volkshilfe. #75Jahre
Seit 1947 - Sonderausgabe
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„Die Frage ist, wie nimmt man in dieser
Krise das Subjekt Mensch wahr?”
Du wirst in den Medien immer
wieder mit „Kämpfer für sozialen
Gerechtigkeit!“ betitelt. Wird er
Dir gerecht?
Eigentlich mag ich keine
Titel, aber als Zuschreibung
stimmt es schon mit meinem
Wollen überein! Gerechtigkeit,
das ist so ein
zentrales Element meines
Handelns. Das Nichtzulassenwollen,
dass Unrecht,
Benachteiligung,
oder Unterdrückung ausgeübt
wird. Ich versuche
mich immer wieder in das
benachteiligte Subjekt hinein
zu-versetzen und zu
fragen, „Was passiert an
Zerstörung im Menschen,
wenn er unter extremen
Bedingungen leben muss?“
Auch, wenn mich selbst
das Unrecht nicht direkt
trifft, so ist es trotzdem
unsere Gesellschaft, die
es hervorbringt und produziert.
Das lehne ich ab.
Es gibt aber auch Konsumverweigerer…
Natürlich gibt es sowas, wie „kein freiwillig
im Reichtum leben“, also die bewusste Entscheidung
zu treffen, gewisse Konsumation
zu verweigern, was dann aber nicht aus
einer Zwangslage hervorgeht, sondern das
ist dann vielmehr eine kognitive, sozioökonomische
Überlegung. Ich persönlich kann
mein Lebensglück nicht in einem Vermögen
sehen. Ich bin weder arm, noch reich. Ich
habe noch nie für einen Kapitalbesitzer gearbeitet,
der mit mir Profit generieren konnte,
obwohl ich mit meiner Expertise um das
Thema Pflege schon viele Angebote bekommen
hätte, aber das würde ich niemals tun.
Du definierst Dich als Direktor der Volkshilfe
als Sozialarbeiter?
Ich bin der Überzeugung, dass die Sozialarbeit
für meine Profession in Theorie,
Wissenschaft und Praxis substanziell entscheidend
ist, um Prozesse zu verstehen.
Soziale Organisationen sind dazu gegründet,
Benachteiligungen zu beseitigen und
dafür ist es wichtig, sich den Dingen nicht
allein nur über die Ideologie anzunähern,
sondern die Probleme der Menschen im
direkten Verbund mit Armuts-Betroffenen,
oder Pflegebedürftigen zu definieren.
Was macht Armut mit einem?
Armut ist nie eine Freiwilligkeit,
sondern eine Zwangsbe-dingung.
Sie führt dazu,
dass Menschen extrem
eingeengt, ausgeschlossen
und isoliert werden und
dass sie oft nicht mal die
primären Lebensbedürfnisse
abdecken können. 1,9
Milliarden Menschen auf
der Welt sind unterernährt.
Sie haben sich weder die
Armut, noch den Hungertod
ausgesucht und auch
in unserer sozialen Gesellschaft
ist Armut eine
Zwangslage, die man als
Zwangsjacke begreifen
muss. In der Kinderforschung
sehen wir, dass die
Kinder diese Jacke meistens
nie ablegen können.
Also muss Armut erstmal definiert werden?
Ilse Arlt, die österreichische Pionierin der
wissenschaftsgeleiteten sozialen Arbeit
hat als einer der ersten die Dialektik erfasst
und sagte, wir müssen begreifen, dass
Armut die Negation des gelingenden Lebens
ist, weil Grundbedürfnisse nicht befriedigt
werden. Sie sagt, dass die Orientierung
soziale Gerechtigkeit sein muss und
nur so gelingendes Leben entstehen kann.
Was sind die Voraussetzungen?
Ilse Arlt hat 13 Lebensnotwendigkeiten*
bis hin zur Teilhabe artikuliert. Diese
Bedürfnisse , - für uns in der Sozialarbeit
eine wichtige Säule - gilt es zu
befriedigen, damit gelingendes Leben entstehen
kann. Also eine „Negation der Negation,“
wenn man es philosophisch will.
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