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Jubiläumsschrift zum 675-jährigen Bestehen der Gesellschaft zu Schiffleuten

Der ehemalige Präsident der Gesellschaft zu Schiffleuten und Autor, Heinz Sommer, hat es vortrefflich verstanden, aus seinen beiden umfangreichen, wissenschaftlichen Werken über die Schiffleute, die in jüngster Zeit erschienen sind, eine spannende, kurzweilig zu lesende, unterhaltsame und geschichtlich fundierte Jubiläumsschrift zusammen zu stellen.

Der ehemalige Präsident der Gesellschaft zu Schiffleuten und Autor, Heinz Sommer, hat es vortrefflich verstanden, aus seinen beiden umfangreichen, wissenschaftlichen Werken über die Schiffleute, die in jüngster Zeit erschienen sind, eine spannende, kurzweilig zu lesende, unterhaltsame und geschichtlich fundierte Jubiläumsschrift zusammen zu stellen.

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DIE GESELLSCHAFT ZU SCHIFFLEUTEN IN BERN

1342-2017



Der Gesellschaft zu Schiffleuten in Bern

zum 675-jährigen Bestehen

März 2017

Herausgegeben von der Waisenkommission


Titelseite

Schifflibecher des Berner Goldschmieds Hans Jakob Binder, Mitte 17. Jahrhundert, Silber,

teilweise vergoldet, Höhe 35 cm, Gewicht 642 g. Depositum der Gesellschaft zu Schiffleuten

im Historischen Museum Bern Inv. Nr. 15100

Aus der Mitte des Schiffs ragt ein Mast mit einem silbernen, geblähten Segel und einem

schwarzroten Wimpel hervor. Auf dem kurzen Deck auf der Heckseite steht ein Steuermann in

landsknechtartiger Kleidung und bedient ein langes Ruder. Die beiden Seitenwände des

Schiffsrumpfes zieren breite ovale Medaillons mit getriebenen Darstellungen von Meeresgottheiten

mit Fischschwänzen: vom Heck aus gesehen auf der rechten Seite ein Triton, der

das Horn bläst, auf der linken Seite Poseidon (?) mit bärtigem Haupt und einem Dreizack. Die

Medaillons werden seitlich eingefasst von männlichen Maskarons, aus deren Bärten sich

Blattvoluten entfalten. Das Schiff ruht auf einem Röhrenschaft, den drei silberne, kräftig gegossene

Ohrmuschelbügel umfassen. An diesen hängen auf drei Seiten kleine, birnenförmige

Bammeln. Das obere Schaftende umgibt ein Kranz von ausgeschnittenen silbernen Spiralblättern.

Im unteren Teil des ovalen, zweistufigen Fusses winden sich über den Wulst hinweg zwei

Meeresungeheuer mit zweiteiligem, schlangenartigem Leib. Der Mast besteht aus einer Röhre,

die unten mit kleinen Löchern versehen ist, so dass bei Entfernung des Wimpels und mit

Wein gefülltem Schiff der Mast als Trinkröhrchen verwendet werden kann. Den selben Zweck

erfüllt auch das abnehmbare hohle Ruder. Mittels eines kleinen Hahnens kann die Röhre geöffnet

und geschlossen werden. Zitiert aus Robert L. Wyss, Handwerkskunst in Gold und Siber,

herausgegeben von der Burgerbibliothek 1996


Dass, wann es nichts zu schiffen gibt, man sich des fischens

notwendig behelfen muss.

Bericht der Stubengesellen im Jahr 1697



Geleitwort

Wie sah das Leben der Schiffleute bei der Gründung unserer Gesellschaft um 1342 aus? Was

wäre in der Gesellschaft zu Schiffleuten heute wohl anders, wenn sich die Gesellen im 14.

Jahrhundert in Bern für eine Gesellschaft zu Fischern und nicht zu Schiffleuten entschieden

hätten? Wie sähe das Leben der Stubengenossinnen und Stubengenossen heute aus, wenn

die Eisenbahn nicht erfunden worden wäre? Und was führte im 18. Jh. dazu, dass die Gesellschaft

überlebt hat?

Lesen Sie in der Jubiläumsschrift zum 675. Jahrestag unserer Gesellschaft u. a. nach, warum

wir heute eine Gesellschaft zu Schiffleuten und nicht eine Gesellschaft zu Fischern sind; wie

die Schifffahrt zur Gründungszeit ausgesehen hat und dass schon im Jahre 1697 die Schiffer

unter den 22 Stubengesellen der Schiffleuten in der Minderzahl waren.

Die Gesellschaft zu Schiffleuten ist heute die kleinste der dreizehn Zünfte und Gesellschaften

der Burgergemeinde Bern. Am 1. Januar 2017 zählte die Gesellschaft 384 Gesellschaftsangehörige.

Die Gesellschaft zu Schiffleuten ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft gemäss kantonalbernischem

Gemeindegesetz. Die Gesellschaft stellt in erster Linie die Fürsorge- und Vormundschaftspflege

sicher. Sie unterstützt die Aus- und Weiterbildung ihrer Gesellschafter sowie

kulturelle und gemeinnützige Werke und Veranstaltungen Dritter.

Wahrscheinlich haben wir heute mehr Stubengenossinnen und Stubengenossen, die in einheimischen

oder fremden Gewässern fischen, als solche, die Schiffe durch diese steuern. Tatsache

ist, dass sowohl die Berufsfischer wie die Berufsschiffer in unserer Gesellschaft seit

längerer Zeit leider ausgestorben sind. Man muss aber wissen, dass die Stubengesellen damals

in einer drei- bis vierjährigen Lehre nicht nur das Steuern der Schiffe und Flösse, sondern

auch das Bedienen der Sägewerke und den Bau von Schiffen und Flössen lernten. Wenn sie

die Lehre abgeschlossen und einige Jahre als Schiffsknechte gearbeitet hatten, nahm sie die

Gesellschaft als Meister auf. Sehr erfreulich ist es deshalb, dass ein junger Stubengenosse das

Handwerk als Bootsbauer am Thunersee erlernt.

Der ehemalige Präsident der Gesellschaft zu Schiffleuten und Autor, Heinz Sommer, hat es

vortrefflich verstanden, aus seinen beiden umfangreichen, wissenschaftlichen Werken über

die Schiffleute, die in jüngster Zeit erschienen sind, eine spannende, kurzweilig zu lesende,

unterhaltsame und geschichtlich fundierte Jubiläumsschrift zusammen zu stellen.

Ich danke Heinz Sommer dafür, dass er bereit war, noch einmal unzählige Stunden für die

vorliegende Zusammenfassung «Die Gesellschaft der Schiffleuten in Bern von 1342 bis 2017»

zum 675. Jahrestag der Gesellschaft zu investieren.

Bern, im Juli 2017

Der Präsident der Gesellschaft zu Schiffleuten

der Burgergemeinde Bern

Andreas Urfer



Wir dürfen jubilieren !

Im Januar 1342 gründeten in Bern „Vischer und ihr Gesellschaft“ eine Armenstiftung für ihre

Mitglieder. Schultheiss Johannes von Bubenberg hängte sein Siegel an die Stiftungsurkunde,

in der unsere Gesellschaft erstmals in Erscheinung tritt.

Anders als in Basel, wo fast zur gleichen Zeit „die Zunft zu Schiffleuten“ und „die Zunft zu Fischeren“

ihre Stiftungsbriefe erhielten und bis heute je für sich weiter existieren, verschwand

in Bern die Gesellschaft der Fischer. Mit Recht darf deshalb gefragt werden, warum wir 2017

das 675-jährige Bestehen der „Gesellschaft zu Schiffleuten in Bern“ feiern wollen.

Rechtlich gesehen, kann aus der Stiftungsurkunde von 1342 tatsächlich auf den Ursprung unserer

Gesellschaft geschlossen werden. Schon lange bevor die Armenfürsorge den burgerlichen

Gesellschaften 1676 förmlich übertragen wurde, haben unsere Vorfahren freiwillig Vorsorge

für arme Männer und Frauen getroffen. Mit einer Spende sicherten sie sich als erste

aller Gesellschaften 1342 im Niederen Spital auf ewigklich zu Hand den Vischern und ihr Gesellen

der Statt von Berne zwo Bettstatt gelegen in dem Nüwen Spital vor dem Nidern Thor der

Statt von Bern, mit namen die nächsten zwo Bettstatt vor dem Allthar Sant Niclausen (dem

Schutzpatron der Fischer) zu jetwäderen sythen eine, die gezeichnet sind mit Ihr Zeichen (dem

Gesellschaftswappen). Wer in diesem „Altersheim“ als Pfründer wohnen durfte, wurde geund

verpflegt und gekleidet. Als das Predigerkloster an der Zeughausgasse 1528 wegen der

Reformation geschlossen wurde, zogen die Pfründer ins dorthin verlegte Grosse Spital. Schiffleuten

liess sich die Pfrundstiftung bestätigen. 1 Damit war die Gesellschaft klar Rechtsnachfolgerin

der Gesellschaft der Fischer.

Wegen Platzmangel wurden die Pfrunden von etwa 1560 an „herausgegeben“. Die Pfründer

und Pfründerinnen zogen nicht mehr ins Spital, sondern erhielten Geld für Wohnung, Essen,

Kleidung und Brennholz. Eine Verbesserung brachte der 1742 bezogene Burgerspittel. In ihm

fanden und finden bis heute Gesellschaftsangehörige Aufnahme. Zwar ist das nicht gratis.

Aber die Spitteldirektion überliess noch bis in die 1980er Jahre der Gesellschaft zwei Gesellschafts-

und eine halbe Spittelpfrund von total Fr. 2‘000.- zur Unterstützung von Bedürftigen.

Die Fischer hatten 1342 ihr Geld gut investiert !

Die Waisenkommission hat beschlossen, wie schon vor 25 Jahren das Jubiläum zu feiern. Mit

einem Extraschiff fuhr damals Gross und Klein zu den Giessbachfällen, welche die Vorfahren

der Familie Dähler-Kehrli zu Beginn des 19. Jh. mit Ruderbooten von Brienz aus für den Tourismus

erschlossen hatten. Auch diesmal wird es eine Schifffahrt geben, jedoch nach alter

Schiffleutenmanier mit von Pontonieren geruderten Weidlingen auf der Aare. Ferner soll eine

Jubiläumsschrift verfasst und abgegeben werden, welche das Entstehen der Gesellschaft und

ihre Entwicklung skizziert. Da sich aus den Unterlagen zu den beiden von der Gesellschaft

2013 und 2014 herausgegebenen Büchern ohne allzu grossen Aufwand eine stark verkürzte

Gesellschaftsgeschichte zusammenstellen lässt, habe ich die Aufgabe gerne übernommen.

Heinz Sommer, Bern im Februar 2017

1

Die vischer sollent by brieff und sigel blyben und zwo bettstatten im grossen Spittal besitzen. 1533:

Den Schiflüten ein platz im grossen Spittal, wie andern ein stuben oder kamer uffzerichten, nachgelassen.

1536: Schiffleuten besitzt im Grossen Spital ein Stübli; für den Kauf von Brennholz und Holz

zum Kochen stiften sie 50 Pfund.


Quellen der folgenden Zusammenfassung sind hauptsächlich Rats-, Kriegsrats- und Vennerkammermanuale,

Spruch-, Polizei-, Mandaten-, Missiven- und Rechnungsbücher, Säckelschreiberprotokolle,

sowie die Schiff- und Fisch-Verwalter Ordnungen im Staatsarchiv, auf der

Burgerbibliothek und im Staatsarchiv deponierte Tauf- und Totenrödel, die online Datenbank

«Berner Geschlechter» und Archivalien der Gesellschaft zu Schiffleuten, sowie Auszüge aus

der Sammlung Schweizerischer Rechtsquellen. Für das 19. Jh. habe ich das «Intelligenzblatt

für die Stadt Bern» und die «Adressbücher für die Stadt Bern» konsultiert (online unter www.

digibern.ch).

Freundlicherweise hat mir Herr Peter Simon auch die Geschlechtertafel der Familie Simon zur

Verfügung gestellt.

Gedruckt sind vorhanden für die Zeit vor dem 20. Jh.:

„Die Gesellschaft zu Schiffleuten“ von Stubenschreiber Karl Howald im „Berner Taschenbuch

für das Jahr 1874“ (online unter www.digibern.ch).

Eine kleine Dokumentation von Fritz Maurer zum 600-Jahrjubiläum 1942/43 u.a. mit Plänen

der Anlagen in der Matte und des ersten Gesellschaftshauses an der Gerechtigkeitsgasse.

„Die Gesellschaft zu Schiffleuten in Bern, Fischer und Schiffleute im ausgehenden Mittelalter

und in der frühen Neuzeit“ von Heinz Sommer, 2013

„Die Gesellschaft zu Schiffleuten in Bern im 17. Jahrhundert, Die Blütezeit geht zu Ende“ von

Heinz Sommer, 2014.

„Zur Flussschifffahrt im Alten Bern – Wasserwege, Schiffe und Organisation“ von Alfred Bretscher

in Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde, 1999, Heft 3 (online unter

www.digibern.ch).

In der Broschüre „Die Berner Zunft zu Schiffleuten“ hat Dr. Hans Kuhn-Simon 1968 die Gesellschaftsgeschichte

von Karl Howald eingearbeitet und fortgesetzt. Ergänzt hat er sie mit Informationen

zu den drei Gesellschaftshäusern und zu Aktivitäten und Festen der Gesellschaft.


Vor 675 Jahren wurde die Gesellschaft zu Schiffleuten in Bern erstmals

erwähnt

Am im Januar 1342 ausgestellten Stiftungsbrief für die zwei Betten im Niederen Spital hing

das Siegel von Schultheiss Johannes von Bubenberg. Das Original ging bei einem Brand im

Haus des Stadtschreibers verloren. Schiffleuten hatte aber eine Abschrift und liess diese 1463

von Schultheiss Heinrich von Bubenberg beglaubigen. Diese Urkunde, ausgefertigt von Diebold

Schilling, besitzen wir noch (Burgerbibliothek Bern Mss. h.h. 111).

Wann sich die Fischer in einer Gesellschaft zusammengeschlossen hatten, ist nicht überliefert.

Offenbar standen sie finanziell recht gut und konnten schon vor 1400 an repräsentativer Lage

beim Fischmarkt im Zentrum der Stadt ein Gesellschaftshaus erwerben (heute Gerechtigkeitsgasse

80), dies obschon viele Mitglieder näher am Arbeitsplatz, der Aare und der Schiffswerft

in der Matte, wohnten.

Bis ins erste Viertel des 15. Jh. hiess unsere Gesellschaft und ihr Haus „zu den Vischeren“. Berner

Schiffleute werden jedoch schon in Dokumenten nach 1370 erwähnt. Um diese Zeit eroberte

Bern neue Gebiete im Seeland. Damit erhielten die Berner Fischer die Möglichkeit, zusätzlich

zum Fischfang auch Transportaufträge mit ihren Schiffen zu übernehmen. Zünfte waren

in Bern seit 1294 verboten, doch duldeten die Räte Handwerkervereinigungen. Da Fischer

nicht als Handwerker, sondern als Waidleute galten, scheinen sich unsere Vorfahren den geltenden

Gesetzen angepasst zu haben, und so hiess ihre Gesellschaft ab etwa 1430 Schiffleuten.

1 Ihre Mitglieder waren als Schiffbauer tatsächlich Handwerker, verdienten aber ihren Lebensunterhalt

nach wie vor auch mit Fischfang und Fischhandel.

1

Jost Käsli, des letztgenannten Niklaus Käsli Sun hat sich verbürgt uf desselben sines Vaters Hinderhus

gelegen zwischent Lienhart Furer und der Schifflütengesellschaft. Niklaus Käsli starb kurz nach 1432.

In den Standesrechnungen heisst die Gesellschaft 1430 Vischer, 1433 Schifflüt, 1437 Vischer und

auch Schifflüt und ab 1438 nur noch Schifflüt.

1


Fischer und Schiffleute

Wie in der Einleitung erwähnt, ging unsere Gesellschaft aus der der Fischer hervor. Noch am

19. März 1697 äussern sich die Stubengesellen zu ihrer Situation: dass sie sich des fischens,

wann es nichts zu schiffen gibt, nohtwendig behelffen müssind.

Das Fischen war jedoch keineswegs immer ein Notbehelf. Die Mitglieder der Gesellschaft verdienten

mit dem Handel mit Fischen vom Thuner-, und anfänglich vom Bieler- und Murtensee,

gleich viel, wenn nicht mehr, als mit Schiffbau und Schifffahrt. Wegen des Namens

„Schiffleuten“ ging das vergessen. Karl Howald hat sich in seiner guten, 1874 publizierten Gesellschaftsgeschichte

mehr mit den Schiffleuten beschäftigt.

Für viele Berner war und blieb Fisch ein beliebtes Nahrungsmittel. Deshalb musste die Nachfrage

nach hygienisch einwandfreien Fischen befriedigt werden, und das zu einem vernünftigen

Preis. Während die Schiffleute ihr Gewerbe lange Zeit weitgehend intern regeln durften,

galten für die Fischer von Anfang an unzählige von den Räten immer wieder aufs neue erlassene

Vorschriften, die z.T. auch per Anschlag an der Kreuzgasse bekannt gemacht wurden. Da

sich die Fischer nur zu oft darüber hinwegsetzten, nahmen die Räte sie mit Marktordnungen

und Preisvorschriften immer strenger in die Pflicht. 1 Weitere Vorschriften galten dem Schutz

des Fischbestands.

1292 wird erstmals ein Wochenmarkt erwähnt, und 1380 ein Fischmarkt. 2 Er befindet sich zunächst

der Kreuzung zwischen der heutigen Kram- und Kreuzgasse.

Zwischen 1380 und 1400 kaufen die Fischer und Schiffleute das oberste Haus an der heutigen

Gerechtigkeitsgasse sonnseits an idealer Lage nahe an der Fischverkaufsbank und im Zentrum

des Markts. 3

Das Eckhaus Gerechtigkeitsgasse 80 gehörte zusammen mit

dem Hinterhaus bis 1824 der Gesellschaft zu Schiffleuten.

Im Erdgeschoss befanden sich vier vermietete Läden, einer

unter der Laube, zwei an der Kreuzgasse und einer am Rathausplatz,

im 1. Stock die Gaststube und im 2. Stock das Versammlungslokal.

Im grossen Keller standen im 18. Jh. vier

grosse Lagerfässer für 26‘000 Liter Wein.

1824 wurde das Haus dem Staat verkauft, welcher das Rathaus

abbrechen und durch einen Neubau ersetzen wollte.

Unser Haus sollte zu Gunsten eines grösseren Ratshausplatzes

abgerissen werden. 1848 verkaufte es der Kanton für

30‘000 Franken dem Uhrenmacher Perrin aus Tramelan.

1

2

3

1210: Berns älteste Marktpolizeiverordnung: der Verkauf fauler Fische wird bestraft und führt zur

Einstellung des Verkaufsrechts für bestimmte Zeit. 1357: Verbot des Zwischenhandels. In einem

Umkreis von einer Wegstunde um die Stadt darf man keine Lebensmittel auf Gewinn kaufen. Bauern

haben Lebensmittel, und Fischer die Fische selber auf den Markt zu bringen.

die strasse nid dem vischmerits ze erfüllene mit steinen (pflästern).

1389 wohnten in den untersten Häusern auf der Sonn- und Schattseite der Kramgasse beim Fischmarkt

die Fischer Ulrich Holi, Heinz Nägeli, Heini Thuni, Johann Gross und Hans und Heinz Ebinger.

Sie hatten sicher Kontakt mit dem Venner Niclaus von Gisenstein, dem Besitzer des Hauses, der

1390 an die Neuengasse umzog.

2


a) Das Meiending

Massnahmen zur Schonung des Fischbestands und zur Herstellung von gleichen Bedingungen

für alle, besprachen die Fischer an Tagungen im Mai. Ein erster Bericht über eine solche Tagung

stammt aus dem Jahr 1397. Fischer aus einer Reihe von eidg. Orten trafen sich in Baden.

Bern war nicht beteiligt. Ihre Beschlüsse liessen sich die Fischer als „Meyending“ von ihren

Obrigkeiten bestätigen und für verbindlich erklären. Bern übernahm sie 1427. Bern, Freiburg

und Solothurn revidierten 1510 1 und 1524 das Meyending für ihre Gewässer gemeinsam. Es

enthält Vorschriften zu erlaubten und verbotenen Geräten und Praktiken, bestimmt Grösse

und Maschenweite der Netze, legt Midestfangmasse für Fische und Schonzeiten fest. Das

„dreiörtige“ Meyending blieb, 1546 und 1548 noch einmal revidiert, für die fliessenden Gewässer

gültig. 1673 wurde es unverändert zum öffentlichen Anschlag gedruckt und blieb bis

am Ende des Alten Bern in Kraft. Die Fischer kümmerten sich wenig darum. 2

b) Fischmarktordnungen

Das Fischen in öffentlichen Gewässern mit der Angel und zum „Hausgebrauch“ war jedermann

erlaubt. Fischer indessen hatten sich an Regeln zu halten. Es galt der Grundsatz „Berner

Fische nur für Berner“, und jeder Fischer musste, was er gefangen hatte, persönlich an den

Fischmärkten verkaufen. Aus diesem Grund hatte auch jeder von ihnen, gleichgültig woher,

Zutritt zum Berner Fischmarkt. Bedingung war, ausnahmslos alles selbst feilzubieten und keinem

Kollegen Fische ab- oder weiterzuverkaufen. Zur Kontrolle setzte Bern 1423 vier Fischschauer

oder Fischschätzer ein. Sie prüfen vor der Freigabe zum Verkauf, ob die angebotenen

Fische geniessbar sind, und „schätzen“, ob sie den Preis wert sind, den der Fischer verlangt.

Der Markt in Bern wurde hauptsächlich aus dem Oberland und aus dem Bieler- und Murtensee

mit Fischen versorgt. Während aus dem Seeland Fischträger mit Körben und Hutten nach

Bern kamen, 3 übernahmen Berner Schiffleute den Transport aus Interlaken und Thun. Die

Berner Schiffleute und Fischer hatten die Bewilligung, an den Seen mit einem Partner, einem

„gmeinder“, zusammenzuarbeiten, dem sie die Fische abkauften.

Ihre Pflichten regelte der Rat erstmals 1441 in einer Marktordnung für die Fischköiffer und

Fischverköiffer (Fischhändler), die er bis 1491 sechsmal revidierte. Die Fischhändler haben für

ein genügendes Angebot an frischen und gesunden Fischen zu sorgen. Für alle gelten die gleichen

Bedingungen, so dass der Wettbewerb bezüglich Preis und Qualität spielt. Alle lebenden

und toten Fische, die sie gekauft haben, sind gesamthaft so rasch wie möglich auf den Markt

zu bringen. Teile davon zum späteren Verkauf in Scheunen vor der Stadt zurückzulassen oder

an Auswärtige zu verkaufen, ist ihnen untersagt. Tote Fische, die sie noch am Abend bringen,

sollen sie nur noch während des folgenden Tages zum Kauf anbieten. Darauf sind sind sie zu

vereidigen.

Übernehmen Frauen anstatt der Fischer den Verkauf, werden sie gebüsst. Die Busse fällt an

den Münsterbau. Unverkaufte tote Fische dürfen die Händler einsalzen (konservieren), wenn

sie noch gut sind, und die vischschouwer es erlauben.

1

2

3

Jacob von Fahrni vom Kleinen und Benedict Jossi und Hans Halbsatter vom Grossen Rat vertreten

unsere Gesellschaft.

1605: Zedel an die Gsellschafft zun Schifflüten sy dardurch zu haltung des Meiengedings ouch vermanen.

1523: den vacher von Nydouw, so er mit den fornen harfert, zu Arberg und an der Nüwenbrugg zolls

fry halten. Zur Landvogtei Nidau gehörte ein grosses Fischfach in der Zihl. Damit die Fische auf dem

langen Transport nicht verdarben, mussten sie die Fischer vorher „braten“ oder zumindest ausnehmen.

3


Untersagt ist den Stubengesellen jeder Zwischenhandel untereinander, wie auch auswärtige

Fischer zu hindern, in Bern Fische zu verkaufen. 1 Darauf werden sie 1470 vereidigt. Dis Ordnung

habent dis nachgenempten alle gesworn: Item Anthoni Tschillart, Heintzman Closs, Rotenbül,

Wider von Thun, Hennslin Marti von Thun, Frantz von Murten, Welty Schregel, Hennsli

Herman von Oberhoffen, der jung, Cristan Hamerli von Oberhoffen, Hanns Späting, Jost von

Bechi (Hünibach), Heintzman Riso.

Tschillart, Closs, Rotenbül, Schregel, Späting und Riso waren Stubengesellen bei Schiffleuten.

Die andern sind ihre „gmeinder“ an den Seen. Heintzman Closs brach den Eid. Er musste 1472

schwören, sin leptag us auf jeglichen Handel mit Fischen zu verzichten und wurde dazu verdonnert,

beim Bischof in Lausanne um Absolution für den Eidbruch zu bitten. Closs unternimmt

statt dessen eine Pilgerfahrt nach Rom und legt im Januar 1473 seine Absolution vor.

Es steht ihm darauf frei, wieder als Fischhändler zu arbeiten.

Für die Versorgung des Markts mit Zuchtfischen übernahm Bern im letzten Viertel des 15. Jh.

einige Weiher von den Klöstern und liess am Gäbelbach bei Rosshäusern und Bottigen neue

erstellen. Die andern befanden sich in Köniz, Münchenbuchsee, Beitenwil bei Worb, Landshut,

Signau, Thunstetten und in Fulenbach an der Grenze zu Solothurn. 2

1527 setzte der Rat den Stubengesellen Mathias Verr als Weihermeister ein. Er hatte für den

baulichen Unterhalt der Weiher zu sorgen und mit seinen Kollegen das periodische Ausfischen,

den Transport und den Verkauf der Fische zu organisieren. Bis 1605 hatte immer ein

Mitglied der Gesellschaft dieses Amt, welches eine Zeitlang mit dem des Schwellenmeisters

zusammengelegt war. Mit der Zeit stimmten Aufwand und Ertrag nicht mehr, so dass man die

Weiher verkaufte oder eingehen liess. Das Weihermeisteramt verschwand.

Die revidierte Marktordnung von 1491 schreibt vor, dass Fisch, der während einer bestimmten

recht kurzen Zeit keinen Abnehmer gefunden hat, nicht mehr verkauft werden darf. Auch

das Einsalzen ist verboten; die Fischschauer haben vielmehr, was übrig geblieben ist, an die

Spitäler zu verteilen. Die Absicht, zur Schonung des Fischbestands ein Überangebot zu bestrafen,

ist klar. Für Felchen gelten fixe Preise.

Unsere Fischkäufer hatten zwei Einwände: gegen das Einziehen nicht verkaufter Fische und

gegen das Verbot des Einsalzens. Zum Zweiten bemerkten sie, das wer unser verderbnus, da

es vorkomme, dass man einen ganzen huffen facht, die müssen wir von den Fischern übernehmen;

söllten wir semlich fisch nüt zu nutz ziehen, wer uns zu schwer.

Die Tellbücher (Steuerregister über das Vermögen) von 1389 und 1448, 1458 und 1494 zeigen,

dass unsere Fischer und Fischhändler viel verdient haben. Erstaunt stellt man fest, dass

Schiffleuten bezogen auf das Durchschnittsvermögen knapp hinter Pfistern an erster Stelle

der reinen Handwerkergesellschaften rangiert. Der Kleinrat Sefrit Ringolt hat 1389 das für die

damalige Zeit enorme Vermögen von 4‘000 Pfund. Er ermöglichte vermutlich den Kauf des

Gesellschaftshauses. Die Vermögen der andern vier Kleinräte belaufen sich für Johannes Ross

1448 auf 5‘200, für Heini Zimmermann 1458 auf 1‘755, für Bendicht Sporer 1494 auf 1‘100

und für Jacob von Fahrni auf 400 Pfund.

1

2

1470: haben Mh. der vischeren halb geraten, das die, so in der Statt gesessen sind, sweren söllend,

ouch für sich und ihr husgsind das sweren, und mit niemand dehein teill, noch gmeind haben, und

ouch die visch nienendt anders wahin vertigen.

Der Weiher gehörte anfänglich Diebold Schilling und einem Partner. Da Schilling mit Fisch handelte,

nimmt man an, er sei nicht nur bei Distelzwang, sondern auch bei Schiffleuten zünftig gewesen, was

damals erlaubt war. Dass seine Witwe die Gesellschaft in ihrem Testament mit einem Legat bedachte,

könnte die Annahme bestätigen.

4


1500 bestimmt der Rat den Ankaufspreis für Felchen vom Thunersee, und wieviel die Fischverkäufer

dafür in Bern verlangen dürfen. Die Marge beträgt für tote Fische 3 und für lebende

2 Pfennig; und sol ein buss, 5 Pfund, daruff gesetzt werden.

1523 setzen Schultheiss und Rat und die sächzig burger 1 die Verkaufspreise für lebende und

tote Fische neu fest. Grosse Fische wie Hechte und Forellen sind neu nicht mehr per Stück,

sondern nach Gewicht zu verkaufen. Dazu beschafft die Stadt Waagen für die Fischbank. Der

Chronist Anshelm meint dazu, dass eine vast gute nutzliche vischerordnung gemacht, und

dass man die gewichtigen visch bi der gewicht sollte verkoufen; aber die vischer wurden bald

der ordnung meister. 2

Die Liste nennt Preise für Hechte, Trischen, Karpfen, Schleien, Brachsmen, Hasel, Forellen,

Aeschen, Alant, Nasen, Aale, Groppen, Egli, Balchen und Felchen.

c) See- und Fischerordnungen

Die Bevölkerung und die Fischer hatten gehofft, mit der Reformation würde das Fischereiregal

der Grundherren insbesondere des Klosters Interlaken hinfällig. Bern zog jedoch sämtliche Fischereirechte

des Klosters am Brienzer- und am oberen Thunersee an sich. Dazu gehörte ein

grosses Fischfach in der Aare, in dem sich leicht grosse Mengen an Felchen fangen liessen. 3

Hatten vorher alle dazu fähigen Stubengesellen von Schiffleuten am Fischhandel verdient, bestimmte

nun der Rat noch einen oder zwei von ihnen zu obrigkeitlichen Fischkäufern und

zwar für das Oberland und den Bielersee. 4

Er schickte 1533 Pauli Späting nach Interlaken und verpflichtete ihn, alle Fische, die nicht für

die einheimische Bevölkerung oder im Spitalbetrieb des Klosters nötig waren, nach Bern zu

liefern. Zu Fischkäufern und -verkäufern bestimmte er 1535 die beiden Berner Schiffleute

Hans Wolf und Tschan Vischer, den kurz darauf Vinzenz Späting, der Bruder von Pauli ablöste.

5 Sie kauften Felchen, Forellen und Trischen dem Landvogt ab und verkauften sie in Bern.

Was die Fischer am obern Thunersee anzubieten hatten, mussten sie ebenfalls den Fischkäufern

abliefern. 6 Bis 1645 kamen eine ganze Reihe von Schiffleuten/Fischern in den Genuss

dieses Privilegs. Felchen, am Fach oder mit dem Zuggarn lebend gefangen, nannte man Zugfische,

mit dem Schwebnetz tot gefangen Schwäb- oder Schwirrfische. Unsere Stubengesellen

teilten lebende und tote Felchen unter sich auf. 7

Nach der Übernahme von Interlaken regelte der Rat die Fischerei an den Seen in eigener

1

2

3

4

5

6

7

Die Sechzig sind in der Regel die erste Instanz, die gegen Beschlüsse des Kleinen Rats angerufen werden

kann. Vermutlich waren die Fischer mit dem Kleinen Rat nicht einverstanden.

Bloesch E., Die Berner Chronik des Valerius Anshelm, 6 Bände, Bern 1884-1901, Bd 5 S. 73

am 24. Juli 1531 sind beim ersten Zug am Morgen 2354 Alböcke (Felchen) gezogen, am selben Tag

im Korb (Fischfach) noch 2103. Der Landvogt von Interlaken schickt davon rouw und braten dem

Seckelmeister, um sie Schultheiss, Vennern und Räten zu verteilen. Anshelm Bd 6 S. 136

Zedel an Hr Wyerman und Hn Späting, dass sy Khunrad Kipffer und den fischer von Lüschertz für sich

bescheiden und den Kipffer alles ernsts vermanen, diewyl er den allpöck Zug und ander gnoss habe,

sölle er dem fischer die hecht ouch abnemmen und alhar in die stadt schaffen und bringen.

1538: Späting und Wolff die alböck gelichen; verbürgen; zug- und schwäbfisch z‘krützern gen. Rechtlich

erhielten sie gegen eine Abgabe ein Lehen und mussten Bürgen stellen.

An Schultheiss von Thun. Mit den vischern verschaffen, Schärruss die schwäb und schwirvisch verkhouffend,

sunst niemands.

Heini Schärruss den Schwäb- und Schwirvischzug zu Inderlappen ein Jar lang, wie von alter har, gelichen,

so ver er khein ander zug visch füre. Vogt von Inderlappen verschaffen, das die da oben von

den Zugvischen gesündert werden.

5


Kompetenz. Das Meiending bleibt für die Fliessgewässer in Kraft. Er erlässt eine Seeordnung

und bestimmt Aufseher. Diese, meist selbst Fischer, hatten grosse Mühe, Missbräuche ihrer

Kollegen zu verhindern. Eine erste Ordnung aus dem Jahr 1537 musste 1547, 1569, 1586,

1592, 1596, 1617, 1647 erneuert bzw. verschärft werden. Unzählige Ermahnungen an die Aufseher

und Fischer belegen, dass die Behörden ständig mit den Fischern kämpften, welche sich

nicht an die Vorschriften halten wollten.

Zwei Beispiele von vielen zeigen, dass auch die Fischer von Schiffleuten keine Unschuldslämmer

waren, obschon gerade sie das Recht und die Pflicht hatten, Missbräuche von auswärtigen

Fischern anzuzeigen. 1617 liest man: gibt es genügend Felchen, rennen die Berner Schiffer

und andere Schlaumeier von Thun nach Scherzligen, kaufen den Seefischern heimlich Alböck,

Spitzling, Buchfisch 1 und andere Fisch ab, tragen sie in Körben usserthalb der Stadt den

graben ab in ire Schiff oder weidling, die sy uff sölich end underthalb der Stadt in der Aaren

anbinden, ferggen sie darnach heimlicher verborgener weiss das wasser ab und verkaufen sie

an andern Orten.

Donstag künfftig (4. August 1619) söllindt die Fischer allhie zum ofen gestelt, inen ire unordnung

fürgehalten und dennach verners beratschlagt werden. In der Stube des Kleinen Rats

stand ein grüner Ofen. Thun, das er sich erkundige, wie thür die fischer allhie die Allböck und

ander Fisch daoben kouffind, und m Gnaden dessen berichten und sonderlich ouch dessen, uss

was ursache man die spitzfisch fache, die aber verpotten.

Weil sie sich zum Nachteil der Burgerschaft nicht an die vorgegebenen Preise halten, droht

der Rat allen mit dem Entzug des Felchenhandels und befiehlt dem Schultheissen in Thun, sie

nicht mehr in den See hinauf fahren zu lassen. Nur den beeidigten Fischkäufern Daniel Schärer

und Vinzenz Linder ist das noch erlaubt. Die Drohungen nützen wenig. Wenn die Fischschätzer

an der Fischbank erscheinen, halten sich die Fischer an die geltenden Preise. So bal

sie Ihnen aber den rucken kerind, verkaufen sie Felchen und Forellen der Burgerschaft wieder

teurer, und meistentheils anderer orth als am fischbank, sonderlich uff gsellschafften und in

die wirtshüser und tragen sie in Secken verborgen in die Statt.

Bern regelt 1644 die Verwaltung der Landvogtei Interlaken neu. Der Erlös aus Fischen fliesst in

die Kasse des Landvogts. Hans Schneider, der letzte der Berner Fischkäufer, wird entlassen.

Der Landvogt überlässt die Fischereirechte einem Pächter, der viele Fische zum Nachteil der

hiesigen Burgerschaft über die Gemmi ins Wallis, ins Simmental oder nach Freiburg verkauft,

statt sie nach Bern führen zu lassen.

Um diese Zeit war der See schon derart ausgefischt, 2 dass der Landvogt die den Räten zustehenden

ordinary Fisch, auf Martini Felchen oder Forellen und auf Fastnacht Trischen, nicht

mehr immer auftreiben konnte. Der Rat verbietet dem Landvogt, die Fischerei zu verpachten

und befiehlt einen redlichen Fischer anzustellen und zu bezahlen. Der soll bevorderist alle

schuldige und von alter har gewöhnte Ordinaria austeilen, die übrigen stuck dann allhie am

fischbank zu gutem der burgerschaft verkaufen und hiemit alles gremplen („händelen“) und

verthüren gentzlich underlassen. Die Fischer sollen die Ordnung einhalten.

Trotzdem werden Forellen zu jederzeit, wan schon selbige verpotten, gfangen. Stadtberner

und auswärtige Fischer verkaufen sie an der Fischbank nach jedessin gefallen, ohne billiche

schatzung, in hochem Preiss. Wegen der Überfischung kommen vermehrt nur noch unausge-

1

2

Albock = Felche; die andern sind noch nicht ausgewachsene Felchen

1635 gehen aus Interlaken rund 13'000 Felchen nach Bern, 1641:7‘000, 1642:30‘000, 1643:27‘000,

1644 nach der Neuregelung in Interlaken 2‘000 Stück.

6


wachsene Felchen auf den Berner Fischmarkt. Die Fischer brauchen Netze mit zu engen Maschen.

Der Schultheiss in Thun meint dazu, dass solche hinabsendung mir unbewüsst beschechen,

wie es dann der fürköuferer gibt, welche selbst zuo den Fischer häuseren gangend und

die fisch nit alle Zeit uff dem Wasser, sondern uff dem Land in hutten weggferggend.

Es scheint, dass unsere Fischer am Handel mit Felchen, Forellen und Trischen aus dem Oberland

nur noch am Rand beteiligt waren. Sie behalfen sich mit dem Fang von Lachsen und Forellen

in der Aare. Die vielen Lachse verkauften sie jedoch nicht an der Fischbank, sondern bei

Wirtschaften und Privathäusern und viel zu teuer. Wenn die Fischschätzer das feststellen, ist

Konfiskation die Folge. N.B. konfiszierte Fische verteilte man in der Regel an die Ratsherren !

Anton Gruber, der Schwellenmeister wurde 1663 erwischt und mit 24-stündiger Haft bestraft.

1664 wandte sich der Rat an die Herren Fürgesetzten einer Ehrenden Gesellschaft zun Schiffleüten.

Sie sollen ihren Stubengesellen einschärfen, das Verbot, Forellen während der Schonzeit

zu fangen, zu beachten, damit das sunst Fischryche Wasser, die Ahren, nit gäntzlichen,

sunderlich der Fornen halber, erödet, Sundern bim Samen erhalten werde.

1670 berichten Schwellenmeister Hans Rudolf Schneider und Consorten, dass zu ihrem eigenen

und der Gnädigen Herren Nachteil in der Aare nichts mehr zu fangen sei. Es gebe z.B.

mutwillige Gesellen und Künstler, die mit vergifften Pillulen Fisch fachend, darmit sy die Fisch

erödent, sunders auch den Samen verderbent und die Wasser vergifftend, dass Jahr und Tag

die Fisch an solchen Orten nicht leichend. Sie machen untertänigst auf die der Gesellschaft

übertragene Kompetenz aufmerksam, verbotene Praktiken zu unterbinden.

Der Rat nahm sie beim Wort. Er wählte an Ostern 1670 den Inselschirurgen Abraham Andres

zum Fischschätzer. Als Sechzehner 1 und jüngster der drei noch im Grossen Rat vertretenen

Schiffleute war er vermutlich Obmann der Gesellschaft. Andres erhält den Befehl, die Fischer

im Oberland, an der Aare bis Büren und an der Zihl bis Nidau aufzusuchen und die festgestellten

Missbräuche zu melden. Nach seinem ersten Bericht erteilte ihm der Rat die Kompetenz,

den Fischern nicht vorschriftsgemässe Netze wegzunehmen und die Fische zu konfiszieren.

In einem nächsten Schritt legt der Grosse Rat 1672 neue Höchstpreise für alle gängigen Fischarten

fest, und macht bekannt, das Meyending von 1548 bleibe weiter gültig. Trotzdem werden

nur wenige, kleine und teure Fische auf den Markt gebracht, und die Fischer verkaufen vil

Fisch nach Fryburg und anderstwohin.

Darauf publiziert Bern 1673 eine Erfrisch- und verbesserung der fischer-ordnungen ufem Thuner-

und Brienzersee, wie auch in der Aren. Um den schädlichen Zwischenhandel zu unterbinden,

wird zur Versorgung der Märkte in Thun und Bern an beiden Orten ein vermüglicher

Fischverwalter bestimmt. 2 Kauf und Weiterverkauf aller Fische aus dem Oberland ist nur ihnen

erlaubt. Sie haben die Fischer bar zu bezahlen und die verordneten Preise einzuhalten.

Der Verwalter in Thun schickt, was er übernimmt, möglichst rasch seinem Kollegen in Bern.

Dieser übergibt sie zum Verkauf gegen Barzahlung dem Obmann von Schiffleuten. 3 Der Verkaufspreis

ist bei allen Fischarten in Bern etwas höher. In Thun soll z.B. ein Pfund Forellen 1½

Batzen und in Bern 2 Batzen kosten. Die Differenz ist die Entschädigung für die Bemühungen

1

2

3

Gemeinsam mit dem Kleinen Rat schlugen 16 von den Vennern aus den Gesellschaften bestimmte

Grossräte vor den Wahlen in den Grossen Rat die Kandidaten vor. War eine Gesellschaft nicht im

Kleinen Rat vertreten, musste in der Regel ihr Sechzehner die Stelle des Obmanns übernehmen.

vermüglich: sie müssen über das nötige Geld verfügen, um die Fischer vorschussweise zu bezahlen.

In den ersten Jahrzehnten hatte der Rat den Fischkäufern Vorschüsse gewähren müssen.

Der Chirurg Niklaus Tscheer, er ist der erste namentlich bekannte Präsident von Schiffleuten. Er verrechnete

sich bei diesem Geschäft und stürzte sich in Schulden.

7


der Verwalter und der Stubengesellen, welche die Fische auf dem Markt verkaufen. Wenig im

Vergleich zum einst einträglichen Geschäft.

Getadelt wird das Verhalten der sogenanten fischweiberen zu Bern, welche daselbst den fischverkouf

treibend. Sie nehmen sich das Recht heraus, andere, die Fisch zum Verkauf bringen,

daran zu hindern. Also soll denselben diser also missbrauchte fischg‘werb abgestrickt sein. 1

Die Ordnung bestimmt Schonzeiten, Mindestfangmasse und die Maschengrösse der Netze.

Der Fang von nicht ausgewachsenen Felchen (Buchfische, Juchfische, Spitzling) ist bei 50

Pfund Busse verboten.

Damit die Fische nicht in Thun liegen bleiben und verderben, befiehlt der Rat 1677 den Fischern

alle Leb- und andere Fisch dem hierzu bestelten Hans Ullrich Studer zu Thun alle Montag,

Mittwuchen und Sambstag 2 zu rechter Zeit und, so weit müglich, vor Mittag in dem preiss

des abermahls in Druck verfertigeten Tax zeübergeben, by 10 Pfunden buss von jedem, so

darwider handlen und die Fisch anderstwohin verkaufen wurde. Die Massnahme schützt den

Fischbestand, weil es sich nicht mehr lohnt jeden Tag Netze zu setzen.

Und soll vorgemelter Studer die Fisch unausgelesen, ouch mit bestmüglicher Manier und ordnung

nach Bern schicken, damit selbige dem allhier bestelten früsch und gut übergeben und

eingezelt werdint.

Weil im Sommer die Menge der nach Bern gelieferten Felchen oft grösser war als die Nachfrage,

ordnete der Rat 1679 an, dass am Montag mehr nit als 300, am Mitwochen 400 und am

Sambstag 800 nach Bern geschickt werdindt. Der Schultheiss in Thun soll Weiher zum Aufbehalten

von Lebfischen erstellen lassen und Flossschiffe beschaffen. 3 In Interlaken und an der

Matte sind dafür Fischkästen vorhanden.

1693 revidiert Bern die Fischertax und die Fischerordnung noch einmal, neu „Allgemeine Fischerordnung“,

weil sie auch für die Aare und den Bielersee gilt. Für die Abwicklung des Kaufs

und Verkaufs der Fische aus dem Oberland sind allein die beiden Fischverwalter zuständig.

Die Fassung wird 1765 leicht präzisiert und bleibt bis zum Untergang des Alten Bern gültig.

Säger - «Schiffmacher» - Schiffmänner - Transportunternehmer

Aus der Gesellschaft der Fischer ging am Ende des 14. Jh. die Gesellschaft der Fischer und

Schiffleute hervor. Viele Mitglieder waren beides.

Bis zum landesweiten Ausbau des Strassennetzes im 18. und des Eisenbahnnetzes im 19. Jh.

wurden Flusssysteme als schnelle und rentable Verkehrswege rege genutzt. Auf der Aare

blühte einst vom Brienzersee bis zur Mündung in den Rhein ein gewerbsmässiger Transport

von Gütern und Personen.

Zur Zeit der Gründung der Stadt Bern gab es nur zwei Brücken über die Aare, eine in Thun und

eine in Bargenbrück/Aarberg. Überall sonst musste man zum Überqueren Fährschiffe benützen.

Auch in Bern, wo vermutlich eine Fähre den Personen- und Warenverkehr an der Nydeck

besorgte, bis 1256 die hölzerne Untertorbrücke sie ablöste. Unterhalb Bern befanden sich um

1300 drei Fähren. Die in Gümmenen über die Saane wird 1288 erstmals erwähnt, die bei

Bremgarten 1306, und die dritte in Unterdettigen wegen eines schweren Unfalls 1311. Sie

gehörte als Lehen der Familie Bubenberg. Der Chronist Konrad Justinger berichtet, am 29. Juni

1

2

3

Dieses Verbot steht schon in der Fischmarktordnung von 1459.

Die Fahrtage der Schiffe von Thun nach Bern

Flossschiff: kleiner, schiffsähnlicher schwimmfähiger Kasten mit Löchern, den man Schiffen oder

Flössen anhängt. Durch die Löcher strömt für die Lebfische beim Fahren immer frisches Wasser.

8


1311 hätten 72 Personen auf dem Weg

zum Markt in Bern die Unterdettiger Fähre

benützt. Bei der Überfahrt zerbrach

das überladene Schiff, und alle Passagiere

ertranken. 1

Fährunglück bei Dettigen. Spiezer Schillingchronik

(Burgerbibliothek Bern Mss.h.h. I 16 S.

151)

Wenn Justinger nicht übertreibt, benützte

man schon grosse Schiffe. Weil die Berner

Matte mit Sägen, Gewerbebetrieben und

Mühlen auch den Bubenberg gehörte,

nehme ich an, dass dort ihre Dienstleute die Schiffe bauten. Die Fähren in Bremgarten und

Dettigen wurden nach dem Bau der Neubrücke 1466 aufgehoben.

Flössen zum Holztransport lud man zusätzlich schweres Material wie Bausteine und Ziegel

auf. Der Basler Zolltarif von 1365 nennt schon solche aus Thun und Bern.

Die älteste Darstellung Berns zeigt Flösse an der Matte (Spiezer

Schilling 1465, Burgerbibliothek Bern Mss.h.h. I 16 S. 39)

Die Existenz von Schiffleuten in der Stadt Bern ist erstmals 1375 schriftlich dokumentiert.

Zeugnisse, dass Schiffe aus dem Oberland nach Bern verkehrten sind viel älter. Bereits 1271

erwähnt eine Urkunde aus Interlaken naves mercimoniales, Warenschiffe. 1323 befreien Bern

und Thun die Mönche des Klosters Interlaken von Zoll und Abgaben von allen Fuhrungen. Für

diese stand bestimmt der Wasserweg im Vordergrund.

In der Zeit des Laupenkriegs sperrte der Adel im Seeland Bern die Zufuhr von Lebensmitteln.

Von Spiez aus traten die Bubenberg in die Bresche. 2 Ihre Schiffleute versorgten Bern. Nach

dem Laupenkrieg vermittelte Freiburg 1341 zwischen Thun und Bern über die Schifffahrt: Wir

sprechen och und sagen us, daz alle die ze Thune in der stat seshaft sint, süllent dez ungeltez

1

2

Darnach do man zalt MCCCXI jar, an sant peter und paulstag, so da war zinstag, wolten die lüte ab

dem Frienisberg faren gen bern ze märit, und do si kamend gen Tettingen in das schiff, do brach das

schiff und ertrunkend LXXII mönschen. G. Studer, Die Berner Chronik des Conrad Justinger, 1871, S.

44

Sie hatten 1338 die Herrschaft Spiez von den verarmten Freiherren von Strättligen gekauft.

9


ze Berne ledig sin, 1 und süllent daz nit gelten (bezahlen). Wir sagen och us und sprechen, daz

die von Bern mit ir schiffen, kleinen und grossen, varen mügend untz an Uttingers hus, und

süllent och weg und steg haben dur Thune, als sie hatten, do si mit frid mit ein andren waren

vor dem urlig (Krieg, Streit). Die Schiffer der Bubenberg konnten wie früher zwischen Spiez

und Bern hin und her reisen. 2

1360 kaufte Bern die Besitzungen der Familie Bubenberg in der Matte mit Sägewerken und

Mühlen und dem Uferstreifen um die Halbinsel hinunter bis zum heutigen Aarhof. Das flache

Ufer eignete sich gut zum Be- und Entladen von Schiffen. Bald nach der Übernahme der mit

Wasser betriebenen drei Sägen 3 entwickelte sich ein reger Schiffbau.

Nach dem Erwerb Aarbergs und der Eroberung Nidaus und Bürens fahren die Berner weiter

Aare abwärts. Der Bedarf an Schiffen nimmt zu. Auf der Werft entstehen zwischen 1375 und

1384 bereits 168 Schiffe, davon 20 für auswärtige Interessenten in Freiburg i. Ue., Nidau, Büren,

Solothurn, Aarau, Klingnau, Schaffhausen und Hagenau im Elsass. Namen von in Bern tätigen

Schiffmachern sind ab 1375 belegt.

In der Standesrechnung für 1376 steht erstmals die Bezeichnung „Schiffleute“: item dien

schiflüte umb brot hies der weibel 5 Schilling (geben). 4

Sie führen mit Schiffen den Hausrat des Landvogts und auf Flössen Bretter und Schindeln nach

Aarberg, 5 Soldaten und Kriegsmaterial von Bremgarten nach Büren.

Im Burgdorferkrieg (gegen Kyburg) setzt Bern 1383 Flösse ein. Der Bauherr Peter Balmer lässt

durch drei Schiffleute und Säger an der Aare in Dettigen drei Flösse bauen, um Soldaten nach

Solothurn zu bringen. Dazu kamen zwei Schifflein, welche mitgezogen wurden. Aus Solothurn

liess man die Flösse zur Brücke in Olten treiben, um sie zu zerstören. 6

1376 erwähnt die Berner Standesrechnung den Säger und Schiffmann Rudi Flösser (!). Mit

Schiffbau und Transporten beschäftigt, war er auch verantwortlich für die Überwachung und

den Unterhalt der grossen Aareschwelle in der Matte. Je nach Wasserstand hatte er mehr

oder weniger Wasser abfliessen zu lassen, damit die Wasserräder der Mühlen und Sägen laufen,

und die Fische ziehen konnten. Rudi Flösser ist der erste namentlich erwähnte Schwel-

1

2

3

4

5

6

Ungeld, Ohmgeld: Steuer auf Wein

Urkunden erwähnen 1356 und 1360 Johanse die schifmann gebrüdere, johans den schifmann den

jüngeren als Zeugen in Aeschi; Siegel von Bubenberg.

1405: Matte: dry sagen: hat kilchberg die ersten, Steiner die andren, Hensli von farni die dritten

Staatsarchiv Standesrechnungen 1375/76 B VII 446 b und c; auf der gleichen Seite ebenfalls: Dien zimerlüten

und schifknechten gen Aarberg 1 Pfund 2½ Schilling.

Michel Syber und dem Meder umbe einen flos gen Arberg ze füren mit dien laden. Rudin Flösser um

schindlen gen Arberg.

Studer G., Die Berner Chronik des Conrad Justinger, 1381: do zugent die von bern umb mitten summer

für Olten und floszten die bruggen weg. 1288 soll schon Rudolf von Habsburg bei der Belagerung

Berns zu diesem Mittel gegriffen haben, um die Untertorbrücke zu zerstören. (Chronica de

Berno)

10


lenmeister. Dieses Amt übertrug der Rat bis 1825,

als der zweitletzte bei Schiffleuten zünftige Schiffmann

starb, immer einem unserer Stubengesellen.

a) Säger, Flösser und Schiffmacher

Die Aareschwelle um 1483, amtliche Chronik von Diebold

Schilling (Burgerbibliothek Mss.H.H.I.1. S. 31)

Fuhren die Schiffleute weit Aare abwärts, verkauften

sie die Schiffe am Ausladeort und machten sich

zu Fuss auf den Heimweg, um das mühsame flussaufwärts

Ziehen zu vermeiden. Die „Abführschiffe“

ersetzten sie durch neue.

Unsere Stubengesellen lernten in einer drei- bis vierjährigen Lehre nicht nur das Steuern der

Schiffe und Flösse, sondern auch das Bedienen der Sägewerke und den Bau von Schiffen und

Flössen. Wenn sie die Lehre abgeschlossen und einige Jahre als Schiffsknechte gearbeitet

hatten, nahm sie die Gesellschaft als Meister auf.

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Die Matte auf dem Sickingerplan von 1603-07. 11: obere Ländte und Holzlagerplatz 12: Schwelle 13: Rechen

14: Stadtmühle 15: die drei Sägewerke 16: untere Ländte 17: Schiffbauscherme. (Staatsarchiv AA IV

1650)

Die Sägewerke an der Matte waren lange die einzigen in einem grossen Umkreis und die

Pächter hatten praktisch ein einträgliches Monopol für das Zurüsten von Bauholz. Die «Ordnungen

der Sageren und Schifflüten» fixieren die Löhne, welche für die einzelnen Arbeiten

verlangt werden dürfen. Eine alte Ordnung wird 1540 ersetzt; zwei weitere folgen 1585 und

11


1609. 1 Nach der mehrfach vorkommenden Wendung sager oder schifflüt machten Säger

Schiffe, und Schiffmacher waren Säger.

In jede der drei Sägen sollen sich höchstens zwei Meister teilen. Je sechs Stubengesellen sind

bis gegen Ende des 17. Jh. dort an der Arbeit. 1698 sind es nur noch zwei auf der untersten

Säge, welche als die schlechteste galt. 1731 tritt die Gesellschaft zu Schiffleuten an ihre Stelle

und übernimmt auch ihre «Landeren», die Anlegestellen.

Anfänglich holten die Schiffleute speziell gewachsenes Holz für die Schiffe noch aus dem

Bremgartenwald. Als dort das Geeignete nicht mehr zu finden war, mussten sie es in den Wäldern

nördlich von Thun oder am Gurnigel beschaffen.

Aus dem Oberland herabgeflösste Stämme zogen die Säger aus dem Wasser, rollten sie dann

zu den Sägen und bezogen dafür den „Trölerlohn“. Stämme aus dem Grauholz, dem Bremgarten-

und Könizbergwald banden sie in Worblaufen zu Flössen und fuhren Aare abwärts. Die

Stadt bezahlte dafür viele Arbeitstage. Dem schwelimeister von den neunzechen flössen gan

Arberg zemachen, hatt 84 tag für jeden 6 Schilling; und von den flössen gan Arberg zefüren

von jedem 2 Pfund. 2 Die neun flöss gan Arberg zefüren hatt der schwellimeister sampt den

knechten 25 tag für jeden 6 Schilling. Dem Schwellimeister Gilg Schärrer, umb das er zu Worblauffen

min Gnädiger Herren flöss gemacht hatt selbs achtett 2 tag zum Tag jedem 8 Schilling.

Geschnittenes Holz nahmen sie auf den Flössen mit oder brachten es per Schiff ins Waadtland

und gelegentlich sogar nach Thun hinauf.

In der Lehre lernten die angehenden Schiffmacher die für Schiffe geeigneten Tannen, oder

seltener Eichen, auszuwählen. Dafür waren sie häufig in den Wäldern im Oberland unterwegs.

Die Spanten richteten sie mit der Axt zu und bogen über dem Feuer die mit der Axt geglätteten

Planken. Zum Abdichten der Fugen beschafften sie Moos und Schnüre.

Für ein Schiff war viel Holz nötig: für Bretter 40-60 cm dicke etwa 10-15 Meter lange Tannenstämme,

dazu je nach Schiffstyp für die Spanten, an denen man die Planken befestigte, eine

Anzahl mindestens armdicker Bäumchen mit rechtwinklig abstehenden Ästen oder Wurzeln.

Vor allem das Ausgraben oder Fällen dieses Jungwuchses „erödete“ bzw. schädigte die Wälder.

Den Schiffmachern warf der Rat vor, sie würden die Wälder ruinieren. 3 Sie bauten Schiffe

nicht allein für den Eigenbedarf, sondern versuchten um des Verdiensts willen möglichst viele

zu verkaufen. Schon früh werden Abnehmer in Schaffhausen, Laufenburg und Basel und an

den Juraseen erwähnt. Um diese Kunden nicht zu verlieren, erledigten die Sager und Schifflüt

ihre Bestellungen oft vor denen der Stadt und wurden vom Rat zurechtgewiesen. 4

In Basel gab es, anders als in Bern, keinen gewerbsmässigen Schiffbau. Die Basler kauften die

Schiffe den Oberländern ab, u.a. den Schiffmachern in Bern. 1416 führten diese Klage beim

Basler Rat, weil die Basler Schiffleute sie beim Kauf immer wieder übervorteilten. Basel reagierte

empört, als Schiffleute aus Zürich, Bern, Luzern, Schaffhausen und Laufenburg 1450 untereinander

die Preise vereinbarten und beschlossen, den Baslern wegen der Preisdrückerei

keine Schiffe mehr zu verkaufen.

1

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3

4

Stadtarchiv Bern Bauamtsurbar I

1 Pfund=20 Schilling=240 Pfennige

1678: Und nun ermelter Schiffmann Oht ohne das ein gantz schädlicher holtzwurm (!) seye, als habend

ir gnädigen Herren ihme das Schiffmachen auf ein Jahr lang interdiciert.

19. Oktober 1566: An gemeine Stubengsellen zun Schifflüth, das sy ein gemein pott besammlind und

verschaffe, dz unser herren höltzer gesaget werde. 1580: Zedel an die Sager an der Matten, söllend

m.h. böum, so zu laden und latten zu ir Gnaden büwen zu Lussens und Louppen bereit und im wasser

ligen, fürderlich sagen und sunst nützit fürnemmen untzit ir Gnaden sachen verfertiget.

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Eine erste Angabe zur Grösse der Berner Schiffe macht der Berner Zolltarif von 1435. Sie sind

acht Schuh (2.4 m) breit. Die Laufenburger Knechte verlangen beim Hinunterseilen über den

kleinen Laufen von Berner und Freiburger Schiffen 8 Schilling, für kleinere 5- oder 6-schühige

Schiffe 4 Schilling. Berner Schiffe waren demnach mindestens 7 Schuh (2.10 m) breit.

Auf Abbildungen aus dem 16. Jh. sind kastenförmige Schiffe zu sehen, welche dem modernen

Weidling wenig ähneln.

Warenschiff auf dem Rhein in Basel 1599 Koelner P. Basler Zunftherrlichkeit, 1942, S. 188

Wie realistisch die Darstellungen sind, liesse sich an Schiffswracks überprüfen. Diese gibt es

aber praktisch nicht, weil man Schiffe, die nichts mehr taugten, zerschlug und das Holz zum

Heizen brauchte. Das einzige mir bekannte Schiffswrack aus dem frühen 16. Jh. wurde zu Beginn

des letzten Jahrhunderts im Schlossgraben in Hallwil entdeckt.

Es ist 10.6 Meter lang, vorne 1.62 Meter, in der Mitte 1.82 Meter und hinten 1.55 Meter breit.

Der kiellose Boden ist im Mittelteil flach und steigt an beiden Enden ungefähr im letzten

Viertel leicht gekrümmt zu Bug und Heck an. Die Seitenwände bilden mit dem Boden fast

einen rechten Winkel und sind leicht geschweift. Am quadratischen Bug und Heck sind Querbalken

als Abschluss aufgesetzt. Die Seitenwände bestehen aus zwei Planken, deren untere 46

cm und die obere 12 cm hoch ist. Die geringe Wandhöhe weist darauf hin, dass das Schiff

13


wenig Tiefgang hatte. Die Planken bestehen aus Tannenholz. Die 8 Schuh breiten Schiffe aus

Bern waren mit etwa 13 Metern länger. Ab und zu gibt es Angaben zu ihrer Tragkraft. 1443

führte der Berner Hensli Zimmermann mit zwei Schiffen 23 Fass Wein von Büren und Solothurn

nach Aarau. Jedes der Schiffe trug demnach ein Gewicht von etwa 10 Tonnen. Auf

einem Solothurner Schiff, das 1480 an der Brücke in Wangen verunfallte, befanden sich 110

Soldaten und 4 Schiffmänner.

Abbildungen aus Lithberg N., Hallwyl II, 1932, fig. 23

Weidling 20. Jh.

Im 17. Jahrhundert stellte die Berner Werft für das Salzdirektorium grosse Segelschiffe her.

Sie verkehrten, beladen mit bis zu 60 Salzfässchen (21 t), aus Yverdon nach Murten, Nidau

oder Aarberg. Die z.T. auch aus Bern oder vom Thunersee für die Aktiengesellschaft des Canals

d’Entreroches gelieferten Barken hatten eine Kapazität von 52 Ryffässern (ca 35 t). Ab

Koblenz kamen Schiffe mit 35 Salzfässchen (12 t) oder 3-400 Zentnern Waren (15-20 t) Aare

aufwärts nach Brugg und Aarburg. Unsere Stubengesellen konnten also Schiffe für unterschiedliche

Bedürfnisse bauen. Die Zollordnung von 1754 erwähnt grosse Schiffe, Halbschiffe,

Spitzweidlinge und Weidlinge von drei Laden.

Die Spitzweidlinge sind identisch

mit heutigen Aareweidlingen. Die

«Dreilädner» bestehen aus einem

breiten Bodenladen und zwei relativ

niedrigen Seitenwänden. Sie

wurden vor allem von Fischern

benützt und von Bauern, die Land

auf beiden Seiten der Aare bewirtschafteten.

Das ersparte ihnen

den Weg zur nächsten Brücke

oder Fähre.

Schüler auf einem Dreilädner in einer

Aaregiessen 1914

(Staatsarchiv N Laedrach 85.7)

Die einzigen, wenn auch nicht ganz verständlichen Masse für Weidlinge legt der Berner Rat

erst 1681 in der „Ordnung wegen der Schiffart auff der Aaren von Thun nacher Bern“ fest. Sollen

alle diese Bern-weydlinge in alle weg gleich gross seyn und namlich haben: in der länge

werkschue 44; vor in der breite und höche werkschue 3, zoll 3; hinden in der breite und höche

14


werkschue 3, zoll 6. (Länge 13.124 m, Breite und Höhe vorn 0.984 m, Breite und Höhe hinten

1.064 m). Da das Überladen der Schiffe viele Unfälle verursacht hatte, wird zusätzlich bestimmt,

dass die beladenen Schiffe noch ein Freibord von 50 cm haben müssen.

Die Masse beruhen auf Erfahrungen betr. Sicherheit, und setzen dem Holzverbrauch Grenzen.

1808 wurde eine Verlängerung der Schiffe auf 14.9 m bewilligt. Der Verkehr aus Thun hatte

bis zur Eröffnung der Eisenbahnlinie noch immer einen beträchtlichen Umfang.

Bernweidling (* Wand vorne 3 Schuh 6 Zoll = 1.074 cm; ** Wand hinten 3 Schuh 9 Zoll = 1.116 m)

Wegen der durch das Heraufziehen der Schiffe an den Ufern verursachten Schäden vereinbart

Bern 1710 mit Solothurn, die Ladung der heraufkommenden Schiffe von vorher 35 auf 25

Salzfässchen, und für Kaufmannswaren von vorher 3-400 auf 150 Zentner (à 50 kg) zu verringern.

Wahrscheinlich änderte sich damit nichts an den Schiffen, da die Schiffleute bei der

Talfahrt nicht an diese Vorschrift gebunden waren.

Wenn andernorts Holz für Schiffe nicht mehr vorhanden war, gab man sie bei unseren Stubengesellen

in Auftrag. Diese liessen sich noch so gerne auf einen Handel ein, der ihnen Verdienst

brachte. Holz für alle möglichen Zwecke war nun so gefragt, dass der Rat vorerst verbot,

es ohne seine Bewilligung zu fällen. 1 Dann war vor dem Bau grosser Schiffe sein Einverständnis

erforderlich. Und 1535 verfügte er schliesslich, Schiffe der Berner Werft seien, mit

Ausnahme derjenigen für Zurzach, grundsätzlich nur noch für den Neuenburger-, Murten- und

Bielersee bestimmt. Ein Verkauf bzw. Ersatz ist erst gestattet, wenn sie dort mindestens drei

Jahre gebraucht worden sind. Die früheren Kunden der Berner am Rhein in Schaffhausen, Laufenburg,

Basel und Neuenburg a.Rh. müssen sich mit gebrauchten Schiffen abfinden, ausser

der Rat bewilligt eine Ausnahme. 2

1

2

1484: haben min Gnädige Herren geraten, das die Schifflütt kein holltz zu schiffen in dheinen bannwälder

oder holltzer söllen howen, noch vellen, dann mit sundrem gunst miner Gnädigen Herren

oder erloubung und willen dero, den söliche hölltzer zugehören, doch ist inen zugelassen, ouch

schädlich holltz, als buchen oder dessglychen.

1551: Demnach wir die dry Seew mit schiffen versächen müssen, und, damit unsere hölzer dadurch

nitt gar undergangind und geschwänndt wärdind (schwenden=ausreuten), ein Ordnung gemacht under

anderem wysende, das ein jeder dry jar lang ein schiff fürenn und bruchen sölle und wir ime

dheins hie machen ze lassen ohne schrifftlich schin, das er dem statt geben. 1592: An die Landvögte

in Ifferdten und Nidou dess hievor gethanen Insechens und ordnung, dass keine Schiff ab den Seen

gelassen werden söllind, sy syend dan zuvor dry Jar lang daruff brucht worden, erinnern und bevelchen,

nochmalen mit ernst darob zehalten.

15


1550

1551

1552

1553

1554

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1565

1571

1575

1580

1590

Anzahl vom Rat bewilligte Schiffe 1550-1590

50

45

40

35

30

25

20

15

10

5

0

Die Schiffmacher, die früher unkontrolliert Schiffe verkauft hatten, mussten sich fügen. Mit

der Zeit begannen sie sich gegen die weniger streng überwachten Konkurrenten im Aargau zu

wehren und klagten sie beim Rat an. Der schützte unsere Berner und untersagte 1592 den

Schiffbau im Aargau, behielt aber unsere Stubengesellen weiter im Auge. 1

1622 führte er für nidsich fahrende Schiffe Passzedel oder Schiffspatente ein. Ohne sie musste

das Schiff spätestens ab Brugg wieder aufwärts geschleppt werden.

Uff anhalten der Schifflüthen allhie verbot der Rat den Aargauern 1642 Schiffbau und -verkauf

erneut, da an sölichen ohrten hievor keine Schiffwerkstatt jemalen gewesen, die jenigen dz

Handtwerk nit wie brüchlich ordenlich erlehrnet, des Schiffens nit erfahren und ihrer darmit

niemandt gedient sye. Und in einem „Patent“ bestätigt er den Bernern, dass nur noch Schiffe

bauen und verkaufen darf, wer das Handwerk ordenlich und wie brüchlich gelehrnet. Die Konkurrenz

zwischen Bernern und Auswärtigen blieb bestehen. Die Berner liessen sich noch 1761

den Entscheid von 1642 bestätigen.

Nach dem Bauernkrieg bereiteten Rat und Kriegsrat die vielen von Fischern und Bauern benützten

Schiffe nicht nur wegen des Holzmangels Sorgen. Sie dienten zum Schmuggeln und

zum Übesetzen von unerwünschten Personen und herumstreichenden Bettlern.

1655 musste Schwellenmeister Schärer ein Verzeichnis aller zwischen Thun und Bern angetroffenen

Schiffe abliefern. Bei einer weiteren Aufnahme auf allen bernischen Flüssen findet

er 1658 deren 92. Von ihnen müssen alle drei Jahre etwa 30 ersetzt werden. Zählt man die zusätzlich

bewilligten Abführschiffe hinzu, sind es noch etwa 20 mehr. Der Rat mahnt in der Folge

1659 wieder einmal: Zedel an die Geselscht zun Schiffleüten. So müssind doch ir Gnaden erfahren,

dz mit dem Schiffmachen gleichsam ein gwerb getrieben werde, wie dass Hans Ott sich

underfangen in rechter anzal weidling zemachen und zeverkouffen, ohne dass ir Gnaden nach

1

1612: Zedel an Hr Späting (Kleinrat von Schiffleuten), dass er mit hilff des Schwellimeysters alle die

Meister alhie für sich neme und von einem jeden erforschen sölle, wie mengs Schiff ein jeder verndrigs

und hürigen jars gemachtt, ob sy des gwaltt (Bewilligung) empfangen und die verzollet, ouch

wo sy mit denselben hinkhommen.

16


Inhalt der Ordnung darum begrüsst werdint. Wellind derowegen sie angesinnen haben, ob

dem Verpott fleissig zehalten. Der Rat lässt vorübergehend alle Schiffe ausser den bewilligten

Fährschiffen einziehen und nach Bern und Aarberg schaffen. Zwischen Thun und Bern hatte

Schwellenmeister Schärer das mit einer bewaffneten Eskorte zu vollziehen.

Basel und Schaffhausen beschwerten sich wiederholt über die restriktive Praxis Berns, mit

dem Hinweis, sie könnten ohne Berner Schiffe die Salzfuhren aus Bayern und Tirol nicht bewältigen,

von denen ausser Solothurn auch Bern abhänge. Die Schiffleute ihrerseits erklärten,

es sei unmöglich die Zurzachschiffe zurückzubringen. Der Rat sah das ein, meinte aber, dass

zwar gar keine Schiff auss dem Land gelassen werden sollten. Lasse sich das nicht vermeiden,

sei für abgeführte Schiffe, statt des seit dem 14. Jh. geltenden Zolls von nur 5 oder 10 Schilling,

eine zusätzliche Abgabe zu fordern, wie das andernorts auch gemacht werde, und erhöhte

1677 die Abgabe für ein ganzes Schiff um das rund Fünzigfache auf 4 Kronen, und für ein

halbes Schiff auf 2 Kronen, welches den Basslerischen und Schaffhausischen herren Ehrengesandten

bey erster zusammenkunfft anzedütten sein wirt. Die Schiffleute durften diese Abgabe

auf den Verkaufspreis schlagen. Teurere Schiffe sollten weniger Absatz finden !

1723 untersagte die Zollkammer der hiesigen Meisterschaft und denen von Hunziken by hoch

oberkeitlicher Ungnad den Verkauf von Schiffen. Das Meisterbott versprach, sich dieser hochen

Erkentnus conform halten zu wollen. Wangen, Aarwangen, Aarauw und Nydauw müssten

aber gleich behandelt werden, weil sie den Solothurnern Schiffe lieferten.

1732 lockerte der Rat das Verbot und milderte den Tarif von 1677 auf die Klage der allhiesigen

schiffmeister, dass sie wegen der geringheith ihres verdiensts von denen abführenden schiffen

sehr schlechten gewinn haben. Die Konkurrenz der Werften am Thunersee, in Hunziken bei

Rubigen, im Aargau und seit 1722 in Yverdon drohte sie vollends aus dem Geschäft zu verdrängen.

Der Tribut ist nur noch zu zahlen von den Schiffen, die allhier mit waaren beladen

und direct auss dem land verführt werden.

b) Transportunternehmer

Die Eroberung des Aargaus 1415 bot unseren Schiffleuten völlig neue Möglichkeiten. Die

Stadt übertrug ihnen sofort die «Züglete» der Landvögte, wenn diese im Herbst von Bern aus

auf ihr Schloss zogen. Die Reisen führten nach Aarberg, Nidau, Erlach, Gottstatt, Wangen,

Bipp, Aarwangen, Aarburg, Biberstein und Schenkenberg. Erwähnt werden jedoch auch Orte,

die nicht am direkten Wasserweg liegen: Zofingen, Lenzburg, Baden und Königsfelden. 1 Zu

dritt oder viert bezogen die Schiffleute Lohn, Verpflegung und pro Schiff 6 Mass (10 Liter)

Wein aus dem Stadtkeller.

Die Handwerker und Kaufleute in der Stadt nützten den neu erschlossenen Wasserweg für

den Handel. Leder gehörte seit dem 14. Jh. zu den meist exportierten Handelsgütern, bis sich

die Produktion im 18. Jh. mehr und mehr auf das Land verlagerte. Die Gerber verschifften Felle

und Häute in grossen Mengen bis nach Strassburg und Frankfurt.

Näher lag der Messeplatz Zurzach. Die erste schriftliche Nachricht über den Besuch der Zurzachermesse

durch Berner findet man 1427. Die Berner Schiffleute verpflichten sich vertraglich,

1

Fidelbogenn von dess uffüren wägen der vögty von Baden 20 Pfund. 1583: Dem schwellimeyster

Marti Thäler für iro vier, umb das sy m.h. gsandtenn, so uff die tagleystung gan Baden beordnet, uff

dem wasser hinab gefürt henndt. ime (dem Stadtschreiber Dachselhofer) widerbekert, so die herren

gesandten für die vier schiffmannen, die sy uff dem wasser hinabgefürt zu Büren, Solothurn, Aarwangen,

Arburg, item uff ir heimreiss ussgeben. 1645: Thunerhans soll Schultheiss von Erlach per

Schiff zur Badener Tagung führen und das Schiff in Brugg verkaufen.

17


zu jeder der beiden Messen mit zwei Schiffen das Leder abzuführen. Und die Gerber sind gehalten,

die Fuhr ausschliesslich unseren Stubengesellen zu überlassen. 1 Bei einem Unfall an

der Saanemündung hatte 1469 ein Schiff mehr als 2000 Leder geladen. Ein langer Schadenersatzprozess

folgte. Am Schluss regelt der Rat im Juni 1470 in einem «Freiheitsbrief», 2 wann

Schiffleute für Verluste bei Schiffbruch haften. Wegen des Unfalls liess die Stadt die Schiffe

nun vor der Abfahrt kontrollieren. Wegfahren liess man nur erfahrene, nüchterne Schiffleute

und „währschafte“ nicht überladene Schiffe.

Schiff mit (Leder?) Ballen, vermutlich vor Zurzach

Scheibenriss 17. Jh. (Bern. Historisches Museum)

Wie bei den Fuhren für die Landvögte, erhielten die

Schiffer und Gerber Wein mit. Fremde Lederhändler,

Kaufleute und weitere Mitreisende gingen an Bord.

Fuhr kein anderes Schiff in Bern ab, machte auch der

Rat Gebrauch von den Zurzachschiffen. Zedel an Zügherren,

soll dem Vogt zu Arburg im Zurzachschiff ein

tonnen pulver zuschicken. Zedel an min Herrn Seckelmeister

Zehnder soll dz bereit glöggli allhie jetzund im

Zurzach Schiff gan Khüngsfelden zevertigen befelchen.

Lentzburg 20 Centner Pulver, 100 Musqueten, 500 buscheln

lundten by naechst verreisendem Zurzach Schiff

wol verwart zuzeschicken. Die Fahrt der Berner galt als

etwas Besonderes. Wenn sie in Solothurn rasteten,

spendete ihnen die Stadt einen Begrüssungstrunk. In

Aarwangen, Aarburg und an der Grenze des Amtes Lenzburg liessen die Landvögte bei der

Durchfahrt Salut schiessen. 3 Wenn die Schiffleute nicht unterwegs übernachteten, dauerte

die Fahrt bis nach Klingnau etwa 16 Stunden. Um das Hinaufziehen der Schiffe auf dem Rhein

von Koblenz nach Zurzach zu vermeiden, lud man die Waren in Klingnau aus und führte sie

über Land. Das ersparte den Einsatz von zusätzlichen Schiffsziehern.

Treidelzug am Rhein um 1600 (Spätmittelalter am Oberrhein, Söhnke L. und Zotz Thomas, Katalogband

2001, S. 95

1

2

3

1631: Zedel an ein ehrende Gsellschafft zu Schifflütten, wyl Jacob Lysser die den meysteren Gerwer

handtwercks nun lange Jahr verrichtete schiffahrt nach Zurzach quittiert…

Staatsarchiv Spruchbuch des oberen Gewölbs F S. 234-36. Freiheitsbriefe regeln die besonderen

Rechte und Kompetenzen der Zünfte und Gesellschaften.

Arburg soll, wan Schiff uff Zurzach zu farend, zu einem Schiff allein ein Schütz (Schuss) und nit mehr

thun. Lenzburg soll in empfachung der Zurzach schiffen mit schiessen alle bescheidenheit bruchen.

18


Nach dem Auslad verkauften die Berner ihre Schiffe an Abnehmer aus Schaffhausen, Laufenburg

und Basel. Das war rentabler, als sie wieder nach Nidau zurückzuschleppen, wo sie bis

zur nächsten Messe für aus Genf ankommende Waren liegen geblieben wären.

Damit die Schiffleute nicht durch Bäume, Sträucher und Abzäunungen am Aufwärtsziehen der

Schiffe gehindert wurden und durch das Wasser waten mussten, hätten die Anstösser die

Ufer möglichst frei halten sollen, was jedoch nur zu oft unterblieb. 1616 liess Bern prüfen, ob

und durch was beste mittel die lären vass, [kouffmanswhar] und anders das wasser uffzebringen

und zezüchen sye oder nit, oder was für hindernussen vorhanden, und wie dieselbig abzeschaffen,

damit dafür gesorgt werden könne, dass die schiffläst das wasser widerumb hinuff

biss in Nydouwer see mit geringerem Kosten und Ungelegenheiten als bisher gezogen werden

können. Die Ausrede der Schiffleute, das sei zu mühsam, und sie müssten die Schiffe in Aarau,

Brugg oder Klingnau verkaufen, gilt dann nicht mehr. Es dauerte aber doch bis 1679, bis ein

regelmässiger Schiffsverkehr von Brugg nach Nidau einsetzte.

Richtung Thun hatte der Rat unsere Gesellschaft schon 1505 beauftragt, regelmässig ein Schiff

hinauf und wieder zurück zu führen. Der Chronist Anshelm bemerkt dazu: hat ein stat Bern, in

ansehen gemeiner kommenheit, ein andre müe fürgenommen und da nit on kosten angericht,

ein schif gon Thun uf der Ar uf- und abe zefaren, bestund nit lang, wan der nuz und die arbeit

uf dem ruhen, unbeständigen wasser niena mocht erstatten. 1

Wein, Getreide, Salz und Leder waren Güter, für welche gemäss den meisten Publikationen

der Wasserweg bevorzugt wurde. Hier eine kleine Auswahl all dessen, was unsere Stubengesellen

im Auftrag der Stadt aus Bern wegführten. Leider erfährt man nicht, was ihnen Private

übergaben.

1505 Erhart Späting umb 20 käpffer (Kragsteine) und 5 armi mönschen hinweg zu füren

1507 Benedicht Jossen von dem schlachwerk gan Nidow zu füren (Vorrichtung zum Einrammen

von Brückenpfeilern) 2

1507 Jossen und Bernhart Wiler von zwöyen schiffen ouch ziegel gan Arberg und auch rafen und

laden gan Wangen zu füren 16 tag zum tag 6 Schilling

1519 Niclaus Pirro und sinem gesellen von einem armen man gan Klingnow zu fürenn tut die zerung

(Verpflegung) und fürung 1 Pfund 1 Schilling 4 Pfennig

1524 Fidelbogen von 54 man im schiff das land abzufürenn

1525 kriegslöuf wägen: Fidelbogen sampt gemeinen schifflüten für der ampthlütten fuhr gan

Graubu und inn das Argeuw

1534 furlon von 2 vass mitt salz so gan Lennzburg kamend

1535 den schifflüten den vogt von Baden uffzefüren; inen Municion und büchsen gan Arburg ze füren

1549 han ich Martin Fidelbogen geben von wegen des holtzes zu der gefencknus zu Wyblispurg

(Avenches) gehörig gan Pfauwen (Faoug) zu füren

1552 Mathis Verr dem schwelimeister umb 180 Latten zur Brugk gan Bellerive (bei Salavaux am

Murtensee)

1553 dem nüwen schwelimeister umb 2 nüwe schiff von 102 vassen an See (Bielersee) zefüren

und gan Wangen

1554 Cunrat Stöcklin von einer thonen bulvers gan Brugk und etliche fässlin gan Arwangen zefüren

1554 Martin Fidelbogen das er 22 vass gan Nydouw gfürt hatt geben sin lon

1

2

Bloesch E., Die Berner Chronik des Valerius Anshelm, 6 Bände, Bern 1884-1901, Bd. 2 S. 414

1570 beim Bau der Brücke in Olten: dagegen sol er den schlegel und schlachwerck dermassen rüsten

mit einem uffzug (...) das er die pfyler in sinen kosten schlache.

19


1554 Denne thut der kosten, so über die siben stuck büchsen und zwölff haggen sampt der munition,

so zu Ir g.h. in Savoysch land gevertiget, ganz, es sye mit fur und schifflon dieselbigen

von hinnen gan Yverdten und da dannen ettliche gan Morges zevertigen

1557 Stöcklin geben, das er ein armen man im schiff gan Klingnouw und zwöy vass mit büchsenpulver

gan Arwangen und Biberstein gefürt hat

1563 Hansen Späting dem schwelimeister von 65 landvassen an see zufüren, von jedem 5

Schilling, und 60 Riffvassen gan Iferden, von jedem 8 Schilling

1563 Hans Wolff dem Schiffman geben 4 stuck büchsen uff Rederen sampt der Munition gan Yverdun

zefüren

1566 dem schwelimeister Spättig 1 gebenn umb zwöy grosse nüwe schwelischiff gan Arberg ouch

flöss, alles holz und gschirr, so er gan Arberg gfürt

1566 Brücke Aarberg: han ich Hanns Wolffen dem schiffmann geben von 38 centner ysenwerk von

Thun gan Arberg ze fürenn von jedem centner 3 Batzen

1573 dem schwelimeister Marti Täler bezalt von m.g.h. vassen und den helm gan S. Johans zum

thurm ze füren tut mit sampt sin und siner mithelffern zerung lut zedels 52 Pfund 9 Schilling

1573 Hans Wolff dem schiffman von 6 vässli mit Stürz (Blech) gan S. Johans ze füren von eim 3 Batzen

1576 dem schwelimeister bezalt das er gan Jverden gefürt nünzeh pompen und anders, so us

schöpfung des bads daselbs dienstlich (Bad schon römisch, 1545 wieder in Betrieb genommen)

1577 Jacob Linder dem Schiffman bezalt, so in vorgender Badischer tagleystung Hrn Schultheissen

von Mülinen und Herrn Tillier zu wasser hinabgefertiget

1581 Hans Steiner dem Schiffman sin lon bezalt, umb das er und sine mitgsellen etliche Munition

alls etlich Thonnen Bulfer, Kuglen, Bly, Hartzring und anders gan Lenzburg, Brugg und Biberstein

gefürt

Zwischen Mai und Oktober waren die Berner Schiffleute hauptsächlich damit beschäftigt, aus

Bern einige hundert leere Weinfässer aus den Staatskellern zum Abfüllen an den Bieler- und

Murtensee zu bringen. Nach der Eroberung der Waadt (1536) fuhren sie auch nach Yverdon.

Die vielen Berner, welche an den Seen Rebbesitz hatten, übergaben ihre Fässer ebenfalls unsern

Leuten.

1544 richtete die Stadt am rechten Aareufer am Altenberg ein Fasshaus mit einer weiteren

Anlegestelle für Schiffe ein.

Fasshaus im Altenberg auf dem Sickingerplan

von 1603-07

(Staatsarchiv AA IV 1650)

1

Hans Späting war auch Fischschauer und Fischhändler, 1569-73 Landvogt in Nidau, 1576-82 Schultheiss

in Thun, 1583-1611, im Kleinen Rat, wie dann auch seine Söhne Hans 1612-18 und Vinzenz

1621-24,.

20


Beim Fasshaus verluden die Schiffleute die Fässer, wahrscheinlich 20 bis 25 pro Schiff. Ohne

Kran wurden sie über ein Brett gerollt und im Schiff gestapelt. Die im Seeland benützten

Landfass fassten 1‘000 Liter Wein, die Ryffass am Genfersee 670 Liter. Die Schiffer entschädigte

man für die Arbeit mit Wein. 1

Weidling hoch mit leeren Weinfässern beladen 1723 auf der Aare unterhalb von Bremgarten (Staatsarchiv

AA IV Bern 55)

1400

Anzahl per Schiff beförderte Fässer 1557-1575

1200

1000

800

600

400

200

0

1557 1558 1559 1560 1561 1562 1563 1564 1565 1566 1567 1568 1569 1570 1571 1572 1573 1574 1575

Total Bern-Yverdon Bern-Bielersee Murten-Yverdon Yverdon-Murten

1

1637: und da letzt verschinen Ostern Hr Schwellimr Linder 2 schiffeten gan St Johansen und Erlach

uff den abzug geführt, ist ihme gewohntem bruch nach Ladlohn entrichtet worden 28 mas (rund 50

Liter).

21


Die Grafik zeigt, welchen Aufwand unsere Stubengesellen jedes Jahr mit den Fasstransporten

an den Bielersee und nach Yverdon nur für die Stadt zu leisten hatten. Zwischen Murten und

Yverdon waren es die dortigen Schiffleute. Die Zahlen aus der zweiten Hälfte des 16. Jh. gelten

auch für das 17. und 18. Jh. Die Schwankungen von Jahr zu Jahr hängen mit dem Umfang

der erwarteten Traubenernte zusammen. Aufgenommen sind auch die Transporte voller

Weinfässer von Yverdon nach Murten. Wein aus Le Landeron, Erlach, Ligerz und Twann gelangte

dagegen über den Bielersee nach Lattrigen und von dort auf der Strasse nach Bern.

Nach der Ablieferung der Fässer in Yverdon versuchten die Schiffleute Fracht nach Nidau oder

Solothurn zu erhalten. Von dort konnten sie das leere Schiff für den nächsten Transport nach

Bern zurückbringen. Weil sie aber immer befürchten mussten, keine Fracht zu finden, liessen

sie die leeren Fässer liegen, wenn sich unterwegs ein besseres Geschäft ergab.

Vom 17. Jh. an begann Bern die Schifffahrt zu regeln. In Yverdon wurden die Fässer mit Wein

vom Genfersee, die mit Salz aus dem Burgund und Waren aus Genf auf Schiffe umgeladen.

Bern erteilte der „Schiffskompanie“ in Yverdon das Vorrecht des Abtransports der Fässer nach

Murten und aller andern Waren nach Solothurn. Unsere Stubengesellen hatten das Nachsehen,

wenn Yverdon über genügend Schiffe verfügte. Weiter unten machten ihnen Solothurner

Schiffer die Fracht streitig.

Das Schleppen schwer beladener Schiffe von Meienried nach Bern beanspruchte viel Zeit und

Personal. Das vermied man und zog aus Yverdon die kürzere Strecke nach Murten vor. Mit

einem voll beladenen und von vier Schiffleuten geführten Schiff gelangten 25 und mehr

Weinfässer oder 60-70 Salzfässli nach Murten. Für den Weitertransport nach Bern boten die

Weinfertiger in Murten und Gümmenen die fuhrpflichtigen Bauern auf. Die nötige Anzahl zu

gewinnen, war nicht leicht. Für jedes Weinfass war ein Fuhrwerk mit 2 Mann und 2-3 Pferden

nötig. Ebenso für 3 Salzfässli oder 3-4 Salzsäcke. 1 Deshalb beschloss Bern 1645 den Bau eines

Schifffahrtskanals von der Broye nach Aarberg und die Einrichtung eines Treidelpfads von Aarberg

zur Neubrücke. Das ersparte den Umlad in Murten, damit Kosten, und auf die Bauern

war man nicht mehr angewiesen. Der 15 Kilometer lange Kanal ging bereits im Spätsommer

1646 in Betrieb. Mittwochens, den 12. Augusti hat der Thuner Hanss, ein Schiffmann von Bern,

umb die halbe viere gegen dem Abend das erste mal ein halb Schiff mit Siben Zigen und einem

lähren vass geladen, uss der Aaren In Canal gführt, dem Oberen See (Neuenburgersee) zu.

Montag, den 26. Oktober hatt man angfangen, die Erste Schiffeten mit Wyn von hier (Aarberg)

nach der Neuen Brügg auf Bern zu ferggen, wo man aber erst am Donnerstag darkommen ist. 2

Die Schiffleute aus Yverdon und Bern mussten den Kanal benützen. Den Bernern schrieb der

Rat vor, die leeren Weinfässer von Aarberg über den Kanal abzuführen, statt über den unteren

unkumlichen Weg über Nidau. Anfänglich funktionierte das auch. Aber schon bald zeigten

sich Mängel. Der Aufwand für Reparaturen überstieg den Ertrag, und häufige, lange Betriebsunterbrüche

verunmöglichten die Benützung. 1665 wurde der Kanal aufgegeben. Nur

der Treidelpfad von Aarberg zur Neubrücke war noch von Nutzen. Der Staatswein aus dem

Waadtland wurde schon von 1647 an wieder nach Murten befördert, obschon der Weiter-

1

2

Als Zuglast für ein Pferd war ein fuderiges oder Landfass mit einem Inhalt von 1002 Litern bestimmt

oder ein Ryffass mit 668 Litern. 1640: Geschützmunition: 84 centner 37 Pfund = 4'220 kg. Zuo disem

gewicht fordert er 7 wegen, jeden mit 12 Centner (600 kg) beladen für jeden wagen 3 Ross; zur

Schonung der Strassen war noch 1738 das Maximalgewicht auf 1500 kg, und 1743/44 auf 1750-2000

kg beschränkt.

Staatsarchiv Taufrodel Aarberg 3 S. 202 ff. mit weiteren Notizen von Pfarrer Forrer zum Baufortschritt

und zur Inbetriebnahme des Kanals.

22


transport eines Fasses auf der Strasse nach Bern wieder zwei- bis zweieinhalbmal so viel

kostete, als per Schiff von Yverdon nach Aarberg. 1 Hingegen gelangten immer noch Salzfässli

per Schiff an die Neubrücke.

Führten Broye, Zihl und Aare nur wenig Wasser, mussten die Schiffe unter Zuhilfenahme von

Pferden geschleppt werden. Kam man mit voll beladenen Schiffen an seichten Stellen nicht

mehr weiter, blieb nur das Raselieren übrig: ein Teil der Fässer wurde über ein Brett an Land

gerollt. Das leichter gewordene Schiff schleppte man weiter, bis das Wasser wieder tief genug

war. Dort lud man es aus, zog es leer wieder zurück und holte die zurückgelassenen Fässer

nach und lud die abgelegten andern Fässern zur Weiterfahrt wieder ein. Berichten zu Folge

war diese mühsame Operation zwischen Nidau, Meienried und Aarberg nur allzu oft nötig. Zur

Vereinfachung standen an der Broye und zwischen Fanel und Erlach für den Umlad kleine

Raselierschiffe bereit.

Treidelzug mit 17 Fässern und 10 Pferden unterwegs

von Nidau nach Meienried an der Zihl bei

Gottstatt. Die extrem lange Leine erlaubt das

Überwinden von Flusswindungen.

Lavierte Tuschzeichnung von Karl Ludwig Zehender,

1794. (Bern. Historisches Museum Inv.Nr.

5333)

Im Vergleich zu Fuhrwerken waren Schiffe noch im 17. Jh. leistungsfähiger. Zudem gehörten

Klagen über schlechte und gefährliche Strassen zur Tagesordnung. Es verwundert deshalb

1

1644: Murten-Bern. 30 Batzen für ein Ryffass (mit 670 Litern), für ein vier söumiges Eichenfass 35

Batzen (670 Liter) und für grössere 40 Batzen. 8.5.1647: Item ist geordnet dess lohns halb, so Sie von

jedem Vass mit wein von Jverden gahn Aarberg gewärt, zeforderen undt zenemen habend, namlich

12 Batzen.

23


nicht, dass man für schwere oder Massengüter Schiffe vorzog.

Hier wieder eine kleine Auswahl von Aufträgen der Stadt für unsere Stubengesellen. Sie verdienten

weiterhin an der Auffuhr der Landvögte und bis 1678 an den Fahrten nach Zurzach.

Dagegen weiss man nichts über Aufträge von Privaten.

1602 Jacob Lysser, Jacob Flamer und Hans Tröller den Schifflüten von dryen schiffeten laden Holtz,

buchin pfähl und anders zum Buw gan Nydouw zefüren

1608 Ysac Kistler und Hans Hügli sampt iren mithaften den flösseren umb das sy 238 stuck Buwhöltzer

zum Hussbuw zu Arberg ghörig vom Bremgarten gan Aarberg geflösset

1620 Min Gnädige Herren irem Diener dem Schwellimeister Abraham Schärer ufferleit zwey Schiff

zum Wasserbuw gan Ifferdten zemachen. Zusammen mit fertigung von 102 wynfassen

1620 Mr Abraham Schärer dem Schwöllimeister lut sines uszugs entricht von ettlichen Fenstern

und Sidelwerck (Möbel) gan Gottstatt und gan Bargen zum Pfrundhuss zefüren, ouch zwo

schiffeten laden und ein schiffeten grosse Stucken Steinen gan Büren

1633 Hr Haller und zugeordnete Proviantmeister sollen das jenige Getreid, so sy zu erhaltung der

2000 man im Ergöuw begeren werden, erhalten. Zedel an die Schifflüth allhie söllind inen,

den Proviant Hrn, in fertigung der früchten gewertig syn

1634 dem Herrn Schwellimeister wegen des Korns und letster Kriegsmunition, so er gan Bruggk

geführt

1641 Schifflohn von hier nach Brugk zahlt von 33 centner bemelter alter franz. Mehrsalzsecken in

Siben ballen, vom Centner 2 Batzen

1644 Durch mh Stattschreiber söllend vorgedachte nach Zurzach fahrende Schifflüht inn formlichen

Eidt uffgenommen werden, dz sie dieselben ihre hinabführende Schiff keines wegs von

handen geben, sonder widerumb zruck uffs wenigst biss gan Brugg schaffen wellind. Der beschechenden

erhandlung derselben durch die an den grenzen ligenden Kriegenden völcker,

sich deren wider ein Eidtgenosscht zu prevalieren, dardurch vorzebouwen (Dreissigjähriger

Krieg !).

1645 Thunerhans soll Schultheiss von Erlach per Schiff zur Badener Tagung führen und das Schiff in

Brugg verkaufen

1648 Hans Studer dem Schiffman wegen er die in der Insul gehabte Wider Töuffer in einem Schiff

nacher Brugg geführt

1653 Züghr Lehrber die begerte munition und armatur als 2 Veldstückli, so er derenhalb kein bedenken

hette (Bauernkrieg), 150 Handgranaten, 6 beschossne Rüstungen, 6 Centner Pulver

und 2 Centner bley ohnverweilt uff dem wasser durch sichersten weg gan Arwangen zuverschaffen

1659 Jean Baptiste Ponte aus Turin mag im übrigen sein conduite selbs suchen, es were dan, ds er

ins Schwellimeisters Schiff, so er hinab führen wirt, sich nacher Brug begeben welle

1662 Mrn Hans Jacob Schreck dem Schiffman bezahlte ich von 72 weyn züber von hinnen nacher St

Johannsen zu führen

1671 Nach Rapperweyer verschickte Täuffer werden auf dem Wasser nacher Basel geliferet. Dem

Schwellimeister Schneider für das Schiff, darin obige Wider Töuffer nacher Basel geführt, und

drunden verkaufft worden, bezahlt für Schifflohn, item Zehrung (Verpflegung) für sich und

seine fünf Knechten

1673 Hans Weniger dem Schiffmann ein bewilligungs patent sein Schiff, so er zur Fur der Jungfer

Wilading Hausrathts gan Arwangen brauchen wirt, hernach einem Schaffhausischen Schiffmann

zeverkauffen

1678 Hr Felix Güntisperger zu seiner abreiss auff die Frankfurter Mess ein passpatent. Eidem zu abführung

einer schiffeten papier ein passpatent

1681 Heinrich Schär dem Schwellimeister und Samuel Rychener von dreyen feürsprützen nacher

Arburg auf die Vestung

24


1686 Mr Heinrich Schärer dem Schwellimeister zu construction mit abführung eins gantzen schiffs

nach Cadelburg (am Rhein gegenüber Zurzach), doch also, dass selbiges mit Hr Ruprechts

wahren beladen werde ein patent

1689 Zedel an Hr Teütsch Seckelschreiber Lerber solle dem Schwellimeister für die 40 oberlendische

Soldaten, so er per wasser nach Wangen gefürt, 10 Kronen entrichten.

1691 Felix Güntisberger dem jüngeren für Papier, darvon ein theil bereits in Frankfurt ligen soll,

dass sie alhier auf ir Gnaden Papiermühlinen fabriciert worden, nacher Cöln und in Holland

zuführen ein Certificat

Die Zahl der bei der Gesellschaft zu Schiffleuten aktiven Schiffmänner nahm laufend ab. Ihre

Söhne waren nicht mehr immer für den Beruf zu gewinnen, und die Aufnahme neuer Burger

hörte nach 1643 auf. 1 Die Spediteure in Morges, Yverdon und im Aargau klagten, weil Transitgüter

lange liegen blieben.

c) Bern reglementiert den Schifffahrtsbetrieb

Als Folge übetrug die Berner Regierung 1679 einem Konsortium die Organisation eines „fahrplanmässigen“

Verkehrs von Yverdon nach Brugg und zurück. Es hatte für Schiffe und Personal

zu sorgen und mindestens alle vierzehn Tage, später jede Woche, mindestens ein Schiff

von Aarburg, allenfalls Brugg, nach Yverdon und in der Gegenrichtung von Yverdon nach Aarburg

abfahren zu lassen. Alle Transportgüter aus Orten an diesen Strecken durften nur Schiffen

des Konsortiums übergeben werden. Wie oder ob es überhaupt unsere Stubengesellen

beschäftigte, ist nicht belegt. Immerhin bezog es von ihnen für die Abfuhr der aus Genf kommenden

Zurzacherwaren jedes Jahr 10-20 «Abführschiffe».

Den Bernern überlassen blieb die Abfuhr der leeren Weinfässer an den Bielersee, nicht aber

nach Yverdon, weil das Konsortium das unentgeltlich erledigte. Sie fuhren immer noch nach

Zurzach, aber wahrscheinlich nur noch mit einem Schiff, weil die Zahl der in Bern tätigen Gerber

ständig zurückgegangen war.

1681 ging ihnen ein weiteres Geschäft verloren. Nach schweren Unfällen mit überladenen

Schiffen bei Uttigen und Belp erliess der Rat eine Schifffahrtsordnung für die Aare zwischen

Thun und Bern. Er bestimmte fünf Schiffleute aus Thun, welche dreimal in der Woche, nüchtern

(!) und jeder mit mindestens einem Schiff zu bestimmten Zeiten Fracht nach Bern führen

mussten. Die Berner, welche sich ebenfalls um diesen Auftrag beworben hatten, kamen nicht

zum Zug.

1688 unterlag Schiffleuten vor dem Rat dann noch mit einer Klage gegen zwei Thuner. Diese

erhielten nicht nur die Bewilligung zum Schiffbau, sondern durften ausserdem mit voller Ladung

in Bern durchfahren. Kamen sie mit weniger Fracht an, hatten sie die Ladung den Bernern

zu überlassen, ussert in dem fall, wan jemanden fuhr vonnöthen, und die meisterschafft

allhier nit mit schiffen versehen wäre.

Und 1697 verlor die Gesellschaft ihre alten Freiheiten ganz. Der Kriegsrat (!) stellt fest, dass

der Schwellimeister, der Inspector über die Weydling an der Matten sein solle, anstatt dessen

der bericht falle, dass es mit denselben unentbunden zugehe und so tags und nachts allerhand

persohnen über die Aaren geführt werdind. Wie auch dass mit abführung der Schiffen und ihr

Gnädigen Herren darvon gehörigen Gälderen (die 1677 eingeführte Abgabe für Abführschiffe)

1

Neuaufnahmen ins Burgerrecht bei Schiffleuten letztmals 1632. Dann bis ins 19. Jh nur drei, jedoch

nicht Schiffmänner. Sonst nur „ewige“ Einwohner, oder Habitanten/Hintersassen auf Zeit.

25


derselbe allerhand geschwindigkeiten und gefährden verüebe.

Nach ausführlichen Befragungen bestimmt der Kriegsrat in der Ordnung der Schiffleut allhie,

dass nur neun Schiffmeister als Unternehmer je einen Weidling behalten dürfen. Sind selbige

alle Abend angeschlossen zu halten. Die Meister sollen auch nach beschlossenen Stattthoren

niemanden weder selbst noch durch ihre Leüt über das Wasser führen. Es wird toleriert, dass

sie bis zu deren Verkauf einige Weidlinge an der Aare stehen lassen, aber angeschlossen oder

halb mit wasser angefüllt (!). Ein neuer Meister wird erst beim Ableben eines früheren bestimmt.

Die in der Mitte des 17. Jh. beschlossene Schliessung des Burgerrechts hatte dazu geführt,

dass die Gesellschaft Schiffer und Schiffmacher nur noch aus eingeburgerten Bernern rekrutieren

konnte. Zuzug von andern Handwerksgesellschaften blieb aber praktisch aus, weil der

Beruf des Schiffers wenig attraktiv war. Gab es auswärtige Interessenten, erhielten sie mit etwas

Glück den Status des „ewigen Einwohners“ oder der Rat duldete sie als „Habitanten“ so

lange, wie ihre Anwesenheit für nötig erachtet wurde.

Als letzte hatten die Schiffmänner Hans Schumacher aus Uttigen und Friedrich Wehrli aus

Biberstein 1632 das Burgerrecht erhalten. Vier zwischen 1654 und 1657 nach Bern gezogene

Aargauer Schiffmänner blieben Habitanten, und von ihren Nachkommen starben die beiden

letzten 1725.

Das Gesellschaftsverzeichnis von 1697 führt statt der 9 erlaubten bereits nur noch 7 Schiffmeister

auf. Die Schiffer sind unter den 22 Stubengesellen in der Minderzahl. Die übrigen 13

haben andere Berufe. Drei Pfarrherren leben nicht in Bern: Gabriel Schärer in Gampelen, Vinzenz

Späting in Kallnach und Abraham Späting in Reichenbach i.K. Abraham Schärer ist Landschreiber

in Laupen. Heinrich Stämpfli ist Schleifer, Johannes Höfli und Samuel Schmid sind

Bader. Anton Schärer, alt Landschreiber, ist Stubenschreiber und Säckelmeister. Ausgewandert

ist Abraham Andres. Der Nachwuchs besteht aus dem stummen und gehörlosen Samuel

Wehrli, den Schüler-knaben Conrad Dössi und Jacob Heintz, dem Studenten Niklaus Tscheer 1

und den noch minderjährigen Abraham, David und Ulrich Tscheer, sowie Niklaus, Gabriel und

Vinzenz Späting. Von diesen Jungen wird keiner Schiffmann.

Wegen der Beschränkungen waren unsere Schiffer froh über zusätzliche Aufträge. 1787 sollten

sie französische Flüchtlinge nach Basel bringen. Zwei Schiffe verunglückten jedoch am 5.

August schon bei Aarberg und von 137 Hugenotten ertranken 111. Schuld daran waren wenig

erfahrene Schiffsknechte. Weitere Transporte erreichten dann Basel ohne Zwischenfälle. Damit

war diese Strecke nach langer Zeit wieder erschlossen. 1700 und 1701 fuhren Niclaus und

Johann Schneider nach Holland. Weil seine Existenzgrundlage in Bern unsicher war, erwog

Niclaus Schneider sogar als Schiffmacher nach Neu-Breisach zu ziehen, als er von einer weiteren

Fahrt aus Holland zurückkam. 1709 erhielt er noch einmal ein Pass Patent, um zwölf zu

Diensten der General Staaten zu Holland gewidmeten Canoniers in die Niederlande zu bringen.

Und Abraham Schumacher suchte 1715 und 1716 mit Inseraten in der „Gazette de

Berne“ Interessenten für Reisen nach Mainz und zur Messe nach Frankfurt. 2

1

2

Er schloss 1698 das Theologiestudium ab, wurde wegen Pietismus 1699 ausgewiesen, zog nach

Deutschland, heiratete die Tochter von Graf Friedrich von der Lippe Biesterfeld und starb 1748 in

Duisburg.

16.3.1715: Abraham Schumacher Batelier de la Ville de Berne en partira le neuf du mois d'avril sur

son bon bateau couvert pour Mayence et pour la foire de Frankfort; il ne prendra que cinq écus

blancs par personne avec 30 livres de hardes. 29.6.: il partira le 22 Août pour Mayence et Frankfort.

7.3.1716: le 6 avril prochain il partira avec un bateau pour Mayence et Frankfort.

26


Trotzdem blieben die Verdienstmöglichkeiten der Schiffer, aber auch einer Reihe von andern

Stubengenossen schlecht. In einem Säckelschreiberprotokoll von 1704 heisst es, die Gesellschaft

sei nahezu ruiniert. Im Rat begann man sich Gedanken zu machen, wie der Gesellschaft

wieder aufzuhelfen sei. Sie kam, als die Konzession für die Schifffahrt zwischen Yverdon und

Brugg 1702 erneuert wurde, vorerst auf Probe, und dann 1704 definitiv wieder in ihren Genuss.

Die Berner waren aber gezwungen, das Meiste auswärtigen Schiffleuten gegen die Abgabe

eines halben Batzens je Zentner transportierter Waren zu überlassen. Die Konzessionsgebühr

von jährlich 400 Pfund schuldete die Gesellschaft weiter, aber sie durfte sie für ihre

Armen verwenden. Die Konzession wurde 1714 um weitere 12 Jahre verlängert.

1718 erhielt Franz Ludwig Müller, Obmann von Schiffleuten, für 20 Jahre das Schifffahrtspatent

auf Zihl und Aare von Nidau nach Bern. Das diente den in der Gesellschaft übrig gebliebenen

Schiffern. Müllers Schiffleute sind verpflichtet, für jedermann die Hinabfuhr zu garantieren,

dass aber niemand schuldig und verbunden seye, sich dieser wasserfuhr obsich (aufwärts),

sonderen jedem freystehen solle, sich dieser oder der fuhr über landt zu bedienen.

Dennoch nahm das Interesse am Schifferberuf weiter ab. Sterben Schiffmänner, rückt nur

selten jemand aus der Familie nach, wie Jacob Schneider (1694-1755). Drei andere Schifferfamilien

waren schon 1730 erloschen. Dem Beruf treu blieben nur noch einzelne Nachkommen

von Hans Schumacher.

Ein Gesuch der Gesellschaft, die Konzession von 1714 anzupassen, wies der Rat 1721 vorerst

zurück und regelte Streitigkeiten zwischen den Meistern. Dass ein jeder Meister an den Kauffmannsgütern

zur Pfingst- und Verenazeit (den Messen in Zurzach), wie auch bei den Auffzügen

der Herren Landvögten ohne underscheid gleichen Antheil haben. Was aber die kleinen

Fahrten betreffen thüe, wan namblich ein Herr nach Baden oder sonsten anderwertig sich begeben

wollte, soll demjenigen allein die Fahrt überlassen sein, der sich ihme anvertrauwen

thut und anvertrauwt haben will. Inzwüschen sollen die Meister insgesambt dahin verbunden

sein, dass, wan sie ein Fahrt haben, sie sey gross oder klein, sie jederweilen die Burgers Söhn

nach altem gebrauch ersuchen und brauchen und dann erst die ausseren und frömbden

Knächten ansuchen sollen; alles bei unausbleibender straff von 4 Pfund von denem jenigen zu

bezahlen, der wider diese erkantnus fehlen thut, worzu die Meister insgesamt versprochen und

gelobt haben, steiff und vest darby zu bleiben. Zu den kleinen Fahrten zählten sie vermutlich

auch die mit wenig Fracht. In Nidau fuhren sie, wenn es pressierte, mit 50 bis 60 Zentnern (2.5

bis 3 t) los.

Am 24. Februar 1722 änderte der Rat auf Antrag der Vennerkammer die Konzession dann

doch, weil der Gesellschaft zu Schiffleuten in ihren Angelegenheiten geholfen werden muss,

wenn sie nicht völlig verderben soll. Die Barken aus Yverdon sind in Nidau zu entladen, wo der

Ort ist, da die Effekten auf Nauen der Schiffleute der Hauptstadt geladen werden, um bis nach

Brugg weiter geführt zu werden. 1 Ausgenommen ist der Wein für Private in Büren, Solothurn

und Aarburg. Er ist Schiffleuten aus dem Unteraargau und Brugg zu übergeben. Alle Waren,

welche auf dem Wasserweg von Brugg heraufkommen, auch das Salz, sollen der Reihe nach

durch die Schiffleute von Rupperswil, Aarau und Aarburg nach Nidau statt nach Solothurn gezogen

und da in die Barken verladen werden. (…) Endlich, damit die Waren mit möglichster

Raschheit spediert werden können, ist den hiesigen (bernischen) Schiffleuten sehr empfohlen

worden, in Nidau eine genügende Zahl Schiffe von jeder Grösse bereit zu halten, damit, auch

1

Davon ausgenommen ist einzig die vom Kaufmann Mandrot in Yverdon gecharterte Barke. Sie darf

nach Amsterdam durchfahren. de Raemy D.; Brusau C.; Histoire d'Yverdon II, 2001, S. 126

27


wenn nur 50 Zentner vorhanden sind, sie abgeführt werden, was sie versprochen haben.

Im Frühjahr 1725 gestattete der Rat dem «Äussern Regiment», der aus jungen Burgern gebildeten

Schattenregierung, wie alle paar Jahre den Auszug zu einem Manöver auf das Kirchenfeld.

Der alt-Schwellenmeister Niclaus Schneider erhielt den Auftrag, im Marzili eine Schiffbrugk

schlagen zu lassen und etwelchen Schiffleüten das ze zeigen. Er bat den Rat, die Ehrende

Gesellschaft aufzufordern, die zu den Schiffen eingeteilte Mannschaft aufzubieten: Abraham

Schumacher, Hans Schmid, Heinrich Rychener, Emanuel Gryph, der soeben die Lehre abgeschlossen

hat, und aus Hunziken Hans und Ulli Schmid. 1 Sollend sich bey Niclaus Schneiders

Haus vor Mittag bey guter Zeit einfinden Montag 21. Mai. 2

1737 nimmt Schiffleuten den erwähnten Emanuel Gryph (1703-75) auf, den Sohn der mit dem

Gerber Hans Ulrich Gryph verheirateten Anna Barbara Späting. 1745 zum „ganzen Meister“

ernannt, wird er Schwellen- und 1757-72 Stubenmeister. Sein Sohn Abraham Emanuel (1731-

73) wird 1754 Stubengeselle. Auch er wird Schiff- und Schwellenmeister und 1764-70 Säckelmeister

der Zunft. Seine beiden Söhne sterben leider im Kindesalter.

Eine kleine zusätzliche Verdienstmöglichkeit ergab sich mit den ab 1738 regelmässig im Sommer

organisierten zwei Reisen mit armen Patienten aus dem Inselspital zur Kur im Bad Schinznach,

den Badefahrten. 3

1738 liefen die Konzession von 1722 und auch die von Franz Ludwig Müller von 1718 aus. Um

alle bisshar verspührten beschwehrlichkeiten zu beseitigen, trafen Bern und Solothurn eine

neue Vereinbarung für die Schifffahrt auf der Aare, so dass der transit mehrers beförderet und

das gemeinnüzige commercium wider geäüfnet werde. Solothurn setzt seine alten Rechte

durch und wird an Stelle von Nidau zum Hauptumschlagplatz aller aus Yverdon abwärts und

aus Brugg aufwärts kommender Waren. Bern verzichtet auf das 1679 eingeführte alleinige

Laderecht für seine Schiffleute auf der Strecke nach Brugg, gibt aber die obere Schifffahrt von

Solothurn nach Bern und Yverdon noch nicht aus der Hand. Besondere Regeln gelten für die

beiderseitigen Zurzachschiffe, für die Auffuhr der Berner Landvögte oder für Badefahrten.

Was zwischen den Zurzachermessen von Brugg herauf kommt, steht zu 2/3 Bernern zu -

Schiffleuten aus Bern, Aarburg, Yverdon etc. - und zu 1/3 den Solothurnern.

Das gleichzeitig erlassene Schifffahrtsreglement schreibt vor, dass sich jede Woche abwechselnd

ein Schiff in Solothurn oder Brugg zum Abholen der Waren einfinden muss. Werden die

Schiffleute avisiert, dass Ware für mehr als ein Schiff vorhanden ist, haben sie sich mit den

nötigen Schiffen einzufinden. Sind mindestens 75 Zentner vorhanden, müssen sie fahren.

Die Vereinbarung wurde 1742 bestätigt, und das Reglement 1753 erneut für weitere 10 Jahre.

1743 wird ausserdem das 1722 für die Yverdoner Schiffskompanie erlassene Verbot aufgehoben,

mit ihren Barken nach Solothurn zu fahren, weil die paar noch aktiven Berner die ihnen

zustehenden 2/3 an Fracht zwischen Solothurn und Nidau gar nicht bewältigen können.

1

2

3

1723 teilt das Meisterbott von Schiffleuten der Zollkammer mit, es und die von Hunziken wollten

sich an das Verbot halten, keine Schiffe zu verkaufen.

Zunftarchiv Schiffleuten 1 S. 58; 5.5.1738: Zu Schifflüthen sind keine verordnete ausszüger, weilen es

alles Schifflüth synd und zu den Schiffbrüggen geordnet. 1798: Der Schwellenmeister muss für eine

Schiffsbrücke gewöhnliche Schiffe liefern. Zur Probe wird am 25.1.98 gegenüber dem äussern Bad in

der Matte eine Brücke über die Aare geschlagen. Sie wird dann bei Dotzigen über die Aare geschlagen,

um den Rückzug der bern. Truppen zu ermöglichen.

Balmer H., Geschichte des Bads Schinznach, Bulletin der Vereinigung Schweizer Petroleum Geologen

und Ingenieure, 1987, S. 27

28


Der Nachwuchs an Schiffern blieb ungenügend. Zwischen 1738 und 1745 bildete Schwellenmeister

Jacob Schneider sogar drei junge Aargauer aus. Konrad Landolt aus Aarau, Jacob Hoffmann

und Jacob Schmid aus Aarburg schlossen die Lehre mit Zustimmung des Botts erfolgreich

ab.

Stubengenosse wird dagegen der Schiffer Friedrich Zehender (1725-63), der Sohn von Sigmund

Zehender (1700-1775) und Anna Katharina Späting. Sigmund hatte bei Mittellöwen wenig

Aussicht auf Staatsämter. Bei Schiffleuten, der Gesellschaft seiner Gattin, schon. Er wird

1735 Grossrat, 1742 Zollherr im Kaufhaus, 1747 Kastlan in Wimmis, 1759 Kastlan in Zweisimmen.

1 Friedrich beendete die Lehre als Schiffer 1740, zog aber die militärische Laufbahn

vor. 1755 wird er Grossrat und kauft 1757 das grosse Landgut Melchenbühl bei Muri. 1762-63

ist er Säckelmeister. Mit dem Sohn von Friedrich Zehender sen., Friedrich (1759-1829), Kavallerieleutnant

und Gutsbesitzer, stirbt die Linie bei uns wieder aus.

Auf Friedrich Zehender folgte 1754 nach abgeschlossener Lehre noch Franz Ludwig Stauffer

(1730-90). Er war der Sohn eines Hufschmieds und Enkel des Schiffmanns Daniel Schumacher.

Schon von 1760 an ist er aber Stubenwirt.

Fatal wirkte sich die 1753 bei der Erneuerung des Schifffahrtsreglements den Schiffleuten gewährte

Erhöhung des Schifflohns aus. Nach 1760 brach auch der Zustrom von Gütern aus

Westen nach Yverdon ein. Die neu ausgebaute Strasse über Moudon wurde vorgezogen.

1761 bitten die schiffmeister hiesiger haubtstatt wegen des Abgangs dieses Handwerks noch

einmal um Hilfe. Sie klagen, dass sie durch ihr erlehrntes handtwerk bald nicht mehr im stand

seyen, ihr brodt zu gewinnen, zumahIen gegenwärtig die strassen allso verbesseret sich befinden,

dass die meisten persohnen sich der fuhr über land bedienen lassen; ausserdem werden

die gelegentlich sich zeigenden Fuhren von Schiffleuten eingeladen, die weder burger sind,

noch das handtwerk gebührend erlehrnet haben; auch werde das schiffmachen von ausseren

allso missbraucht, dass die hiesige meister bald keine zu verfertigen haben. Der folgene Entscheid

der Räte klärt jedoch nur die Verhältnisse in Bern. Sie bestätigen das 1688 für die

Durchfuhr von Waren aus Thun erlassene Reglement und die Verfügung über den Bau von

Schiffen aus dem Jahr 1642, 2 mit der Beifügung, [1.] dass die bei der Neubrücke wohnenden

Schiffer (!) keine Waren in und bei Bern abholen und abführen dürfen, sach wäre dann, dass

hiesige schiffmeister sich der fuhr nicht beladen wolten; [2.] dass zu sicherheit des publici hiesige

schiffmeistere begwältiget seyn sollen, alle schiffe, welche zum verkauff nach handtwerks

brauch gemacht, über hiesige schwelli gesprenget und weiters geführt werden, scharf examinieren

zu können, ob solche währschafft verfertiget und mit sicherheit mögen gebraucht werden,

wiedrigen fahls aber solches unserem grossweibel anzuzeigen, damit der treulose meister

möge zur gebührenden strafe gezogen werden.

1

2

Er hatte 4 Söhne: der älteste Kaufmann, Grossrat und Landvogt in Echallens, der zweite Friedrich,

der Schiffmann, der dritte Grossrat, Offizier in holl. Diensten und Landvogt in Wangen, der vierte

Offizier in sardischen und holl. Diensten. Ausser Friedrich erscheint keiner bei Schiffleuten.

1688: Die Thuner dürfen bei voll beladenem Schiff in Bern durchfahren, bringen sie weniger mit, sind

die Güter den Berner Schiffleuten zum Weitertransport zu überlassen, ausser diese haben keine

Schiffe bereit. 1642: Wangen, Aarwangen, Aarburg und Aarouw: uff anhalten der Schifflüthen allhie

wellindt min Gnädige Herren das schiffmachen drunden und wegfertigung des holtzes darzuo den

jenigen, welche sich dessen underwindind, gentzlich by pönn der confiscation abgestrickt haben;

ausgenommen sind diejenigen, welche das Handwerk erlernt haben.

29


Wohl aus der gleichen Überlegung wie Sigmund Zehender suchte Gottlieb

Friedrich Ith, genannt Amadée (1739-99), der Grossneffe des Landschreibers

Abraham Schärer in Laupen, als letzter Aussenstehender Anschluss

bei Schiffleuten. Vorerst Kaufmann, begann er noch mit 30 Jahren die Lehre

als Schiffmann. Das Bott nahm ihn 1771 auf, obschon er die Lehre nur

angefangen hatte, und wählte ihn sofort zum Säckelmeister und Almosner.

1775 wurde er Grossrat, Artillerieoberst, war 1775-81 Gesellschaftspräsident,

1781-87 Landvogt in Trachselwald und 1788-97 Säckelmeister. Der

Sohn Johann Rudolf (1774-1841) stand in holländischen und französischen

Diensten und starb als Major in Brasilien. Sein Sohn Heinrich, der letzte des Geschlechts, starb

1861.

Eine Sonderstellung hatte die Familie Schumacher. Sie stellte von 1700-1856 noch immer 8

Schiffmänner. Friedrich Vinzenz (1776-1825) übte als letzter das Amt des Schwellenmeisters

aus, welches der Grosse Rat seit 1375 ohne Unterbruch immer einem Schiffmann aus unsern

Reihen übertragen hatte. Und Heinrich Friedrich Schumacher (1800-1856) war der allerletzte

Schiffmann aus unserer Gesellschaft.

1770 nahm Bern Verhandlungen zur Revision des Reglements mit Solothurn auf. Die Schifffahrt

von Yverdon bis Solothurn und zurück soll nun Solothurner und fremden Schiffleuten

erlaubt sein. Für unsere drei noch aktiven Schiffer war das schon bedeutungslos. Verblieben

war ihnen die Abfuhr der leeren Weinfässer, die Reise mit einem einzigen Schiff nach Zurzach

und wohl ab und zu der Bau eines Schiffes. Trotzdem verfasste das Meisterbott im April 1771

ein „Handwerksreglement für die Meisterschaft der Schifflüten“. Es ordnet die vierjährige

Lehrzeit und die fünfjährige Gesellenzeit bis zur Aufnahme als Meister.

Die Witwe von Schwellenmeister Abraham Gryph († 1773) erreichte 1776 noch, dass der Rat

den Fuhrlohn für ein leeres obrigkeitliches Fass nach Vallamand und Yverdon von 5 auf 6

Batzen erhöhte. Ihr Gesuch beweist, dass sie das Geschäft ihres Mannes mit Angestellten weiter

führte. Die beiden andern Berner, Friedrich Anton und Johann Jacob Schumacher, waren

sicher ebenfalls auf Schiffknechte angewiesen. Wer diese waren und woher sie stammten, ist

nicht überliefert. Es galt nur die Regel, dass die Söhne von Burgern Vorrang vor Ausseren und

frömbden Knächten haben sollten.

Das Mitgliederverzeichnis von 1785 führt 18 Männer auf. Vier (!) sitzen im Grossen Rat, aber

vier andere benötigen Armenunterstützung. Kein einziger ist als Schiffmann bezeichnet. Beim

Schwellenmeister Friedrich Anton Schumacher steht „rüefender Wächter“, d.h. Nachtwächter.

Ein weiterer Schiffmann, Jacob Schumacher, ist 68-jährig und „Umbieter“.

Die Tabelle zeigt, wie die Zahl der bei uns zünftigen Schiffer mehr und mehr sank.

1700 9 1730 7 1760 3 1790 1 1820 2

1710 8 1740 5 1770 3 1800 2 1830 1

1720 10 1750 3 1780 1 1810 1

Mit dem Untergang des Alten Bern 1798 hörte der Zunftzwang für Schiffleute auf. Die früheren

Privilegien der Schiffergesellschaften wurden bis 1848 nach und nach alle abgeschafft.

Nur noch Heinrich Friedrich Schumacher (1800-1856) erlernte den Schifferberuf. Deshalb verzichtete

die Gesellschaft 1819, als Säge und Schleife an der Matte niedergebrannt waren, auf

die weitere Benützung und verkaufte die Liegenschaften der Stadt.

Hatte von den beiden ursprünglichen Haupterwerbszweigen die Fischerei schon um 1700 ihre

Bedeutung verloren, wurden nun auch Schiffbau und Schifffahrt bei der Gesellschaft zu Schiff-

30


leuten bedeutungslos. Die Gesellschaft lebt nur dank Neuaufnahmen anderer Berufsleute

weiter. Von ihnen steuern heute wieder eine ganze Reihe, zwar nicht mehr Weidlinge, aber in

der Freizeit Motor- und Segelboote. Seit kurzem ist mit Hans Hofstetter sogar ein Schifffahrtsunternehmer

Mitglied bei Schiffleuten, und der junge Nils Müri lässt sich zum Schiffbauer

ausbilden.

Was von der einst blühenden Flussschifffahrt übrig blieb

Bis zur Inbetriebnahme der Eisenbahnlinien behielt der Schiffstransport zwischen Thun und

Bern und von Yverdon nach Brugg seine grosse Bedeutung. Auch in Bern arbeiteten weiterhin

einige Schiffer und Flösser. Sie waren selbständig und meist nicht mehr Burger und übernahmen

die nach dem Brand wieder aufgebauten Anlagen in der Matte.

Aus Thun verkehrten dreimal in der Woche Märit- bzw. Postschiffe, „Kälberflotte“ genannt,

nach Bern.

Christoph Reiner: Märitschiff

aus Thun am Schwellenmätteli

in Bern 1815

(Kunstmuseum Bern)

Zwischen Juli und Dezember 1825 fuhren 623 Schiffe nach Bern, darunter 592 beladene Aareweidlinge,

dazu rund 1‘000 Stämme Holz in Flössen. Die Fahrzeuge transportierten 6‘132

Personen, 764 Kälber, 195 Schweine, 143 Schafe und Ziegen, 555 Klafter buchenes und 2‘105

Klafter tannenes Brennholz. Dazu viel Baumaterial, Kalk, Schiefer und Ziegel, ja sogar 27 Fass

Eis.

Zwischen 1842 und 1852 diskutierte man, ob statt der für die Schifffahrt und Flösserei hinderlichen

Schwelle nicht der Bau einer Kammerschleuse angezeigt wäre. Bei den Hochbrücken an

der Nydeck und in der Tiefenau kamen wegen der Schifffahrt keine Pfeiler in die Aare zu ste-

31


hen. Rund 2‘900 m 3 Granit- aus Brienz und Kalksteine aus Merligen für den Bau der Nydeckbrücke

gelangten 1841-44 per Schiff nach Bern. 1

Die Matte um 1830 nach dem Wiederaufbau der 1818 abgebrannten Gebäude (anonym, Burgerbibliothek

Gr.A.392)

Als 1858 für die neuen Spinnereien ein Stollen unter der Engehalbinsel zur Felsenau zur Nutzung

der Wasserkaft geplant wurde, zeigte sich nur noch wegen der Flösserei aus dem Oberland

Opposition. Die Flösserei sei nur beim „Thunwasser“ 2 oder hohem Wasserstand in Betrieb.

Der Stollen leite bei niedrigem Wasserstand das Wasser ab, das heisse, ein Durchkommen

auf der Aare sei nicht mehr möglich. Mit den Stauwehren an der Engehalde, in Mühleberg,

Niederried und Hagneck sind weitere Barrieren dazu gekommen. Immerhin gibt es in

Mühleberg noch ein für Schiffe mit einem Maximalgewicht von 25 t ausgelegtes Schiffshebewerk.

Ausser Friedrich Vinzenz und Heinrich Friedrich Schumacher arbeiten in der ersten Hälfte des

19. Jh. in Bern noch weitere nichtzünftige Schiffmänner. Nachher sind es neben einer Reihe

von Flössern hauptsächlich noch vier. Der Pfisternburger und Schwellenmeister Emanuel Küpfer

(† 1855) ist bis 1842 noch mit dem Krankenschiff nach Schinznach unterwegs. 1844 löst

ihn sein Sohn Emanuel als Schwellenmeister ab († 1888). 3 Sie begannen mit Ausflugsfahrten

nach Reichenbach und zur Neubrücke. Ihr Restaurant auf dem Schwellenmätteli florierte; bis

zum Bau der Dalmazibrücke 1871/72 erreichten es Gäste aus der Stadt nur mit der Fähre des

Schwellenmeisters.

Die Schiffmeister Johann Spring († 1858), Johann Hirter († 1872, 1865 Mitglied bei Zimmer-

1

2

3

Müller K.E., Geschichte der Erbauung der Nydeckbrücke in Bern, 1848

Die zeitweilige Erhöhung des Abflusses durch Öffnen der Schleusen in Thun

1851: Schwellenmeister Küpfer ist auch verantwortlich für die Bereitstellung wohlausgerüsteter und

hinreichend bemannter Rettungskähne u.a. im Schwellenmätteli ober- und unterhalb der Schwelle.

32


leuten) und der Flössermeister Johann Krebs († 1902) waren die drei andern. Spring und Hirter

waren an der Postschifffahrt von Thun nach Bern beteiligt. 1 Der „Baedeker“ kritisiert sie

1853 mit „keine besondere Bequemlichkeit bietend.“ Alle drei betrieben während der Sommersaison

bis etwa 1885 die „Gesellschafts- oder Plaisirschifffahrt“. 2

Johann Krebs verband das Nützliche mit dem Angenehmen. Hatte er ein oder mehrere Flösse

in der Matte bereit, offerierte er Flossfahrten. Von der Neubrücke gingen die Flösse dann

während der Woche Aare abwärts. Spring und Hirter konnten allein von den gelegentlichen

Gästefahrten nicht leben. Johann Spring war auch noch Steinhauer, und Johann Hirter wandte

sich nach 1850 mehr und mehr der Fuhrhalterei und dem Holz- und Kohlenhandel zu. Neben

den Vergnügungsfahrten organisierten alle drei Reisen, die z.T. bis nach Basel führten. Spring

fuhr mit Schützen im Juli 1840 morgens um 3 Uhr mit einem bedeckten Schiff zum Freischiessen

nach Solothurn ab. Zum nächsten Freischiessen in Basel reist Hirter am Samstag, den 29.

Juni 1844, morgens um 4 Uhr mit den Schützen an der Neubrücke ab. Er benützt dazu das

Postschiff, so in der Woche regelmässig von Thun kommt, mit Bänken und Verdeck. Kann 70

Personen (!) aufnehmen. Übernachtung in Laufenburg, Ankunft in Basel sonntags Morgen

früh.

Als die Bahn Bern erreichte, hörten der Personen- und Warentransport und die Flösserei auf

dem Wasser ab Bern praktisch auf. Krebs führte noch drei grössere Reisen durch. Am 20. Juni

1872 reiste er mit der Grütlimusik auf einem grossen Schiff nach Büren, und am Sonntag, 8.

Oktober 1882, und noch einmal am Sonntag, 8. September 1885, nach Aarberg. Nachher fahren

fast nur noch Wasserfahrer und Pontoniere auf der Aare, zum einen als Wasserretter

(„Den Wellen zum Trotz, dem Nächsten zum Schutz“, oder „der brave Mann denkt an sich

selbst zuletzt“ sind Leitsätze, die aus der Wasserrettung herkommen), zum andern zu Übungszwecken

für die Genietruppen der Armee. Beim Zerfall der Flussschifffahrt, heisst es 1897,

wäre es ohne die Wasserfahrer- und Pontonierfahrvereine nicht mehr möglich, genügend Rekruten

zu finden. Der Schweizer Wasserfahrerverband wie auch der Schweizerische Pontoniersportverband

pflegen auch heute noch eine enge Partnerschaft mit der Armee im Bereich

vor- und ausserdienstlicher Ausbildung von Pontonieren der Genietruppen. Mit den Behörden

in allen Kantonen bestehen zudem Vereinbarungen für Spontanhilfe auf dem Wasser, zu der

sie für Einsätze auf das handwerkliche Wissen und Können der Wasserfahrer und Pontoniere

zählen können.

Im August 1881 fuhr die Jungmannschaft des Pontonierfahrvereins mit vielen Mitgliedern des

Männerchors und ihren Frauen und Töchtern nach Aarberg. Sie „sprengte“ die Pontons leer

über die Schwelle und liess die Fahrgäste beim Schwellenmätteli in zwei mit Fahnen geschmückte

Pontons einsteigen. Die Mitfahrenden zahlten Fr. 1.50. Von der Neubrücke nach

Aarberg dauerte die Fahrt 3½ Stunden.

Von 1910 an organisierte der Berner Verkehrsverein bei schönem Wetter im Sommer jeden

Donnerstag und Samstag wieder Fahrten nach der Neubrücke. Auch die Familie Herzig führte

Gästefahrten durch. Der letzte Weidlingsbauer im Dalmazi war Hans Herzig (1921-89), Enkel

1

2

Am Sonntag, 23.8.1846, bzw. am 30.8., je nachmittags um 5 Uhr, fährt das gedeckte ordinäri Postschiff

von Thun nach Bern. Einstieg bei Hr. Engemann, Bäcker an der Allmendbrücke bei Thun. Ankunft

in Bern 7½ Uhr. Preis 5 Batzen. Hirter Schiffmeister. Von 1848 an verkehrte die Postkutsche

dreimal wöchentlich von Thun nach Bern.

Morgen Donnerstag, 21.5.1852, am Auffahrtstag, Fahrt mit einem neuen grossen Schiff, das bei 200

Personen (!) fassen kann, mit guter Musik von der Landeren bis zur Neubrücke. J. Hirter Schiffmeister.

33


eines Aareflössers und Sohn von Adolf Herzig (1890-1978).

Schwellenmätteli ca. 1910

Burgerbibliothek FN.G.C.494

Nach einer Reise nach Köln im Jahr 1911 organisierten die Pontoniere in den folgenden Jahren

im Aarebecken „nautische Spiele“. Sie bewiesen ihre Geschicklichkeit und steuerten vom

Dählhölzli Schiffe mit verschiedenen Sujets zum Schwellenmätteli: Helvetia, Märitschiff aus

Thun, Kölner Schiff, zwei Königskinder in einer Muschel, das Autoschiff mit schnurrenden

Wasserrädern etc. 1 Sie wurden nach dem 1. Weltkrieg wieder aufgenommen und hatten beim

Publikum grossen Erfolg.

Nautische Spiele

1938 Autoschiff

Staatsarchiv

FN_Jost_ N_3266

Heute beleben unzählige Schlauchboote im Sommer die Aare von Thun nach Bern. Im Aarebecken

messen die Pontoniere gelegentlich an Wettkämpfen ihre Fähigkeiten, wie z.B. im

Sommer 2016 die Jungpontoniere aus der ganzen Schweiz. Die Ruderer dagegen haben den

Wohlensee erobert, der im Spätherbst von einer Rudererinvasion „heimgesucht“ wird: am Armadacup

nehmen über 200 Ruderer und Ruderinnen teil. Der Cup lässt zwar die nautischen

Spiele nicht wieder aufleben, bietet aber mit den Drachenbootrennen eine besondere Publikumsattraktion.

1

Der Schriftzug REX auf dem Verdeck weist vermutlich auf das Motorradwerk REX in Coventry hin,

das zwischen 1901-14 auch Kleinwagen produzierte.

34


Leider macht niemand von uns bei den Wasserfahreren und Pontonieren mit. Doch pflegt der

Präsident gute Kontakte zu ihnen. So war es 2001 möglich, mit drei von Pontonieren gesteuerten

Schiffen vom Schwellenmätteli zur Brauerei Felsenau zu fahren, wo uns die Besitzerfamilie

Simon gastlich empfing.

Im Juli 2016 konnte eine Vertretung von Schiffleuten den Aare Club Matte Bern, den ältesten

Wasserfahrverein der Stadt Bern, mit dem Schiff „Ittu‘me“ (Mattenenglisch für Matte) von

Laufenburg nach Basel begleiten. 1 Anlass war die „Hirsebreifahrt“ nach Strassburg , welche

die Zunft zur Schiffleuten in Zürich alle 10 Jahre durchführt. Der Anlass erinnert an das Jahr

1456, als die Zürcher den verbündeten Strassburgern mit einem Schiff einen Topf mit noch

warmem Hirsebrei brachten, und bewiesen, dass ihnen notfalls sehr rasch Hilfe geleistet würde.

Die „Ittu‘me“ auf dem

Rhein, Foto A. Urfer

Die Gesellschaft verändert sich

Hätte unsere Gesellschaft im 18. Jh. nur noch Schiffer als Mitglieder gehabt, wäre sie wohl

eingegangen, wie 1729 die der Rebleute. Zum Glück lebten noch Angehörige mit andern Berufen.

Bader waren die Höffli und Heintz. Emanuel Dössi war Schneider und Bettelvogt. 2 In

Signau lebten die Notare Vater und Sohn Samuel und David Losenegger (†1756). Und die Stubenbücher

verzeichnen die Präsenz der beiden Schleifer Heinrich und Hans Jacob Stämpfli (†

1787, der letzte des Stamms).

Von den beiden Söhnen des Landschreibers Abraham Schärer in Laupen (1671-1730) war

Samuel (1702-1760) Fürsprecher und Schiffleutenwirt, und Johann Anton (1694-1752) Inselchirurg.

Der Sohn von Samuel, Johannes (1739-1779), Chirurg in holländischen Diensten, starb

1

2

Die Ittu’me ist ein ehemaliges Touristenschiff aus den 1970-er Jahren, das für Rundfahrten vom

Schweller zur Neubrücke oder zur Wohlei benützt wurde. Der Aare Club hat es mit grossem Zeit- und

Finanzaufwand 2015/16 restauriert.

Samuel Rudolf Höffli († 1804), Bernhard Heintz († 1833) und Emanuel Dössi († 1804) waren die

letzten ihres Geschlechts..

35


auf der Seereise nach Ostindien. Sein Cousin Sigmund Emanuel (1726-1794) starb als Major in

Holland. Mit ihm erlosch das Geschlecht bei Schiffleuten.

Vertreten ist ebenfalls noch die frühere Ratsherrenfamilie Späting. Vinzenz Späting († 1718)

ist Pfarrer in Kallnach und Mandach. Vinzenz (1671-1750), der Sohn von Gabriel, des Pfarrers

in Wimmis und Gottstatt († 1691), war Färber, ab 1718 Grossrat, später Kastlan in Wimmis

und Zweisimmen, Obmann von Schiffleuten. Sein Bruder Niklaus (1678-1745) war Hutmacher.

Und der letzte des Geschlechts, Johannes (1694-1756), der Sohn des Pfarrers Johannes Späting

(† 1724), war Notar und Stubenschreiber.

Die Schiffmänner und Schiffmacher waren oft auf Armenunterstützung angewiesen. Konnten

sie das damals übliche Lehrgeld für ihre Kinder nicht aufbringen, mussten die Gesellschaft und

die Stadt einspringen und bestimmten, welcher Beruf in Frage kam. 1 Da in der Stadt Schiffbau

und Transport nur noch wenigen ein gesichertes Einkommen garantierte, standen andere

Handwerksberufe im Vordergrund. So verlor Schiffleuten nach und nach den ursprünglichen

Charakter, obschon der Name blieb.

Die Einnahmen der Gesellschaft kamen aus der Vermietung des Hauses, gelegentlichen Aufnahmegeldern

und bescheidenen Kapitalanlagen. Sie flossen damals nur ins Stubengut. Ein

gesondertes Armengut gab es nicht. Die Einnahmen reichten nicht aus, um alle Bedürftigen zu

unterstützen und die Lehrgelder zu bezahlen. Anfänglich hatten diejenigen Stubengenossen,

welche die Konzession für die Transporte zwischen Nidau und Brugg übernahmen, jährlich

eine Konzessionsgebühr von 400 Pfund zu Gunsten der Gesellschaftsarmen zu leisten. Dieser

Betrag fehlt bereits 1734 in der ältesten erhaltenen Stubengutsrechnung. Ohne Zuschüsse der

Stadt, sie bestanden in Geld und Getreide, hätte der Säckelmeister, der zugleich Almosner

war, bald nichts mehr zu verteilen gehabt.

Obmann Samuel Tillier sorgte im Rahmen des Möglichen für Abhilfe. 1757 liess er zinnerne

Platten und Teller aus der Gaststube verkaufen. Sie wogen 35 kg. „Unnützes“ Silbergeschirr,

drei z.T. vergoldete Becher, eine silberne Schale und silberne Löffel wurden 1762 der Münz

zum Einschmelzen gegeben; ebenfalls im Gewölbe aufbewahrte z.T. fremde Gold und Silbermünzen.

Den Erlös von 1‘300 Kronen legte man zum Nutzen der Gesellschaft neu an. Nur das

Schiffli, der Tillierpokal und 12 silberne Löffel blieben verschont.

Sechs Stubengesellen wollten dem gänzlichen Verschwinden der Schiffer aus der Gesellschaft

nicht tatenlos zusehen. Sie entwarfen 1771 ein Reglement, in welchem sie forderten, dass nur

noch aufgenommen werden solle, wer das Schifferhandwerk regelgerecht erlernt habe. Dieses

Anliegen vertrat Schwellen- und Schiffmeister Gryph, und verlangte, das Grosse Bott müsse

die Sorge der Schiffmeister ernst nehmen und sie nach Kräften unterstützen. Die andern

fünf, der Seckelmeister Ith, der Stubenwirt Stauffer, der Kaufmann Bernhard Dachs, der Messerschmied

Schumacher und der Schleifer Stämpfli schlossen sich an.

Den ursprünglichen Charakter als Schiffergesellschaft verlor Schiffleuten auch, weil dringend

Nachwuchs aus andern Gesellschaften nötig war. Mangels angesehener und regimentsfähiger

Burger war von 1683 bis 1718 kein Mitglied mehr Grossrat. Ein Beitritt konnte sich also lohnen,

wenn jemand die Ämterlaufbahn anstrebte, umso mehr, wenn er, wie die schon erwähnten

Sigmund Zehender und Amadée Ith, in der Gesellschaft seiner Familie wegen bekannteren

Verwandten keine Chancen hatte.

Zwei Angehörige hochgeachteter Ratsherrenfamilien nützten die Situation aus. 1712 trat der

1

1724: vom Almosendirektorium ist Emanuel Gryff, das Schiffmacher Handwerk zu erlernen, Mr. Niclaus

Schnyder, dem Schwellenmeister, anvertraut worden.

36


Grossrat und Kaufhausverwalter Franz Ludwig Müller (1674-1736) mit 5 Söhnen zu Schiffleuten

über. Er war der Grosssohn des Gerbernvenners. Müller kannte die Schiffleute. Als Kaufhausverwalter

vereidigte er sie jedes Jahr. Er wurde sofort Obmann und Sechzehner. Als die

Berner nach dem Sieg bei Villmergen die gemeinen Herrschaften im Thurgau und in den Freien

Ämtern mitverwalteten, war er zuerst Statthalter im Toggenburg und dann wiederholt

Landvogt in Rheineck und in den Freien Ämtern und schliesslich Stiftschaffner in Zofingen,

d.h. dortiger Statthalter Berns. Das bei seiner Aufnahme gegebene Versprechen löste er bei

den Grossratswahlen 1718 1 ein und brachte als Sechzehner Vinzenz Späting in den Grossen

Rat. Mit Späting stellte Schiffleuten nach 34 Jahren wieder einen Grossrat aus den alten eigenen

Familien. Zwei von Müllers Söhnen dienten als Offiziere in fremden Diensten, Friedrich

war 1746-50 Säckelmeister und Landschreiber bei Samuel Tillier in Interlaken, der vierte, Johann

Rudolf, obrigkeitlicher Buchdrucker, Säckelmeister 1750-60, und der fünfte, Wolfgang,

Zollverwalter im Waadtland. Die Linie starb bei Schiffleuten 1834 aus.

1737 wechselte Major und Grossrat Junker Samuel Tillier (1704-1781) von Mittellöwen zu

uns. 2 1741 wählte ihn das Bott zum Obmann, was er bis kurz vor seinem Tod blieb. Er lässt

1743 mit Verweis auf andere Gesellschaften vom Bott erstmals formell ein achtköpfiges Vorgesetztenkollegium

zur Betreuung der armen Gesellschaftsangehörigen und Waisen wählen. 3

Deshalb bürgerte sich die Bezeichnung Waisenkommission ein. 4 Samuel Tillier war 1744-50

Landvogt in Interlaken, 1760 Oberst und 1773-81 Mitglied des Kleinen Rats. Im Ausstich stand

ihm kein geringerer als Albrecht von Haller gegenüber, der das Pech hatte, beim Los die silberne

statt der goldenen Kugel zu ziehen.

Aus einem völlig andern Grund meldeten sich der Seidenfabrikant Johann Ulrich Aeschbacher

und der Pfarrer Bernhard Dachs 1742 bei Schiffleuten an. Sie hatten vor der Burgerkammer

die Zulassung als ewige Einwohner erwirkt und mussten innert Jahr und Tag einer Gesellschaft

beitreten, wenn sie sie nicht verlieren wollten.

Johann Ulrich Aeschbacher (1687-1751) betrieb seit 1719 mit Angestellten an der Matte in

einem ehemaligen Gerbhaus eine Seidenweberei und besuchte die Zurzachermesse. 1736 erhielt

er von der Burgerkammer die Zulassung als ewiger Einwohner. 1737 kaufte er das Gerbhaus

Obergerbern für 7‘000 Pfund ab. Da Kaufleuten 1739 sein Aufnahmegesuch ablehnte,

bewarb er sich 1742 bei Schiffleuten. Das Bott nahm ihn mit Gattin und zwei Kindern auf.

1743 ist er bereits Mitglied des neu geschaffenen Vorgesetztenkollegiums, bleibt jedoch das

unüblich hohe Aufnahmegeld von 400 Pfund bis 1748 schuldig. 5 Katharina Aeschbacher, die

Tochter, war mit Hansrudolf Simon aus Bolligen (1699-1760) verheiratet, dem Stammvater

der Seidenfabrikantenfamilie. 1747 suchte Katharinas Bruder vergeblich Unterstützung bei

1

2

3

4

5

Die Erneuerung des Grossen Rats fand nur 1691, 1701, 1711 und 1718 statt und sorgte jeweils für

grosse Unruhe.

Er schenkte bei seiner Aufnahme der Gesellschaft 2‘000 Pfund für die Armen und einen silbernen

Pokal, den Tillierbecher. (Depositum im Historischen Museum Inv. Nr. 15099)

Major Tillier Obmann, Johann Rudolf Müller Seckelmeister, Jacob Schnyder Schwellenmeister, Johann

Anton Schärer Chirurg, Samuel Schärer Fürsprecher, Friedrich Emanuel Heintz Bader, Johann

Ulrich Aeschbacher Seidenfabrikant, Franz Ludwig Müller der Jüngere, Major.

Auf Wunsch von Obmann Samuel Tillier ernennt das Bott 1769 ein dreiköpfiges Waisengericht, geleitet

vom Säckelmeister, welcher Almosner ist; es prüft, wer wieviel Unterstützung nötig hat.

Die Söhne von Stubengesellen bezahlten nur 20 Pfund. Emanuel Gryph, der die Schifferlehre gemacht

hatte, schuldete 1737 als „fremder, der die Gesellschaft nicht geerbt hat“, das Doppelte. N.B.

noch in der 2. Hälfte des 19. Jh. kostete die Aufnahme die Stubengesellensöhne 23 Franken.

37


den Vorgesetzten. Er habe gehofft, von seinem Vater in die Fabrik aufgenommen zu werden,

der sie aber völlig seinem Schwager Simon überlasse. Als der Vater starb war er im Ausland.

Das Bott befand, sein Vormund Emanuel Gryph solle die Regelung des Erbes der Witwe und

den Angehörigen überlassen. Aeschbacher junior meldet sich noch einmal 1752 schriftlich bei

Schiffleuten und bittet, weil er heiraten will, um eine Zuwendung, was die Gesellschaft verweigert.

Nachher verliert sich seine Spur. Den Betrieb erbte Hansrudolf Simon, der Grossvater

des 1836 bei uns eingeburgerten Johann Samuel Simon.

Johann Jacob Dachs (1667-1744) aus Thun war 1695 Pfarrer in Holderbank, wurde 1714 ans

Münster berufen und damit automatisch „ewiger Einwohner“, nicht aber seine vorher in Holderbank

geborenen Kinder. Der Sohn Bernhard Friedrich Dachs (1696-1752) war Pfarrer in

Schlosswill und verheiratet mit Maria Elisabeth Jenner aus der Ratsherrenfamilie. Er wurde

1741 mit seinen Kindern ebenfalls ewiger Einwohner und ersuchte 1742 um Aufnahme bei

Schiffleuten und versprach, „alsobald 300 Pfund in bar für ihre Armen zu erlegen“. Das Bott

nahm das selbstverständlich an.

1643 hatte Bern das Patriziat geschaffen, indem es die Einwohner in „regimentsfähige“, d.h.

in den Grossen Rat wählbare Burger, das Patriziat, und in ewige Einwohner teilte. 1785 waren

von Schiffleuten nur noch die drei Familien Tillier, Zehender und Ith „im Regiment“, d.h. in

verschiedenen Funktionen an der Regierung beteiligt. Zwar regimentsfähig, aber nicht mehr

im Grossen Rat vertreten waren die Familien Müller, Schumacher, Höffli, Schärer und Stauffer.

In den andern Gesellschaften war die Situation nicht besser. Der Grosse Rat geriet unter

Druck und befürchtete eine nachteiligen Veränderung (!) der Regierungsform. Er öffnete

1790, aber wohl zu spät, das Burgerrecht schliesslich wieder ein wenig. Bei Schiffleuten erhielt

darauf die seit 1742 bei uns zünftige Familie Dachs 1791 das volle Burgerrecht. 1 1794 beschloss

der Grosse Rat, dass einem neuen Stamm oder mehreren das Burgerrecht erteilt

werden müsse, sobald die Zahl der regimentsfähigen Geschlechter durch Absterben auf unter

236 gesunken sei. Vorrang hatten Berner aus den deutschen und welschen Landesteilen. Die

Neuburger mussten der Gesellschaft ihres Handwerks beitreten, oder wurden, wenn sie Geschäftsleute

waren, einer Gesellschaft zugelost. 1795 war das bei Schiffleuten der Zofinger

Kaufmann und Oberstleutnant Johann Jakob Imhof (1748-1828). Sein Schwiegervater Samuel

Gruner aus Bern übernahm die Einkaufssumme von 10 Mark Silber (2.4 kg) oder 1‘296 Kronen;

das Kapital der Gesellschaft wuchs auf einen Schlag um 43% ! Der einzige Sohn fiel 1798

als Leutnant bei Neuenegg. Imhof verzichtete am 18. April 1798 auf das Bugerrecht.

Der Sohn des Ratsherrn Samuel Tillier, Junker Anton Ludwig (*1750), Offizier im bernischen

Jägerkorps, genannt „l’héritier“, der Erbe, wird 1775 zum Stubengesellen aufgenommen,

dann 1783 seine Brüder Emanuel Samuel (*1751), Offizier der königlichen Schweizergarde in

Paris, und Rudolf (*1754), Kaufmann in Amsterdam und dann in Philadelphia. Das Bott wählt

Anton Ludwig 1782 zum Obmann. An der Burgerbesatzung von 1785 war Amadée Ith Sechzehner

von Schiffleuten. Sein Einfluss führte sehr wahrscheinlich dazu, dass gleich alle drei

Brüder Tillier in den Grossen Rat gelangten.

Der anhaltende Rückgang der Mitgliederzahl und der Geldmangel der Gesellschaft blieben im

Grossen Rat nicht unbemerkt, und er liess 1787 Schiffleuten anfragen, ob sie bereit wären,

den Räten ihr Haus zu verkaufen. Das Bott entschied, ein Verkauf komme nicht in Frage, aber

über einen Tausch mit einer Liegenschaft an einer Hauptgasse könne man reden. Obmann An-

1

Der letzte männliche Nachkomme starb 1864.

38


ton Ludwig Tillier solle entsprechende Angebote entgegennehmen und sie dem Bott unterbreiten.

Es blieb aber alles beim alten.

Die 1795 unter Druck beschlossene Öffnung des Burgerrechts beruhigte die Situation nicht.

Einzelne Geschäftsleute aus der Klasse der ewigen Einwohner drängten auf Mitbeteiligung an

der Regierung. Anton Ludwig Tillier hatte sich mit seinem Lebenswandel den Aufstieg zu höheren

Würden verbaut und nützte die Spannungen aus. Er unterstützte die revolutionären

Ideen und liess im Februar 1798 im Land eine Proklamation verbreiten, in welcher zur Absetzung

der alten Regierung aufgerufen wurde. Nach dem Umsturz wurde er im April als einziger

Patrizier Mitglied der provisorischen Regierung und Regierungsstatthalter des helvetischen

Kantons Bern, also höchster Berner. Er kam den französischen Wünschen zu wenig nach und

verlor das Amt am 1. Januar 1799. Am 4. Februar trat er als Obmann von Schiffleuten zurück.

Bis 1804 nahm er noch an Sitzungen des Vorgesetztenbotts teil. Als Grossrat war er 1805 Mitglied

des neu geschaffenen Gerichts für den Amtsbezirk Bern. Aus der Politik zurückgezogen,

lebte er bis 1813 auf seinem Gut im Mühletal bei Aarberg.

Sein Bruder Emanuel Samuel verhinderte 1789 während der Julirevolution mit seinen Gardisten

die Gefangennahme des Erzbischofs von Paris und das Eindringen der aufgebrachten

Pariser ins Schloss Versailles; er erntete Lob von Louis XVI und La Fayette. 1792 kehrte er nach

der Auflösung der Schweizergarde als Oberst nach Bern zurück. Er ist 1794-98 Grossrat und

Ohngeldner 1 und 1797-1820 Säckelmeister von Schiffleuten. 1805-31 ist er Ohngeldner der

Stadt und nach der Restauration 1815-31 wieder Grossrat und 1816-17 und 1826-31 Mitglied

des Grossen Stadtrats. Von Louis XVIII ist er 1816 zum Feldmarschall befördert worden. Er

starb 1836. Sein Sohn Samuel David (1797-1837) starb als Hauptmann in Neapel und war der

letzte des Geschlechts bei Schiffleuten.

Rudolf Tillier, der Kaufmann, ist 1785 bei seiner Wahl in den Grossen Rat in Philadelphia, wo

er Sarah Biddle aus einer angesehenen Familie geheiratet hat. Ihre Schwester ist die Gattin

des Generals James Wilkinson. Die Firma Clemens Biddle & Tillier vermittelt Kolonisten aus

Frankreich Land im Norden des Staates New York. Im Januar 1789 trifft Rudolf auf seiner Reise

nach Bern in Paris den späteren Präsidenten Thomas Jefferson und den Marquis La Fayette.

In Bern wird er überraschend Sechzehner, bewirbt sich aber nicht um die frei werdende Landvogtei

Interlaken und beschliesst nach Amerika zurückzukehren, weil er keine Aussicht auf

lukrative Ämter hat. Er dehnt seine Tätigkeit nach Süden aus und ist 1794 in St. Louis, wo

seine Gattin stirbt. Im Jahr darauf ist er wieder in Bern. Für die 1793 in Paris gegründete New

York Compagnie, die im Norden des Staates New York viel Land gekauft hat, um französische

Kolonisten anzusiedeln, beschafft er Geld und ist 1796-1800 von New York aus Administrator

des Ganzen. Abgelöst wendet er sich erneut nach St. Louis. Ab 1805 leitet er im Auftrag der

amerikanischen Regierung die dort im neuen Fort Bellefontaine angesiedelte Handelsmission.

Im Winter lebt er wieder in New York. Er stirbt 1810. Merkwürdigerweise ist er 1815-17 immer

noch in den Grossratsverzeichnissen aufgeführt.

Die helvetische Regierung hatte bereits 1798 den Zunftzwang aufgehoben: Handwerker waren

nicht mehr verpflichtet, der ihrem Beruf entsprechenden Zunft beizutreten. In Bern reagierten

die Gesellschaften 1804 darauf. Schiffleuten erkärte, die Gesellschaft sei „geschlossen“,

und „dass man folglich keinen genoss einer andern gesellschaft des Handwerks wegen

mehr annehmen werde“. So blieben Neuaufnahmen von Schiffern aus, und andere junge Berufsleute

hatten kein Interesse, einer armen Gesellschaft beizutreten.

1

Verantwortlich für den Einzug des Ungelds, Ohngelds: Umsatzsteuer auf Wein

39


Ausser Anton Ludwig Tillier hatten nach 1798 noch drei andere Männer, die später Stubengenossen

wurden, mehr oder weniger wichtige Funktionen unter dem neuen Regime. Christian

Pfander (1765-1839) aus Belp und einer der drei Grosssöhne von Johann Ulrich Aeschbacher,

Albrecht Emanuel Simon (1737-1818), Tuch- und Strumpffabrikant, gehörten 1799 der fünfköpfigen

Verwaltungskammer des Kanntons Bern an, der Exekutive. Simon machte sich mit

dem Eintreiben der von Frankreich geforderten Kontributionen unbeliebt. Pfander arbeitete

an der bernischen Mediationsverfassung mit. 1803 gehörte er dem Grossen und als Polizeiminister

dem Kleinen Rat an. Er erhielt 1808 das Burgerrecht geschenkt und wurde wie Imhof

Schiffleuten zugelost. 1 1814-30 sass er wieder im Grossen und 1814-23 im Kleinen Rat, war

1823-30 Regierungsstatthalter in Schwarzenburg und 1816-24 Gesellschaftsobmann.

Während das Bott Christian Pfander aufnehmen musste, war es sonst recht vorsichtig, obschon

die Gesellschaft dringend frisches Blut brauchte. Es lehnte im März 1813 das Aufnahmegesuch

von Albrecht Emanuel Simon ab. 2 Er bot für seine vierzehnköpfige Familie, 8 Söhne,

3 Schwiegertöchter und 1 Grosskind, nur das reglementarische Aufnahmegeld von 5‘200 Franken

damaliger Währung an. Das Bott befand, das stehe pro Kopf gerechnet in keinem Verhältnis

zum Stubengut. Daneben gebe es noch andere erhebliche - wahrscheinlich politische -

Gründe für die Ablehnung. Im November versuchte es Simon bei Schmieden und wurde aus

den gleichen Gründen abgewiesen. Seine Söhne Johann und Emanuel begründeten erst 1836

und 1838 den Stamm Simon bei uns.

Neue Familien

Als 1815 mit der Restauration die früheren Verhältnisse wieder mehr oder weniger hergestellt

waren, kam es bei Schiffleuten zu Neuaufnahmen. Auffällig ist, dass vor allem „vermöglichere“

Geschäftsleute - der Stadtrat hatte das empfohlen ! - den Zugang zur Gesellschaft fanden.

Das fiel auch auf, denn 1840 wies der Burgerrat das von Schiffleuten befürwortete Gesuch des

Gerichtspräsidenten von Wangen „als reine Finanzspekulation“ zurück.

Im September 1815 nahm das Grosse Bott den in Bern ansässigen Weinhändler Samuel

Eichelberger (1764-1822) aus Sumiswald mit Ehefrau und vier Kindern auf. 3 Nur einen Monat

später teilte das Bott der Regierung (!) mit, es habe beschlossen den Weinhändler und Grossrat

Christian Herrenschwand (1768-1852), Besitzer von Stuckishaus, aufzunehmen. Mit Christian

Pfander hatte er Geschäftsbeziehungen, war 1798-1802 Mitglied des neu geschaffenen

Kantonsgerichts und wurde, da er mit seinem Vermögen die Voraussetzungen dafür erfüllte,

als Nichtburger 1803 in den neu zusammengesetzten Grossen Rat gewählt. 1814 hatten alle

nichtburgerlichen Grossräte das persönliche Burgerrecht der Stadt Bern erhalten. Wahrscheinlich,

unterstützt von Christian Pfander, bewarb sich Herrenschwand bei Schiffleuten,

um in den Besitz „aller burgerlichen Privilegien und Wohltaten“ zu gelangen. Die Einburgerung

seiner Gattin und der vier Kinder war nur eine Formsache und anfangs 1817 vollzogen.

Am 2. April nahm er bereits im Vorgesetztenbott Einsitz. Er war 1825-43 Gesellschaftspräsident,

1831-39 Regierungsrat und blieb bis 1846 Grossrat.

In relativ kurzen Abständen folgten andere Geschäftsleute, welche sich die Aufnahmegebüh-

1

2

3

Seine Einkaufssumme bei Schiffleuten belief sich auf 4‘320.- Franken damaliger Währung.

Seine beiden Brüder waren, der eine 1804 bei Webern, der andere 1805 bei Mittellöwen aufgenommen

worden.

Die Einkaufssumme betrug 3‘780.- Franken damaliger Währung. Dazu kamen für die Waisenhäuser,

das Stadt-Almosen und den Primarschulfonds noch einmal 1‘440.- Franken.

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ren leisten konnten. 1821 der Seiden- und Strumpffabrikant Johann Friedrich Nägeli, 1824 die

Papierhändlerfamilie Leuenberger, 1827 die Müllerfamilien Moser und Steiner und 1829 der

Küfermeister Rudolf Schorer, Gesellschaftspräsident 1844-52.

Nicht zur Kategorie der Geschäftsleute gehörte 1821 der aus Strassburg gebürtige Baumeister

Johann Daniel Osterrieth (1768-1839). 1798 plante er die Erweiterung Aaraus zur neuen

helvetischen Hauptstadt und leitete den Bau der neuen Berner Münzstatt (abgebrochen für

das Bellevue Palace). Ab 1801 war er Kantonsbaumeister. 1821 leitete er den Bau des Stadtcasinos

(1895 abgebrochen für das Parlamentsgebäude) und plante und baute 1825 das neue

Aarbergertor. Das grosse Zuchthaus am Bollwerk stammte von ihm. Es gilt als Hauptwerk des

Spätklassizismus in Bern (1893/94 abgebrochen für die Bollwerkpost). 1834 schuf er nach

dem Stadtbrand die Pläne für den Wiederaufbau Huttwils. Und 1837 legte er ein Projekt für

die Nydeckbrücke mit Verlängerung der Gerechtigkeitsgasse mit Abbruch der Kirche vor. Es

wurde nicht weiter verfolgt. 1825-30 war er Säckelmeister von Schiffleuten.

Das Zuchthaus und das Torhaus auf

der linken Seite wurden 1893/94 für

die Bollwerkpost abgebrochen, das

rechtsseitige Torhaus 1961 beim

Bahnhofneubau.

(Burgerbibliothek Gr_C_183)

Sein Sohn Ludwig Friedrich Osterrieth (1807-1888) war ebenfalls Baumeister, 1843-59 Mitglied

des Grossen Burgerrats, 1853-55 Gemeinderat, 1853-58 Gesellschaftspräsident; er verstarb

kinderlos in Paris.

Mit Johann Röthlisberger (1791-1851) folgte 1831

ein weiterer Kaufmann. 1837-38 war er Säckelmeister.

Den Burgerbrief mit dem Familienwappen bewahrte

er in einer Kassette auf, die heute im Zunftarchiv

auf der Burgerbibliothek deponiert ist.

1836 und 1838 gelang schliesslich den bereits erwähnten

Seiden- und Strumpffabrikanten Simon

die Aufnahme.

1838 rückte die heute noch vertretene Weinhändlerfamilie

Stauffer nach.

Mehr Erfolg als der Gerichtspräsident von Wangen

hatten 1841 der Arzt Hans Ulrich Küpfer aus Münsingen

(† 1861) und der Lederhändler Johann Jakob

Koch aus Lüen in Graubünden (1799-1887),

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Gesellschaftspräsident 1858-82; der Sohn Johann Rudolf (1832-91) war Gymnasiallehrer und

Gesellschaftspräsident 1883-91. 1859 nahm Schiffleuten die Witwe Elisabeth Sommer mit

ihrem 17-jährigen Sohn auf, die Schwägerin von Pfarrer Johann Rudolf Schorer. Der Sohn

August Sommer lebte als Kaufmann in Langenthal und sein letzter männliche Nachkomme

starb 1917.

Populär und über die Stadtgrenzen hinaus bekannt wurde Müllermeister Samuel Steiner Sohn

(1818-82). 1846-81 war er unser Säckelmeister, 1845 Kirchgemeinderat der Nydeckgemeinde,

1850 Gemeinderat, 1858 Grossrat, drei Mandate, welche er bis zu seinem Tod behielt. Er war

Verwaltungsrat der Berner Staats- und der Entlebuchbahn und 1866-72 Nationalrat.

Finanziell ging es der Gesellschaft gut. 1847 verbucht Säckelmeister Samuel Steiner Einnahmen

aus Kapitalanlagen von Fr. 3‘938.- und aus Mietzinsen von Fr. 1‘003.-; 1 die Auslagen belaufen

sich auf bloss Fr. 1364.-. Vom Überschuss muss er 10% neu anlegen. Den Rest von Fr.

3381.- verteilt er an die 112 Mitglieder (Frauen und Kinder mit eingerechnet je Fr. 30.-). 2

Als 1851 Pfistern ihr neues Hotel zuoberst an der Sonnseite der Marktgasse bezog, stifteten

alle Gesellschaften je ein Buntfenster mit ihrem Wappen. Die Fenster entwarf der Heraldiker

Dr. Ludwig Stantz. Obwohl Schiffleuten die kleinste Gesellschaft war, hatte sie keine Mühe,

die Scheibe zu finanzieren. Sie hängt heute mit allen andern im Kulturcasino.

Der „Mutz“ steuert mit der linken Pranke das Schiff. Der Stachel im Wappenschild ist viel fei-

1

2

Das Gesellschaftshaus gehörte zwar seit 1824 dem Kanton. Die Gesellschaft blieb Mieterin und hatte

sich das Wirtschaftsrecht vorbehalten. Der Verkaufserlös war angelegt. Den Laden benützte ein Untermieter.

1876 waren es pro Person Fr. 40.-. Das 1868 neu gekaufte Gesellschaftshaus an der Kramgasse 68

hatte einen Wert von Fr. 95‘000.-, die Wertschriften Fr. 77‘000.-, davon Aktien der Centralbahngesellschaft

für Fr. 13‘000.-. Das Armengut war mit Fr. 99‘000.- dotiert.

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ner und dazu golden statt weiss, wie im offiziellen Wappen. In den hellbraunen Eckfeldern

stehen feine Sentenzen zu Fischerei und Schifffahrt. Oben links heisst es „Fischfangen und Vogelstellen

gefahret Alt- und Junggesellen“, illustriert mit einer jungen Frau, gefangen in einer

Fischreuse. Oben rechts steht unter einem Schiff in Sturmesnot „Die Mittelstrass führt heil

fürbas“. Unten links in Erinnerung an den kühnen Schiffmann Tell “Ein Freund in der Not“ und

rechts „Der letzte Fährmann ist der Tod“.

Mit der Neuregelung des Schweizer Bürgerrechts wurden der Gesellschaft 1861 elf Personen

zugewiesen, welche vorher keinen gesetzlichen Heimatort hatten: der Spengler Johann Gottlieb

Pfister, der Dienstmann Johannes Egger, der Holzhauer, Zügler und Packer Friedrich

Schmocker und die Schneiderin Anna Ryser. 1865 nahm Schiffleuten den Notar und Kirchmeier

Karl Howald auf und 1866 den Lederhändler Rudolf Allemann.

Karl Howald hatte sich neben seinem Beruf als Notar einen

Namen als Historiker gemacht. Er entwarf 1876 das Programm

für die grosse Murtenschlachtfeier und gestaltete

mit Ludwig Stantz den Festumzug. In der dreizehnköpfigen

Gruppe von Schiffleuten waren vertreten Fritz, Rudolf und

Vinzenz Schumacher, Fritz Simon und Fritz Moser; dazu kamen

acht Aussenstehende, darunter das spätere Mitglied

Emil Jordi. Für die fünf Helme, Schwerter, Überröcke, Beinkleider

und den Brustpanzer des Fähnrichs Vinzenz Schumacher

bezahlte Säckelmeister Steiner Fr. 700.-.

Als Kirchmeier und Vizepräsident des Münsterbauvereins

bemühte sich Howald unermüdlich um den Ausbau des

Münsterturms, an dem im November 1893 der Schlussstein

des Helms eingesetzt wurde. Zum Dank ist er am untern

Achteck des Turms mit einer in Stein gehauenen Porträtbüste verewigt. Er starb 1904 kinderlos.

Auch für den Festzug zur 700-Jahrfeier im August 1891 war er verantwortlich.

Schiffleuten am 700-Jahr Jubiläum

Berns 1891

v.l.n.r.: Fähnrich Fritz Schumacher *1842 Drechsler, Schwellenmeister Karl Bachofner *1845 Münstersigrist,

Fritz Moser *1859 Schlosser; sitzend v.l.n.r.: Rudolf Schumacher *1846 Buchbindermeister, Eduard

Pfander *1869 stud.med.dent., Gottlieb Pfister *1849 Spengler, Hermann Schumacher *1876 Buchbinder,

Rudolf Schumacher *1872 stud.theol.

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Als Sekretär des Münsterbauvereins stand der Primarlehrer Jakob Sterchi Karl Howald zur

Seite. Ihn und den Münstersigristen Hans Bachofner nahm Schiffleuten 1890 auf. Der heutige

Stamm Howald geht auf den 1885 aufgenommenen Kaufmann Ernst Gottlieb Howald zurück,

den Cousin Karls.

Es folgten 1896 der Fürsprecher Julius Pezolt, der Notar Emil Jordi und 1897 der Fabrikant in

Wangen Adolf Roth. Emil Rudolf Leuzinger, Inhaber eines Leinen- und Baumwollwarengeschäfts,

verwandt mit den Familien Koch und Allemann, war 1898 der letzte neu aufgenommene

im 19. Jahrhundert. Schiffleuten betrieb im 20. Jh. nie eine aktive Aufnahmepolitik,

wuchs jedoch weiter.

Jahr Geschlechter/Stämme Stubengesellen

total

auswärts

oder im

Ausland

Schiffleute minderjährige +

ledige Männer

1697 15 22 5 11 11

1714 17 30 4 15 17

1740 11 22 1 5 7

1763 12 22 4 7 21

1780 12 22 9 3 15

Kopfzahl

1804 6 12 4 1 9

1846 17 32 1 19 111

1859 17 19 36 110

1877 20 32 115

1914 22 54 8 17 165

1940 26 59 19 19 167

2015 90 370

Das Gesellschaftshaus an der Münstergasse 22

Durch Vermittlung des damaligen Stubenschreibers und Notars Gerhard Jordi konnte 1951

zum Preis von Fr. 127‘000.- endlich wieder eine eigene Liegenschaft erworben werden. 1 Die

Wohnung im 1. Stock wurde 1951/52 zur Gesellschaftsstube umgebaut. Das Ladenlokal und

die drei andern Wohnungen sind vermietet und die Mietzinse sind eine wichtige Stütze unserer

Finanzen. Anfänglich konnten die Wohnungen im 2. und im Dachstock noch modernisiert

werden. Weitere Projekte scheiterten dann am Einspruch der Denkmalpflege. Da die Stube

beim Grossen Bott oft zu eng ist, versuchte die Waisenkommission in der Altstadt etwas

Anderes zu finden. Die Preise sind jedoch so exorbitant, dass das Vorhaben misslang. Was an

kleinen Verbesserungen an der Stube bis jetzt möglich war, ist realisiert worden. Dabei hat sie

auch ästhetisch gewonnen und wirkt dank der neuen Beleuchtung viel heller. Der neue

Boden, modernes Mobiliar und helle Vorhänge tragen dazu bei.

Zur Ausstattung gehören zwei Werke von bekannten Berner Künstlern. In der Stube hängt das

Diptychon von Egbert Moehsnang. Er schuf es im Auftrag der Waisenkommission speziell für

unsere Stube zwischen 1998 und 2000 im Atelier unter dem grossen Dach seines Bauernhauses

in Schüpfen. Blau und Weiss erinnern an das Fahrwasser der Schiffleute, Schwarz an seine

Gefahren. Das Diptychon ist ein Andenken an den 1995 verstorbenen Richard Simon, der in

seinem Testament die Gesellschaft äusserst grosszügig bedachte.

1

Das 1865 erworbene Gesellschaftshaus an der Kramgasse 68 war 1924 verkauft worden. Schiffleuten

blieb Mieterin im 2. Stock, was mit der Zeit nicht mehr befriedigte.

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Die am Umzug von 1891 benützte Fahne

wird im Historischen Museum aufbewahrt

(Inv.Nr. 22357).

1899 liess die Gesellschaft sie ersetzen.

Auf die neue war Schiffleuten offensichtlich

stolz: „Heute und morgen, 15.,

16. Juli, wird im Laden von Herrn Robert

Leuzinger an der Marktgasse 35 die

Zunftfahne von Schiffleuten ausgestellt,

auf der von Kunstmaler Karl Gehri in

Münchenbuchsee das bekannte Wappenbild

von Dr. Stantz mit dem Mutz als

Steuermann in vorzüglicher Weise reproduziert

ist“ (sh. Abb. vorne). Mit

einer noch älteren ist sie wohl wegen

ihres Zustands entsorgt worden.

Im Innenhof steht der 1961 von Max Fueter geschaffene

bronzene Stachler. Er macht sichtbar, welche

Anstrengung nötig war, die Schiffe Fluss aufwärts

zu stossen, wenn es nicht anders ging. Die Figur ist

das Geschenk von Fürsprecher Alfred Pezolt, Gesellschaftspräsident

von 1949-53. Während an der

Marktgasse die Löwen von Gerbern und Mittellöwen

die Fassaden zieren dürfen, kam das an der Münstergasse

nicht in Frage.

Die Rüstung mit Helm, Kettenpanzer und Zweihänder

hinten in der Stube ist meines Wissens ein Erbstück

aus dem Nachlass von Friedrich Steiner, dem Grosssohn

des Müllermeisters Samuel Steiner

Unsere heutige Fahne schaffte die Gesellschaft 1932 an. Dazu war vorher ein mit Spenden

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von Zünfterinnen und Zünftern geäufneter Fahnenfonds geschaffen worden. Sie gibt der

Stube einen zusätzlichen farbigen Akzent. Entworfen hat sie Architekt von Rodt. Genäht und

bestickt hat sie Fräulein Johanna von Steiger.

Um den blauen Wappenschild hervortreten

zu lassen, ist der Hintergrund purpurfarbig.

Krebse und Fische symbolisieren das Wasser.

Nachdem sie an der Marktgasse im Schaufenster

des Porzellangeschäfts Steiger ausgestellt

worden war, fand am 25. März

1933 am Familienfest im Sternen in Muri

die offizielle Übergabe mit einem poetischen

Prolog statt, wie Dr. Hans Kuhn-Simon

berichtet.

Auch bei anderen Gelegenheiten fasste man sich in Versform. Von einem unbekannten Poeten

stammen die folgenden Zeilen. Sie nehmen u.a. Bezug auf die Scheibe von Ludwig Stantz.

Als erster Fährmann allbekannt,

Wird Vater Noah stets genannt,

Der, als die Sündflut plötzlich kam,

Was lebte, in die Arche nahm.

Seither steht Schiffahrt hoch in Gunst,

Gesiegt hat Berner Flösserkunst,

Als Habsburgs Rudolf uns’re Stadt

Zweimal umsonst belagert hat.*

Den Lotsen hemmt oft Gegenwind,

D‘rum Schalt** und Ruder nötig sind.

Gebraucht er sie mit Schick und Mut,

So spottet er des Sturmes Wut.

Der letzte Fährmann ist der Tod.

Wohl dem, der in der höchsten Not

An Bord hat jenen Steuermann,

Der ihn zum Frieden führen kann !

* Bern hielt 1288 zwei Belagerungen stand. Die Belagerer hätten nach Diebold Schilling, um die neue,

damals noch hölzerne Untertorbrücke zu zerstören, Schiffe und Flösse mit brennendem Material beladen

und vom Marzili die Aare hinuntertreiben lassen. Den Bernern sei es jedoch gelungen, sie mit

Schiffen von der Brücke „abzuweisen“. ** Schalte: Stange mit Eisenspitze zum Stossen des Schiffs.

Die Zunftgesellschaft zu Metzgern lädt reihum eine Zweierdelegation dreier anderer Gesellschaften

zu ihrem traditionellen „Rüeblimahl“ im Zunfthaus an der Kramgasse ein. Im Herbst

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1953 war Schiffleuten an der Reihe. Wie bei solchen Anlässen üblich, erhalten die Vertreter

der Gastzünfte das Wort, um ihre Gesellschaft vorzustellen. Für Schiffleuten tat das Dr. Hans

Oscar Kuhn und fasste die Geschichte unserer Gesellschaft humorvoll in Verse und spielte auf

den kurz zuvor erfolgten Bezug des Hauses an der Münstergasse an.

Beym Münsterplatz, von hier nit wyt,

Da husend nun, sit kurzer Zyt

Und - will ich hoffen - mit Vernunft

Die Burger von der Schifflütenzunft;

An Zahl gering, doch gueten Muets,

Wiewohl ermanglend blauen Bluets. (!)

Unlängst macht da bey uns die Runde

Von Metzgern diese ernste Kunde:

Sie wellend halten, hier im Saal,

Nach altem Bruch das Rüeblimahl.

Und sintemalen man zum Feste

Gern bey sich sehe liebe Gäste,

So mögend diesmal, nach der Reihe,

Die Schifflüt senden ihrer zweie,

An leck’rer Schpys sich zu ergetzen,

Mit küelem Wyn den Gaumen netzen.

Die Botschaft han wir wohl vernommen

Und sind mit Freud anhergekommen,

Ein junger und ein Altgeselle.

Wir melden höflich uns zur Stelle

Als Abgesandte einer Gilde,

Die Böses niemals führt im Schilde,

Wohl aber in vergang’nen Zyten

Zu Schiffe fuhr in alle Wyten

Ja, von der Wiege bis zur Bahre

Vertraut dem Wellenspiel der Aare.

Doch mählich, da auf breiten Strassen

Die Bürger in den Kutschen sassen,

Von Rossgestampf und Peitschenknallen

Die stillen Dörfer widerhallen,

Da mit der schnellen Isenbahn

Man so ergötzlich reisen kann,

Und - wehe - mit Gehup und Gasen

Benzinvehikel schröcklich rasen,

Dem Schifferhandwerk zum Verdruss,

Da ward es stille auf dem Fluss.

Von dazumal die Wasserratten

Die zogend ufwärts us der Matten,

Um da und dort, in Lauben, Gassen

Zu neuem Leben Fuess zu fassen.

In unterschiedlichen Gewerben

Setzt es sich fort von Erb‘ zu Erben.

(Dank für die Einladung und Wünsche.)

Die Obmänner und Präsidenten von Schiffleuten

Bis 1664 habe ich in den Dokumenten keinen als Obmann bezeichneten Stubengesellen gefunden.

In der Regel nahm ein Mitglied des Kleinen Rats diese Funktion wahr. Schiffleuten

stellte jedoch selten ein Mitglied der Exekutive, und zwischen 1624 und 1773 niemanden.

Dann übernahm der Sechzehner, 1 welcher mitunter zu den Sitzungen des Kleinen Rats beigezogen

wurde, oder der amtsälteste Grossrat diese Aufgabe. Schiffleuten hatte zwischen 1683

und 1712 weder ein Grossratsmitglied, noch einen Sechzehner. Deshalb ernannte der Grosse

Rat Grossräte aus andern Gesellschaften zu Sechzehnern für Schiffleuten, und der Kleine Rat

eines seiner Mitglieder zu ihrem Obmann.

Vom 18. Jh. an war es üblich, dass bei Abwesenheit des Obmanns meist der Säckelmeister,

oder auch ein anderes Mitglied, die Leitung des Botts übernahm. 1804 wählt das Bott erstmals

einen Vizepräsidenten.

1

Sechzehner: von den vier Vennern aus den Gesellschaften bestimmtes, 16-köpfiges Wahlmännergremium,

welches am Gründonnerstag vor Ersatzwahlen in den Grossen Rat zusammen mit dem Kleinen

Rat die Kandidaten vorschlug. Schiffleuten hatte Anspruch auf ein Mitglied.

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Obmann oder später Präsident

1664-74 Abraham Andres, Chirurg

1674-83 Niklaus Tscheer, Chirurg

1683-89 Ratsherr Hans Rudolf Tillier

1689-97 Ratsherr Johann Bernhard von Muralt

1697-1701 Ratsherr Jakob Wyss

1701-04 Ratsherr Beat Ludwig Thormann

1704-12 ???

1712-35 Franz Ludwig Müller, Kaufhausverwalter und Landvogt im Thurgau und den

Freien Ämtern, Stiftsschaffner in Zofingen

1736-41 Vinzenz Späting, Färber und Kastlan in Wimmis

1742-74 Major Junker Samuel Tillier, Landvogt in Interlaken, Besitzer von Schloss

Gümligen, Kleinrat ab 1773

1775-81 Hauptmann Gottlieb Friedrich Ith, genannt Amadé

1781-87 Hauptmann Junker Anton Ludwig Tillier, Sohn des Kleinrats

1788 Hauptmann Gottlieb Friedrich Ith, alt Landvogt von Trachselwald

1788-99 Jägeroberst Anton Ludwig Tillier

1799-1804 Pfarrer Jacob Friedrich Dachs in Thurnen

1804-16 Bernhard Niklaus Stauffer, Drechslermeister, Mitglied des Stadtrats

1816-24 Christian Pfander, Mitglied des Kleinen Rats

1825-43 Christian Herrenschwand, Weinhändler, Regierungsrat 1831-39

1844-52 Rudolf Schorer, Küfermeister, Burgerrat

1853-57 Ludwig Friedrich Osterrieth, Baumeister, Gemeinde- und Burgerrat

1858-82 Johann Jakob Koch, Lederhändler, Burgerrat

1883-91 Johann Rudolf Koch, Gymnasiallehrer

1891-1900 Arnold Schumacher, Oberst, Waffenchef der Artillerie, Burgerrat

1901-28 Dr. Albert Pfander, Arzt, Burgerrat

1929 Prof. Dr. theol. Wilhelm Hadorn

1930-36 Eduard Schlupp, Direktor der Spar- und Leihkasse

1937-44 Fritz Octave Pfander, Abteilungschef der Kantonalbank

1945-48 Moritz Simon, Sektionschef Eidg. Landestopograhie

1949-52 Alfred Pezolt, Fürsprecher

1953-56 Fritz Burkhard, Lehrer an der Länggassschule

1957-60 Heinrich Joss, Oberrichter

1961-76 Dr. rer.pol. Fritz Simon, Burgerrat

1977-83 Hans-Rudolf Kuhn, Fürsprecher, Abteilungschef EJPD

1983-93 Bernhard Dähler, Architekt, Burgerrat

1994-2008 Heinz Sommer, Gymnasiallehrer, Rektor

2009- Andreas Urfer, Sekundarlehrer und Informatiker

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