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Interview mit Professor Dr. med. Thomas J. Neuhaus

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Personelles / Personnalités<br />

<strong>Interview</strong> <strong>mit</strong><br />

<strong>Professor</strong> <strong>Dr</strong>. <strong>med</strong>. <strong>Thomas</strong> J. <strong>Neuhaus</strong><br />

<strong>Thomas</strong> <strong>Neuhaus</strong>, Luzern und Ulrich Lips, Zürich<br />

UL: Du bist seit dem<br />

1.5.2008 Chef der<br />

Kinderklinik Luzern,<br />

also gut 2 Jahre. Wie<br />

hast Du Dich eingelebt?<br />

TN: Ich habe mich<br />

sehr gut eingelebt,<br />

es hat mir vom ersten<br />

Tag an sehr gut<br />

gefallen und ich wurde sehr gut aufgenommen.<br />

Auch hat mich Gregor Schubiger,<br />

der ja jetzt noch mein Chef ist, sehr gut<br />

unterstützt.<br />

Luzern war für mich eine ganz neue Welt,<br />

ich habe die Klinik und alle Gegebenheiten<br />

nicht gekannt und die Kinderärzte und das<br />

Personal der Kinderklinik mich auch nicht.<br />

Deshalb habe ich die ersten 100 Tage auch<br />

weitgehend nur zugehört und zugeschaut.<br />

Ganz neu war für mich die Neonatologie,<br />

da es sie in dieser Form im Kinderspital<br />

Zürich ja nicht gibt. Der Umgang <strong>mit</strong> den<br />

ganz kleinen Frühgeborenen und die hohen<br />

Standards, die dabei angelegt und auch<br />

umgesetzt werden, haben mich sehr beeindruckt.<br />

Ebenso beeindruckend ist das<br />

sehr breite Spektrum der Patienten und die<br />

Möglichkeit, die meisten Patienten in Luzern<br />

behandeln zu können.<br />

UL: Wie weit kannst Du Dein <strong>med</strong>izinisches<br />

Kerngebiet, die Nephrologie, weiter pflegen?<br />

TN: Das Kerngebiet der Nephrologie –<br />

Dialyse und Transplantation – habe ich in<br />

Zürich lassen müssen. Ich führe aber eine<br />

sehr interessante, Nephrologie-fokussierte<br />

Sprechstunde inkl. Patienten nach Nierentransplantation.<br />

Dieser Verlust ist aber<br />

vollumfänglich kompensiert, ja überkompensiert<br />

durch den Gewinn, den ich <strong>mit</strong><br />

der umfassenden Aufgabe als Klinikleiter<br />

hier habe.<br />

UL: Welches sind Deine Hauptaufgaben?<br />

TN: Natürlich habe ich viel Administration<br />

zu erledigen, aber die regelmässigen<br />

Gespräche <strong>mit</strong> MitarbeiterInnen sind eine<br />

Herausforderung, die mir sehr gefällt, und<br />

der Kontakt <strong>mit</strong> Studierenden aus drei Universitäten<br />

(Basel, Bern und Zürich) machen<br />

das Lehren zu einem wichtigen Standbein<br />

meiner Tätigkeit.<br />

<strong>Dr</strong>eimal pro Woche mache ich Chefvisite<br />

und an zwei Halbtagen pro Woche sehe ich<br />

nephrologische Patienten. Ein Highlight des<br />

Tages ist für mich der Morgenrapport, also<br />

Röntgen- und Klinikrapport. Da müssen alle<br />

dabei sein, auch die Spezialisten, und durch<br />

den Austausch und die oft sehr kritische<br />

Diskussion entsteht die notwendige Unité<br />

de doctrine.<br />

Ich achte darauf, dass meine Agenda nie<br />

ganz voll ist, denn es gibt keinen Tag, an<br />

dem ich nicht sofort auf etwas reagieren<br />

muss, das keinen Aufschub duldet, z. B.<br />

Elterngespräche.<br />

Insgesamt gefällt mir am Besten, dass ich<br />

nach wie vor Arzt bin und regelmässige<br />

Patientenkontakte habe und nicht nur Administrator<br />

bin.<br />

UL: Wie bist Du zur Medizin, speziell zur<br />

Pädiatrie gekommen?<br />

TN: Ich war von meinem Elternhaus her in<br />

diese Richtung sehr geprägt: Mein Vater<br />

war Pädiater bei Guido Fanconi und Max<br />

Grob, meine Mutter Kinderkrankenschwester<br />

im Kinderspital Zürich. Mit drei Brüdern<br />

aufwachsend habe ich meine Kindheit und<br />

Jugend sehr intensiv erlebt. Nach der Mittelschule<br />

war es für mich klar, Medizin zu<br />

studieren und die Praxis meines Vaters in<br />

Zürich Schwamendingen zu übernehmen.<br />

Nach der Dissertation in der Kinderpathologie<br />

und 1 ½ Jahren Innerer Medizin in Grabs<br />

habe ich dann am 1. März 1986 unter <strong>Professor</strong><br />

Prader am Kinderspital Zürich meine<br />

pädiatrische Weiterbildung begonnen. Nach<br />

2 Jahren Weiterbildung fragte ich meinen<br />

damaligen Chef, <strong>Professor</strong> Andreas Fanconi,<br />

ob er sich meine Zukunft im Spital vorstellen<br />

könnte. Und so blieb ich eben im Spital und<br />

mein Vater suchte einen Nachfolger!<br />

Ein eigentliches Schlüsselerlebnis in Winterthur<br />

führte mich zur Nephrologie: Eine<br />

Patientin <strong>mit</strong> nephrotischem Syndrom litt<br />

unter extremem Durstgefühl wegen der<br />

66<br />

Vol. 21 No. 4 2010<br />

damals üblichen sehr strengen Ein- und<br />

Ausfuhrbilanz. Sie bekam fast nichts zu<br />

trinken und man versuchte, ihr Durstgefühl<br />

<strong>mit</strong> Eiswürfeln zum Lutschen zu dämpfen.<br />

Aber sie litt entsetzlich. Irgendwie hatte<br />

ich das Gefühl, wenn ein Patient so leiden<br />

müsse, könne <strong>mit</strong> der Therapie etwas nicht<br />

stimmen – und so kam ich zur Nephrologie.<br />

Nach zwei Jahren allgemeinpädiatrischer<br />

Oberarzttätigkeit am Kispi Zürich bin ich<br />

dann 1992 bis 1994 auf die Nephrologie<br />

des Great Ormond Street Hospital (GOSH)<br />

in London gegangen, war nach meiner Rückkehr<br />

kombiniert pädiatrischer und nephrologischer<br />

Oberarzt am Kinderspital Zürich<br />

und übernahm im Jahr 2000 von <strong>Professor</strong><br />

<strong>Dr</strong>. Ernst Leumann die nephrologische Abteilung,<br />

zusätzlich zur Leitung der Poliklinik.<br />

UL: Wie ist Deine Zusammenarbeit <strong>mit</strong> den<br />

praktizierenden KinderärztInnen?<br />

TN: Wir arbeiten sehr intensiv und gut<br />

zusammen und ich bin ex officio Sekretär<br />

der Vereinigung der Zentralschweizer Kinderärzte.<br />

Die Luzerner Klinik war ja eine der<br />

ersten, die nicht nur die praktizierenden<br />

KinderärztInnen, sondern auch Hausärzt-<br />

Innen <strong>mit</strong> pädiatrischer Erfahrung in die<br />

Notfallpraxis integriert hat. Wir organisieren<br />

auch gemeinsam eine pädiatrische Fortbildung<br />

pro Monat.<br />

UL: Gibt es eine etablierte Zusammenarbeit<br />

zwischen Luzern und anderen Kinderkliniken?<br />

TN: Die Hauptkooperation besteht natürlich<br />

<strong>mit</strong> Zürich, aber traditionellerweise arbeiten<br />

wir auch <strong>mit</strong> der Infektiologie der Berner<br />

Kinderklinik und der Onkologie und Kinderorthopädie<br />

Basel zusammen.<br />

UL: Wie stellst Du Dich zur aktuellen Diskussion<br />

über die Koordination von tertiär<strong>med</strong>izinischen<br />

Leistungen in der Schweiz?<br />

Gibt es da auch in der Pädiatrie einen Handlungsbedarf?<br />

TN: Ja, selbstverständlich. Und dass dies<br />

auch möglich ist, zeigt die Lebertransplantation<br />

bei Kindern, die seit vielen Jahren <strong>mit</strong><br />

grossem Erfolg in Genf durchgeführt wird,<br />

wo es dann Dank der höheren Fallzahlen<br />

auch gute Ergebnisse gibt.<br />

UL: Wie stellst Du Dich zur Einführung des<br />

DRG?<br />

TN: Es scheint jetzt politisch klar zu sein,<br />

dass das Parlament die Einführung des DRG<br />

will und in diesem Sinne verstehe ich das als


Vol. 21 No. 4 2010<br />

einen Auftrag, wie seinerzeit bei der Einführung<br />

des Tar<strong>med</strong>. Wann genau DRG kommt,<br />

wissen wir nicht, aber wir müssen uns jetzt<br />

<strong>mit</strong> aller Energie darauf vorbereiten, sonst<br />

sind wir dann überrumpelt, wenn es soweit<br />

ist. Das machen wir in Luzern auch. Wir<br />

müssen uns aber bewusst sein, dass der<br />

DRG für den erwachsenen Standardpatienten<br />

konzipiert ist. Nun liegen aber wohl<br />

etwa 50 Prozent der Patienten in unseren<br />

Kinderkliniken, weil sie ein schwieriges<br />

soziales Umfeld haben und das ist im DRG<br />

überhaupt nicht abgebildet. Die Bereiche<br />

Sozialpädiatrie, Kinderschutz, Schule etc.<br />

sind draussen. Und da kommt natürlich das<br />

Problem: Wenn von uns die gleiche Pädiatrie<br />

erwartet wird wie bisher, dann muss jemand<br />

draufzahlen, denn <strong>mit</strong> dem DRG können<br />

wir diese Pädiatrie nicht machen. Das ist<br />

dann wohl wieder ein politischer Entscheid:<br />

Der Kanton muss sich zu einer Pädiatrie<br />

im bisherigen Rahmen bekennen und dann<br />

auch bezahlen. Oder dann sind wir wieder<br />

am Anfang: Fast alle Kinderspitäler in der<br />

Schweiz entstanden als private Stiftungen,<br />

weil die öffentliche Hand die Notwendigkeit<br />

der Pädiatrie nicht sehen oder nicht bezahlen<br />

wollte. Vielleicht müssen auch in Zukunft<br />

Private wieder vermehrt Support leisten.<br />

UL: In näherer Zukunft wollen die Kantone<br />

die Weiterbildung nicht mehr bezahlen. Wie<br />

stellst Du Dich dazu?<br />

TN: Das ist eine risikoreiche Entwicklung.<br />

Wir nehmen unsere Aufgabe als Weiterbildungsstätte<br />

sehr ernst und investieren viel<br />

in die Weiterbildung der jungen Kolleginnen<br />

und Kollegen. Wenn das nicht mehr bezahlt<br />

wird, dann sehe ich grösste Probleme auf<br />

die öffentlich-rechtlichen Spitäler zukommen<br />

– und auf die pädiatrische Versorgung<br />

der Bevölkerung. Da sind wir im Moment<br />

in einer ganz unerfreulichen Situation: Es<br />

ist klar, wer die Weiterbildung nicht mehr<br />

bezahlen wird, aber völlig unklar, wer in die<br />

Lücke springen wird.<br />

UL: Lieber <strong>Thomas</strong>, ich danke Dir herzlich<br />

für dieses Gespräch und wünsche Dir für<br />

Deine Tätigkeit weiterhin viel Freude und<br />

Befriedigung.<br />

Korrespondenzadresse<br />

thomas.neuhaus@ksl.ch<br />

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