden und überall da, wo sie bislang<br />

nicht hinreichend berücksichtigt sind, verankert<br />

werden. Die Kommunen sind für die Daseinsfürsorge<br />

für Kinder, Jugendliche und deren Familien<br />

zuständig. Nach der Pandemie werden sie voraussichtlich<br />

eine besondere Bedeutung bekommen.<br />

Die jeweiligen KJGD könnten und sollten dabei mit<br />

ihrer Expertise in institutionellen Netzwerken (Kita,<br />

Schule, Jugendhilfe, ASD, Ehrenamt, Elternverbände<br />

etc.) und der Kenntnis der zuständigen Professionen<br />

vor Ort eine wesentliche Funktion übernehmen.<br />

So könnten beispielswiese Betreuungs- und<br />

Lernpatenschaften entstehen und ehrenamtliche<br />

Ressourcen sinnvoll eingebunden werden.<br />

Was braucht es, damit Kinder, Jugendliche und<br />

deren Familien durch den KJGD des Gesundheitsamts<br />

hinreichend und niedrigschwellig begleitet<br />

werden können?<br />

In meiner ehemaligen Funktion als Leiterin eines<br />

Gesundheitsamtes habe ich feststellen können,<br />

dass eine geeignete Kommunikation das A & O ist.<br />

Es braucht klare und verbindliche Absprachen, Rollenklarheit,<br />

Kontakte zwischen den unterschiedlichen<br />

Ebenen des öffentlichen Gesundheitsdienstes<br />

und den jeweils umgebenden Institutionen und den<br />

medizinischen, aber auch pädagogischen Professionen.<br />

Netzwerkarbeit auf Augenhöhe zwischen<br />

den Professionen, Institutionen und Beteiligten ist<br />

essentiell. Und all das immer im Dienst der Kinder,<br />

Jugendlichen und deren Familien - dafür ist politische<br />

Willensbildung und Verantwortungsübernahme<br />

vor Ort wesentlich.


Aus dem Gesundheitswesen<br />

27<br />

Da jedes Bundesland eigene ÖGD-Gesetze hat, sind<br />

die Dienste sehr heterogen ausgestattet und gestaltet.<br />

Nicht alle sind gleichermaßen offen für eine<br />

ortsindividuelle Netzwerkarbeit. Im „Pakt für den<br />

ÖGD“, der im September 2020 von der Bundesregierung<br />

und den Bundesländern beschlossen wurde,<br />

stellt der Bund 4 Milliarden Euro für Personal,<br />

Digitalisierung und moderne Strukturen zur Verfügung.<br />

Das sind einige Voraussetzungen, die eine<br />

Rückbesinnung und -organisation für das eigentliche<br />

Aufgabenspektrum der KJGD ermöglichen.<br />

Bedeutet?<br />

Situation und Lebenslage einfordern. Es braucht<br />

nicht immer eine breit angelegte und allumfassende<br />

SGB V Unterstützung. Niedrigschwelligkeit, aufsuchende<br />

Hilfen und die Kenntnisse der örtlichen<br />

Gegebenheiten, gepaart mit dem sozialmedizinischen<br />

Wissen und Sachverstand der Ärztinnen und<br />

Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst, können<br />

oft ganz unbürokratisch helfen.<br />

Vielen Dank für das Gespräch!<br />

Unsere Vorsitzende Dr. Annette Mund stellte die<br />

Fragen an Dr. med. Ulrike Horacek.<br />

Nun, zurückzugehen zu den eigentlichen Aufgaben<br />

des ÖGD. Aber Personal, Digitalisierung und<br />

moderne Strukturen scheinen noch nicht auszureichen,<br />

damit dieses Ziel erreicht werden kann. Wir<br />

brauchen die Stimme der Eltern, der betroffenen<br />

Menschen. Sie sollten die ÖGD-Begleitung und Unterstützung<br />

in allen sie betreffenden Lebenslagen<br />

einfordern und das laut und deutlich. Und sie sollten<br />

die individuelle Anpassung der geforderten Beratung<br />

und Unterstützung an die jeweilige Familie,<br />

Kontakt:<br />

Dr. med. Ulrike Horacek<br />

Vorstandsmitglied und Sprecherin des<br />

Fachausschusses ÖGD<br />

Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und<br />

Jugendmedizin (DGSPJ) e.V.<br />

Chausseestr. 128/129, 10115 Berlin<br />

geschaeftsstelle@dgspj.de<br />

www.dgspj.de


28<br />

Aus dem Gesundheitswesen<br />

„Versorgungslücken“<br />

in der Betreuung von chronisch<br />

kranken Kindern und Jugendlichen<br />

Ein Erfahrungsbericht von Frauke Mecher<br />

„Unser Sohn Philipp ist 10 Jahre alt. Er hat eine kongenitale<br />

unstrukturierte Myopathie. Therapeutin A.<br />

hat im letzten Jahr altersbedingt aufgehört und bei<br />

Therapeutin B. liegen die Therapieräume im Souterrain<br />

- der Transport die Treppe hinunter bereitet<br />

uns zusehends Unbehagen. Wir suchen dringend<br />

Termine bei einem Kindertherapeuten mit barrierefreier<br />

Praxis.“<br />

Solche Mails und telefonische Anfragen treten in<br />

den letzten Jahren zunehmend auf.<br />

War eine optimale flächendeckende Therapie<br />

bei Kindern und Jugendlichen in der Vergangenheit<br />

- regional sehr unterschiedlich - nicht einfach,<br />

scheint sie jetzt aber fast unmöglich - und das ist<br />

katastrophal.<br />

Leider habe ich auch keine Lösung parat. Die Gründe<br />

dafür sind sicher vielschichtig und kurzfristig<br />

kaum zu beheben.<br />

Weniger Verordnungen<br />

Der AOK HIS Report 2021 stellt fest, dass die Leistungen<br />

für Kinder im Heilmittelbereich von 2019<br />

auf 2020 um 2 % gesunken sind, Leistungen für<br />

Kinder ab 14 Jahren tauchen in den Statistiken gar<br />

nicht auf.<br />

Ob das an weniger ausgestellten Rezepten seitens<br />

der Kinderärzt:innen liegt, oder ob es schon eine<br />

Folge der unzureichenden Therapieplätze ist, kann<br />

man aus dem Bericht nicht ableiten.<br />

Fachkräftemangel<br />

Wie in vielen sozialen und medizinischen Bereichen<br />

klagen auch die Therapieberufe über einen Fachkräftemangel.<br />

„Trotz steigender Nachfrage und Inanspruchnahme<br />

von Physiotherapie ist die Zahl derer, die den Beruf<br />

erlernen wollen, seit mehr als 15 Jahren rückläufig.<br />

Die Ausbildung wird überdurchschnittlich oft abgebrochen.“<br />

Auch hierfür gibt es sicher nicht nur einen Grund.<br />

Trotz unermüdlicher Intervention von Verbänden<br />

und Bündnissen haben wir noch kein primärqualifizierendes<br />

Studium in Deutschland (sonst überall<br />

in der EU).<br />

Die Nachfrage nach Plätzen im fachschulischen Bereich,<br />

wo z.T. noch Schuldgeld gefordert wird oder<br />

dieses erst vor kurzem abgeschafft wurde, sinkt, die<br />

Studienplätze reichen nicht aus.<br />

Es fehlt dem Nachwuchs an Perspektiven. Auch die<br />

Bezahlung besonders in den Praxen lässt viele zögern,<br />

einen Therapieberuf zu wählen.<br />

Im Bereich der pädiatrischen Physiotherapie kommen<br />

sicher noch Zeit und Kosten für die Weiterbildungsmaßnahmen<br />

dazu. So muss, um KG Kinder<br />

- ZNS abrechnen zu können, eine Weiterbildung<br />

nach Bobath oder Vojta abgeschlossen sein.<br />

Viele regen sich darüber auf, aber Kinder sind keine<br />

kleinen Erwachsenen. Gerade im Alter von 0 - ca.


Aus dem Gesundheitswesen<br />

29<br />

3 Jahren bedarf es weiterreichender Kenntnisse,<br />

als sie derzeit in den meisten Schulen vermittelt<br />

werden können, und auch bei unseren chronisch<br />

kranken und beeinträchtigten Jugendlichen sind<br />

entsprechende Fort- und Weiterbildungen für eine<br />

adäquate Therapie erforderlich.<br />

Aber die Plätze sind begrenzt, man muss mit Wartezeiten<br />

rechnen und Corona hat die Situation noch<br />

deutlich verschärft.<br />

Ganz persönlich habe ich aber auch das Gefühl,<br />

dass das Interesse an der pädiatrischen Physiotherapie<br />

derzeit begrenzt ist …!?!?<br />

Inklusion<br />

Ich bin ein großer Verfechter der Inklusion und es<br />

sollte selbstverständlich sein, dass beeinträchtigte<br />

Kinder gemeinsam mit ihren Freund:innen Kita,<br />

Kindergarten und Schule besuchen können.<br />

Die Umsetzung ist aber in vielen Bereichen nicht<br />

optimal und es kommt dementsprechend zu Versorgungsnöten.<br />

Es besteht in den Einrichtungen/Schulen nur selten<br />

die Möglichkeit, therapeutische Interventionen<br />

durchzuführen.<br />

Wenn es zeitlich und räumlich überhaupt möglich<br />

ist, müssen Therapeut:innen mit einem Rezept<br />

zzgl.- Hausbesuchsverordnung in die Einrichtung…<br />

Hatte man in den Förderschulen noch angestellte<br />

Therapeut:innen (sicher auch immer zu wenig), so<br />

fallen diese in den Regeleinrichtungen ganz weg.<br />

In meinen Augen muss man hier versuchen, etwas<br />

zu ändern.<br />

Ein ganzer Tag in Kita oder Schule ist für alle Kinder<br />

anstrengend, für unsere beeinträchtigten Kinder sicher<br />

noch mehr.<br />

Alle Therapien nach 16:00 Uhr durchzuführen,<br />

stößt daher nicht nur aus Termingründen auf<br />

Probleme, es ist den Kindern und auch den Eltern<br />

einfach nicht zuzumuten!!<br />

Jugendliche wollen und müssen selbstständig<br />

werden, ab einem gewissen Alter fallen die Eltern<br />

als Co-Therapeut:innen weg. Vielleicht schafft<br />

man es, engagierte und motivierte Schul- und<br />

Alltagsbegleiter:innen zu finden, die ähnlich wie<br />

Eltern angeleitet werden, um so eine wenn auch<br />

begrenzte Therapie während der Schulzeit zu<br />

gewährleisten.<br />

In Kitas könnte man im Austausch mit den Heilpädagog:innen<br />

versuchen, wenigstens einen Teil<br />

der fachspezifischen Therapieziele (Handling, Lagerung,<br />

Bewegungsanleitung) umzusetzen.<br />

In Werkstätten und Wohneinrichtungen für Jugendliche<br />

und junge Erwachsene muss es angestellte<br />

Therapeut:innen geben.<br />

Erforderliche Therapien durch Hausbesuche von<br />

Praxen abzudecken, ist in meinen Augen nicht zu<br />

realisieren.<br />

Ich stehe der Situation auch ziemlich hilflos gegenüber,<br />

versuche aber auf allen Ebenen, um Nachwuchs<br />

in der pädiatrischen Physiotherapie zu werben.<br />

Kontakt:<br />

Frauke Mecher, Beiratssprecherin Physio Deutschland,<br />

Sprecherin der Fachkommission Physiotherapie<br />

Kinder -und Jugendmedizin Physio Deutschland<br />

Mail: f.mecher@freenet.de


30<br />

Aus dem Gesundheitswesen<br />

Innovatives pädiatrisches<br />

Weiterbildungskonzept<br />

Dr. med. Ronny Jung<br />

Die Weiterbildung im Fachgebiet Kinder- und Jugendmedizin<br />

findet immer noch vorrangig in Kinderkliniken<br />

statt. Angehende Fachärzt:innen bekommen<br />

dabei kaum Einblicke in die ambulante<br />

Patientenversorgung. Wesentliche fachliche Inhalte<br />

der Weiterbildung (Prävention, neue Morbiditäten,<br />

longitudinale Entwicklungsbeurteilung und Begleitung<br />

chronisch kranker Kinder und Jugendlicher,<br />

Sozialraumvernetzung u.v.m.) können heute im<br />

Hinblick auf eine bedarfsgerechte Berufsausübung<br />

in der Praxis nicht mehr ausreichend im Rahmen einer<br />

ausschließlich klinischen Weiterbildung gelehrt<br />

werden.<br />

Die Vermittlung von Erfahrungen und Vorgehensweisen<br />

in der pädiatrischen Grundversorgung sollte<br />

für Ärzt:innen aber bereits in der Weiterbildung<br />

stattfinden. Dies ist auch vor dem Hintergrund<br />

der Sicherstellung einer zukünftigen ambulanten<br />

pädiatrischen Grundversorgung in der Fläche zu<br />

sehen. Die neue Musterweiterbildungsordnung<br />

(MBWO 2018) wurde auf dem Deutschen Ärztetag<br />

am 15.11.2018 verabschiedet und bereits in der<br />

Mehrzahl der Landesärztekammern umgesetzt. Den<br />

Ärzten und Ärztinnen in Weiterbildung (AiW) wird<br />

durch die neue WBO mehr Gestaltungsmöglichkeit<br />

für die pädiatrische Weiterbildung gegeben.<br />

Weiterbildungsverbünde zwischen regionalen<br />

Kinderkliniken und Kinder- und Jugendarztpraxen<br />

werden dieser neuen Herausforderung in Sachen<br />

Weiterbildung gerecht. In einem Rotationsmodell<br />

können hier die ÄiW für einen Teil der Weiterbildung<br />

in eine Kinder- und Jugendarztpraxis wechseln<br />

und dort wichtige Inhalte für eine evtl. spätere Tätigkeit<br />

in der Praxis erlernen.<br />

Verbundweiterbildung<br />

Während es für die Allgemeinmedizin inzwischen<br />

selbstverständlich ist, ambulant weiterzubilden,<br />

sind diese Modelle in der Pädiatrie noch nicht<br />

flächendeckend etabliert. Weiterbildungsverbünde<br />

zwischen niedergelassenen Praxen und regionalen<br />

Kliniken scheinen eine Lösung zu sein. So reklamiert<br />

die Allgemeinmedizin inzwischen in den meisten<br />

Bundesländern ein nahezu flächendeckendes Netzwerk<br />

von Kliniken und Lehrpraxen. Gemeinsam von<br />

den Ärztekammern und Krankenversicherungen<br />

betriebene Koordinierungsstellen lotsen die jungen<br />

Kolleginnen und Kollegen zwischen Kliniken<br />

und niedergelassenen Allgemeinmediziner:innen,<br />

Kinder- und Jugendärzt:innen und anderen zur ambulanten<br />

Grundversorgung zählenden Fachrichtungen.<br />

In Bayern konnte zudem im Januar 2020 die<br />

Koordinierungsstelle für Fachärzte (KoStF) ins Leben<br />

gerufen werden, welche sich zunächst um die<br />

Koordination der ÄiW im Fach Pädiatrie kümmert.<br />

Weiterbildungsverbund Pädiatrie Mittelfranken<br />

Um ein innovatives Weiterbildungskonzept auch im<br />

Fach Kinder- und Jugendmedizin zu ermöglichen,<br />

wurde der pädiatrische Weiterbildungsverbund<br />

Mittelfranken im Oktober 2018 vom PaedNetz Mittelfranken<br />

e. V., vertreten durch sechs Praxen, und<br />

der Klinik für Neugeborene, Kinder und Jugendliche


Aus dem Gesundheitswesen<br />

31<br />

des Klinikums Nürnberg (Chefarzt: Prof. Dr. Christoph<br />

Fusch) gegründet. Die Klinik für Kinder und Jugendliche<br />

am Klinikum Fürth (Chefarzt: Prof. Dr. Jens<br />

Klinge) ist dem Verbund kurz nach der Gründung<br />

beigetreten. Im Februar 2020 kamen die Diakoneo<br />

Cnopfsche Kinderklinik (Chefarzt: Prof. Dr. Michael<br />

Schroth) und im Januar 2021 schließlich die Kinderund<br />

Jugendklinik des Universitätsklinikums Erlangen<br />

(Ärztlicher Direktor: Prof. Dr. Joachim Wölfle)<br />

hinzu. Somit sind derzeit alle vier Kinderkliniken<br />

der Metropolregion Nürnberg-Fürth-Erlangen im<br />

Weiterbildungsverbund vertreten, die Anzahl der<br />

teilnehmenden Weiterbildungspraxen ist auf zehn<br />

gestiegen.<br />

Zu den Kriterien des Weiterbildungsverbundes<br />

zählen die Qualifizierung der Weiterbildungspraxen<br />

durch vorherige Analyse des Spektrums und<br />

Patientenaufkommens sowie die obligate Nutzung<br />

von ePaedCompenda der Deutschen Gesellschaft<br />

für allgemeine ambulante Pädiatrie (DGAAP) als<br />

Instrument der strukturierten Weiterbildung. ePaedCompenda<br />

ist ein sogenanntes „kompetenzbasiertes<br />

Weiterbildungscurriculum der allgemeinen<br />

ambulanten Pädiatrie“ – mit anderen Worten:<br />

ePaedCompenda erlaubt es, in einer sehr strukturierten<br />

und alle Themen umfassenden Form<br />

Fachärzt:innen für Kinder‐ und Jugendmedizin in<br />

der niedergelassenen (ambulanten) Pädiatrie auszubilden.<br />

Es soll dem Arzt oder der Ärztin in Weiterbildung<br />

das Gefühl vermitteln, am Ende wirklich<br />

alle Facetten der ambulanten Pädiatrie erlebt und<br />

erlernt zu haben und für eine eigene praktische Tätigkeit<br />

„gerüstet“ zu sein. Es soll weiterhin dem/der<br />

Weiterbilder:in das Gefühl geben, der Verpflichtung<br />

einer lückenlosen Ausbildung gerecht geworden<br />

zu sein.<br />

Die Äiw und teilnehmenden Praxen des Verbundes<br />

werden von Verbundkoordinator:innen (zwei<br />

auf Klinikseite und zwei auf der Seite der Praxen)<br />

in jeder Phase der ambulanten Weiterbildung<br />

betreut. Als außerordentlich wichtig für die<br />

ÄiW wird die garantierte Rückübernahme in die<br />

ursprüngliche Klinik am Ende der Weiterbildungszeit<br />

angesehen. Zusätzliche Seminarwochenenden<br />

für die Ärzt:innen in Weiterbildung erhöhen<br />

die Qualität der theoretischen Weiterbildung und<br />

didaktische Schulungen für die niedergelassenen<br />

Weiterbilder:innen fördern deren Lehrkompetenz.<br />

Hier entsteht derzeit die Paednetz Bayern Akademie,<br />

die in enger Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum<br />

Weiterbildung Allgemeinmedizin<br />

Bayern (KWBA) die Seminare für die ÄiW ausarbeitet<br />

und ein Fortbildungscurriculum erstellt. Möglich<br />

gemacht hat dies die Anpassung der Anlage IV<br />

des § 75 a SGB V.<br />

Eine Umfrage des Berufsverbandes der Kinderund<br />

Jugendärzte (BVKJ) aus dem Jahre 2021 unter<br />

den Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen<br />

der Länder hat gezeigt, dass ca. 30% aller<br />

niedergelassenen Kolleg:innen über eine Weiterbildungsbefugnis<br />

verfügen und somit Teil eines<br />

Weiterbildungsverbundes werden können. Dies<br />

sollte für einige Kolleg:innen neben all den positiven<br />

Aspekten und der menschlichen Bereicherung<br />

einer 1:1-Weiterbildung in der Praxis Anreiz sein,<br />

sich dem Thema Weiterbildung in der pädiatrischen<br />

Grundversorgung zu widmen um auch in Zukunft<br />

die flächendeckende Versorgung unserer Kinder<br />

und Jugendlichen sicherstellen zu können.<br />

Dr. Jung ist Mitglied im Bundesvorstand des Berufsverbands<br />

der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) und<br />

Mitglied der Deutschen Gesellschaft für allgemeine<br />

ambulante Pädiatrie (DGAAP)<br />

Kontakt:<br />

Dr. Ronny Jung<br />

Kinder- und Jugendarztpraxis Dr. Jung<br />

und Kolleg:innen<br />

Kugelbühlstr. 2a, 91154 Roth<br />

ronny.jung@uminfo.de


32<br />

Aus dem Gesundheitswesen<br />

Was sind DRGs<br />

– was sind ihre Auswirkungen?<br />

Meinungsbeitrag von Prof. Dr. K.-P. Zimmer, Mitglied im <strong>knw</strong> Beraterkreis<br />

DRGs („Diagnosis Related Groups“, auch diagnosebezogene<br />

Fallgruppen oder Fallgruppenpauschalen<br />

genannt) wurden 2003 in Deutschland eingeführt.<br />

Entwickelt in den USA und Australien sollte damit<br />

ein stationär behandelter Patient nicht mehr nach<br />

Angabe der individuellen Behandlungstage, die von<br />

Krankenhaus zu Krankenhaus stark schwankten,<br />

bezahlt werden. Mit den DRGs erstatten die Krankenkassen<br />

die Kosten der Behandlung einer Diagnose<br />

bzw. eines Falles bzw. Patienten einheitlich<br />

für alle Patienten und Krankenhäuser nach gleichen<br />

Personal- und Sachkosten. Die Politik entschied sich<br />

für die Einführung der DRGs, um die vor dem Hintergrund<br />

des medizinischen Fortschritts und missbräuchlicher<br />

Abrechnungsmodalitäten steigenden<br />

Ausgaben der Krankenhäuser durch ein von staatlichen<br />

Subventionen unabhängiges, leistungsbezogenes,<br />

kontrollierbares und effizienzbasiertes<br />

Abrechnungssystem nach betriebswirtschaftlichen<br />

Vorgaben zu begrenzen. Warnungen vor den DRGs<br />

gab es insbesondere in der Pädiatrie, so hat Prof.<br />

Spranger (Mainz) eine „Enthumanisierung der Medizin“<br />

vorhergesagt. Obwohl das DRG-System in<br />

vielen Ländern für die Kinder- und Jugendmedizin<br />

nicht eingeführt wurde, ist die stationäre Behandlung<br />

von Kindern und Jugendlichen in Deutschland<br />

in den letzten 15 Jahren sehr nachhaltig davon geprägt<br />

worden.<br />

Was hat sich mit der Einführung der Fallpauschalen<br />

(DRGs) in der Pädiatrie geändert? Die Fallpauschale<br />

gibt der Krankheit eines Patienten einen Preis.<br />

Man spricht von „cash-cow“-Diagnosen, mit denen<br />

eine Klinik viel Geld verdienen kann (z.B. Organtransplantationen,<br />

Herzchirurgie, Prothesen- oder<br />

Wirbelsäulenchirurgie) und „poor-dog“-Diagnosen,<br />

mit denen aufgrund der Kosten eher Verluste für<br />

die Geschäftsbilanz eintreten. So erhält eine Klinik<br />

für die etwa 4monatige Behandlung eines extremen<br />

Frühgeborenen insgesamt etwa 170.000 Euro<br />

(etwa 1.500 Euro pro Tag), wobei eine relativ große<br />

Gewinnspanne besteht, wenn die Geschäftsführung<br />

Personal- und Sachkosten einspart. Andererseits<br />

wird ein 4 Jahre alter ehemaliger Frühgeborener,<br />

der mit Zerebralparese und akuter Pneumonie<br />

stationär für 14 Tage behandelt werden muss, nur<br />

etwa 200 Euro pro Tag der Kinderklinik an Einnahmen<br />

erbringen. Auch der ambulante (tagesstationäre)<br />

Bereich, der gerade für Kinder und Eltern<br />

sehr attraktiv ist, leidet wegen Unterfinanzierung.<br />

Vor allem chronisch kranke Kinder zählen zu den<br />

Verlierern des DRG-Systems.<br />

Die Ärzte dürfen sich nicht Patienten mit „cashcow“-Diagnosen<br />

aussuchen oder bevorzugen, auch<br />

wenn solche Anreize im Finanzierungssystem von<br />

den Klinikträgern benutzt werden. Sie erhalten aber<br />

regelmäßig (monatlich) von ihnen nicht kontrollierbare<br />

Bilanzen, aus denen sie oft in Konkurrenz zu<br />

anderen Fachgebieten bzw. Abteilungen entnehmen<br />

können, ob sie gute oder schlechte Erlöse<br />

erzielen. Wenn viele Patienten mit „poor-dog“-Diagnosen<br />

zu behandeln sind, wird die Geschäftsführung<br />

Personalkürzungen ankündigen, um die Bilanz<br />

und angeblich auch die Existenz der Kinderklinik zu<br />

retten. Dieses Problem besteht leider regelmäßig in<br />

deutschen Kinderkliniken und als Lösung schlagen<br />

die Geschäftsführungen der Kliniken eine Fallzahlsteigerung<br />

vor, die durch Verkürzung der Verweildauer<br />

bzw. Behandlungsdauer möglich, aber nicht


Aus dem Gesundheitswesen<br />

33<br />

mit einer Verbesserung der Behandlungsqualität<br />

verbunden ist. So hat die Behandlungsdauer eines<br />

durchschnittlichen Falls in deutschen Kinderkliniken<br />

seit Einführung der Fallpauschalen von 5,7 auf 4,6<br />

Tage (mit gleichzeitiger Zunahme der Fallbehandlungen)<br />

um etwa 25% abgenommen. Aufgrund der<br />

vielen „poor-dog“-Diagnosen (durchschnittlicher<br />

Faktor 0,76) eröffnet die Kinder- und Jugendmedizin<br />

den Geschäftsführungen der Kliniken weniger<br />

Möglichkeiten, Gewinne oder Investitionsmittel zu<br />

generieren – dafür stehen andere Fachgebiete bei<br />

ihnen mit vielen „cash-cow“-Diagnosen wesentlich<br />

besser im Kurs (durchschnittlicher Faktor für Geriatrie<br />

1,8, Neurochirurgie 2,3, Thoraxchirurgie 3,0,<br />

Intensivmedizin 4,9, Herzchirurgie 5,5). Erschwerend<br />

kommt in der Kinder- und Jugendmedizin hinzu,<br />

dass ihren Fallpauschalen Personalkosten von<br />

bis zu 80% (höher als in der Erwachsenenmedizin)<br />

zugrunde liegen und dass relativ wenige geplante<br />

Aufnahmen und relativ viele akute Behandlungen<br />

unter mangelnder Berücksichtigung der dafür erforderlichen<br />

Vorhaltekosten stattfinden.<br />

Mit Ausnahme von Notfällen haben die Fallpauschalen<br />

– obwohl ethisch, berufsrechtlich und<br />

juristisch nicht zulässig – leider die Denkweise<br />

verbreitet, dass ähnlich wie bei einer Ware keine<br />

Verpflichtung zur Behandlung oder Hilfeleistung<br />

besteht, wenn die Refinanzierung der Leistung<br />

(betriebswirtschaftlich) nicht sichergestellt oder<br />

lukrativ ist. Diese Praxis fördert letztlich auch die<br />

Aufteilung einer medizinischen Versorgung in einzelne<br />

Leistungen („Patientenodysseen“ bzw. „vom<br />

Spezialisten zu Spezialisten“). Vor Einführung der<br />

Fallpauschalen durfte nach Hilfsbedürftigkeit in<br />

der Klinik gehandelt werden, die Frage der Refinanzierbarkeit<br />

wurde nicht „am Bett“ thematisiert.<br />

Neben der Unterversorgung erzeugen die DRGs in<br />

ihrem „cash-cow“-Bereich aber auch Überversorgung<br />

(z.B. Kaiserschnitte, operative Eingriffe). Zur<br />

Erfassung und Kontrolle der Behandlungen wurde<br />

ein gewaltiger digitaler Dokumentations- und<br />

Kontrollapparat aufgebaut, der sehr viel Personalkapazität<br />

bindet und für das medizinische Personal<br />

mit einem Verlust an Patientenkontakt verbunden<br />

ist. Jedoch ist die Qualitätssicherung der Krankenversorgung<br />

in weiten Bereichen aus Sicht der Patienten<br />

immer noch nicht unabhängig, transparent<br />

und belastbar. Die Aufsichtsbehörden erfüllen ihre<br />

Kontrollfunktion und Verantwortung gegenüber<br />

den Geschäftsführungen der Klinikträger nur oberflächlich<br />

(z.B. Arbeitszeitgesetz).<br />

Während die Erkrankung der Patienten mit der<br />

Fallpauschale einen Preis erhält, trägt der „Kostenpunkt“<br />

bzw. das „bilanzausgleichende Potenzial“<br />

des medizinischen Personals zu dessen geringer<br />

Wertschätzung bei. Die Ökonomisierung hat zu einer<br />

Identitätskrise des medizinischen Personals mit<br />

Burnout und Berufsausstieg geführt. Auch das Arzt-<br />

Patienten-Verhältnis wurde schwerwiegend beeinträchtigt,<br />

u.a., weil das medizinische Personal von<br />

den Geschäftsführungen der Kliniken unter Androhung<br />

von Strafen zur Verschwiegenheit verpflichtet<br />

wird („Maulkorbklausel“). Der Mangel an Vertrauen<br />

und Verantwortlichkeit führt im Gesundheitswesen<br />

zu hohen Transaktionskosten und Qualitätsverlust.<br />

Fazit:<br />

Unter den Fallpauschalen haben sich unsere Kliniken<br />

von einer patientenzentrierten, wissenschaftsbasierten,<br />

bedarfs- und qualitätsorientierten Krankenversorgung<br />

entfernt.<br />

Der Deutsche Ethikrat hat ebenso wie der neue Gesundheitsminister<br />

Lauterbach von der Anwendung<br />

der DRGs in der Kinder- und Jugendmedizin abgeraten!<br />

Kontakt:<br />

Prof. Dr. K.-P. Zimmer<br />

Abt. Allgemeine Pädiatrie & Neonatologie, UKGM,<br />

Gießen / Justus-Liebig-Universität<br />

Tel.: +49 641 985 43411; E-Mail:<br />

klaus-peter.zimmer@paediat.med.uni-giessen.de


34<br />

Aus dem Gesundheitswesen<br />

Leid und Unrecht von Kindern<br />

und Jugendlichen in Psychiatrie<br />

und Behindertenhilfe in der<br />

BRD und DDR (1949–1975/1990)<br />

– ein Forschungsprojekt der Stiftung<br />

„Anerkennung und Hilfe“<br />

Nils Löffelbein<br />

Die stationäre Unterbringung von Kindern und<br />

Jugendlichen in Heimen, Psychiatrien und Einrichtungen<br />

der Behindertenhilfe in Deutschland<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg war bis in die jüngere<br />

Vergangenheit ein blinder Fleck der deutschen<br />

Nachkriegsgeschichte. Erst seit den 2000er Jahren<br />

erschienen erstmals zahlreiche Berichte in den<br />

Medien, in denen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen<br />

über Zwang, Schläge, Missbrauch und Ausbeutung<br />

berichteten, denen sie als Kinder und Jugendliche<br />

nach 1945 in kirchlichen und staatlichen Einrichtungen<br />

ausgesetzt waren. Unter diesem Eindruck<br />

wurde durch den Bund, die Länder und die beiden<br />

großen Kirchen im Jahr 2017 die „Stiftung Anerkennung<br />

und Hilfe“ ins Leben gerufen, um das erfahrene<br />

Leid und Unrecht der Betroffenen öffentlich anzuerkennen<br />

und eine finanzielle Ausgleichszahlung<br />

anzubieten. Ergänzend wurde eine interdisziplinär<br />

besetzte Forschergruppe mit der wissenschaftlichen<br />

Aufarbeitung der Geschehnisse beauftragt,<br />

wobei hier die Zeit von der Gründung beider deutscher<br />

Staaten bis Anfang Oktober 1990 für die DDR<br />

und für das Gebiet der alten BRD bis Ende 1975 im<br />

Zentrum stand.<br />

Das Forschungsteam verfolgte das Ziel, ein möglichst<br />

breites Spektrum von psychiatrischen<br />

Anstalten und Heimen einzubeziehen, und konnte<br />

schließlich 17 kinder- und jugendpsychiatrische Abteilungen<br />

sowie Heime für Minderjährige mit Behinderung<br />

in der BRD und der DDR untersuchen.<br />

Analysiert wurden dabei Einrichtungen in öffentlicher,<br />

katholischer und evangelischer Trägerschaft.<br />

Im Projektverlauf wurden insgesamt über 1.500<br />

Fallakten und rund 60 Interviews mit Betroffenen,<br />

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ausgewertet. Hinzu<br />

kamen über 170 Zuschriften von Betroffenen, Angehörigen<br />

oder ehemaligen Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeitern, die über ein eigens eingerichtetes<br />

Zeitzeuginnen- und Zeitzeugenportal im Internet<br />

eingingen.<br />

Auf dieser Grundlage hat das Forschungsteam den<br />

Lebensalltag und die Unterbringungsbedingungen<br />

in den untersuchten Einrichtungen rekonstruiert<br />

und Formen pädagogischer, medizinischer und<br />

therapeutischer Gewalt sowie den Einsatz von Arzneimitteln<br />

und möglicherweise durchgeführte Medikamentenstudien<br />

untersucht. Weitere Aspekte<br />

der Analyse waren sexuelle Gewalterfahrungen,<br />

erzwungene oder nicht entlohnte Arbeit sowie der<br />

Verlust bzw. das Vorenthalten von persönlicher,<br />

beruflicher und sozialer Lebensqualität. Zur Einordnung<br />

der Lebens- und Unterbringungsbedingungen


Aus dem Gesundheitswesen<br />

35<br />

wurden die allgemeine institutionelle Landschaft<br />

zur Unterbringung von Minderjährigen sowie<br />

rechtliche Aspekte von Einweisung und Unterbringung<br />

in den jeweiligen Untersuchungszeiträumen<br />

für die BRD und DDR beschrieben.<br />

Ein wesentliches Ergebnis des Forschungsprojekts<br />

stellt die Erkenntnis dar, dass hinsichtlich der Leidund<br />

Unrechtserfahrungen in den untersuchten<br />

Einrichtungen bis in die 1970er Jahre kaum Unterschiede<br />

zwischen der BRD und der DDR feststellbar<br />

waren. Trotz der Systemdifferenz und der<br />

unterschiedlichen politischen, pädagogischen und<br />

gesundheitspolitischen Voraussetzungen waren<br />

strukturelle Mängel in beiden deutschen Staaten<br />

zumindest in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten<br />

ähnlich stark ausgeprägt. Gleiches gilt für<br />

ein bis in die 1960er Jahre vorherrschendes Desinteresse<br />

beider Gesellschaften an der Situation von<br />

Minderjährigen mit geistigen Behinderungen und<br />

psychischen Erkrankungen.<br />

So konnte insgesamt gezeigt werden, dass adäquate<br />

Einrichtungen für Minderjährige mit psychischen<br />

Erkrankungen oder Behinderungen im Untersuchungszeitraum<br />

in beiden deutschen Staaten nur in<br />

unzureichender Anzahl vorhanden waren. Zugleich<br />

war die Einrichtungslandschaft durch dauerhafte<br />

Unterfinanzierung, Personalmangel, Raumnot,<br />

ausbleibende Sanierungen und Überbelegungen<br />

gekennzeichnet. Maßgebliches Kriterium für die<br />

Unterbringung in einer Einrichtung war daher nicht<br />

der individuelle Förder- oder Therapiebedarf, sondern<br />

ausschließlich die Anzahl der vorhandenen<br />

Plätze, was in vielen Fällen „Fehlplatzierungen in<br />

nicht geeignete Einrichtungen” zur Folge hatte. Ein<br />

wesentliches Merkmal der Einrichtungslandschaft<br />

in Ost und West bildete im untersuchten Zeitraum<br />

zudem die vage und teilweise ganz fehlende<br />

Abgrenzung zwischen Psychiatrie und Behindertenhilfe.<br />

Auch die Kontrolle der Heime und Kliniken<br />

durch die zuständigen Behörden war, wie exemplarisch<br />

gezeigt werden konnte, mangelhaft.<br />

Die prekären Zustände in den Einrichtungen begünstigen<br />

die genannten Formen von Leid und Unrecht,<br />

wenngleich die Bedingungen, unter denen<br />

das damalige betreuende und therapeutisch arbeitende<br />

Personal tätig war, niemanden von begangenen<br />

Unrechtstaten entlastet und das erfahrene<br />

Leid der Betroffenen nicht entschuldigen kann. Pädagogisch<br />

begründete Zwangs- und Strafmaßnahmen<br />

sowie demütigende Erfahrungen lassen sich<br />

in allen untersuchten Einrichtungen – wenn auch<br />

in unterschiedlichem Ausmaß – nachweisen. Dazu<br />

gehörten unter anderem körperliche Gewalt, die<br />

Isolation in gesonderten Räumen, Demütigungen,<br />

Missachtung der Intimsphäre, Essenszwang oder<br />

Essensentzug sowie Fixierungen.<br />

Mangelhafte Unterbringungsbedingungen führten<br />

in den Einrichtungen zudem zu einer kontinuierlichen,<br />

auf einen störungsfreien Betriebsablauf<br />

ausgerichteten medikamentösen Ruhigstellung<br />

der Minderjährigen. Hochdosierte und mit unerwünschten<br />

Nebenwirkungen verbundene Arzneimittelverabreichungen<br />

waren dabei weit verbreitet.<br />

In einigen Einrichtungen kamen auch Testpräparate<br />

großer Pharmaunternehmen zur Anwendung. In<br />

nicht wenigen Fällen wurden medizinische Maßnahmen<br />

im Einrichtungsalltag als Straf- und Disziplinierungsmittel<br />

angewandt (z.B. Elektrokrampftherapie,<br />

zwangsweise „Bettruhe“, Fixierungen).<br />

Mangelnde Fördermöglichkeiten und ein defizitorientierter<br />

Blick auf die Minderjährigen mit geistigen<br />

Behinderungen und psychischen Erkrankungen<br />

innerhalb und außerhalb der untersuchten


36<br />

Aus dem Gesundheitswesen<br />

Einrichtungen trugen wesentlich zum Vorenthalten<br />

von persönlicher, beruflicher und sozialer Lebensqualität<br />

bei. Der Arbeitseinsatz von Bewohnerinnen<br />

und Bewohnern bzw. Patientinnen und Patienten<br />

in den Einrichtungen geschah oftmals unter<br />

Zwang und ohne Berücksichtigung der Interessen<br />

und Bedürfnisse der Minderjährigen.<br />

Kontakt:<br />

Dr. Nils Löffelbein<br />

Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Institut für<br />

Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin<br />

Email: Nils-Loeffelbein@uni-duesseldorf.de<br />

In der BRD setzte ab etwa 1970 vor allem durch<br />

den Druck einer kritischen Öffentlichkeit ein Wandel<br />

ein. Hier sind im Rahmen der Möglichkeiten<br />

Förderangebote entwickelt und eine kritische Haltung<br />

zur Anstaltsverwahrung ausgebildet worden,<br />

was langfristig zu verstärkten Reformbemühungen<br />

und einer Verbesserung der Lebensbedingungen<br />

führte. Gleiches lässt sich für die Einrichtungen des<br />

staatlichen Gesundheitswesens der DDR nur sehr<br />

eingeschränkt feststellen. Hier blieben die prekären<br />

Verhältnisse bis zum Jahr 1989/90 im Prinzip<br />

bestehen.


Buchtipps<br />

37<br />

Buchtipps<br />

Erwachsenwerden mit Sprachentwicklungsstörung<br />

(SSES) und AVWS<br />

Autorin: Ulrike Ott<br />

Grundlagen zu verständlich erklärt. Im zweiten Teil<br />

berichten meine Mutter und ich Spezifische Sprachentwicklungsstörung<br />

(SSES) und Auditive Verarbeitungs-<br />

und Wahrnehmungsstörungen (AVWS)<br />

abwechselnd von unseren Erfahrungen. Dieser<br />

Bericht beginnt im Kleinkindalter und endet mit<br />

Abschluss meiner Ausbildung/Beginn der Berufstätigkeit.<br />

Zu allen Entwicklungsphasen (z.B. Kleinkindalter,<br />

Kindergarten, Sprachheilschule) gibt es<br />

passende Empfehlungen. Das Buch wird mit einem<br />

Informationskapitel zu wichtigen Themen (Behindertengrad,<br />

Nachteilsausgleich, Kündigungsschutz)<br />

abgeschlossen.<br />

Diesen Erfahrungsbericht und Ratgeber „Erwachsenwerden<br />

mit Sprachentwicklungsstörung und<br />

AVWS“ haben meine Mutter und ich im Corona-<br />

Lockdown 2020/21 geschrieben. In unserem Buch<br />

geht es um meine Einschränkungen in den Bereichen<br />

Sprachverarbeitung, Anwendung und Verständnis<br />

von Sprache, die ich von Geburt an habe.<br />

Im ersten Teil des Buches werden die medizinischen<br />

Wir sind in all den Jahren auf viel Unkenntnis, Verständnislosigkeit,<br />

Überheblichkeit und fehlende<br />

Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dieser<br />

„versteckten“ Behinderung gestoßen. Diese Erfahrungen<br />

hatten wir bei Ärzt:innen, Lehrer:innen,<br />

Berater:innen der Behörden bzw. Beratungsstellen,<br />

Vorgesetzten und Kolleg:innen gemacht. Solche<br />

Erlebnisse behindern massiv und rauben sehr viel<br />

Kraft. Aber wir haben auch immer wieder interessierte<br />

Mitmenschen gefunden. So gab es doch auch<br />

gute Wege für mich und meine Familie.


38<br />

Buchtipps<br />

Zu unserem Buch haben wir Rückmeldungen wie<br />

die folgenden bekommen:<br />

„Es ist bei allen Frustrationen und Schwierigkeiten,<br />

die beide beschreiben, ein echtes MutmachBuch.<br />

Ich kann es nur empfehlen.“ (Beratungslehrerin eines<br />

Sozialpädagogischen Dienstes)<br />

„… Es (das Buch) ist echt sehr hilfreich! Und genaugenommen<br />

hat mir noch niemand etwas darüber<br />

erklärt, was die Sprachentwicklungsstörung bei<br />

unserem Sohn für Auswirkungen haben kann. Ich<br />

werde überall nur vertröstet… man muss sehen…“<br />

(Eine betroffene Mutter)<br />

Das, was wir erlebt haben, müssen leider immer<br />

noch viele Kinder mit Einschränkungen und deren<br />

Familien durchmachen. Wir wünschen uns, dass<br />

unser Buch diesen Kindern und Familien mit Informationen<br />

weiterhilft und sie das Gefühl haben,<br />

nicht allein mit diesen Schwierigkeiten zu sein.<br />

„Erwachsenwerden mit Sprachentwicklungsstörung<br />

und AVWS – Erfahrungsbericht und Ratgeber“<br />

Heike Tuchen-Ott und Ulrike Ott.<br />

Im Buchhandel und online bestellbar<br />

ISBN 9783753497877 – 18€ - e-book 6.99€<br />

“… das Zusammentragen der ganz verschiedenen<br />

Infos ist so meines Wissens bisher noch auf keiner<br />

Plattform so vollumfänglich recherchiert worden.<br />

Hut ab! Diese Mischung macht Ihr Buch auch unbedingt<br />

interessant für pädagogisch-therapeutischesberaterisches<br />

Fachpersonal.“ (Mitarbeiterin eines<br />

Forschungsprojektes zum Thema AVWS bei Jugendlichen<br />

und jungen Erwachsenen)


Buchtipps<br />

39<br />

Gewitter im Kopf<br />

Deutsche Epilepsievereinigung<br />

Der von der Deutschen Epilepsievereinigung herausgegebene Familienratgeber „Wie ein Gewitter im<br />

Kopf“ erklärt in kindgerechter Sprache, was Kinder über Epilepsie wissen müssen. Im zweiten Teil des<br />

Buches folgt ein Elternratgeber mit wertvollen Infos und Tipps rund um die Krankheit.<br />

Der Familienratgeber zum Umgang mit Epilepsie<br />

wurde neu aufgelegt. Das Buch ist in zwei Teile aufgeteilt.<br />

Der erste Teil ist eine (Vor-)Lesegeschichte<br />

und richtet sich an Kinder im Grundschulalter. Sie<br />

handelt von der achtjährigen Carlchen und ihren<br />

Freunden Henry und Felipe, die alle drei an Epilepsie<br />

erkrankt sind. Die Geschichte schildert, wie<br />

unterschiedlich diese Krankheit bei den einzelnen<br />

Personen auftritt, und beantwortet Fragen wie:<br />

Woran erkennt man einen epileptischen Anfall<br />

und wie gefährlich ist dieser? Die Geschichte zeigt<br />

Kindern, dass sie nicht allein mit ihren Sorgen,<br />

Fragen und Ängsten sind. Außerdem hilft sie nichtbetroffenen<br />

Kindern zu verstehen, was mit ihren<br />

Freunden/Familienmitgliedern passiert und wie sie<br />

ihnen während eines Anfalls am besten helfen können.<br />

Der zweite Teil des Buches ist ein Elternratgeber,<br />

der neben grundlegenden Informationen zum<br />

Krankheitsbild Epilepsie auch einen Einblick in die<br />

wichtige Arbeit von Selbsthilfegruppen sowie in die<br />

Lebenswelten von betroffenen Familien gibt.<br />

Alexander Walter, Vorsitzender im Landesverband<br />

Hessen der Deutschen Epilepsievereinigung:<br />

„Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen<br />

Erkrankungen und kann jeden treffen. Darum ist<br />

umso wichtiger, früh Aufklärung zu leisten. Mit<br />

dem Buch ‚Wie ein Gewitter im Kopf‘ haben wir ein<br />

Medium geschaffen, das sowohl Kindern als auch<br />

Erwachsenen diese Krankheit näherbringt.“<br />

Das Buch kann kostenfrei über den Landesverband<br />

Hessen der Deutschen Epilepsievereinigung bestellt<br />

werden.<br />

Mehr Infos: info@epilepsie-sh-hessen.de<br />

Internet: www.epilepsie-sh-hessen.de


40<br />

Unsere Kinderseiten<br />

Für unsere „very special<br />

children“: Unsere Kinderseiten<br />

Liebe Kinder, liebe VIPs des Kindernetzwerk,<br />

Ihr alle seid „very special“ – jede und jeder einzelne – und deshalb soll es natürlich auch<br />

für unsere jüngeren Leser:innen etwas geben.<br />

Erst mal eine Info für Euch und Eure Eltern:<br />

App vom Kindernetzwerk mit neuen<br />

Motiven: Ausmalbilder für alle<br />

Mit unserer kostenfreien Ausmal-App „Malbuch<br />

für Kinder Inklusion“ könnt ihr den Alltag bunter<br />

gestalten und dabei erleben, wie Vielfalt bereichert.<br />

Die App hat 30 Malvorlagen für Euch, die<br />

unterschiedliche Aktivitäten wie Rollstuhlsport,<br />

Kinder bei Musik, beim Sport, mit Freunden und<br />

Familie zeigen.<br />

Gewinnerin unseres Malwettbewerbes<br />

„Besondere Superhelden“<br />

Für unsere App „Malbuch für Kinder Inklusion“<br />

veranstalteten wir einen Malwettbewerb für besondere<br />

Superhelden:<br />

Das Einhorn mit dem Knick im Horn, die Forscherin<br />

mit Hörgerät, der beatmungspflichtige Musiker...<br />

Der Fantasie der Kinder waren keine Grenzen gesetzt.<br />

Nun steht die Gewinnerin fest: Die 10-jährige<br />

Catharina aus Norddeutschland hat sich von weihnachtlichen<br />

Märchen inspirieren lassen und gestaltete<br />

Märchenfiguren mit Handicap: Die Prinzessin<br />

mit Down-Syndrom, den Prinzen im Rollstuhl,<br />

Schneewittchen mit Prothese ...<br />

Über unsere „Vorurteilsfreie Ausmalapp“ (Apple<br />

Store, Google Play Store) versuchen wir „Besonders-Sein“<br />

bereits bei den Kleinsten Normalität<br />

werden zu lassen - ein wichtiger Schritt für eine<br />

natürliche Inklusion. Wir freuen uns auch, dass<br />

unser Malwettbewerb dazu eine äußerst kreative<br />

Künstlerin als Siegerin küren konnte.


Unsere Kinderseiten<br />

41<br />

Inklusionsversuche ein dauerhafter Kampf gegen<br />

ein sich selbst aufrechterhaltendes Gesellschaftsbild.<br />

Diesen Teufelskreis möchten wir durchbrechen,<br />

indem wir Menschen Vielfalt vermitteln.<br />

Denn das Leben ist bunter, als die meisten Abbildungen<br />

dieses zeigen.<br />

Mit unserer Ausmal-App versuchen wir bestehende<br />

Vorurteile abzubauen bzw. gar nicht erst entstehen<br />

zu lassen.<br />

Die kostenfreie Ausmal-App „Malbuch für Kinder<br />

Inklusion“ lädt alle Kinder ab 2 Jahren mit und<br />

ohne Beeinträchtigungen ein, das Leben bunter zu<br />

gestalten. Sie tauchen in Malvorlagen ein, die stark<br />

sind, cool und schön. Die Ausmalvorlagen zeigen<br />

unterschiedliche Aktivitäten von Kindern bei Musik,<br />

beim Sport, mit Freunden und Familie, zeigen<br />

Superhelden und Schlaufüchse.<br />

Ihr Bild wird zeitnah in die App als Malvorlage aufgenommen.<br />

Als kleines Dankeschön für ihre Arbeit<br />

bekommt sie außerdem einen Gutschein und ein<br />

persönliches Geschenk des <strong>knw</strong>.<br />

Die Ausmalbilder können selbstverständlich auch<br />

auf unserer Seite als Vorlage heruntergeladen werden.<br />

Gelebte Inklusion | <strong>knw</strong> Kindernetzwerk e.V.<br />

Vielen herzlichen Dank fürs Mitmachen und weiterhin<br />

viel Freude mit den Malvorlagen und der App.<br />

Kindernetzwerk fördert gelebte Inklusion<br />

Die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft ist bei Weitem<br />

nicht in unserer Gesellschaft verankert – von<br />

einer echten Inklusion in allen Lebensbereichen<br />

sind wir weit entfernt. Deswegen hat das Kindernetzwerk<br />

eine App entwickelt, die Inklusion fördert.<br />

Was wir nicht regelmäßig sehen, prägt sich uns<br />

nicht ein, bleibt unnormal. Dadurch bleiben auch


42<br />

Unsere Kinderseiten<br />

Eine Geschichte<br />

nur für Euch<br />

Unsere Vorsitzende Annette Mund hat für Euch wieder eine Geschichte über<br />

eine kleine Qualle geschrieben und Zeichnungen für Euch gemalt.<br />

Die kleine Qualle<br />

Es war einmal eine kleine Qualle, die mit ihrer Mutter<br />

und ihrem Vater im großen Meer lebte. Den<br />

ganzen Tag schwamm sie munter umher, entdeckte<br />

immer wieder etwas Neues und freute sich ihres<br />

Lebens. Sie hatte viele Freunde und wusste nicht,<br />

was Langeweile ist.<br />

Eines Tages nun kamen ihre Freunde, um sie zum<br />

Spielen abzuholen. Verstecken wollten sie spielen,<br />

denn das machte im tiefen Wasser riesigen Spaß.<br />

Überall gab es große Seepflanzen und bunte Korallenbänke,<br />

in denen man kaum gefunden wurde.<br />

Als erstes sollte Mimi, der Seeigel, mit dem Suchen<br />

beginnen. Er lehnte sich gegen einen großen Stein<br />

und begann, bis hundert zu zählen. Alle anderen<br />

schwammen schnell in verschiedene Richtungen<br />

davon, um sich ein möglichst gutes Versteck zu


Unsere Kinderseiten<br />

43<br />

suchen. Auch die kleine Qualle tat das, doch sie<br />

konnte sich nicht so richtig für einen Ort entscheiden,<br />

denn entweder er war zu nah an Mimi dran<br />

oder das Versteck war schon zu bekannt.<br />

Sie schwamm immer weiter und weiter. Das Wasser<br />

verfärbte sich und am Ende war es dunkelblau,<br />

fast schwarz. Die kleine Qualle erschreckte sich –<br />

wo war sie? Sie kannte keine einzige der Wasserpflanzen<br />

und auch die Korallenstöcke waren ihr<br />

völlig unbekannt. Kein Zweifel – sie hatte sich verirrt.<br />

Was sollte sie jetzt nur machen? Wie oft hatten<br />

ihr Mama und Papa gesagt, sie solle nicht allein so<br />

weit raus schwimmen? Und das hatte sie nun getan.<br />

Was sollte sie jetzt machen?<br />

Die kleine Qualle war völlig verzweifelt. Aufgeregt<br />

schwamm sie umher – ein kleines Stück hierhin,<br />

ein kleines Stück dorthin, doch nichts schien ihr bekannt.<br />

In ihrem Kopf drehte sich alles. Was war nur<br />

zu tun? Was machte man in so einer Situation? Auf<br />

jeden Fall ruhig bleiben, nicht verrückt werden! Das<br />

sagte Papa immer: Wenn es eng wird, ruhig bleiben<br />

und nachdenken.<br />

Also – sie musste zurück nach Hause, das war klar.<br />

Zuhause war das Wasser heller als hier, also musste<br />

sie wohl nur dem Licht nachschwimmen. Das konnte<br />

ja eigentlich nicht so schwer sein. Da, dort sah es<br />

schon viel heller aus.<br />

Erleichtert machte sich die kleine Qualle auf den<br />

Weg. Tatsächlich wurde es immer heller, das Wasser<br />

immer lichter. Bald schon konnte sie die Sonne<br />

durch die Wasseroberfläche sehen. Bevor sie aber<br />

weiter darüber nachdenken konnte, dass das so sicherlich<br />

nicht richtig war, denn ihr Zuhause lag tief<br />

unten im Wasser, wurde sie von einer riesigen Welle<br />

erfasst und – platsch – auf den Strand geworfen.<br />

Erstaunt schaute sie sich um. Wo war sie denn<br />

hier gelandet? So etwas hatte sie ja noch nie gesehen.<br />

Und es war so trocken hier und so fürchterlich<br />

heiß! Nein, hier wollte sie nicht bleiben. Sie<br />

wollte sofort wieder ins Wasser. Sie versuchte sich<br />

zu bewegen, aber oh Schreck! Sie konnte ja hier<br />

gar nicht schwimmen, sie konnte kaum vorwärtskommen.<br />

Verzweifelt versuchte sie zu rutschen,<br />

zu krabbeln, zu gleiten, doch nichts. Sie kam und<br />

kam nicht vorwärts. Und dabei konnte sie das Meer<br />

sehen, das Wasser riechen. Sie weinte vor Angst,<br />

wusste aber, dass sie unbedingt wieder ins Wasser<br />

kommen musste.<br />

Erschöpft hielt sie inne. Lange aber konnte sie so<br />

nicht liegen bleiben, das spürte sie. Die Sonne<br />

trocknete sie aus. Sie brauchte das Wasser, und<br />

zwar dringend. Sie schaute sich um. Immer wieder<br />

kamen so seltsame Dinge an ihr vorbei. Sie sahen<br />

aus wie fünf Würmer, ein dicker und vier kleinere,<br />

die an einem Stamm wuchsen. Und manchmal waren<br />

Haare an diesen Stämmen. Das mussten wohl<br />

Menschenbeine sein. Mama hatte ihr von den komischen<br />

Menschen erzählt, die nur zwei Beine haben<br />

und nicht im Meer, sondern an Land lebten.<br />

Sehr seltsam. Eigentlich hatte die kleine Qualle<br />

immer gedacht, dass Mama ihr Märchen erzählte,<br />

wenn sie von den Menschen sprach, aber anscheinend<br />

hatte sie die Wahrheit gesagt. Es gab sie wirklich<br />

und hier liefen sie anscheinend rum. Aber ganz<br />

die Wahrheit hatte Mama nicht gesagt, denn manche<br />

von diesen seltsamen Menschen gingen doch<br />

ins Meer. Vielleicht gab es ja Meer-Menschen und<br />

Land-Menschen. Auf jeden Fall schienen die Meer-<br />

Menschen ihre einzige Rettung zu sein. Eigentlich


44<br />

Unsere Kinderseiten<br />

brauchte sie sich nur so ein Bein zu schnappen,<br />

sich festzuhalten und dann, wenn sie mit so einem<br />

Meer-Menschen wieder im Wasser war, schnell<br />

wieder nach Hause zu schwimmen. Ja, das war eine<br />

gute Idee. So würde sie es machen. Jetzt musste sie<br />

nur noch aufpassen, wann so ein Meer-Menschen-<br />

Bein vorbeikam.<br />

Ah, da kam eins. Schnell sammelte sie sich, nahm<br />

alle Kraft zusammen, duckte sich und sprang. Leider<br />

daneben! Sie hatte wohl nicht genug Schwung<br />

genommen. Na ja, vielleicht klappte es das nächste<br />

Mal. Gespannt wartete die kleine Qualle auf das<br />

nächste vorbeikommende Bein. Sie war so aufgeregt,<br />

dass sie kaum merkte, wie heiß es war und<br />

wie sehr die Sonne brannte.<br />

Endlich kam wieder ein Meer-Mensch vorbei. Die<br />

kleine Qualle erkannte, dass dieser Mensch ins<br />

Wasser wollte, denn er kam vom Land aus und<br />

nahm Richtung auf das Meer. Wieder nahm sie allen<br />

Mut und ihre ganze Kraft zusammen und sprang<br />

los. Und – oh Wunder – sie schaffte es. Mit einem<br />

quatschenden Geräusch landete sie an dem Bein.<br />

Doch der Mann, dem dieses Bein gehörte, war gar<br />

nicht begeistert: „Ah, was ist denn das?“ Der Mann<br />

schrie auf und eine andere hohe Stimme schrie:<br />

„Oh Frank, Du hast so eine hässliche Qualle am<br />

Bein, mach sie ab, wirf sie weg, schnell. Oh, wie<br />

ekelig!“<br />

Erschrocken hörte die kleine Qualle die Frauenstimme.<br />

Wieso hässlich? Sie war doch nicht hässlich<br />

und ekelig schon gar nicht. Mama sagte sogar<br />

immer, sie sei eine kleine Schönheit. Und jetzt das!<br />

Tränen rannen der kleinen Qualle über das Gesicht.<br />

Es war aber auch zu schrecklich. Erst verirrte sie<br />

sich, dann wurde sie an Land gespült und vertrocknete<br />

fast und jetzt ekelten sich die Menschen auch<br />

noch vor ihr. Dabei wollte sie doch nur zurück zu<br />

ihrer Mutter und ihrem Papa. Oh, was sollte sie nur<br />

machen? Sie würde ihre Eltern bestimmt nie mehr<br />

wiedersehen, denn der Mann schien sie nicht mit


Unsere Kinderseiten<br />

45<br />

ins Wasser nehmen zu wollen. Nein, er schien sie<br />

nicht zu wollen, denn mit einem Stock machte er<br />

sie wieder von seinem Bein ab und dabei tat er ihr<br />

auch noch weh. Wie gemein das war. Und dann<br />

wirbelte er sie auch noch durch sie Luft, so dass sie<br />

irgendwo im heißen Sand landete. Die kleine Qualle<br />

wurde sofort ohnmächtig. Wahrscheinlich war es<br />

das Beste, was ihr geschehen konnte, denn die Sonne<br />

brannte unerbittlich heiß und der Sand um sie<br />

herum glühte. Die arme kleine Qualle; wenn jetzt<br />

nicht ein Wunder geschah!<br />

Und das Wunder geschah! Der kleine Hans kam mit<br />

seinen Brüdern Benjamin und Robert den Strand<br />

entlang. Sie plantschten im Wasser umher und<br />

sammelten Muscheln. Plötzlich blieb Hans stehen.<br />

„Benjamin, Robert, kommt mal her! Hier liegt eine<br />

Qualle. Sie ist ganz im Sand versteckt.“<br />

„Ist sie tot?“ wollte Benjamin wissen und Robert<br />

drehte sie vorsichtig mit einem Stock um.<br />

„Nein, ich glaube nicht. Aber ich weiß nicht. Was<br />

sollen wir mit ihr machen? Sollen wir sie ins Wasser<br />

zurückwerfen?“<br />

Alle waren einverstanden. Vorsichtig hob Benjamin<br />

die Qualle auf und warf sie ins Meer.<br />

„Siehst du sie noch?“ fragte Robert.<br />

„Ja“ rief Hans „da ist sie und sie lebt!“ Und tatsächlich,<br />

das Wasser hatte die kleine Qualle aus ihrer<br />

Ohnmacht befreit. Glücklich stellte sie fest, dass<br />

sie lebte. Übermütig probierte sie alle ihre Arme<br />

aus und für sie Kinder am Strand sah es so aus, als<br />

winke sie ihnen zu.<br />

Während sich die kleine Qualle drehte und wendete,<br />

stellte sie erfreut fest, dass sie gar nicht so weit<br />

von ihrem Zuhause entfernt war. Schnell schwamm<br />

sie weiter und war kurz danach bei Mama und Papa<br />

angelangt. Überglücklich schwamm sie ihnen in<br />

die Arme. Dann erzählte sie, was alles passiert war.<br />

Papa und Mama trösteten sie und sie versprach,<br />

sich nie mehr so weit weg von Zuhause zu entfernen.


46<br />

Unsere Glosse „zu guter letzt“<br />

Reizabgabe<br />

Dr. med. Richard Haaser<br />

Nach intensiven Praxisjahren,<br />

die sein Lebensinhalt waren,<br />

ist der Kinderarzt bereit<br />

(ehrlich gesagt: es wird auch Zeit),<br />

nach einem langen Arbeitsleben<br />

die Praxis nun doch abzugeben.<br />

Er will den Ruhestand genießen,<br />

jedoch die Praxis nicht ganz schließen.<br />

Aber so einfach ist das nicht:<br />

Es ist kein Nachfolger in Sicht.<br />

Auch die Kolleg:innen berichten,<br />

die den Markt schon länger sichten,<br />

dass eine Praxisübergabe<br />

heute ihre Tücken habe,<br />

selbst ganzseitige Annoncen<br />

hätten heute keine Chancen.<br />

Man habe alles ausprobiert,<br />

doch habe es zu Nichts geführt.<br />

Dem Kinderarzt-Berufsverband<br />

sei das Problem schon lang bekannt,<br />

doch auch dort die Herrn und Damen<br />

nicht auf eine Lösung kamen.<br />

Der Markt sei einfach leergefegt.<br />

Denn, was den Nachwuchs jetzt bewegt:<br />

Wer heute den Beruf erwähle,<br />

nicht mehr auf die Praxis zähle,<br />

es sei nun mal nicht seine Sache<br />

weil es zu viel Arbeit mache,<br />

wo denn die Familie bleibe,<br />

wenn man sie allein betreibe.<br />

Teilzeit in einem MVZ<br />

fänd´ er/sie dagegen nett.<br />

Doch er lässt sich nicht verdrießen,<br />

er wird das Angebot versüßen,<br />

worauf ihn ein Mädchen brachte,<br />

das früh an seine Zukunft dachte:<br />

Schon mit acht Jahren kannte sie<br />

ihr Ziel: Die Praxis-Pädiatrie.<br />

Auf die Frage nach dem Grund<br />

kam aus ihrem Kindermund:<br />

„Weil die, das solltest du doch wissen,<br />

jeden Tag Eis essen müssen,<br />

damit die Zahl der Stäbchen stimmt,<br />

die man zum Untersuchen nimmt.“<br />

Seitdem enthält sein Praxispreis<br />

„täglich jede Menge Eis“.<br />

Was die Erkenntnis uns beschert,<br />

wie sich sein Gewicht erklärt.


Impressum<br />

Kindernetzwerk e.V.<br />

Am Glockenturm 6, 63814 Mainaschaff<br />

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