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ARD-Jahrbuch

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_ <strong>ARD</strong>-<strong>Jahrbuch</strong> 09<br />

41. Jahrgang<br />

Herausgegeben von der<br />

Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunkanstalten der Bundesrepublik<br />

Deutschland (<strong>ARD</strong>)<br />

unter Mitwirkung der<br />

<strong>ARD</strong>-Werbung<br />

Verantwortlich für den Herausgeber<br />

Peter Boudgoust,<br />

Intendant des Südwestrundfunks


_ redaktion<br />

Horst O. Halefeldt (hhalefeldt@hr-online.de),<br />

Gudrun Augustin (gaugustin@hr-online.de),<br />

Susanne Hennings (shennings@hr-online.de),<br />

Doris Rehme-Lauer (drehme@hr-online.de),<br />

Jutta Weismüller (jweismueller@hr-online.de),<br />

Deutsches Rundfunkarchiv (DRA).<br />

_ produktion und vertrieb<br />

Jutta Weismüller (jweismueller@hr-online.de),<br />

Cornelia Springer (cspringer@hr-online.de),<br />

Deutsches Rundfunkarchiv (DRA).<br />

_ geschäftsführung<br />

Hans-Gerhard Stülb, Deutsches Rundfunkarchiv (DRA).<br />

_ anschrift von redaktion und geschäftsführung<br />

Bertramstr. 8, 60320 Frankfurt am Main,<br />

Telefon (0 69) 15 68 72 11, Fax (0 69) 15 68 71 00<br />

E-Mail: ardjahrbuch@hr-online.de<br />

_ umschlag<br />

Marie Neuhaus, Stefanie Preisendanz-Weisz, Julia Weißbrod<br />

und Ralf Ziegler, Stuttgart. _ layout, typografie und grafik-design<br />

Peter Wolf KommunikationsDesign, Hainburg.<br />

_ reproduktionen<br />

_ gesetzt<br />

_ druck<br />

Dinges & Frick GmbH, Wiesbaden.<br />

in BSK Garamond und Thesis.<br />

Wilhelm & Adam Werbe- und Verlagsdruck GmbH,<br />

Heusenstamm.<br />

_ verlag<br />

_ auslieferung<br />

Hans-Bredow-Institut, Hamburg 2009.<br />

Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden.<br />

_ alle rechte vorbehalten.<br />

Nachdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers.<br />

_ isbn 978-3-8329-5165-8<br />

_ Der Umschlag des <strong>ARD</strong>-<strong>Jahrbuch</strong>s ist aus einem Wettbewerb<br />

hervorgegangen, den die <strong>ARD</strong> an der Hochschule der<br />

Medien (HdM) Stuttgart unter fachlicher Betreuung von Prof.<br />

Gabriele Kille und Prof. Stephan Ferdinand veranstaltet hat.<br />

_ Im Sinne einer besseren Lesbarkeit hat sich die<br />

Redaktion entschieden, Begriffe wie Hörer, Zuschauer,<br />

Redakteur geschlechtsneutral zu verwenden.<br />

Selbstverständlich sind immer Hörer und Hörerinnen,<br />

Zuschauer und Zuschauerinnen, Redakteure und<br />

Redakteurinnen gemeint.


_ Artikel<br />

Qualität für alle<br />

Von der Kunst, den vielfältigen Interessen gerecht<br />

zu werden<br />

Von Peter Boudgoust _ 13<br />

Die Vermessung des Gemeinwohls?<br />

Der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag und der<br />

Dreistufentest aus Sicht der Rundfunkanstalten<br />

Von Verena Wiedemann _ 15<br />

Die Erstbesteigung der drei Stufen<br />

Die Aufsichtsgremien der <strong>ARD</strong> und der Dreistufentest<br />

Von Harald Augter und Susanne Pfab _ 21<br />

Qualität trotz Quotendruck<br />

25 Jahre duales System – öffentlich-rechtliche<br />

Qualitätsangebote unter Konkurrenzdruck<br />

Von Volker Herres _ 27<br />

Jung – multimedial – digital<br />

Wege zu den jungen Zielgruppen<br />

Von Bernhard Hermann und Wolfgang<br />

Gushurst _ 34<br />

Von Panzern und Paschtunen<br />

Eindrücke aus einem unsicheren Land<br />

Von Florian Meesmann _ 41<br />

Der Zar reitet<br />

. . . mitunter auch die Korrespondenten<br />

Von Ina Ruck _ 46<br />

Los Angeles – mehr als nur Traumfabrik<br />

Berichterstattung aus einem der größten<br />

Ballungsräume der Welt<br />

Von Jan Tussing _ 51<br />

Modern und grenzüberschreitend<br />

Das Haff-Müritz-Studio berichtet aus der deutschpolnischen<br />

Grenzregion<br />

Von Michael Elgass und Steffen Münch _ 57<br />

2009 – ein Jahr voller Erinnerungen<br />

Deutsche Zeitgeschichte im Fernsehen<br />

Von Johannes Unger _ 60<br />

Wissen in der <strong>ARD</strong><br />

PISA und die Folgen<br />

Von Maria Dickmeis _ 67<br />

Was darf Satire?<br />

Versuch einer Definition und Abgrenzung<br />

Von Jesko Friedrich _ 76<br />

Alleine sind wir stark, gemeinsam sind wir stärker<br />

Gemeinsame Initiativen im Hörfunk<br />

Von Wolfgang Schmitz _ 82<br />

Medien und Integration<br />

Der <strong>ARD</strong>-Weg: Vom »Gastarbeiter«-Programm<br />

zur Querschnittsaufgabe<br />

Von Gualtiero Zambonini _ 87<br />

Eine Brücke über den digitalen Graben<br />

Eine »digitale Kluft« spaltet Deutschland. Die<br />

»Digitale Dividende« soll diesen Graben zuschütten<br />

Von Bertram Bittel _ 95<br />

Noch schärfer sehen<br />

Der HDTV-Showcase zu den Leichtathletik-<br />

Weltmeisterschaften 2009 in Berlin<br />

Von Nawid Goudarzi _ 99<br />

Fußball-Bundesliga weiter in der <strong>ARD</strong><br />

Von Axel Balkausky _ 106<br />

Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst<br />

25 Jahre 3sat<br />

Von Peter Boudgoust _ 108<br />

Mitten im politischen Geschehen<br />

Das Berliner Hauptstadtstudio der <strong>ARD</strong> ist<br />

zehn Jahre alt<br />

Von Ulrich Deppendorf _ 113<br />

Reihe Medienmenschen<br />

»Ich will Bilder machen«<br />

Kameramann Mathias Brüninghaus _ 118<br />

Die Welt von Lansing<br />

Heike Holder-Niedermeier konzipiert das Set von<br />

»Dahoam is Dahoam« _ 121<br />

Die Expertin für Schärfe<br />

Mediengestalterin Lena Crecelius _ 125<br />

Von Susanne Hennings<br />

_ Chronik und Berichte<br />

Chronik 2008 _ 131<br />

<strong>ARD</strong> und Rundfunkanstalten _ 131<br />

Wettbewerbe und Veranstaltungen _ 153<br />

Inhalt A R D - J A H R B U C H 0 9 5


6<br />

Rundfunkpolitik 2008 _ 170<br />

Von Verena Wiedemann _ 170<br />

Von der Brüsseler Beihilfeentscheidung zum 12.<br />

Rundfunkänderungsstaatsvertrag _ 170 I Gremien in<br />

gesteigerter Verantwortung _ 172 I Überarbeitung<br />

der Beihilfemitteilung _ 173 I Digitale Dividende:<br />

Rundfunkfrequenzen für Breitbandversorgung _ 173 I<br />

Digitaler Hörfunk: Vorbereitungen für Neustart _<br />

175 I Rundfunkfinanzierung: Hilfe für den RBB _ 175 I<br />

Reform der Rundfunkfinanzierung _ 176 I Werbung<br />

und Sponsoring: Schieflage im dualen System? _ 176 I<br />

Chancen der Wissensgesellschaft nicht mehr im<br />

Blick? _ 177<br />

Rundfunkfinanzen 2008 _ 178<br />

Gesamtergebnis: Finanzlage angespannt, Rundfunkanstalten<br />

mit Jahresfehlbeträgen _ 179 I Ertragslage:<br />

Gebührenaufkommen erstmals rückläufig _ 179 I<br />

Aufwandsentwicklung: Sparanstrengungen fortgesetzt,<br />

Mehraufwendungen für Olympia und<br />

Fußball-EM, erhöhte Rückstellungsbildungen, weniger<br />

Aufwendungen für den Gebühreneinzug _ 182 I<br />

Finanzierungsstruktur: Eigenkapitalquote aufgrund<br />

des Jahresfehlbetrags geringer als im Vorjahr _ 183 I<br />

Aktiva _ 184 I Passiva _ 184<br />

Produktion und Technik 2008 _ 185<br />

Sender, Leitungsverbindungen und Studios 2008 _ 186 I<br />

<strong>ARD</strong>-Qualitätsoffensive erfolgreich _ 187 I DVB-T treibt<br />

Digitalisierung voran _ 188 I Umstellung auf DVB-T<br />

erfolgreich abgeschlossen _ 188 I Eine »Roadmap« für<br />

HDTV _ 190 I Digitaler Hörfunk: Neue Programme,<br />

Projekte und Pläne _ 191 I Programmverbreitung via<br />

Kabel und Satellit _ 192 I Optimierung der UKW-Versorgung<br />

_ 192 I Ausbau der Filetransfer-Systeme _ 192 I<br />

Erneuerung von Büros und Studios _ 193 I Spitzentechnik<br />

in der Kölner »Rechtschule« _ 193 I Hörfunkproduktion<br />

und -sendung im Zeichen der Digitalisierung<br />

_ 193 I Fernsehproduktion und -sendung: Auf<br />

dem Weg zu HDTV _ 194 I Großereignisse: Fußball,<br />

Olympia und Obama _ 195 I IRT: Beraten und gestalten<br />

auf allen Ebenen _ 196 I RBT: Ingenieurbüro von <strong>ARD</strong><br />

und ZDF _ 197<br />

Gemeinschaftseinrichtungen 2008 _ 198<br />

Degeto Film GmbH: Erfolgreiche Auftragsproduktionen<br />

für die <strong>ARD</strong> und mehr als 31 Prozent des Programms<br />

für Das Erste _ 198 I Deutsches Rundfunkarchiv:<br />

Modernisierung der Datenbanken mit ersten Produktivphasen<br />

_ 199 I Gebühreneinzugszentrale: Erstmals<br />

Rückgang der Gesamterträge _ 200 I <strong>ARD</strong>.ZDF medienakademie:<br />

Konsolidierung und Aufbruch _ 201<br />

Inhalt A R D - J A H R B U C H 0 9<br />

Medienforschung 2008 _ 202<br />

Sehdauer um eine Minute zurückgegangen _ 203 I Das<br />

Erste auch 2008 Marktführer _ 203 I Hohe Sende- und<br />

Sehdauer von Sportberichten _ 204 I »Tagesschau«<br />

weiter Marktführer, »Tagesthemen« mit Gewinnen _<br />

204 I »2008 – Das Quiz« Zuschauerhit des Jahres _ 205 I<br />

Die Fußball-EM 2008 in Fernsehen und Radio _ 206 I<br />

Sport: Millionenpublikum auch am Vor- und Nachmittag<br />

_ 208 I Image: Wertschätzung auf konstant hohem<br />

Niveau _ 208 I Dritte Programme: Zusammen auf<br />

Platz zwei _ 209 I Dritte Programme: Innovationen<br />

zahlten sich aus _ 209 I Dritte Programme: Aktuelle<br />

Information weiterhin erfolgreich _ 209 I Dritte Programme:<br />

Ratgeber und Service nach wie vor beliebt _<br />

211 I Dritte Programme: Erfolg mit Natur, Tier- und<br />

Zoogeschichten _ 211 I Dritte Programme: Kultur<br />

und Unterhaltung aus den Regionen _ 212 I Dritte<br />

Programme: Gute Unterhaltung garantiert hohe<br />

Quoten _ 212 I <strong>ARD</strong>/ZDF-Online-Studie 2008: Fast 43<br />

Millionen Online-Nutzer _ 213 I Media Analyse 2009<br />

Radio I: Radionutzung blieb mehr oder weniger stabil<br />

_ 214 I Radiomarkt: <strong>ARD</strong>-Programme behaupten<br />

ihre Spitzenstellung _ 214 I Radiomarkt: Kultur- und<br />

Infoprogramme weiter erfolgreich _ 214 I Radiomarkt:<br />

Unterschiede von Region zu Region _ 215 I DW-Radio<br />

und DW-TV: Angebote erreichen weltweit 86 Millionen<br />

Menchen _ 217<br />

<strong>ARD</strong>-Themenwoche 2008 _ 218<br />

»Mehr Zeit zu leben – Chancen einer alternden<br />

Gesellschaft« _ 218<br />

Hörfunk 2008 _ 220<br />

Mehr Talk, mehr Kultur, mehr Wissen: neue Angebote<br />

in Bayern 2 _ 221 I Neue Phase des BR-Jugendprojekts:<br />

on3-radio auf Sendung _ 221 I Die Hörfunkprogramme<br />

der <strong>ARD</strong> 2008 _ 222 I Schärferes Profil für WDR 3 und<br />

WDR 5 _ 222 I Bayern plus: Volksmusik und mehr _ 223 I<br />

Neues vom SR-Radio: SR 3 Saarlandwelle und antenne<br />

saar _ 224 I Änderungen bei den NDR 1-Landesprogrammen<br />

_ 224 I Noch näher am Publikum: Bayern 3,<br />

WDR 2 und YOU FM (HR) _ 225 I Neue Akzente im<br />

Kulturradio: MDR FIGARO, SWR2 und Kulturradio<br />

(RBB) _ 225 I Programmwochen und Schwerpunktprogramme<br />

_ 226 I Mehr Wissen mit dem NDR-Radio<br />

und weitere Neuerungen bei NDR 2 _ 227 I Neue Sendungen:<br />

»Lauter Lyrik – Der Hör-Conrady« – ein einzigartiges<br />

<strong>ARD</strong>-Kulturprojekt _ 228 I Aktuelles und thematische<br />

Schwerpunkte: Bankenkrise und kein Ende:<br />

Das <strong>ARD</strong>-Radio berichtet umfassend über Ursachen<br />

und Folgen _ 230 I Akzente und Jahrestage: »Das war<br />

68«: Deutschland zwischen Reform und Rebellion _


232 I Hörspiel und Medienkunst: »<strong>ARD</strong> Radio Tatort«:<br />

Original-Kriminal-Hörspiele aus neun Regionen _ 235 I<br />

Auslandsprogramme 2008: »Learning by Ear« – eine<br />

Bildungsoffensive für Afrika _ 238<br />

Fernsehen 2008 _ 239<br />

Das Erste _ 239<br />

Die Fernsehprogramme der <strong>ARD</strong> 2008 _ 240 I Politik,<br />

Gesellschaft, Kultur: Kultur und Krisen _ 241 I Sport:<br />

Fantastische Momente: Olympia in Peking und die<br />

EURO 2008 _ 242 I Fernsehfilm: »12 heißt: Ich liebe<br />

dich« _ 242 I Spielfilm: Vom »Traumhotel« bis »Mogadischu«:<br />

Unterhaltung auf höchstem Niveau _ 244 I<br />

Unterhaltung: »Wie deutsch bist du wirklich?« _ 245 I<br />

Kirche: Gottesdienst live aus Afrika _ 246 I Familie:<br />

Märchenhafte Weihnachtszeit _ 246 I Ausland: Der<br />

Papst auf Reisen _ 248 I Vorabend: »Wissen vor 8« _<br />

248<br />

Die Dritten Programme<br />

Bayerisches Fernsehen: Bogner: Irgendwie und sowieso<br />

Kult _ 249 I hr-fernsehen: Mehr Heimat _ 249 I MDR<br />

FERNSEHEN: International trifft auf Regional _ 250 I<br />

NDR Fernsehen in Zusammenarbeit mit Radio Bremen:<br />

Populär, kantig, norddeutsch _ 251 I rbb Fernsehen:<br />

Abschied von Tempelhof _ 251 I SWR Fernsehen und<br />

SR Fernsehen: Zehn Jahre SWR _ 252 I WDR Fernsehen:<br />

»Plasberg persönlich« neu am Freitagabend _ 253<br />

Satelliten-, Digital- und Auslandsprogramme<br />

3sat: Profil als Kultur- und Wissens-Sender gestärkt _<br />

254 I ARTE: »Europas Erbe« _ 254 I PHOENIX: »Das<br />

ganze Bild« in neuem Rahmen _ 255 I KI.KA: 2008 beschert<br />

höchste Anerkennung _ 256 I BR-alpha: Zehnter<br />

Geburtstag _ 256 I <strong>ARD</strong> Digital: Die Qualitätsoffensive _<br />

257 I EinsExtra: Mehr Nachrichten – Mehr Information _<br />

257 I EinsFestival: »EINSWEITER« _ 257 I EinsPlus: Start<br />

der »Programmwerkstatt« _ 258 I DW-TV: Ausweitung<br />

des Auslandsfernsehens _ 258<br />

Online 2008 _ 259<br />

Zwei Drittel aller Deutschen im Internet _ 259 I<br />

Multimedialität: <strong>ARD</strong> Mediathek und Das Erste<br />

Mediathek gestartet _ 260 I Medienpolitik: Vor den<br />

Dreistufentests _ 260 I Politik: Landtagswahlen und<br />

US-Präsidentschaftswahlkampf _ 261 I Zeitgeschichte:<br />

Von der Luftbrücke bis zur »Landshut« _ 261 I Sport:<br />

Olympische Sommerspiele und Fußball-Europa-<br />

meisterschaft _ 262 I Wissensangebote: Bündelung der<br />

Inhalte _ 263 I <strong>ARD</strong> Hörspieltage _ 263 I Verbesserte<br />

Angebote und neue Formate _ 264 I Neue Portale<br />

weitgehend barrierefrei _ 264 I DW-WORLD.DE: Aufbau<br />

multimedialer Redaktionen _ 264<br />

WDR RadioRecorder _ 265<br />

Zeitsouverän Hören mit dem WDR RadioRecorder _ 265<br />

_ Organisation und Personalien<br />

Stand 1. August 2009<br />

Personalien von A bis Z _ 268<br />

<strong>ARD</strong> _ 269<br />

Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunkanstalten der Bundesrepublik<br />

Deutschland _ 269<br />

<strong>ARD</strong>-Einrichtungen _ 270<br />

Degeto _ 270 I <strong>ARD</strong>.ZDF medienakademie _ 270 I<br />

Deutsches Rundfunkarchiv _ 270 I Gebühreneinzugszentrale<br />

_ 270 I Institut für Rund funktechnik _ 271 I<br />

Rundfunk-Betriebstechnik _ 271 I SportA Sport rechte-<br />

und Marketing-Agentur GmbH _ 271<br />

Gemeinsame Programme _ 272<br />

<strong>ARD</strong>-Gemeinschaftsprogramm Das Erste _ 272 I <strong>ARD</strong><br />

Digital _ 272 I EinsExtra _ 272 I Einsfestival _ 272 I<br />

EinsPlus _ 273 I KI.KA – Der Kinderkanal von <strong>ARD</strong><br />

und ZDF _ 273 I PHOENIX. Der Ereignis- und<br />

Dokumentationskanal von <strong>ARD</strong> und ZDF _ 273 I 3sat –<br />

Satellitenfernsehen des deutschen Sprachraums _ 273<br />

Auslandskorrespondenten _ 274<br />

Karte _ 274 I Liste _ 276<br />

<strong>ARD</strong>-Rundfunkanstalten _ 278<br />

Karte: Sendegebiete, Funkhäuser, Studios und<br />

Büros _ 278 I Bayerischer Rundfunk _ 279 I Hessischer<br />

Rundfunk _ 283 I Mitteldeutscher Rundfunk _ 285 I<br />

Norddeutscher Rundfunk _ 288 I Radio Bremen _ 292 I<br />

Rundfunk Berlin-Brandenburg _ 294 I Saarländischer<br />

Rundfunk _ 297 I Südwestrundfunk _ 299 I Westdeutscher<br />

Rundfunk _ 303 I Deutsche Welle _ 306<br />

<strong>ARD</strong>-Beteiligungen _ 308<br />

Deutschlandradio _ 308 I ARTE Deutschland und ARTE<br />

G.E.I.E. _ 310<br />

<strong>ARD</strong>-Werbung und Werbegesellschaften _ 311<br />

Arbeitsgemeinschaft der <strong>ARD</strong>-Werbegesellschaften _<br />

311 I Bayerische Rundfunkwerbung _ 311 I hr werbung<br />

_ 311 I MDR-Werbung _ 312 I NDR Media _ 312 I<br />

Radio Bremen Media _ 312 I RBB Media _ 312 I SWR<br />

Media Services _ 313 I Werbefunk Saar _ 313 I WDR<br />

media group _ 313<br />

Inhalt A R D - J A H R B U C H 0 9 7


8<br />

_ Statistik 2008<br />

Finanzstatistik 2008 _ 317<br />

Landesrundfunkanstalten<br />

Vermögensrechnung: Statistische Zusammenfassung<br />

_ 318 I Landesrundfunkanstalten einzeln _ 320<br />

Ertrags- und Aufwandsrechnung/Finanzrechnung:<br />

Statistische Zusammenfassung _ 322 I Bayerischer<br />

Rundfunk _ 324 I Hessischer Rundfunk _ 326 I Mitteldeutscher<br />

Rundfunk _ 328 I Norddeutscher Rundfunk<br />

_ 330 I Radio Bremen _ 332 I Rundfunk Berlin-<br />

Brandenburg _ 334 I Saarländischer Rundfunk _ 336 I<br />

Südwestrundfunk _ 338 I Westdeutscher Rundfunk _<br />

340 I Grafik: Erträge und Aufwendungen 2008 _ 343<br />

Gesamtübersichten: Erträge aus Teilnehmergebühren<br />

_ 344 I Empfangsgeräte nach Einzugsgebieten _<br />

345 I Aufwendungen für die GEZ _ 346 I Aufwendun -<br />

gen für Befreiungsbearbeitung und Beauftragtendienst<br />

_ 346 I Anteil der Verwaltungskosten an den<br />

Gesamtkosten _ 346 I Ausstrahlungskosten _ 347 I<br />

Investitionen _ 347 I Besetzte Planstellen _ 348 I<br />

Finanzausgleich der <strong>ARD</strong> _ 348<br />

Deutsche Welle<br />

Ertrags- und Aufwandsrechnung _ 349 I<br />

Vermögensrechnung _ 350 I Investitionen _ 352<br />

Deutschlandradio<br />

Ertrags- und Aufwandsrechnung _ 353 I<br />

Vermögensrechnung _ 354 I Investitionen _ 356<br />

Werbestatistik 2008 _ 357<br />

Umsätze Werbefunk _ 358 I Umsätze Werbefernsehen<br />

_ 358 I Grafik: Programmanteile Werbefunk und<br />

Werbefernsehen 1999 – 2008 _ 360<br />

Hörfunkstatistik 2008 _ 361<br />

Landesrundfunkanstalten<br />

Bayerischer Rundfunk _ 362 I Hessischer Rundfunk _<br />

362 I Mitteldeutscher Rundfunk _ 364 I Norddeutscher<br />

Rundfunk _ 364 I Radio Bremen _ 366 I Rundfunk<br />

Berlin-Brandenburg _ 366 I Saarländischer Rundfunk _<br />

367 I Südwestrundfunk _ 368 I Westdeutscher Rundfunk<br />

_ 368 I Gesamtübersicht _ 370<br />

Deutschlandradio<br />

Deutschlandradio Kultur und Deutschlandfunk _ 370<br />

Deutsche Welle<br />

Deutsches und Fremdsprachenprogramm _ 371<br />

Fernsehstatistik 2008 _ 372<br />

Erstes Deutsches Fernsehen<br />

Gesamtprogramm nach Erstsendungen und Wiederholungen<br />

_ 375 I Programmzulieferungen von <strong>ARD</strong>aktuell<br />

_ 375 I Gesamtprogramm nach Programm-<br />

Inhalt A R D - J A H R B U C H 0 9<br />

entstehung _ 376 I Grafik: Erstes Fernsehprogramm<br />

nach Erstsendungen, Wiederholungen und Programment<br />

stehung _ 376 I Grafik: Informationsanteil im Ersten<br />

und in den Dritten Programmen der <strong>ARD</strong> _ 377<br />

Dritte Fernsehprogramme<br />

Gesamtprogramme nach Ressorts _ 378 I Gesamtprogramme<br />

nach Programmentstehung _ 378 I Grafik:<br />

Dritte Fernsehprogramme nach Programmentste-<br />

hung _ 380<br />

Satellitenprogramm PHOENIX<br />

<strong>ARD</strong>-Anteil _ 378<br />

Satellitenprogramm KI.KA<br />

<strong>ARD</strong>-Anteil _ 379<br />

Satellitenprogramm 3sat<br />

<strong>ARD</strong>-Anteil nach Ressorts _ 380<br />

Europäischer Kulturkanal ARTE<br />

<strong>ARD</strong>-Anteil nach Ressorts _ 381<br />

Bayerischer Rundfunk<br />

BR-alpha nach Ressorts und nach Erstsendungen/<br />

Wiederholungen _ 381<br />

Deutsche Welle<br />

DW-TV nach Sprachen _ 382 I DW-TV nach Inhalten _<br />

382 I DW-TV nach Programmentstehung _ 382<br />

Medienforschungsdaten 2008 _ 383<br />

Hörfunknutzung 2008<br />

Bundesweit _ 384 I BR-Sendegebiet _ 386 I HR-<br />

Sendegebiet _ 386 I MDR-Sendegebiet _ 387 I NDR-<br />

Sendegebiet _ 387 I Radio-Bremen-Sendegebiet _ 388 I<br />

RBB-Sendegebiet _ 388 I SR-Sendegebiet _ 389 I SWR-<br />

Sendegebiet _ 389 I WDR-Sendegebiet _ 390<br />

Fernsehen 2008<br />

Empfangspotenziale der Fernsehprogramme bundesweit<br />

2004 – 2008 _ 391 I Ebenen des Fernsehempfangs<br />

und Anzahl empfangbarer Programme 2004 – 2008 _<br />

391 I Nutzung bundesweit, BRD West, BRD Ost,<br />

2005 – 2008 _ 392 I Nutzung einzelner Programme<br />

in einzelnen Zeitabschnitten _ 393 I Grafik:<br />

Marktanteile einzelner Programme in der Prime<br />

Time _ 393 I Nutzung einzelner Programme in einzelnen<br />

Altersgruppen _ 394 I Marktanteile der Dritten<br />

Programme in den einzelnen Sendegebieten _ 394<br />

_ Dokumente<br />

Staatsvertrag über den Rundfunk im<br />

vereinten Deutschland vom 31. August 1991<br />

in der Fassung des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags<br />

vom 18. Dezember 2008 (Auszug) _ 399<br />

Art. 1: Rundfunkstaatsvertrag _ 399<br />

Art. 6: Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag _ 427


Ein schwieriges Jahr<br />

Die <strong>ARD</strong> bekennt sich zur Filmförderung<br />

Von Udo Reiter _ 431<br />

9. Film-/Fernsehabkommen<br />

vom 13./20. Mai 2009 _ 432<br />

<strong>ARD</strong>-Beschlüsse zu den Themenkreisen<br />

Fernsehvertragsschlüssel und Finanzausgleich<br />

sowie zum so genannten Leistungs- und<br />

Gegenleistungsaustausch<br />

vom 15. April 2008 _ 435<br />

_ Register<br />

Personen _ 439 I Sachen _ 450 I Titel _ 459 I<br />

Abkürzungen _ 467 I Bildnachweis _ 470<br />

Inhalt A R D - J A H R B U C H 0 9 9


Artikel


Qualität für alle<br />

Von der Kunst, den vielfältigen Interessen gerecht zu werden<br />

Von Peter Boudgoust<br />

M<br />

it dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk<br />

ist es manchmal wie mit dem<br />

Fußball: Es gibt nicht nur viele<br />

Anhänger, sondern genauso viele<br />

Experten und Kritiker. Auf dem Platz sind es<br />

die Leistungen der Spieler oder des Schiedsrichters,<br />

die munter diskutiert werden; im Fernsehen,<br />

Radio oder Netz sind es Moderatoren,<br />

Sendungen und Blogeinträge, die mal mehr,<br />

mal weniger gut ankommen. Das Publikum<br />

weiß sehr genau, was ihm gefällt und was nicht.<br />

Und so mancher wäre vermutlich selbst gern<br />

mal Trainer, Chefredakteur oder Intendant.<br />

Zu unseren Programmen und Angeboten<br />

hat fast jeder eine Meinung. Und für viele<br />

TV-Kritiker und Medienjournalisten wäre das<br />

Leben ohne uns nur halb so schön. Das ist gut<br />

so, zeigt es doch, dass die <strong>ARD</strong> wahrgenommen<br />

wird und im täglichen Leben eine Rolle spielt.<br />

Uns ist es natürlich wichtig zu erfahren, was<br />

diejenigen, für die wir Programm machen, davon<br />

halten. Die Auseinandersetzung mit Lob<br />

und Kritik gibt uns die Chance, noch besser zu<br />

werden. Eine Erwartung, die dabei immer wieder<br />

– und das zu Recht – an uns gestellt wird,<br />

ist Qualität.<br />

Dabei ist es schwer, Qualität überhaupt zu<br />

definieren. Relevanz, Unabhängigkeit, Verlässlichkeit<br />

sind wichtige Kriterien – und Vielfalt.<br />

Für den Informationshungrigen zeigt sich Qualität<br />

in Nachrichtensendungen und Politik-Magazinen,<br />

für den Kulturinteressierten ist es die<br />

Opernübertragung, für den Sport-Begeisterten<br />

das große internationale Turnier. Wieder andere<br />

wollen Filme mit Tiefgang, anspruchsvolle<br />

Dokumentationen oder auch gepflegte Unterhaltung<br />

(vgl. Volker Herres: Qualität trotz Quotendruck).<br />

Bei so unterschiedlichen Interessen ist klar:<br />

Wir können nicht zu jeder Zeit alle glücklich<br />

machen, aber wir können darauf achten, dass<br />

das Gesamtpaket stimmt. Deshalb bin ich skeptisch,<br />

wenn uns wohlmeinend empfohlen wird,<br />

einfach nur Kultur- und Bildungsprogramme zu<br />

senden, frei nach dem Motto: Immer rauf mit<br />

dem Niveau. Diese Strategie birgt die Gefahr,<br />

dass am Ende keiner mehr nachkommt. Ein<br />

Rundfunk, der von allen über Gebühren finanziert<br />

wird, muss auch den Anspruch haben, alle<br />

Menschen zu erreichen.<br />

Die viel gescholtene Quote steht deswegen<br />

auch für uns nicht im Widerspruch zur Qualität.<br />

Quote steht für Menschen, für Hörer und<br />

Zuschauer. Quote bedeutet Akzeptanz. Und da<br />

ist es bei uns wieder ähnlich wie beim Fußball:<br />

Das Stadion ist dann voll besetzt, wenn Angebot<br />

und Leistung stimmen.<br />

»Qualität für alle« heißt aber auch: Jeder<br />

hat freien Zugang zu unseren Angeboten auf<br />

allen wichtigen Verbreitungswegen. Wer den<br />

Fernseher einschaltet, der hat im <strong>ARD</strong>-Angebot<br />

die Wahl zwischen dem Ersten, den Dritten<br />

Programmen, PHOENIX, 3sat, ARTE, KI.KA<br />

und den Digitalkanälen. Die Radiowellen reichen<br />

von Jugend- und Pop- über Inforadios bis<br />

zu Kulturprogrammen. Und wer im Internet<br />

auf unsere Seiten klickt, der kann sicher sein,<br />

alle notwendigen Informationen dort zu finden<br />

– heute und in Zukunft. Ich betone das vor<br />

dem Hintergrund, dass wir vom Gesetzgeber<br />

verpflichtet wurden, unsere Internetangebote<br />

Editorial A R D - J A H R B U C H 0 9 13


genehmigen zu lassen (vgl. Verena Wiedemann:<br />

Die Vermessung des Gemeinwohls; vgl. Harald<br />

Augter / Susanne Pfab: Die Erstbesteigung der drei<br />

Stufen). Das haben wir natürlich akzeptiert. Unseren<br />

journalistischen Auftrag tangiert das aber<br />

nicht. Wir informieren, bilden und unterhalten.<br />

Diesen Auftrag werden wir auch künftig erfüllen<br />

– nicht nur in den alten, auch in den neuen<br />

Medien.<br />

Mit unseren Internetangeboten geht es uns<br />

nicht darum, kommerziellen Mitbewerbern Betätigungsfelder<br />

und Einnahmequellen streitig<br />

zu machen – es gilt, auch denen unsere Inhalte<br />

anzubieten, die sich orts- und zeitunabhängig<br />

informieren wollen. Die jüngste <strong>ARD</strong>/ZDF-<br />

Onlinestudie spricht von rund 67 Prozent, die<br />

das Netz nutzen. Und bei den ganz Jungen<br />

zwischen 14 und 29 ist fast jeder »mindestens regelmäßig«<br />

drin im Netz. Die junge Generation<br />

wird nicht ohne Grund neudeutsch als »Digital<br />

Natives« bezeichnet. Sie ist in die digitale Welt<br />

hineingeboren, informiert sich und kommuniziert<br />

ganz selbstverständlich online. Und die<br />

anderen, die »Digital Immigrants«, auch die finden<br />

sich mit der Zeit immer besser zurecht in<br />

der neuen Medienwelt. Das Internet hat sich zu<br />

einem Massenmedium entwickelt. Und deshalb<br />

ist es richtig und wichtig, dass das Bundesverfassungsgericht<br />

und der Gesetzgeber ausdrücklich<br />

einen originären Auftrag des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks auch für die so genannten<br />

Telemedien anerkennen. Die Idee des öffentlichrechtlichen<br />

Rundfunks als öffentliches Gut, als<br />

Infrastrukturleistung wie Straßen oder Schulen,<br />

ist unabhängig von einem technischen Standard<br />

oder Verbreitungsweg.<br />

Die Qualität unserer Programme ist nicht zu<br />

trennen von der Qualität unserer Technik. Der<br />

Nachrichtensprecher ist nichts ohne den richtigen<br />

Ton, das Studio braucht gute Scheinwerfer<br />

und die Live-Übertragung lebt von scharfen Bildern.<br />

Im Interesse unseres Publikums befördern<br />

wir deshalb auch technische Innovationen.<br />

Die Zukunft ist digital – und wir sind dabei.<br />

Zu den Olympischen Winterspielen 2010 in<br />

Vancouver starten wir im Ersten den HDTV-<br />

Regelbetrieb. Unser Motto »Gutes noch besser<br />

sehen« meint, dass die Sendungen in einer<br />

hervorragend hochauflösenden Bild- und einer<br />

deutlich verbesserten Tonqualität erlebt werden<br />

können (vgl. Nawid Goudarzi: Noch schärfer sehen).<br />

Und das Radio der Zukunft ist mehr als<br />

guter Klang – es ist multimedial. Es geht um<br />

nutzerfreundliche Lösungen wie personalisierte<br />

Musik- und Informationsauswahl oder Audios<br />

on Demand, die völlig unabhängig von Ort<br />

und Zeit zur Verfügung stehen.<br />

Unser Unternehmensziel ist das Programm,<br />

nicht Profit. Dafür bekommen wir Rundfunkgebühren,<br />

um die wir – gerade in Zeiten von<br />

Finanz- und Wirtschaftsturbulenzen – von der<br />

Konkurrenz beneidet werden. Dabei ist auch<br />

diese finanzielle Grundlage nicht in Stein gemeißelt.<br />

Die Anpassung der Gebühren liegt seit<br />

Jahren unterhalb der Inflationsrate. Die demografische<br />

Entwicklung und die steigende Zahl<br />

von Befreiungen aus sozialen Gründen führen<br />

letztlich dazu, dass die Gebühreneinnahmen<br />

deutlich zurückgehen. 2008 hatten wir erstmals<br />

weniger Gebühreneinnahmen als im Jahr zuvor.<br />

Und bis zum Ende der laufenden Gebührenperiode<br />

2012 rechnen wir mit Gebührenausfällen<br />

von mindestens 200 Millionen Euro. Dieser<br />

Trend wird sich fortsetzen. Nun können wir<br />

darüber klagen oder aber wir überlegen, wie wir<br />

so sparen können, dass es das Programm nicht<br />

schwächt. Kooperationen werden daher ein<br />

Kernthema der nächsten Jahre sein. Vereinfacht<br />

formuliert: Nicht jeder produziert alles, aber<br />

alle profitieren. Das ist vor allem sinnvoll und<br />

machbar bei Programmen, in denen die Regionalität<br />

nicht unbedingt im Vordergrund steht.<br />

Ein Beispiel sind die musikalischen Jubiläen<br />

von Chopin, Schumann und Mahler im kommenden<br />

Jahr. Die werden bei uns natürlich einen<br />

großen Raum einnehmen, vor allem in den<br />

Kulturprogrammen. Aber es wird nicht neun<br />

Dokumentationen von neun verschiedenen Autoren<br />

geben. Die Kreativität unserer Mitarbeiter<br />

kommt dem Programm dann an anderer Stelle<br />

zugute. Stärker kooperieren heißt nicht zwangsläufig,<br />

Vielfalt und Eigenständigkeit aufgeben.<br />

Gerade die jüngsten Erfolge des »<strong>ARD</strong> Radio<br />

Tatorts« oder der »<strong>ARD</strong>-Radionacht für Kinder«<br />

zeigen, dass es gelingen kann, gemeinsame<br />

Marken zu etablieren, ohne die eigene Identität<br />

zu verlieren. So schaffen wir finanzielle wie<br />

personelle Freiräume und bewahren uns die<br />

Möglichkeit, ein relevantes Programm gestalten<br />

zu können (vgl. Wolfgang Schmitz: Alleine sind wir<br />

stark, gemeinsam sind wir stärker).<br />

Ein Fußballspiel ist auch nur dann sehenswert<br />

und unterhaltsam, wenn kreativ nach<br />

vorne gespielt wird. Dafür braucht es nicht<br />

unbedingt herausragende Einzelkämpfer, sondern<br />

eine gut eingespielte Mannschaft, in der<br />

sich der eine auf den anderen verlassen kann.<br />

Die <strong>ARD</strong> hat auch 2009 bewiesen, wozu sie als<br />

Team fähig ist.<br />

14 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


Zwei neue Begriffe haben die medienpolitische Diskus-<br />

sion in Deutschland während der letzten zwei Jahre<br />

geprägt: Telemedien und Dreistufentest. Als Telemedien<br />

gelten – vereinfacht formuliert – Medien, die publizis-<br />

tische Inhalte zum Abruf bereitstellen, also nicht wie<br />

Hörfunk und Fernsehen »linear« Sendungen an eine<br />

Vielzahl von Hörern und Zuschauern ausstrahlen. Dazu<br />

zählen längst etablierte Angebote wie der Teletext, aber<br />

auch die Onlineseiten der Sender, einschließlich der<br />

Mediatheken, über die Audios und Videos vom Nutzer<br />

orts- und zeitsouverän abgerufen werden können.<br />

Die Länder haben im aktuellen Rundfunkstaatsvertrag<br />

ausdrücklich bestätigt, dass Telemedienangebote inte-<br />

graler Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Funktions-<br />

auftrags sind. Der Staatsvertrag regelt aber auch,<br />

dass seit Juni 2009 alle bestehenden sowie geplante<br />

neue Telemedienangebote durch die Rundfunkgremien<br />

in einem Dreistufentest geprüft werden müssen.<br />

Die Vermessung des Gemeinwohls?<br />

Der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag und<br />

der Dreistufentest aus Sicht der Rundfunkanstalten<br />

Von Verena Wiedemann<br />

M<br />

it der Unterschrift der Ministerpräsidenten<br />

unter den Text des 12.<br />

Rundfunkänderungsstaatsvertrags<br />

(RÄStV) am 18. 12. 2008 fand eine<br />

der heftigsten medienpolitischen Auseinandersetzungen<br />

der letzten Jahre zumindest ein<br />

vorläufiges Ende. Der Gesetzgeber beantwortete<br />

die Frage, ob sich der Funktionsauftrag des<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunks neben linear<br />

ausgestrahltem Hörfunk und Fernsehen auch<br />

auf Abrufangebote bezieht, eindeutig mit Ja<br />

und erklärte erstmals, dass Telemedienangebote<br />

als selbständiger und gleichberechtigter Teil<br />

des Auftrags zu verstehen sind. Jenseits dieses<br />

klaren Bekenntnisses zu einem technologieneutralen<br />

und entwicklungsoffenen Auftrag des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks fiel die Antwort<br />

der Länder auf die medienpolitischen Auseinandersetzungen<br />

im Hinblick auf die öffentlichrechtlichen<br />

Telemedienangebote restriktiv aus.<br />

In einer so genannten Negativliste wird eine<br />

Reihe von Telemedien gesetzlich untersagt. Mit<br />

Ausnahme der direkt im Gesetz beauftragten<br />

Angebote – im Wesentlichen sendungsbezogene<br />

Angebote für bis zu sieben Tage –, kann<br />

der öffentlich-rechtliche Rundfunk künftig alle<br />

weiteren Telemedien nur noch dann anbieten,<br />

wenn diese einen Dreistufentest bestehen.<br />

Zugleich muss die freie Zugänglichkeit dieser<br />

Telemedien mit Ausnahme von kultur- und<br />

zeitgeschichtlichen Inhalten grundsätzlich zeitlich<br />

begrenzt werden. Das Gesetz folgt damit<br />

im Hinblick auf die Verweildauer öffentlichrechtlicher<br />

Telemedien im Internet im Grundsatz<br />

dem Motto: sieben Tage sowieso – mehr<br />

als sieben Tage nur, wenn die Hürde des Drei-<br />

Die Vermessung des Gemeinwohls A R D - J A H R B U C H 0 9 15


stufentests mit dem entsprechenden Prüfaufwand<br />

genommen wird – und auch dann nur<br />

befristet. Noch weiter eingeschränkt werden<br />

Berichte von Sportgroßereignissen, einschließlich<br />

der Fußball-Bundesliga, die in jedem Fall<br />

nur bis zu 24 Stunden im Internet zum freien<br />

Abruf vorgehalten werden dürfen. Angekaufte<br />

Spielfilme und Serien dürfen generell nicht ins<br />

Netz gestellt werden. Ferner gilt ein Verbot von<br />

presseähnlichen Angeboten für den Fall, dass<br />

öffentlich-rechtliche Internetangebote ohne<br />

Bezug zu einer ausgestrahlten Sendung in Hörfunk<br />

oder Fernsehen erstellt werden.<br />

_ Der Dreistufentest als Herzstück<br />

Im Mittelpunkt der Neuerungen des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags<br />

steht damit der<br />

Dreistufentest. Der Test hat seinen Namen nach<br />

den drei Prüfstufen, die von den Rundfunkan-<br />

stalten in Bezug auf ihre Telemedienangebote<br />

darzulegen und von den Aufsichtsgremien zu<br />

absolvieren sind. Geprüft wird<br />

1. ob das Telemedienangebot den demokratischen,<br />

sozialen und kulturellen Bedürfnissen<br />

der Gesellschaft entspricht,<br />

2. ob es in qualitativer Hinsicht zum publizistischen<br />

Wettbewerb beiträgt und<br />

3. welcher finanzielle Aufwand für die Erbringung<br />

des Angebots vorgesehen ist.<br />

Beim Dreistufentest handelt es sich funktional<br />

gesehen um ein Mittel, den gesetzlich<br />

abstrakter formulierten Auftrag des öffentlichrechtlichen<br />

Rundfunks für den Telemedienbereich<br />

weiter zu konkretisieren – eine zentrale<br />

Forderung der Europäischen Kommission aus<br />

der Beihilfeentscheidung zu <strong>ARD</strong> und ZDF<br />

vom April 2007. Die wichtigste Rolle kommt<br />

dabei den pluralistisch besetzten Aufsichtsgremien<br />

der Rundfunkanstalten zu, den Rundfunkräten.<br />

Diese haben künftig die vom Intendanten<br />

zu erarbeitenden Telemedienkonzepte<br />

zu prüfen und zu genehmigen. Sie entscheiden<br />

damit letztendlich darüber, auf welche Weise<br />

der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinen<br />

Auftrag im Internet wahrnehmen kann. Die<br />

Programmverantwortung bleibt dabei weiterhin<br />

ausschließlich beim Intendanten. Denn die Telemedienkonzepte<br />

werden in dessen alleiniger<br />

Verantwortung erstellt und können ohne dessen<br />

Zustimmung von den Gremien im Rahmen des<br />

Dreistufentests nicht abgeändert werden.<br />

_ Entscheidend ist das Gemeinwohlinteresse<br />

Nach dem deutschen verfassungsrechtlichen<br />

Verständnis ist die Rundfunkfreiheit eine dienende<br />

Freiheit. Der Gesetzgeber ist danach<br />

verpflichtet, die Vielfalt der veröffentlichten<br />

Meinungen, also die publizistische Vielfalt zu<br />

sichern. Aus dem Umstand, dass im Rundfunkstaatsvertrag<br />

der Telemedienauftrag erstmals<br />

als selbständiger Teil des öffentlich-rechtlichen<br />

Funktionsauftrags ausgestaltet wurde, ergibt<br />

sich bereits, dass der Gesetzgeber die gleichen<br />

Erwartungen an die Funktion der Telemedienangebote<br />

von <strong>ARD</strong> und ZDF stellt, wie an deren<br />

Hörfunk- und Fernsehprogramme.<br />

Das heißt insbesondere, dass die Inhalte eine<br />

solche Breite und Vielfalt haben müssen, dass<br />

sie für die Menschen aller Altersschichten und<br />

sozialen Gruppen relevant sind und auch im<br />

Internet nachhaltig meinungsbildend wirken<br />

können. Zugleich stellt der Gesetzgeber noch<br />

zusätzliche Erwartungen an die öffentlich-rechtlichen<br />

Telemedienangebote. So heißt es in § 11 d<br />

Abs. 3 Rundfunkstaatsvertrag, dass die Telemedien<br />

des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die<br />

Teilhabe aller an der Informationsgesellschaft<br />

sichern, Orientierungshilfe bieten sowie die<br />

technische und inhaltliche Medienkompetenz<br />

aller Generationen und von Minderheiten fördern<br />

sollen. Es sind diese Anliegen des Gemeinwohls,<br />

die die Gremien durch ihre Entscheidung<br />

zum Dreistufentest wahren sollen.<br />

Zugleich sollen sie durch die Berücksichtigung<br />

möglicher negativer Marktauswirkungen<br />

sicherstellen, dass öffentlich-rechtliche Tele-<br />

16 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


medien das Verlangen des Gesetzgebers nach<br />

publizistischer Vielfalt nicht etwa konterkarieren.<br />

Angesichts der Dynamik des Internets<br />

und der im Vergleich zu den kommerziellen<br />

Medienhäusern bescheidenen Investitionen des<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunks ins Internet<br />

wird dies aber nur in Ausnahmesituationen angenommen<br />

werden können. So sieht es auch<br />

das europäische Wettbewerbsrecht, das Dienstleistungen<br />

der Daseinsvorsorge gegenüber den<br />

im Übrigen strengen Wettbewerbsregeln grundsätzlich<br />

privilegiert.<br />

Derartige Dienstleistungen, zu denen auch<br />

der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört, sind<br />

im Wettbewerb mit kommerziellen Anbietern<br />

grundsätzlich zulässig. Dabei werden negative<br />

Auswirkungen auf einzelne Marktteilnehmer<br />

durch Dienstleistungen der Daseinsvorsorge aufgrund<br />

ihrer Finanzierung über Beihilfen von<br />

vornherein als systemimmanent vorausgesetzt.<br />

Nur im Ausnahmefall, dem eine Prüfung des<br />

Einzelfalls vorausgehen muss, kann eine Dienst -<br />

leistung der Daseinsvorsorge einmal wettbewerbsrechtlich<br />

unzulässig sein. Dies würde rele vant,<br />

wenn durch das öffentlich-rechtliche Angebot<br />

der Markt nachhaltig verstopft würde und ein<br />

Wettbewerb insgesamt nicht mehr stattfinden<br />

könnte. Die Gewinnchancen einzelner Wettbewerber<br />

schützt das Beihilferecht hingegen ausdrücklich<br />

nicht. So stehen in Deutschland also<br />

auch nicht etwa die Marktauswirkun gen im Vordergrund<br />

der rundfunkrechtlichen Prüfung im<br />

Rahmen des Dreistufentests, sondern das Allgemeininteresse<br />

am freien Zugang zu qualitativ<br />

hochwertigen, glaubwürdigen Inhalten.<br />

_ Hoher Umsetzungsaufwand<br />

Unabhängig von der Bewertung seiner Rege lun -<br />

gen im Einzelnen kommt mit dem 12. Rund funkänderungsstaatsvertrag<br />

ein erheblicher Umsetzungsaufwand<br />

sowohl auf die Aufsichtsgremien<br />

(vgl. Harald Augter/Susanne Pfab: Die Erstbesteigung<br />

der drei Stufen) als auch auf die Operative<br />

der Rundfunkanstalten zu. Die einheitlichen<br />

Verfahrensregeln, die die Rundfunkanstalten<br />

gemeinsam mit den Gremien der <strong>ARD</strong> ausgearbeitet<br />

haben, stellen sicher, dass bei den<br />

<strong>ARD</strong>-Gemeinschaftsangeboten alle Aufsichtsorgane<br />

der Landesrundfunkanstalten und alle<br />

Gemeinschaftsorgane gehört werden und deren<br />

Stellungnahmen in die Entscheidung des jeweils<br />

federführenden Rundfunkrats Eingang finden.<br />

Diese der föderalen Struktur der <strong>ARD</strong> geschuldete<br />

Regelung bedeutet aber zugleich, dass<br />

ein einziges Telemedienangebot der <strong>ARD</strong> nicht<br />

nur von dem federführenden Rundfunkrat –<br />

beispielsweise dem NDR-Rundfunkrat im Fall<br />

von tagesschau.de –, sondern auch von acht<br />

weiteren Rundfunkräten der Landesrundfunkanstalten,<br />

koordiniert über die Gremienvorsitzendenkonferenz,<br />

und vom <strong>ARD</strong>-Programmbeirat<br />

beraten wird.<br />

Diese Motive stammen von den<br />

Zwischenblättern der Telemedienkonzepte der<br />

gemeinschaftlichen Angebote der <strong>ARD</strong>.<br />

Nachdem der Gesetzgeber in letzter Minute<br />

vor der abschließenden Formulierung<br />

des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags im<br />

Herbst 2008 noch verfügt hatte, dass auch der<br />

gesamte Bestand der Telemedienangebote von<br />

<strong>ARD</strong> und ZDF den Dreistufentest durchlaufen<br />

muss, ohne dass Brüssel dies von den Ländern<br />

verlangt hatte, waren alle betroffenen Redaktionen<br />

in den Landesrundfunkanstalten und<br />

in den Gemeinschaftseinrichtungen gefordert,<br />

für sämtliche schon bestehenden Telemedienangebote<br />

detaillierte Telemedienkonzepte zu<br />

verfassen.<br />

Die Bestandsüberführung muss laut den<br />

staatsvertraglichen Vorgaben bis zum 31. 8. 2010<br />

abgeschlossen sein. Dies ist nicht viel Zeit,<br />

wenn man bedenkt, dass sämtliche gemeinschaftlichen<br />

<strong>ARD</strong>-Angebote wie auch die Telemedienangebote<br />

aller Landesrundfunkanstalten<br />

Die Vermessung des Gemeinwohls A R D - J A H R B U C H 0 9 17


von den Aufsichtsgremien gleichzeitig geprüft<br />

werden müssen. Insgesamt handelt es sich dabei<br />

um mehr als 30 Verfahren, ein erheblicher Aufwand<br />

auch für die Gremien. Sie fassten deshalb<br />

den Beschluss, mit den Dreistufentests unmittelbar<br />

nach Inkrafttreten des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags<br />

am 1. 6. 2009 zu beginnen.<br />

Der neue Staatsvertragstext enthielt viele<br />

auslegungsbedürftige Klauseln. Diese waren<br />

zudem ausschließlich im Hinblick auf neue<br />

Telemedienangebote des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks formuliert worden und fanden erst<br />

durch eine kurzfristig eingefügte Übergangsbestimmung<br />

pauschal auf die Bestandsüberführung<br />

Anwendung. In dieser Situation erwies es<br />

sich als hilfreich, dass bereits vor Inkrafttreten<br />

des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags erste<br />

Erfahrungen mit dem Dreistufentest bei freiwillig<br />

durchgeführten Verfahren für neue Angebote<br />

bei NDR und MDR gesammelt werden konnten.<br />

Denn bereits nach der Entscheidung der<br />

Europäischen Kommission im Beihilfeverfahren<br />

zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen<br />

Rundfunks in Deutschland im April 2007<br />

hatten die Länder und Brüssel die klare Erwartung<br />

geäußert, dass neue Angebote, die vor<br />

Inkrafttreten des neuen Staatsvertrags gestartet<br />

würden, bereits von den Aufsichtsgremien nach<br />

den neuen gesetzlichen Vorgaben geprüft werden<br />

müssten.<br />

Als der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag<br />

in seinen wesentlichen Eckpunkten feststand,<br />

begannen daher für die die NDR Mediathek<br />

und für die Angebote KI.KAplus und www.<br />

kikaninchen.de am 1. 12. 2008 freiwillige Dreistufentests.<br />

Auf die im Rahmen dieser Verfahren<br />

gesammelten Erfahrungen konnten Operative<br />

und Gremien bei den zahlreichen Verfahren zur<br />

Bestandsüberführung in der Folgezeit zurückgreifen.<br />

_ Die Telemedienkonzepte<br />

Bei der Beschreibung des Telemedienbestandes<br />

geht es nach dem Willen des Gesetzgebers nicht<br />

um die Erläuterung jeder einzelnen Internetseite.<br />

Vielmehr sollen die Gremien in die Lage<br />

versetzt werden, auf Grundlage der Konzepte<br />

die wesentlichen Eckpunkte der Telemedienangebote<br />

zu prüfen. Entsprechend sind die<br />

Konzepte auf einem »mittleren Abstraktionsniveau«<br />

verfasst. Wie in der Begründung zum 12.<br />

Rundfunkänderungsstaatsvertrag vorgesehen,<br />

beschreiben sie den genretypischen, charakteristischen<br />

Kern eines Angebots einschließlich<br />

der intendierten Zielgruppe. Die inhaltliche<br />

Ausgestaltung dieser zu genehmigenden Eckpunkte<br />

obliegt hingegen den Redaktionen der<br />

Rundfunkanstalten im Rahmen ihrer täglichen<br />

journalistischen Praxis und ihrer Programmautonomie.<br />

_ Wandel des Mediennutzungsverhaltens<br />

schreitet voran<br />

Wie wichtig die Telemedienangebote für den<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind, wenn er<br />

auch in Zukunft seinen Funktionsauftrag erfüllen<br />

können soll, ergab sich aus der im Mai<br />

2009 veröffentlichten aktuellen <strong>ARD</strong>/ZDF-<br />

Onlinestudie. Sie stellte erneut einen Anstieg<br />

der Internetnutzung in Deutschland fest. Fast<br />

alle 14- bis 19-Jährigen nutzen danach regelmäßig<br />

das Internet. Aber auch bei den über<br />

50-Jährigen liegt der Anteil der Internetnutzung<br />

bereits bei rund 40 Prozent, mit steigender<br />

Tendenz. Weit mehr als die Hälfte aller »Onliner«<br />

(62 Prozent) ruft nach der Studie bereits<br />

Videos ab, zum Beispiel über Videoportale oder<br />

Mediatheken, und schaut live oder zeitversetzt<br />

Fernsehsendungen im Internet. Im Jahr davor<br />

waren es erst 55 Prozent. Auch die vielbeschworene<br />

Konvergenz der Medien ist mittlerweile<br />

sichtbar in den Wohnzimmern der Bürger angekommen:<br />

Bereits heute sind TV-Geräte auf dem<br />

Markt, die Abrufangebote aus dem Internet so<br />

18 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


präsentieren, dass aus Sicht des Zuschauers kein<br />

Unterschied mehr zwischen Fernsehen und Internet<br />

erkennbar ist.<br />

_ Das Nutzerinteresse als Maßstab<br />

Ziel der für die Dreistufentests benötigten Telemedienkonzepte<br />

der <strong>ARD</strong> war es daher, den<br />

durch den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag<br />

festgelegten regulatorischen Rahmen so umzusetzen,<br />

dass diesem gewandelten Nutzungsverhalten<br />

und dem Interesse der Bürgerinnen und<br />

Bürger bestmöglich Rechnung getragen werden<br />

kann. Aus der Verpflichtung, ihren gesamten<br />

Bestand in Telemedienkonzepten zu beschreiben,<br />

ergab sich für die Rundfunkanstalten auch<br />

die Chance, noch einmal kritisch selbst das<br />

eigene Angebot zu prüfen und sich der eigenen<br />

Standards und Ansprüche zu versichern.<br />

Entscheidend für die Verantwortlichen waren<br />

dabei neben den berechtigten Erwartungen und<br />

Anliegen der Nutzer insbesondere redaktionelle<br />

Kriterien der Relevanz und der Beitrag der<br />

Angebote zur Erfüllung der demokratischen,<br />

sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft.<br />

In einigen Fällen mussten jedoch auch<br />

Angebote entfernt werden, für die ein lebhaftes<br />

Nutzerinteresse bekannt war, nämlich dann,<br />

wenn die Angebote nicht vereinbar waren mit<br />

der sogenannten Negativliste und weiteren neu<br />

eingeführten gesetzlichen Verboten. Davon<br />

betroffen war zum Beispiel die vielfach nachgefragte<br />

Möglichkeit, persönliche Glückwünsche<br />

über den Teletext der <strong>ARD</strong> zu verbreiten.<br />

_ Verweildauerkonzepte<br />

Auch bei der nunmehr mit den Telemedienkonzepten<br />

beantragten Verweildauer versucht<br />

die <strong>ARD</strong>, dem Nutzerinteresse bestmöglich<br />

Rechnung zu tragen. Nach den gesetzlichen<br />

Vorgaben muss aus den Telemedienkonzepten<br />

in jedem Fall deutlich werden, welche maximale<br />

Verweildauer für ein Angebot vorgesehen ist.<br />

Demnach will die <strong>ARD</strong> etwa Magazine, Do-<br />

kumentationen und Reportagen grundsätzlich<br />

bis zu zwölf Monate vorhalten können. Denn<br />

die publizistische Relevanz dieser Inhalte geht<br />

regelmäßig weit über die Tagesaktualität hinaus,<br />

so dass die Informationen und Analysen auch<br />

noch Monate später wertvolle Beiträge zum<br />

gesellschaftlichen und politischen Dialog zu leisten<br />

vermögen.<br />

Ein weiteres Beispiel sind Bildungsinhalte,<br />

die nachhaltig zur Wissensvermittlung, zur<br />

Fort- und Weiterbildung und zum lebenslangen<br />

Lernen beitragen und daher bis zu fünf Jahre<br />

vorgehalten werden sollen.<br />

Zeit- und kulturgeschichtliche Inhalte, die<br />

von besonderer gesellschaftlicher Relevanz<br />

sind, und die der Gesetzgeber von der grundsätzlichen<br />

Bestimmung der Verweildauer ausgenommen<br />

hat, sollen darüber hinaus nach<br />

den beantragten Konzepten unbefristet ange-<br />

boten werden können. Derartig privilegierte<br />

Archivinhalte können über die Mediatheken<br />

zugänglich sein, aber beispielsweise auch in<br />

Specials und Dossiers auf bestimmten Portalen<br />

im Internet zusammengefasst werden, wie etwa<br />

ein Telemedien-Schwerpunkt zum Schillerjahr.<br />

Das Internet bietet die Chance, dass auch Archivinhalte<br />

mit einer eher engen inhaltlichen<br />

Ausrichtung im Laufe ihrer Verweildauer ein<br />

beachtliches Publikum sammeln können. Dadurch<br />

können auch öffentlich-rechtliche Inhalte<br />

eine viel nachhaltigere Wirkung entfalten<br />

als allein durch einmalige lineare Ausstrahlung.<br />

Mit dem gebündelten Zugang zu den verschiedenen<br />

Telemedien über die Mediatheken kann<br />

gewährleistet werden, dass die Informationen<br />

auch tatsächlich auffindbar sind.<br />

Die im Wege des Dreistufentests nachgesuchte<br />

Ermächtigung für die maximale Verweildauer<br />

der verschiedenen Kategorien von Telemedienangeboten<br />

bedeutet jedoch nicht, dass<br />

die <strong>ARD</strong> jeden einzelnen dieser Inhalte auch<br />

tatsächlich für diesen maximalen Zeitraum zum<br />

Die Vermessung des Gemeinwohls A R D - J A H R B U C H 0 9 19


Abruf wird bereitstellen können. Denn neben<br />

der journalistisch-redaktionellen Relevanz spielen<br />

im Einzelfall auch der Schutz von Persönlichkeitsrechten,<br />

das Urheber- und Leistungsschutzrecht,<br />

die Kosten zur Abgeltung solcher<br />

Rechte sowie die Server- und Verbreitungskosten<br />

für die Entscheidung der Redaktion, wie<br />

lange einzelne Inhalte tatsächlich im Netz verbleiben,<br />

eine wichtige Rolle. So wird die <strong>ARD</strong><br />

auch nach Genehmigung der Telemedienkonzepte<br />

die dann theoretisch mögliche maximale<br />

Verweildauer vieler Inhalte in der Praxis häufig<br />

deutlich unterschreiten und bestimmte Inhalte<br />

auch gar nicht zum Abruf anbieten können.<br />

_ Weiteres Verfahren<br />

Ende Mai 2009 haben die Landesrundfunkanstalten<br />

die Telemedienkonzepte zu den gemeinschaftlichen<br />

Angeboten der <strong>ARD</strong> ihren<br />

Aufsichtsgremien zur Prüfung übergeben. Acht<br />

Wochen lang hatten Dritte die Gelegenheit, zu<br />

den im Internet veröffentlichten Konzepten<br />

Stellung zu nehmen. Ferner werden von den<br />

Gremien beauftragte unabhängige Gutachter<br />

die marktlichen Auswirkungen öffentlich-rechtlicher<br />

Telemedienangebote beurteilen. Nach<br />

Eingang aller Stellungnahmen und Gutachten,<br />

kann der jeweils federführende Intendant noch<br />

einmal selbst Stellung nehmen, bevor dann<br />

die Rundfunkräte in die abschließenden Beratungen<br />

eintreten und ihre Entscheidungen<br />

fällen. Nach Abschluss des Verfahrens wird die<br />

Entscheidung der Rechtsaufsicht übermittelt<br />

und nach deren Prüfung in den Amtsblättern<br />

der Länder veröffentlicht.<br />

_ Gemeinwohl ja – aber keine marktliche Vermessung<br />

Die medienpolitischen Auseinandersetzungen<br />

rund um den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag<br />

haben gezeigt, dass öffentlich-rechtliche<br />

Telemedienangebote besonders im Hinblick auf<br />

ihre marktökonomischen Auswirkungen kritisiert<br />

werden und entsprechend eingeschränkt<br />

werden sollen. Diese Zielrichtung, die sowohl<br />

der Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation<br />

(VPRT) als auch die Verlage in<br />

Deutschland immer wieder betonen und mit<br />

Gutachten zu untermauern versuchen, prägt<br />

die öffentliche Diskussion jedoch zu Unrecht.<br />

Denn in den Dreistufentests geht es gerade<br />

nicht um eine an ökonomischen Interessen<br />

der Wettbewerber ausgerichtete »Vermessung<br />

des Gemeinwohls« durch Marktgutachter. Die<br />

Gremien dürfen und sollen im gesellschaftlichen<br />

Gesamtinteresse urteilen und eine<br />

wertende Entscheidung treffen. Aufgrund der<br />

Zusammensetzung der Gremien mit Vertretern<br />

gesellschaftlich relevanter Gruppen bietet der<br />

Dreistufentest die Chance, dass der Funktionsauftrag<br />

des öffentlich-rechtlichen Rundfunks<br />

im Telemedienbereich so ausgestaltet wird, dass<br />

das übergeordnete gesellschaftliche Interesse<br />

an einem vielfältigen publizistischen Wettbewerb<br />

unabhängig von den Unwägbarkeiten der<br />

Markt entwicklungen gewahrt bleibt.<br />

Dr. Verena Wiedemann,<br />

Generalsekretärin der <strong>ARD</strong><br />

20 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


In einem Kompromiss zwischen den Forderungen<br />

der EU-Kommission und den deutschen verfassungs-<br />

rechtlichen Vorgaben haben die Bundesländer zum<br />

1. 6. 2009 die Behandlung von Telemedienangeboten des<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunks per Staatsvertrag<br />

neu geregelt. Danach sind <strong>ARD</strong>, ZDF und Deutschland-<br />

radio bestimmte Online-Angebote verboten und<br />

viele andere, auch die bereits bestehenden, nur erlaubt,<br />

wenn sie vorher bzw. bis zum 31. 8. 2010 einen so<br />

genannten Dreistufentest der Aufsichtsgremien beste-<br />

hen. Geprüft wird dabei<br />

1. inwieweit das Angebot den demokratischen, sozia len<br />

und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft ent spricht,<br />

2. in welchem Umfang durch das Angebot in qualitativer<br />

Hinsicht zum publizistischen Wettbewerb beigetragen<br />

wird und<br />

3. welcher finanzielle Aufwand für das Angebot<br />

erforderlich ist.<br />

Die Erstbesteigung der drei Stufen<br />

Die Aufsichtsgremien der <strong>ARD</strong> und der Dreistufentest<br />

Von Harald Augter und Susanne Pfab<br />

D<br />

ie Aufsichtsgremien der <strong>ARD</strong> befassen<br />

sich nun seit mehr als zwei Jahren mit<br />

den Konsequenzen aus der Entscheidung<br />

der EU-Kommission im so genannten<br />

VPRT-Verfahren. Inzwischen befinden<br />

wir uns mitten in den konkreten Prüfverfahren<br />

zum Telemedienbestand der <strong>ARD</strong>. An dieser<br />

Stelle ist Zeit und Raum für einen ersten Zwischenstandsbericht<br />

aus Sicht der Gremien zum<br />

Verfahrensneuling »Dreistufentest«.<br />

In der <strong>ARD</strong> ist unmittelbar nach Veröffentlichung<br />

der Kommissionsentscheidung am<br />

24. 4. 2007 mit den Überlegungen zur Umsetzung<br />

und zur Ausgestaltung der Dreistufentest-<br />

Verfahren begonnen worden, häufig kontrovers<br />

zwischen den Gremien und Anstalten. Es<br />

hat viele Anläufe gebraucht, um zu dem jetzt<br />

gültigen Staatsvertragstext und den diversen<br />

Ausführungsregelungen auf Ebene der <strong>ARD</strong><br />

und der Landesrundfunkanstalten zu gelangen.<br />

Vieles hat der Rundfunkstaatsvertrag dann am<br />

1. 6. 2009 klargestellt, vieles hat er offen gelassen.<br />

Offen gelassen hat er nicht, dass die Verfahrenshoheit<br />

allein bei den Gremien liegt. Dies hat<br />

die Gremien gestärkt und ihre Rolle im Kompetenzgefüge<br />

der Anstalten verändert. Diese Veränderung<br />

ist geprägt von mehr Verantwortung,<br />

mehr Gestaltungskraft, mehr Unabhängigkeit<br />

und nicht zuletzt: mehr Arbeit.<br />

Das Dreistufentest-Verfahren in § 11 f Rundfunkstaatsvertrag<br />

ist nicht nur ein neues<br />

Prüf- oder Genehmigungsverfahren, sondern<br />

ihm wird gesetzesersetzende Funktion zur ordnungspolitischen<br />

Grenzziehung zwischen den<br />

kommerziellen Anbietern und dem öffentlichrechtlichen<br />

Rundfunk im Online-Bereich<br />

Aufsichtsgremien und Dreistufentest A R D - J A H R B U C H 0 9 21


nachgesagt. Die Rundfunkräte sollen quasi<br />

behördengleich als neutrale Instanz zwischen<br />

den widerstreitenden Interessen eine verhältnismäßige<br />

Regelung finden. Mit dem Test soll der<br />

»Public Value« eines öffentlich-rechtlichen Telemedienangebots<br />

vermessbar werden. Das Verfahren<br />

wird insofern als wichtige Legitimationssäule<br />

für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk<br />

gesehen. Auch gilt der Test als Bewährungsprobe<br />

für die binnenplurale Gremienkontrolle<br />

an sich. Darüber, wann diese bestanden ist, gibt<br />

es naturgemäß und interessenspezifisch unterschiedlichste<br />

Ansichten. Wir haben es also mit<br />

einem Verfahren zu tun, welches mit vielen<br />

Erwartungen aufgeladen ist und über dem nicht<br />

wenige Damoklesschwerter hängen.<br />

Um diesen Anforderungen und Ansprüchen<br />

zu genügen, haben die Gremien schon viele<br />

Schritte unternommen: u. a. Bildung von Ausschüssen,<br />

Vervielfachung der Sitzungsanzahl,<br />

Die Mitglieder der Gremienvorsitzendenkonferenz<br />

mit ihrem Vorsitzenden Harald<br />

Augter (v. M.) und der GVK­Geschäftsführerin<br />

Susanne Pfab (v. r.) am 30. 3. 2009<br />

Aufstockung des eigenen Personals, regelmäßige<br />

Beratungs- und Abstimmungsrunden zwischen<br />

den Gremien und deren Arbeitsebenen, Schaffung<br />

von Informations- und Fortbildungsangeboten<br />

für die Gremien, Vergabe von Gutachten<br />

zu diversen Themen – nicht nur zu den marktlichen<br />

Auswirkungen. Am Ende werden es<br />

unzählige Schritte gewesen sein, die notwendig<br />

waren, um die »Drei Stufen« erstmals zu erklimmen.<br />

Denn die Schwierigkeit liegt darin, dass<br />

die Gremien von <strong>ARD</strong>, ZDF und Deutschlandradio<br />

quasi als Erstanwender Pionierarbeit zu<br />

leisten haben bei der Auslegung des noch jungen<br />

12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags und<br />

– bevor auch nur an eine inhaltliche Prüfung zu<br />

denken ist – unterschiedlichste Verfahrensfragen<br />

zu beantworten und zu entscheiden sind. Die<br />

Lösung dieser Fragen wird in Bezug auf die laufenden<br />

Verfahren noch dadurch erschwert, dass<br />

es sich um die Prüfung des Online-Bestands<br />

handelt und damit um einen Gegenstand, für<br />

den der Test als Ex-Ante-Prüfung neuer Angebote<br />

nicht »gestrickt« ist.<br />

Die Verfahrenshoheit der Gremien ist zwar<br />

inzwischen unstrittig – wie sie jedoch im Einzelnen<br />

wahrzunehmen ist, wird intern wie<br />

extern fleißig kommentiert. Nicht nur die Gremien,<br />

sondern auch Dritte wie der Verband<br />

Privater Rundfunk und Telekommunikation<br />

(VPRT) und die Landesmedienanstalten haben<br />

verfahrensbezogene Gutachten angefertigt oder<br />

anfertigen lassen. Den Gremien der <strong>ARD</strong> ist es<br />

wichtig, dass sie in wohlverstandener Föderalität<br />

eine einheitliche Linie bei der Anwendung und<br />

Ausfüllung der staatsvertraglichen Regelungen<br />

verfolgen, nicht zuletzt um größtmögliche Verfahrenssicherheit<br />

auch gegenüber Dritten zu<br />

gewährleisten. Die entsprechende Diskussion,<br />

der Meinungs- und Erfahrungsaustausch sowie<br />

die ggf. notwendige Abstimmung erfolgen über<br />

die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK),<br />

in der bei Dreistufentest-Fragen nicht nur die<br />

Rundfunk- und Verwaltungsräte zusammenkommen,<br />

sondern auch die Vorsitzenden der<br />

von den Rundfunkräten gebildeten Dreistufentest-Ausschüsse.<br />

Auf der Arbeitsebene ist eine<br />

entsprechende Arbeitsgruppe der Referenten<br />

gebildet worden, die zeitnah den Austausch<br />

zwischen den »Zuarbeitern« sicherstellt und für<br />

die Gremien Lösungs- und Vorgehensvorschläge<br />

erarbeitet.<br />

Den Gremien ist es wichtig, in allen Dreistufentest-Fragen<br />

ihre Position – ggf. unter<br />

Zuhilfenahme externer Expertisen – selbst zu<br />

entwickeln und entsprechend nach außen zu<br />

vertreten (siehe hierzu beispielsweise die Pressemitteilungen<br />

der GVK auf www.ard.de/gvk).<br />

Ob wir immer die richtigen Antworten auf die<br />

Auslegungsfragen gefunden haben, wird sich<br />

erst am Ende der jetzigen Verfahren erweisen,<br />

entweder dadurch, dass die Entscheidungen vor<br />

den diversen Instanzen wie Rechtsaufsicht und<br />

EU-Kommission Bestand haben, oder dadurch<br />

dass sie gerichtlich überprüft werden. Ob,<br />

durch wen und inwieweit die Dreistufentest-<br />

Verfahren justiziabel sind, ist ebenfalls eine viel<br />

22 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


diskutierte Frage. Für die Beantwortung dieser<br />

wie für die vieler anderer Verfahrensfragen sind<br />

die Natur des Dreistufentests, sein Kontext und<br />

vor allem sein Sinn und Zweck entscheidend.<br />

_ Die Natur des Dreistufentests<br />

Das Verfahren ist entstanden aus der Suche<br />

nach einem Kompromiss zwischen den europarechtlichen<br />

Forderungen und den verfassungsrechtlichen<br />

Grenzen für die Festlegung des<br />

Telemedien-Funktionsauftrags des öffentlichrechtlichen<br />

Rundfunks. Die EU-Kommission<br />

hätte sich eine staatliche Detailregelung gewünscht,<br />

was aber aufgrund der verfassungsrechtlich<br />

verbürgten Staatsferne des öffentlichrechtlichen<br />

Rundfunks in Deutschland nicht<br />

möglich ist. An die Stelle des Staates traten<br />

dann sozusagen die Gremien, die in einem sehr<br />

komplexen und komplizierten Verfahren zu<br />

ermitteln haben, ob das konkrete Telemedienangebot<br />

Teil des öffentlich-rechtlichen Auftrags<br />

ist. Insofern scheint das Verfahren parlamentarische<br />

Züge aufzuweisen. Andererseits erinnert<br />

es in einigen Elementen schon fast an ein Planfeststellungsverfahren<br />

oder andere Verwaltungsverfahren.<br />

Letztlich ist es wohl ein völlig neues,<br />

noch nie dagewesenes Verfahren »sui generis«,<br />

wie die Juristen sagen.<br />

Eines ist aber bei aller »Neuheit« nicht zu<br />

vergessen: Im Vordergrund steht der publizistische<br />

Kontext, denn geregelt ist der Dreistufentest<br />

auf nationaler Ebene nicht etwa im Wettbewerbsgesetz,<br />

sondern im Rundfunkstaatsvertrag.<br />

Im Rundfunkrecht geht es in erster Linie um<br />

den Beitrag der Medien, im Besonderen des<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunks, zur Meinungsbildung,<br />

um die Festlegung des Funktionsauftrags.<br />

In diesem Zusammenhang wird<br />

häufig von einer Vereinbarung zwischen der Gesellschaft<br />

und dem Rundfunk gesprochen. Dieser<br />

Begriff passt auf den Dreistufentest in ganz<br />

besonderer Weise, weil die Gremien als Vertreter<br />

der Gesellschaft die Aufgabe erhalten haben,<br />

den gesetzlich abstrakt erteilten Telemedienauftrag<br />

zu konkretisieren. »Private« Dritte wie zum<br />

Beispiel Wettbewerber haben hier grundsätzlich<br />

keine eigenständige Position. Dementsprechend<br />

dienen die Stellungnahmen Dritter – wie die<br />

Begründung zum 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag<br />

explizit betont – ausschließlich der<br />

Information der Rundfunkräte, ebenso wie die<br />

obligatorischen Marktgutachten oder sonstige<br />

fakultative Expertenbefragungen beispielsweise<br />

in Form von Sachverständigenanhörungen. Der<br />

jeweilige Rundfunkrat ist frei und gleichzeitig<br />

aufgefordert, sich alle Informationen, Materialien,<br />

Auskünfte und Unterlagen zu verschaffen,<br />

die er benötigt, um den publizistischen<br />

Beitrag des zu prüfenden Angebots umfassend<br />

beurteilen zu können. Die Auswirkungen des<br />

öffentlich-rechtlichen Angebots auf den Markt<br />

sind hierbei ein Abwägungsbestandteil, wenn<br />

auch ein gesetzlich vorgegebener. Entsprechend<br />

ist es nicht etwa die Marktsituation der Konkurrenten,<br />

die den Ausschlag gibt, sondern es<br />

ist die Werthaltigkeit des öffentlich-rechtlichen<br />

Angebots im Hinblick auf die Befriedigung<br />

demokratischer, kultureller und sozialer Bedürfnisse<br />

der Gesellschaft. Es geht also wie bisher<br />

um die Frage, welchen gesellschaftlichen Wert –<br />

gerne auch bezeichnet als »Public Value« – der<br />

öffentlich-rechtliche Rundfunk zu erbringen<br />

hat. Die Entscheidung trifft der Rundfunkrat<br />

gegenüber dem Intendanten, der ihm das An-<br />

Sitzung der Gremienvorsitzendenkonferenz<br />

am 30. 3. 2009<br />

gebot zur Prüfung vorgelegt hat. Eine regelnde<br />

Außenwirkung – wie es Voraussetzung für die<br />

Annahme eines Verwaltungsakts ist – geht von<br />

der Entscheidung des Rundfunkrats nicht aus.<br />

_ Formelle Verfahrenserfordernisse<br />

Die Verfahrensfragen, mit denen sich die Gremien<br />

bisher auseinandergesetzt haben, sind<br />

zahlreich und vielfältig. In der Praxis der Verfahrensdurchführung<br />

tauchen nahezu täglich<br />

weitere auf. Die Antworten müssen in der Regel<br />

schnell und pragmatisch gefunden werden.<br />

Einige der Verfahrensfragen beantwortet<br />

der Staatsvertrag selbst. Spätestens aber dessen<br />

amtliche Begründung und der Sinn und Zweck<br />

der Dreistufentest-Verfahren geben eindeutigen<br />

Aufschluss darüber, wie bestimmte Fragen zu<br />

beantworten sind:<br />

Aufsichtsgremien und Dreistufentest A R D - J A H R B U C H 0 9 23


_ Die Sechs-Wochen-Stellungnahmefrist ist<br />

die staatsvertragliche Mindestfrist, die der<br />

Rundfunkrat verlängern kann, wenn er es für<br />

angemessen hält, aber kein Verfahrensbeteiligter<br />

oder -betroffener hat einen Anspruch auf Verlängerung.<br />

(Die Gremien haben übrigens in allen<br />

laufenden Bestandsverfahren die Fristen um<br />

zwei bis sechs Wochen verlängert.)<br />

_ Die gesetzliche Frist ist zwar keine materielle<br />

Ausschlussfrist, in dem Sinne, dass Äußerungen<br />

in der Sache nicht mehr berücksichtigt werden<br />

dürften, stellt aber jedenfalls eine formelle Voraussetzung<br />

dafür dar, dass die Stellungnahme<br />

vom Rundfunkrat bei seiner Entscheidung<br />

berücksichtigt werden muss. Der Rundfunkrat<br />

kann sich – soweit nach dem Verfahrensstand<br />

überhaupt noch möglich – auch mit verspätet<br />

eingegangenen Stellungnahmen befassen (insbesondere<br />

wenn er einen entsprechenden Informationsbedarf<br />

hat), ein Anspruch darauf, dass<br />

die Stellungnahme dann ebenso behandelt wird<br />

wie eine fristgemäß eingegangene, besteht aber<br />

nicht.<br />

_ Die marktlichen Gutachten sind nach der<br />

Entscheidung des Rundfunkrats zu veröffentlichen,<br />

also grundsätzlich nicht etwa während<br />

des laufenden Verfahrens. Diese klare Aussage<br />

im Staatsvertragstext korreliert auch mit der<br />

Vertraulichkeitsverpflichtung, der alle Gremienmitglieder<br />

in den Dreistufentest-Verfahren unterliegen.<br />

_ Anhörungen von Sachverständigen und<br />

Dritten sind kein vorgeschriebener Verfahrensbestandteil,<br />

sondern es liegt in der Verfahrenshoheit<br />

des Rundfunkrats, ggf. auf diesem Weg<br />

weiteren Informationsbedarf zu decken.<br />

Für die Gremien sind immer die gesetzlichen<br />

Vorgaben relevant und bindend. Dort, wo der<br />

Staatsvertrag Raum für Verfahrensausgestaltung<br />

gibt, werden sie nach Bedarf und einzelfallbezogen<br />

von ihren Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch<br />

machen. Zu einer grundlegenden Modifikation<br />

des Dreistufentest-Verfahrens kann<br />

es dadurch aber nicht kommen – auch wenn<br />

einige Dritte, die ihre Position im Staatsvertrag<br />

als unzureichend empfinden, auf eine »Nachbesserung«<br />

durch die Gremien drängen.<br />

_ Marktliche Auswirkungen<br />

Um den Gremien die Beurteilung der marktlichen<br />

Auswirkungen zu erleichtern, sieht der<br />

Staatsvertrag die Einholung von externen Gutachten<br />

hierzu vor. Dies erfordert, Gutachter<br />

auszuwählen und zu beauftragen. Die Gremien<br />

haben hierfür zunächst mittels Interessenbekundungsverfahren<br />

eruiert, welche Institute,<br />

Institutionen oder Unternehmen sich selbst zur<br />

Erstellung solcher medienökonomischen Gutachten<br />

in der Lage sehen. Der Kreis derer, die<br />

die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen<br />

besitzen, ist (noch) überschaubar. Auch dies<br />

liegt nicht zuletzt daran, dass es sich bei den<br />

Dreistufentests um ein neues Verfahren handelt.<br />

Wie spezifisch dieses Verfahren ist, hat die<br />

Diskussion um die bei den Gutachten anzuwendende<br />

Methodik gezeigt. Zwar geben insbesondere<br />

die wettbewerbsrechtlichen EU-Verfahren<br />

einen gewissen Aufschluss, wie Märkte abzugrenzen<br />

sind, aber dies betraf bisher nie Telemedienmärkte.<br />

Für den so genannten Amsterdam Test, mit<br />

dem der Dreistufentest europaweiter Standard<br />

für die Einführung neuer Telemedienangebote<br />

wird, verlangt die neue Rundfunkmitteilung<br />

der Generaldirektion Wettbewerb eine Marktsimulation,<br />

d. h eine Betrachtung des Markts mit<br />

dem zu prüfenden Angebot und ohne dieses.<br />

Mit welchen Instrumenten diese Simulation<br />

vorzunehmen ist, lässt die Mitteilung allerdings<br />

offen. Auch der Blick auf den Public-Value-Test<br />

der BBC mag hilfreich sein; die Prüfmethodik<br />

der britischen Aufsichtsbehörde Ofcom ist aber<br />

wegen der Unterschiedlichkeit der Verfahren<br />

nicht ohne Weiteres übernehmbar. Außerdem<br />

ist auch diese noch nicht auf »Europafestigkeit«<br />

geprüft worden.<br />

Die Dreistufentest-Verfahren befördern<br />

insofern eine wissenschaftliche Auseinandersetzung<br />

im Bereich der Medienökonomie, wie<br />

sich auch daran zeigt, dass es bereits – wie zu<br />

erwarten war – Gutachten zu den Gutachten<br />

gibt. Im Übrigen wurde bei den Gesprächen<br />

mit den Gutachtern sehr deutlich, dass bei den<br />

Rundfunkräten nicht nur der entsprechende<br />

ökonomische Sachverstand vorhanden ist, um<br />

die marktökonomischen Ergebnisse einschätzen<br />

zu können, sondern dass auch eine große Bereitschaft<br />

besteht, sich in bisher eher rundfunkfremde<br />

Gebiete einzuarbeiten.<br />

Zur Frage, ob bei der Prüfung des publizistischen<br />

und ökonomischen Wettbewerbs auch<br />

Pay-Angebote zu berücksichtigen sind, haben<br />

die Gremienvorsitzenden bereits bei den Dreistufentest-Verfahren<br />

zu KI.KAplus und kikaninchen.de<br />

folgende Position entwickelt: Die GVK<br />

ist nach dem Stand der bisherigen Diskussion<br />

der Ansicht, dass nach textlicher, systematischer<br />

24 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


Übersicht über das Dreistufentest-Verfahren der <strong>ARD</strong> bei Gemeinschaftsangeboten<br />

Intendant<br />

Angebotsbeschreibung<br />

(Genehmigungsvorlage)<br />

Kommentierung der<br />

Stellungnahme Dritter und<br />

des Gutachtens<br />

Übersendung der Angebotsbeschreibung<br />

an Rechtsaufsicht<br />

Federführender<br />

Rundfunkrat<br />

Entscheidung über Einleitung<br />

des Verfahrens*<br />

Veröffentlichung der Angebotsbeschreibung<br />

im Internet,<br />

Gewährung der Möglichkeit<br />

zur Stelltungnahme<br />

Beauftragung des Gutachters<br />

Unverzügliche Weiterleitung<br />

aller Unterlagen an GVK und<br />

Programmbeirat<br />

Beratung und Erstellung<br />

Beratungsvorlage für übrige<br />

Gremien<br />

Schlussberatung und<br />

begründete Entscheidung<br />

* entfällt bei Online-Bestandsüberführung<br />

Möglichkeit zur<br />

Kenntnisnahme über<br />

GVK-Sharepoint<br />

und teleologischer Auslegung des Staatsvertragstextes<br />

davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber<br />

durch das Merkmal »frei zugänglich« eine<br />

Eingrenzung des publizistischen Wettbewerbs<br />

auf kostenfreie Angebote beabsichtigt hat. Bei<br />

der Prüfung der Auswirkungen auf den ökonomischen<br />

Wettbewerb sind hingegen sämtliche<br />

Medienangebote unabhängig von ihrer Finanzierung<br />

in die Betrachtung einzubeziehen. Die<br />

GVK empfiehlt, im Zweifel auch vergleichbare<br />

entgeltfinanzierte Angebote in die Abwägung<br />

einzubeziehen. Eine gesetzliche Pflicht hierzu<br />

besteht aber nur insofern, als das öffentlichrechtliche<br />

Angebot Auswirkungen auf den Pay-<br />

Markt als solchen nach sich zieht, da hierdurch<br />

die publizistische Vielfalt verkürzt werden<br />

könnte.<br />

_ Zulässigkeit von »Teilgenehmigungen«<br />

Die Frage nach den Entscheidungsmöglichkeiten<br />

des Rundfunkrats betrifft ein sehr grundsätzliches<br />

Thema, nämlich ob das Gremium<br />

über die Dreistufentest-Prüfaufgabe auch programmgestalterische<br />

Kompetenzen bekommen<br />

Übrige Gremien Gutachter Dritte<br />

Beratung in der GVK<br />

und im Programmbeirat<br />

Beratung in LRA Gremien<br />

(und ggf. Fernsehrat ZDF)<br />

Stellungnahme<br />

Programmbeirat<br />

Beschlussempfehlung<br />

der GVK<br />

Erstellung von Gutachten<br />

Stellungnahmen Dritter<br />

hat. Zunächst ist hier aber nochmals zu betonen,<br />

dass der Rundfunkrat keine »Genehmigung«<br />

erteilt, sondern laut Rundfunkstaatsvertrag<br />

zu prüfen hat, ob das Telemedienangebot<br />

vom öffentlich-rechtlichen Auftrag umfasst ist.<br />

Dies heißt auch, dass er – wenn er eine Änderung<br />

des Angebots für geboten hält – nicht etwa<br />

unter Bedingungen oder Auflagen genehmigt,<br />

sondern lediglich feststellt, dass das Angebot –<br />

seiner Ansicht nach – nur unter bestimmten Voraussetzungen<br />

den gesetzlichen Anforderungen<br />

entspricht. Eine solche Bandbreite im Prüfergebnis<br />

gegenüber der reinen Ja- oder Nein-<br />

Antwort ist schon in der Struktur der zweiten<br />

Prüfstufe angelegt, die vom Rundfunkrat eine<br />

umfassende Abwägung zwischen den marktlichen<br />

Auswirkungen und dem publizistischen<br />

Beitrag des Angebots fordert.<br />

Wenn es sich gegenüber dem Antrag um ein<br />

(quantitatives) »Minus« handelt, kann wohl regelmäßig<br />

davon ausgegangen werden, dass der<br />

Antrag des Intendanten dieses Weniger umfasst<br />

(z. B. eine punktuelle Verkürzung der Verweildauer).<br />

Sofern aber die Angebotsstruktur und<br />

Aufsichtsgremien und Dreistufentest A R D - J A H R B U C H 0 9 25


oder -konzeption durch die vom Rundfunkrat<br />

als notwendig erachtete Modifikation verändert<br />

würde, ist davon auszugehen, dass es sich<br />

um ein anderes Angebot handelt (»Aliud«). In<br />

der Konsequenz wäre ein neues Dreistufentest-<br />

Verfahren zu durchlaufen, wenn der Intendant<br />

einen entsprechend abgeänderten Antrag stellte.<br />

In allen Fällen sollten dem Intendanten die<br />

Bedenken des Rundfunkrats vorab mitgeteilt<br />

werden und ihm sollte die Möglichkeit zur<br />

Äußerung und ggf. Abänderung bzw. Zurücknahme<br />

des Antrags gegeben werden. Auch muss<br />

dem Programmverantwortlichen die Beurteilung<br />

überlassen bleiben, ob in den vom Rundfunkrat<br />

vorgeschlagenen Modifikationen ein<br />

»Minus« oder ein »Aliud« zu sehen ist.<br />

_ Der Wert des Dreistufentest-Verfahrens<br />

Das Dreistufentest-Verfahren hat die Funktion,<br />

die Vereinbarkeit des konkreten Telemedienangebots<br />

mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag<br />

festzustellen. Darüber hinaus hat der Dreistufentest<br />

einige sehr wertvolle »Nebeneffekte«.<br />

Gremienfachtagung »Qualität – machen,<br />

messen, managen« Anfang 2009 in Hamburg<br />

Der Diskurs mit der Gesellschaft über Auftrag<br />

und Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks<br />

ist neu angefacht worden; die Stellungnahmen<br />

der Dritten zeigen hier die ganze Meinungsbandbreite<br />

auf, die von der Forderung nach<br />

zeitlich wie inhaltlich unbegrenzter Online-<br />

Präsenz bis zur Ansicht reichen, der öffentlichrechtliche<br />

Rundfunk habe sich auf kommerziell<br />

nicht lukrative Nischen zu beschränken. Dieser<br />

nachhaltig und fortgesetzt zu führende Diskurs<br />

ist auch in den <strong>ARD</strong>-Anstalten intensiviert worden,<br />

zwischen den Programmverantwortlichen<br />

und Programmmachern, aber ebenso mit den<br />

Gremien – und zwar auch unabhängig von den<br />

konkreten Dreistufentest-Verfahren bzw. über<br />

diese hinaus. Die Qualitätsdebatte, die wahrscheinlich<br />

so alt ist wie der gebührenfinanzierte<br />

Rundfunk, jedenfalls aber mindestens so alt wie<br />

der kommerzielle Rundfunk, wird dank des aktuellen<br />

Impulses mit dem Ziel konkreter, zeitnaher<br />

und operabler Ergebnisse geführt.<br />

Die GVK hatte bereits Anfang 2009 eine<br />

Gremienfachtagung mit dem Titel »Qualität –<br />

machen, messen, managen« veranstaltet und<br />

ein Thesenpapier zur Bewertung von Qualität<br />

erarbeitet. Die Erkenntnisse, die aus den Dreistufentest-Verfahren<br />

in Bezug auf die Prüfung<br />

der Qualität von Telemedienangeboten gewonnen<br />

werden, werden auch auf Fernsehen und<br />

Hörfunk »durchschlagen«. In den Häusern gibt<br />

es zwar bereits diverse Qualitätsmanagementsysteme,<br />

diese dienen aber vor allem der internen<br />

Evaluation. Qualität von Medienangeboten<br />

bestimmbarer und nach außen nachweisbarer<br />

bzw. argumentativ fassbarer zu machen, ist einer<br />

der wichtigsten Bausteine für die Legitimation<br />

des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.<br />

Die Legitimationsdebatte wird derzeit vor<br />

allem anhand der laufenden Dreistufentest-<br />

Verfahren geführt, sie wird es aber – wie vorher<br />

– auch nachher oder nebenher noch geben, insbesondere<br />

mit Blick auf die Rechtfertigung der<br />

Gebührenfinanzierung. Und hier ist die Qualität<br />

der Inhalte der Schlüssel oder Leitfaden.<br />

Die Beantwortung der Auslegungsfragen, denen<br />

die Gremien bei der Prüfung der zweiten Stufe<br />

(»publizistischer Beitrag in qualitativer Hinsicht«)<br />

begegnen, lohnt sich also noch weit über<br />

den Dreistufentest hinaus.<br />

Ein weiterer gewichtiger – vom Gesetzgeber<br />

beabsichtigter – »Nebeneffekt« ist noch zu nennen:<br />

die Stärkung der Gremien. Dieser Effekt<br />

ist bereits eingetreten, und zwar – wie wohl alle<br />

aktiven Gremienmitglieder zustimmen würden<br />

– unumkehrbar.<br />

26 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9<br />

Dr. Harald Augter,<br />

Vorsitzender der Gremienvorsitzendenkonferenz<br />

der <strong>ARD</strong> und des SWR-Rundfunkrats<br />

Dr. Susanne Pfab,<br />

Geschäftsführerin der<br />

Gremienvorsitzendenkonferenz der <strong>ARD</strong>


Die Debatte um Qualität im Fernsehen ist fast so alt wie<br />

das Fernsehen selbst. Besonders heftig wird sie<br />

geführt, seit es die Konkurrenz der kommerziellen Ver-<br />

anstalter gibt. Dabei sollte Qualitätsfernsehen nicht<br />

definiert werden als distinguiertes Hochkultur-Pro-<br />

gramm, Qualität im Fernsehen entsteht vielmehr durch<br />

die Summe ihrer Einzelteile, Sternstunden wie der<br />

Dokumentation »Das Schweigen der Quandts«, den<br />

Filmen »Mogadischu« und »Das Leben der Anderen«<br />

dürfen durchaus leichtere Produktionen gegenüber-<br />

stehen, die dem Bedürfnis der Zuschauer nach<br />

Unterhaltung und Entspannung entsprechen. Für ein<br />

gutes Programm aber unverzichtbar: ein breit<br />

gefächertes Informationsangebot, von den vielen<br />

täglichen »Tagesschau«-Ausgaben bis zu Magazinen zur<br />

Innen- und Außenpolitik, zu Europathemen, Wirtschaft<br />

und Kultur.<br />

Qualität trotz Quotendruck<br />

25 Jahre duales System – öffentlich-rechtliche Qualitätsangebote<br />

unter Konkurrenzdruck<br />

Von Volker Herres<br />

25<br />

Jahre duales System – ein Vierteljahrhundert<br />

der Koexistenz von<br />

<strong>ARD</strong> und ZDF auf der einen und<br />

den kommerziellen Sendern auf<br />

der anderen Seite: Grund zum Feiern haben<br />

alle Beteiligten, wie ich finde. Konkurrenz belebt<br />

bekanntermaßen das Geschäft – so auch<br />

unseres. In 25 Jahren haben wir wechselseitig<br />

voneinander gelernt und profitiert. Unsere privatwirtschaftlichen<br />

Wettbewerber setzen nicht<br />

mehr ausschließlich auf Sex and Crime, und<br />

wir sind stringenter, zuschauernäher und auch<br />

mutiger geworden. Unentbehrlich für den Zuschauer<br />

sind wir geblieben. Erfolgreich allemal.<br />

Wer hätte das damals gedacht?<br />

Mit der Einführung des dualen Systems in<br />

Deutschland wurde das öffentlich-rechtliche<br />

Fernsehen auf die Probe, ja infrage gestellt.<br />

Außer Acht gelassen wurde und wird zuweilen<br />

auch heute noch, dass das Bundesverfassungsgericht<br />

mit seinem dritten und vierten Rundfunkurteil<br />

1981 bzw. 1986 dezidiert öffentlichrechtliches<br />

Fernsehen als Voraussetzung und<br />

Bedingung für kommerzielle Angebote festgeschrieben<br />

und bestätigt hat – nur zusammen<br />

mit <strong>ARD</strong> und ZDF kann es also privaten Hörfunk<br />

und privates Fernsehen in Deutschland<br />

geben. Trotzdem wurde mitunter vehement<br />

über die Berechtigung des öffentlich-rechtlichen<br />

Programms diskutiert. Säbelrasselnd unsere<br />

kommerziellen Konkurrenten: Überholt, verschnarcht<br />

und am Publikumsgeschmack vorbei<br />

seien unsere Programme. Von einigen wurde<br />

Das Erste gar grundsätzlich infrage gestellt: Re-<br />

Qualität trotz Quotendruck A R D - J A H R B U C H 0 9 27


gionale Angebote, mit den dritten Programmen<br />

der <strong>ARD</strong>, und ein nationales Vollprogramm,<br />

das ZDF, würden dem deutschen Publikum<br />

vollauf genügen.<br />

Auch wenn die Systemfrage heute nicht<br />

mehr (oder kaum noch) gestellt wird, Konvergenz,<br />

das Stich- und Zauberwort, mit dem<br />

öffentlich-rechtliche Sender gern verbal in die<br />

kommerzielle Nähe gerückt werden, bleibt in<br />

Mode. Da reicht ein internes Thesenpapier mit<br />

Anregungen zur Optimierung dramaturgischer<br />

Elemente oder ein Kulturpapst, dem bei einer<br />

Preisverleihung der Kragen platzt – schon<br />

entflammt ein Flächenbrand, bei dem von der<br />

Programmqualität des öffentlich-rechtlichen<br />

Fernsehens allenfalls kleine Nischen zu nachtschlafender<br />

Zeit unberührt bleiben. Der große<br />

Rest, ein Machwerk der öffentlich-rechtlichen<br />

Quotenidioten!<br />

_ Qualität gleich Hochkultur?<br />

Warum diese Vehemenz beim Debattieren um<br />

Qualität im öffentlich-rechtlichen Fernsehen?<br />

Qualität ist ein normativer, an Werten orientierter<br />

Begriff. In Deutschland wird Kultur meist<br />

mit Hochkultur gleichgesetzt, werden Qualität<br />

und Anspruch oft und gerne synonym verwendet.<br />

Der Schluss daraus ist einfach: Das Anspruchsniveau<br />

einer Sendung kann nicht hoch<br />

genug sein – je anspruchsvoller, desto mehr<br />

Qualität. Brecht und Shakespeare, Oper und<br />

Konzert . . . um es einmal polemisch zu verschlagworten.<br />

Man mag es als ungerecht empfinden – Tatsache<br />

aber ist, dass bei den Privaten Trash Teil<br />

Der ideale Audience Flow im Ersten:<br />

von der Krankenhausserie »In aller Freundschaft«<br />

. . .<br />

eines anerkannten Geschäftsprinzips bleibt. Zuweilen<br />

ironisch bis zynisch kommentiert, aber<br />

im Grundsatz für den Erfolg des privaten Fernsehens<br />

unverzichtbar.<br />

Dass öffentlich-rechtliches Fernsehen nicht<br />

der Ausschließlichkeitshort der Hochkultur<br />

sein kann, dass wir weder die Volkshochschule<br />

ersetzen noch das Opernhaus der Nation sein<br />

können, ist dagegen keine Selbstverständlichkeit.<br />

Aber wir machen Fernsehen für ganz normale<br />

Menschen, mit allen ihren Bedürfnissen<br />

und Wünschen. Wenn beispielsweise Musik<br />

zur Kultur gehört, warum – um meinen Amtsvorgänger<br />

Günter Struve zu zitieren – gilt dann<br />

Stockhausen als Hochkultur, während mancher<br />

sich graust vor sechs Millionen Menschen, die<br />

regelmäßig ihre helle Freude am »Musikantenstadl«<br />

haben? Als nationales Vollprogramm wollen<br />

und müssen wir alle Zielgruppen, alle Menschen<br />

erreichen. Dazu sind wir auch schon per<br />

gesetzlich definiertem Auftrag verpflichtet, und<br />

schließlich zahlen ja auch alle Gebühren dafür.<br />

Unser Publikum gibt uns – in Gestalt der<br />

Quote – jeden Tag Auskunft darüber, wie<br />

unser Programm ankommt. Quoten, dahinter<br />

verbergen sich Menschen, die sich für ein<br />

bestimmtes Programm entschieden haben. Und<br />

deswegen haben Quoten einen hohen Stellenwert<br />

für uns. Für mich ist die Zahl der Menschen<br />

in Deutsch land, die eine bestimmte Sendung<br />

einschal teten, nicht das alleinige, aber<br />

eines der uner läss lichen Kriterien auch für die<br />

qualitative Bewertung einer Sendung oder eines<br />

Sendeplatzes. Wer solche von der Gesellschaft<br />

für Konsum-, Markt und Absatzforschung e.V.<br />

. . . zum Wirtschaftsmagazin »Plusminus«<br />

mit Clemens Bratzler . . .<br />

28 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


(GfK) täglich repräsentativ und verlässlich erhobenen<br />

Zahlen ignorieren würde und ein Programm<br />

frei von jeder Akzeptanzbewertung, nur<br />

im Vertrauen auf sein eigenes Gespür oder seinen<br />

persönlichen Geschmack zusammenstellen<br />

würde, den müsste man der Selbstüberschätzung<br />

und groben Fahrlässigkeit bezichtigen.<br />

Denn Das Erste ist nun einmal ein massenmediales<br />

Angebot, und deshalb hat eine entsprechende<br />

substanzielle Reichweite in der Bevölkerung<br />

ihre Berechtigung. Das Erste muss Quote<br />

machen. Wir wollen ankommen – daran ist<br />

nichts verwerflich. Aber wir wollen das nicht<br />

um jeden Preis – das unterscheidet uns von anderen,<br />

kommerziellen Anbietern.<br />

_ Qualitätskriterium Vielfalt<br />

Als Öffentlich-Rechtliche sind wir nicht dem<br />

Diktat der Gewinnmaximierung unterworfen;<br />

das macht uns frei. Frei für was? Wie sieht<br />

ein verantwortungsvolles Programm aus? Ein<br />

entscheidendes Kriterium ist die Verteidigung<br />

und Wahrung der Vielfalt, was Angebote, Meinungen,<br />

Themen und Genres anbelangt. Eine<br />

solche Vielfalt, wie sie sich im Programm des<br />

Ersten widerspiegelt, sichert die Pluralität unserer<br />

Gesellschaft. Sie bedeutet keinesfalls Beliebigkeit.<br />

Im Gegenteil: Das Erste ist in hohem<br />

Maße wiedererkennbar. Das liegt nicht nur an<br />

einem klaren Programmschema mit verlässlichen<br />

Sendeplätzen und -zeiten, an denen die<br />

Zuschauer »ihr« Programm finden können. Es<br />

liegt vor allem an der durchdachten, an den<br />

Bedürfnissen der Zuschauer orientierten Programmkomposition.<br />

Ein solch stringentes Mischkonzept, wie<br />

wir es täglich realisieren, bedeutet einen Public<br />

Value, den kein kommerzieller Sender in<br />

dieser Form bieten kann. Dabei geht es nicht<br />

darum, es jedem recht zu machen; es geht<br />

vielmehr darum, jeden zu interessieren: Wo<br />

außer im Ersten gelingt ein Audience Flow, der<br />

die Zuschauer einer Krankenhausserie für ein<br />

Wirtschaftsmagazin im Anschluss zu gewinnen<br />

vermag, der den passionierten Krimigucker in<br />

eine politische Talkshow mitnimmt, der nach<br />

einer unterhaltenden Serie oder einem Tierfilm<br />

für eine Dokumentation mit anspruchsvollem<br />

Thema begeistern kann?<br />

_ Gewolltes Handicap<br />

Wir könnten uns das Leben einfacher machen,<br />

indem wir ganze Sendestrecken mit ähnlichen<br />

Genres tapezieren würden. Aber ein solches<br />

lineares Denken wäre für Das Erste der falsche<br />

Ansatz. Denn wir haben das große Glück, dem<br />

zielgruppenorientierten Geschmacksdiktat der<br />

werbetreibenden Industrie nicht unterworfen<br />

zu sein. Wir müssen nicht permanent eine<br />

vermeintlich konsumfreudige Gruppe umwerben.<br />

Unser Programm ist darauf angelegt, eine<br />

integrative, nicht-manipulative Plattform gesellschaftlicher<br />

Diskurse, ein gemeinschaftsbildendes<br />

Medium zu sein. Demgemäß ist unser<br />

Menschenbild nach wie vor an dem Ideal des<br />

mündigen Bürgers orientiert. Solche Mündigkeit<br />

setzt Urteilskraft voraus. Diese wird dem<br />

Zuschauer in unserem Programm nicht abgenommen,<br />

sondern bewusst abverlangt. Auch<br />

wenn wir damit nicht immer an vorderster<br />

. . . zu den »Tagesthemen« mit Tom Buhrow . . . . . . zum Dokumentarfilm »Frohe Zukunft –<br />

Leben nach der Wende« von Bianca Bodau<br />

und Claudia Mützelfeld<br />

Qualität trotz Quotendruck A R D - J A H R B U C H 0 9 29


Front dabei sind, wenn es darum geht, besonders<br />

»hip«, »trendy« und nach der neuesten<br />

Mode zu sein. Tonangebend in den tatsächlich<br />

relevanten Dingen sind wir allemal, vor allem<br />

dann, wenn sich die Zuschauer im buchstäblichen<br />

Sinne »ein Bild machen« wollen, kurz:<br />

Wenn es um Information geht. Hierzu haben<br />

wir neben den Nachrichtensendungen eine<br />

große Palette an Magazinen zur Innen- und<br />

Außenpolitik, zu Europathemen, Wirtschaft<br />

und Kultur, Service und Beratung. Ein solches<br />

Angebot, das kann man ohne Übertreibung<br />

sagen, sucht seinesgleichen in der Fernsehlandschaft.<br />

Mehr als 40 Prozent der gesamten<br />

Sendezeit entfallen im Ersten auf den Bereich<br />

Information – kein kommerzieller Sender kann<br />

da mithalten.<br />

_ Informationskompetenz durch Nachrichten<br />

fast rund um die Uhr<br />

Bei einem Vergleich der Auslandskorrespondenten<br />

zeigt sich ein ähnliches Bild: Mit 41<br />

Berichterstattern nur für das Fernsehen in 25<br />

Auslandsstudios haben wir eines der größten<br />

Netze der Welt (vgl. Florian Meesmann: Von Panzern<br />

und Paschtunen und folgende Artikel). Nur die<br />

BBC und CNN haben Vergleichbares. In jeder<br />

»Tagesschau«, in allen »Tagesthemen« zeigen wir<br />

Berichte aus dem Ausland. Und im »Weltspiegel«,<br />

zur besten Sendezeit – sonntags um 19.20<br />

Uhr –, stehen Woche für Woche Hintergrundberichte<br />

aus aller Welt auf dem Programm.<br />

Was die Nachrichtensendungen anbelangt,<br />

ist allein schon die Angebotsfülle ein Nachweis<br />

von Qualität. Aber nicht allein die Masse<br />

macht’s, sondern vor allem die Klasse. Und gerade<br />

hier, was Inhalt, Gewichtung, Ausrichtung<br />

und Präsentation betrifft, liegt die besondere<br />

Stärke des Ersten. Das lässt sich im Übrigen<br />

auch wissenschaftlich nachweisen. Analysiert<br />

man die Hauptausgaben der Nachrichten von<br />

<strong>ARD</strong>, ZDF, RTL und Sat.1 auf deren Themenprofile<br />

hin, so zeigt sich im Ergebnis, dass die<br />

»Tagesschau« dem politischen Geschehen mit<br />

Abstand die größte Bedeutung zumisst: Rund<br />

die Hälfte der Sendezeit ist der Politik gewidmet,<br />

während bei RTL und Sat.1 darauf nur<br />

ein Fünftel der Sendezeit entfällt. Der überwiegende<br />

Teil der Nachrichten wird hier mit Boulevardthemen<br />

gefüllt. Die wiederum spielen in<br />

der »Tagesschau« nur eine ganz untergeordnete<br />

Rolle. Den Zuschauern sind die Vorzüge einer<br />

solchen wirklich informativen Nachrichtensendung<br />

wohl bewusst; sie wünschen und schätzen<br />

die Vorzüge der Verlässlichkeit, Aktualität,<br />

solider Recherche und journalistisch präziser<br />

und differenzierter Auswahl, Aufbereitung und<br />

Gewichtung der Fakten. Nach der Unverzichtbarkeit<br />

der Programme befragt, sprachen sich<br />

im jüngsten »<strong>ARD</strong>-Trend«, einer jährlich durchgeführten<br />

repräsentativen Großerhebung, 57<br />

Prozent für das <strong>ARD</strong>-Gemeinschaftsprogramm<br />

aus. RTL kommt dabei nur auf 25 Prozent.<br />

30 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9<br />

Aktuelle Berichterstattung im Ersten:<br />

Jörg Schönenborn und Andreas<br />

Cichowicz berichten über die Präsidentenwahl<br />

in den USA.


»Auf der Sonnenseite«, ein preisgekrönter<br />

»Tatort« vom NDR mit Kommissar Cenk Batu<br />

(Mehmet Kurtulus, r.)<br />

_ »In aller Freundschaft« gegen »Dr. House«<br />

Auch im Fiktionalen ist die Genre-Mischung<br />

bei uns und dem ZDF am ausgewogensten. Die<br />

eigenproduzierten Serien am Dienstagabend<br />

im Ersten sind – auch wenn unermüdlich das<br />

Hohe Lied auf »Dr. House« und Konsorten gesungen<br />

wird – die erfolgreichsten im deutschen<br />

Fernsehen. Und Woche für Woche zeigen wir<br />

in unserem »FilmMittwoch« um 20.15 Uhr anspruchsvolle<br />

und mit Preisen bedachte Fernsehfilme.<br />

Filme, die aktuelle Themen aufgreifen,<br />

zu Diskussionen anregen und auch noch ein<br />

großes Publikum bestens unterhalten. Filme,<br />

über die lange – vor und während der Produktion<br />

– nachgedacht, diskutiert und mitunter<br />

auch gestritten wurde. Immer in dem Bestreben,<br />

den Zuschauer mit dem bestmöglichen<br />

Produkt zu erreichen. Im letzten Jahr liefen<br />

auf diesem Sendeplatz beispielsweise »Sophie<br />

Scholl – Die letzten Tage«, »Teufelsbraten«,<br />

»12 heißt: Ich liebe dich«, »Mein Mann, der<br />

Trinker«, »Sommer vorm Balkon«, »Das Feuerschiff«<br />

und auf Sonderterminen die Literaturverfilmung<br />

»Der Besuch der alten Dame«, »Mogadischu«<br />

und der Oscar-prämierte Film »Das<br />

Leben der Anderen«.<br />

Für den diesjährigen Grimme-Preis wurden<br />

von den insgesamt 695 Einreichungen 60 Produktionen<br />

ausgewählt – 54 davon sind Sendungen<br />

der Öffentlich-Rechtlichen. Einen deutlicheren<br />

Nachweis für den hohen Qualitätsstandard unserer<br />

Produktionen gibt es aktuell wohl nicht.<br />

2009 für den Oscar nominiert:<br />

»Der Baader Meinhof Komplex«, mit Moritz<br />

Bleibtreu als Andreas Baader<br />

und Johanna Wokalek als Gudrun Ensslin<br />

_ Großgeschrieben: Filmförderung<br />

Ein Großteil aller deutschen Filme, die auf nationalen<br />

und internationalen Festivals hervortreten<br />

oder ausgezeichnet werden, ensteht als<br />

<strong>ARD</strong>-Koproduktion. Die <strong>ARD</strong> setzt sich für<br />

den Fortbestand und die Konkurrenzfähigkeit<br />

deutscher Kinoproduktionen im internationalen<br />

Vergleich vehement ein: Rund 30 Mio Euro<br />

zahlen die Landesrundfunkanstalten der <strong>ARD</strong><br />

jährlich an die Länderfilmförderung und wenden<br />

kumuliert rund 190 Mio für Filmneuproduktionen<br />

auf. Mit diesen Mitteln entstanden<br />

zum Beispiel der »Der Baader Meinhof Komplex«<br />

und die »Buddenbrooks«, die in diesem<br />

Jahr als Fernsehpremieren im Ersten laufen.<br />

Und: Wer auch immer im deutschen Kino in<br />

den letzten Jahren groß geworden ist, hat dies<br />

meist mit Hilfe der <strong>ARD</strong> geschafft. Ob etwa<br />

Florian Henckel von Donnersmarck oder Hans<br />

Weingartner, ob Marcus H. Rosenmüller oder<br />

Hans Steinbichler, Andreas Dresen oder Fatih<br />

Akin – alle haben oft ihre bekanntesten Filme<br />

als Koproduktionen mit der <strong>ARD</strong> realisiert.<br />

Nachwuchsförderung wird mit den Debüt-Reihen<br />

in den Dritten Programmen und im Ersten<br />

großgeschrieben.<br />

Sogar für den Sport lässt sich bei der <strong>ARD</strong><br />

die größte Vielfalt feststellen: Während RTL<br />

und Sat.1 in der Regel über massenattraktive<br />

Events nicht hinauskommen, deckt unsere<br />

Sportberichterstattung im Verlauf eines Jahres<br />

über 30 verschiedene Sportarten ab – auch in<br />

nicht-olympischen Jahren.<br />

Qualität trotz Quotendruck A R D - J A H R B U C H 0 9 31


Der Dokumentarfilm »Meine Mütter«,<br />

Rosa von Praunheims ebenso<br />

spannende wie anrührende Suche nach<br />

seinen Wurzeln, lief am 4. 8. 2009<br />

im Ersten.<br />

Einmal pro Jahr fragen wir auch ganz direkt:<br />

»Welcher Sender bietet Ihrer Meinung nach<br />

insgesamt die qualitativ besten Programme an?«<br />

Auch hier erhält Das Erste – seit Jahren – das<br />

positivste Gesamturteil, gefolgt von ZDF und<br />

RTL. Und bei der berühmten »Inselfrage«,<br />

»Welches Programm würden Sie wählen, wenn<br />

Sie nur eines sehen könnten?«, gewinnt Das<br />

Erste immer.<br />

Genau dieses Konzert aus eigener Anschauung,<br />

internen Debatten, GfK-Daten (also Quoten),<br />

Inhaltsanalysen sowie pauschalen und<br />

detaillierten Zuschauerbefragungen macht das<br />

Qualitätsurteil komplett. Und außerdem gibt<br />

es mir Anlass zu einem selbstbewussten Urteil<br />

über das <strong>ARD</strong>-Gemeinschaftsprogramm.<br />

_ Täglich neue Herausforderungen<br />

Diese Haltung darf aber nicht mit Selbstzufriedenheit<br />

verwechselt werden. In jedem Programm<br />

gibt es Sendeflächen oder Formate,<br />

die verbessert werden können und müssen.<br />

Fernsehen ist etwas sehr Lebendiges, das sich<br />

täglich neuen Themen, neuen Realitäten oder<br />

auch sich verändernden Geschmacksfragen und<br />

Gewohnheiten stellen muss. Wir gehen diese<br />

Herausforderungen an, nicht blind und opportunistisch<br />

und auf gar keinen Fall um jeden<br />

Preis: Im Ersten, in der <strong>ARD</strong> wird es nie eine<br />

Gerichtsshow geben, die hemmungslos und<br />

zynisch mit den Schwächen ihrer Protagonisten<br />

agiert, und auch kein »Dschungelcamp«.<br />

2009 wurde die politische Berichterstattung<br />

im Ersten durch die Landtagswahlen, die Europa-<br />

und Bundestagswahl geprägt. Den Staatsgründungen<br />

von Bundesrepublik und DDR vor<br />

60 Jahren widmeten wir zahlreiche Dokumentationen<br />

und Reportagen, 20 Jahre Mauerfall<br />

würdigten wir im fiktionalen wie im dokumentarischen<br />

Bereich (vgl. Johannes Unger: 2009 – ein<br />

Jahr voller Erinnerungen). Und die »<strong>ARD</strong> Themenwoche«,<br />

die gesellschaftlich relevante Themen<br />

unseres Alltags umfassend darstellt, bleibt<br />

integraler Bestandteil unseres Programms.<br />

32 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9<br />

Als Koproduktion der Filmakademie Baden-<br />

Württemberg mit dem HR lief am 17. 8. 2009 in<br />

der Reihe »Debüt im Ersten« »Höhere Gewalt«<br />

von Lars Henning Jung, Foto: Vinzenz Kiefer<br />

und Alice Dwyer.<br />

Die preisgekrönte Vorabendserie »Türkisch<br />

für Anfänger«, Foto: Pegah Ferydoni,<br />

Anna Stieblich und Josefine Preuß (v. l.)


_ Die Erreichbarkeit des jungen Publikums<br />

Auf einzelnen Sendeplätzen haben wir ein<br />

Akzeptanzproblem: Am Vorabend wollen wir<br />

ein größeres und jüngeres Publikum erreichen.<br />

»Türkisch für Anfänger« lief hier – preisgekrönt,<br />

aber zu unserem großen Bedauern nicht mit<br />

dem Zuspruch, den wir uns für diese tolle Serie<br />

gewünscht haben.<br />

Behutsames Justieren, vorhandene Formate<br />

mit kleinen dramaturgischen Veränderungen aktualisieren<br />

und modernisieren, ist für mich das<br />

Mittel der Wahl. Schließlich wollen wir unser<br />

Stammpublikum nicht vergraulen und gleichzeitig<br />

jüngere Zuschauer hinzugewinnen. Dass<br />

das nicht einfach ist, erleben wir täglich, aber<br />

es ist auch nicht die Quadratur des Kreises: Gelungene<br />

Beispiele dafür sind die »Lindenstraße«<br />

oder der »Tatort« – seit Jahrzehnten im Ersten<br />

und von ungebrochener Attraktivität. Jüngere<br />

Publika erreichen wir mit Sportübertragungen<br />

und auch mit der »Tagesschau«.<br />

Unsere Dokumentationen am Montag um<br />

21.00 Uhr finden oft nicht den erwünschten<br />

Zuspruch. Hier denken wir über Veränderungen<br />

nach, aber nicht um den Preis, das Programm<br />

an anderen Tagen zu beschädigen. Fernsehen ist<br />

eben ein Gesamtkunstwerk, mit einzelnen Bestandteilen,<br />

die auf das Große und Ganze hin<br />

abgestimmt werden müssen.<br />

Dieses Gesamtkunstwerk ist nicht zur Erbauung<br />

für Eliten geschaffen, es soll alle ansprechen,<br />

auch unterhalten. Menschen schalten ja<br />

auch ein, um abzuschalten, um zu entspannen<br />

– ein Grundbedürfnis der Menschheit, auch<br />

wenn Fernseh- und Kulturkritik hier zuweilen<br />

ein anderes Verständnis zeigen. »Feel good<br />

Movies« haben in einem Vollprogramm wie<br />

dem Ersten ihre Berechtigung, ebenso wie anspruchsvolle<br />

Dokumentationen oder Literaturverfilmungen.<br />

_ Qualität ist genrespezifisch<br />

Bei einem Massenmedium plädiere ich dafür,<br />

die Debatte über Qualität anders zu führen:<br />

Gutes und gut gemachtes Fernsehen gibt es in<br />

allen Genres, die Kriterien dafür mögen jeweils<br />

anders aussehen. Auch ein noch so anspruchsvoller<br />

Fernsehfilm muss unterhalten, eine<br />

politische Hintergrundberichterstattung muss<br />

verständlich sein, eine Boulevard- oder Satire-<br />

Sendung muss auch »über die Stränge« schlagen<br />

dürfen (vgl. Jesko Friedrich: Was darf Satire?). Die<br />

Grenzen mögen zuweilen fließend sein, und<br />

über Geschmack lässt sich ohnehin trefflich<br />

streiten, aber: Es muss nicht alles allen gefallen.<br />

Toleranz beginnt bekanntlich dann, wenn man<br />

akzeptiert, was einem selbst nicht gefällt. Qualität<br />

beginnt nicht erst, wenn klassische Musik<br />

geboten wird. Sie beginnt mit Meinungspluralismus,<br />

wenn sich Fiktion mit gesellschaftlich<br />

relevanten Themen auseinandersetzt, und mit<br />

Unterhaltungsshows, die den Zuschauern Spaß<br />

machen.<br />

Auch für uns gilt das klassische Motto:<br />

»Prodesse et delectare«. Im intellektuellen<br />

»Doppelbeschluss« des Horaz (»Nützen und<br />

Erfreuen«) erkannte bereits die Literatur des 18.<br />

Jahrhunderts ihre eigentliche Funktion: Nutzen<br />

und Vergnügen eindrucksvoll verbinden. Denn<br />

auch Aufklärung muss effektiv an das Publikum<br />

herangetragen werden, weil die Art und die<br />

Gestalt der Angebote über die Intensität ihrer<br />

Rezeption entscheidet. Goethe – er sei zitiert,<br />

um den gebildeten Ständen doch noch gerecht<br />

zu werden – war es, der zu seinem Eckermann<br />

sagte: »Wer nicht eine Million Leser erwartet,<br />

der sollte keine Zeile schreiben.« Und er hat im<br />

»Vorspiel auf dem Theater« zum »Faust« eigentlich<br />

alles zum Thema gesagt: »Die Masse könnt<br />

ihr nur durch Masse zwingen, ein jeder sucht<br />

sich endlich selbst was aus. Wer vieles bringt,<br />

wird manchem etwas bringen; und jeder geht<br />

zufrieden aus dem Haus.« Oder in der zeitgemäßen<br />

Übersetzung durch die BBC – in ihrem<br />

Unternehmens-Leitspruch: »To make the good<br />

popular and the popular good!«<br />

Volker Herres, Programmdirektor<br />

des Ersten Deutschen Fernsehens<br />

Qualität trotz Quotendruck A R D - J A H R B U C H 0 9 33


Jung – multimedial – digital<br />

Wege zu den jungen Zielgruppen<br />

Von Bernhard Hermann und Wolfgang Gushurst<br />

In den vergangenen zwei Jahren widmete sich die <strong>ARD</strong><br />

verstärkt der Aufgabe, die nachwachsende Genera-<br />

tion wieder enger an die öffentlich-rechtlichen Pro-<br />

gramme zu binden. Im Juni 2007 wurde eine <strong>ARD</strong>-Strate-<br />

giegruppe »Zur Ansprache junger Publikumsgruppen«<br />

gegründet, die seither an einer Erfolg versprechenden<br />

Gesamtstrategie arbeitet. Das Thema griff auch die<br />

Gremienvorsitzendenkonferenz mit einer Tagung im<br />

vergangenen Jahr auf. Inzwischen kamen viele Projekte<br />

in Gang, neue Konzepte wurden entwickelt und die<br />

Zusammenarbeit intensiviert. Die <strong>ARD</strong> ist heute mehr<br />

denn je in dem medialen Umfeld präsent, in dem sich<br />

viele Jugendliche bewegen. Nicht zuletzt seit März mit<br />

einem eigenen Kanal bei YouTube, der Clips aus den<br />

Bereichen Wissen, Information und Unterhaltung bereit-<br />

stellt.<br />

N<br />

ach dem Aufstehen über Twitter kurz<br />

eine aktuelle Statusmeldung in meiner<br />

Social Community abgesetzt. Vormittags<br />

auf meiner Ausbildungsstelle<br />

nebenher per Messenger mit Andi und Mike<br />

über den Wahnsinns-Clueso-Gig vom Wochenende<br />

gechattet. Die neuesten MP3s von Selig<br />

und Papa Roach runtergeladen. Mittags dann<br />

von Benni einen coolen Link zu einem neu entwickelten<br />

Tool für meine Lieblingskonsole Wii<br />

geschickt bekommen. Am Nachmittag zeigt mir<br />

Tine auf YouTube den krassen Auftritt von Linkin<br />

Park bei Jimmy Kimmel. Abends gechillt<br />

und mir im Internet zwei Folgen von ›CSI Miami‹,<br />

meiner absoluten Lieblingsserie, reingezogen<br />

. . .« (Digital Native, 17 Jahre).<br />

_ . . . und der öffentlich-rechtliche Rundfunk?<br />

Das Medienbudget, also die Zeit, die junge<br />

Menschen für Medien aufwenden, ist höher<br />

denn je. Der Anteil, der für öffentlich-rechtliche<br />

Angebote genutzt wird, ist dagegen rückläufig.<br />

Die medienbiografische Prägung hat sich<br />

verändert. Die Ausdifferenzierung der Angebote<br />

nach Zielgruppen und Sparten führt zu einer<br />

Segmentierung des Zuschauer-, Hörer- und<br />

Nutzermarktes. Begünstigt wird dies durch neue<br />

Verbreitungswege und schnelles Internet. Eine<br />

größere Konkurrenzsituation entsteht durch<br />

eine Vielzahl von Freizeitangeboten vom Sport<br />

bis hin zu Computerspielen.<br />

34 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


Hinzu kommt eine geringer werdende Akzeptanz<br />

für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk<br />

in der Gesellschaft, besonders bei der<br />

jüngeren Generation. Mit der nachlassenden<br />

Bereitschaft, für ein öffentlich-rechtliches Programmangebot<br />

Gebühren zu zahlen, gerät das<br />

duale System als Ganzes unter Druck.<br />

_ Die Zukunft ist jung<br />

Die Aufgabe, jüngere Zielgruppen – zu denen<br />

auch die Entscheider von morgen zählen – mit<br />

attraktiven Programmen zu erreichen, ist eine<br />

der wichtigsten Aufgaben, um die Zukunftsfähigkeit<br />

des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu<br />

sichern. Dazu müssen die Rundfunkanstalten<br />

eine Anpassung bzw. Neuorientierung einzelner<br />

Programme vornehmen.<br />

Die Programmangebote im Fernsehen finden<br />

nur mit bestimmten Sendungen noch in<br />

nennenswertem Maß ein jüngeres Publikum.<br />

Neben der »Tagesschau«, Sportübertragungen,<br />

der »Sportschau« oder Großereignissen wie<br />

Fußball-EM oder -WM sind allenfalls fiktionale<br />

Inhalte wie der »Tatort« in dieser Altersgruppe<br />

noch gefragt.<br />

Das Team von »Südwild« in BR-alpha,Teil des<br />

trimedialen BR-Jugendangebots »on3«: Marcel<br />

Wagner, Andreas Poll, Nadia Kailouli,<br />

Sebastian Winkler und Rosmarie Bundz (v. l.)<br />

Viele junge Zuschauer geben sich mit dem<br />

Angebot der privaten Sender zufrieden. Das<br />

Erste und die Dritten Programme werden nur<br />

noch punktuell von jungen Menschen wahrgenommen.<br />

Zwar wenden sich die Zuschauer<br />

noch, wenn sie älter werden, etwas stärker den<br />

öffentlich-rechtlichen Programmen zu, aller-<br />

dings kann dieser Zuwachs nicht die grundsätzlich<br />

geringere Nutzung bei der nachwach senden<br />

Generation kompensieren. Die medienbiografische<br />

Prägung entscheidet: Wer in seiner<br />

Jugend wenig Kontakt zu den öffentlichrechtlichen<br />

Programmen hatte, wird diese Programme<br />

nicht häufiger einschalten, wenn er<br />

älter ist.<br />

Im Internet ist die Situation noch schwieriger.<br />

Öffentlich-rechtliche Inhalte konkurrieren hier<br />

mit den Angeboten weltweit agierender Unternehmen.<br />

Attraktivster Bewegtbildanbieter ist<br />

YouTube. Social Communities wie Facebook<br />

oder StudiVZ erreichen die meisten jungen<br />

Menschen in Deutschland und die Bedeutung<br />

des Internets wächst von Jahr zu Jahr. Bei den<br />

14- bis 19-Jährigen ist das Internet bereits jetzt<br />

das nutzungsstärkste Medium (120 Minuten pro<br />

Tag).<br />

Allein mit den linearen Hörfunkangeboten<br />

erreicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk<br />

»DASDING.TV«, samstags um 10.45 Uhr<br />

im SWR Fernsehen.<br />

Im Bild: Moderator Rainer Jilg<br />

noch größere Teile der jungen Generation. Die<br />

einzelnen Landesrundfunkanstalten konnten<br />

seit den 90er Jahren erfolgreiche Marken im<br />

Hörfunkmarkt etablieren, die mit öffentlichrechtlichen<br />

Inhalten das junge Publikum begeistern.<br />

Für Radioprogramme spielt natürlich<br />

Musik die wichtigste Rolle. Aber auch angesagte<br />

Themen wie Liebe, Freundschaft, Beziehung,<br />

Computerspiele, neue technische Entwick-<br />

Jung – multimedial – digital A R D - J A H R B U C H 0 9 35


lungen oder soziale Themen wie ehrenamtliches<br />

Engagement, Service- und Infobeiträge zu Ausbildung<br />

und Beruf gehören dazu.<br />

_ Neue TV-Formate entwickeln<br />

Die Konferenz der Gremienvorsitzenden<br />

(GVK) hat 2008 eine Tagung zum Thema »Erreichbarkeit<br />

der Jugend« veranstaltet. Viele der<br />

Probleme wurden hier benannt. Gleichzeitig<br />

ging auch die GVK davon aus, dass es in der<br />

<strong>ARD</strong> bereits zahlreiche gute Formate, innovative<br />

Konzepte und kreative Projekte gibt, die<br />

es jedoch zusammenzuführen gelte. Zu prüfen<br />

sei auch, ob ein bestehendes Programm zu<br />

einem Angebot für Jüngere weiterentwickelt<br />

werden könnte. Die unter Leitung des damaligen<br />

<strong>ARD</strong>-Vorsitzenden Fritz Raff eingesetzte<br />

<strong>ARD</strong>-Strategiegruppe »Zur Ansprache junger<br />

Publikumsgruppen«, die Anfang 2009 von<br />

WDR-Intendantin Monika Piel übernommen<br />

wurde, stellte fest, dass es nicht allein genüge,<br />

bestehende Inhalte über das Internet verfügbar<br />

zu machen. Vielmehr müssten Inhalte produziert<br />

werden, die die Interessen dieser Altersgruppe<br />

treffen, und über neue Verbreitungswege<br />

angeboten werden.<br />

Die strategischen Überlegungen sind weitreichend.<br />

Jugendorientierte Sendungen innerhalb<br />

von Vollprogrammen – so genannte Insellösungen<br />

– allein sind nicht sehr Erfolg versprechend,<br />

um das Programm insgesamt attraktiver<br />

für ein junges Publikum zu machen. Sie können<br />

jedoch Teil einer Strategie sein. Ein eigener<br />

TV-Jugendkanal ist im medienpolitischen<br />

Umfeld schwer durchsetzbar, obwohl man ein<br />

Marktversagen der privat-rechtlichen Jugendkanäle<br />

feststellen kann. MTV oder VIVA haben<br />

sich nahezu komplett aus der Produktion eigener<br />

Inhalte verabschiedet und senden – neben<br />

Musik-Clips und Videos – überwiegend internationale<br />

Serien. Außerdem müsste eine entsprechende<br />

finanzielle Grundausstattung bereitgestellt<br />

werden, was ohne größere Einschnitte<br />

in bestehenden Bereichen nicht machbar wäre.<br />

Eine Verbindung von jugendaffinen Angeboten<br />

in einem reichweitenstarken Programm, möglichst<br />

dem Ersten, dazu Spartenangebote und<br />

eine entsprechende Online-Begleitung sind erste<br />

Schritte, um eine größere Akzeptanz bei der<br />

jungen Generation zu erzielen.<br />

_ Ausrichtung der <strong>ARD</strong>-Digitalkanäle<br />

Die Programmkonzeption der drei Digitalen<br />

Fernsehprogramme der <strong>ARD</strong> wird in der Anlage<br />

zum 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag,<br />

der zum 1. 6. 2009 in Kraft trat, beschrieben.<br />

Demnach erreichen EinsExtra, EinsPlus und<br />

Einsfestival mit einem entsprechend profilierten<br />

Programm auch jüngere Zuschauer. Insbesondere<br />

Einsfestival richtet sich derzeit – gemäß<br />

der Vorgabe in den <strong>ARD</strong>-Programmleitlinien<br />

2007/2008 – an ein jüngeres Publikum. Als<br />

innovatives Angebot, das sich strukturell und<br />

inhaltlich an der Alltagskultur junger Menschen<br />

orientiert, stehen die Programmgenres Film,<br />

Musik, Sport, Wissen, Medien und Kommunikation<br />

im Fokus. Mit »EINSWEITER« ging in<br />

Einsfestival bereits die erste eigene Produktion<br />

auf Sendung, die regelmäßig viermal wöchentlich<br />

über Trends, Events und deren Macher<br />

berichtet.<br />

Ob diese Maßnahmen reichen oder ob<br />

noch weiter reichende Schritte notwendig<br />

sind, beispielsweise die Entwicklung eines<br />

gänzlich neuen multimedialen Angebots für<br />

die Zielgruppe, muss geprüft werden. Als digitale<br />

Zusatzprogramme mit auf absehbare Zeit<br />

begrenzter Reichweite sind die <strong>ARD</strong>-Spartenkanäle<br />

allein nicht in der Lage, die junge Zielgruppe<br />

umfassend zu erreichen, sondern sie<br />

können ebenfalls nur Teil einer Strategie sein.<br />

Eine Herausforderung ist es, Marken zu etablieren<br />

und durch systematische Nachwuchsförderung<br />

als Markenzeichen aufzubauen.<br />

Einsfestival sowie 1LIVE on air und online<br />

berichteten täglich über »Stadlober<br />

und Freunde unterwegs«, die im Herbst<br />

2008 skatend und filmend durch<br />

Osteuropa reisten.<br />

36 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


Die Musik steht ganz oben in der Gunst der<br />

Jugendlichen: Nachwuchsförderung mit dem<br />

RadioAward für neue Musik, gestiftet von<br />

MDR SPUTNIK, YOU FM (HR) und Fritz (RBB).<br />

Die crossmediale Zusammenarbeit und<br />

Cross-Promotion im <strong>ARD</strong>-Senderverbund soll<br />

gerade bei Programminhalten für junge Zielgruppen<br />

deutlich verstärkt werden. Die einschlägigen<br />

Marken werden umfassend online<br />

begleitet und mit gezielten Marketingaktivitäten<br />

gestützt. Die jungen Radios können diese Sendungen<br />

dann ebenfalls mit ihren Programmen<br />

bekannt machen. Ein erfolgreiches Beispiel für<br />

diese Strategie waren die Aktivitäten zur Verleihung<br />

des »Echo«. Auf die Ausstrahlung des<br />

deutschen Musikpreises im Februar 2009 im<br />

Ersten war zuvor in den verschiedenen <strong>ARD</strong>-<br />

Hörfunkprogrammen und den dazugehörenden<br />

Internetauftritten ausführlich hingewiesen<br />

worden. 2010 werden Das Erste, ProSieben und<br />

die Popwellen der <strong>ARD</strong> für den Eurovision<br />

Song Contest in gemeinsamen Aktionen einen<br />

Interpreten auswählen.<br />

_ Jung, erfolgreich, multimedial – die jungen<br />

Radios<br />

Im Mai 2009 hat die Hörfunkkommission<br />

einen Informationstag mit Vertretern der jungen<br />

Radios veranstaltet. Gemeinsam wurde<br />

über die zukünftigen Anforderungen an den<br />

öffentlich-rechtlichen Rundfunk diskutiert. Die<br />

Redakteure präsentierten dabei zukunftsweisende<br />

multimediale Entwicklungen aus ihren<br />

Häusern.<br />

Ziel war es, Strategien der jungen Hörfunkprogramme<br />

zu bündeln und in einen intensiveren<br />

Austausch einzusteigen. Die Teilnehmer<br />

haben sich darauf verständigt, zukünftig bei<br />

innovativen Konzepten enger zusammenzuarbeiten,<br />

sich auszutauschen und – wenn es sich<br />

»Fritz Nacht der Talente«: Nachwuchstalente<br />

aus Berlin und Brandenburg stehen<br />

einmal jährlich im Frühling im Berliner Admiralspalast<br />

auf der Bühne.<br />

anbietet – Projekte gemeinsam umzusetzen.<br />

Dies bezieht sich sowohl auf technische Innovationen<br />

als auch auf rechtliche Standards, die<br />

gemeinsam geklärt werden können.<br />

Der inhaltliche Austausch zwischen den Vertretern<br />

der jungen Radios soll in thematischen<br />

Workshops mit der Entwicklung trimedialer<br />

Programmprojekte – etwa zum Thema Computerspiele<br />

– fortgesetzt werden.<br />

Bei allen Landesrundfunkanstalten sind<br />

Vernetzungsprozesse im Gange. Der SWR hat<br />

mit DASDING bereits 1997 ein multimediales<br />

Angebot geschaffen, das in einer trimedialen<br />

Redaktion Inhalte für Radio, Fernsehen und<br />

Internet produziert. Der SR startete zwei Jahre<br />

später 103.7 UnserDing, ein Jugendkanal, der<br />

sich stark am SWR-Angebot orientiert und eng<br />

mit diesem kooperiert.<br />

Mittlerweile sind für alle jungen Radios –<br />

neben einem Internetauftritt – die Ergänzung<br />

der Inhalte durch Bewegtbilder und die Ausspielung<br />

auch auf mobile Endgeräte wichtige<br />

Themen. So hält beispielsweise MDR SPUT-<br />

NIK einzelne Inhalte als Video auf seiner Internetplattform<br />

bereit und stellt Angebote über<br />

Applikationen auch für mobile Endgeräte zur<br />

Verfügung. Der BR vernetzte die vorhandenen<br />

jungen Angebote Südwild (BR-alpha) und on3<br />

(ehemals Bavarian Open Radio, BR Hörfunk)<br />

im Internet. Die »on3-startrampe«, eine Nachwuchsplattform,<br />

ist ebenfalls dort zu finden.<br />

Ein vernetzter Internetauftritt soll so entsprechende<br />

Inhalte des BR bündeln und für eine<br />

junge Zielgruppe leicht auffindbar machen.<br />

Jung – multimedial – digital A R D - J A H R B U C H 0 9 37


_ Bewegtbildangebote ausbauen<br />

Zunehmend wichtiger werden für die Internetangebote<br />

der jungen Wellen neben Audios oder<br />

längeren Texten die Bewegtbildinhalte. Die<br />

meisten der <strong>ARD</strong>-Hörfunkwellen bieten deshalb<br />

Videos auf ihren Internetseiten an. Bei<br />

1LIVE ist dies beispielsweise der 1LIVE FERN-<br />

SEHER mit eigenproduzierten Inhalten, wie<br />

den 1LIVE-Radiokonzerten, selbst produzierten<br />

Videos und passenden Beiträgen aus dem WDR<br />

Fernsehen. MDR SPUTNIK produziert Rubriken<br />

zu Lifestyle-Themen in Videoform und<br />

DASDING eine eigene Magazinsendung für das<br />

SWR Fernsehen.<br />

Die Beiträge sind auf den jeweiligen Internetseiten<br />

zu finden. Das bewegte Bild ist im<br />

Internet wichtig, da es konkret und unmittelbar<br />

sofort die Zielgruppe anspricht und emotionalisiert.<br />

Bewegtbild kann als Inhaltevermittler, als<br />

Imageträger und als Medium für eine videoaffine<br />

Zielgruppe eingesetzt werden. Sendekonzepte<br />

im Radio werden durch Videoangebote<br />

ergänzt oder funktionieren sogar erst zusammen<br />

mit dem Video. Eine Herausforderung<br />

besteht darin, in einen regelmäßigen Austausch<br />

einzusteigen. Nicht-regionale Inhalte wie Konzertmitschnitte<br />

von internationalen Bands sind<br />

für alle interessant. Aus Kostengründen gilt es<br />

hier, die Ressourcen zu bündeln.<br />

Um ein Missverständnis auszuschließen:<br />

Ein Programm für junge Menschen ist nicht<br />

automatisch ein billig gemachtes Programm mit<br />

Wackelkamera o. ä. Ausschließlich durch mit einer<br />

Billigkamera produzierte Bewegtbilder kann<br />

man junge Menschen nicht erreichen. Die Zielgruppe<br />

ist von DVDs über Kinofilme bis hin<br />

zu erfolgreichen jungen, internationalen TV-<br />

Sendungen aufwändige Bildqualität gewohnt.<br />

Entsprechendes Bildmaterial wird also vorausgesetzt.<br />

Allein bei einzigartigem oder sehr originellem<br />

Bildmaterial wird auch eine schlechtere<br />

Qualität akzeptiert (Handyfilme auf YouTube).<br />

_ YouTube, Facebook, MySpace und mehr<br />

Da junge Menschen im Internet verschiedenste<br />

Plattformen nutzen, müssen Strategien entwickelt<br />

werden, wie öffentlich-rechtliche Inhalte<br />

auf diese Plattformen exportiert werden<br />

können. Marken, die derzeit aus dem Alltag<br />

von jungen Menschen nicht wegzudenken<br />

sind, sind YouTube, Facebook, StudiVZ oder<br />

MySpace.<br />

103.7 UnserDing (SR) bei Facebook<br />

Es muss selbstverständlich sein, mit den<br />

öffent lich-rechtlichen Inhalten aus den Bereichen<br />

Bildung, Information, Kultur und<br />

Unterhaltung auch dort präsent zu sein. Junge<br />

Leute studieren keine Programmzeitschriften<br />

mehr, um bestimmte Inhalte zu finden. Sie<br />

verlassen sich auf Empfehlungen von Gleich-<br />

N-JOY (NDR) is using Twitter.<br />

altrigen. Was nicht in dieser Kommunikationskette<br />

und auf den entsprechenden Plattformen<br />

stattfindet, exis tiert nicht. Wenn der öffentlichrechtliche<br />

Rundfunk es nicht schafft, in diese<br />

Kommunikationskette und auf die neuen Plattformen<br />

zu kommen, wird es sehr schwierig werden,<br />

mit eigenen Inhalten überhaupt noch die<br />

Zielgruppe zu erreichen.<br />

Erste Kooperationen gibt es bereits: N-JOY<br />

sucht zusammen mit MySpace in dem »NDR<br />

Comedy Contest« neue Comedy-Talente. Hörer,<br />

Zuschauer und Nutzer können ihren Bei-<br />

38 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


trag hochladen, die besten Beiträge werden im<br />

NDR Fernsehen präsentiert. DASDING stellt<br />

seine Inhalte nicht nur auf die eigene Internetseite,<br />

sondern ist auch mit einem eigenen<br />

Kanal auf YouTube vertreten, hat einen Facebook-<br />

und einen MySpace-Auftritt und verbreitet<br />

ständig Informationen zum Programm<br />

über einen eigenen Twitter-Account. Auf diesen<br />

Plattformen stehen dann Sendungshinweise,<br />

Links auf Interviews oder Beiträge bereit. Da<br />

Informationen sehr oft fragmentiert vorliegen<br />

– etwa bei einer Suche über Google –, müssen<br />

junge Menschen nicht zwingend mit Programmen<br />

ausschließlich für ihre Altersgruppe angesprochen<br />

werden. Es gibt auch bei Angeboten<br />

für ältere Zielgruppen interessante Inhalte –<br />

beispielsweise Wissensinhalte aus Kultur- oder<br />

Infowellen oder aus Fernsehprogrammen –, die<br />

allerdings für ein junges Publikum aufbereitet<br />

werden müssen. Dann können sie selektiv verfügbar<br />

gemacht werden.<br />

Rechtliche Fragen sowie Fragen, welche Kooperationen<br />

mit welchen Partnern Sinn ergeben,<br />

werden ständig diskutiert. Genauso schnell wie<br />

sich die multimediale Welt weiterentwickelt,<br />

müssen Strategien und mögliche Probleme in<br />

unseren Häusern geklärt werden. Geschwindigkeit<br />

ist nicht alles. Aber Experimente und Innovationen<br />

müssen in größerem Maße zugelassen<br />

werden.<br />

_ Zeit- und ortssouveräne Nutzung,<br />

vertiefende Informationen, Interaktivität<br />

Inhalte müssen auf allen Abspielwegen bereitstehen.<br />

Dazu gehört auch die optimierte<br />

Nutzung von Inhalten für mobile Endgeräte<br />

und von interaktiven Elementen. Fritz (RBB)<br />

plant auf seiner Internetseite ein Radio zum<br />

Vor- und Zurückspulen. Die Navigation erfolgt<br />

über einen Zeitstrahl. Zu aktuell im Programm<br />

laufender Musik sind jederzeit Zusatzinformationen<br />

zu den Künstlern abrufbar.<br />

YOU FM vom HR hat einen YOU FM Radiorekorder<br />

mit »Lieblingssongalarm« programmiert,<br />

der wie ein Desktop-Widget auf dem<br />

Computer funktioniert und automatisch Sendungen<br />

mitschneiden kann, um diese jederzeit<br />

nachzuhören. Mit Musikspezialsendungen im<br />

Streamingformat zum zeitsouveränen Nachhören<br />

kann man Inhalte dem veränderten Mediennutzungsverhalten<br />

angepasst anbieten. Viele<br />

weitere Beiträge können ebenfalls jederzeit über<br />

das Internetportal abgerufen werden. Zu bestimmten<br />

Themen gibt es vertiefende Informationen,<br />

die junge Menschen weniger auf dem<br />

linearen Abspielweg erwarten als vielmehr im<br />

Internet. Ebenfalls sehr wichtig ist die Möglichkeit<br />

zur Interaktivität.<br />

Die Rezeptionserwartungen haben sich in<br />

den vergangenen Jahren verändert. Junge Menschen<br />

möchten nicht nur passiv konsumieren,<br />

sondern direkt angesprochen und einbezogen<br />

werden. Sie wollen sich beteiligen und die<br />

Möglichkeit haben, ihre Meinung kundzutun.<br />

Wird über ein Thema in einer Sendung geredet,<br />

kann dieses Thema zeitgleich beispielsweise in<br />

einem Chat oder in Foren kommentiert und<br />

diskutiert werden. Über eigene Communities<br />

erfolgt eine Hörer-/Userbindung, und es besteht<br />

die Möglichkeit, sich noch intensiver in<br />

ein Programm einzubringen und sich mit anderen<br />

Hörern zu einem bestimmten Thema zu<br />

vernetzen.<br />

Website der Fritz Community (RBB), eines der<br />

attraktiven Angebote der jungen <strong>ARD</strong>-Wellen<br />

Jung – multimedial – digital A R D - J A H R B U C H 0 9 39


Video zum Radio bei MDR SPUTNIK<br />

_ Authentische Inhalte<br />

Zu einer erfolgreichen Strategie gehört auch,<br />

sich bewusst zu machen, dass wir in einer Zeit<br />

des Kulturumbruchs leben. Ältere Generationen<br />

können nur schwer die Faszination von<br />

Computerspielen verstehen. Dabei setzt die<br />

Spieleindustrie schon jetzt mehr Geld um als<br />

die Film- oder Musikindustrie. Es darf also gar<br />

nicht mehr um die Frage gehen, ob bestimmte<br />

Inhalte gemacht werden sollen, sondern wie<br />

wir uns mit ihnen auseinandersetzen. Inhalte<br />

müssen einen Bezug zur Lebensrealität von<br />

jungen Menschen haben – ohne sich anzubiedern.<br />

Die Überlegungen reichen dabei<br />

von Inhalt, Präsentation (Moderation), Verpackungselementen<br />

bis hin zu ästhetischen<br />

Fragestellungen (etwa dynamische Schnitte bei<br />

Bewegtbildbeiträgen). Auch wenn diese Art der<br />

Umsetzung mancher »gelernten« Konvention<br />

widerspricht.<br />

Die Zielgruppe der zehn- bis 29-Jährigen ist<br />

sehr differenziert mit vielgestaltigen Interessen,<br />

Neigungen, Bildungsgraden, Entwicklungsstadien.<br />

Die jungen Menschen müssen dort<br />

abgeholt werden, wo sie gerade sind! Um authentisch<br />

und aktuell zu sein, müssen aber auch<br />

die Kollegen in den Redaktionen in den jungen<br />

Milieus zu Hause sein. Wir müssen den Mut<br />

haben, auch jüngeren Menschen in den Programmen<br />

Verantwortung zu übergeben.<br />

_ Das Entscheidende ist loszulaufen!<br />

Es gibt nicht den einen Weg, um junge Zielgruppen<br />

zu erreichen. Die Mediennutzung<br />

erfolgt auf vielen verschiedenen Wegen. Wir<br />

müssen uns mit allen Wegen auseinander-<br />

setzen und prüfen, wie wir am besten unsere<br />

Inhalte zur jungen Zielgruppe bringen. Nicht<br />

jeder Zugang wird massentauglich sein. Der<br />

Erfolg muss in der Kombination gemessen<br />

werden, Aufwand und Ertrag müssen ständig<br />

überprüft werden.<br />

Das Image vieler unserer Programmangebote<br />

ist nicht gut (»alt«, »langweilig«). Mit attraktiven<br />

Inhalten lässt sich dies wieder ändern. Die<br />

Markenbildung ist in der digitalen Medienwelt<br />

sehr bedeutsam. Die linearen Abspielwege sind<br />

besonders wichtig für eine programmliche Gesamtstrategie.<br />

Vor allem da bislang eine Markenbildung<br />

im Internet für Medienangebote in<br />

Deutschland nahezu ausschließlich über etablierte<br />

Marken der linearen Abspielwege erfolgt.<br />

Es muss zügig weiter an einer Verbreitungs- und<br />

Contentstrategie gearbeitet werden.<br />

Grundsätzlich: Wir müssen mehr Mut beweisen<br />

und noch schneller mit Ideen auf den<br />

Markt kommen. Das Entscheidende ist loszulaufen!<br />

40 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9<br />

DASDING (SWR) auf internetfähigen Handys<br />

Bernhard Hermann,<br />

Hörfunkdirektor beim SWR und<br />

Vorsitzender der <strong>ARD</strong>-Hörfunk-Kommission<br />

Dr. Wolfgang Gushurst,<br />

Wellenchef von DASDING (SWR)


Das <strong>ARD</strong>-Studio Südasien betreut unter Federführung<br />

des MDR aus Neu Delhi das bevölkerungsreichste<br />

Berichtsgebiet innerhalb des Korrespondentennetzes<br />

der <strong>ARD</strong>. Florian Meesmann (Studioleiter, MDR) und<br />

Markus Gürne (Senior Correspondent, HR) bereisen<br />

regelmäßig Indien, Afghanistan, Pakistan, Nepal,<br />

Bhutan, Sri Lanka, Bangladesch und die Malediven. Acht<br />

Länder, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Von<br />

den Gipfeln des Himalaya bis zu den Koralleninseln der<br />

Malediven, vom Brahmaputra-Delta in Bangladesch bis<br />

zur alten Königsstadt Herat kurz vor der iranisch-<br />

afghanischen Grenze reicht das Gebiet, aus dem es jeden<br />

Tag etwas zu berichten gibt.<br />

Von Panzern und Paschtunen<br />

Eindrücke aus einem unsicheren Land<br />

Von Florian Meesmann<br />

J<br />

edes Mal, wenn wir nach einem knapp<br />

zweistündigen Flug von Neu Delhi nach<br />

Kabul zur Landung ansetzen, hat sich<br />

Afghanistan wieder verändert. Vieles<br />

lässt uns hoffen, der neue Terminal am Flughafen,<br />

der jetzt schon fast ein halbes Jahr steht,<br />

ohne dass er weggesprengt worden wäre, die<br />

Passabfertigung, die – verglichen mit den Verhältnissen<br />

kurz nach dem Amtsantritt Hamid<br />

Karzais 2001 – geradezu geordnet verläuft.<br />

Doch oft müssen wir den Kopf nur ein<br />

bisschen weiter drehen, und jedes Wohlgefühl<br />

ist sofort dahin. Die Flaggen auf Halbmast am<br />

mili tärischen Teil des Flughafens zeigen, dass<br />

auch an diesem Tag wieder ein Soldat gefallen<br />

ist, die Verbarrikadierung der halben Innenstadt<br />

mit meterhohen Betonwällen soll die Menschen<br />

dahinter vor Bomben schützen.<br />

_ Eine gefährliche Reise zum Schaltpunkt<br />

Jede Ankunft in Kabul ist ein getreuer Spiegel<br />

der Lage im Land. An diesem eisig kalten Februartag<br />

zeigt sich die afghanische Hauptstadt<br />

von ihrer düsteren Seite. Am Vormittag haben<br />

die Taliban wieder zugeschlagen, drei Gruppen<br />

von Angreifern haben nahezu gleichzeitig Regierungsgebäude<br />

angegriffen. Erst haben sich<br />

die Selbstmordattentäter mit Maschinengewehren<br />

den Weg frei geschossen, dann haben sie<br />

ihre Sprengstoffwesten gezündet, kurz vor unse ­<br />

rer Landung. Die Fahrt vom Flughafen zu<br />

unserem Schaltpunkt dauert ewig, dort betreibt<br />

eine türkische Fernsehfirma eine Satellitensendeanlage<br />

(Satellite News Gathering, SNG) für<br />

Live­Schalten und Überspielungen. Die halbe<br />

Von Panzern und Paschtunen A R D - J A H R B U C H 0 9 41


Korrespondentenalltag in Asien kann so<br />

oder so aussehen . . . : Dreharbeiten<br />

auf den Malediven (l.) und beim Kamel-<br />

regiment der Indischen Grenztruppen<br />

in der Wüste Rajasthans<br />

Stadt scheint gesperrt, Sirenen heulen, an den<br />

Straßensperren fuchteln Polizisten und Soldaten<br />

aufgeregt mit ihren Kalaschnikows umher.<br />

Masood, unser Fahrer, ein Tadschike aus dem<br />

Pandschir­Tal, bleibt trotzdem ganz gelassen.<br />

Wir arbeiten seit Jahren mit ihm zusammen, er<br />

hat uns schon oft aus brenzligen Situationen<br />

gerettet. An jeder Straßensperre weiß er, wann<br />

es Zeit ist zu palavern, und wann es Zeit ist,<br />

einfach davonzubrausen. Wie immer fahren<br />

wir in einem älteren, kleinen Auto, das dient<br />

unserem Schutz. »Low profile« nennen das die<br />

Experten, so unaufällig wie möglich bleiben,<br />

heißt die Maxime.<br />

Wir sind froh, als wir den Schaltpunkt erreicht<br />

haben. Der wird zwar nicht gesondert<br />

bewacht, doch Abdulrashid und die anderen<br />

Kollegen der Betreiberfirma kennen wir schon<br />

lange, die meisten kommen aus Afghanistan<br />

oder den angrenzenden zentralasiatischen Republiken,<br />

hier fühlen wir uns sicher.<br />

_ Mit schusssicheren Westen vor der Kamera<br />

Wir nehmen Kontakt auf mit der »Tagesschau«­<br />

Redaktion in Hamburg. Die Kollegen bitten<br />

uns um eine Live­Schalte für die Sendungen um<br />

14.oo und um 15.oo Uhr. Richard Holbrooke,<br />

der neue Sondergesandte der Regierung Obama<br />

für die Region, soll morgen kommen, und mit<br />

ihren Anschlägen haben die Taliban die ganze<br />

Schwäche der Regierung Karzai vorgeführt:<br />

Nicht einmal in der Hauptstadt können die<br />

Sicherheitskräfte solche Anschläge verhindern,<br />

das muss unseren Zuschauern erklärt werden.<br />

Für die Schalte ziehen wir unsere schusssicheren<br />

Westen an – unter die Jacke. Die Zuschauer<br />

sollen nichts davon sehen, es würde nur<br />

vom Inhalt ablenken, doch unsere Schaltposition<br />

ist an einer zentralen Kreuzung so exponiert<br />

gelegen, dass – wenn es an diesem Tag weitere<br />

Unruhen geben sollte – die Sache brenzlig<br />

werden könnte.<br />

Unser lokaler Mitarbeiter hat Bilder von den<br />

Anschlagsorten drehen können, doch die werden<br />

wir nur als kurze NiF (Nachricht im Film)<br />

zeigen, denn die Zahl der Opfer liegt deutlich<br />

unter 50, der Nachrichtenwert ist nicht hoch genug,<br />

schließlich gibt es jede Woche Anschläge<br />

mit mehreren Toten.<br />

Am Abend nehmen wir Quartier in einem<br />

kleinen unscheinbaren Guesthouse, wir bewegen<br />

uns in der Stadt so wenig wie möglich, vor<br />

allem nicht morgens zwischen 7.30 und 11.30<br />

Uhr, denn dann werden hier die meisten Anschläge<br />

verübt.<br />

Am nächsten Tag ein Besuch beim stellvertretenden<br />

Botschafter der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Die Fensterhöhlen seines Büros<br />

sind mit Holz und Stahl vernagelt, so wie alle<br />

anderen Angestellten der Botschaft arbeitet<br />

42 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


auch er bei Neonlicht, seit im Januar nahe der<br />

Botschaft eine Autobombe an einem Tankwagen<br />

explodierte. Das Ziel war wohl das gegenüberliegende<br />

amerikanische Camp, an einem<br />

Samstag, die Botschaftsmitarbeiter hatten<br />

Glück. Noch im vergangenen Sommer konnte<br />

man sich einfach am Eingangstor der Botschaft<br />

melden, jetzt umgeben deutlich höhere<br />

Schutzwälle das Gebäude, schwer bewaffnete<br />

Afghanen draußen, deutsche Polizeibeamte mit<br />

Maschinengewehren drinnen, sie schützen die<br />

Botschaft wie eine Festung.<br />

_ Von Kabul nach Kundus<br />

Zwei Tage später verlassen wir Kabul in Richtung<br />

Norden, wir wollen das Feldlager der Bundeswehr<br />

in Kundus besuchen. Noch 2003 haben<br />

wir die gut 250 km lange Strecke mit dem Auto<br />

auf der Straße über den Salang­Pass zurückgelegt,<br />

heute wäre diese Reise viel zu gefährlich,<br />

die Strecke nördlich des Passes gilt als stark<br />

anschlagsgefährdet, und im Winter wird die<br />

Straße oft gesperrt.<br />

Also reisen wir mit einer Transall, einem<br />

Transportflugzeug der Bundeswehr, nach<br />

Mazar­i­Sharif, von dort geht es am nächsten<br />

Tag mit einer Zwischenlandung auf dem »Umsteigeflughafen«<br />

der Deutschen in Termez (Usbekistan)<br />

weiter nach Kundus. Die ehemalige<br />

Paschtunen­Hochburg im usbekisch­tadschikisch<br />

geprägten Norden Afghanistans hat sich<br />

zu einem Zentrum des Widerstands gegen die<br />

internationale Afghanistanschutztruppe (ISAF)<br />

Ein Flugzeugwrack als Ortsschild:<br />

der Flughafen in Kundus<br />

entwickelt. Seit Oktober 2003 ist die Bundeswehr<br />

dort präsent. Damals konnte man mit<br />

einem Auto am kleinen deutschen Feldlager<br />

vorfahren und wurde in die nur mäßig bewachte<br />

Liegenschaft eingelassen.<br />

Gut 170 Soldaten verfolgten das Konzept<br />

des zivil­militärischen Wiederaufbaus in einem<br />

so genannten regionalen Wiederaufbauteam<br />

(Provincial Reconstruction Team, PRT): die Region<br />

so sicher machen, dass zivile Helfer den<br />

Wiederaufbau vorantreiben können und die<br />

Ergebnisse dieses Wiederaufbaus schützen. So<br />

will man den Aufständischen die Unterstützung<br />

entziehen und die Region auf Dauer befrieden.<br />

Diese Philosophie des Bundeswehreinsatzes gilt<br />

im Prinzip bis in die Gegenwart, doch die Sicherheitslage<br />

hat sich in den vergangenen sechs<br />

Jahren stark verschlechtert.<br />

Heute legen wir die wenige Hundert Meter<br />

lange Strecke vom Flughafen ins Feldlager in<br />

rasender Fahrt im Bundeswehrkonvoi zurück<br />

und müssen Splitterschutzwesten tragen. Das<br />

Feldlager ist schwer gesichert, häufiger Raketenbeschuss<br />

und Anschläge fordern ihren Tribut.<br />

Inzwischen drängen sich etwa 900 Soldaten in<br />

dem Lager. Immer weniger Wiederaufbauexperten,<br />

immer mehr kampffähige Einheiten, Fallschirmjäger,<br />

auch die Männer des Kommandos<br />

Spezialkräfte (KSK) sind präsent.<br />

_ Von der Schutztruppe zur Kampfeinheit<br />

Ihr Einsatz hat sich immer mehr zur so genannten<br />

Aufstandsbekämpfung entwickelt. Es ist<br />

noch nicht lange her, da wurden Journalisten<br />

vorzugsweise zu Brunnen, Mädchenschulen<br />

oder – zur Not – auch in die Reparaturwerk­<br />

Von Panzern und Paschtunen A R D - J A H R B U C H 0 9 43


stätten der Instandsetzungskompanie geführt.<br />

Damals war man bemüht, das Bild eines Wiederaufbaueinsatzes<br />

mit dem »Aufbauhelfer in<br />

Uniform« zu vermitteln.<br />

Nun, im Februar 2009, spüren wir, wieder<br />

einmal, wie sehr sich die Stimmung im Feldlager<br />

Kundus verändert hat. Raketenangriffe gehören<br />

zum Alltag, regelmäßig werden Patrouillen<br />

angegriffen, von Selbstmordattentätern ins<br />

Visier genommen. Ein Großteil der Soldaten<br />

muss regelmäßig aus dem Feldlager heraus auf<br />

Patrouille, die Männer und Frauen kennen die<br />

Gefahr, das erfahren wir in vielen Gesprächen.<br />

In langen Reihen stehen die nur schwach<br />

gepanzerten »Wolf«­Jeeps herum, sie werden<br />

kaum noch eingesetzt. Wenn Patrouillen das<br />

Lager verlassen, dann nutzen sie jetzt den<br />

Schützenpanzer »Fuchs« oder den stark gepanzerten<br />

»Dingo«. Vom »Wave and Smile«­Konzept<br />

(»Winken und Lächeln«) ist nicht mehr<br />

viel geblieben, es geht jetzt darum, das Leben<br />

der Soldaten zu schützen. Und das wird uns<br />

nun – endlich – auch gezeigt.<br />

_ Mitten im Einsatz<br />

Am Abend des zweiten Tages begleiten wir einen<br />

Spähtrupp der Fallschirmjäger zu einem nächtlichen<br />

Einsatz. Unser Kameramann, Holger<br />

Ackermann, und ich sitzen auf, im Transportpanzer<br />

Fuchs. Um uns herum blicken wir in<br />

Jungengesichter, viele der Fallschirmjäger sind<br />

um die 20, sie sind bewaffnet mit dem G 36­<br />

Sturmgewehr, tragen Nachtsichtgeräte. Es ist<br />

ziemlich still während der etwa 30­minütigen<br />

Fahrt durch die Dunkelheit, die Anspannung<br />

der jungen Männer ist zu spüren. Sie wissen,<br />

wenn sie das Lager verlassen haben, müssen sie<br />

jederzeit mit einem Angriff rechnen. Am Ufer<br />

des Kundus River sitzen die Männer ab, die<br />

Patrouillenpanzer bilden eine Art provisorische<br />

Wagenburg, in vollkommener Dunkelheit verschwindet<br />

die Kolonne der Fallschirmjäger in<br />

der Nacht. Sie sollen ein verdächtiges Gebäude,<br />

in dem Raketen vermutet werden, »aufklären«,<br />

wie es im Bundeswehrdeutsch heißt, dazu müssen<br />

sie sich an den Rand eines Aufstän dischen­<br />

Dorfes pirschen. Ein gefährlicher Einsatz, bei<br />

dem jederzeit geschossen werden kann. Wir<br />

würden die Soldaten im Späheinsatz zusätzlich<br />

in Gefahr bringen, wir bleiben zurück am Fluss.<br />

Die nächste Stunde starren auch wir mit<br />

den Nachtsichtgeräten in die Dunkelheit, hö­<br />

Aufnahmen bei Landarbeitern in Indien (o.),<br />

bei einem Vorposten der Bundeswehr<br />

nahe der tadschikisch-afghanischen Grenze<br />

(M.), Interview mit einem Bundeswehr-<br />

Kommandanten in Mazar-i-Sharif<br />

44 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


en auf jedes Geräusch. Es ist kalt am Kundus<br />

River, und oft ist minutenlang nichts anderes<br />

zu hören als der krächzende Funkverkehr der<br />

Patrouille im Flüsterton. Wir haben unsere<br />

Kamera irgendwie mit dem Nachtsichtgerät<br />

verbunden und können so in der Dunkelheit<br />

drehen, sogar Interviews führen.<br />

Gut zwei Stunden später kehren die Männer<br />

zurück, keine besonderen Vorkommnisse,<br />

kein Beschuss. Vor der Kamera reden sie offen<br />

über ihre Angst beim Einsatz, sie wissen, wenn<br />

sie – wieder einmal – beschossen werden, dann<br />

schießen sie zurück. Feuergefechte gibt es jetzt<br />

immer öfter, die Bundeswehr war nie so nahe<br />

am Kampfeinsatz wie hier in Kundus im Norden<br />

Afghanistans. Weit nach Mitternacht sind<br />

wir zurück, auch wir sind erleichtert, als wir im<br />

Feldlager absitzen können.<br />

_ Verlässliche Partner und korrupte Strukturen<br />

Am nächsten Morgen besuchen wir den Polizeigeneral<br />

von Kundus gemeinsam mit einem<br />

deutschen Polizeibeamten der europäischen Polizeimission<br />

EUPOL, eine Fahrt im gepanzerten<br />

Jeep in die Innenstadt von Kundus.<br />

Stolz präsentiert der General uns und den<br />

lokalen Medien einen frisch Verhafteten, eine<br />

Unterweltgröße der Region. Er soll mit Drogen<br />

und Waffen handeln, aber auch über Verbindungen<br />

zu den Taliban verfügen, dieser Mix gilt<br />

als typisch für diese Gegend. Der Polizeigeneral<br />

lobt sich im Interview für seinen Fahndungserfolg,<br />

General Razaq ist erst wenige Monate im<br />

Amt, die Deutschen sehen in ihm einen verlässlichen<br />

Partner.<br />

Das gilt längst nicht für alle Funktionsträger<br />

in der Region. Viele, so erklären deutsche<br />

Helfer vor Ort immer wieder, suchen die Vorteile<br />

der Anwesenheit der Deutschen, neue<br />

Straßen, neue Brunnen, mit den traditionellen<br />

Geschäftsmodellen, Waffenschmuggel und<br />

Drogenhandel, zu verbinden. Auch der Gouverneur<br />

der Provinz, so sagen die Afghanen,<br />

soll im Zwielicht stehen. Taliban, Drogenmafia<br />

und lokale Kriminelle bilden ein machtvolles,<br />

undurchdringliches Geflecht mit vielen Verbindungen<br />

über die Grenzen hinweg, auch nach<br />

Pakistan und in die angrenzenden zentralasiatischen<br />

Republiken. Und die grassierende Korruption<br />

gefährdet in Kundus wie auch in vielen<br />

anderen Landesteilen Afghanistans den Wiederaufbau<br />

zusätzlich.<br />

Dreharbeiten im indischen<br />

Bundesstaat Orissa<br />

_ Berichte über ereignisreiche Tage<br />

Am Abend sitzen wir in unserer »Stube« im<br />

Feldlager zu dritt, wir haben Glück und müssen<br />

nicht im Zelt schlafen. Hier leben, schlafen<br />

und arbeiten wir in einem Dreimann­Team,<br />

hier produzieren wir unsere Stücke für »Tagesschau«<br />

und »Tagesthemen«, das »Morgen­« und<br />

das »Mittagsmagazin«. Mangels Alternativen<br />

setzen wir im Norden Afghanistans auf eine<br />

neuartige Übertragungseinheit, das so genannte<br />

BGAN (Broadband Global Area Network, vgl.<br />

Produktion und Technik 2008). Diese Verbindung<br />

eines Laptops mit Schnittprogramm mit<br />

einem leistungsstarken Satellitentelefon macht<br />

es möglich, von überall her Stücke abzusetzen<br />

und auch live zu schalten – solange es Strom<br />

gibt, die Sicherheitslage es erlaubt und die Wolkendecke<br />

einen »Uplink« zum Satelliten nicht<br />

verhindert. Am nächsten Morgen gelingt es<br />

uns, aus Kundus live ins »Morgenmagazin« zu<br />

schalten, nach den Erlebnissen der vergangenen<br />

Tage gibt es in der ausführlichen Schalte viel zu<br />

berichten.<br />

Einen Tag später beginnt die Rückreise ins<br />

über 1 500 km entfernte Neu Delhi, über Termez<br />

(Usbekistan) und Mazar­i­Sharif reisen wir<br />

zurück nach Kabul, dort übernachten wir noch<br />

einmal, am nächsten Tag fliegen wir zurück<br />

nach Indien, mit dem FLUG IC 844, mit einem<br />

gut 15 Jahre alten Airbus, der jeden Tag einmal<br />

zwischen Kabul und Neu Delhi hin­ und herpendelt.<br />

In Delhi hat der Frühling schon begonnen.<br />

Florian Meesmann, Auslandskorrespondent<br />

und Leiter des <strong>ARD</strong>-Studios Neu Delhi<br />

Von Panzern und Paschtunen A R D - J A H R B U C H 0 9 45


Der Zar reitet<br />

. . . mitunter auch die Korrespondenten<br />

Von Ina Ruck<br />

Gerd Ruge war 1956 der erste <strong>ARD</strong>-Korrespondent,<br />

der aus Moskau über die Sowjetunion berichtete.<br />

Erst 1967 gelang es der <strong>ARD</strong>, einen zweiten Korrespon-<br />

denten, speziell für das Fernsehen, zu akkreditieren.<br />

Heute betreibt die <strong>ARD</strong> ein Hörfunk- und ein Fernseh-<br />

studio mit jeweils drei Korrespondenten und insge-<br />

samt 40 Mitarbeitern, die über Russland und die Nach-<br />

folgestaaten der UdSSR (außer den baltischen) berichten<br />

– das Gebiet reicht vom Polarkreis im Norden bis<br />

nach Mittelasien im Süden. Ob Tschetschenienkrieg,<br />

die Rolle Putins im globalen Machtgefüge oder die<br />

energiepolitische Entwicklung in der russischen Födera-<br />

tion – die Zuschauer des Ersten werden aktuell und<br />

kompetent informiert, in rund 2 000 Sendeminuten<br />

jährlich.<br />

V<br />

iermal täglich kann man aus den Fenstern<br />

unseres Moskauer Studios ein<br />

Spektakel beobachten. Immer dann,<br />

wenn es plötzlich still wird auf dem<br />

Kutusowskij Prospekt. So still, dass wir die<br />

Fenster öffnen können und dennoch das eigene<br />

Wort noch verstehen. Viermal am Tag nämlich<br />

wird der Kutu gesperrt.<br />

Zweimal morgens, zweimal abends leistet<br />

sich Moskau die Vollsperrung einer sechsspurigen<br />

Ausfallstraße, minutenlang. Aus unseren<br />

Fenstern im 12. Stock blickt man dann nicht in<br />

den üblichen Stau – sondern weit über die<br />

sechsspurige Leere, die sich bis über die Moskva­<br />

Brücke hin zum Weißen Haus, dem Sitz der<br />

Regierung, erstreckt. Ganz hinten sieht man die<br />

Kuppel der Erlöserkathedrale, und es ist eine<br />

beinahe himmlische Ruhe.<br />

Irgendwann hört man von Ferne die ersten<br />

Martinshörner, Minuten später rast das erste Polizeiauto<br />

unter unseren Fenstern vorbei. Dann<br />

noch eins, dann noch eins, meist laut hupend.<br />

Dann wieder gar nichts – und schließlich eine<br />

Kolonne schwarzer Wagen, rasend schnell, in<br />

der Mitte hinter versetzt fahrenden Bodyguard­<br />

Geländewagen eine lang gestreckte Limousine.<br />

Hat die seitlich vorne eine Standarte aufgesteckt,<br />

sitzt der Präsident im Fond – fehlt die<br />

Fahne, ist es der Premier. Manche sagen, man<br />

erkenne Putin auch daran, dass seine Kolonne<br />

noch schneller fahre als die Medwedews – bis<br />

zu 120 Stundenkilometer.<br />

Gesperrt wird immer dann, wenn Präsident<br />

und Premier zur Arbeit fahren – oder wieder<br />

zurück. Denn der Kutusowskij führt vom Stadt­<br />

46 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


zentrum an unserem Studio vorbei in die vornehmen<br />

Vorstadtsiedlungen im Westen, wo tief<br />

im Wald die so genannten Regierungsdatschen<br />

stehen. Die Herren fahren unregelmäßig, und<br />

sie fahren niemals zusammen. In den verzweigten<br />

Seitenstraßen der Innenstadt staut sich<br />

derweil alles – manchmal dauert es bis zu einer<br />

Stunde, bis sich die Verkehrsknäuel wieder aufgelöst<br />

haben: »Wenn der Zar reitet, wartet das<br />

Volk«, hat mir mal einer gesagt.<br />

Proteste gibt es nicht, nur manchmal schimpfen<br />

sie ein wenig in den voll besetzten Trolleybussen,<br />

die wie gestrandete Frachter am Straßenrand<br />

warten. Ein einziges Mal hörten wir<br />

oben an unseren Fenstern, wie sie unten hupten<br />

– in der kleinen Seitenstraße gegenüber hatte<br />

einer angefangen, immer mehr machten mit.<br />

Aber an den schusssicheren Fenstern der Limousinen<br />

prallen solche Töne ab.<br />

Es gibt vieles, an das man sich gewöhnen<br />

muss hier in Moskau, vieles, das aus westeuropäischer<br />

Perspektive völlig unmöglich wirkt.<br />

Die tägliche Machtdemonstration zur Rush­<br />

Hour gehört dazu. Bei uns würde schlicht abgewählt,<br />

wer sich Ähnliches erlaubte. Aber wer<br />

»bei uns«­Vergleiche anstellt, hat in Moskau<br />

schon verloren. Also planen wir Dreharbeiten<br />

in der Stadt zeitlich sehr grosszügig – man weiss<br />

ja nie, ob man in einen Präsidenten­Stau oder<br />

dessen Nachwirkungen kommt. Überhaupt –<br />

Tonmann Sascha Soldatov, Kameramann<br />

Sergej Sergejew und Ina Ruck (v. l.) auf großer<br />

Fahrt mit dem russischen Segelschulschiff<br />

»Krusenstern«<br />

die Jahre des Aufschwungs haben Moskau<br />

so viele Autos beschert, dass die Straßen sie<br />

kaum fassen. Da helfen auch kreativer Umgang<br />

mit Verkehrsregeln oder Abkürzungen durch<br />

Hinterhöfe nichts – wir haben schon mal eine<br />

»Tagesschau«­Sendung verpasst, weil Kamerateam<br />

und Drehmaterial am anderen Ende der<br />

Stadt hoffnungslos verkeilt im Stau steckten,<br />

fernab von jeder U­Bahn­Station.<br />

_ Russland rast<br />

Ich kenne Moskau seit den Achtzigern, habe<br />

noch zu Sowjetzeiten hier studiert und damals<br />

als freie Mitarbeiterin im <strong>ARD</strong>­Studio gearbeitet.<br />

Später war ich mehrfach als Korrespondentin<br />

ins Studio entsandt – von 1995 bis 2000 und<br />

von 2005 bis 2007. Seit Ende 2008 bin ich zum<br />

dritten Mal hier – in einer Stadt, die sich, so<br />

scheint es, beinahe täglich verändert.<br />

Rasend schnell haben sich Stadt und Land<br />

seit Ende der Achtziger entwickelt – aus den<br />

Ruinen der alten Sowjetunion wuchsen neue<br />

Staaten, jeder mit seinem eigenen schwierigen<br />

Weg vom kommunistischen Kommandostaat<br />

zur wie auch immer gelingenden Demokratie.<br />

Der neue russische Staat ist nicht mal zwanzig<br />

Jahre alt, doch seine Bürger haben in dieser<br />

kurzen Zeit ein Stück Geschichte erlebt, das<br />

anderswo für ein ganzes Jahrhundert reichen<br />

würde. Einen Putsch haben sie abgewehrt, eine<br />

wirtschaftliche »Schocktherapie« durchlitten,<br />

an deren Ende eine umso krassere Spaltung der<br />

Gesellschaft in Reich und Arm stand. Haben<br />

»Russische Mafia«, »Neue Russen«, »Oligarchen«<br />

wachsen und gedeihen sehen, haben zwei<br />

Der Zar reitet A R D - J A H R B U C H 0 9 47


Tschetschenienkriege ertragen, blutige Kriege<br />

gegen die eigenen Mitbürger. Denn Russland<br />

ist längst nicht nur der Staat der Russen. Hier<br />

leben Baschkiren, Tschetschenen, Inguschen,<br />

Dagestaner, Ewenken, Kalmücken und viele<br />

mehr, hier leben Christen, Moslems, Juden,<br />

Buddhisten.<br />

_ Russland reist<br />

Die Bürger der russischen Föderation haben<br />

unter ihrem ersten Präsidenten Jelzin aber auch<br />

eine nie gekannte Pressefreiheit erlebt. Und<br />

mussten dann erfahren, wie diese Freiheit unter<br />

ihrem zweiten Präsidenten Putin wieder eingeschränkt<br />

wurde. Ebenso wie andere demokratische<br />

Institutionen, deren Einrichtung man für<br />

unumkehrbar gehalten hatte: Viele der regionalen<br />

Wahlen sind wieder abgeschafft, die wichtigen<br />

Machtpositionen werden längst wieder<br />

direkt aus dem Kreml besetzt. Der allmächtige<br />

Geheimdienst, den Jelzin zerschlagen hatte, ist<br />

längst wieder die wichtigste Machtstruktur des<br />

Landes, die alte Sowjethymne, von Jelzin durch<br />

eine andere ersetzt, ist wieder eingeführt, und es<br />

gibt wieder eine Partei, deren Mitgliedsausweis<br />

braucht, wer weiterkommen will.<br />

Dennoch – ein Zurück zur Sowjetunion wird<br />

es nicht geben. Dazu ist es längst zu spät. Denn<br />

eine Errungenschaft lassen sich die Bürger Russlands<br />

nicht mehr nehmen: Seit den Neunzigern<br />

können sie ins Ausland reisen, und sie tun das<br />

mit einem regelrechten Hunger auf die Welt.<br />

Ja, wir spotten über sich danebenbenehmende<br />

Russen in türkischen oder ägyptischen Hotels<br />

– ebenso wie man in den Sechzigern über die<br />

Alpenpanorama in Georgien: Ushguli,<br />

Europas höchstes Dorf<br />

Deutschen in Rimini lachte. Aber die Russen<br />

sind längst nicht nur an der türkischen Adria.<br />

Sie studieren im Ausland, machen Sprach­ und<br />

Bildungsreisen, Städtetrips und Trekking­Touren,<br />

gehen als Au­pair oder Austauschschüler<br />

nach Berlin, South Dakota, Marseille. Diese<br />

Erfahrung kann ihnen niemand nehmen, diese<br />

Erfahrung wird das Land auf Dauer nachhaltig<br />

verändern – mehr als die neuen patriotischen<br />

Jugendverbände, die man nach dem Vorbild des<br />

Komsomol wieder eingerichtet hat.<br />

_ Die <strong>ARD</strong> berichtet – mit Tradition<br />

<strong>ARD</strong> und WDR haben in Moskau eine lange<br />

Tradition – der erste ausländische Korrespondent,<br />

der überhaupt hier akkreditiert wurde, war<br />

Gerd Ruge; unser Studio ist das älteste ausländische<br />

Korrespondentenstudio in der Stadt und<br />

bis heute auch das größte. Die Beziehungen zu<br />

den Deutschen waren den Russen traditionell<br />

wichtig, dies ist bis heute so geblieben, obwohl<br />

auch wir keine Extrawürste gebraten bekommen,<br />

wenn es um den Zugang zu Kreml oder<br />

Weißem Haus geht – oder überhaupt um den<br />

Zugang zu verwertbaren Informationen. Der ist<br />

noch immer extrem schwierig, auch wenn sich<br />

vieles gebessert hat.<br />

Wer westliche Pressearbeit mit Pressesprecher,<br />

Öffentlichkeitsarbeit, regelmäßigen Briefings<br />

oder gar Hintergrundgesprächen gewohnt<br />

ist, war hier jahrelang aufgeschmissen. Informationen<br />

gab es sporadisch, man fand sie zwischen<br />

den Zeilen oder bekam sie bei gutem Betragen<br />

als Belohnung serviert. Vor allem in den<br />

Putin­Jahren übten sich Korrespondenten, ähn­<br />

Tonmann Wenjamin Sacharow auf den<br />

Ölfeldern im russischen Norden<br />

48 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


Rückflug aus dem sibirischen Tschita: Die<br />

Fluglinie heißt »Russischer Himmel«, und<br />

wer zuerst kommt, hat den besten Platz<br />

lich wie zu Sowjetzeiten, in »Kreml­Astrologie«,<br />

weil sie kaum über zuverlässige Informationen<br />

verfügten.<br />

_ Pressearbeit aus dem Westen<br />

Erst seit ein paar Jahren ändert sich das – Präsident<br />

und Premier haben westliche PR­Firmen<br />

engagiert, die einen Teil der Öffentlichkeitsarbeit<br />

übernehmen. Und so bekommt man neuerdings<br />

Anrufe von einer Brüsseler Agentur, die<br />

einen zur Telefonkonferenz mit Putins Pressesprecher<br />

weiterschaltet. Ab und an organisieren<br />

die smarten europäischen Uni­Absolventen, die<br />

für die Agentur arbeiten, in Moskauer Restaurants<br />

Hintergrundgespräche mit Entscheidungsträgern.<br />

Auch wenn die dann kaum Hintergründiges<br />

erzählen: Noch vor ein paar Jahren wäre<br />

so etwas undenkbar gewesen. PR­Agenturen<br />

leisten sich übrigens auch andere postsowjetische<br />

Staaten – sichtbar im Georgienkrieg, als<br />

beide Seiten ihre Öffentlichkeitsarbeit von<br />

westlichen Agenturen abwickeln ließen.<br />

Die <strong>ARD</strong> betreibt in Moskau ein Hörfunk­<br />

und ein Fernsehstudio mit jeweils drei Korrespondenten.<br />

Insgesamt 40 Russen und Deutsche<br />

arbeiten im Studio am Kutuzowskij Prospekt,<br />

die meisten sind mehr oder weniger zweisprachig,<br />

unsere Arbeitssprache ist ein fröhliches<br />

Kauderwelsch aus Russisch und Deutsch. Das<br />

Studio liegt in einer »Ausländerwohnanlage« –<br />

zu Sowjetzeiten mussten Ausländer in einer der<br />

extra für diesen Zweck errichteten Siedlungen<br />

in der Stadt wohnen. Ob die Abhöranlagen aus<br />

der damaligen Zeit noch genutzt werden, wissen<br />

wir nicht – die Kabel und Mikrofone sind<br />

jedenfalls alle noch an Ort und Stelle. Längst<br />

kann man auch frei in der Stadt Büroräume<br />

oder Wohnungen mieten. Wir haben diesen<br />

Schritt bisher gescheut – vor allem, weil ein<br />

Umzug unserer kompletten Sendetechnik sehr<br />

aufwändig wäre.<br />

Zum Berichtsgebiet des Studios zählt nicht<br />

nur Russland, sondern wir berichten über fast<br />

alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion – mit<br />

Ausnahme der baltischen, die wurden bei der<br />

»Zerteilung des Fells« der alten Sowjetunion<br />

dem Skandinavien­Studio des NDR zugeschlagen.<br />

_ Die Korrespondenten reiten . . .<br />

Wir müssen uns also in all diesen Staaten irgendwie<br />

auskennen, müssen irgendwie überall<br />

mal gewesen sein, irgendwie den Ereignissen<br />

dort folgen. In den wichtigsten Staaten und<br />

russischen Regionen haben wir freie Mitarbeiter<br />

oder Informanten, so genannte Stringer, die<br />

Reisen unter erschwerten Bedingungen:<br />

Auf einer Zugfahrt des <strong>ARD</strong>-Teams in Sibirien<br />

kontrollieren die Schaffnerinnen jedes<br />

Gepäckstück.<br />

Der Zar reitet A R D - J A H R B U C H 0 9 49


Interview mit russischen Touristen an der<br />

türkischen Küste, im Hintergrund ein dem<br />

Kreml nachempfundenes Hotel<br />

uns auf dem Laufenden halten oder bei Bedarf<br />

mit Informationen versorgen. Und wir verbringen<br />

viel Zeit auf Reisen – die manchmal sehr<br />

aufwändig sind. An die russische Pazifikküste<br />

fliegt man zehn Stunden, um den Aralsee in<br />

Kasachstan zu erreichen, braucht man zwei<br />

Tage, in georgische Bergdörfer ist man noch<br />

länger unterwegs. Man fliegt bisweilen mit wenig<br />

vertrauenerweckenden Airlines – obwohl<br />

die schlimmsten Zeiten der so genannten Babyflots<br />

vorbei sind. Damals war die staatliche<br />

Aeroflot in noch mehr Teile zerfallen als die<br />

Sowjetunion selbst, und findige Geschäftsleute<br />

machten aus jeder Tupolew eine neue Fluggesellschaft.<br />

Man fährt mit Nachtzügen, man<br />

chartert Militärhubschrauber, man reitet auf<br />

Pferden, die nur auf Befehle ihrer kirgisischen<br />

oder georgischen oder kasachischen Besitzer<br />

reagieren. Das alles ist anstrengend, manchmal<br />

nicht ungefährlich – aber es macht auch einen<br />

Riesenspaß.<br />

Kirgisistan, Moldawien, Armenien gehören<br />

zu unserem Beritt, aber auch so wichtige Staaten<br />

wie die Ukraine oder Aserbaidschan. Einer<br />

der Korrespondenten ist meistens unterwegs,<br />

und dennoch schaffen wir es nicht, alle Staaten<br />

regelmäßig zu besuchen. Dabei wird die postsowjetische<br />

Landschaft interessanter und differenzierter,<br />

je mehr Zeit vergeht. In manchen<br />

Gegenden Mittelasiens verstehen nur noch die<br />

Alten Russisch, in vielen Staaten ist das kyrillische<br />

Alphabet abgeschafft, manche beziehen<br />

sich auf ihre vorkommunistischen Traditionen.<br />

Was in den seltensten Fällen positiv ist – im<br />

ländlichen Tadschikistan etwa besuchen immer<br />

weniger Mädchen die Schule, in manchen Gegenden<br />

des Kaukasus werden archaische Sitten<br />

wie Blutrache und Brautraub wieder praktiziert.<br />

Wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft<br />

in unserem Studio – das bleibt nicht aus, wenn<br />

man auf Dienstreisen gemeinsam in schäbigen<br />

Unterkünften übernachtet oder tagelang auf Polarstationen<br />

in arktischer Dunkelheit verbringt.<br />

Ob Kameramann, Korrespondentin, Producerin,<br />

Techniker oder Cutter – der Job hier ist<br />

anstrengend. Aber es ist auch einer der interessantesten<br />

und schönsten Jobs, den die <strong>ARD</strong> zu<br />

vergeben hat.<br />

50 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9<br />

Ina Ruck, Auslandskorrespondentin<br />

und Leiterin des <strong>ARD</strong>-Studios Moskau


1998 eröffnete die <strong>ARD</strong> – nach Washington und New<br />

York – einen weiteren Korrespondentenplatz in den USA.<br />

Das <strong>ARD</strong>-Studio Los Angeles liefert seither – unter<br />

Federführung des HR – Informationen von der Westküste<br />

der USA, vor allem aus Kalifornien und Hollywood, für<br />

den <strong>ARD</strong>-Hörfunk und das Deutschlandradio.<br />

Los Angeles, nach New York die zweitgrößte Stadt der<br />

USA, ist Wirtschafts-, Geschäfts- und Kulturzentrum<br />

Kaliforniens und weltgrößter Standort für die Flugzeug-<br />

und Raumfahrtindustrie. Die Berichterstattung aus<br />

Hollywood ist für ein breites Publikum besonders attrak-<br />

tiv – der Stadtteil von Los Angeles gilt nach wie vor<br />

als Synonym für die US-amerikanische Filmindustrie.<br />

Das Themenspektrum des <strong>ARD</strong>-Studios aber reicht<br />

von der fortschrittlichen kalifornischen Umweltpolitik<br />

über die neuesten Entwicklungen aus Silicon Valley<br />

bis hin zu den Storys aus der Traumfabrik.<br />

Los Angeles – mehr als nur Traumfabrik<br />

Berichterstattung aus einem der größten Ballungsräume der Welt<br />

Von Jan Tussing<br />

E<br />

s stimmt. Wer morgens in Kalifornien<br />

den Tag beginnt, der kann sich ein<br />

Lächeln nicht verkneifen. Die Surfer<br />

überqueren mit dem Sonnenaufgang<br />

barfuß die noch ruhigen Straßen von Santa<br />

Monica – ihre Surfbretter unterm Arm –, das<br />

Blau am Himmel verspricht einen warmen Tag.<br />

Der Tag für den Korrespondenten verspricht indessen<br />

vor allem arbeitsreich zu werden. Auch<br />

wenn das <strong>ARD</strong>-Studio im malerischen Santa<br />

Monica liegt, von dem Treiben am Strand oder<br />

in den Straßencafés bekommt der Korrespondent<br />

nicht viel mit. Es ist 6.30 Uhr, wenn der<br />

Computer hochfährt und die in der Nacht eingelaufenen<br />

Mails abgerufen werden.<br />

Der Zeitunterschied von neun Stunden bedeutet<br />

ein chronisches und chronologisches<br />

Hinterherlaufen. Die Redaktionen in Deutschland<br />

bereiten sich auf den Abend vor, in Kalifornien<br />

dagegen müssen die Nachrichten erst<br />

noch geschrieben werden. Vor 9.00 Uhr früh<br />

passiert in der Acht-Millionen-Metropole aber<br />

in der Regel gar nichts. Die fünfspurigen Stadtautobahnen<br />

sind noch voll von den genervten<br />

Pendlern, die nach Downtown fahren müssen,<br />

wo die Bürohochhäuser stehen.<br />

_ Das Studio Los Angeles:<br />

einer der gefragtesten Korrespondentenplätze<br />

Obwohl das Studio Los Angeles innerhalb der<br />

<strong>ARD</strong> noch relativ jung ist – es wurde erst vor<br />

zehn Jahren gegründet –, ist es doch inzwischen<br />

ein fester und stark nachgefragter Bestandteil<br />

Mehr als nur Traumfabrik A R D - J A H R B U C H 0 9 51


der Radio-Berichterstattung geworden. Das liegt<br />

nicht zuletzt an der überaus reichen Themenvielfalt<br />

und dem großen Berichtsgebiet. Alles,<br />

was an der Westküste der USA geschieht, behält<br />

der Korrespondent im Auge. Umweltschutz<br />

und Klimawandel in Alaska, die Video-Spiele-<br />

Industrie in Washingtons Hauptstadt Seattle,<br />

die Investitionen in erneuerbare Energien in<br />

Oregon und selbstverständlich Kalifornien.<br />

Die Geschehnisse in dem US-Bundesstaat von<br />

Gouverneur Arnold Schwarzenegger sind sehr<br />

vielfältig.<br />

In Abgrenzung zu den Gruppenstudios in<br />

Washington konzentriert sich das Studio Los<br />

Angeles mehr auf die Unterhaltungs- und Wirtschaftsthemen.<br />

Es ist wohl der einzige Platz innerhalb<br />

des <strong>ARD</strong>-Korrespondentennetzes, der<br />

weniger mit außenpolitischen Themen zu tun<br />

hat, dafür aber alles abdecken kann und muss,<br />

was unter die Rubrik »Unterhaltung« fällt. Die<br />

Hollywood- und Unterhaltungsberichterstat-<br />

51. Grammy-Verleihung in Los Angeles am<br />

8. 2. 2009, eines der vielen großen Events der<br />

US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie.<br />

Im Bild: Alison Krauss und Robert Plant<br />

tung machen etwa ein Drittel des gesamten<br />

Outputs des Studios aus. Los Angeles versucht<br />

sich als Schnittstelle zwischen den Magazinredaktionen<br />

in Deutschland und der Kino-,<br />

Film- und Medienbranche von Los Angeles zu<br />

positionieren.<br />

Hörfunkwellen wie 1LIVE (WDR), N-JOY<br />

(NDR), Bremen Vier, MDR SPUTNIK und<br />

WDR 2 sind die größten Nachfrager nach Themen<br />

rund um Hollywood: Chris Brown vor<br />

Gericht, die Geburt von Achtlingen oder Lindsey<br />

Lohans Liebesleben lassen den einen oder<br />

anderen Redakteur sofort zum Hörer greifen,<br />

um ein Live-Gespräch anzufragen. Als Britney<br />

Spears nachts von Paparazzi ins Krankenhaus<br />

begleitet wird, klingelt um 1.00 Uhr nachts das<br />

Handy Sturm. Der Korrespondent wird sofort<br />

in die Sendung geschaltet. Überhaupt finden<br />

viele Live-Gespräche abends statt, denn aufgrund<br />

der Zeitverschiebung wollen die Hörfunkwellen<br />

meistens eine Berichterstattung in<br />

ihren Frühsendungen.<br />

Auch viele andere Redaktionen und Wellen<br />

der <strong>ARD</strong> sind dankbare Abnehmer für bunte<br />

Themen – ob Musikevents wie das Coachella<br />

Festival, Technikmessen wie die CES in Las<br />

Vegas oder Filmfestivals wie das Sundance Film<br />

Festival in Park City, Utah. Der <strong>ARD</strong>-Platz Los<br />

Angeles ist neben London und New York die<br />

wohl wichtigste Kunst- und Kino-, aber auch<br />

Wirtschaftsmetropole der Welt.<br />

Das zeigt sich jedes Jahr besonders deutlich,<br />

wenn die Filmsaison beginnt und die Preise<br />

verliehen werden. Im Januar und Februar fiebern<br />

alle Kinofans auf die Emmys, Grammys,<br />

Golden Globes und Oscars hin. Während dieser<br />

Zeit bleibt kaum Gelegenheit für andere<br />

Themen. An den Tagen der Verleihung – in der<br />

52 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9<br />

Der frühe Tod Michael Jacksons am 25. 6. 2009:<br />

Informationen und Hintergrundberichte<br />

aus der Welt der Stars sind nicht zuletzt bei<br />

Pop- und Jugendwellen sehr gefragt.


Jan Tussing und seine Mitarbeiterin Christine<br />

Schacht im <strong>ARD</strong>-Studio Los Angeles<br />

Regel immer am Wochenende – wird eine Dauerleitung<br />

zwischen dem Studio in Los Angeles<br />

und den Wellen in Deutschland eingerichtet.<br />

Eine besondere Schwierigkeit ist hier, dass die<br />

glamourösen Events zwar in Los Angeles am<br />

Nachmittag stattfinden, aber nicht zeitgleich an<br />

der Westküste übertragen werden. Um die Werbeeinnahmen<br />

zu maximieren, strahlen die Fernsehsender<br />

die Verleihung der Golden Globes<br />

und der Emmys zuerst an der Ostküste in New<br />

York aus und erst rund drei Stunden später<br />

dann in Kalifornien. Für die Berichterstattung<br />

bedeutet das Atemlosigkeit. Die Redaktionen in<br />

Deutschland sehen das Ereignis früher als der<br />

Korrespondent vor Ort. Wegen der neunstündigen<br />

Zeitdifferenz hinkt das Studio Los Angeles<br />

wieder einmal hinterher. Eine schwierige<br />

Situation, die sich nur durch intensive Bemühungen<br />

und mit großem Stress meistern lässt.<br />

_ Los Angeles – die Heimat vieler kreativer Köpfe<br />

Film, Kino, Fernsehen und sonstige Medien<br />

sind für das Studio Los Angeles sehr bedeutsam.<br />

Neue Sendungen und Formate werden in<br />

der Regel in Hollywood geschaffen. Hier sitzen<br />

die kreativen Köpfe der USA, die mit ihren<br />

Ideen bestimmen, welche neuen Sendungen die<br />

Amerikaner – und schließlich der Rest der Welt<br />

– zu sehen bekommen. Hier werden Trends gesetzt,<br />

und die virtuelle Welt der Medien ist für<br />

die meisten Kalifornier die Realität des Alltags.<br />

Zu den wesentlichen Aufgaben des Korrespondenten<br />

gehört daher Fernsehengucken und ins<br />

Kino Gehen.<br />

Ein Durchschnittsamerikaner ist an der Karriere<br />

und dem Privatleben von Filmstars viel<br />

mehr interessiert als ein Durchschnittsdeutscher.<br />

Reality-TV ist ein fester Bestandteil des<br />

Alltags in den USA, und es erstaunt so manchen<br />

Menschen, dass die Sendung »American<br />

Idol« (das amerikanische Pendant zu »Deutschland<br />

sucht den Superstar«) im Durchschnitt von<br />

30 Millionen Menschen geschaut wird. Fernsehserien<br />

wie »Californication«, »Beverly Hills,<br />

90210«, »Real Housewives« und »True Blood«<br />

waren in den USA bereits ein großer Hit, bevor<br />

sie schließlich nach Deutschland kamen. Das<br />

Studio Los Angeles ist daher stetig bemüht, sich<br />

so viel Wissen über die Filmbranche anzueignen<br />

wie möglich.<br />

_ . . . – das wirtschaftliche Powerhouse der USA<br />

Los Angeles und Kalifornien sind aber auch in<br />

wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht<br />

das Powerhouse der USA. Facebook, Google<br />

und Twitter schreiben Medien- und Wirtschaftsgeschichte.<br />

Microsoft, Apple, Intel und Oracle<br />

sorgen für handfeste Schlagzeilen – und nicht<br />

zu vergessen die Videospiele-Industrie von<br />

Seattle, die Biotech-Szene von San Diego und<br />

die Start-Up-Unternehmen im Silicon Valley.<br />

Hier haben unzählige Global Player der<br />

Weltwirtschaft ihren Firmensitz. Gouverneur<br />

Arnold Schwarzenegger würde auf jeden G8-<br />

Dr. Gerard Fryer (l.) informiert über das Pacific<br />

Tsunami Warning Center (PTWC) in Ewa<br />

Beach auf Hawaii, das für die internationale<br />

Tsunami-Vorhersage und die Warnung der Bevölkerung<br />

im Pazifikraum zuständig ist.<br />

Mehr als nur Traumfabrik A R D - J A H R B U C H 0 9 53


Auch im Frühsommer 2009 wüteten wieder<br />

heftige Waldbrände in Kalifornien.<br />

Korrespondent Jan Tussing (M.) interviewte<br />

Brandopfer in San Diego.<br />

Gipfel eingeladen werden, wäre Kalifornien ein<br />

eigenständiger Staat. Auf der CeBIT in Hannover<br />

hat er das Gastland Kalifornien schließlich<br />

vertreten.<br />

Dementsprechend groß ist das Interesse<br />

der deutschen Radiowellen an ausführlicher<br />

Wirtschaftsberichterstattung. Auch hier gilt: Es<br />

ist fast unmöglich, allen Entwicklungen und<br />

Ereignissen in der Region gerecht zu werden.<br />

Gerichtsurteile gegen YouTube, Streitereien<br />

zwischen SAP und Oracle, neue Internetdienste<br />

von Twitter und MySpace, neue Anwendungen<br />

von Apple und Google, Aktionärsstreitigkeiten<br />

und Fusionsgerüchte, bahnbrechende Studien<br />

in der Stammzellforschung und Erfolge beim<br />

Klonen von Tieren. Die Bandbreite der Themen<br />

spiegelt den reichen Industriestaat Kalifornien<br />

wider.<br />

_ . . . – das Paradies der Deutschen<br />

Überhaupt ist Kalifornien eine den Deutschen<br />

sehr vertraute Region. Das liegt daran, dass<br />

hier sehr viele Deutsche leben und täglich<br />

mehr dazukommen. Aber es liegt auch an<br />

der Geschichte der Stadt Los Angeles, die mit<br />

Deutschland seit mehr als einem Jahrhundert<br />

sehr eng verbunden ist. In den 1930er Jahren<br />

trafen sich Thomas Mann, Lion Feuchtwanger,<br />

Bertolt Brecht und andere vor den Nazis<br />

emigrierte Intellektuelle in Pacific Palisades<br />

zum Stammtisch. Roland Emmerich, Werner<br />

Herzog, Bernd Eichinger und viele andere<br />

Deutsche drücken Hollywood heute ihren<br />

Stempel auf. Thomas Gottschalk, Elke Sommer<br />

und Cornelia Funke ziehen sich in die Berge<br />

von Los Angeles zur Erholung zurück. Ist es<br />

übertrieben zu behaupten, dass Kalifornien die<br />

beliebteste Region der Deutschen außerhalb<br />

Europas ist?<br />

Durch Urlaube, Arbeitsaufenthalte und das<br />

deutsche Fernsehen – fast jeder Deutsche hat<br />

ein Bild von Kalifornien. Wohl kein Land,<br />

keine Shows, keine Musiker, keine Schauspieler<br />

und Künstler interessieren die Deutschen so<br />

sehr, wie wenn sie aus Kalifornien kommen.<br />

Dieser Bundesstaat ist nach der Schweiz und<br />

Österreich das Land, in das die meisten Deutschen<br />

auswandern.<br />

Kein Wunder, dass die deutschen Redaktionen<br />

Themen von der amerikanischen Westküste<br />

denen aus anderen Regionen vorziehen. Hinzu<br />

kommt: Hörfunkwellen haben eigene Ideen<br />

und Wünsche an den Korrespondenten. Jeden<br />

Morgen sind in der Mailbox des Studios etliche<br />

Rückrufwünsche und Themenanregun gen. Das<br />

Schöne daran ist, dass sich der Korrespondent<br />

schnell in die wildesten Geschichten einarbeiten<br />

darf. Er lernt über die Weinarchitektur kalifornischer<br />

Weingüter genauso viel wie über die<br />

alternden Groupies ehemals berühmter Rockbands<br />

oder das 25-jährige Jubiläum der TV-Serie<br />

»Dallas«. Der Nachteil hingegen: Die Arbeitszeit<br />

des Korrespondenten lässt sich kaum begrenzen.<br />

Die Redakteure wenden sich mit Ideen<br />

54 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9<br />

Blick auf Los Angeles an der Bucht von Santa<br />

Monica des Pazifischen Ozeans. Der Großraum<br />

Los Angeles gehört zu den Gebieten mit<br />

der höchsten Luftverschmutzung in den USA.


Jan Tussing auf dem Mauna Kea, dem<br />

heiligen Berg der Hawaiianer. Der 4 200 m<br />

hohe Vulkan beherbergt eines der bedeutendsten<br />

astronomischen Observatorien<br />

der Welt, dessen Teleskope von Institutionen<br />

und Universitäten aus elf Nationen<br />

betrieben werden.<br />

und Themenvorschlägen nahezu rund um die<br />

Uhr an das Studio, das – anders als fast<br />

alle anderen <strong>ARD</strong>-Plätze – mit nur einem<br />

Korrespondenten besetzt ist. Die Folge: Der<br />

Korres pondentenalltag mutiert zum Fabrikdasein.<br />

Der Korrespondent arbeitet wie am<br />

Fließband, und hätte er nicht eine Assistentin,<br />

die im Grunde viele Aufgaben einer Producerin<br />

wahrnimmt, wäre die tägliche Flut der Anfragen<br />

kaum zu stemmen.<br />

_ Wie heißt der Plural von Spagat<br />

oder was »muss« und was »kann«?<br />

Weil auch in den Redaktionen in Deutschland<br />

die finanziellen und personellen Mittel knapp<br />

sind, werden die Auslandsstudios gerne zum<br />

verlängerten Arm der Redaktionen daheim um-<br />

funktioniert. Sehr oft kommen Anfragen auf<br />

das Studio Los Angeles zu, die nicht wirklich<br />

dringend sind: Jahrestage, Geburtstage, Todestage<br />

und Jubiläen: Zehn Jahre Umweltkatastrophe<br />

in Alaska, ausgelöst durch den Öltanker<br />

»Exxon Valdez«, der 50. Geburtstag von Madonna,<br />

Prince und Michael Jackson, der 87. Geburtstag<br />

von Doris Day etc.<br />

Weil die Nachfrage der Redaktionen die Kapazität<br />

des Korrespondenten um ein Vielfaches<br />

übersteigt, gehört der Spagat zu den täglichen<br />

Übungen des Studios Los Angeles. Der Spagat<br />

zwischen den angefragten »Kann«-Themen und<br />

den »Muss«-Themen und natürlich auch der<br />

Spagat zwischen der benötigten Recherche und<br />

der Anzahl der machbaren Stücke. Viele der<br />

Themen erfordern einen Mindestaufwand an<br />

qualitätsvoller Recherche. Und viele Themen<br />

sind sehr komplex. Neue Erfolge bei der Krebstherapie,<br />

das Klonen von Tieren oder die Folgen<br />

der Wasserknappheit in Kalifornien – solche<br />

Recherchen brauchen viel Zeit. Wenn die<br />

Zeit hinzugezählt wird, die eine Fahrt zum Gesprächspartner<br />

dauert (und das bei der Verkehrsdichte<br />

der Metropole Los Angeles), so kommt<br />

nicht selten ein Hauch von Atemlosigkeit in die<br />

Berichterstattung.<br />

_ Infotainment – in Kalifornien wird es gelebt<br />

Anders als in deutschen Redaktionen liegen im<br />

Studio Los Angeles morgens nicht zehn lokale<br />

und überregionale Tageszeitungen auf dem<br />

Redaktionstisch. Sondern es kommen täglich<br />

nur zwei: die »LA Times« und die »New York<br />

Times«. Bei beiden Zeitungen ist die Berichterstattung<br />

über Kalifornien eher flach, und überregionale<br />

Themen sind selten. Anregungen und<br />

Ideen zu Geschichten kommen daher weniger<br />

aus der amerikanischen als vielmehr aus der<br />

deutschen Presse. Das klingt überraschend, aber<br />

»Spiegel online«, die »Süddeutsche Zeitung«,<br />

Mehr als nur Traumfabrik A R D - J A H R B U C H 0 9 55


das »Handelsblatt« und die »Neue Zürcher Zeitung«<br />

sind oft besser und schneller informiert<br />

als die amerikanischen Medien.<br />

Das Sterben der amerikanischen Tageszeitungen<br />

spiegelt den Zustand des amerikanischen<br />

Journalismus in der Krise wider. Amerikaner<br />

lesen immer seltener eine Zeitung. Der<br />

Print-Journalismus stirbt langsam aus. Auch<br />

gibt es keine Nachrichtensendungen im Fernse-<br />

Auf der Landstraße von Honolulu in den Norden<br />

demonstrierten Hawaiianer für mehr<br />

Selbstbestimmung und die Rückkehr zum<br />

früheren Königreich Hawaii.<br />

hen, die kompakt wie die »Tagesschau« im Ersten<br />

einen Überblick bieten. Das lokale Begleitprogramm<br />

des regionalen Fernsehens KTLA<br />

zum Beispiel wird von drei sich amüsierenden<br />

Moderatoren im Plauderton bestritten und<br />

besteht aus drei festen Blöcken: den Verkehrsnachrichten<br />

aus dem Helikopter, den Unterhaltungsnachrichten<br />

aus Hollywood und natürlich<br />

der Werbung. Harte Fakten sind Mangelware.<br />

_ Gute Zusammenarbeit mit den Pressestellen<br />

Zum Glück gibt es in den USA aber eine Vielzahl<br />

von anderen Quellen: die Pressestellen<br />

von Unternehmen, Universitäten und anderen<br />

Institutionen. In kürzester Zeit werden geeignete<br />

Gesprächspartner mobilisiert, die sich zu<br />

den unterschiedlichsten Themen äußern. Pro-<br />

fessoren an den Universitäten sind kurzfristig<br />

zu einem Interview bereit. Der renommierte<br />

Thinktank – das Milken Institute – ist nur<br />

einen Steinwurf vom Studio entfernt, und die<br />

Bandbreite der in Los Angeles ansässigen Institutionen<br />

ist so groß, dass es kein Problem<br />

bereitet, Stimmen zu wirklich jedem Thema<br />

einzufangen.<br />

Allein die Promis von Hollywood scheuen<br />

sich vor Interviews, und es dauert oft sehr lang,<br />

bis das Studio Los Angeles einen Star zu sehen<br />

bekommt. Jeder Schauspieler der Stadt hat<br />

nämlich einen Agenten, und dessen Aufgabe<br />

ist es, Journalisten abzuwehren. Zum Ärger des<br />

Korrespondenten. Denn der bei den deutschen<br />

Hörern beliebte Klatsch und Tratsch kommt<br />

nur aus den Hunderten US-amerikanischer<br />

Entertainment-Sendungen.<br />

Die Vorstellungen vieler Kollegen aus den<br />

Redaktionen, das Studio Los Angeles habe<br />

direkten Zugang zu den Stars, ist leider falsch.<br />

Das heißt nicht, dass man die Stars nicht dennoch<br />

sieht. Allein – man muss sie erkennen.<br />

Emile Hirsch aus dem Film »Into the Wild«<br />

sitzt mit seinem Fitnesstrainer beim Mittagessen<br />

in Santa Monica auf der Straße, Robert Downey<br />

Junior geht im Stadtteil Venice abends mit<br />

seiner Freundin zu einer Vernissage. Und Meg<br />

Ryan sitzt in einer stillen Ecke im Urth Caffé<br />

vor ihrer Tasse Tee. Die Promis, sie sind alle hier.<br />

Die Kunst des Studios Los Angeles ist es dagegen,<br />

sich zu ihnen Zugang zu verschaffen.<br />

Aber wenn sich der Arbeitstag dem Ende zuneigt,<br />

dann sind die Stars alle schon längst wieder<br />

daheim in ihren Villen in Hollywood Hills.<br />

Oder bei den Partys in Beverly Hills (auf deren<br />

Gästeliste das Studio Los Angeles leider nicht<br />

steht). Aber die Nacht für den Korrespondenten<br />

ist sowieso kurz, denn die deutschen Redaktionen<br />

sind bereits erwacht, und die E-Mails laufen<br />

ein. Das Studio Los Angeles ist schließlich<br />

einer der gefragtesten Plätze in der <strong>ARD</strong>.<br />

Jan Tussing,<br />

<strong>ARD</strong>-Hörfunk-Korrespondent<br />

im Studio Los Angeles<br />

56 Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9


Neubrandenburg am nordöstlichen Rand der Republik,<br />

das ist eigentlich ganz weit weg. Kaum Industrie,<br />

die Region hat die höchste Arbeitslosigkeit in Deutsch-<br />

land, vor allem junge Leute wandern ab aus dem<br />

Gebiet im Nordosten, nahe der polnischen Grenze.<br />

Vorurteile gibt es viele. Die Mitarbeiter des<br />

Haff-Müritz-Studios des NDR in Neubrandenburg kennen<br />

sie nur zu gut – und wissen sie zu entkräften.<br />

Modern und grenzüberschreitend<br />

Das Haff-Müritz-Studio berichtet aus der deutsch-polnischen Grenzregion<br />

Von Michael Elgaß und Steffen Münch<br />

N<br />

DR-Haff-Müritz-Studio Neubrandenburg,<br />

guten Tag« – wenn Mitarbeiter<br />

mit dieser Begrüßung ein Landesfunkhaus<br />

oder Studio im weiten<br />

<strong>ARD</strong>-Verbund anrufen, erhalten sie nicht selten<br />

die freundliche, aber verwirrte Nachfrage:<br />

»NDR-Studio Neu-was?« Brandenburg kennen<br />

die meisten, zumindest als Bundesland, Neubrandenburg<br />

aber ist vielen nicht geläufig.<br />

Die Themen zu Land und Leuten sind eben so<br />

vielfältig wie in den anderen Studios des NDR<br />

bzw. der <strong>ARD</strong>. Immerhin liegt das Zentrum<br />

der Region, die Stadt Neubrandenburg, nur 120<br />

Kilometer nördlich von Berlin. In der backsteinernen<br />

Konzertkirche der so genannten Vier-<br />

Tore-Stadt gastieren Weltstars und spielen CDs<br />

ein – nicht täglich, aber regelmäßig.<br />

Und zur Region gehört natürlich die Müritz,<br />

der zweitgrößte Binnensee Deutschlands.<br />

Tausende Urlauber zieht es Jahr für Jahr zur<br />

Mecklenburgischen Seenplatte zum Radfahren,<br />

Paddeln oder Wandern. Das Wildtierland Klepelshagen<br />

am Rand der Uckermark ist eines der<br />

größten Schutzgebiete für den Hirsch. In der<br />

Feldberger Seenlandschaft lebte unter anderem<br />

der Schriftsteller Hans Fallada.<br />

In der Haff-Müritz-Region werden hochmoderne<br />

Fahrzeugheizsysteme und Nahrungsgütermaschinen<br />

entwickelt und gebaut, die Eisengießerei<br />

in Torgelow hat durch die Qualität<br />

ihrer Produkte in den letzten Jahren im In- und<br />

Ausland Auftraggeber gewinnen können.<br />

All das sind Themen, die sich in der Berichterstattung<br />

widerspiegeln. Radio- und Fernsehbeiträge<br />

werden täglich für die Programme des<br />

Modern und grenzüberschreitend A R D - J A H R B U C H 0 9 57


58<br />

NDR produziert und bei Bedarf allen anderen<br />

Sendeanstalten der <strong>ARD</strong> im Programmaustausch<br />

angeboten.<br />

_ Vorreiter in der bimedialen Arbeitsweise<br />

Das Studio Neubrandenburg war eines der<br />

ers ten im NDR, in denen Kollegen bimedial<br />

gearbeitet haben. Gemeinsam planen Hörfunk<br />

und Fernsehen die Beiträge. Je nach Anforderung<br />

recherchiert ein Kollege ein Thema und<br />

bearbeitet es im Idealfall für beide Medien. Dadurch<br />

kann die Berichterstattung intensiver und<br />

hintergründiger gestaltet werden.<br />

Natürlich war der Übergang zur bimedialen<br />

Berichterstattung Mitte der 1990er Jahre ein<br />

großer Sprung. Erfahrungen gab es in der <strong>ARD</strong><br />

kaum. Bedenken dagegen schon mehr.<br />

Die Idee dafür wurde im Studio selbst geboren,<br />

und zwar zu einem Zeitpunkt, als offizielle<br />

Überlegungen zu bimedialen Strukturen noch<br />

Zukunftsmusik waren. Zum einen waren nach<br />

Hörfunk und Fernsehen getrennte Programmplanungen<br />

in einem kleinen Studio zu aufwändig.<br />

Zum anderen gab es den Vorteil gut ausge-<br />

Michael Elgaß während einer Live-Schalte<br />

aus dem kleinen Fernsehstudio,<br />

hinten Kameramann Kai Lewering<br />

bildeter Mitarbeiter, die sich in beiden Medien<br />

»zu Hause« fühlten.<br />

Das Neubrandenburger Beispiel hat Schule<br />

gemacht: Inzwischen arbeiten viele Regionalstudios<br />

des NDR bimedial. Für die Partner außerhalb<br />

des NDR hat das den Vorteil, im Idealfall<br />

jeweils nur einen Ansprechpartner zu haben.<br />

Die Bimedialität macht das Studio auch als<br />

Ausbildungsstation für Volontäre interessant.<br />

Die angehenden Journalisten lernen dank überschaubarer<br />

Studio-Strukturen meist sehr schnell<br />

den fließenden Übergang von der Theorie der<br />

Seminarsituation zur Praxis des Hörfunk- und<br />

Fernsehalltags. Vom ersten Tag an sind sie in<br />

das Redaktionsgefüge des Studios integriert und<br />

produzieren ihre eigenen Beiträge.<br />

Natürlich sind bei größeren Ereignissen auch<br />

mehrere Kollegen im Einsatz, zum Beispiel als<br />

die Soldaten der Bundeswehr in Eggesin zum<br />

Einsatz in den Kosovo verabschiedet wurden.<br />

Um schnell zu sein, steht dem Studio ein Reportagewagen<br />

zur Verfügung, mit dem per<br />

Satellit Hörfunkbeiträge live gesendet werden<br />

können. Das Studio selbst, untergebracht in einer<br />

vom NDR sanierten Jugendstilvilla, ist seit<br />

1995 digitalisiert und war eines der ersten der<br />

<strong>ARD</strong>, das diese Technik einsetzte.<br />

_ Berichterstattung über Grenzen hinaus<br />

Das Berichtsgebiet des Haff-Müritz-Studios<br />

liegt an der polnischen Grenze, und so ist der<br />

Blick über die Grenze nach Westpommern und<br />

in die Metropole Stettin inzwischen selbstverständlich<br />

– durch die neugebaute Ostsee-<br />

Autobahn A 20 ist eine schnelle Anreise möglich.<br />

Von Neubrandenburg fahren aber auch<br />

regelmäßig Züge nach Stettin. Mittlerweile<br />

pendelt zudem rund ein Dutzend Buslinien aus<br />

Ostmeck lenburg, Vorpommern und der Uckermark<br />

nach Westpommern.<br />

Fast eine halbe Million Polen lebt im Großraum<br />

Stettin, die Region ist eine aufstrebende<br />

und boomende Wirtschaftszone in der Mitte<br />

Europas. Stettin ist das Zentrum der polnischen<br />

Hafenwirtschaft. Dort gibt es 19 Universitäten<br />

und Hochschulen. Deutsche und polnische<br />

Kommunen und Unternehmen arbeiten in der<br />

Kommunalgemeinschaft Pomerania zusammen.<br />

Seit 2004 ist Polen Mitglied der EU und seit<br />

2007 des Schengener Abkommens. Die Grenze<br />

zwischen Deutschland und Polen verschwindet<br />

immer mehr aus dem täglichen Leben und,<br />

wenn auch langsamer, aus den Köpfen der<br />

Artikel A R D - J A H R B U C H 0 9<br />

Hörfunk-Reporterin Birgit Steinfeldt mit dem<br />

Hörfunk-Satcar vor einem der Neubrandenburger<br />

Stadttore


Menschen. Und so gewinnen Themen aus der<br />

Grenzregion immer größere Bedeutung in den<br />

Berichten der Neubrandenburger Reporter.<br />

_ Mit »Radio Pomerania« für mehr deutschpolnischen<br />

Austausch<br />

Hörfunkredakteur Steffen Münch ist mehrfach<br />

im Monat in Polen unterwegs, um zu recherchieren<br />

und zu berichten – für die Programme<br />

des NDR sowie der anderen <strong>ARD</strong>-Anstalten<br />

und für »Radio Pomerania«. Das ist eine Magazinsendung<br />

aus dem Haff-Müritz-Studio Neubrandenburg,<br />

die in NDR 1 Radio MV einmal<br />

im Monat ausgestrahlt wird. »Radio Pomerania«<br />

arbeitet regelmäßig mit dem »Ostseemagazin«<br />

der NDR 1 Welle Nord in Schleswig-Holstein<br />

zusammen.<br />

Die Themen sind vielfältig: Es geht zum<br />

Beispiel um die Kooperation deutscher und<br />

polnischer Landwirte im Ökolandbau, um neue<br />

Straßenverbindungen im Grenzland, Polnisch-<br />

Hörfunk-Redakteur Steffen Münch<br />

beim Interview im polnischen Kolberg<br />

unterricht in deutschen Kindergärten oder den<br />

Tourismus im Grenzgebiet. Immer mehr Deutsche<br />

zieht es im Urlaub oder zur Kur an die<br />

polnische Ostseeküste.<br />

Eine große Herausforderung sind Berichte,<br />

die sich mit der Geschichte des Grenzlandes<br />

befassen. Bis 1945 war Stettin die Hauptstadt<br />

von Pommern, dann wurde es zu einem Verwaltungszentrum<br />

der Wojewodschaft Westpommern.<br />

Als Folge der Grenzziehung an der Oder<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg verlor die Stadt<br />

einen Teil ihrer Geschichte und ihr Hinterland.<br />

Viele Jahrzehnte war die deutsche Vergangenheit<br />

Stettins ein Tabu-Thema. Erst nach den<br />

politischen Veränderungen rückte dieser Teil der<br />

Geschichte mehr in den Blickpunkt.<br />

NDR 1 Radio MV hat diesen Prozess begleitet<br />

– in Berichten über die Aussiedlung der<br />

deutschen Bewohner aus Stettin oder das Leid<br />

von Deutschen, Polen und Ukrainern, die eine<br />

neue Heimat suchen und finden mussten. Damit<br />

wurden natürlich alte, bislang kaum vernarbte<br />

Wunden aufgerissen. Inzwischen ist die<br />

Aufgeregtheit einer Sachlichkeit gewichen, wie<br />

Steffen Münch nach seinen regelmäßigen Recherchereisen<br />

zu berichten weiß. Das Verhältnis<br />

ist entspannt, auch Journalisten aus Deutschland<br />

werden die Amtstüren in Westpommern<br />

immer häufiger freundlich geöffnet, Pressekonferenzen<br />

sogar zweisprachig gehalten.<br />

Schwieriger scheint die Situation in Deutschland.<br />

So ist es für viele deutsche Kommunen<br />

emotional offenbar schwierig, sich als »Hinterland«<br />

der Großstadt Stettin zu begreifen. Aber<br />

auch mittelständische Wirtschaftsunternehmen<br />

scheuen sich vor dem polnischen Markt.<br />

Sprachprobleme, unterschiedliche gesetzliche<br />

Regelungen und verschiedene Währungen behindern<br />

die Wirtschaftsentwicklung.<br />

Auch kulturell engagiert sich der NDR in<br />

Polen, so machte zum Beispiel die Ausstellung<br />

»Weite und Licht« aus der Kunstsammlung des<br />

NDR Station im Schloss der pommerschen<br />

Herzöge in Stettin. Die erfolgreiche Ausstellung<br />

schaffte es, Brücken zu bauen. Die meisten<br />

Bilder zeigten nämlich Landschaftsmotive, die<br />

nicht an Grenzen haltmachen. So stand die<br />

Ausstellung auch für gemeinsame Geschichte<br />

und den gemeinsamen Raum, in dem man sich<br />

bewegt und der miteinander verbindet.<br />

In Zeiten des Auf- und Umbruchs ist ein<br />

modernes, grenzüberschreitendes Heimatverständnis<br />

in Europa gefragt. Und auch dazu<br />

wollen die Kollegen im Haff-Müritz-Studio<br />

Neubrandenburg mit ihrer Arbeit einen kleinen<br />

Beitrag leisten.<br />

An spannenden neuen und weiterführenden<br />

Themen für die Berichterstattung herrscht also<br />

kein Mangel. Und ganz nebenbei bleibt meist<br />

auch noch Zeit für ein wenig geografischen<br />

Nachhilfeunterricht am Telefon, wenn mal wieder<br />

ein nachfragendes »NDR-Studio Neu-was?«<br />

am anderen Ende der Leitung zu hören ist.<br />

Michael Elgaß,<br />

Leiter des Haff-Müritz-Studios<br />

in Neubrandenburg<br />

Steffen Münch,<br />

Hörfunk-Redakteur des NDR<br />

Modern und grenzüberschreitend A R D - J A H R B U C H 0 9 59

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