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WWW und Mathematik — Lehren und Lernen im Internet

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proceedings<br />

Peter Bender; Wilfried Herget; Hans-Georg Weigand; Thomas Weth<br />

(Hrsg.)<br />

<strong>WWW</strong> <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong> <strong>—</strong><br />

<strong>Lehren</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

diverlag<br />

franzbecker<br />

Bericht über die<br />

21. Arbeitstagung des Arbeitskreises<br />

„<strong>Mathematik</strong>unterricht <strong>und</strong> Informatik“ in der<br />

Gesellschaft für Didaktik der <strong>Mathematik</strong> e. V.<br />

vom 26. bis 28. September 2003 in Dillingen


proceedings<br />

Peter Bender; Wilfried Herget; Hans-Georg Weigand; Thomas Weth<br />

(Hrsg.)<br />

<strong>WWW</strong> <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong> <strong>—</strong><br />

<strong>Lehren</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

diverlag<br />

franzbecker<br />

Bericht über die<br />

21. Arbeitstagung des Arbeitskreises<br />

„<strong>Mathematik</strong>unterricht <strong>und</strong> Informatik“ in der<br />

Gesellschaft für Didaktik der <strong>Mathematik</strong> e. V.<br />

vom 26. bis 28. September 2003 in Dillingen


Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />

Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind <strong>im</strong><br />

<strong>Internet</strong> über abrufbar.<br />

Bibliographic information published by Die Deutsche Bibliothek<br />

Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie;<br />

detailed bibliographic data is available in the <strong>Internet</strong><br />

at .<br />

Peter Bender; Wilfried Herget; Hans-Georg Weigand; Thomas Weth<br />

(Hrsg.)<br />

<strong>WWW</strong> <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong> <strong>—</strong> <strong>Lehren</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

Bericht über die 21. Arbeitstagung des Arbeitskreises „<strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

<strong>und</strong> Informatik“ in der Gesellschaft für Didaktik<br />

der <strong>Mathematik</strong> e.V. vom 26. bis 28. September 2003 in Dillingen<br />

ISBN 3-88120-391-5<br />

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere<br />

die der Vervielfältigung <strong>und</strong> Übertragung auch einzelner Textabschnitte,<br />

Bilder oder Zeichnungen vorbehalten. Kein Teil des Werkes<br />

darf ohne schriftliche Zust<strong>im</strong>mung des Verlages in irgendeiner<br />

Form reproduziert werden (Ausnahmen gem. §§ 53, 54 URG). Das<br />

gilt sowohl für die Vervielfältigung durch Fotokopie oder irgendein<br />

anderes Verfahren als auch für die Übertragung auf Filme, Bänder,<br />

Platten, Transparente, Disketten <strong>und</strong> andere Medien.<br />

© 2005 by Verlag Franzbecker, Hildeshe<strong>im</strong>, Berlin


Inhalt<br />

<strong>Lehren</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>und</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> neue Möglichkeiten für den<br />

Unterricht? 5<br />

Peter Bender, Paderborn & Wilfried Herget, Halle a.d. Saale &<br />

Hans-Georg Weigand, Würzburg & Thomas Weth, Nürnberg<br />

� Hauptvorträge<br />

<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong><br />

zwischen instruktivistischem <strong>und</strong> konstruktivistischem Paradigma 7<br />

T<strong>im</strong>o Leuders, Soest<br />

Mädchen, Jungen, <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer 35<br />

Cornelia Niederdrenk-Felgner, Nürtingen<br />

MaDiN <strong>—</strong> <strong>Mathematik</strong>didaktik <strong>im</strong> Netz 45<br />

Thomas Weth, Nürnberg<br />

� Sektionsvorträge<br />

<strong>Mathematik</strong>lernen <strong>und</strong> Organisieren 52<br />

Christine Bescherer & Herbert Löthe, Ludwigsburg<br />

Ein virtuelles Seminar <strong>—</strong> Konzeption, Durchführung <strong>und</strong> Auswertung 57<br />

Christine Bescherer, Ludwigsburg & Matthias Ludwig, Weingarten &<br />

Barbara Schmidt-Thieme, Karlsruhe & Hans-Georg Weigand, Würzburg<br />

Der Kosinussatz <strong>—</strong> wieder entdeckt als Flächensatz 66<br />

Hans-Jürgen Elschenbroich, Korschenbroich<br />

Konstruktiv arbeiten mit dem <strong>Internet</strong> in Schule <strong>und</strong> Lehrerausbildung <strong>—</strong><br />

Methoden der Content-Erstellung mit Beispielen aus der Praxis 71<br />

Astrid Ernst & Engelbert Niehaus, Münster<br />

Didaktische Aspekte der Einbeziehung von Elementen der 3D-Computergrafik<br />

in das Stoffgebiet Analytische Geometrie 81<br />

Andreas Filler, Berlin<br />

Konstruktion <strong>und</strong> Kontinuität in der Dynamischen Geometrie 95<br />

Thomas Gawlick, Landau<br />

Ein Java-Applet zur Eingabe <strong>und</strong> Überprüfung mathematischer Terme 112<br />

Rudolf Großmann, Stein<br />

Echtzeit-Online-Fortbildungen für Lehrkräfte zum Thema:<br />

<strong>Mathematik</strong> mit grafischen Taschenrechnern <strong>und</strong> CAS 118<br />

Karl-Heinz Keunecke, Kiel<br />

Exper<strong>im</strong>entieren <strong>und</strong> Publizieren 120<br />

Ulrich Kortenkamp, Berlin<br />

Dynamische Visualisierung einer Aufgabe (in Variationen) 127<br />

Ingmar Lehmann, Berlin<br />

Von Pr<strong>im</strong>zahlen zur Verschlüsselung mit RSA <strong>—</strong><br />

Eine Unterrichtseinheit <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> für eine 11. Klasse 140<br />

Carsten Münchenbach, Emmendingen<br />

3


4<br />

Vom 19. ins 21. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>—</strong> Ändert das <strong>Internet</strong> die Chancen für den<br />

Zugang zur <strong>Mathematik</strong>? 145<br />

Fritz Nestle, Ulm<br />

Das CAS-basierte DGS Feli-X zur Vernetzung von Algebra <strong>und</strong> Geometrie 150<br />

Reinhard Oldenburg, Göttingen<br />

<strong>Mathematik</strong> lernen <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> eine philosophische Betrachtung<br />

vom Standpunkt moderner Erkenntnistheorie 153<br />

Reinhard Oldenburg, Göttingen<br />

Integration des <strong>Internet</strong>s <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht <strong>—</strong> unter Berücksichtigung<br />

von Aspekten der Handlungsorientierung am Beispiel der Behandlung von<br />

Korrelation <strong>und</strong> Regression in der Jahrgangsstufe 11 159<br />

Andreas Pallack, Soest<br />

"Da schauen Sie mal ins <strong>Internet</strong>!" <strong>—</strong> Impressionen des <strong>Lehren</strong>s <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>s 170<br />

Karel Tschacher, Erlangen-Nürnberg<br />

Computereinsatz <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht unter Geschlechterperspektive <strong>—</strong><br />

oder Mädchen, Jungen, <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer 173<br />

Rose Vogel, Ludwigsburg<br />

Gestaltungsprinzipien <strong>und</strong> Erfahrungen zum virtuellen Selbstlernkurs:<br />

<strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer 177<br />

Wolfgang Weigel, Würzburg<br />

Der ClassPad 300 von Casio 187<br />

Jens Weitendorf, Norderstedt<br />

Wie lernen Studierende in internetgestützten Lehrveranstaltungen? 192<br />

Gerald Wittmann, Würzburg<br />

Über die didaktische Gestaltung mult<strong>im</strong>edialer Lehrmaterialien 201<br />

Bert Xylander, Halle a.d. Saale<br />

Die Apfelsinenkiste <strong>im</strong> Hyde-Park <strong>—</strong> Lernplattformen für den ersten Auftritt 209<br />

Siegfried Zseby, Berlin<br />

� Arbeitsgruppen<br />

<strong>Internet</strong>-Übungsaufgaben erstellen mit dem Formel-Applet 215<br />

Rudolf Großmann, Stein<br />

<strong>Mathematik</strong> in Notebook-Klassen der 7. <strong>und</strong> 8. Jahrgangsstufe 218<br />

Claudia Hagan, Veitshöchhe<strong>im</strong><br />

DGS <strong>und</strong> Kommunikation 225<br />

Reinhard Oldenburg, Göttingen<br />

Didaktische Konzepte von e-Learning-Plattformen 227<br />

Christina Völkl, Würzburg<br />

� Anhang<br />

Tagungsprogramm 230<br />

Teilnehmerinnen- <strong>und</strong> Teilnehmerliste 232<br />

Titelgrafik: Rolf Sommer, Halle a.d. Saale, aus Abbildungen <strong>im</strong> Tagungsband mit Microsoft Office


� <strong>Lehren</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>und</strong> mit dem <strong>Internet</strong><br />

–– neue Möglichkeiten für den Unterricht?<br />

Peter Bender, Paderborn<br />

Wilfried Herget, Halle a.d. Saale<br />

Hans-Georg Weigand, Würzburg<br />

Thomas Weth, Nürnberg<br />

Die 21. Herbsttagung unseres Arbeitskreises<br />

"<strong>Mathematik</strong>unterricht <strong>und</strong> Informatik" in der<br />

Gesellschaft für Didaktik der <strong>Mathematik</strong><br />

(GDM) vom 26. bis 28. September 2003<br />

stand unter dem Thema "<strong>WWW</strong> <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong><br />

–– <strong>Lehren</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>Internet</strong>".<br />

<strong>WWW</strong> <strong>und</strong> <strong>Internet</strong> –– (fast) jede Schule ist<br />

heute am Netz, fast alle Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schüler sind "drin" (<strong>und</strong> mittlerweile auch die<br />

meisten Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer). Virtuelles<br />

<strong>Lernen</strong>, E-Learning, Teletutoring –– das sind<br />

Schlagworte, die bereits <strong>im</strong> vergangenen<br />

Jahr unsere Jahrestagung mit prägten: Neben<br />

den vielen "Selbstlernprogrammen" <strong>im</strong><br />

"Edutainment-Nachmittagsmarkt" für die<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler gibt es in jüngster<br />

Zeit zunehmend interaktive <strong>WWW</strong>-Angebote,<br />

umfangreiche mult<strong>im</strong>ediale Datenbanken,<br />

zahllose Austauschforen usw.<br />

Sind wir auf dem Weg zum "virtuellen Klassenz<strong>im</strong>mer"?<br />

Wird das Schulbuch durch CD-<br />

ROM <strong>und</strong> <strong>Internet</strong> abgelöst? Wie wird die<br />

Entwicklung mittel- <strong>und</strong> langfristig weitergehen?<br />

–– Fragen, denen sich unser Arbeitskreis<br />

schon in den letzten Jahren verstärkt<br />

widmete. In diesem Jahr ging es unter dem<br />

oben genannten Rahmenthema insbesondere<br />

um folgende Fragen zu den Möglichkeiten,<br />

Grenzen <strong>und</strong> Risiken von <strong>WWW</strong> <strong>und</strong> <strong>Internet</strong><br />

<strong>im</strong> <strong>und</strong> für den <strong>Mathematik</strong>unterricht:<br />

• Welche Erfahrungsberichte gibt es über<br />

die Nutzung von <strong>WWW</strong> <strong>und</strong> <strong>Internet</strong> <strong>im</strong><br />

Rahmen des allgemein bildenden <strong>Mathematik</strong>unterrichts?<br />

• Welche Erfahrungsberichte gibt es dabei<br />

insbesondere über die Wirkung <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf das <strong>Lehren</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>?<br />

• Lassen sich Unterschiede hinsichtlich<br />

Nutzung <strong>und</strong> Erfolg zwischen Jungen <strong>und</strong><br />

Mädchen feststellen?<br />

• Wie können die Inhalte so aufbereitet <strong>und</strong><br />

dargestellt werden, dass die neuen Möglichkeiten<br />

auch wirklich genutzt werden?<br />

• Was müssen Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler<br />

(sowie Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer) an neuen<br />

Fertigkeiten <strong>und</strong> Fähigkeiten erwerben,<br />

um die neuen Möglichkeiten gewinnbringend<br />

nutzen zu können?<br />

• Wie ist gerade angesichts der TIMSS<strong>und</strong><br />

PISA-Diskussion die Rolle dieser<br />

neuen Möglichkeiten einzuschätzen ––<br />

insbesondere, wenn es weniger um das<br />

Üben schlichter Fertigkeiten geht, sondern<br />

um das nachhaltige Erwerben mathematischen<br />

Gr<strong>und</strong>verständnisses?<br />

• Welche aktuellen Entwicklungen hin zu<br />

"intelligenten" Angeboten <strong>und</strong> hin zu einer<br />

"intelligenten" Nutzung dieser Angebote<br />

gibt es?<br />

Kurzum: Welche Möglichkeiten <strong>und</strong> Chancen,<br />

aber auch Probleme <strong>und</strong> Schwierigkeiten<br />

für das <strong>Lehren</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> von <strong>Mathematik</strong><br />

bringen <strong>WWW</strong> <strong>und</strong> <strong>Internet</strong> mit sich?<br />

Es ging also einerseits um einen Überblick<br />

über Erfahrungen <strong>und</strong> aktuelle Entwicklungen<br />

in diesem Bereich. Zum anderen wurde<br />

herausgestellt, dass die <strong>Lehren</strong>den an den<br />

Schulen <strong>und</strong> Universitäten als Didaktik-<br />

Expertinnen <strong>und</strong> -Experten gefordert sind,<br />

kritisch <strong>und</strong> konstruktiv zu diesen Entwicklungen<br />

Stellung zu beziehen, Wünsche <strong>und</strong><br />

Anforderungen zu formulieren <strong>und</strong> didaktisch-methodische<br />

Konzepte zu entwickeln.<br />

Hauptvorträge<br />

Die Tagungsstruktur folgte dem bewährten<br />

Vorbild des Vorjahres: Die Hauptvorträge<br />

standen nicht alle am Anfang der Tagung,<br />

sondern waren über die drei Tage verteilt.<br />

Wie zu erwarten beleuchteten sie das Thema<br />

aus durchaus unterschiedlichen Blickwinkeln:<br />

Den Beginn machte T<strong>im</strong>o Leuders vom nordrhein-westfälischen<br />

Landesinstitut in Soest.<br />

Er zeigte auf, dass <strong>und</strong> wie sich die technische<br />

Entwicklung des Mediums <strong>Internet</strong> zur-<br />

5


Peter Bender, Wilfried Herget, Hans-Georg Weigand & Thomas Weth<br />

zeit vor allem auszeichnet durch eine zunehmende<br />

Integration von Einzelmedien,<br />

durch eine Flexibilisierung von Nutzungssituationen<br />

<strong>und</strong> einer weiter anhaltende Expansion.<br />

Der Vortrag widmete sich dem <strong>Lernen</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> von <strong>Mathematik</strong> mit dem <strong>Internet</strong><br />

–– zwischen instruktivistischem <strong>und</strong><br />

konstruktivistischem Paradigma: In wie weit<br />

werden die Möglichkeiten des Mediums <strong>Internet</strong><br />

<strong>im</strong> didaktischen Kontext des <strong>Mathematik</strong>unterrichts<br />

heute schon genutzt? Welche<br />

Ansätze gibt es, bei denen sich für das <strong>Mathematik</strong>lehren<br />

<strong>und</strong> -lernen ein echter Mehrwert<br />

abzeichnet? Und wo drohen Abgründe<br />

einer trivialisierenden Nutzung?<br />

Für den zweiten Hauptvortrag konnte Cornelia<br />

Niederdrenk-Felgner gewonnen werden,<br />

Professorin an der Fachhochschule Nürtingen,<br />

erfahrene <strong>Mathematik</strong>didaktikerin, ausgewiesen<br />

nicht zuletzt sowohl in den Bereichen<br />

Computer <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht als<br />

auch bezüglich des wichtigen Spannungsfeldes<br />

Mädchen <strong>und</strong> Jungen <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht.<br />

Ihr Vortragstitel "Jungen, Mädchen,<br />

Mathe <strong>und</strong> Computer" spiegelte eben dieses<br />

vielschichtige Forschungs- <strong>und</strong> Entwicklungsthema<br />

wider. Sie gab einerseits einen<br />

kurzen Überblick über den gegenwärtigen<br />

Stand der Genderforschung <strong>im</strong> Hinblick auf<br />

den <strong>Mathematik</strong>unterricht <strong>und</strong> den Einsatz<br />

des Computers. Die Zusammenstellung von<br />

Ergebnissen aus unterschiedlichen Studien<br />

zum Thema wurde ergänzt durch konkrete<br />

Vorschläge für den Unterricht, die zur Diskussion<br />

anregen sollen.<br />

"<strong>Mathematik</strong>unterricht <strong>und</strong> Neue Medien" ––<br />

das war das recht umfassend formulierte<br />

Thema des dritten Hauptvortrags. Thomas<br />

Weth von der Universität Erlangen-Nürnberg<br />

gab einen sehr detaillierten Ein- <strong>und</strong> Überblick<br />

zu dem Projekt "Dezentrale internetgestützte<br />

Lehr-Lern-Umgebung für das Lehramtsstudium<br />

<strong>Mathematik</strong>". Dieses aufwändige,<br />

vom B<strong>und</strong>esministerium für Bildung <strong>und</strong><br />

Forschung über drei Jahre geförderte Projekt<br />

stand zum Zeitpunkt der Tagung kurz vor<br />

seinem Abschluss. Im Vortrag wurden die<br />

von den Lehrstühlen für Didaktik der <strong>Mathematik</strong><br />

der Universitäten Braunschweig, Nürnberg-Erlangen,<br />

Münster <strong>und</strong> Würzburg gemeinschaftlich<br />

realisierten Konzepte erläutert,<br />

Einsatzmöglichkeiten dargestellt <strong>und</strong><br />

über erste Erfahrungen <strong>und</strong> Evaluationen<br />

be<strong>im</strong> Einsatz <strong>im</strong> Vorlesungs- <strong>und</strong> Übungsbetrieb<br />

berichtet.<br />

6<br />

Sektionsvorträge<br />

<strong>und</strong> Arbeitsgruppen<br />

Diese Auseinandersetzung mit dem aspektreichen<br />

Tagungsthema wurde in den diesmal<br />

insgesamt 22 Sektionsvorträgen <strong>und</strong> fünf Arbeitsgruppen<br />

–– wie aus den Vorjahren vertraut<br />

–– lebhaft <strong>und</strong> kritisch-konstruktiv vertieft.<br />

Die Vorträge <strong>und</strong> Berichte finden sich,<br />

durchweg in der Zwischenzeit noch aktualisiert<br />

<strong>und</strong> ergänzt, alle in dem vorliegenden<br />

Tagungsband.<br />

Mädchen <strong>und</strong> Computer<br />

Parallel zur Tagung unseres Arbeitskreises<br />

"<strong>Mathematik</strong>unterricht <strong>und</strong> Informatik" fand in<br />

Kooperation die Arbeitstagung des GDM-Arbeitskreises<br />

"Frauen <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong>" mit<br />

der Generalüberschrift "Mädchen <strong>und</strong> Computer"<br />

statt. Diese Zusammenarbeit, angesichts<br />

der Themen der beiden Tagungen naheliegend,<br />

hat sich bewährt –– viele der Teilnehmenden<br />

begrüßten die besondere Gelegenheit,<br />

auch einmal Angebote der jeweils<br />

anderen Tagung nutzen zu können.<br />

Dank<br />

Tagungsort war wie zwei Jahre zuvor die<br />

bayerische Akademie für Lehrerfortbildung<br />

<strong>und</strong> Personalführung in Dillingen a.d. Donau<br />

(http://afl.dillingen.de/), die als ehemaliges<br />

Kloster <strong>im</strong>mer noch einen Hauch des klerikalen<br />

Feudalismus ausstrahlt <strong>und</strong> die in Wohn-,<br />

Essens- <strong>und</strong> Tagungskomfort –– für unsere<br />

Zwecke –– wohl alle Wünsche erfüllte.<br />

Unser Dank gilt schließlich wieder Herrn Dr.<br />

Rolf Sommer, Universität Halle-Wittenberg,<br />

für die Gestaltung der Titelseite.<br />

Dezember 2004 Peter Bender<br />

Wilfried Herget<br />

Hans-Georg Weigand<br />

Thomas Weth


� <strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong><br />

zwischen instruktivistischem <strong>und</strong> konstruktivistischem<br />

Paradigma<br />

T<strong>im</strong>o Leuders, Soest<br />

Die Entwicklung des Mediums <strong>Internet</strong> ist zurzeit best<strong>im</strong>mt durch eine fortschreitende<br />

Expansion der verfügbaren Inhalte, durch die zunehmende Integration von Einzelmedien<br />

(Hypermedia) <strong>und</strong> durch wachsende Möglichkeiten der Interaktivität <strong>und</strong> Kommunikation.<br />

Welche Ansätze gibt es, bei denen sich für das <strong>Mathematik</strong>lehren <strong>und</strong> -lernen ein echter<br />

Mehrwert abzeichnet, <strong>und</strong> wo drohen Abgründe einer trivialisierenden Nutzung? Was<br />

versteht man unter einer (internetgestützten) Lernumgebung, <strong>und</strong> auf welche Qualitätskriterien<br />

kann man sich bei der Konstruktion <strong>und</strong> Analyse von Lernumgebungen stützen?<br />

Technische Entwicklungstendenzen<br />

<strong>—</strong> didaktische Konsequenzen?<br />

Vorweg seien einige Erwägungen<br />

zu den technischen<br />

Rahmenbedingungen der<br />

schulischen Arbeit mit dem<br />

<strong>Internet</strong> formuliert. Auch<br />

wenn die konkreten Zahlen<br />

in diesem Bereich die Tendenz<br />

haben, schnell zu<br />

veralten, so werden die hier<br />

dargestellten generellen Betrachtungen<br />

sicherlich das<br />

nächste Jahrzehnt überdauern.<br />

Im Rahmen des volkswirtschaftlichen<br />

Vier-Sektor-<br />

Modells (Landwirtschafts-,<br />

Produktions-, Dienstleistungs-<br />

<strong>und</strong> Informationssektor) wird unserer<br />

Gesellschaft eine weitgehende Transformation<br />

zur Informationsgesellschaft prognostiziert:<br />

Bis 2010, so die typischen Prognosen,<br />

wird 60% der gesamten Erwerbstätigkeit <strong>im</strong><br />

"Informationssektor" lokalisiert sein. Eine<br />

präzise, dauerhafte Abgrenzung eines solchen<br />

Informationssektors etwa vom Dienstleistungssektor<br />

ist allerdings problematisch<br />

(Kubicek 1988, Kap. 22) <strong>und</strong> damit auch jegliche<br />

Trendaussage, die sich eines solchen<br />

fluktuierenden Begriffes bedient. Als ein Indikator<br />

<strong>und</strong> zugleich Träger der Entwicklungen<br />

<strong>im</strong> "Informationssektor" wird oft das unvermindert<br />

expandierende <strong>Internet</strong> herangezogen.<br />

In Deutschland hat bereits ca. 40% der<br />

Bevölkerung einen Onlinezugang (in den<br />

Haushalten der zur Zeit Schulpflichtigen ist<br />

mit einem höheren Prozentsatz zu rechnen),<br />

in anderen europäischen Flächenländern wie<br />

Skandinavien oder den Niederlanden beträgt<br />

dieser Anteil bereits 60% <strong>und</strong> mehr (NUA<br />

2003).<br />

Abb. 1a: Bevölkerungsanteil der Onlinenutzer<br />

Schweden September 2002 67.8<br />

Dänemark Juli 2002 62.7<br />

Niederlande September 2002 60.8<br />

Norwegen Juli 2002 59.2<br />

Großbritannien September 2002 57.2<br />

Schweiz Juni 2002 52.7<br />

Finnland Mai 2002 51.9<br />

Portugal Juni 2002 43.6<br />

Deutschland August 2002 38.9<br />

Italien August 2001 33.4<br />

Frankreich Mai 2002 28.4<br />

Spanien Mai 2002 19.7<br />

Abb. 1b: Onlinenutzer <strong>im</strong> europäischen Vergleich;<br />

Zugang in den letzten 3 Monaten (NUA 2003)<br />

7


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

Die technischen Voraussetzungen des Online-Zugangs<br />

haben sich offensichtlich so<br />

weit entwickelt, dass wir den notwendigen<br />

Rahmenbedingungen einer breiten schulischen<br />

Nutzung des Mediums <strong>Internet</strong> ein<br />

wesentliches Stück näher gerückt sind. Um<br />

aber nicht einer bildungspolitischen Philosophie,<br />

die sich am technisch Machbaren orientiert,<br />

zu erliegen, sind aber ebenso die hinreichenden<br />

Bedingungen zu prüfen, also die<br />

bildungstheoretischen, mediendidaktischen<br />

<strong>und</strong> fachbezogenen Argumente (vgl. z.B. von<br />

Hentig 2002, Stoll 2001, Döring 1997, Schumann<br />

2003).<br />

De facto ist die Förderung der <strong>Internet</strong>nutzung<br />

in der Schule bereits zu einem bedeutenden<br />

bildungspolitischen Topos geworden.<br />

Die Realität in der Schule vermittelt dabei<br />

zurzeit etwa das folgende Bild: Auch wenn in<br />

Deutschland ca. 95% aller Schulen am Netz<br />

sind <strong>und</strong> 80% aller Schüler prinzipiell schulischen<br />

Netzzugang haben, stehen an den<br />

Sek<strong>und</strong>arschulen <strong>im</strong> Schnitt nur ca. 16 Computer<br />

mit <strong>Internet</strong>zugang zur Verfügung<br />

(BMBF 2002). Mit einem Zugangsverhältnis<br />

von 40 Schülern pro <strong>Internet</strong>computer liegen<br />

deutsche Schulen <strong>im</strong> europäischen Vergleich<br />

weit hinten (in Skandinavien beträgt die Quote<br />

5:1 bis 10:1) (Kommission der Europäischen<br />

Gemeinschaften 2001). Das bedeutet<br />

rein rechnerisch, dass selbst bei einer fiktiven<br />

Zahl von 40 Schulst<strong>und</strong>en pro Woche<br />

(einschließlich Nachmittagszugang) jeder<br />

Schüler nur höchstens eine St<strong>und</strong>e am schulischen<br />

<strong>Internet</strong>-PC zur Verfügung hat.<br />

Aus Lehrersicht ergibt sich folgendes Bild:<br />

"Weniger als vier von zehn Lehrern in Europa<br />

nutzen das <strong>Internet</strong> <strong>im</strong> Unterricht. Als Hauptgr<strong>und</strong><br />

hierfür wird die unzureichende Ausstattung<br />

angeführt. Nur jeder fünfte Lehrer<br />

hält das <strong>Internet</strong> für den Unterricht für irrelevant,<br />

<strong>und</strong> weniger als jeder zehnte führt<br />

mangelnde Vertrautheit als Gr<strong>und</strong> an. [...]<br />

neun von zehn Lehrern [sind] davon überzeugt,<br />

dass sich die Art ihres Unterrichts<br />

durch das <strong>Internet</strong> bereits geändert hat oder<br />

dass dies früher oder später geschehen wird.<br />

Dies deutet darauf hin, dass die große Mehrheit<br />

der europäischen Lehrer neuen Technologien<br />

<strong>und</strong> den damit einhergehenden Veränderungen<br />

offen gegenübersteht." (ebd.)<br />

Die Verfügbarkeitsbedingungen des <strong>Internet</strong>s<br />

an Schulen sind wesentlich auf bildungs- <strong>und</strong><br />

finanzpolitische Einflussfaktoren zurückzuführen.<br />

Das Medium wird noch wesentlich als<br />

Ergänzung zum traditionellen Medienkanon<br />

gesehen. Zukünftig ist aber durchaus zu erwarten,<br />

dass das <strong>Internet</strong> als Instrument von<br />

(Finanz-) Reformen <strong>im</strong> Bildungsbereich<br />

8<br />

wahrgenommen wird. Das betrifft u.a. die<br />

Produktion von Schulbüchern <strong>und</strong> anderen<br />

Lehrmaterialien, aber auch die Kosten für<br />

pädagogisches Personal. Das Argument der<br />

Kostenreduktion erscheint hier aber sowohl<br />

ökonomisch kurzsichtig als auch mit dem Erziehungsauftrag<br />

von Schule unvereinbar:<br />

Hochwertige Lehrmittel <strong>und</strong> gute Lehrer lassen<br />

sich auch langfristig nicht wegrationalisieren.<br />

Gute Gründe für dieses Postulat lassen<br />

sich aus einer bildungs- <strong>und</strong> lehr/lerntheoretischen<br />

Perspektive gewinnen. Sie finden<br />

sich <strong>im</strong> folgenden Abschnitt.<br />

Weitere schulbezogene, technische Entwicklungstendenzen<br />

des <strong>Internet</strong>s können hier<br />

nur angerissen werden:<br />

• Die didaktifizierten <strong>und</strong> nicht-didaktifizierten<br />

fachbezogenen Angebote nehmen in<br />

ihrer Vielfalt weiterhin zu. Dabei kommen<br />

auch <strong>im</strong>mer wieder qualitativ hochwertige<br />

Angebote hinzu. Insbesondere wächst<br />

das Angebot unterrichtlich bedeutsamer<br />

<strong>und</strong> praktisch nutzbarer Real-World-<br />

Probleme <strong>und</strong> Daten (z.B. Statistisches<br />

B<strong>und</strong>esamt: www.destatis.de, Weltbevölkerungsuhr:<br />

www.dsw-online.de).<br />

• Der Aspekt der Nutzerfre<strong>und</strong>lichkeit (z.B.<br />

mult<strong>im</strong>ediale Aufbereitung, intuitive Bedienung,<br />

Autorentools für das World Wide<br />

Publishing) wird zu einem <strong>im</strong>mer wichtigeren<br />

Qualitätskriterium bei neuen Angeboten.<br />

• Die Grenzen zwischen online- <strong>und</strong> offline-<br />

Software verwischen. Systeme werden<br />

serverseitig angeboten (z.B. Server-CAS)<br />

oder laufen clientseitig innerhalb des <strong>Internet</strong>browers<br />

(z.B. java-basierte DGS).<br />

Dadurch werden sie insbesondere plattformunabhängig.<br />

Ein Indikator hierfür ist,<br />

dass sich die didaktische Softwareprüfung,<br />

die sich bislang mit Produkten auf<br />

CD beschäftigte, auch auf das <strong>Internet</strong><br />

ausweitet.<br />

• Die Möglichkeiten der Interaktionen eines<br />

Nutzers mit einer Software oder von Nutzern<br />

untereinander via Software werden<br />

stetig vielfältiger. Die Zeiten der Beschränkung<br />

des <strong>WWW</strong> auf das Abrufen<br />

von Hypertextdokumenten sind lange vorbei.<br />

Vielfältige Instrumente der Kooperation<br />

<strong>und</strong> Kommunikation zwischen Nutzern<br />

(CSCW = Computer Supported Cooperative<br />

Work) sind bereits in der beruflichen<br />

Praxis mancher Bereiche Standard. Sie<br />

führen traditionelle <strong>Internet</strong>dienste wie E-<br />

Mail, Newsgroups <strong>und</strong> Foren weiter.<br />

Bei der Nutzung der hier angeschnittenen<br />

Technologien <strong>im</strong> schulischen Kontext macht


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

sich allerdings eine problematische Gr<strong>und</strong>tendenz<br />

bemerkbar: Technologische Fortschritte<br />

gehen ihrer Nutzung <strong>im</strong> Bildungssektor<br />

zeitlich um einige Monate bis Jahre voraus.<br />

So ist es <strong>im</strong> schulbezogenen Anwendungskontext<br />

eher die Regel, dass neue<br />

Systeme das Ergebnis einer Anpassung existierender<br />

Technologien auf ein pädagogisches<br />

Anwendungsfeld sind <strong>und</strong> nicht etwa<br />

genuin aus didaktischen Überlegungen dieses<br />

Feldes heraus entwickelt wurden. Auch<br />

stammen die Protagonisten solcher neuer<br />

Technologien aus einem technologischen<br />

oder ökonomischen Umfeld. Deshalb findet<br />

man unter Neuentwicklungen computergestützten<br />

<strong>Lernen</strong>s manches Mal die Aufbereitung<br />

traditioneller Materialien <strong>und</strong> Rückgriffe<br />

auf überholte instruktionalistische Konzepte,<br />

die der Frühzeit der Lehr-Lernsysteme entstammen.<br />

Daher fordern viele Experten für<br />

die Entwicklung von Systemen des computerunterstützten<br />

<strong>Lernen</strong>s eine explizite Reflexion<br />

der zu Gr<strong>und</strong>e liegenden lerntheoretischen<br />

Annahmen (Mandl, Prenzel & Reinmann-Rothmeier<br />

1995, Kl<strong>im</strong>sa 2002, Schulmeister<br />

2002, 2003). Dieser Text möchte zu<br />

dieser Diskussion einen Beitrag aus der Perspektive<br />

des <strong>Mathematik</strong>unterrichts leisten.<br />

<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> in internetbasiertenLernumgebungen<br />

<strong>—</strong> Kriterien <strong>und</strong> Beispiele<br />

Was ist überhaupt eine "Lernumgebung"?<br />

Wie sollte eine solche Lernumgebung aussehen,<br />

sofern sie computergestützt (bzw. internetbasiert)<br />

realisiert wird? Welche Rolle<br />

kann die Orientierung an einem so genannten<br />

konstruktivistischen Paradigma spie-<br />

Abb. 2: Lernumgebung: real <strong>und</strong> virtuell<br />

len? Diese Fragen sollen in diesem Abschnitt<br />

aufgegriffen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Detail beleuchtet werden.<br />

Zum Begriff der "Lernumgebung" sei ein relativierender<br />

Kommentar vorweggeschickt:<br />

Über den Umfang <strong>und</strong> Gehalt dieses Begriffes<br />

besteht in der vielgestaltigen Literatur, die<br />

sich auf ihn beruft, kaum ein Konsens. Man<br />

vergleiche einmal die vielen Bedeutungsebenen,<br />

die der Begriff bei den verschiedenen<br />

Autoren in (Kl<strong>im</strong>sa & Issing 2002) durchläuft.<br />

Diese Beobachtung verw<strong>und</strong>ert nicht: <strong>Lernen</strong><br />

findet <strong>im</strong>mer in einer Lernumgebung statt.<br />

Auch ein Arrangement aus Tisch, Stuhl,<br />

Buch, Stift <strong>und</strong> Papier <strong>und</strong> ggf. Mitlernenden<br />

ist eine Lernumgebung <strong>und</strong> kann je nach methodischer<br />

Gestaltung des Lernprozesses<br />

mehr oder weniger konstruktivistisch sein.<br />

Oft wird der Begriff der Lernumgebung heutzutage<br />

<strong>im</strong> Zusammenhang mit der Verwendung<br />

elektronischer Medien verwendet. Dadurch<br />

wird die Lernumgebung zu einer "computerbasierten",<br />

"computergestützten" oder<br />

gar zur "virtuellen" Lernumgebung.<br />

In seiner weiten Bedeutung meint der Begriff<br />

"Lernumgebung" also etwa dasselbe wie<br />

"Lernarrangement" oder "Lernumwelt", <strong>—</strong> je<br />

nachdem, wie sehr man die bewusste, didaktische<br />

Gestaltung in den Vordergr<strong>und</strong> rücken<br />

möchte. Unter Lernumgebung <strong>im</strong> weiten<br />

Sinne möchte ich daher den gesamten, für<br />

den spezifischen schulischen Lernprozess<br />

bewusst arrangierten Weltausschnitt verstehen.<br />

Dieser umfasst das inhaltliche, kommunikative<br />

<strong>und</strong> mediale Arrangement, also<br />

nach etwas angestaubter, traditioneller Terminologie:<br />

die Lernaufgaben, die Sozialformen<br />

<strong>und</strong> die Lernmittel (Werkzeuge <strong>und</strong> Medien).<br />

Eine Lernumgebungen kann virtuelle Komponenten<br />

enthalten. Damit meint man ge-<br />

9


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

wöhnlich solche, die sich auf elektronische<br />

Medien stützen. Die Virtualität manifestiert<br />

sich darin, dass die Objekte dieser (Teil)Welt<br />

die besonderen Eigenheiten des digitalen<br />

Mediums tragen, wie etwa die Projektion eines<br />

digitalen Quaders auf einen Computerbildschirm<br />

oder die eines vielfach verlinkten<br />

Hypertextes. Mit einer solchen Lernumgebung<br />

<strong>im</strong> engeren Sinne ist also meist der<br />

auf elektronische Medien gestützte Teil<br />

der gesamten Lernumgebung gemeint. Insgesamt<br />

ergibt sich also das in Abb. 2 dargestellte<br />

Bild vom Lernumgebungsbegriff. Dabei<br />

möchte ich ausdrücklich davor warnen,<br />

bei einem <strong>Lernen</strong> mit virtuellen Umgebungen<br />

von "virtuellem <strong>Lernen</strong>" zu sprechen. <strong>Lernen</strong><br />

ist nämlich nie virtuell, sondern findet, ob mit<br />

oder ohne Computer, <strong>im</strong>mer nur real statt.<br />

Mit dem Attribut "virtuell" wird eher auf ein<br />

spezifisches Defizit verwiesen, nämlich auf<br />

das physische Fehlen realer Ansprechpartner<br />

(Mitlerner oder Tutoren) oder haptisch<br />

manipulierbarer Objekte.<br />

In Mode kam der Begriff der Lernumgebung<br />

vor allem seit den frühen neunziger Jahren<br />

<strong>im</strong> Bereich mediengestützten <strong>Lernen</strong>s. Dort<br />

entsponn sich eine Auseinandersetzung zwischen<br />

verschiedenen Schulen (vgl. Schulmeister<br />

2002, 166ff, Kerres 2001, 55ff). Im<br />

Gegensatz zu bis dahin dominierenden so<br />

genannten instruktionistischen Ansätzen<br />

entwickelte sich in der Mediendidaktik eine<br />

Strömung, die die Rolle der Lerneraktivität<br />

betonte. Zuvor hatte man die lerntheoretisch<br />

extrem s<strong>im</strong>plifizierende Philosophie der programmierten<br />

Unterweisung überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

sich zu differenzierteren kognitivistischen<br />

Ansätzen weiterentwickelt, die sich in so genannten<br />

intelligenten tutoriellen Systemen<br />

(ITS) manifestierten. Gr<strong>und</strong>prinzip solcher<br />

Lehrsysteme war aber <strong>im</strong>mer noch die Auffassung,<br />

ein computergestütztes System<br />

könne durch Diagnose des <strong>Lernen</strong>den ein<br />

hinreichend mächtiges Lernermodell entwickeln<br />

<strong>und</strong> auf dieser Gr<strong>und</strong>lage effiziente Instruktionsprozesse<br />

organisieren.<br />

Im Rahmen einer hier entstehenden Neuorientierung<br />

in der Entwicklung <strong>und</strong> Erforschung<br />

mediengestützten <strong>Lernen</strong>s gewann<br />

der Begriff der Lernumgebung eine wesentliche<br />

Bedeutungsd<strong>im</strong>ension: In dem Maße, in<br />

dem die Aktivitäten des <strong>Lernen</strong>den in den<br />

Vordergr<strong>und</strong> gestellt werden, wird ein computergestütztes<br />

Lernsystem zu einer Lernumgebung,<br />

in der sich der <strong>Lernen</strong>de nach<br />

seinen Bedürfnissen bewegt <strong>und</strong> in der er<br />

seinen Lernprozess selbst kontrolliert <strong>und</strong><br />

nicht durch das System kontrolliert wird.<br />

10<br />

Eine erkenntnis- wie lerntheoretische Verankerung<br />

findet diese Auffassung vom <strong>Lernen</strong>,<br />

die sich nicht allein auf das mediengestützte<br />

<strong>Lernen</strong> bezieht, <strong>im</strong> (pädagogischen) Konstruktivismus,<br />

dessen breite Diskussion <strong>im</strong><br />

allgemeinen pädagogischen Feld ungefähr<br />

zur selben Zeit einsetzte (Gerstenmeier &<br />

Mandl 1995). Seit dieser Zeit berufen sich<br />

viele theoretische Modelle <strong>und</strong> praktische<br />

Umsetzungen auf eine konstruktivistische<br />

Position, <strong>und</strong> auch die hierbei entworfenen<br />

Lernumgebungen werden als konstruktivistisch<br />

bezeichnet, <strong>—</strong> mit durchaus unterschiedlicher<br />

Berechtigung, wie das folgende<br />

Beispiel zeigt:<br />

Zwar ist die Software "Kreuzritter"<br />

nicht netzwerkfähig, jedoch spricht<br />

nichts gegen die Lösung der Rätsel in<br />

Gruppenarbeit vor dem Monitor, das<br />

dem Anspruch nach <strong>Lernen</strong> in einem<br />

sozialen Kontext gerecht wird. (Aus einer<br />

Rezension der S<strong>im</strong>ulationssoftware<br />

"Kreuzritter" www.lpm.uni-sb.de/<br />

neuemedien/analyze/kreuzz.html)<br />

Was also macht eine konstruktivistische<br />

Lernumgebung aus? Gibt es hierfür eindeutige<br />

Kriterien? Zu keiner Zeit hat es so etwas<br />

wie eine geschlossene, konstruktivistische<br />

Position oder Theorie gegeben, <strong>—</strong> weder in<br />

der Mediendidaktik noch in der Pädagogik.<br />

Vielmehr gibt es Hauptströmungen konstruktivistischen<br />

"Gedankengutes" (ich wähle hier<br />

bewusst nicht den Terminus "Theorie"), die<br />

unterschiedlichen Quellen entspringen <strong>und</strong><br />

sich gegenseitig beeinflussen. Auch der vorliegende<br />

Text schöpft aus dieser Orientierungsvielfalt<br />

<strong>und</strong> bezieht sich je nach Argumentationszusammenhang<br />

auf:<br />

• eine radikal-konstruktivistische Anthropologie,<br />

die sich an vielen Stellen durch aktuelle<br />

neurobiologische Erkenntnisse unterstützt<br />

sieht. Diese Sichtweise liegt vor<br />

allem Abschnitt (1) ("konstruktivistisches<br />

Menschenbild") zugr<strong>und</strong>e.<br />

• eine "gemäßigt" oder "pragmatisch" genannte<br />

konstruktivistische Position, bei<br />

der konstruktivistische Aspekte hinsichtlich<br />

der Analyse <strong>und</strong> Synthese von Lernarrangements<br />

berücksichtigt werden.<br />

Hierzu gehören vor allem Ansätze, die Instruktions-<br />

<strong>und</strong> Konstruktionsaspekte zu<br />

Formen des so genannten instructional<br />

design verbinden <strong>und</strong> dabei Kriterien für<br />

Lernumgebungen herausarbeiten, wie sie<br />

auch in Abschnitt (3) ("konstruktivistische<br />

Lernumgebungen") aufgenommen werden<br />

sollen. Solche Kriterien sind Gegenstand<br />

empirisch-psychologischer Untersuchungen<br />

(Gerstenmeier & Mandl 1995).


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

(1) konstruktivistisches Menschenbild<br />

selbstreferentiell, selbststabilisierend, selbstverantwortlich, nicht-trivial<br />

� (2) konstruktivistisches <strong>Lernen</strong><br />

aktiv-konstruierend, situiert, individuell, sozial, ganzheitlich<br />

� (3) konstruktivistische Lernumgebung<br />

Situiertheit, multiple & soziale Kontexte, Selbststeuerung, Metakognition<br />

� (4) konstruktivistische internetgestützte Lernumgebung<br />

offen, authentisch, interaktiv, adaptiv, kommunikativ<br />

• konstruktivistische Aspekte einer mathematischen<br />

Epistemologie. Differenzierte<br />

Einblicke in die (insbesondere auch soziale)<br />

Generierung mathematischer Erkenntnisse<br />

geben Anregungen für Gestaltung<br />

auch schulischer Lernprozesse.<br />

Aus diesem argumentativen Kontext lassen<br />

sich st<strong>im</strong>mige Kriterien dafür gewinnen, welche<br />

Charakteristika eine Lernumgebung zu<br />

einer konstruktivistischen machen. Dabei<br />

<strong>im</strong>pliziert eine "konstruktivistische Bauart" jedoch<br />

keineswegs deren Zweckmäßigkeit<br />

oder Effizienz. Empirische Resultate haben<br />

hier typischerweise den Charakter, dass die<br />

Wirksamkeit eines Merkmals (etwa die Hypertextstruktur<br />

oder die mult<strong>im</strong>ediale Gestalt<br />

einer Lernumgebung) stark abhängt vom Einsatzgebiet<br />

(stark strukturiert oder offen) oder<br />

von den Bedingungen des <strong>Lernen</strong>den (Novize<br />

oder Experte).<br />

Wenn also <strong>im</strong> Folgenden Kriterien für konstruktivistische<br />

Lernumgebungen systematisch<br />

dargestellt werden, so soll dies eher der<br />

Begriffsklärung denn der normativen Standardsetzung<br />

dienen. Insbesondere soll mit<br />

Blick auf das konkrete Fach <strong>Mathematik</strong> <strong>im</strong>mer<br />

wieder angedeutet werden, in wie fern<br />

typisch konstruktivistische Argumentationslinien<br />

hier mit wohl bekannten didaktischen<br />

Forderungen <strong>und</strong> bewährten didaktischen<br />

Prinzipien zusammenfallen. Der Konstruktivismus<br />

kann hier keineswegs die Deutungshegemonie<br />

beanspruchen.<br />

Die konstruktivistische Perspektive geht, wie<br />

bereits angedeutet, über einfache Aussagen<br />

zur Qualität des <strong>Lernen</strong>s hinaus: sie ist verb<strong>und</strong>en<br />

mit einem umfassenden Menschenbild.<br />

Auf dieser Ebene gilt es anzusetzen:<br />

Abbildung 3 stellt die unterschiedlichen Ebenen<br />

dar, auf der Kriterien für eine konstruktivistische<br />

Gestaltung von Lernprozessen mit<br />

Abb. 3: Ebenen der konstruktivistischen Kriterien<br />

Medien ansetzen können. Die Pfeile zwischen<br />

diesen Ebenen repräsentieren keine<br />

Deduktionskette, die unteren Ebenen folgen<br />

nicht sachlogisch aus den umfassenden.<br />

Vielmehr wird in jedem dieser Schritte argumentativ<br />

etwas hinzugefügt, die Divergenz<br />

<strong>und</strong> Komplexität wird erhöht. Auch ist jede<br />

Ebene durchaus auch aus anderen Zusammenhängen<br />

begründbar. Das konstruktivistische<br />

Bild vom <strong>Lernen</strong> (Ebene 2) ist mit einem<br />

konstruktivistischen Menschenbild (Ebene<br />

1) konsistent, lässt sich aber ebenfalls<br />

aus schon lange bekannten reformpädagogischen<br />

Postulaten oder aus hochaktuellen<br />

neurobiologischen Tatsachen begründen<br />

(z.B. Spitzer 2000, oder bezogen auf <strong>Mathematik</strong>:<br />

Leuders 2003). Die in der dargestellten<br />

Abfolge ausgedrückte Logik ist vielmehr<br />

die eines Korrektivs. Jede Ebene muss<br />

sich daran messen lassen, in wie fern sie<br />

konsequent die Aussagen des umfassenderen<br />

<strong>und</strong> allgemeineren Modells der vorausgehenden<br />

Ebene berücksichtigt.<br />

Die bewusste Berücksichtigung einer solchen<br />

Begründungsstruktur beugt somit einer gewissen<br />

Willkürlichkeit der Argumentation, wie<br />

man sie oft <strong>im</strong> Bereich des Computereinsatzes<br />

antrifft, vor. Sie kann helfen, konkrete<br />

Lernumgebungen zu bewerten, zu klassifizieren<br />

<strong>und</strong> dabei insbesondere die vielfach anzutreffenden<br />

vollm<strong>und</strong>igen, aber faktisch uneingelösten,<br />

Selbstcharakterisierungen bzw.<br />

Rezensionen von Medienangeboten (s. obiges<br />

Beispiel) aufzudecken.<br />

(1) Konstruktivistisches Menschenbild<br />

Angesichts der vielfältigen Quellen <strong>und</strong> ihrem<br />

hohen Bekanntheitsgrad (Maturana & Varela<br />

1987, Watzlawick 1982, von Glasersfeld<br />

11


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

1992) will ich nur kurz einige gr<strong>und</strong>legende<br />

Aspekte anreißen: Der Mensch lässt sich<br />

auffassen als ein autopoietisches, d.h. strukturell<br />

in sich geschlossenes System (Maturana<br />

& Varela). Er konstruiert seine individuelle<br />

Wirklichkeit in einem aktiven Prozess in einer<br />

strukturellen Kopplung mit seiner Umwelt,<br />

insbesondere auch seiner sozialen Umwelt<br />

(Watzlawick). Dabei werden nicht Informationen<br />

einer äußeren Welt aufgenommen sondern<br />

durch Wahrnehmungen, die Perturbationen<br />

des Systems darstellen, Anpassungsprozesse<br />

ausgelöst (Piaget). Auch Wahrnehmung<br />

ist Konstruktion <strong>und</strong> nicht etwa<br />

Repräsentation objektiv vorliegender Realität.<br />

Wahrnehmung ist durch die interne<br />

Struktur des Individuums best<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> insofern<br />

unbelehrbar. Die Wahrheit von Wirklichkeitskonstruktionen<br />

liegt allein in ihrer Viabilität,<br />

d.h. ihrem (physischen <strong>und</strong> kognitiven)<br />

überlebenssichernden Nutzen. Der Mensch<br />

muss hierbei als eine komplexe, nicht-triviale<br />

Maschine gesehen <strong>und</strong> auch so behandelt<br />

werden (Förster). Dieses konstruktivistische<br />

Menschenbild führt konsequent zum Postulat<br />

der Toleranz gegenüber anderen Wirklichkeiten<br />

sowie zur Übernahme der Verantwortung<br />

des Subjektes für die eigene Wirklichkeit<br />

(von Glasersfeld).<br />

Die <strong>Mathematik</strong> als Wissenschaft tut sich<br />

schwer mit der Epistemologie, die mit einer<br />

konstruktivistischen Sichtweise verb<strong>und</strong>en<br />

ist. Die in der Praxis augenscheinliche Objektivität<br />

mathematischer Wahrheiten ist für das<br />

<strong>Mathematik</strong> treibende Subjekt mit dem Bild<br />

mathematischer Erkenntnis als sozialem<br />

Konstrukt (Lakatos) nur schwer zu vereinbaren.<br />

Die Schulmathematik sollte sich in dieser<br />

Wahrnehmung hier um einiges leichter<br />

tun, insbesondere mit Blick auf die alltäglichen<br />

Erfahrungen mit der individuellen Wissenskonstruktion<br />

<strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer ("Auf<br />

was die Kinder so alles kommen ...").<br />

(2) Konstruktivistische Auffassung(en)<br />

vom <strong>Lernen</strong><br />

Einige zentrale Konsequenzen für eine<br />

Sichtweise vom <strong>Lernen</strong>, die mit einem solchen<br />

konstruktivistischen Menschenbild konform<br />

gehen, sollen <strong>im</strong> Folgenden angeführt<br />

werden. Dabei kommen an dieser Stelle vornehmlich<br />

Aspekte eines "gemäßigten, pädagogischen<br />

Konstruktivismus" zur Sprache.<br />

• <strong>Lernen</strong> ist ein aktiver Prozess der Sinnkonstruktion,<br />

d.h. Wissen kann nicht vermittelt<br />

werden, es muss unter aktiver Anstrengung<br />

vom Individuum geschaffen<br />

<strong>und</strong> erprobt werden.<br />

12<br />

• <strong>Lernen</strong> ist situiert, d.h. der Kontext des<br />

Wissenserwerbs wird mitgelernt, insbesondere<br />

bedeutet dies:<br />

o <strong>Lernen</strong> ist ein Prozess der sozialen<br />

Aushandlung.<br />

o <strong>Lernen</strong> findet in komplexen, ganzheitlichen<br />

Kontexten statt.<br />

• <strong>Lernen</strong> erfolgt individuell <strong>und</strong> auf eigenen<br />

Wegen, d.h. wesentlich selbstgesteuert<br />

<strong>und</strong> nur kaum von außen kontrollierbar.<br />

• <strong>Lernen</strong> hängt wesentlich vom Vorwissen<br />

<strong>und</strong> den Vorerfahrungen des Individuums<br />

ab.<br />

Auf eine detaillierte kritische Reflexion <strong>und</strong><br />

argumentative Begründung dieser didaktischen<br />

Kategorien aus den konstruktivistischen<br />

Gr<strong>und</strong>vorstellungen muss an dieser<br />

Stelle verzichtet werden. Für eine Übersicht<br />

aus pädagogischer Perspektive vgl. Gerstenmeier<br />

& Mandl (1995), Meixner (1997),<br />

Lindemann (1999), Reich (1998), Werning<br />

(1998), <strong>und</strong> aus epistemologischer <strong>und</strong> mathematikdidaktischer<br />

Perspektive Wildt<br />

(1998), Leuders (2003, 2001). Es sei noch<br />

einmal angemerkt, dass es sich hier um keine<br />

"exklusive Theorie" handelt. Viele wohlbekannte<br />

(mathematik-) didaktische Konzepte,<br />

wie etwa die des entdeckenden <strong>Lernen</strong>s,<br />

des ganzheitliches <strong>Lernen</strong>s, des problemlösenden<br />

<strong>Lernen</strong>s, der offenen Aufgaben usw.<br />

können hier verankert werden.<br />

(3) Gestaltungsaspekte für konstruktivistischeLernumgebungen<br />

Im Rahmen der konstruktivistischen Sichtweise<br />

vom <strong>Lernen</strong> (ob sie nun aus einem radikal-konstruktivistischen<br />

Denkansatz oder<br />

einer reformpädagogischen Haltung entspringt)<br />

ergeben sich einige Forderungen an<br />

die Gestaltung von Lernsituationen. Die folgende<br />

Übersicht möchte einen (nicht abschließenden)<br />

Katalog solcher Forderungen<br />

synoptisch darstellen sowie explizieren <strong>und</strong><br />

dabei besonders die Perspektive des <strong>Mathematik</strong>unterrichts<br />

herausarbeiten, insbesondere<br />

durch Aufzeigen der begrifflichen<br />

Bezüge zwischen typischen konstruktivistischen<br />

Postulaten <strong>und</strong> geläufigen mathematikdidaktischen<br />

Kategorien.<br />

(a) Situiertes <strong>Lernen</strong> in authentischen<br />

Kontexten<br />

Die Kritik der empirischen Psychologie, traditioneller<br />

Schulunterricht vermittle überwiegend<br />

kontextfreies Wissen, das als so ge-


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

nanntes "träges Wissen" in Anwendungssituationen<br />

nicht aktiviert werden kann (Mandl,<br />

Gruber & Renkl 1994, Mandl, Prenzel &<br />

Reinmann-Rothmeier 1995, 27), ist der <strong>Mathematik</strong>didaktik<br />

als Kritik an der "Kalkülorientierung"<br />

nicht neu (Borneleit, Danckwerts,<br />

Henn & Weigand 2001, BLK 1997).<br />

Sie hat wieder besonderes Gewicht erlangt,<br />

nachdem die internationalen Leistungsvergleichsstudien<br />

TIMSS <strong>und</strong> PISA deutlich gemacht<br />

haben, dass es deutschen Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schülern gerade an Anwendungskompetenz<br />

gebricht, während sie in der Kalkülbeherrschung<br />

eher Stärken haben. Viele<br />

der internationalen PISA-Items heben weniger<br />

auf die deklarative Überprüfung curricularer<br />

Wissensbausteine ab als auf die Nutzungsfähigkeit<br />

auch einfachster mathematischer<br />

Modellierungskompetenzen (Leuders<br />

u.a. 2003). Diese Feststellung hat zu einer<br />

noch lange nicht abgeschlossenen Diskussion<br />

über "funktionale mathematische Bildung"<br />

geführt. Sicher scheint zumindest,<br />

dass die Bedeutung von Kontexten bei der<br />

flexiblen Anwendung mathematischen Wissens<br />

zukünftig eine größere (curriculare) Bedeutung<br />

zugemessen wird.<br />

Dieser Lücke zwischen Wissen <strong>und</strong> Handeln<br />

will das Konzept des situierten <strong>Lernen</strong>s begegnen,<br />

welches die Einheit des Gelernten,<br />

des Lernprozesses <strong>und</strong> des Lernkontextes<br />

betont. Demnach gibt es kein abstraktes,<br />

kontextfreies Wissen. Die Kontexte werden<br />

stets mitgelernt <strong>und</strong> als bedeutsame Teile<br />

des Wissensbestandes miterinnert. Diese<br />

Feststellung ist aus mathematischer Sicht zunächst<br />

einmal eine deutliche Absage an die<br />

"Neue <strong>Mathematik</strong>", die der irrigen Meinung<br />

war, die hochpräzisen begrifflichen Konzepte<br />

einer formalisierten <strong>Mathematik</strong> seien günstige<br />

Ausgangspunkte für das Begriffslernen.<br />

Die Bedeutsamkeit des Kontextes gilt eben<br />

nicht nur für mathematische Novizen sondern<br />

ebenso für Experten, die mathematische<br />

Einsichten ja durchaus auf induktiven Wegen<br />

<strong>und</strong> auf der Basis einer großen Zahl von ihnen<br />

bekannten Beispielen gewinnen (Heintz<br />

2000, 150ff). Umso mehr ist der situierte Zugang<br />

für Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler maßgeblich<br />

für erfolgreiches <strong>Lernen</strong>. Da sie nur begrenzt<br />

auf fachliche Vorerfahrungen zurückgreifen<br />

können, ist es wichtig, sinnstiftende<br />

Situationen aus ihrer unmittelbaren Erfahrung<br />

<strong>und</strong> ihrem mittelbaren Weltwissen zu<br />

finden. Diese Rolle können so genannte "Anker"<br />

übernehmen, das sind durchaus gemäßigt<br />

komplexe Handlungssituationen, die auf<br />

mathematische Probleme führen. Dieses<br />

Modell der anchored instruction führt die<br />

Vanderbilt-Gruppe mit ihrem videobasierten<br />

Projekt "The adventures of Jasper Woodbury"<br />

vor (CTGV 1994), bei dem problemlösendes<br />

<strong>Lernen</strong> sich aus realistischen Spielsituationen<br />

entwickelt. Solche narrativen Anker<br />

haben Identifikations-, Motivations- <strong>und</strong><br />

Sinnstiftungsfunktionen.<br />

Derlei Kontexte <strong>und</strong> Anker müssen nicht notwendig<br />

hochkomplexe mathematische Probleme<br />

sein. Es kann sich hier auch um Entscheidungs-<br />

oder Gestaltungsprobleme handeln,<br />

die mit mathematischen Fragestellungen<br />

verb<strong>und</strong>en sind. Es wäre auch ein Missverständnis,<br />

in der Authentizitätsforderung<br />

einen Appell zu einer rein anwendungsorientierten<br />

Schulmathematik zu lesen. Vielmehr<br />

kann hier das in den Niederlanden favorisierte<br />

<strong>und</strong> auf Freudenthal zurückgehende Konzept<br />

einer "realistic math education" als Modell<br />

dienen (vgl. z.B. Westermann 2001, s.a.<br />

www.fi.uu.nl/en).<br />

[Mathematics as a human activity] is<br />

an activity of solving problems, of looking<br />

for problems, but it is also an activity<br />

of organizing a subject matter. This<br />

can be a matter from reality which has<br />

to be organized according to mathematical<br />

patterns if problems from reality<br />

have to be solved. It can also be a<br />

mathematical matter, new or old results,<br />

of your own or others, which<br />

have to be organized according to new<br />

ideas, to be better <strong>und</strong>erstood, in a<br />

broader context, or by an axiomatic<br />

approach (Freudenthal 1971, zit. nach<br />

Gravemejer & Terwel 2000)<br />

"Realistisch" meint hier also nicht Anwendungsorientierung,<br />

sondern eine Orientierung<br />

an verständlichen, einsichtigen ("realisierbaren")<br />

<strong>und</strong> sinnstiftenden Problemen. Diese<br />

können also <strong>im</strong> Sinne der Kategorien mathematischer<br />

Allgemeinbildung, wie sie Winter<br />

(1995) beschreibt, auch der Gr<strong>und</strong>erfahrung<br />

(G2) von <strong>Mathematik</strong> als strukturellem<br />

Denksystem eigener Art zuzurechnen sein.<br />

Wesentlich für die Authentizität der Probleme<br />

ist, dass sie erfahrungsbezogen sind, d.h.<br />

dass Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler sie über einen<br />

gewissen Zeitraum zu ihren eigenen<br />

Problemen machen können <strong>und</strong> dabei ausreichend<br />

Gelegenheiten haben, ausreichend<br />

Erfahrungen mit einer inner- oder außermathematischen<br />

Situation zu sammeln. Solchermaßen<br />

kann der Situiertheitsbegriff <strong>im</strong><br />

Bereich des <strong>Mathematik</strong>lernens verstanden<br />

werden.<br />

(b) Multiple Kontexte <strong>und</strong> Zugangswege<br />

Es sei kritisch angemerkt, dass eines der oft<br />

angeführten Kernpostulate des situierten<br />

13


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

Abb. 4: Eine situierte Lernumgebung <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> (www.planemath.com). Schüler lösen mathematische Probleme, die<br />

mit Situationen <strong>und</strong> Personen verb<strong>und</strong>en sind. Sie planen z.B. opt<strong>im</strong>ale Flugrouten <strong>und</strong> lernen den Berufsalltag eines<br />

Piloten kennen. (Das Programm wurde besonders auch für körperbehinderte Schüler aufgelegt)<br />

<strong>Lernen</strong>s, nämlich die Erhöhung des Transferpotentials<br />

durch das <strong>Lernen</strong> in authentischen<br />

Kontexten, zwar evident erscheinen<br />

mag, jedoch nicht allgemein empirisch abzusichern<br />

ist. Eine zumindest theoretisch evidenter<br />

Lösungsansatz zu dieser Transferproblematik<br />

liegt <strong>im</strong> Kriterium der multiplen<br />

Kontexte <strong>und</strong> wird gewöhnlich wie folgt begründet:<br />

Kenntnisse oder Fertigkeiten, deren<br />

Erwerb an einen einzigen Kontext geb<strong>und</strong>en<br />

ist, können womöglich außerhalb dieses<br />

Kontextes nicht aktiviert werden. Hier erhält<br />

das Angebot unterschiedlicher Kontexte<br />

mehrfache lerntheoretische Relevanz:<br />

• Voraussetzung für Transferierbarkeit ist<br />

eine Dekontextualisierung, d.h. das Abstrahieren<br />

von Wissen <strong>und</strong> Fähigkeiten aus<br />

dem Erwerbskontext. Dies geschieht am<br />

besten durch den Vergleich verschiedener<br />

Kontexte, wie es der Ansatz der cognitive<br />

flexibility theory vorschlägt (Spiro 1992)<br />

vorschlägt.<br />

• Tritt zum Angebot multipler Kontexte auch<br />

noch Metakognition hinzu, so können<br />

<strong>Lernen</strong>de mit dem Wissen auch Kenntnisse<br />

über die Anwendungsbedingungen<br />

dieses Wissens erwerben.<br />

• Verschiedene Kontexte stellen auch verschiedene<br />

Zugangswege dar. Da dem<br />

<strong>Lehren</strong>den <strong>—</strong> wie es oft vorgeschlagen<br />

wird <strong>—</strong> nur bedingt zuzumuten ist, verschiedene<br />

Lernstile <strong>und</strong> Lerntypen in seiner<br />

Lerngruppe zu erheben <strong>und</strong> den Unterricht<br />

darauf abzust<strong>im</strong>men oder gar zu<br />

individualisieren, weist das Angebot mul-<br />

14<br />

tipler Kontexte einen Weg, den individuell<br />

unterschiedlichen Lernerstrukturen (Vorwissen,<br />

Präferenzen, affektive Identifikation<br />

mit den Situationen etc.) eine Vielfalt<br />

von viablen Einstiegen anzubieten.<br />

In der Didaktik der <strong>Mathematik</strong> sind solche<br />

Ansätze besonders relevant <strong>im</strong> Bereich der<br />

Bildung mathematischer Begriffe. Der wesentliche<br />

unterrichtliche Aspekt mathematischer<br />

Begriffe ist nämlich weder der terminologische<br />

noch der formal-definitorische, sondern<br />

vielmehr der Aspekt der Abgrenzung<br />

("de-fini-tion") von Eigenschaften innerhalb<br />

einer hinreichend großen Erfahrungsbasis.<br />

Einen Begriff haben <strong>Lernen</strong>de erst dann gebildet,<br />

wenn sie Beispiele <strong>und</strong> Gegenbeispiele,<br />

also multiple Kontexte der Begriffsanwendung,<br />

begründet diskutieren können.<br />

Auch die Verwendung verschiedener Darstellungsformen<br />

(grafisch, verbal, enaktiv) <strong>und</strong><br />

das Ansprechen verschiedener Modalitäten<br />

(visuell, auditiv) <strong>und</strong> der Wechsel zwischen<br />

ihnen kann als Generierung multipler Kontexte<br />

aufgefasst werden. Dabei ist vor naiven<br />

Theorien der Addition von Sinneskanälen<br />

oder der Höherwertigkeit realer gegenüber<br />

symbolischer Repräsentationen zu warnen<br />

(Weidenmann 1994). Das technische Medium<br />

(Video, Audio, Text) ist für die erfolgreiche<br />

Gestaltung von Lernumgebungen weniger<br />

relevant als die inhaltliche Strukturierung<br />

(z.B. Aspekte des Funktionsbegriffs). <strong>und</strong> die<br />

"instruktionale Strategie" (z.B. entdeckendes<br />

<strong>Lernen</strong>) (ebd.)


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

Abb. 5: Ausschnitt aus dem Brückenkurs "Matheführerschein" (Prototyp). Studierende können Informationen ("Tipps")<br />

aus einer Bibliothek abrufen. Alle Konzepte (hier: Proportionalität) sind in verschiedenen, frei wählbaren Darstellungsformen<br />

verfügbar (hier: sprachlich, numerisch, grafisch, symbolisch)<br />

(c) Sozialer Kontext<br />

Der soziale Lernkontext muss nach den vorangehenden<br />

Ausführung zum situativen <strong>Lernen</strong><br />

als ein wesentlicher Bestandteil der<br />

Lernsituation aufgefasst werden <strong>—</strong> hier<br />

macht auch das Fach <strong>Mathematik</strong> keine Ausnahme.<br />

Es wäre ein Irrtum, zu glauben, <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematik</strong>unterricht würde die Viabilität von<br />

Konstrukten (z.B. "Minus mal Minus ist<br />

Plus?") durch Instrumente wie Beweis (z.B.<br />

durch Ausrechnen) oder formale Plausibilität<br />

(z.B. Permanenzprinzip) festgestellt. So<br />

wichtig die Kenntnis der epistemologischen<br />

Sonderrolle der <strong>Mathematik</strong> innerhalb der<br />

Wissenschaften als Zielperspektive mathematischer<br />

Bildung ist, für die <strong>Lernen</strong>den entwickelt<br />

sich dieses Bild allenfalls allmählich<br />

<strong>und</strong> über viele Jahre hinweg. Viel wichtiger<br />

für Konstruktion von Wissen ist zunächst die<br />

Aushandlung von Strategien <strong>und</strong> Begriffen<br />

durch die Kommunikation in der Lerngruppe.<br />

"Ich mache es so, wie machst du es, so machen<br />

wir es ab", so charakterisieren Gallin &<br />

Ruf (1998) den kommunikativen Dreischritt,<br />

in dem solche Aushandlungsprozesse <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematik</strong>unterricht stattfinden, in denen<br />

die Sicht der <strong>Lernen</strong>den konsequent wahrgenommen<br />

wird. An erster Stelle steht hierbei<br />

die "subjektive Positionsbest<strong>im</strong>mung in<br />

der individuellen Sprache des Verstehens"<br />

(ebd.). Tragfähige Konzepte <strong>und</strong> Begriffe in<br />

der konventionellen "Sprache des Verstandenen"<br />

entstehen erst durch den Austausch.<br />

In diesem epistemologischen Modell werden<br />

die aktuellen Erkenntnisse der Soziologie zur<br />

sozialen Konstruktion mathematischer Erkenntnisse<br />

(vgl. z.B. Heintz 2000) in einem<br />

didaktischen Unterrichtskonzept konsequent<br />

berücksichtigt <strong>und</strong> umgesetzt.<br />

<strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> sozialen Kontext kann sich also<br />

nicht innerhalb eines Unterrichts vollziehen,<br />

der allein dem Vermittlungsparadigma folgt.<br />

Zu einer konstruktivistischen Lernumgebung<br />

gehören somit <strong>im</strong>mer Arrangements kooperativen<br />

<strong>Lernen</strong>s. Aus der großen Vielfalt<br />

möglicher Ansätze <strong>und</strong> Methodenbausteine,<br />

die es hier bereits gibt (<strong>Lernen</strong> durch <strong>Lehren</strong>,<br />

Projektunterricht, Gruppenpuzzle), schöpft<br />

15


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

der heutige <strong>Mathematik</strong>unterricht noch zu<br />

wenig.<br />

Zum sozialen Kontext gehört nicht allein die<br />

symmetrische Kommunikation zwischen den<br />

<strong>Lernen</strong>den, sondern auch die asymmetrische<br />

Kommunikation mit einem Experten. Diese<br />

Rolle können Lehrer, aber auch externe<br />

Fachleute einnehmen. Ein solcher Experte ist<br />

mehr als nur "Lernmoderator" oder "Lerncoach",<br />

wie dies in extrem-konstruktivistischen<br />

didaktischen Ansätzen gefordert wird.<br />

Er ist auch Träger von Expertenwissen, das<br />

er nach Bedarf zur Verfügung stellen kann.<br />

Neben eher deklarativ mitteilbarem Fachwissen<br />

gibt es auch komplexes strategisches<br />

Expertenwissen, das sich allerdings nicht<br />

einfach mitteilen lässt. In der <strong>Mathematik</strong><br />

geht es hier vor allem um prozessbezogene<br />

Fähigkeiten des Problemlösens, des Modellierens<br />

oder des mathematischen Argumentierens.<br />

Solche Fähigkeiten können nur situiert<br />

<strong>und</strong> in der Interaktion mit dem Experten<br />

von den <strong>Lernen</strong>den aufgebaut ("konstruiert")<br />

werden. Das Konzept der cognitive apprenticeship<br />

greift hier das Modell des Erlernens<br />

beruflicher Fertigkeiten in Interaktion zwischen<br />

Lehrling <strong>und</strong> Meister auf. Der Schüler<br />

lernt hier durch Nachahmung in einfachen Situationen<br />

<strong>und</strong> wird vom Experten an <strong>im</strong>mer<br />

anspruchsvollere Situationen herangeführt,<br />

die er <strong>im</strong>mer selbstständiger löst, während<br />

sich der Experte <strong>im</strong>mer mehr zurückzieht<br />

(fading). Das Attribut cognitive deutet allerdings<br />

an, dass das Explizitmachen, die Versprachlichung<br />

<strong>und</strong> die Reflexion der kognitiven<br />

Handlungen wesentlicher Bestandteil<br />

des Verfahrens sind.<br />

Dies führt auf den Aspekt der Metakognition,<br />

der ebenfalls verdient, als besonderes Kriterium<br />

genannt <strong>und</strong> näher ausgeführt zu werden.<br />

Dies geschieht hier allenfalls aus Platzgründen<br />

nicht. Durch die Reflexion ist der<br />

<strong>Lernen</strong>de besser in der Lage, Wissen über<br />

die unmittelbare Situation hinaus zu strukturieren<br />

<strong>und</strong> sich allgemeine Problemlösungsstrategien<br />

anzueignen bzw. diese zu verfeinern.<br />

Lernumgebungen sollten daher die Artikulation<br />

<strong>und</strong> Reflexion der Problemlösungsprozesse<br />

unterstützen. Im <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

ist Reflexion nicht mit dem fragendentwickelnden<br />

Unterrichtsgespräch abgeschlossen,<br />

ja sie beginnt nicht einmal wirklich<br />

damit. Echte Reflexion findet erst statt, wenn<br />

Schüler hierzu Spielräume erhalten, etwa<br />

über individuelle reflektierende Aufzeichnungen<br />

in Forschungsheften oder Portfolios.<br />

Die Übertragung der sozialen Aspekte des<br />

<strong>Lernen</strong>s auf den Bereich des mediengestützten<br />

<strong>Lernen</strong>s erweist sich als besonders prob-<br />

16<br />

lematisch. In wie weit kann <strong>und</strong> darf die Interaktion<br />

mit einem personalen Gegenüber<br />

elektronisch kompensiert oder ersetzt werden?<br />

Hiermit befasst sich der spätere Abschnitt<br />

zur Ebene (4).<br />

(d) Selbsttätigkeit <strong>und</strong> Selbststeuerung<br />

<strong>Lernen</strong>, verstanden als aktiver, individueller<br />

Konstruktionsprozess, setzt ein hohes Maß<br />

an Selbsttätigkeit voraus. Diese Selbsttätigkeit<br />

umfasst Fähigkeiten der Selbstregulation<br />

(Selbststeuerung, Selbstkontrolle, Selbstbewertung,<br />

Selbstbest<strong>im</strong>mung), aber auch der<br />

Selbstmotivation. Die D<strong>im</strong>ension der Selbstständigkeit<br />

findet ihre Begründung allerdings<br />

nicht exklusive in konstruktivistischen Lerntheorien,<br />

sondern ist ebenso aus bildungstheoretischen<br />

Zusammenhängen ("Mündigkeit")<br />

<strong>und</strong> qualifikationstheoretischen Überlegungen<br />

("Schlüsselqualifikation für lebenslanges<br />

<strong>Lernen</strong>") abzuleiten (Huber 2000).<br />

Selbstständigkeit als Ziel <strong>und</strong> zugleich als<br />

Determinante schulischer Bildung <strong>und</strong> Erziehung<br />

hat in den letzten Jahren eine hohe Valenz<br />

erhalten. Dies lässt sich ebenso an aktuellen<br />

Richtlinientexten wie an einer Vielzahl<br />

von Modellprojekten, die das Kürzel für<br />

"Selbstlernen" <strong>im</strong> Namen tragen, festmachen<br />

(z.B. SelMA www.selma-mathe.de, SelGO; s.<br />

LfS 2003, www.selgo.de).<br />

Der oft verwendete Begriff des "Selbstlernens"<br />

ist allerdings wieder ebenso modisch<br />

wie missverständlich, denn <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e ist jedes<br />

<strong>Lernen</strong> Selbstlernen. Jeder Mensch<br />

muss "selbst lernen", niemand kann "gelernt<br />

werden". Gemeint ist meist: <strong>Lernen</strong> mit einem<br />

hohen Grad an Selbstregulation<br />

<strong>und</strong>/oder Selbstbest<strong>im</strong>mung. Differenzierter<br />

ausgedrückt kann sich Selbstständiges <strong>Lernen</strong><br />

beziehen auf Setzung von Zielen <strong>und</strong><br />

Auswahl von Themen, auf die Arbeitsmethode,<br />

auf die Arbeitsorganisation <strong>und</strong> auf die<br />

Bewertung der Ergebnisse. Gänzlich zu trennen<br />

ist Selbstständiges <strong>Lernen</strong> vom Begriff<br />

des individualisierten <strong>Lernen</strong>s (vgl. Huber<br />

2000).<br />

Damit eine solche Selbstregulation möglich<br />

ist, muss eine Lernumgebung hinreichend<br />

viele Freiheitsgrade besitzen. Gerade bei<br />

mathematischen Aufgaben ist das Kriterium<br />

Offenheit, sei es bezüglich der Ergebnisse<br />

oder bezüglich der Vorgehensweise, ein wesentliches.<br />

Lange schon hat man erkannt,<br />

dass geschlossene Aufgaben mit einer eindeutigen<br />

Lösungen oder nur einem einzigen<br />

(akzeptierten) Lösungsweg Prozesse der<br />

Selbststeuerung <strong>und</strong> Reflexion von vornherein<br />

unterdrücken. Die Darbietung von offenen<br />

Problem allein reicht aber nicht aus,


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

denn weitere Merkmale der Lernumgebung<br />

können trotz struktureller Offenheit der Problemstellung<br />

eine wirkliche Selbstregulation<br />

verhindern.<br />

Zudem gilt es, direktive Komponenten zurückzunehmen.<br />

In der Lernumgebung Klassenraum<br />

können dies offene <strong>und</strong> verdeckte<br />

Lehrerbewertungen sein, aber auch zu ausführliche<br />

Erklärungen ("When teaching kills<br />

learning"). In einer computergestützten Lernumgebung<br />

ist das Maß der Selbstregulation<br />

empfindlich von den Kontrollmechanismen<br />

des Programms abhängig. Dazu mehr <strong>im</strong> folgenden<br />

Abschnitt.<br />

Zu einer Selbstständigkeit fördernden Lernumgebung<br />

gehören auch Instrumente, die<br />

den <strong>Lernen</strong>den zur Eigenaktivität anregen<br />

<strong>und</strong> ihn dabei unterstützen, diese aufrecht zu<br />

erhalten. Gerade bei offenen Lernsituationen<br />

ist festzustellen, dass <strong>Lernen</strong>de nicht in der<br />

Lage sind, das Lernangebot in seiner ganzen<br />

Breite zu nutzen.<br />

(4) Konstruktivistische internetgestützte<br />

Lernumgebungen<br />

Während der vorige Abschnitt eher generelle<br />

Elemente einer konstruktivistischen Lernumgebung<br />

anführt, soll <strong>im</strong> Folgenden der Frage<br />

nach der Umsetzung <strong>im</strong> Rahmen einer internetgestützten<br />

(oder allgemeiner: computergestützten)<br />

Lernumgebung nachgegangen<br />

werden. Auf welche (auch durchaus verschiedene)<br />

Weisen können die Kriterien des<br />

vorigen Abschnitts verwirklicht werden?<br />

Das <strong>Internet</strong> als computerbasierte, interaktive<br />

<strong>und</strong> hypermediale Welt weist vielerlei Affinitäten<br />

zu den Merkmalen konstruktivistischer<br />

Lernumgebungen, die <strong>im</strong> vorigen Abschnitt<br />

herausgestellt wurden, auf. Solche Merkmale<br />

sind u.a. Offenheit, Authentizität, Interaktivität,<br />

Kommunikativität <strong>und</strong> Adaptivität. Auf<br />

diese Affinität gründen sich die Hoffnungen,<br />

dass das <strong>Internet</strong> eine qualifizierte Plattform<br />

für das computerunterstützte <strong>Lernen</strong> darstellt.<br />

Jedes dieser Merkmale ist allerdings<br />

nicht per se förderlich <strong>im</strong> pädagogischen<br />

Nutzungskontext, vielmehr gilt es die Merkmale<br />

des <strong>Internet</strong>s sorgfältig auf ihre didaktischen<br />

Implikationen hin zu reflektieren.<br />

(a) Offenheit<br />

Das Kriterium der Selbststeuerung in einer<br />

Lernumgebung setzt eine gewisse Offenheit<br />

des Systems, mit dem der Nutzer umgeht,<br />

voraus. Ein Blatt Papier ist so offen wie der,<br />

der darauf schreibt, ein Lehrer ist offen in<br />

Abhängigkeit von seinem pädagogischen<br />

Selbstverständnis <strong>und</strong> natürlich von der jeweiligen<br />

Situation; ein mathematisches Problem<br />

ist offen je nach Aufgabenstellung <strong>und</strong><br />

unterrichtsmethodischer Einbettung. Eine<br />

computerbasierte Lernumgebung ist nur<br />

dann offen, wenn sie so konzipiert <strong>und</strong> programmiert<br />

wurde. Bei technischen Systemen<br />

steigt jedoch die Komplexität <strong>und</strong> damit auch<br />

der Erstellungsaufwand exponentiell mit dem<br />

Grad der geforderten Offenheit. Man mag<br />

vermuten, dass die technische Begrenztheit<br />

auch ein Gr<strong>und</strong> für die reduktionistische Eingleisigkeit<br />

des programmierten <strong>Lernen</strong>s war.<br />

Aber auch heute noch, viele Jahrzehnte später,<br />

scheitern elektronische Systeme (entgegen<br />

früherer opt<strong>im</strong>istischer Prognosen) daran,<br />

offene Rückmeldungen des Benutzers zu<br />

"verstehen". Die Lücke zwischen Syntax <strong>und</strong><br />

Semantik klafft weiterhin <strong>und</strong> es ist ein nichttriviales<br />

Problem, die potentielle Offenheit,<br />

die der Kommunikation zwischen einem pädagogisch<br />

erfahrenen <strong>Lehren</strong>den <strong>und</strong> einem<br />

<strong>Lernen</strong>den innewohnt, elektronisch zu s<strong>im</strong>ulieren<br />

(dies wäre sozusagen der pädagogische<br />

Turing-Test). In der Frage der Machbarkeit<br />

<strong>und</strong> Wünschbarkeit elektronischer<br />

S<strong>im</strong>ulation menschlicher Kommunikation<br />

(etwa der eines Lehrers) gibt es zwischen<br />

Apologeten der Künstlichen Intelligenz <strong>und</strong><br />

ihren Kritikern scharfe Auseinandersetzungen.<br />

Es gibt ernst zu nehmende St<strong>im</strong>men,<br />

die das Forschungsziel, solche Verstehensprozesse<br />

<strong>im</strong> Computer zu <strong>im</strong>plementieren,<br />

als moralisch nicht vertretbar apostrophieren<br />

(Weizenbaum 1977).<br />

Unter den verschiedenen Strategien, computerunterstütztes<br />

<strong>Lernen</strong> offener zu gestalten,<br />

lassen sich u.a. die folgenden ausmachen<br />

(<strong>und</strong> vielfältige Mischformen, s. z.B. Schulmeister<br />

2002, 263f).<br />

(i) Lernwege können flexibler werden durch<br />

maschinell-algorithmische Lösungen, wie<br />

die so genannten intelligenten tutoriellen<br />

Systeme (ITS), die gleichsam ein<br />

Max<strong>im</strong>um an Adaptivität <strong>und</strong> Interaktivität<br />

(s.u.) aus dem Computer herauskitzeln.<br />

Dieser Weg folgt dem Gr<strong>und</strong>prinzip, Lernprozesse<br />

technologisch zu opt<strong>im</strong>ieren <strong>und</strong><br />

zu kontrollieren. Die Möglichkeiten, über<br />

eine Analyse des Lernerverhaltens dynamische<br />

Lernermodelle zu bilden, <strong>und</strong> auf<br />

dieser Gr<strong>und</strong>lagen Lernangebote zu steuern,<br />

haben sich jedoch als sehr beschränkt<br />

herausgestellt (Kerres 2001, 72).<br />

Dieser Ansatz ist insbesondere mit konstruktivistischen<br />

Vorstellungen vom Lernprozess<br />

nicht vereinbar <strong>und</strong> wird an dieser<br />

Stelle nicht weiter verfolgt.<br />

17


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

(ii) Durch das Einbinden von menschlichen<br />

Partnern durch reale oder virtuelle<br />

Kommunikation <strong>und</strong> Zusammenarbeit<br />

wird der Computer einer inhaltlichen<br />

Rückmeldung enthoben <strong>und</strong> ein Mensch<br />

übern<strong>im</strong>mt diese Aufgabe. Mehr hierzu<br />

weiter unten unter (d).<br />

An dieser Stelle sollen die folgenden Lösungsansätze<br />

näher betrachtet werden:<br />

(iii) Öffnung von Lernwegen durch offene<br />

Aufträge<br />

(iv) Öffnung von Lernwegen durch Hypertextformate<br />

(v) Öffnung der Wissensbasis durch Zugriff<br />

auf das <strong>Internet</strong><br />

(vi) insbesondere in der <strong>Mathematik</strong>: Nutzung<br />

offener Werkzeuge (z.B. CAS)<br />

zu (iii):<br />

Offene Arbeitsaufträge können vom Computer<br />

zwar übermittelt, aber die Arbeitsergebnisse<br />

der <strong>Lernen</strong>den nur äußerst beschränkt<br />

evaluiert werden. Nur wenige Systeme<br />

(z.B. Problemlösemodule, die Konstruktionsverfolgung<br />

bei Cinderella oder die bislang<br />

nicht verwirklichten so genannten<br />

PeCAS (Kutzler 2001)) begleiten den Nutzer<br />

inhaltlich oder heuristisch auf dem Problemlöseweg.<br />

Ein ganz anderer Weg, mit offenen, nicht kalkulierbaren<br />

Ergebnissen umzugehen, ist wiederum<br />

die Integration kommunikativer Komponenten,<br />

wie unter (ii) angedeutet <strong>und</strong> weiter<br />

unten unter (d) beschrieben.<br />

zu (iv):<br />

Eine weitere, oft anzutreffende Lösung für<br />

das Offenheitsproblem besteht in der Konstruktion<br />

von Hypertext-Umgebungen, die<br />

man bei Einbindung von anderen Medien als<br />

Texten (Bilder, Video, etc.) auch als Hypermedia-Umgebungen<br />

bezeichnet. Das Hypertextprinzip<br />

ist wesentlich älter als seine Verwendung<br />

<strong>im</strong> Computerbereich (Burbules &<br />

Callister 1996), hat aber mit dem World-<br />

Wide-Web eine enorme Aufmerksamkeit erlangt.<br />

Auch in pädagogischen Kontexten treffen<br />

Hypertextsysteme auf zunehmendes Interesse<br />

(Tergan 1997, Blumstengel 1998).<br />

Die netzartige Wissensrepräsentation des<br />

Hypertextformates übt eine große Faszination<br />

auf diejenigen aus, die sich mit menschlicher<br />

Kognition beschäftigen; <strong>—</strong> man spricht<br />

hier auch von der so genanten "kognitiven<br />

Plausibilität" von Hypertext. Während der<br />

Computer als linear-algorithmisch arbeiten-<br />

18<br />

der Apparat das kybernetische Bild des Menschen<br />

als informationsverarbeitende Maschine<br />

<strong>und</strong> damit das instruktionistische Paradigma<br />

repräsentiert, ist die Netzmetapher<br />

dem konstruktivistischen Bild menschlicher<br />

Kognition wesentlich näher. Hierzu haben<br />

auch die wachsende Popularität erlangenden<br />

Erkenntnisse der Neurobiologie beigetragen:<br />

Das kognitive System des Menschen ist<br />

schon physiologisch als Netz organisiert.<br />

Wissen ist verteilt in Aktivitätsmustern <strong>und</strong><br />

nicht etwa als Repräsentation einer externen<br />

Realität gespeichert. Auch die psychologischen<br />

Erklärungen für Wissensrepräsentation<br />

bedienen sich zunehmend der Metapher<br />

der Vernetzung. Vannevar Bushs prophetischer<br />

Brückenschlag (1945) vom menschlichen<br />

Gehirn zum memex, dem interaktiven<br />

<strong>und</strong> vernetzten Wissensspeicher, scheint <strong>im</strong><br />

<strong>Internet</strong> als "anarchischem, kognitivem Superorganismus"<br />

Wirklichkeit geworden zu<br />

sein (Barabasi 2002).<br />

Welche Strukturen können hypertextartige<br />

Lernumgebungen haben? Neben den inhaltstragenden<br />

Modulen (Knoten) enthält ein Hypertext<br />

eine Zahl von Verbindungen (Links,<br />

Kanten), die Informationen über den semantischen<br />

oder argumentativen Zusammenhang<br />

der Knoten tragen. Dabei können äußerst unterschiedliche,<br />

einfache <strong>und</strong> komplexere<br />

Strukturen repräsentiert werden (Abb. 6), die<br />

man alle mit den mathematischen Begrifflichkeiten<br />

gerichteter Grafen (Digrafen) beschreiben<br />

kann:<br />

Abb. 6: Verschiedene Strukturen eines Hypertextes<br />

• Ketten (bei klassischen linearen Texten)<br />

• Bäume (z.B. bei klassischen linearen Texten<br />

mit Fußnoten)<br />

• kreisfreie Grafen (z.B. bei Lernprogrammen<br />

ohne Wiederholung)<br />

• Grafen mit Kreisen (z.B. für hermeneutische<br />

Textzugänge)<br />

• Grafen mit Clusterstrukturen (z.B. bei<br />

mehreren, unabhängigen Lernbereichen)


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

• Konnektoren (hochverb<strong>und</strong>ene Knoten,<br />

z.B. bei Navigation- <strong>und</strong> Übersichtsseiten)<br />

• Grafen mit gewichteten Links (z.B. Navigationsempfehlungen,<br />

ggf. adaptiv)<br />

• u.v.a.m.<br />

Die hier angedeuteten Strukturen sind bei<br />

weitem nicht erschöpfend. Eine semantische<br />

Analyse von Links legt eine kaum zu überblickende<br />

Zahl von Typen frei (unidirektionale<br />

Links: "ist Teil von", "ist ein Gr<strong>und</strong> für", "ist<br />

eine Erläuterung zu ....", bidirektionale Links:<br />

"ist verwandt mit...", vgl. Schulmeister 1996,<br />

254).<br />

Im Gegensatz zu linear zu rezipierenden<br />

Texten weisen hypertextuelle Strukturen einen<br />

hohen Grad struktureller Komplexität<br />

auf. Damit eignen sie sich sowohl zur Darstellung<br />

komplexer Zusammenhänge (situative,<br />

multiple Kontexte) als auch für Lernumgebungen<br />

mit hinreichend vielen Freiheitsgraden<br />

für eine hohe Selbstregulation des<br />

<strong>Lernen</strong>den. Die Anlage der Linkstruktur einer<br />

Lernumgebung best<strong>im</strong>mt wesentlich die Variation<br />

<strong>und</strong> die Beschränkungen möglicher<br />

Lernwege. Der entscheidende Offenheitsaspekt<br />

<strong>und</strong> damit die Möglichkeit zur Selbststeuerung<br />

des <strong>Lernen</strong>den ist die Tatsache,<br />

dass dieser jederzeit selbst entscheidet, wohin<br />

er verzweigen möchte. Der Lernweg eines<br />

Nutzers in einer hypermedialen konstruktivistischen<br />

Lernumgebung gleicht eher dem<br />

Abb. 7: Struktur der Lernumgebung "Mathe-Führerschein"<br />

Bahnen eines Pfades durch unbekanntes<br />

Gelände, als dem geradlinigen Marsch über<br />

eine gepflasterte Straße.<br />

Ein Beispiel für eine solche Hypertext-<br />

Lernumgebung, die dem Lerner in hohem<br />

Maße die Kontrolle über seinen Lernweg zubilligt<br />

(<strong>und</strong> zugleich zumutet) ist der bereits<br />

erwähnte "Mathe-Führerschein". Hier handelt<br />

es sich um einen geplanten Brückenkurs für<br />

Studierende der Ingenieurwissenschaften an<br />

Fachhochschulen (Matheführerschein 2003),<br />

der auch von Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern der<br />

gymnasialen Oberstufe genutzt werden kann.<br />

Die <strong>Lernen</strong>den steigen hier über vergleichsweise<br />

komplexe, dem ingenieurwissenschaftlichen<br />

Arbeitsfeld nahestehende Probleme<br />

(Bereich "Anwendungen") ein <strong>und</strong> können<br />

dann je nach Bedarf <strong>und</strong> Interesse verzweigen<br />

zu: auf wenige Kompetenzen <strong>und</strong> Bereiche<br />

fokussierende Probleme (Bereich "Problemlösen"),<br />

oder auf elementare "Fertigkeiten".<br />

Nur zu letzteren gibt es Lösungsrückmeldungen<br />

vom System. Die anderen Ebenen<br />

liefern Lösungshinweise oder Beispiellösungen.<br />

Zudem besteht auf jeder Ebene die<br />

Möglichkeit, geeignete mentale <strong>und</strong> mediale<br />

Werkzeuge zu nutzen: Einträge in eine Bibliothek,<br />

strategische Hilfen zum Problemlösen,<br />

mathematische Werkzeuge <strong>und</strong> in einem<br />

späteren Stadium eine individualisierte<br />

Arbeitsmappe. Die Gesamtstruktur wird in<br />

Abb. 7 illustriert.<br />

19


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

Abb. 8: Darstellungsformen: "sprachlich/situativ", "grafisch",<br />

"numerisch" <strong>und</strong> "symbolisch"<br />

Die Konstruktion dieser Umgebung folgt den<br />

folgenden Prinzipien:<br />

• Offene Navigation: Jeder <strong>Lernen</strong>de kann<br />

jederzeit überhall hin gehen. Es gibt keine<br />

Lenkung durch das System. Die Vorschläge<br />

an den Lerner sind jedoch strukturiert,<br />

z.B. durch Icons, die die Darstellungsform<br />

des Bibliotheksangebots oder<br />

des Problems charakterisieren. Die D<strong>im</strong>ensionen<br />

"sprachlich/situativ", "gra-<br />

•<br />

fisch", "numerisch" <strong>und</strong> "symbolisch" ziehen<br />

sich durch das ganze System.<br />

Universelle Werkzeuge: Wenige, allgemein<br />

nutzbare mathematische Werkzeuge;<br />

keine Spezialtools zur Lösung einzelner<br />

Probleme<br />

• Einstieg von oben: Komplexe Probleme<br />

führen in mathematische Fragen ein.<br />

Training in Gr<strong>und</strong>fertigkeiten ist instrumentell.<br />

• Verzweigende Vielfalt statt Kursprinzip:<br />

Der Lerner entscheidet über seine<br />

Lernwege <strong>und</strong> Lernziele. Die Lernervoraussetzungen<br />

sind unterschiedlich.<br />

• Selbsteinschätzung vor Diagnose: Eine<br />

"Fern"diagnose in Form eines Selbstdiagnosetestes<br />

bietet das System nur auf<br />

Anfrage an. Das Lernermodell erwächst<br />

pr<strong>im</strong>är aus der Selbsteinschätzung, nicht<br />

aus der Beurteilung des Systems.<br />

• Reflexionsanregende Instrumente: Die<br />

individuelle Wahl von Darstellungsformen,<br />

die Arbeitsmappe, der Strategienpool sowie<br />

das Selbstseinschätzungsmodul regen<br />

den <strong>Lernen</strong>den an, seine Kompetenzen<br />

bewusst zu reflektieren.<br />

Das Problem, das man sich durch die Offenheit<br />

der möglichen Lernwege einhandelt, ist<br />

die mit der Navigation verb<strong>und</strong>ene, so genannte<br />

kognitive Überlastung. Das notorische<br />

Phänomen bei der Rezeption von Hypertexten,<br />

das gleichsam exponentiell mit ihrer<br />

Konnektivität anwächst, lautet "lost in hyperspace".<br />

Die Desorientierung des <strong>Lernen</strong>den<br />

über seine Herkunft, seine aktuelle Position<br />

<strong>und</strong> seine möglichen Wege sowie die<br />

fehlende Übersicht über seinen Lernweg <strong>im</strong><br />

Gesamtkontext können zu Frustration <strong>und</strong><br />

Lernabbruch führen. Dies kann durch den<br />

Einsatz von unterschiedlichen Navigationshilfen<br />

vermieden werden (vgl. Blumstengel<br />

1998). Man beachte die metaphorische Fantasie<br />

bei der Bezeichnung solcher Hilfen:<br />

20<br />

• Netzwerke <strong>und</strong> Landkarten (z.B. als advanced<br />

organizer). Mit ihnen kann der<br />

Lerner <strong>im</strong> Prinzip eine globale Lernplanung<br />

in einer komplexen Struktur durchführen.<br />

Dies stellt jedoch hohe Anforderungen.<br />

Solche cognitive maps können<br />

als semantisches Netz sogar zum Konstruktionsprinzip<br />

einer modularen Wissensbasis<br />

werden (Seeger 2003).<br />

• Tourvorschläge (guided tours, trails) sind<br />

vorgefertigte lineare Durchgänge durch<br />

einen Hypertext. Sie können als didaktischer<br />

roter Faden dienen <strong>und</strong> Lerner bei<br />

der Navigation unterstützen.<br />

• Fischaugensichten (fisheye views) zeigen<br />

die lokale Position <strong>und</strong> die nähere Umgebung<br />

an.<br />

• Leseprotokolle (history, backtracking) geben<br />

Informationen über den zurückliegenden<br />

Weg. Solche Informationen lassen<br />

sich auch in die Knoten integrieren.<br />

• Bearbeitungskennzeichen (breadcrumbs)<br />

deuten an, ob <strong>und</strong> wie oft man eine Seite<br />

besucht hat, ggf. auch in welche Richtung<br />

man sie be<strong>im</strong> letzten Mal verlassen hat<br />

(Ariadnefäden).<br />

• Navigationsempfehlungen unterstützen<br />

den <strong>Lernen</strong>den bei der Linkauswahl (next<br />

best).<br />

• Lesezeichen (bookmarks) ermöglichen<br />

dem Lerner, ausgewählte Stellen zu sammeln.<br />

Diese Funktionen lassen sich vielfältig kombinieren<br />

<strong>und</strong> erweitern. Auch können sie<br />

durch virtuelle, grafische Repräsentationssysteme<br />

dargestellt werden (virtuelle 3D-<br />

Welten, Avatare).<br />

Viele Lernumgebungen lassen sich hinsichtlich<br />

des hier explizierten Offenheitskriteriums<br />

klassifizieren:<br />

• Welche Topologie der Lernwege erlaubt<br />

die Lernumgebung?<br />

• Welche Navigationswerkzeuge unterstützten<br />

den <strong>Lernen</strong>den?<br />

• Welche Möglichkeiten der eigenen Mitgestaltung<br />

hat der <strong>Lernen</strong>de?<br />

Beispiele <strong>und</strong> Erfahrungen mit komplexeren<br />

hypermedialen Lernumgebungen für den<br />

schulischen <strong>Mathematik</strong>unterricht sind allerdings<br />

rar. Hinzuweisen ist auf ein Modellprojekt<br />

des Landes NRW, das in Kooperation<br />

mit Schulbuchverlagen <strong>im</strong> Rahmen des Projektes<br />

SelGO ("Selbstlernen in der gymnasialen<br />

Oberstufe") eine Lernplattform erstellt<br />

<strong>und</strong> erprobt (www.selgo.de). Im Bereich der


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

universitären Lehre gibt es hier bereits mehr<br />

Erfahrungen (s. z.B. Schulmeister 2003).<br />

Die <strong>im</strong>mer noch stark dominierende Linearität<br />

hypermedialer Lernumgebungen ("Umblättermaschinen")<br />

ist wohl auf verschiedene<br />

Gründe zurückzuführen:<br />

• Auf die mangelnde Erfahrungen zum Umgang<br />

des <strong>Lernen</strong>den mit komplexen Hypertexten<br />

<strong>und</strong> das folglich fehlende Zutrauen.<br />

• Auf die Furcht vor dem "lost-inhyperspace"-Phänomen.<br />

Diese Furcht ist<br />

nicht unbegründet, vor allem <strong>im</strong> Fall noch<br />

unerfahrener Nutzer.<br />

• Auf die fehlende Erfahrung vieler Autoren<br />

mit dem Schreiben von Hypertext. Hypertexte<br />

bedürfen besonderer Aufmerksamkeit<br />

<strong>im</strong> Bereich der Modularisierung. Die<br />

Möglichkeit der unterschiedlichen Lernwege<br />

macht eine so genannte Dekontextualisierung<br />

<strong>und</strong> Instrumente zur Schaffung<br />

von semantischer Kohärenz nötig.<br />

Diese Probleme treten vor allem dann auf,<br />

wenn Hypertexte nicht von vornherein als<br />

solche geschrieben werden, sondern erst<br />

<strong>im</strong> Nachhinein aus linearen Texten entstehen<br />

(vgl. Blumstengel 1998).<br />

Ich möchte hier die Argumentation von<br />

Schulmeister (2002, 271) aufgreifen, nämlich<br />

dass<br />

"Hypertext dem <strong>Lernen</strong>den eine komplexe<br />

Lernumgebung präsentiert, die es ihm ermöglicht,<br />

sich natürlich zu verhalten [...]:<br />

• Erstens repräsentiert das Lernmaterial in<br />

einem komplexen Hypertext-System eine<br />

Umgebung, die der Student auch sonst<br />

vorfindet, in der Bibliothek, an seinem<br />

Schreibtisch usw. [<strong>und</strong> ebenso in der für<br />

Schüler <strong>im</strong>mer selbstverständlicher gewordenen<br />

Umgebung <strong>WWW</strong>! <strong>—</strong> TL] [...]<br />

• Zweitens kann sich der Student in dieser<br />

komplexen Umgebung auch so verhalten,<br />

wie er es sonst gewohnt ist, das heißt z.B.<br />

seine gewohnten, eingeschliffenen Lernstrategien<br />

einsetzen, entweder auswendig<br />

lernen oder Hypothesen bilden, [...] das<br />

Material sequentiell-linear studieren oder<br />

nach Zusammenhängen forschen, extrinsisch<br />

motiviert "pauken" oder intrinsisch<br />

motiviert sich mit wesentlichen Fragen<strong>und</strong><br />

Problemstellungen identifizieren. Hypertext<br />

ist offen <strong>und</strong> zugänglich für alle<br />

möglichen individuellen Lernstile <strong>und</strong><br />

Lernangewohnheiten. [Hervorhebung<br />

TL]"<br />

Eine zukünftig <strong>im</strong>mer größere Bedeutung für<br />

die Gestaltung konstruktivistischer Lernum-<br />

gebungen werden flexiblere kognitive<br />

Werkzeuge haben, die über das reine Navigieren<br />

hinausgehen. <strong>Lernen</strong>de können in einer<br />

hypermedialen Umgebung etwa eigene,<br />

permanente Verbindungen zwischen Elementen<br />

der Umgebung oder zu externen<br />

Quellen einfügen, Elemente der Lernumgebung<br />

annotieren, oder Eigenproduktionen in<br />

elektronischen Arbeitsbücher, Portofolios,<br />

oder Lernjournale/Reisetagebücher (z.B. à la<br />

Gallin & Ruf 1994) sammeln. Dies sind vor<br />

allem Instrumente, mit denen der Benutzer<br />

das Medium an seine Bedürfnisse anpasst,<br />

<strong>und</strong> bei denen <strong>Lernen</strong> nicht umgekehrt verstanden<br />

wird als eine sukzessive Anpassung<br />

des Benutzers an die Struktur des Mediums.<br />

Solche Instrumente dienen zwar einer lernerfre<strong>und</strong>lichen<br />

Gestaltung von Lernumgebungen,<br />

binden aber ihrerseits kognitive Energien.<br />

Sie müssen daher in der Hand des <strong>Lernen</strong>den<br />

auch als Navigationswerkzeug verstanden<br />

werden, da sie zur Reflexion des eigenen<br />

<strong>Lernen</strong>s, also zur Metakognition anregen.<br />

zu (v): Das <strong>Internet</strong> als offene Hypertextumgebung<br />

In den vorstehenden Bemerkungen zum <strong>Lernen</strong><br />

in hypermedialen Umgebungen wurde<br />

nicht spezifiziert, ob diese technisch in standalone<br />

Lösungen realisiert sind (z.B. CD-<br />

ROM) oder online aus dem World-Wide-Web<br />

betrieben werden. Letztlich kann das <strong>WWW</strong><br />

als die umfassendste Hypermedia-Umgebung<br />

für das <strong>Lernen</strong> (nicht nur das schulische!)<br />

angesehen werden. Exakte Angaben<br />

zur tatsächlichen Größe des Web sind nicht<br />

möglich, die Suchmaschine Google brüstet<br />

sich damit, über 3 Milliarden Webpages zu<br />

indizieren, <strong>und</strong> es gibt gute Gründe anzunehmen,<br />

dass dies nur ein Bruchteil der existierenden<br />

Seiten ist (Barabasi 2002). Das<br />

<strong>WWW</strong> ist ein dezentral organisiertes Netz,<br />

dessen Wachstum <strong>und</strong> Vernetzungsstruktur<br />

von keiner zentralen Instanz kontrolliert wird.<br />

Dennoch zeigen Arbeiten der letzten Jahre,<br />

dass ein solchermaßen sukzessive wachsendes<br />

Netz best<strong>im</strong>mten Gesetzmäßigkeiten<br />

folgt. Es entsteht ein so genanntes skalenfreies<br />

Netz (scale free network), bei dem die<br />

Anzahl der Knoten mit einem best<strong>im</strong>mten<br />

Knotengrad potenzartig mit dem Knotengrad<br />

sinkt. Das bedeutet unter anderem, dass es<br />

wenige stark vernetzte, hingegen viele kaum<br />

vernetzte Seiten gibt. Durch den vornehmlich<br />

unidirektionalen Charakter der Links entstehen<br />

"Kontinente" <strong>und</strong> "Inseln", die voneinander<br />

nur schwer oder gar nicht zu erreichen<br />

sind (ebd.).<br />

21


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

Das <strong>WWW</strong> unterscheidet sich also mindestens<br />

in den folgenden drei Hinsichten radikal<br />

von den bisher beschriebenen Lernumgebungen:<br />

• Es gibt keine zentrale Instanz, die die<br />

Qualität der Inhalte, Darstellungsformate<br />

oder Navigationsstruktur sichert.<br />

• Es gibt keinen zentralen, gleichsam bibliothekarisch<br />

betreuten Katalog der Inhalte.<br />

(Suchmaschinen verzeichnen heutzutage<br />

nur Bruchteile des gesamten Netzes <strong>und</strong><br />

unterliegen in ihrer Effizienz prinzipiellen<br />

Beschränkungen)<br />

• Das <strong>WWW</strong> ist authentisch <strong>und</strong> nicht didaktifiziert.<br />

(s.u. (b) "Authentizität")<br />

Diese Aspekte sind prinzipiell ambivalent zu<br />

bewerten. Max<strong>im</strong>ale Globalität <strong>und</strong> Offenheit<br />

werden mit Unübersichtlichkeit bezahlt, die<br />

breite Zugänglichkeit von Information mit<br />

dem Problem ihrer Filterung <strong>und</strong> Bewertung.<br />

Diese Aspekte definieren neue pädagogische<br />

Herausforderungen, von denen eine der<br />

gr<strong>und</strong>legendsten sicherlich die Frage sein<br />

wird: Wie versetzt man Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schüler (<strong>und</strong> sich selbst als <strong>Lehren</strong>den) in<br />

die Lage, das Unmaß an zugänglicher Information<br />

zu selektieren <strong>und</strong> in individuell verfügbares,<br />

vernetztes <strong>und</strong> flexibel anwendbares<br />

Wissen umzuwandeln? Dies sind Aufgaben<br />

nicht allein für den <strong>Mathematik</strong>unterricht,<br />

sondern für eine integrative Medienpädagogik,<br />

die Medienerziehung, Mediendidaktik<br />

<strong>und</strong> Medienk<strong>und</strong>e vereint (Hischer 2003).<br />

Die max<strong>im</strong>ale Offenheit des <strong>WWW</strong> gibt Anlass<br />

zu einer echten explorativen Schülertätigkeit,<br />

bei der auch der <strong>Lehren</strong>de die gef<strong>und</strong>enen<br />

Produkte nicht vorhersehen kann.<br />

Schülerprodukte (z.B. Facharbeiten) können<br />

so individueller <strong>und</strong> breitgefächerter ausfallen,<br />

wie wohl sie es nicht müssen. Den <strong>Lehren</strong>den<br />

trifft die Aufgabe, Originalität des Ergebnisses<br />

<strong>und</strong> den individuellen Lernzuwachs<br />

zu überprüfen.<br />

Die mit der radikalen Offenheit verb<strong>und</strong>ene<br />

kognitive Überlast für den <strong>Lernen</strong>den kann<br />

didaktisch abgemildert werden. Ein Ansatz<br />

sind die so genannten WebQuests<br />

(www.webquest.org), bei denen Schülern<br />

vom <strong>Lehren</strong>den ausgewählte Explorationswege<br />

(kommentierte Linklisten) angeboten<br />

werden. Ein weiteres Praxisbeispiel für einen<br />

vorsichtigen Einstieg für Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schüler zu Beginn der Sek<strong>und</strong>arstufe I bietet<br />

das Medienverb<strong>und</strong>projekt "mathe plus", das<br />

das herkömmliche Schulbuch mit <strong>WWW</strong>-Umgebungen<br />

kombiniert (www.matheplus.de).<br />

Solche Modelle der gestuften Offenheit, unter<br />

Verbindung elektronischer <strong>und</strong> klassischer<br />

22<br />

Medien sowie elektronischer <strong>und</strong> direkter<br />

Kommunikation, sind in vielfältigen Konstruktionsansätzen<br />

denkbar. Das <strong>Internet</strong> kann als<br />

gleichsam offenste aller virtuellen Lernumgebungen<br />

eine wichtige Rolle übernehmen. Es<br />

ist das Bindeglied zwischen schulisch aufbereiteter<br />

Lernumgebung <strong>und</strong> der "echten virtuellen<br />

Welt".<br />

Abb. 9: Das <strong>Internet</strong> als (Teil-) Lernumgebung<br />

zu (vi): offene (universelle) Werkzeuge<br />

Der <strong>Mathematik</strong>unterricht hat <strong>—</strong> <strong>und</strong> damit ist<br />

er anderen Fächern z.T. weit voraus <strong>—</strong> bereits<br />

seit vielen Jahren umfangreiche Erfahrungen<br />

mit fachspezifischen Softwaresystemen,<br />

die sich durch einen hohen Grad von<br />

Offenheit auszeichnen, indem sie Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler in die Lage versetzen,<br />

selbstständig mathematische Probleme zu<br />

explorieren <strong>und</strong> eigene Konstruktionen (nicht<br />

nur <strong>im</strong> geometrischen Sinn) zu erstellen.<br />

Hierzu sind vor allem zu nennen: Computeralgebrasysteme,<br />

Dynamische Geometriesysteme,<br />

Tabellenkalkulationen <strong>und</strong> Modellierungssysteme<br />

für dynamische Prozesse. Der<br />

Offenheits- <strong>und</strong> potentielle Divergenzgrad<br />

solcher Systeme ist beträchtlich, zugleich<br />

aber auch die Anforderungen an die Nutzer.<br />

Es gibt vielfältige Ansätze, diese Systeme zu<br />

Lernumgebungen weiterzuentwickeln. Hier<br />

lassen sich vor allem zwei unterschiedliche<br />

Entwicklungsperspektiven ausmachen:<br />

(1) Offene mathematische Werkzeuge können<br />

in Lernumgebungen integriert werden<br />

<strong>und</strong> je nach Anforderung des Problemkontextes<br />

als Werkzeuge verwendet werden:<br />

• Einbinden als spezifisches, adaptiertes<br />

Werkzeug in Hypertextumgebungen (Beispiel<br />

Lernumgebungen mit GeoNEXT <strong>—</strong><br />

www.geonext.de)<br />

• Nutzen als universelles mathematisches<br />

Werkzeug. (z.B. lokal installierte CAS,<br />

Handheld-Funktionenplotter)<br />

Nicht zuletzt durch das Verschwinden der<br />

Online/Offline-Grenze werden wir hier vielfältige<br />

Innovationen zu erwarten haben. Die<br />

spezifische Diskussion dieser Technologien


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

erfordert eine ausführlichere Behandlung als<br />

an dieser Stelle möglich ist.<br />

(2) Offene mathematische Werkzeuge können<br />

aber auch selbst die Plattform für computerunterstützte<br />

Lernumgebungen abgeben:<br />

• Konstruktion problemspezifischer interaktiver<br />

Arbeitsblätter (Beispiel Cinderella)<br />

• problemspezifische Adaptierung von Nutzerschnittstellen<br />

(z.B. CAS-packages)<br />

• Konstruktion einer didaktifizierten Wissensbasis<br />

(z.B. das Hilfesystem eines<br />

CAS)<br />

In solchen Verwendungszusammenhängen<br />

gelten die allgemeinen Kriterien an computerunterstützte<br />

Lernumgebungen, wie sie auf<br />

diesen Seiten für elektronische Lernumgebungen<br />

formuliert werden.<br />

Als eine weniger bekannte, offene Werkzeugumgebung<br />

möchte ich das ray-tracing<br />

Programm POVRAY herausheben (www.pov<br />

ray.org). Dieses gibt dem Nutzer über eine<br />

Textschnittstelle die Möglichkeit, räumliche<br />

Objekte <strong>und</strong> ihre Eigenschaften koordinatengeometrisch<br />

zu spezifizieren <strong>und</strong> erzeugt<br />

dann realistisch wirkende Bilder der spezifizierten<br />

Szenerie (Majeswski 1997, Filler<br />

2003). Dieses System hat einen hohen Grad<br />

an Offenheit, da es dem Nutzer zunächst nur<br />

wenige Gr<strong>und</strong>fertigkeiten abverlangt, dafür<br />

aber ein breites Spektrum an kreativen Gestaltungsmöglichkeiten<br />

eröffnet. Die <strong>Mathematik</strong><br />

(Koordinatengeometrie, analytische Geometrie)<br />

wird hier gleichsam automatisch <strong>im</strong><br />

Zuge von selbstgewählten Darstellungsaufgaben<br />

erk<strong>und</strong>et (Leuders 2004).<br />

Abb. 10: Lernumgebung POVRAY<br />

(b) Authentizität<br />

Die <strong>im</strong> Rahmen von konstruktivistischen Argumentationen<br />

oft eingeforderte situative Authentizität<br />

wird meist begründet mit zu erwartetenden<br />

Motivationseffekten, vor allem aber<br />

mit einem erhofften höheren Transferpotential.<br />

Reinmann-Rothmeier et al. (1994, 46) diskutieren<br />

diesen Aspekt vor allem mit Bezug<br />

auf berufliche Weiterbildung <strong>und</strong> sehen dabei<br />

durchaus die Gefahr der Überforderung der<br />

<strong>Lernen</strong>den, wenn der Authentizitätsgrad nicht<br />

ihren Wissens- <strong>und</strong> Erfahrungsstand berücksichtigt.<br />

Sie schlagen daher vor, unter einem<br />

situierten Kontext einen eher eingebetteten<br />

als authentischen Kontext zu verstehen. Im<br />

schulischen Kontext des <strong>Mathematik</strong>unterrichts<br />

scheint dieses Problem doppelt ausgeprägt,<br />

da hier die Erfahrungen von Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schülern sowohl mit realen Anwendungskontexten<br />

als auch mit komplexen<br />

inner- wie außermathematischen Situationen<br />

erfahrungsgemäß sehr gering zu veranschlagen<br />

ist. Dennoch braucht gerade der<br />

schulische <strong>Mathematik</strong>unterricht, der an einer<br />

überstarken didaktischen Filterung mathematischer<br />

Probleme krankt, solche authentischen<br />

Kontexte. Dass solche Kontexte<br />

auch <strong>im</strong> Rahmen eines nicht-akademischen<br />

<strong>Mathematik</strong>kurses (Wisk<strong>und</strong>e A in den Niederlanden,<br />

Gr<strong>und</strong>kurs in Deutschland) produktiv<br />

werden können, beweisen vielfältige<br />

Probleme aus der niederländischen Wisk<strong>und</strong>e<br />

A (siehe z.B. www.alympiade.de).<br />

Das <strong>Internet</strong> bietet eine Fülle von nichtdidaktifizierten<br />

"Real World Problems", die<br />

nicht auf den schulischen <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

zurechtgeschneidert sind, aber attraktive,<br />

offene Lernumgebungen abgeben können.<br />

Zwei Beispiele mögen dies illustrieren:<br />

23


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

Die Weltbevölkerungsuhr lädt ein zur Exploration<br />

der dort angegebenen Zahlen: "Welche<br />

Prognosen ergeben sich? Wie funktioniert<br />

die Uhr? Wie wächst die Bevölkerung<br />

24<br />

Abb. 11: Die Weltbevölkerungsuhr <strong>—</strong> www.dsw-online.de/cgi-bin/count.pl<br />

[Am Schluss der Seite findet sich folgende Erläuterung:]<br />

The formula for calculating the top 250 films gives a true Bayesian est<strong>im</strong>ate:<br />

weighted rank (WR) = (v ÷ (v+m)) × R + (m ÷ (v+m)) × C<br />

where:<br />

R = average for the movie (mean) = (Rating)<br />

v = number of votes for the movie = (votes)<br />

m = min<strong>im</strong>um votes required to be listed in the top 250 (currently 1250)<br />

C = the mean vote across the whole report (currently 6.9)<br />

note: for this top 250, only votes from regular voters are considered.<br />

Abb. 12: Bestenliste auf <strong>Internet</strong> Movie Database <strong>—</strong> http://www.<strong>im</strong>db.com/top_250_films<br />

tatsächlich? Wie sieht das nach Ländern differenzierte<br />

Bild aus?"<br />

Die <strong>Internet</strong> Movie Database hat ein Bewertungsverfahren<br />

für Filme (rating) <strong>und</strong> gibt so-


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

gar eine Formel an, nach der die Leserbewertungen<br />

eingeordnet werden. Wie "funktioniert"<br />

diese Formel? Wie verändern sich die<br />

Ergebnisse in Abhängigkeit von der Anzahl<br />

der abgegebenen ratings? Was ist ein Bayes'scher<br />

Schätzer?<br />

Des Weiteren muss man auch Datenbestände<br />

für den <strong>Mathematik</strong>unterricht, wie<br />

statistische Datenbanken (etwa die des Statistischen<br />

B<strong>und</strong>esamtes www.destatis.de)<br />

oder Formelsammlungen <strong>und</strong> Fachlexika<br />

(www.mathe-online.at/mathint/lexikon) <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

als Bausteine für Lernumgebungen<br />

ansehen.<br />

Schließlich soll noch angedeutet werden,<br />

dass gerade die Mult<strong>im</strong>ediamöglichkeiten<br />

des <strong>Internet</strong>s zur Situiertheit von Lernumgebungen<br />

beitragen können. Informationen<br />

können vor allem in visuell vielfachen Darstellungsformen<br />

dargeboten werden. Dabei<br />

ist aber darauf zu achten, ob Mult<strong>im</strong>edia hier<br />

eine Ergänzungs- oder Ersatzfunktion einn<strong>im</strong>mt.<br />

Eine Auseinandersetzung in persona<br />

mit der wirklichen Welt kann durch kein digitales<br />

Klassen- oder Spielz<strong>im</strong>mer ersetzt werden.<br />

Beispiele für virtuelle Klassenz<strong>im</strong>mer,<br />

wie man sie insbesondere in den USA findet,<br />

st<strong>im</strong>men hinsichtlich der Substitution pr<strong>im</strong>ärer<br />

Welterfahrung durch digitale Surrogate<br />

bedenklich (vgl. Abb. 13).<br />

Einen Beitrag zur Authentizität von <strong>Lernen</strong><br />

können auch die gewachsenen Möglichkeiten<br />

des World Wide Publishing leisten. Einzelne<br />

Schüler oder ganze Kurse können die<br />

Ergebnisse ihres Lernprozesses ohne hohen<br />

(finanziellen) Produktionsaufwand veröffentlichen<br />

<strong>und</strong> zur Diskussion stellen. Neben dem<br />

Motivationsaspekt stellt sich hier allerdings<br />

die Frage, welche Qualität Schülerprodukte<br />

haben sollten, um auf diese Weise veröffentlicht<br />

zu werden. Ein <strong>Mathematik</strong>kurs vom<br />

Copernikus-Gymnasium Phillipsburg hat beispielsweise<br />

die Wiederholungs- <strong>und</strong> Vertiefungsphase<br />

vor den Abiturprüfungen genutzt,<br />

um in einem Projekt Kernthemen online aufzubereiten<br />

(http://sites.inka.de/picasso/einga<br />

ng6.htm). Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler haben<br />

hier sicherlich etwas über Webseiten-Erstellung<br />

gelernt. Anstelle einer reflektierten Publikation<br />

eigener (<strong>und</strong> sei es auch noch so<br />

einfacher) mathematischer Arbeiten wurden<br />

hier jedoch nur die Reproduktion <strong>und</strong> Aufbereitung<br />

von Standardthemen aus dem verwendeten<br />

Schulbuch betrieben.<br />

(c)-(e) Interaktivität<br />

So oft der Begriff der Interaktivität als Qualitätsmerkmal<br />

für digitale Produkte angeführt<br />

wird, so wenig besteht Einigkeit über eine<br />

klare Definition (s. Haack 2002, Blumstengel<br />

Abb. 13: Virtuelle "Ersatz"umgebungen <strong>—</strong> www.jayzeebear.com<br />

25


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

1998). In Mult<strong>im</strong>ediaumgebungen meint Interaktivität<br />

häufig den freien Zugriff auf alle<br />

Inhalte, <strong>im</strong> Rahmen von ITS eine starke Anpassung<br />

des Systems an einen Nutzer. Aus<br />

Nutzersicht kann Interaktivität für manche<br />

Autoren lediglich in einem hohen Aktivierungsgrad,<br />

z.B. häufige Tests, bestehen, für<br />

andere ist ein proaktiver <strong>und</strong> generierender<br />

Interaktionsstil (<strong>im</strong> Gegensatz zu einem reaktiven)<br />

entscheidend.<br />

Im Folgenden will ich daher verschiedene<br />

Aspekte von Interaktivität <strong>und</strong> ihre Bedeutung<br />

bewusst getrennt voneinander darstellen.<br />

Die schon <strong>im</strong> vorangegangenen Abschnitt<br />

beschriebene offene Hypertextstruktur<br />

kann als ein Aspekt von Interaktivität aufgefasst<br />

werden, nämlich Interaktivität als vom<br />

Lerner kontrollierte Lernwegsteuerung. Als<br />

weitere Aspekte (die das Thema durchaus<br />

nicht erschöpfen) sollen ins Auge gefasst<br />

werden: Interaktivität als Feedback durch das<br />

System, als Unterstützung freier Kommunikation<br />

<strong>und</strong> als Adaptivität eines Systems.<br />

(c) Interaktivität als Reaktivität des<br />

Systems (unmittelbares Feedback)<br />

• Lernwegsteuerung: Während Lernsysteme<br />

praktisch <strong>im</strong>mer das Tempo der Bearbeitung<br />

dem <strong>Lernen</strong>den überlassen, geben<br />

z. B. tutorielle Systeme einen Lernweg<br />

vor, der Benutzer kann darauf lediglich<br />

"blättern". Im Gegensatz dazu liegt<br />

die Entscheidung über den Lernweg bei<br />

Hypermedia gr<strong>und</strong>sätzlich be<strong>im</strong> <strong>Lernen</strong>den:<br />

"Unlike most information systems,<br />

hypermedia users must be mentally active<br />

while interacting with the information. ...<br />

Hypermedia permits a higher level of dynamic<br />

user control." (Jonassen/Grabinger<br />

90, 7). Dieser freie Zugriff auf Inhalte ohne<br />

definierte Folge ist wichtig (<strong>und</strong> beispielsweise<br />

ein großer<br />

Vorteil gegenüber Video),<br />

konstituiert aber<br />

für sich allein noch<br />

keinen besonders hohen<br />

Grad an Interaktivität.<br />

• Darstellungstiefe: In einigen<br />

Hypermedia-<br />

Lernsystemen kann die<br />

Darstellungstiefe der<br />

Informationen variiert<br />

werden. So können<br />

beispielsweise durch<br />

Mausklick auf Teile einer<br />

Grafik weitere Informationen, Vergrößerungen<br />

o.Ä. gezeigt werden.<br />

26<br />

• Dialoggestaltung: Viele Hypermedia-Systeme<br />

sehen lediglich eine einseitige Informationspräsentation<br />

vor. Der Interaktivitätsgrad<br />

wird erhöht, wenn beispielsweise<br />

Testfragen integriert werden. Diese<br />

können wiederum qualitativ sehr unterschiedlich<br />

realisiert werden. Wünschenswert<br />

ist dabei, auch über Multiple-Choice-<br />

Fragen hinausgehende Testtypen zu verwenden.<br />

Ein höherer Grad an Interaktivität<br />

wird auch durch die Integration von<br />

S<strong>im</strong>ulationselementen erreicht, wenn mathematisch<br />

oder grafisch repräsentierte<br />

Modelle mit verschiedenen Parametern<br />

getestet werden können <strong>und</strong> die Konsequenzen<br />

anschaulich dargestellt werden.<br />

Eine weitere Möglichkeit ist die Integration<br />

adaptiver tutorieller Komponenten, z. B. in<br />

Form kontextsensitiver Hilfen oder Guides.<br />

(c) Interaktivität in Form von Reaktivität<br />

des Systems (Feedback)<br />

Durch seine hohe Verarbeitungsgeschwindigkeit<br />

besitzt der Computer die Stärke der<br />

instantanen Rückmeldung über das Ergebnis<br />

einer Berechnung. Zu den bedeutsamen Folgen<br />

für den <strong>Mathematik</strong>unterricht gehört hier<br />

z.B. eine mögliche Stärkung des funktionalen<br />

Denkens, da der Zusammenhang von<br />

Ursache <strong>und</strong> Wirkung von den Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schülern nicht nur in Gedanken vollzogen,<br />

sondern auch "augenscheinlich" erlebt<br />

werden kann. Viele der in großer Vielzahl<br />

entstehenden so genannten Applets bieten<br />

ein interaktives Erk<strong>und</strong>en eines funktionalen<br />

Zusammenhangs an, wie z.B. das in Abb. 14<br />

dargestellte, der Lernumgebung Mathe-<br />

Online (www.mathe-online.at) entnommene<br />

Applet.<br />

Zudem besitzt der <strong>Mathematik</strong>unterricht mit<br />

Abb. 14: Funktions-Applet aus<br />

www.mathe-online.at/galerie/fun1/fun1.html#FunktAbh (den Punkt auf der x-<br />

Schiene zieht man, der Punkt auf der y-Schiene bewegt sich mit)<br />

dem Computer erstmals ein universelles Exper<strong>im</strong>entierwerkzeug.<br />

In diesem Sinne kann<br />

der Rechner als epistemisches <strong>und</strong> heuristi-


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

sches Werkzeug genutzt werden, also als eine<br />

Erweiterung der menschlichen Fähigkeit,<br />

Wissen zu erzeugen <strong>und</strong> Probleme zu lösen.<br />

Hierbei spielt auch die Stärke des Computers<br />

eine Rolle, dass er die Integration <strong>und</strong> den<br />

schnellen Wechsel von unterschiedlichen<br />

mathematischen Darstellungsformen (numerisch,<br />

grafisch, symbolisch) ermöglicht.<br />

All diese Vorzüge sind auch über das <strong>Internet</strong><br />

nutzbar, wobei die Rückmelderaten begrenzt<br />

werden sowohl durch Servergeschwindigkeiten<br />

als auch durch Übertragungsraten.<br />

Diverse server- <strong>und</strong> clientseitige<br />

technischen Lösungen lassen diese Restriktion<br />

aber <strong>im</strong>mer mehr in den Hintergr<strong>und</strong> treten.<br />

Derartiges "instant Feedback" spielt auch eine<br />

Rolle bei jeglicher Rückmeldung zu Lernerfolgen<br />

<strong>im</strong> Rahmen von Tests. Hier spielt es<br />

kaum noch eine Rolle, ob ein solches System<br />

nur durch eine eigenständige Software<br />

oder über <strong>WWW</strong>-Plattformen realisiert werden<br />

kann. Die Begrenzung liegt hier eher in<br />

dem prinzipiellen Widerspruch zwischen<br />

technisch realisierbaren Rückmeldungen (<strong>im</strong><br />

einfachsten Fall: multiple choice) <strong>und</strong> dem<br />

Anspruch hohe kognitive Lernerleistungen<br />

herauszufordern. Die semantischen Begrenzungen<br />

eines Computersystems wurden<br />

oben bereits angesprochen. Es gibt allerdings<br />

vielfältige Wege, jenseits von multiple<br />

choice <strong>und</strong> fill-in, durchaus flexiblere Abfragetechniken<br />

zu realisieren, etwa durch Zuordnungspuzzles<br />

(Abb. 15). Hier werden die<br />

<strong>Lernen</strong>den zu Explorationen <strong>und</strong> Reflexionen<br />

angeregt ("Welche Bilder gehören zu negativen<br />

Werten? Warum?").<br />

Genutzt wird instant feedback auch in einer<br />

Vielzahl von Demonstrationsmodellen <strong>und</strong><br />

S<strong>im</strong>ulationen, die interaktiv bedient werden<br />

können. Eine interaktiv veränderbare, dynamische<br />

Darstellung des Sonnensystems <strong>im</strong><br />

<strong>Internet</strong> (z.B. der Halleysche Komet bei der<br />

NASA unter neo.jpl.nasa.gov/orbits kann beispielsweise<br />

zur Beschäftigung mit der Frage<br />

"Was sind Winkel zwischen Ebenen?" anregen.<br />

Das eigenhändige Manipulieren <strong>und</strong><br />

Erstellen mathematischer Objekte ist allerdings<br />

weiterhin für mathematische Pr<strong>im</strong>ärerfahrungen<br />

unabdingbar. Nur mit virtuellen<br />

Bauklötzen können sich Raumvorstellungen<br />

nicht ausbilden.<br />

(d) Interaktivität in Form von Kommunikativität<br />

Die Erkenntnis der Beschränkungen, die eine<br />

Interaktion allein mit einer Maschine unterliegt<br />

(HCI = human computer interaction),<br />

führt für viele Autoren von Lernumgebungen<br />

zu dem konsequenten Schritt, diese durch<br />

die konsequente Einbeziehung zwischenmenschlicher<br />

Interaktion aufzuheben. Immer<br />

dann, wenn sich diese Kommunikation zwischen<br />

sich persönlich gegenübertretenden<br />

Handlungspartnern vollziehen kann, sollte<br />

man diese Chance nutzen. Dennoch kann es<br />

sinnvoll sein, auch über elektronisch vermittelte<br />

Wege der Kommunikation zwischen<br />

<strong>Lernen</strong>dem <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong>dem, aber auch innerhalb<br />

von <strong>Lernen</strong>dengruppen nachzudenken.<br />

Die Vielfalt der Angebote für elektronische<br />

Kommunikation <strong>und</strong> Zusammenarbeit<br />

ist inzwischen schier unübersehbar; <strong>—</strong> meist<br />

sind diese Systeme allerdings nicht aus pädagogischen<br />

Bedürfnissen entsprungen, sondern<br />

erst in der Folge auf ihre pädagogische<br />

Eignung befragt worden. Zu den wichtigsten<br />

Typen gehören hier:<br />

• Formen der asynchronen Kommunikation<br />

(E-Mail, Foren, FAQ-Bretter)<br />

Abb. 15: Ein Zuordnungspuzzle aus www.mathe-online.at/tests/vect2/skalarprodukt.html<br />

27


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

• Formen der synchronen Kommunikation<br />

(Chats, Virtuelle Klassenz<strong>im</strong>mer, Video<strong>und</strong><br />

Audiokonferenzen)<br />

• Plattformen für den Dokumentenaustausch<br />

(shared workspaces)<br />

• Techniken des application sharing (Für<br />

die <strong>Mathematik</strong> bedeutsam: Wie können<br />

zwei entfernte Lernpartner dieselbe CAS-<br />

Oberfläche sehen <strong>und</strong> bearbeiten?)<br />

Unter den Stichworten CSCW (computer<br />

supported cooperative work) <strong>und</strong> CSCL<br />

(computer supported cooperative learning)<br />

gibt es vielfältige konkrete Projekte, besonders<br />

<strong>im</strong> Bereich der Weiterbildung <strong>und</strong> der<br />

universitären Lehre (Wessner 2002). Solche<br />

Systeme können zur direktiven Steuerung<br />

(Beispiel: Der Lehrer stellt einen Lernplan in<br />

die Arbeitsumgebung), zur symmetrischen<br />

Kooperation (Beispiel: arbeitsteilige Projektarbeit),<br />

aber auch zur konkurrierenden Arbeit<br />

(Beispiel: Wettbewerbe) genutzt werden.<br />

Die Chance, die in der CSCL-Technologie<br />

gesehen wird, bezieht sich vor allem auf eine<br />

Erhöhung der Intensität <strong>und</strong> der Qualität von<br />

Interaktivität in computerunterstützten Lernumgebungen.<br />

Aus konstruktivistischer Sicht<br />

spielt hier aber auch der Aspekt von Wissen<br />

als sozialer Konstruktion eine Rolle: Wir<br />

kommunizieren nicht über Wirklichkeit, sondern<br />

erschaffen Wirklichkeit in der Kommunikation<br />

(Watzlawick)<br />

Die Realisierung solcher kommunikativer<br />

Elemente findet oftmals über so genannte<br />

Lernplattformen statt. Dieser Begriff ist nicht<br />

<strong>im</strong>mer klar abgegrenzt. Meist versteht man<br />

hierunter eine Kombination verschiedener Informations-<br />

<strong>und</strong> Kommunikationselemente<br />

(Schulmeister 2001, 165): Einstiegsportal,<br />

Kursmanagement, Darstellung von Kursunterlagen,<br />

Online-Kurse (Seminare), Autorenwerkzeuge<br />

für <strong>Lehren</strong>de, Werkzeuge zum<br />

kooperativen Arbeiten.<br />

Im Bereich des schulischen Einsatzes ist jeweils<br />

sehr gewissenhaft nach dem Mehrwert<br />

solcher Systeme zu prüfen: Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler in allgemeinbildenden Schulen<br />

haben in der Regel viele Möglichkeiten, direkt<br />

miteinander zu kommunizieren <strong>und</strong> zu<br />

kooperieren. (Hierfür wird heutzutage <strong>—</strong> als<br />

sei es bereits die Ausnahmesituation <strong>—</strong> der<br />

schöne Begriff "face to face" verwendet).<br />

Elektronische Kommunikation kann zu einer<br />

Bereicherung führen, wie z.B. in Distanzphasen<br />

in der beruflichen Weiterbildung (vgl. das<br />

NRW-Projekt www.abitur-online.nrw.de für<br />

den zweiten Bildungsweg), oder eben zur<br />

Verarmung durch Surrogatkommunikation:<br />

Muss z.B. die Verteilung von Lernmaterial,<br />

28<br />

die Rücksendung <strong>und</strong> Kommentierung von<br />

Dokumenten auch bei schulischen Hausaufgaben<br />

über eine Lernplattform laufen (vgl.<br />

das Schwesterprojekt www.selgo.de für die<br />

gymnasiale Oberstufe)?<br />

Oft wird auch der Aspekt der "verteilten Kognition"<br />

beschworen. In kooperativen Arbeitsumgebungen<br />

können Mitglieder arbeitsteilig<br />

ihre spezifische "Experten"sichten beitragen.<br />

So entsteht eine gemeinsame Wissensbasis<br />

in der Summe von Einzelbeiträgen.<br />

Verteiltes Wissen kann zu geteiltem<br />

Wissen werden. Systeme für ein solches<br />

Wissensmanagement können z.T. berückend<br />

einfach sein, wie das WIKI-Projekt zeigt<br />

(www.wikipedia. de). Schulen sammeln bereits<br />

erste Erfahrungen, insbesondere <strong>im</strong> Bereich<br />

der Informatik. Letztlich sind die zahlreichen<br />

(kommerziellen) Hausaufgaben- <strong>und</strong><br />

Facharbeitenbörsen auch solche Systeme<br />

verteilten Wissens. Ihre Existenz stellt eine<br />

Herausforderung für das Bild schulisch erworbenen<br />

Wissens dar.<br />

Schließlich soll auch die (vermeintliche?)<br />

globale Öffnung durch elektronische Kommunikation<br />

zur Sprache kommen. Der Sinn<br />

<strong>und</strong> Erfolg von E-Mail Austausch-Projekten<br />

ist <strong>im</strong> sprachlichen Bereich erwartungsgemäß<br />

höher als in der <strong>Mathematik</strong>. Auch der<br />

Austausch mit externen Experten per E-Mail<br />

wird für den <strong>Mathematik</strong>unterricht wohl in<br />

nächster Zeit eher von sek<strong>und</strong>ärer Bedeutung<br />

sein <strong>und</strong> auf Leuchtturmprojekte beschränkt<br />

bleiben.<br />

Mit Schulmeister (2002, 206) kann man abschließend<br />

feststellen: "Ob <strong>und</strong> wie kooperativ<br />

gelernt wird hängt entscheidend davon ab,<br />

wie das technische System in den höheren<br />

Lernzusammenhang eingebettet ist".<br />

(e) Interaktivität in Form von Adaptivität<br />

Alle <strong>Lernen</strong>den sind verschieden. Diese<br />

ebenso lapidare wie unbestreitbare Aussage<br />

muss Konsequenzen für die Gestaltung einer<br />

Lernumgebung haben. Vom menschlichen<br />

<strong>Lehren</strong>den fordern wir eine flexible Anpassung<br />

an die Bedürfnisse der einzelnen <strong>Lernen</strong>den,<br />

angemessene Reaktionen auf deren<br />

individuellen Beiträge <strong>und</strong> das Angebot differenzierter<br />

Lerngelegenheiten <strong>und</strong> Lerntempi.<br />

Doch auch ein Lehrer ist schnell überfordert,<br />

wenn er dies bei dreißig Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schülern zugleich leisten soll. Konstruktivistische<br />

Ansätze entheben den <strong>Lehren</strong>den von<br />

der früher vehement propagierten, wenngleich<br />

unlösbaren Aufgabe der individuellen<br />

Differenzierung ("Jedem Schüler sein eigenes<br />

Arbeitsblatt"). Eine angemessene Differenzierung<br />

können letztlich allein die <strong>Lernen</strong>-


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

den selbst leisten, indem sie ihre Lernumwelt<br />

nach ihren individuellen Bedürfnissen (mit-)<br />

gestalten.<br />

Die Hoffnung, die elektronische Lernumgebungen<br />

nähren, besteht nun darin, dass dieses<br />

Ideal der totalen Differenzierung durch<br />

die Anpassungsfähigkeit maschineller Systeme<br />

anscheinend wieder in erreichbare Nähe<br />

rückt. Aber können so genannte adaptive<br />

elektronische Systeme dies wirklich leisten?<br />

Als Adaptivität von Systemen wird deren Fähigkeit<br />

verstanden, sich automatisch an den<br />

<strong>Lernen</strong>den anzupassen. (Im Gegensatz dazu<br />

bedeutet Adaptierbarkeit, die Möglichkeit, an<br />

ihnen verschiedene Parameter voreinzustellen,<br />

wie etwa die Sprache oder den Schwierigkeitsgrad,<br />

oder die Vorauswahl von funktionalen<br />

Schaltflächen bei einem DGS).<br />

Die Adaptivität von Lernumgebungen variiert<br />

nicht nur graduell, hier gibt es vielmehr erhebliche<br />

prinzipielle Unterschiede. Erhoben<br />

werden können vom System eine ganze Reihe<br />

unterschiedlicher Lernerdaten, sowohl vor<br />

als auch während des Lernprozesses. Sie<br />

können <strong>im</strong>plizit aus dem Lernweg oder explizit<br />

aus Vor- <strong>und</strong> Zwischentests sowie aus<br />

Selbsteinschätzungen stammen. Eine typische<br />

Form ist die Konstruktion eines so genannten<br />

Lernermodells, in dem Eigenschaften<br />

des <strong>Lernen</strong>den erhoben werden, wie etwa<br />

sein lernrelevantes Vorwissen oder seine<br />

themenbezogene Selbsteinschätzung.<br />

able Lernermodelle (Kenntnisse, Fähigkeiten,<br />

Präferenzen) erstellen kann. Hier tritt jedoch<br />

eine typische, paradox anmutende <strong>und</strong> nicht<br />

überwindbare "Unschärferelation" zu Tage:<br />

Je detaillierter die Informationen, die das<br />

System über den Lerner gewinnen will, desto<br />

fragmentierter werden die Lernschritte, die<br />

angeboten werden <strong>und</strong> desto größer die Interferenz<br />

in Form von Abfragen, Tests <strong>und</strong><br />

Selbsteinschätzungen.<br />

Erkennt man die Begrenzungen der Nutzermodellierung<br />

nicht nur an, sondern spricht<br />

man dem System a priori eine solche starke<br />

Kontrolle des Lernerverhaltens <strong>und</strong> der angebotenen<br />

Lernwege ab, so verfolgt man ein<br />

gegensätzliches Paradigma. Dann ist es<br />

nicht das System, das ein Modell des <strong>Lernen</strong>den<br />

erstellt <strong>und</strong> sich daran orientiert,<br />

sondern der <strong>Lernen</strong>de selbst, der qua Wahl<br />

seines Lernwegs ein zunächst <strong>im</strong>plizites<br />

"Selbstmodell" entwirft. Dieses Modell ist anfangs<br />

unbewusst, kann aber <strong>im</strong> Laufe des<br />

Lernprozesses <strong>im</strong>mer mehr vom <strong>Lernen</strong>den<br />

reflektiert werden. Einen solchen Weg verfolgt<br />

der oben geschilderte "Matheführerschein":<br />

Der <strong>Lernen</strong>de muss <strong>im</strong>mer wieder<br />

entscheiden, welche Darstellungsformen<br />

("sprachlich/situativ", "grafisch", "numerisch"<br />

<strong>und</strong> "symbolisch", vgl. Abb. 8) er bevorzugt<br />

<strong>und</strong> wird durch das System darin unterstützt,<br />

sich diese Wahl bewusst zu machen. Man<br />

kann diese System-Nutzer-Interaktion als "reflektierte<br />

Offenheit" bezeichnen.<br />

Man muss vielleicht<br />

ausgleichend feststellen,<br />

dass eine Lernumgebung<br />

eine sinnvolle<br />

Integration von<br />

beiden Paradigmen,<br />

dem der systemischen<br />

Adaptivität <strong>und</strong> dem<br />

der reflektierten Offenheit,<br />

bieten sollte. Solche<br />

Variablen, die<br />

Abb. 16: Selbsteinschätzung <strong>und</strong> Einschätzung durch das System in<br />

http://demo.activemath.org<br />

technisch erhoben<br />

werden können <strong>und</strong><br />

die Lernwege <strong>und</strong> Dar-<br />

Die Forderung nach Lerneradaptivität <strong>und</strong> die<br />

Konstruktion von Lernermodellen zielen darauf<br />

ab, ein System in den Stand zu versetzen,<br />

den Lernweg auf die (vermuteten bzw.<br />

modellierten) Bedürfnisse des <strong>Lernen</strong>den<br />

abzust<strong>im</strong>men, also letztlich dem System die<br />

Möglichkeit einer differenzierten Kontrolle<br />

über den angebotenen Lernweg zu geben.<br />

Mit einer solchen Zielsetzung ist der hohe<br />

Anspruch verb<strong>und</strong>en, dass ein System hinreichend<br />

komplexe, statistisch valide <strong>und</strong> vistellungsformensinnvoll<br />

modifizieren, ohne den Lerner zu gängeln,<br />

sollten auch genutzt werden (etwa die<br />

Darstellungsform der Navigationsinstrumente).<br />

Die Variabilität des Lernprozesses darf<br />

sich hingegen nicht in einer vom System getroffenen<br />

Vorauswahl erschöpfen <strong>und</strong> auf einer<br />

<strong>im</strong>pliziten Systemebene dem <strong>Lernen</strong>den<br />

verborgen bleiben. Die Vielzahl der Lernwege<br />

muss dem mündigen Lerner stets offen<br />

liegen. Eine solche Ausgleichsforderung liegt<br />

beispielsweise bei dem Modell der Adaptiven<br />

29


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

Hypermedia-Systeme vor, wie sie Seeberg<br />

(2002, 10ff) vorstellt. Hier können z.B. alle<br />

Links offen stehen, aber mit Hilfe einer Ampelmetapher<br />

dem Lerner deutlich gemacht<br />

werden, in wie weit er aufgr<strong>und</strong> seines Lernmodells<br />

<strong>und</strong> Lernweges die Voraussetzungen<br />

für die Bearbeitung des dahinter liegenden<br />

Moduls erfüllt.<br />

Ein weiteres Kriterium für eine offenere, lernerzentrierte<br />

Auffassung von Interaktivität einer<br />

Lernumgebung liefert Schulmeister<br />

(2002). Diese kann dem <strong>Lernen</strong>den erlauben,<br />

aktiv in ihre Struktur einzugreifen <strong>und</strong><br />

sie nach seinen Wünschen umzugestalten.<br />

Für diese Art von reziproker Adaptivität sind<br />

gerade Hypermedia-Systeme gut geeignet:<br />

Der <strong>Lernen</strong>de kann den Elementen eigene<br />

Annotationen hinzufügen, kann ggf. auch Ergänzungen<br />

<strong>und</strong> Änderungen von Inhalten<br />

oder strukturellen Verknüpfungen vornehmen.<br />

Einige zusammenfassende<br />

Bemerkungen<br />

Die folgenden Bemerkungen zu einigen<br />

Kernfragen des <strong>Lernen</strong>s in medialen, konstruktivistischen<br />

Lernumgebungen sind zwar<br />

als Konsequenz der vorangehenden Ausführung<br />

zu verstehen, sind aber weniger systematisch<br />

<strong>und</strong> eher subjektiv geprägt.<br />

Welche Rolle spielt das konstruktivistische<br />

Paradigma für das <strong>Lernen</strong>?<br />

Es ist deutlich geworden, dass viele der hier<br />

zusammengetragenen Anforderungen an<br />

Lernumgebungen nicht unbedingt eines konstruktivistischen<br />

Hintergr<strong>und</strong>es bedürfen. Die<br />

konstruktivistische Position, die vor allem Situiertheit<br />

<strong>und</strong> Selbstregulation betont, erweist<br />

sich als wichtiges Korrektiv: Dass <strong>und</strong> warum<br />

gerade computergestützte Lernarrangements<br />

<strong>im</strong>mer noch besondere Gefahr laufen, einen<br />

einseitig vermittlungsorientierten Ansatz zu<br />

verfolgen, ist aus den vorangehenden Argumenten<br />

<strong>und</strong> Beispielen deutlich geworden.<br />

Welche Hoffnungen sind mit computergestützten<br />

Lernumgebungen verb<strong>und</strong>en?<br />

Die Gründe, die für eine stärkere Förderung<br />

eines computer- <strong>und</strong> internetgestützten <strong>Lernen</strong>s<br />

angeführt werden, klingen meist plausibel,<br />

müssen sich aber auf ihren Gehalt kritisch<br />

hinterfragen lassen. Um nur einige wesentliche<br />

Beispiele zu nennen:<br />

30<br />

• Innovation der Lehrformen: Allein die Diagnose<br />

mangelnder Qualität herkömmlichen<br />

Unterrichts ist nicht hinreichend dafür,<br />

Hoffnungen in Computersysteme zu<br />

setzen. Vielen erkennbaren Vorteilen<br />

(emotionale Neutralität, individuelle Lerntempi)<br />

können ebenso gewichtige Nachteile<br />

entgegengesetzt werden (mangelnde<br />

Kommunikation, keine Verstehensprozesse<br />

seitens des Systems). Ausgesprochene<br />

Kritiker formulieren ihre Thesen hierzu<br />

sogar noch krasser: "Alles, was man pädagogisch<br />

erreichen/vermeiden will, erreicht/vermeidet<br />

man besser ohne den<br />

Computer. Alle Dummheiten, die die<br />

Schule macht, macht sie mit ihm verstärkt.<br />

Das, was man nur an <strong>und</strong> mit dem<br />

Computer lernen kann, ist herzlich wenig<br />

<strong>und</strong> kann kurz vor der Entlassung in die<br />

Arbeitswelt realistischer <strong>und</strong> wirksamer<br />

absolviert werden" (von Hentig 1993).<br />

• Öffnung von Schule. In wie weit ist die<br />

Öffnung der Grenzen über die Lerngruppe<br />

hinaus wesentliche Qualitätssteigerung?<br />

In wie weit kann das Informationsangebot<br />

<strong>und</strong> die Möglichkeit der weltweiten Kommunikation<br />

wirksam in den Unterricht integriert<br />

werden?<br />

• Aktualität. Wie aktuell müssen Informationen<br />

für den <strong>Mathematik</strong>unterricht wirklich<br />

sein? Hier ist die Bedeutung des Aktualitätskriteriums<br />

für den Politikunterricht sicherlich<br />

unmittelbarer (obwohl es auch<br />

hier Alternativmedien gibt!).<br />

• Kommunikation. Eine Kommunikationssteigerung<br />

ist wohl allein dort zu verzeichnen,<br />

wo <strong>Lernen</strong>de ansonsten notwendig<br />

physisch getrennt agieren müssten<br />

(Flächenbesiedlung, Spezialkurse,<br />

Zweiter Bildungsweg).<br />

• Medienkompetenz für lebenslanges <strong>Lernen</strong>,<br />

als Teil von Allgemeinbildung, als<br />

notwendige Bedingung für den ökonomischen<br />

Status der Gesellschaft ("Standortfrage").<br />

Hier treffen wir wirtschafts- <strong>und</strong><br />

bildungspolitische Argumente, die meist<br />

eher ideologisch als sachlich verwendet<br />

werden. Ob jeder Arbeitnehmer künftig<br />

he<strong>im</strong>ischer Selbstlerner sein muss, um<br />

mit betrieblichen Entwicklungen mitzuhalten,<br />

wie viel Medienkompetenz in der<br />

Schule erworben werden muss ("<strong>Internet</strong>führerschein"),<br />

ist mehr von normativen<br />

Zielvorstellungen als von nüchternen Analysen<br />

best<strong>im</strong>mt. Zum Auftrag der Pädagogik<br />

gehört allerdings auch, junge Menschen<br />

darin zu unterstützen, dass sie "der<br />

technischen Zivilisation gewachsen bleiben"<br />

<strong>—</strong> so Hartmut von Hentig (2002).


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

Prozesse wie Mediatisierung, Ökonomisierung,<br />

Kollektivierung <strong>und</strong> die damit<br />

einhergehende Vereinzelung <strong>und</strong> Entfremdung<br />

sind Kategorien, die bei allen<br />

technischen <strong>und</strong> didaktischen Entwicklungen<br />

mitreflektiert werden müssen.<br />

Welche Rollenveränderungen in Schule<br />

zeichnen sich ab?<br />

Nicht das Klassenz<strong>im</strong>mer als Raum der<br />

Lernbegegnung ist obsolet, wie viele Apologeten<br />

medialer Lernumgebungen postulieren<br />

(vgl. z.B. "The Death Of The Classroom",<br />

Fielding 1999), sondern die Rollenverteilung<br />

zwischen <strong>Lehren</strong>den <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>den ist reformbedürftig.<br />

Eine stärkere Selbststeuerung<br />

<strong>und</strong> Verantwortung des lernenden Individuums<br />

erreicht man allerdings nicht allein<br />

durch die Subtraktion eines <strong>Lehren</strong>den aus<br />

dem Lernprozess, sondern nur durch eine<br />

Veränderung der Handlungsmuster <strong>und</strong> des<br />

Selbstverständnisses des <strong>Lehren</strong>den.<br />

Dabei kann nicht das Ausblenden jeglicher<br />

Instruktion das Ziel sein, sondern ein sinnvolles<br />

Einbetten von Instruktionsphasen, die die<br />

<strong>Lernen</strong>den nach ihren Bedürfnissen abrufen<br />

können. (Die Autorengruppe der BLK-Expertise<br />

(1996, 23f) weist ausdrücklich auf funktionale<br />

Äquivalenz von Unterrichtsmethoden<br />

hin <strong>und</strong> warnt vor "pädagogischem Dogmatismus".)<br />

Der Lehrer ist <strong>—</strong> <strong>im</strong>mer noch mehr als jedes<br />

computerbasierte Lernsystem <strong>—</strong> ein didaktisch<br />

geschulter Instruktor, der die Lerngruppe<br />

aus vielfältigen Lern-, Leistungs- <strong>und</strong><br />

Kommunikationszusammenhängen kennt,<br />

der Lernprozesse begleitet <strong>und</strong> beobachtet<br />

hat <strong>und</strong> der interaktiv auf die Anforderungen<br />

der <strong>Lernen</strong>den reagieren kann. Das Klassenz<strong>im</strong>mer<br />

ist zwar nicht per se, aber <strong>im</strong>merhin<br />

doch potentiell eine ideale "Lernumgebung".<br />

Schauen wir einmal rückblickend auf die verschiedenen<br />

Anforderungen an eine Lernumgebung<br />

so stellen wir fest: Die genannten<br />

Qualitätskriterien beziehen sich nicht allein<br />

auf elektronische Medien, sondern lassen<br />

sich ebenso auf die soziale Lernumgebung<br />

einer physischen Lerngruppe anwenden.<br />

Im Einzelnen muss man sich also <strong>im</strong>mer<br />

nach dem Mehrwert einer elektronischen<br />

Lernumgebung fragen. Hier überschneiden<br />

sich ökonomische <strong>und</strong> pädagogische Kriterien<br />

auf eine in diesem Metier typische Art<br />

<strong>und</strong> Weise:<br />

• Eine qualitative (<strong>und</strong> hinreichend offene)<br />

Lernumgebung ist in vielen Lerngruppen<br />

nutzbar. Das Rad muss nicht von jeder<br />

Lehrkraft neu erf<strong>und</strong>en werden. Zudem<br />

kann aus der Erfahrung der Nutzung in<br />

vielen Lerngruppen eine sukzessive Weiterentwicklung<br />

erwachsen. Dies ist beispielsweise<br />

der Modus, in dem japanische<br />

Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer idealiter ihre<br />

(nicht-digitalen Lernumgebung, sprich:<br />

Unterrichtsarrangements) kontinuierlich<br />

opt<strong>im</strong>ieren (Stigler & Hiebert 1999).<br />

• Die Offenheit, die die Hyper-Umgebung<br />

"<strong>Internet</strong>" bieten kann, ist in klassischen<br />

abgeschlossenen Medien (Arbeitsblättern<br />

<strong>und</strong> Schulbüchern) nicht abbildbar <strong>und</strong><br />

auch die Kenntnisse <strong>und</strong> die Kommunikationsfähigkeit<br />

des <strong>Lehren</strong>den sind schnell<br />

erschöpft.<br />

• Elektronische Lernumgebungen können<br />

das selbstständige (<strong>und</strong> je nach Anlage)<br />

auch das kooperative <strong>Lernen</strong> unterstützen,<br />

ja geradezu herausfordern. Insbesondere<br />

die zeitweise Loslösung des <strong>Lernen</strong>den<br />

aus dem in Deutschland <strong>im</strong>mer<br />

noch dominierenden "Gesamtunterricht"<br />

<strong>im</strong> Kursverband <strong>—</strong> mit all seinen bekannten<br />

Defiziten <strong>—</strong> kann eine innovierende<br />

Wirkung haben. Auch der Lehrer, der solche<br />

Lernumgebungen verwendet, ist so<br />

gezwungen, sich intensiver mit den qualitativ<br />

anderen Arbeitsformen <strong>und</strong> Arbeitsergebnissen<br />

auseinander zu setzen.<br />

Gefahr droht dann, wenn die ökonomischen<br />

Kriterien die Überhand gewinnen <strong>—</strong> oder unterschwellig<br />

die Entwicklungen lenken. Dies<br />

geschieht <strong>im</strong>mer dann, wenn darüber nachgedacht<br />

wird, ob Lernsysteme Unterrichtsabläufe<br />

nicht mehr ergänzen, sondern ersetzen<br />

sollen. Viele digitale Lernumgebungen lassen<br />

sich interpretieren als das Bemühen, interpersonale<br />

Prozesse elektronisch <strong>im</strong>mer perfekter<br />

abzubilden (z.B. die non-verbalen Interjektionen<br />

in virtuellen Klassenz<strong>im</strong>mern).<br />

Für den Ausbau von Konstellationen des Distanzlernens<br />

(z.B. in der Erwachsenenbildung)<br />

sind solche Entwicklungen ein Zugewinn,<br />

für den ersetzenden Einsatz <strong>im</strong> Rahmen<br />

von Schulunterricht ganz ausdrücklich<br />

ein Verlust (Schulmeister 2002, 223, 226f).<br />

Anforderungen an eine (internetgestützte)<br />

Lernumgebung <strong>—</strong> eine Kurzfassung<br />

Aus den vorangegangenen Ausführungen<br />

wurde deutlich, dass man auch internetgestützte<br />

Lernumgebungen <strong>im</strong>mer nur eingebettet<br />

in das Gesamtarrangement beurteilen<br />

kann. Es gilt also, eine ausgewogene Berücksichtigung<br />

der Mittel in den folgenden<br />

Bereichen zu reflektieren:<br />

Zu den vielen Kriterien, die man an solche<br />

Lernumgebungen stellen kann (z.B. Blum-<br />

31


T<strong>im</strong>o Leuders<br />

stengel 1998, Schulmeister 2002, Kerres<br />

2001) gehören u.a.:<br />

• Welche Möglichkeiten der Exploration bietet<br />

die Lernumgebung? In welcher Form<br />

sind individuelle Lernwege möglich <strong>und</strong><br />

welche Navigationswerkzeuge unterstützen<br />

den <strong>Lernen</strong>den dabei?<br />

• Welche Möglichkeiten der Konstruktion<br />

(ggf. der Mitgestaltung an der Lernumgebung)<br />

hat der <strong>Lernen</strong>de? Welche kognitiven<br />

Werkzeuge unterstützen den <strong>Lernen</strong>den<br />

dabei?<br />

• In welcher Form sind instruktionale Elemente<br />

eingebettet?<br />

• Wie problemorientiert <strong>und</strong> wie authentisch<br />

ist die inhaltliche Gestaltung?<br />

• Welche Möglichkeiten der Kommunikation<br />

<strong>und</strong> Kooperation werden angeboten?<br />

• In welchem Verhältnis stehen die medienvermittelten<br />

zu den nicht medienvermittelten<br />

Elementen (z.B. bei der Kooperation<br />

<strong>und</strong> Kommunikation)?<br />

• Welches Feedback erhält der <strong>Lernen</strong>de<br />

über seinen Lernerfolg?<br />

Dabei kann nicht jede Lernumgebung alle<br />

Bedarfe zugleich befriedigen. Insbesondere<br />

die Frage nach Novize- bzw. Expertenstatus<br />

des <strong>Lernen</strong>den <strong>und</strong> nach dem Grad seiner<br />

Selbstständigkeit spielen hier eine Rolle.<br />

Dennoch sollte man sich vor der Annahme<br />

hüten, es gebe je nach Lernervoraussetzungen<br />

jeweils eine ideale, auf seine Bedürfnisse<br />

zurechtgeschnittene Lernumgebung. Eher<br />

sollte die Umgebung dem <strong>Lernen</strong>den die<br />

Wahl seiner Arbeitsformen in weiten Teilen<br />

überlassen, etwa wie viel Information er sich<br />

aus dem offenen Medium (z.B. dem <strong>Internet</strong>)<br />

holt, wie sehr er Instruktionsphasen in Anspruch<br />

n<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> wie stark er die Kommuni-<br />

32<br />

Abb. 17: Reale <strong>und</strong> virtuelle Aspekte einer Lernumgebung<br />

kation mit dem realen<br />

oder virtuellen Gegenüber<br />

in Anspruch n<strong>im</strong>mt.<br />

Lernstile sind eher situationsspezifisch<br />

als überdauernd,<br />

Systeme, die<br />

Entwicklungsmöglichkeiten<br />

bieten, sind besser<br />

als solche, die sich individuelleBedürfnisopt<strong>im</strong>ierung<br />

zum Ziel setzen.<br />

Die Qualität der<br />

Lernumgebung bemisst<br />

sich somit danach wie<br />

flexibel der Lerner damit<br />

umgehen kann <strong>und</strong> wie<br />

sehr ihn <strong>Lehren</strong>de darin<br />

unterstützen, <strong>und</strong> auch<br />

neue Angebote <strong>und</strong> wachsende Anforderungen<br />

geben.<br />

Eine derart orientierte Programmatik liegt <strong>—</strong><br />

zumindest den Intentionen nach <strong>—</strong> z.B. dem<br />

bereits genannten NRW-Projekt SelGO zu<br />

Gr<strong>und</strong>e:<br />

"Von besonderer Bedeutung für die<br />

Entwicklung <strong>und</strong> Förderung des<br />

selbstständigen <strong>Lernen</strong>s in der Schule<br />

ist eine Neuorientierung des Unterrichts<br />

in Richtung offener <strong>und</strong> reichhaltiger<br />

Lernumgebungen. Konkret bedeutet<br />

dies u.a., dass die <strong>Lernen</strong>den<br />

möglichst oft mit authentischen Themen<br />

<strong>und</strong> realistischen, wenig vorstrukturierten<br />

Aufgaben konfrontiert werden,<br />

dass Probleme <strong>im</strong> Unterricht aus<br />

möglichst unterschiedlichen Perspektiven<br />

betrachtet werden <strong>und</strong> dass kooperative<br />

Arbeitsformen zugelassen<br />

werden. [...] Die digitalen Medien stehen<br />

in diesem Projekt [...] <strong>im</strong> Dienste<br />

der Förderung des selbstständigen<br />

<strong>Lernen</strong>s." (LfS 2003)<br />

Neue Technologien eigenen sich gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

als Werkzeuge für konstruktivistisches<br />

<strong>Lernen</strong>. Wie jedes Werkzeug haben sie ambivalenten<br />

Charakter. Mindest ebensoviel<br />

Engagement muss in ihre sinnvolle Konstruktion<br />

gesteckt werden wie in die Sorge um ihren<br />

aufgeklärten Einsatz.<br />

Literatur<br />

Barabási, Albert-László (2002): Linked: The New<br />

Science of Networks. Cambridge, MA: Perseus<br />

Blumstengel, Astrid (1998): Entwicklung hypermedialer<br />

Lernsysteme. Berlin: Wissenschaftlicher<br />

Verlag Berlin. Online:


<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> zwischen "instruktivistisch" <strong>und</strong> "konstruktivistisch"<br />

dsor.uni-paderborn.de/de/forschung/<br />

publikationen/blumstengel-diss/Gestaltungs<br />

aspekte-hypermedialer-Lernumgebungen.html<br />

BLK (B<strong>und</strong>-Länder-Kommissions-Projektgruppe<br />

"Innovation <strong>im</strong> Bildungswesen") (1997): Steigerung<br />

der Effizienz des mathematisch-naturwissenschafltichen<br />

Unterrichts. Heft 60 der<br />

Reihe BLK-Dokumente:<br />

www.blk-bonn.de/download.htm<br />

BMBF (2002): IT-Ausstattung der allgemein bildenden<br />

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� Mädchen, Jungen, <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer *<br />

Cornelia Niederdrenk-Felgner, Nürtingen<br />

Seit Jahren wird eine differenzierte Diskussion zum Thema "Mädchen <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong>"<br />

geführt <strong>und</strong> eine ebenso weit <strong>—</strong> wenn nicht gar weiter <strong>—</strong> ausdifferenzierte Diskussion<br />

zum Thema "Mädchen <strong>und</strong> Computer". In diesem Beitrag werden diese beiden Diskussionen<br />

mit ihren Parallelitäten <strong>und</strong> Abweichungen skizziert. Durch die Analyse der Hintergründe<br />

sollen darüber hinaus Perspektiven dafür aufgezeigt werden, wie ein <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

unter Einbeziehung des Computers gestaltet werden kann, der Mädchen <strong>und</strong><br />

Jungen in gleicher Weise anspricht <strong>und</strong> ihnen beiden gerecht wird.<br />

Vorbemerkung<br />

"Was, Sie sind <strong>Mathematik</strong>erin? Das sieht<br />

man Ihnen gar nicht an!"<br />

Dieser Ausspruch, den, wie ich, jede Frau,<br />

die sich als <strong>Mathematik</strong>erin outet, so oder<br />

ähnlich schon gehört hat, verdeutlicht das<br />

zentrale Problem, mit dem wir es auch heute<br />

noch zu tun haben: <strong>Mathematik</strong> wird nach<br />

wie vor der männlichen Lebenswelt zugeordnet.<br />

Frauen wird die Fähigkeit für mathematisches<br />

Denken abgesprochen. Liegt eine solche<br />

Fähigkeit offensichtlich vor, werden<br />

Zweifel an der Weiblichkeit geäußert, <strong>—</strong> wie<br />

<strong>im</strong> eingangs zitierten Ausruf, der ja <strong>im</strong> übrigen<br />

als Kompl<strong>im</strong>ent gemeint ist.<br />

Ich möchte dieses Problem bezogen auf das<br />

schulische Umfeld mit seinen Ursachen, Erklärungsansätzen<br />

<strong>und</strong> Konsequenzen ausleuchten,<br />

wobei ich speziell <strong>und</strong> zusätzlich<br />

auf den Aspekt Computer <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

eingehe <strong>und</strong> damit versuche, eine<br />

Brücke zwischen den beiden GDM-Arbeitskreisen<br />

"<strong>Mathematik</strong>unterricht <strong>und</strong> Informatik"<br />

<strong>und</strong> "Frauen <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong>" zu schlagen.<br />

Problemfelder<br />

Wenden wir uns zunächst der <strong>Mathematik</strong><br />

zu: Wo gibt es überhaupt ein Problem?<br />

Hier haben wir es mit einem quantitativen<br />

Problem zu tun: Frauen sind nach wie vor innerhalb<br />

der <strong>Mathematik</strong> unterrepräsentiert, in<br />

allen Bereichen <strong>und</strong> bei steigender Qualifikation<br />

in wachsendem Maße. In früheren Zeiten<br />

war das nicht weiter verw<strong>und</strong>erlich, hatten<br />

doch Mädchen <strong>und</strong> Frauen kaum Zugang zu<br />

mathematischer Bildung. Heute jedoch ha-<br />

* Dieser Text ist eine stark gekürzte Überarbeitung von (Niederdrenk-Felgner 1998) <strong>und</strong> (2001).<br />

ben Frauen die gleichen Zugangsmöglichkeiten<br />

zur <strong>Mathematik</strong> wie Männer, jedenfalls<br />

formal. Und mehr noch: <strong>Mathematik</strong> ist<br />

Pflichtfach in der Pr<strong>im</strong>arstufe <strong>und</strong> in der Sek<strong>und</strong>arstufe<br />

I, somit haben wir hier eine garantierte,<br />

gleiche Beteiligung von Mädchen<br />

<strong>und</strong> Jungen. Differenzierungen können sich<br />

erst zeigen, wenn Wahlmöglichkeiten bestehen,<br />

also frühestens <strong>im</strong> Kurssystem der<br />

Oberstufe. Tatsächlich sehen wir dort bereits<br />

geschlechtsspezifisches Wahlverhalten:<br />

Nach wie vor haben wir eine geringere Beteiligung<br />

der Mädchen an den Leistungskursen<br />

in <strong>Mathematik</strong>.<br />

Gravierender ist jedoch, dass sich diese Tendenz<br />

der Mädchen, trotz formal gleicher<br />

Chancen die Bildungsangebote in <strong>Mathematik</strong><br />

weniger zu nutzen, als Jungen dies tun,<br />

<strong>im</strong> Berufswahlverhalten fortsetzt. Sowohl bei<br />

der Wahl der Ausbildungsberufe, als auch<br />

bei der Wahl der Studienfächer lassen sich<br />

<strong>im</strong>mer noch sehr deutliche, geschlechtstypische<br />

Unterschiede feststellen, die unter anderem<br />

auch mit der Vermeidungsstrategie<br />

der Mädchen gegenüber <strong>Mathematik</strong>, den<br />

harten Naturwissenschaften <strong>und</strong> Technik zusammenhängen<br />

(vgl. Abb. 1 <strong>und</strong> 2).<br />

Neben diesem quantitativen Problem haben<br />

die neueren Leistungs-Studien auch ein qualitatives<br />

Problem aufgezeigt: Die Ergebnisse<br />

der IGLU-Studie zeigen schon zum Ende der<br />

vierten Jahrgangsstufe Kompetenzunterschiede<br />

zu Gunsten der Jungen in <strong>Mathematik</strong>,<br />

zu Gunsten der Mädchen <strong>im</strong> Lesen (Bos<br />

u.a. 2003, 281ff). Die Ergebnisse von TIMSS<br />

haben sowohl für die 8. Jahrgangsstufe, als<br />

auch für die Abschlussklassen gezeigt, dass<br />

die Jungen in <strong>Mathematik</strong> <strong>im</strong> Durchschnitt<br />

deutlich besser abschneiden als die Mädchen<br />

(Baumert u.a. 1998).<br />

Wenden wir uns jetzt speziell dem Computer<br />

zu. Auf welche Probleme stoßen wir hier?<br />

35


Cornelia Niederdrenk-Felgner<br />

Bei der Nutzung von Computern scheint es<br />

zunächst kein quantitatives Problem zu geben:<br />

Computer sind in allen Lebensbereichen<br />

inzwischen präsent, werden von Frauen <strong>und</strong><br />

Männern in gleicher Weise genutzt, sowohl<br />

<strong>im</strong> beruflichen, als auch zunehmend <strong>im</strong> privaten<br />

Bereich. Schaut man jedoch den engeren<br />

Bereich der Informatik an, so müssen wir hier<br />

eine ähnliche Unterrepräsentanz von Frauen<br />

feststellen, wie wir sie in der <strong>Mathematik</strong> vorfinden.<br />

Der Frauenanteil bei den Informatik-<br />

Studierenden ist nach einem Stand von <strong>im</strong>merhin<br />

20% in den 70er Jahren auf ca. 10%<br />

abgefallen. Es ist nicht ganz einfach, an entsprechende<br />

Zahlen für das Wahl-Fach Informatik<br />

an den Schulen zu kommen. Aus einer<br />

Erhebung <strong>im</strong> Großraum Stuttgart in den Jahren<br />

1990 bis 1992 ergab sich, dass 55% der<br />

Jungen aber nur 18% der Mädchen in der<br />

Klassenstufe 12 das Fach Informatik wählten.<br />

Ähnliche Tendenzen sind aus anderen<br />

B<strong>und</strong>esländern bekannt.<br />

Von diesem quantitativen Unterschied möchte<br />

ich zu einen qualitativen Unterschied <strong>im</strong><br />

Verhalten von Mädchen <strong>und</strong> Jungen gegenüber<br />

dem Computer übergehen.<br />

Mädchen haben heute zwar gleiche Zugangsmöglichkeiten<br />

zum Computer <strong>und</strong> nutzen<br />

ihn weitgehend mit der gleichen Selbstverständlichkeit,<br />

wie Jungen dies tun. Sie<br />

scheinen jedoch weniger bereit zu sein, sich<br />

mit dem Computer an sich zu beschäftigen<br />

<strong>und</strong> nutzen ihn mehr als Werkzeug.<br />

36<br />

Agrar-, Forst-, Ernährungswis.<br />

Sprach-, Kulturwis., Sport<br />

StudienanfängerInnen 2001/02<br />

insgesamt<br />

Ingenieurwis.<br />

Mathem., Naturwis.<br />

Recht-, Wirtschafts-<br />

&Sozialwis.<br />

Medizin<br />

Kunst, Kunstwis.<br />

0 25 50 75 100<br />

Zusammensetzung einzelner Fachrichtungen<br />

Frauen<br />

Männer<br />

Abb. 1: Verteilung der Studienanfängerinnen <strong>und</strong> -anfänger an deutschen Hochschulen 2001/2002. Daten<br />

entnommen aus: GEW Gender-Report 2003<br />

Die folgenden Ergebnisse der zahlreichen<br />

Untersuchungen vor allem aus den 1990er<br />

Jahren <strong>—</strong> damals zum Thema "Mädchen <strong>und</strong><br />

Computer" <strong>—</strong> haben auch heute noch Gültigkeit.<br />

� Engagement <strong>und</strong> Interesse von Mädchen<br />

<strong>und</strong> Jungen sind <strong>im</strong> Fall des Computers<br />

sehr unterschiedlich ausgeprägt.<br />

� Jungen verbringen einen wesentlich größeren<br />

Teil ihrer Freizeit am Computer (bis<br />

zu 40 St<strong>und</strong>en/Woche, also eine volle Arbeitswoche!).<br />

� Im Vorwissen gibt es teilweise sehr große<br />

Unterschiede.<br />

� Die Aufteilung in (vermeintliche) Experten<br />

<strong>und</strong> Unwissende verläuft nahezu nach<br />

den Geschlechtern: männliche Hacker,<br />

weibliche Laien.<br />

Die Problemfelder lassen sich folgendermaßen<br />

zusammenfassen:<br />

Sowohl gegenüber <strong>Mathematik</strong>, als auch in<br />

der Auseinandersetzung mit dem Computer<br />

können wir eine distanziertere Haltung der<br />

Frauen <strong>und</strong> Mädchen beobachten, die sich in<br />

einer entsprechenden Unterrepräsentanz<br />

niederschlägt.<br />

Qualitativ sehen wir Leistungsunterschiede in<br />

<strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Unterschiede <strong>im</strong> Ausmaß<br />

des Interesses am Computer.<br />

Ich muss auf die Bedeutung mathematischer<br />

<strong>und</strong> informatischer Bildung als Schlüsselqua-


them., Naturwis.<br />

15%<br />

Ingenieurwis.<br />

7%<br />

Ingenieurwis.<br />

27%<br />

Mathem.,<br />

Naturwis.<br />

24%<br />

andere<br />

7%<br />

Frauen<br />

andere<br />

12%<br />

Männer<br />

Recht-, Wirtschafts-<br />

&Sozialwis.<br />

35%<br />

Sprach-,<br />

Kulturwis.,<br />

Sport<br />

12%<br />

Recht-,<br />

Wirtschafts-<br />

&Sozialwis.<br />

30%<br />

Sprach-, Kulturwis.,<br />

Sport<br />

31%<br />

Abb. 2a, b: Aufteilung der Studienanfängerinnen<br />

<strong>und</strong> -anfänger an deutschen Hochschulen 2001/<br />

2002 auf ausgewählte Fächergruppen. Daten entnommen<br />

aus: GEW Gender-Report 2003<br />

lifikation für fast alle Berufszweige hier nicht<br />

weiter eingehen. Auch nicht auf die Bedeutung<br />

insbesondere der <strong>Mathematik</strong>note als<br />

Selektionsmittel in der schulischen Karriere.<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> wird jedoch die Frage<br />

brisant, warum Mädchen <strong>und</strong> junge Frauen<br />

einerseits scheinbar aus freien Stücken<br />

ihre Chancen verpassen, indem sie sich<br />

schon frühzeitig in der Schule gegen eine<br />

weitergehende Auseinandersetzung mit dem<br />

Fach <strong>Mathematik</strong> bzw. Informatik entscheiden.<br />

Andererseits gibt zu denken, dass die<br />

geschlechtstypischen Unterschiede in anderen<br />

Ländern wesentlich geringer sind bzw. zu<br />

Gunsten der Mädchen ausfallen.<br />

So stellt sich also die Frage: Könnte es sein,<br />

dass der Unterricht die Mädchen weniger erreicht?<br />

Bevor diese Frage beantwortet werden<br />

kann, muss man sich mit dem Bild auseinandersetzen,<br />

das in der Öffentlichkeit von<br />

<strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> <strong>im</strong> etwas weiteren Sinne von<br />

Technik herrscht.<br />

Mädchen, Jungen, <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer<br />

Bilder in der Öffentlichkeit<br />

Einen ersten Eindruck vom herrschenden<br />

<strong>Mathematik</strong>-Bild erhalte ich z. B., wenn ich irgendjemandem<br />

erzählen, dass ich <strong>Mathematik</strong>erin<br />

bin. Alle <strong>Mathematik</strong>erinnen <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong>er<br />

kennen die mit großer Sicherheit<br />

abwehrende Reaktion, die dann noch meist<br />

mit Kommentaren zur Schulnote angereichert<br />

wird.<br />

<strong>Mathematik</strong> wird in ihrer Abstraktheit wahrgenommen<br />

als realitätsfern, wenig kommunikativ<br />

<strong>und</strong> manchmal auch mysteriös. Zwar<br />

finden wir einen kleinen Kreis von Menschen,<br />

die für <strong>Mathematik</strong> begeistert sind <strong>und</strong> mit<br />

leuchtenden Augen darüber reden. Wir finden<br />

auf der anderen Seite jedoch eine viel<br />

größere Gruppe, die der <strong>Mathematik</strong> skeptisch<br />

bis ablehnend gegenübersteht. Kaum<br />

ein anderes Wissensgebiet ruft solch gegensätzliche<br />

Reaktionen hervor.<br />

Welche Vorstellungen <strong>und</strong> Erfahrungen liegen<br />

diesen merkwürdigen Reaktionen zugr<strong>und</strong>e?<br />

Die Übertragbarkeit <strong>und</strong> Relevanz<br />

für das tägliche Leben sind <strong>im</strong> Falle der <strong>Mathematik</strong><br />

<strong>—</strong> sieht man einmal von reinen Rechentechniken<br />

ab <strong>—</strong> nur schwer nachzuvollziehen<br />

<strong>und</strong> reduzieren sich selbst für diejenigen,<br />

die <strong>Mathematik</strong> <strong>im</strong> späteren Berufsleben<br />

benötigen, oftmals auf die Anwendung best<strong>im</strong>mter,<br />

rezeptartiger Verfahren. Im Gegensatz<br />

zu dieser stark instrumentalisierten <strong>und</strong><br />

damit in gewissem Sinne leichten Anwendung<br />

gilt das Fach selber als schwer <strong>und</strong> anspruchsvoll.<br />

<strong>Mathematik</strong> gilt als Prototyp einer<br />

abstrakten, objektiven <strong>und</strong> unpersönlichen<br />

Wissenschaft, deren Gedankenpfaden<br />

nur noch wenige Experten folgen können <strong>und</strong><br />

deren Inhalte <strong>und</strong> Methoden den Laien kaum<br />

vermittelt werden (können).<br />

Die Haltung der meisten Menschen gegenüber<br />

<strong>Mathematik</strong> lässt sich beschreiben als<br />

eine Mischung aus Respekt <strong>und</strong> Hochachtung<br />

gegenüber dem Nutzen der <strong>Mathematik</strong>,<br />

der jedoch nicht genauer gefasst werden<br />

kann, <strong>und</strong> einer ablehnenden bis ängstlichen<br />

Einstellung, die vielfach auf persönliche<br />

Misserfolgserlebnisse <strong>im</strong> Verlauf der Schulzeit<br />

zurückgeführt werden kann.<br />

Personen, die <strong>Mathematik</strong> betreiben, wird mit<br />

einer entsprechenden Mischung aus Voreinstellungen<br />

begegnet. Sie müssen nach Ansicht<br />

der Öffentlichkeit zunächst einmal von<br />

besonderer Intelligenz sein. Aus Erfahrungen<br />

mit solchen Menschen oder vielleicht auch<br />

als Kompensation für das Zugeständnis großer<br />

Intelligenz wird <strong>Mathematik</strong>ern aber auch<br />

eine gewisse Eigenartigkeit <strong>und</strong> Schrulligkeit<br />

37


Cornelia Niederdrenk-Felgner<br />

zugeschrieben. Sie gelten als ernst, ein wenig<br />

weltfremd, nicht sehr gesellig, tragen<br />

zwei verschiedene Schuhe <strong>und</strong> treten "in der<br />

Öffentlichkeit meist mit einem verlorenen<br />

Schirm in jeder Hand auf" (Pólya 1980, 94).<br />

Natürlich entsprechen nicht alle <strong>Mathematik</strong>er<br />

diesem Klischee. Es gibt aber genügend<br />

Wissenschaftler, die dieses Image <strong>—</strong> bewusst<br />

oder unbewusst <strong>—</strong> pflegen <strong>und</strong> damit<br />

durchaus kokettieren.<br />

Anekdoten über skurrile <strong>Mathematik</strong>professoren<br />

gibt es zuhauf <strong>und</strong> werden gerade von<br />

<strong>Mathematik</strong>ern mit einiger Lust weitergetragen.<br />

Die zumeist männlichen Handlungsträger<br />

solcher Geschichten werden vielleicht<br />

belächelt; sie werden aber trotzdem geachtet<br />

<strong>und</strong> <strong>—</strong> als Fachleute <strong>—</strong> respektiert.<br />

Dieser klischeebehaftete <strong>Mathematik</strong>er ist<br />

männlich: Mit dem gängigen Frauenbild ist<br />

der Typ des zerstreuten Professors nicht<br />

vereinbar. Einer Frau mit ähnlich schrulligen<br />

Merkmalen würde nicht mehr mit einem<br />

wohlwollenden Lächeln begegnet; <strong>—</strong> sie würde<br />

gnadenlos lächerlich gemacht. Personenmerkmale,<br />

die mit <strong>Mathematik</strong> verb<strong>und</strong>en<br />

werden, sind auch für Männer nicht unbedingt<br />

positiv. Eine Frau mit solchen Merkmalen<br />

ist nicht nur eine Witzfigur, sie wird in ihrer<br />

Rolle als Frau unmöglich gemacht.<br />

Positive Leitbilder für Frauen, die <strong>Mathematik</strong><br />

betreiben, gibt es wenige. Häufiger treffen wir<br />

auf einen negativ belegten Zusammenhang<br />

zwischen Frauen <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong>.<br />

Wie sieht es mit dem Bild von Technik in unserer<br />

Gesellschaft aus?<br />

Technik ist <strong>im</strong> Prinzip ein eher positiv besetzter<br />

Bereich, der jedoch ganz stark der männlichen<br />

Lebenswelt zugeordnet wird. Umgekehrt<br />

weisen die tradierten Rollenbilder eine<br />

starke Kopplung von Technik <strong>und</strong> Männlichkeit<br />

sowie eine weitgehende Unvereinbarkeit<br />

von Weiblichkeit <strong>und</strong> Technik auf. Wir<br />

treffen hier auf die gleichen Vorurteile, wie<br />

bei der <strong>Mathematik</strong>:<br />

Nicht-Umgehen-Können <strong>und</strong> Desinteresse<br />

werden als Defizit, Kompetenz <strong>und</strong> Interesse<br />

für Technik dagegen werden als Abweichung<br />

vom erwarteten Rollenverhalten angesehen.<br />

In beiden Fällen wird das Verhältnis der Frau<br />

zur Technik als Abweichung von einer <strong>—</strong><br />

durch Männer festgesetzten <strong>—</strong> Norm bewertet.<br />

Mit der männlichen Lebenswelt <strong>und</strong> den zugehörigen<br />

Rollenvorstellungen wird Technik<br />

dagegen eng verb<strong>und</strong>en. Männern wird weitgehende<br />

Kompetenz zugeschrieben, technische<br />

Berufe passen zum Rollenbild. Männer<br />

38<br />

werden aber nicht auf eine Ausrichtung auf<br />

Technik festgelegt. Auch Männer ohne Technikinteresse<br />

werden akzeptiert, der Mann mit<br />

den beiden linken Händen z.B. Ihnen wird<br />

das ganze Spektrum zugestanden <strong>—</strong> von der<br />

Faszination bis zur Ablehnung <strong>—</strong> <strong>und</strong> ihr<br />

Verhalten wird respektiert.<br />

Anders als <strong>Mathematik</strong> ist Technik <strong>—</strong> wie ja<br />

auch der Computer <strong>—</strong> in unserem täglichen<br />

Leben allgegenwärtig. Der wesentliche Unterschied<br />

zwischen dem Verhältnis von Frauen<br />

bzw. Männern zur Technik lässt sich folgendermaßen<br />

fassen:<br />

Männer werden als Entwickler von Technik<br />

gesehen.<br />

Frauen werden als Bedienerinnen von Technik<br />

gesehen.<br />

Technik beginnt erst, wenn man den Schraubenzieher<br />

in die Hand n<strong>im</strong>mt. Das Umgehen<br />

mit Technik <strong>—</strong> was Frauen ja durchaus tun<br />

<strong>und</strong> zwar gut <strong>und</strong> kompetent <strong>—</strong> wird nicht als<br />

Technikkompetenz anerkannt. Und deshalb<br />

dürfen technischen Geräte aus dem Lebensbereich<br />

der Frauen auch nicht nach Technik<br />

aussehen, <strong>im</strong> Gegensatz zu entsprechenden<br />

Geräten für Männer.<br />

Zusammenfassung der Bilder von <strong>Mathematik</strong><br />

<strong>und</strong> Technik in der Öffentlichkeit:<br />

<strong>Mathematik</strong><br />

� gilt als wichtig,<br />

� hat aber scheinbar wenig mit dem Alltag<br />

zu tun,<br />

� gilt als schwierig <strong>und</strong> mysteriös,<br />

� ist für viele Menschen negativ besetzt,<br />

� wird der männlichen Lebenswelt zugeordnet.<br />

Technik<br />

� gilt als wichtig <strong>und</strong> ist überall präsent,<br />

� ist für viele Menschen eher positiv besetzt,<br />

� wird von Männern entwickelt <strong>und</strong> von<br />

Frauen bedient.<br />

Computer sind nicht mit Technik gleichzusetzen,<br />

sie werden aber natürlich auch als technisches<br />

Gerät <strong>und</strong> zur Technik gehörig wahrgenommen.<br />

Und der technische Aspekt des<br />

Computers wird dann auch der männlichen<br />

Lebenswelt zugeordnet.<br />

Soviel zu den vorherrschenden Bildern. Sie<br />

dienen als Folie, vor der die folgenden Erklärungsansätze<br />

zu sehen sind.


Erklärungsansätze<br />

Unterschiede in der Einstellung gegenüber<br />

<strong>Mathematik</strong> spiegeln sich einerseits in der<br />

oben erwähnten Unterrepräsentanz von<br />

Frauen innerhalb der <strong>Mathematik</strong> wider <strong>und</strong><br />

andererseits in der gängigen Zuordnung von<br />

<strong>Mathematik</strong> zur männlichen Lebenswelt. Diese<br />

beiden Aspekte sind nicht unabhängig<br />

voneinander, sondern verstärken sich in einem<br />

Teufelskreis gegenseitig: Die Unterrepräsentanz<br />

der Frauen trägt mit dazu bei,<br />

dass <strong>Mathematik</strong> als "männlich" angesehen<br />

wird, diese Zuordnung hält wiederum Frauen<br />

davon ab, sich intensiver damit auseinander<br />

zu setzen.<br />

Eine Reihe von Untersuchungen ist der Frage<br />

nachgegangen, wie dieser Teufelskreis zu<br />

durchbrechen ist. Das Forschungsinteresse<br />

umfasste den gesamte Bereich Naturwissenschaft,<br />

<strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Technik. Als Beispiel<br />

für eine sehr frühe Arbeit zu diesem Thema<br />

sei die Untersuchung von Ilse Brehmer, Hildegard<br />

Küllchen & Lisa Sommer (1989) genannt.<br />

Sie untersuchten die Gründe für das<br />

geschlechtstypische Verhalten bei der Fächerwahl<br />

für die Leistungskurse in der Oberstufe<br />

<strong>und</strong> fragten nach den Bedingungen, unter<br />

denen "typische" bzw. "untypische" Wahlen<br />

getroffen werden. In ihren Interviews stießen<br />

sie auf die folgenden geschlechtstypischen<br />

Unterschiede, die Rückschlüsse insbesondere<br />

auf unterschiedliche Einstellungen<br />

gegenüber dem Fach <strong>Mathematik</strong> zulassen:<br />

Mädchen, die sich für einen Leistungskurs<br />

<strong>Mathematik</strong> entschieden, <strong>und</strong> insbesondere<br />

solche, die sich besonders für <strong>Mathematik</strong><br />

<strong>und</strong> Naturwissenschaften interessierten, gaben<br />

deutlich seltener Studien- oder Berufswünsche<br />

als Hauptmotiv an als Jungen. Jungen<br />

wiesen dagegen ganz selbstverständlich<br />

auf die Nützlichkeit der gewählten Fächer für<br />

best<strong>im</strong>mte Berufe hin. Nach Ansicht der Forscherinnen<br />

deutet diese Tendenz auf einen<br />

eklatanten Mangel an Vorbildern <strong>und</strong> antizipierten<br />

Berufsmöglichkeiten für Frauen in<br />

den mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />

Bereichen hin. Dieser Eindruck wird in der<br />

schulischen Umgebung verstärkt: Ein Blick<br />

auf die Lehrerschaft zeigt, dass der Frauenanteil<br />

für das Fach <strong>Mathematik</strong> <strong>—</strong> <strong>im</strong>mer<br />

noch <strong>—</strong> gering ist. Nach Angaben des Statistischen<br />

Landesamtes Baden-Württemberg<br />

(Stand September 1991) betrug der Anteil<br />

der männlichen Lehrkräfte für <strong>Mathematik</strong> an<br />

Gymnasien insgesamt 80% (74% Vollzeit,<br />

6% Teilzeit); der Anteil der Frauen betrug<br />

entsprechend 20% (7% Vollzeit, 13% Teil-<br />

Mädchen, Jungen, <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer<br />

zeit). Diese Zahlen sind in ihrer krassen Ausprägung<br />

sicherlich nicht repräsentativ für die<br />

gesamte B<strong>und</strong>esrepublik, tendenziell sind sie<br />

jedoch verallgemeinerbar.<br />

Für die Gruppen mit untypischem Wahlverhalten<br />

war weiterhin bemerkenswert, dass<br />

den Lehrkräften offensichtlich eine wichtige<br />

Rolle zukam. Diese Möglichkeit, durch Beratung<br />

<strong>und</strong> Ermunterung Einfluss zu nehmen,<br />

sollte demnach nicht unterschätzt werden.<br />

Für mathematisch-naturwissenschaftlich orientierte<br />

Mädchen spielte außerhalb der<br />

Schule die Unterstützung vor allem des Vaters<br />

eine wesentliche Rolle bei einer untypischen<br />

Leistungskurswahl.<br />

Insgesamt stellte sich schulischer Erfolg als<br />

zentrales Motiv für die Leistungskurswahl<br />

heraus. Dieser wurde allerdings von Jungen<br />

<strong>und</strong> Mädchen in Bezug auf das eigene Leistungsvermögen<br />

unterschiedlich interpretiert.<br />

Lernerfolge führten bei Jungen eher zur Ausbildung<br />

eines stabilen <strong>und</strong> positiven Selbstkonzepts<br />

als bei Mädchen. Mädchen verfügten<br />

trotz der eigenen hohen Leistungsanforderungen<br />

über kein ungebrochenes Selbstbewusstsein<br />

<strong>und</strong> Selbstvertrauen, beurteilten<br />

sich selbst kritischer <strong>und</strong> neigten eher dazu,<br />

die eigenen Fähigkeiten zu unterschätzen.<br />

Jungen dagegen stellten sich häufig eher zu<br />

positiv dar. Diese Bef<strong>und</strong>e decken sich mit<br />

den Ergebnissen von Langzeitstudien zum<br />

Erwerb von Selbstvertrauen in der schulischen<br />

Sozialisation (vgl. Horstkemper 1987).<br />

Zur Erklärung dieser Unterschiede werden<br />

Ergebnisse der Attributionsforschung herangezogen.<br />

Hier hat sich gezeigt, dass Mädchen<br />

bezüglich ihrer Leistungen in <strong>Mathematik</strong><br />

<strong>und</strong> Naturwissenschaften signifikant häufiger<br />

als Jungen Erfolge auf Glück zurückführen<br />

<strong>und</strong> Misserfolge durch mangelnde Begabung<br />

erklären.<br />

Diese ungünstige Ursachenzuschreibung <strong>—</strong><br />

Erfolg wird durch eine äußere <strong>und</strong> instabile<br />

Ursache, Misserfolg durch eine persönliche<br />

<strong>und</strong> unveränderbare, stabile Ursache erklärt<br />

<strong>—</strong> führt zu Vermeidungsstrategien, dadurch<br />

zu weiteren Misserfolgen, <strong>und</strong> erweist sich<br />

damit über längere Sicht als selbsterfüllende<br />

Prophezeiung (vgl. dazu Beerman, Heller &<br />

Menacher 1992).<br />

Wir können festhalten, dass Mädchen <strong>im</strong> allgemeinen<br />

ein geringeres Selbstvertrauen in<br />

ihre mathematischen Fähigkeiten <strong>und</strong> Leistungen<br />

zeigen. Dies wirkt sich wiederum negativ<br />

auf die Motivation aus, sich eingehender<br />

damit auseinanderzusetzen. Diese Haltung<br />

der Mädchen fügt sich schließlich st<strong>im</strong>mig<br />

in das vorherrschende Bild ein: Ihnen<br />

39


Cornelia Niederdrenk-Felgner<br />

wird von vornherein weniger zugetraut, ihr<br />

"Versagen" wird nicht nur toleriert, sondern<br />

als "natürlich" gegeben hingenommen.<br />

Für die Jugendlichen kommt der Auseinandersetzung<br />

mit den Rollenbildern in der Zeit<br />

der Pubertät besondere Bedeutung zu. Die<br />

Attribute von Weiblichkeit <strong>und</strong> Männlichkeit<br />

werden von ihnen verinnerlicht <strong>und</strong> sie wollen<br />

den Vorstellungen in der Regel möglichst<br />

gut entsprechen.<br />

Für Mädchen heißt das in erster Linie: attraktiv<br />

für das andere Geschlecht sein; für Jungen<br />

Stärke <strong>und</strong> Überlegenheit zeigen.<br />

Bettina Hannover (1992) hat analysiert, in<br />

welcher Weise sich die Auseinandersetzung<br />

mit den Rollenbildern auf die Interessenentwicklung<br />

bei Jugendlichen in der Pubertät<br />

auswirkt. Dazu untersuchte sie vergleichend<br />

in koedukativen Klassen <strong>und</strong> in reinen Mädchenklassen<br />

die Bedingungen, unter denen<br />

Mädchen sich für als "unweiblich" geltende<br />

Fächer entschieden. Als zentralen Begriff<br />

verwendet sie dabei das spontane Selbstkonzept<br />

einer Person. Damit wird beschrieben,<br />

welche Aspekte der eigenen Person in<br />

einer gegebenen Situation abweichend, neu<br />

oder auf andere Weise besonders hervorgehoben<br />

sind. Ihre Ergebnisse sprechen dafür,<br />

dass Mädchen, die <strong>im</strong> Unterricht das spontane<br />

Selbstkonzepts der eigenen Geschlechtszugehörigkeit<br />

aktivieren, eher weniger Interesse<br />

für typische "Jungenfächer" entwickeln.<br />

Da dieses Selbstkonzept durch die Anwesenheit<br />

männlicher Klassenkameraden stärker<br />

aktiviert wird als in reinen Mädchenklassen,<br />

schlägt sie beispielsweise in den mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />

Fächern die<br />

Trennung in geschlechtshomogene Gruppen<br />

als eine Möglichkeit vor, diesen auf die Mädchen<br />

sich negativ auswirkenden Einflussfaktor<br />

auszuschalten.<br />

Nicht zuletzt als Reaktion auf diese Forschungsergebnisse<br />

ist in den letzten Jahren<br />

vielfach mit der zeitweisen Aufhebung der<br />

Koedukation exper<strong>im</strong>entiert worden.<br />

Speziell für das Fach <strong>Mathematik</strong> liegt eine<br />

empirische Untersuchung zur Auswirkung eines<br />

zeitweise monoedukativ durchgeführten<br />

Unterrichts vor (Nyssen, Ueter & Strunz<br />

1996). Im Rahmen des BLK-Modellversuchs<br />

"Zur Förderung von Selbstfindungs- <strong>und</strong> Berufsfindungsprozessen<br />

von Mädchen in der<br />

Sek<strong>und</strong>arstufe I" wurde an einer der beteiligten<br />

Gesamtschulen über die Klassenstufen 7<br />

bis 9 <strong>Mathematik</strong> monoedukativ unterrichtet.<br />

Die Auswertung der Unterrichtsbeobachtungen<br />

sowie der Vergleich der monoedukativen<br />

<strong>und</strong> koedukativen Unterrichtssituationen be-<br />

40<br />

stätigten die oben genannten Forschungsergebnisse.<br />

Die Mädchen in der monoedukativ<br />

unterrichteten 9. Jahrgangsstufe entwickelten<br />

großes inhaltliches Interesse am Fach <strong>und</strong><br />

arbeiteten sehr konstruktiv <strong>und</strong> mit Freude<br />

mit. Hinzu kommt, dass sie sich eine sehr ruhige<br />

<strong>und</strong> konzentrierte Arbeitsatmosphäre<br />

schafften, die sich deutlich von der eher konkurrenz-betonten<br />

Atmosphäre in der Jungengruppe<br />

unterschied. Noch wichtiger erscheinen<br />

mir die Ergebnisse aus der Beobachtung<br />

der wieder zusammengeführten 10. Jahrgangsstufe.<br />

Nach einer anfänglichen Zurückhaltung<br />

der Mädchen war <strong>im</strong> weiteren Verlauf<br />

feststellbar, dass die Mädchen ihr Selbstbewusstsein<br />

in die eigenen Kompetenzen behielten<br />

<strong>und</strong> sich mit ihrem Sozialverhalten <strong>im</strong><br />

Unterricht nicht nur gegenüber den Jungen<br />

durchsetzten, sondern sogar die gesamte<br />

Unterrichtssituation positiv beeinflussten.<br />

Ähnliche positive Effekte werden be<strong>im</strong> Einsatz<br />

des Computers <strong>—</strong> z.B. <strong>im</strong> Rahmen des<br />

ITG-Unterrichts <strong>—</strong> mit zeitweise getrennten<br />

Gruppen berichtet. Allerdings muss davor gewarnt<br />

werden, in der rein organisatorischen<br />

Maßnahme des getrennten Unterrichts die<br />

Lösung eines pädagogischen Problems zu<br />

sehen.<br />

Ich habe unterschiedliche Einflussfaktoren<br />

aufgezeigt, die sich auf die Mädchen <strong>und</strong> ihre<br />

Einstellung zur <strong>Mathematik</strong> eher negativ auswirken.<br />

Eine genaue Wirkungsanalyse, die<br />

auch Rückschlüsse auf die Leistungsunterschiede<br />

zulässt, liegt mit der Promotion von<br />

Carmen Keller vor, die ich abschließend zu<br />

diesem Teil in Kürze skizzieren möchte.<br />

Carmen Keller befragte in der Deutschschweiz<br />

parallel zu TIMSS ca. 6600 Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler der Klassenstufen 6 bis 8<br />

über ihr Interesse an <strong>Mathematik</strong>, das<br />

Selbstvertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit,<br />

ihre Beteiligung am Unterricht sowie die<br />

Geschlechter-Stereotypisierung von Schulfächern<br />

(Keller 1997 & 1998). Dieser letzte<br />

Fragenkomplex wurde auch den Lehrkräften<br />

vorgelegt. Die Ergebnisse der ersten Auswertung<br />

dieser Fragebogen bestätigen <strong>im</strong><br />

Wesentlichen allgemein zu beobachtenden<br />

Tendenzen: Mädchen zeigen ein signifikant<br />

geringeres Interesse an <strong>Mathematik</strong> als Jungen,<br />

<strong>und</strong> ihr Selbstvertrauen in <strong>Mathematik</strong><br />

ist deutlich geringer als das der Jungen.<br />

Mädchen wie Jungen betrachten <strong>—</strong> mit zunehmender<br />

Klassenstufe zunehmend <strong>—</strong> <strong>Mathematik</strong><br />

als männliche Domäne. Die Lehrpersonen<br />

ordnen <strong>Mathematik</strong> sogar in noch<br />

stärkerem Ausmaß der männlichen Lebenswelt<br />

zu.


Carmen Keller hebt hervor, dass diese Stereotypisierung<br />

der <strong>Mathematik</strong> für Mädchen<br />

<strong>und</strong> Jungen nicht das Gleiche bedeutet. Jungen<br />

ordnen <strong>Mathematik</strong> dem eigenen, Mädchen<br />

dagegen dem anderen Geschlecht zu.<br />

Die Identifikation mit <strong>Mathematik</strong> ist für Mädchen<br />

<strong>—</strong> vor allem mit einsetzender Pubertät<br />

<strong>—</strong> damit viel schwieriger als für Jungen. Aus<br />

lernpsychologischer Perspektive können daraus<br />

wiederum negative Auswirkungen auf die<br />

Lern- <strong>und</strong> Leistungsvoraussetzungen resultieren.<br />

Diese These überprüft Keller, indem<br />

sie die Wirkungszusammenhänge der einzeln<br />

erhobenen Merkmale einer Mehrebenen-Analyse<br />

unterzieht.<br />

In dem hier betrachteten Zusammenhang<br />

sind zwei Ergebnisse besonders hervorzuheben:<br />

"Die Analysen haben gezeigt, dass das<br />

Selbstvertrauen in die eigene <strong>Mathematik</strong>leistungsfähigkeit<br />

die Geschlechterdifferenzen<br />

in den <strong>Mathematik</strong>leistungen vollständig<br />

erklärt. Die Mädchen erreichen<br />

schlechtere Leistungen, weil sie in der<br />

<strong>Mathematik</strong> ein schlechteres Selbstvertrauen<br />

haben (...) Außerdem hat die Stereotypisierung<br />

von <strong>Mathematik</strong> als männliche<br />

Domäne der Mädchen <strong>und</strong> Knaben<br />

einen signifikanten Effekt auf ihre Leistungen:<br />

Mädchen, die <strong>Mathematik</strong> weniger<br />

als männliche Domäne betrachten <strong>und</strong><br />

Knaben, die <strong>Mathematik</strong> mehr als männliche<br />

Domäne betrachten, haben bessere<br />

Leistungen.<br />

(...)<br />

In der vorliegenden Arbeit wurde nicht nur<br />

untersucht, wie die Unterschiede in der<br />

<strong>Mathematik</strong>leistung erklärt werden können,<br />

sondern auch, weshalb die Mädchen<br />

ein schlechteres Selbstvertrauen, ein geringeres<br />

Interesse <strong>und</strong> eine geringere Zuschreibung<br />

der <strong>Mathematik</strong> zum eigenen<br />

Geschlecht haben als die Knaben. Die<br />

Stereotypisierung von <strong>Mathematik</strong> als<br />

männliche Domäne erwies sich als wichtigster<br />

Gr<strong>und</strong> für das schlechtere Selbstvertrauen<br />

<strong>und</strong> das geringere Interesse der<br />

Mädchen. (...) Darüber hinaus ist das<br />

Selbstvertrauen der Mädchen auch deshalb<br />

schlechter, weil sie weniger Erwartungen<br />

von den Lehrpersonen wahrnehmen<br />

<strong>und</strong> weil die Lehrpersonen <strong>Mathematik</strong><br />

als männliche Domäne stereotypisieren<br />

<strong>und</strong> deshalb ebenfalls eher den Knaben<br />

zuschreiben.<br />

(...)<br />

Dass die Mädchen <strong>Mathematik</strong> dem eigenen<br />

Geschlecht viel weniger zuschreiben<br />

als die Knaben, ist unter anderem auch<br />

durch die Lehrpersonen bedingt: Mäd-<br />

Mädchen, Jungen, <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer<br />

chen nehmen von der Lehrperson weniger<br />

Erwartungen wahr, <strong>und</strong> sie übernehmen<br />

die Stereotypisierung der Lehrperson,<br />

<strong>Mathematik</strong> sei eine männliche Domäne."<br />

(Keller 1998, 146ff)<br />

Mit dieser Arbeit wird einerseits eine f<strong>und</strong>ierte<br />

Analyse der verschiedenen Einflussfaktoren<br />

<strong>und</strong> ihrer Wechselwirkung vorgelegt. Andererseits<br />

zeigen die Ergebnisse aber auch<br />

auf, wo eines der Kernprobleme liegt: <strong>im</strong> stereotypen<br />

Bild von <strong>Mathematik</strong> als der männlichen<br />

Lebenswelt zugehöriger Bereich.<br />

Aus den Untersuchungen zum Einsatz des<br />

Computers <strong>im</strong> Unterricht kann man an dieser<br />

Stelle ergänzen, dass diese Tendenz durch<br />

den Computer noch zusätzlich verstärkt werden<br />

kann, wenn dieser in erster Linie als<br />

technisches Gerät <strong>und</strong> mit den entsprechenden<br />

Stereotypen behaftet wahrgenommen<br />

wird (vgl. hierzu insbesondere Sinhart-Pallin<br />

1990, Schründer-Lenzen 1995).<br />

Blick in den <strong>Mathematik</strong>-<br />

unterricht<br />

Sowohl die Methoden <strong>und</strong> Interaktionen, als<br />

auch die Inhalte des Unterrichts aller Fächer<br />

sind <strong>im</strong> Rahmen der Koedukationsdebatte<br />

kritisiert worden.<br />

Für den <strong>Mathematik</strong>unterricht möchte ich nur<br />

einige Kritikpunkte nennen:<br />

Kennzeichnend für den <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

in den Sek<strong>und</strong>arstufen ist das Unterrichtsgespräch:<br />

Geleitet durch Fragen der Lehrperson<br />

werden die Inhalte gemeinsam in der<br />

Klasse erarbeitet. Diese Unterrichtsform führt<br />

teilweise zu einer hoch entwickelten Kommunikationskultur<br />

<strong>und</strong> zu niveauvollen Gesprächen<br />

zwischen Lehrperson <strong>und</strong> Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schülern. Andererseits birgt sie jedoch<br />

auch die Gefahr, dass aus dem Gespräch eine<br />

Art "Frage-<strong>und</strong>-Antwort-Spiel" wird, das<br />

nach best<strong>im</strong>mten, allen Beteiligten bekannten<br />

Regeln verläuft <strong>und</strong> stark auf die Lehrperson<br />

zentriert ist. Die gestellten Fragen sind<br />

keine echten Fragen, da die fragende Person<br />

die Antworten bereits weiß, ganz best<strong>im</strong>mte<br />

Antworten erwartet <strong>und</strong> in ihren Rückmeldungen<br />

die Antworten häufig jeweils als<br />

falsch oder richtig bewertet. Die Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler spielen dieses Spiel mit <strong>und</strong><br />

wissen auch, dass es sich um eine Art Spiel<br />

<strong>und</strong> nicht um ein echtes Gespräch handelt.<br />

Natürlich ist ein solcher Unterrichtsstil auch<br />

in anderen Fächern verbreitet. Für die <strong>Mathematik</strong><br />

erscheint er jedoch vermutlich des-<br />

41


Cornelia Niederdrenk-Felgner<br />

halb besonders geeignet, als hier <strong>im</strong> Rahmen<br />

des Gespräch ähnlich wie in einem mathematischen<br />

Beweis schrittweise Folgerungsketten<br />

aufgebaut werden. Persönliche Einschätzungen<br />

<strong>und</strong> narrative Elemente haben<br />

bei einem solchen Vorgehen wenig Raum.<br />

Die starr erscheinenden Unterrichtsformen in<br />

<strong>Mathematik</strong> untermauern <strong>und</strong> festigen noch<br />

das Bild von einer starren Wissenschaft, in<br />

der eigentlich schon Alles bekannt ist, für die<br />

stures Befolgen gewisser Strategien zum Erfolg<br />

führt, in der die Lehrperson <strong>im</strong>mer alles<br />

(besser) weiß <strong>und</strong> <strong>im</strong>mer unerreichbar überlegen<br />

sein wird.<br />

Geschlechtsspezifische Unterschiede in der<br />

Reaktion auf den üblichen kleinschrittigen<br />

Unterrichtsstil hat Helga Jungwirth (1990) in<br />

einer Fallstudie untersucht. Ihre Beobachtungen<br />

deuten darauf hin, dass Jungen sich auf<br />

diese Art Unterricht bereitwilliger einlassen<br />

<strong>und</strong> die dafür angemessenen Handlungsweisen<br />

besser beherrschen als Mädchen. Damit<br />

entsprechen die Jungen auch besser den Erwartungen<br />

der Lehrpersonen, die ja ebenfalls<br />

auf diesen Unterrichtsstil eingestellt sind.<br />

Die beobachtbaren Unterschiede in den Verhaltensweisen<br />

von Mädchen <strong>und</strong> Jungen insbesondere<br />

be<strong>im</strong> Einsatz des Computers erklärt<br />

Jungwirth schließlich mit den unterschiedlichen<br />

"sozialen Welten", in denen<br />

Mädchen <strong>und</strong> Jungen sich jeweils bewegen<br />

<strong>—</strong> <strong>und</strong> wohl fühlen:<br />

"Die zentrale Idee der Erklärung ist, dass<br />

Mädchen <strong>und</strong> Buben über jeweils spezifische<br />

Gewohnheiten, Gesprächssituationen<br />

zu gestalten, verfügen. Das heißt, sie<br />

sind gewohnt, best<strong>im</strong>mte sprachliche<br />

Handlungen zu setzen <strong>und</strong> <strong>—</strong> damit in Zusammenhang<br />

<strong>—</strong> Gesprächsthemen in einer<br />

best<strong>im</strong>mten Art <strong>und</strong> Weise zu behandeln.<br />

Mit diesen Gewohnheiten gehen sie<br />

auch an das Geschehen <strong>im</strong> Computerunterricht<br />

heran. (...) Zusammenfassend<br />

lässt sich sagen: Es wird von einer sozialen<br />

Welt der Mädchen <strong>und</strong> einer sozialen<br />

Welt der Buben ausgegangen, in denen<br />

die beiden Geschlechter unterschiedliche<br />

Handlungsweisen, unterschiedliche Vorstellungen<br />

von einer "normalen" Behandlung<br />

eines Themas <strong>und</strong> damit auch von<br />

einem "normalen" Interaktionsverlauf <strong>im</strong><br />

Unterricht erwerben.<br />

(...)<br />

Die soziale Welt der Mädchen lässt sich<br />

mit den Begriffen "Nähe" <strong>und</strong> "Int<strong>im</strong>ität"<br />

charakterisieren. In dieser Welt lernen die<br />

Mädchen vor allem, enge, auf Gleichheit<br />

basierende Beziehungen aufzubauen<br />

bzw. aufrecht zu erhalten. Dazu ist es er-<br />

42<br />

forderlich, sich intensiv mit den Gedanken<br />

anderer auseinanderzusetzen, zu kooperieren<br />

<strong>und</strong> gemeinsam die gemeinte Bedeutung<br />

von Äußerungen zu erschließen.<br />

Ebenso ist es aber für die Mädchen nötig,<br />

sich selbst genau zu überlegen, was sie<br />

ihrem Gegenüber sagen <strong>und</strong> was nicht.<br />

Erforderlich ist also auch die Entwicklung<br />

der Fähigkeit, Probleme allein für sich<br />

selbst zu durchdenken.<br />

(...)<br />

In der sozialen Welt der Buben geht es<br />

vornehmlich um Selbstdarstellung. (...)<br />

Buben lernen also, sich selbst gut darzustellen<br />

<strong>und</strong> dabei neuen Anforderungen<br />

schnell zu begegnen. Ebenso lernen sie,<br />

spontan Einwürfe zu machen <strong>und</strong> Randbemerkungen<br />

anzubringen, mit denen sie<br />

die Aufmerksamkeit anderer auf sich ziehen<br />

können. (...) Dies bedeutet, dass sich<br />

Eindenken in ein Problem, es von allen<br />

Seiten zu betrachten, um es möglichst<br />

vollständig zu verstehen, nicht zu dem gehört,<br />

was in der Bubenkultur in besonderem<br />

Maß gelernt wird." (Jungwirth 1994,<br />

45f)<br />

Bestätigung findet der Ansatz von Jungwirth<br />

durch eine neuere Untersuchung, die Sylvia<br />

Jahnke-Klein (2001) <strong>im</strong> Rahmen ihrer Promotion<br />

durchgeführt hat. Sie hat genauer<br />

analysiert, unter welchen Bedingungen sich<br />

jeweils Mädchen <strong>und</strong> Jungen <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

wohl fühlen, was sie für einen<br />

guten <strong>Mathematik</strong>unterricht halten. Bei den<br />

Mädchen konnte sie ein deutlich größeres Sicherheitsbedürfnis<br />

feststellen. Sie wollten<br />

langsam vorgehen, viele Übungen zum gleichen<br />

Thema machen, auch wenn sie die<br />

Techniken bereits beherrschten. Den Jungen<br />

fiel dagegen ein längeres Verbleiben am selben<br />

Thema schwerer. Sie strebten stärker<br />

nach Abwechslung, unabhängig davon, ob<br />

das Thema bereits verstanden <strong>und</strong> beherrscht<br />

war oder nicht. Diese Tendenzen<br />

sind natürlich nicht unproblematisch, <strong>und</strong> es<br />

kann nicht darum gehen, den <strong>—</strong> auch wieder<br />

stereotypen <strong>—</strong> Wünschen einfach nachzukommen.<br />

Wichtig erscheint hier vielmehr,<br />

diese Wünsche in ihrer Unterschiedlichkeit<br />

überhaupt erst einmal wahrzunehmen, um<br />

dann damit reflektiert umgehen zu können.<br />

Unabhängig davon, dass sich nach den vorliegenden<br />

Untersuchungen insbesondere<br />

Mädchen von einem solchen Unterrichtsstil<br />

weniger angesprochen fühlen als Jungen,<br />

spiegelt sich in diesem kleinschrittigen <strong>und</strong><br />

engen Kommunikationsmuster auch eine reduzierte<br />

Sichtweise auf die "objektiven" Inhalte<br />

wider, die für das <strong>Lernen</strong> von <strong>Mathematik</strong><br />

<strong>und</strong> das Entwickeln eines Verständnisses


für dieses Fach keineswegs förderlich ist. Für<br />

Diskussionen mit Meinungsbildung <strong>und</strong> Aushandeln<br />

von Gesprächsergebnissen scheint<br />

auf den ersten Blick <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

wenig Bedarf zu bestehen. Die Argumentation<br />

läuft meistens auf ein Richtig-oder-<br />

Falsch hinaus; persönliche Einschätzungen<br />

werden eher selten einbezogen.<br />

Kommen wir zu den Unterrichtsinhalten. Die<br />

oben beschriebene Schieflage des Bildes<br />

von <strong>Mathematik</strong> hat natürlich viel damit zu<br />

tun, wie mathematische Inhalte in der Schule<br />

vermittelt werden. Ich möchte einige Kritikpunkte<br />

herausgreifen, die alle seit Jahren <strong>—</strong><br />

<strong>und</strong> nicht erst seit TIMSS <strong>—</strong> in der Fachdidaktik<br />

<strong>im</strong>mer wieder genannt <strong>und</strong> diskutiert<br />

werden:<br />

• Die Inhalte stehen oftmals unverb<strong>und</strong>en<br />

nebeneinander.<br />

• Vieles wird auf Vorrat gelernt: Als Begründung<br />

für einen Inhalt wird ein späterer<br />

Nutzen angegeben.<br />

• Relevanz <strong>und</strong> Sinnhaftigkeit der <strong>Mathematik</strong><br />

werden nur selten deutlich.<br />

• Anwendungen werden häufig aus dem<br />

technischen <strong>und</strong> naturwissenschaftlichen<br />

Bereich gewählt.<br />

• Es wird eine formale Sprache benutzt, die<br />

sich deutlich von der Umgangssprache<br />

unterscheidet. Die Ausdrucksfähigkeit der<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler bleibt <strong>im</strong> mathematischen<br />

Zusammenhang auf der<br />

Strecke.<br />

Vor dem Hintergr<strong>und</strong> dieser Kritik wird deutlich,<br />

dass die "Probleme" der Mädchen mit<br />

<strong>Mathematik</strong> nur ein Indikator dafür sind, dass<br />

die Unterrichtskultur insgesamt dringend geändert<br />

werden muss. Der vielfach zu beobachtende<br />

Rückzug der Mädchen aus der<br />

<strong>Mathematik</strong> kann in einem ganz anderen<br />

Licht gesehen werden: Handeln sie nicht<br />

ganz vernünftig, wenn sie sich in einer nicht<br />

nur für sie selber sondern auch für die Jungen<br />

mangelhaften Lehr-Lern-Umgebung wenig<br />

engagieren?<br />

Unter dem Gesichtspunkt, eine Unterrichtskultur<br />

in <strong>Mathematik</strong> zu schaffen, die Mädchen<br />

<strong>und</strong> Jungen in gleicher Weise gerecht<br />

wird, sind in den letzten Jahren eine Fülle<br />

von konkreten Vorschlägen erarbeitet worden,<br />

wie die Inhalte <strong>im</strong> Hinblick auf diese Kritikpunkte<br />

verändert <strong>und</strong> verbessert werden<br />

können. Ich kann dazu hier nur auf die entsprechende<br />

Literatur verweisen (ausführliche<br />

Literatur dazu z. B. Grevholm & Hanna 1995,<br />

Hanna 1996, Kaiser & Rogers 1995, Leder<br />

1995, ZDM 26 (1994), Heft 1 & 2).<br />

Mädchen, Jungen, <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer<br />

Hier soll es nun zum Abschluss um die Frage<br />

gehen, welche Chancen speziell der Computereinsatz<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf die aufgeführte Kritik birgt.<br />

Nach meinen vorherigen Ausführungen ist<br />

klar, dass die Gefahr besteht, dass sich zwei<br />

negative Tendenzen verstärken können: Die<br />

möglicherweise bestehende distanzierte Haltung<br />

der Mädchen gegenüber dem Computer<br />

kann sich auf das Fach <strong>Mathematik</strong> übertragen.<br />

Umgekehrt kann sich eine ablehnende<br />

oder distanzierte Haltung gegenüber <strong>Mathematik</strong><br />

auf den Computer übertragen, wenn er<br />

schwerpunktmäßig in diesem Fach eingesetzt<br />

wird. Diese Gefahr ist umso größer, je<br />

mehr die rein technische Seite des Computers<br />

betont wird.<br />

Demgegenüber steht eine ganze Reihe von<br />

Möglichkeiten, die Kritik am <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

ernsthaft aufzugreifen <strong>und</strong> Veränderungen<br />

einzuleiten, die einen Unterricht ermöglichen,<br />

der sowohl den Jungen als auch<br />

den Mädchen gerechter wird:<br />

• Verstärkter Einsatz alternativer Unterrichtsformen,<br />

Gruppenarbeit in <strong>—</strong> geschlechtshomogenen<br />

<strong>—</strong> Kleingruppen,<br />

Differenzierungen nach Kenntnisstand;<br />

• Förderung kooperativer Lernformen,<br />

Aufteilung von Arbeitsaufträgen z.B. in<br />

Form eines Gruppenpuzzles, bei dem jede<br />

Person einen Beitrag leisten muss;<br />

• Möglichkeiten für entdeckendes <strong>Lernen</strong>,<br />

exper<strong>im</strong>entelles Vorgehen durch Einsatz<br />

geeigneter Software (CAS; DGS), dadurch<br />

Veränderung des Bildes von <strong>Mathematik</strong><br />

als "fertiger" Wissenschaft, Fragestellungen<br />

selber erfinden, selber <strong>Mathematik</strong><br />

machen;<br />

• Kommunikation in <strong>und</strong> über <strong>Mathematik</strong>,<br />

Dokumentationen über die Arbeiten am<br />

Computer anfertigen lassen,<br />

Präsentationen über mathematische Themen,<br />

dadurch Förderung der Sprachkompetenz<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht;<br />

• Sicht über das Fach hinaus,<br />

fächerübergreifende Projekte,<br />

Bezüge zu anderen Bereichen <strong>und</strong> zu historischen<br />

Hintergründen; Einbeziehung<br />

des <strong>WWW</strong> als Quelle von Informationen,<br />

Einbeziehung künstlerischer, kreativer<br />

<strong>und</strong> ästhetischer Gesichtspunkte.<br />

43


Cornelia Niederdrenk-Felgner<br />

Konkrete Unterrichtsbeispiele zu einigen dieser<br />

Aspekte sind in (Niederdrenk-Felgner<br />

1998) zu finden.<br />

Es geht nicht darum, leuchtende Beispiele<br />

vorzustellen. Vielmehr möchte ich die Kriterien<br />

aus der Geschlechterperspektive bewusst<br />

machen, die an einen guten <strong>Mathematik</strong>-Unterricht<br />

mit dem Computer angelegt<br />

werden sollten. In diesem Sinne wünsche ich<br />

uns allen, dass es gelingen möge, <strong>Mathematik</strong><br />

mit <strong>und</strong> ohne Computer zu einem positiv<br />

besetzten Fach werden zu lassen, <strong>und</strong> den<br />

Unterricht so zu gestalten, dass Mädchen<br />

wie Jungen mit Interesse <strong>und</strong> Begeisterung<br />

daran teilnehmen.<br />

Literatur<br />

Baumert, Jürgen, Wilfried Bos & Rainer Watermann<br />

(1998): TIMSS/III Schülerleistungen in<br />

<strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> den Naturwissenschaften am<br />

Ende der Sek<strong>und</strong>arstufe II <strong>im</strong> internationalen<br />

Vergleich. Zusammenfassende <strong>und</strong> deskriptive<br />

Ergebnisse. Berlin: Max-Planck-Institut für Bildungsforschung<br />

Beerman, Lilly, Kurt A. Heller & Pauline Menacher<br />

(1992): Mathe: nichts für Mädchen? Begabung<br />

<strong>und</strong> Geschlecht am Beispiel von <strong>Mathematik</strong>,<br />

Naturwissenschaft <strong>und</strong> Technik. Bern: Huber<br />

Bos, Wilfried, Eva-Maria Lankes, Manfred Prenzel,<br />

Knut Schwippert, Gerd Walther & Renate Valtin<br />

(Hrsg) (2003): Erste Ergebnisse aus IGLU.<br />

Münster u.a.: Waxmann<br />

Brehmer, Ilse, Hildegard Küllchen & Lisa Sommer<br />

(1989): Mädchen, Macht (<strong>und</strong>) Mathe. Dokumente<br />

<strong>und</strong> Berichte 10 der Parlamentarischen<br />

Staatssekretärin für die Gleichstellung von<br />

Frau <strong>und</strong> Mann, Düsseldorf.<br />

GEW Gender Report 2003: www.lakofnrw.fh-koeln<br />

.de/download/gew-gender-report2003.pdf<br />

Grevholm, Barbro & Gila Hanna (Hrsg.) (1995):<br />

Gender and Mathematics Education. An ICMI<br />

Study in Stiftsgården Åkersberg, Höör, Sweden<br />

1993. L<strong>und</strong>: L<strong>und</strong> University Press<br />

Hanna, Gila (Hrsg.) (1996): Towards Gender Equity<br />

in Mathematics Education. An ICMI Study.<br />

Dordrecht: Kluwer<br />

Hannover, Bettina (1992): Spontanes Selbstkonzept<br />

<strong>und</strong> Pubertät. Zur Interessenentwicklung<br />

von Mädchen koedukativer <strong>und</strong> geschlechtshomogener<br />

Schulklassen. In: Bildung <strong>und</strong> Erziehung<br />

45, 31–46<br />

Horstkemper, Marianne (1987): Schule, Geschlecht<br />

<strong>und</strong> Selbstvertrauen. Eine Längsschnittstudie<br />

über Mädchensozialisation in der<br />

Schule. Weinhe<strong>im</strong> & München: Juventa<br />

Jahnke-Klein, Sylvia (2001): Sinnstiftender <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

für Mädchen <strong>und</strong> Jungen.<br />

44<br />

Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren<br />

Jungwirth, Helga (1990): Mädchen <strong>und</strong> Buben <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematik</strong>unterricht. Eine Studie über geschlechtsspezifische<br />

Modifikationen der Interaktionsstrukturen.<br />

Österreichisches B<strong>und</strong>esministerium<br />

für Unterricht, Kunst <strong>und</strong> Sport<br />

(Hrsg.), Reihe Frauenforschung Band 1. Wien.<br />

Jungwirth, Helga (1994): Mädchen <strong>und</strong> Buben <strong>im</strong><br />

Computerunterricht <strong>—</strong> Beobachtungen <strong>und</strong><br />

Erklärungen. In: Zentralblatt für Didaktik der<br />

<strong>Mathematik</strong> 26, Heft 2, 41–48<br />

Kaiser, Gabriele & Pat Rogers (Hrsg.) (1995): Equity<br />

in Mathematics Education. Influences of<br />

Feminism and Culture. London &Bristol: The<br />

Falmer Press<br />

Keller, Carmen (1997): Geschlechterdifferenzen:<br />

Trägt die Schule dazu bei? In U. Moser, E.<br />

Ramseier, C. Keller & M. Huber (Hrsg.) (1997):<br />

Schule auf dem Prüfstand. Eine Evaluation der<br />

Sek<strong>und</strong>arstufe I auf der Gr<strong>und</strong>lage der Third<br />

International Mathematics and Science Study.<br />

Zürich: Rüegger, 137–179<br />

Keller, Carmen (1998): Geschlechterdifferenzen in<br />

der <strong>Mathematik</strong>: Prüfung von Erklärungsansätzen:<br />

Eine mehrebenenanalytische<br />

Untersuchung <strong>im</strong> Rahmen der Third International<br />

Mathematics and Science Study.<br />

Universität Zürich: Dissertation<br />

Leder, Gilah (Hrsg.) (1995): Mathematics and<br />

Gender. In: Educational Studies in Mathematics<br />

28,<br />

Niederdrenk-Felgner, Cornelia (1993): Computer<br />

<strong>im</strong> koedukativen Unterricht. Mädchen <strong>und</strong><br />

Computer. Studienbrief Mädchen <strong>und</strong> Computer.<br />

Tübingen: DIFF<br />

Niederdrenk-Felgner, Cornelia (1998): Entdeckendes<br />

<strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> Problemlösen <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht.<br />

Studienbrief Mädchen <strong>und</strong><br />

Computer. Tübingen: DIFF<br />

Niederdrenk-Felgner, Cornelia (2001): Die Geschlechterdebatte<br />

in der <strong>Mathematik</strong>didaktik.<br />

In: Heidrun Hoppe u.a. (Hrsg.) (2001): Geschlechterperspektiven<br />

in der Fachdidaktik.<br />

Weinhe<strong>im</strong> & Basel: Beltz, 123–144<br />

Nyssen, Elke, Pia Ueter & Edda Strunz (1996):<br />

Monoedukation <strong>und</strong> Koedukation <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

des neunten <strong>und</strong> zehnten Schuljahres.<br />

In: Elke Nyssen (Hrsg.) (1996): Mädchenförderung<br />

in der Schule. Ergebnisse <strong>und</strong><br />

Erfahrungen aus einem Modellversuch. Weinhe<strong>im</strong><br />

& München: Juventa, 93–105<br />

Pólya, George (1980): Schule des Denkens. Bern:<br />

Francke, 3. Auflage<br />

Schründer-Lenzen, Agi (1995): Weibliches Selbstkonzept<br />

<strong>und</strong> Computerkultur. Weinhe<strong>im</strong>: Deutscher<br />

Studien Verlag<br />

Sinhart-Pallin, Dieter (1990): Die technik-zentrierte<br />

Persönlichkeit. Sozialisationseffekte mit Computern.<br />

Weinhe<strong>im</strong>: Deutscher Studien Verlag


� MaDiN <strong>—</strong> <strong>Mathematik</strong>didaktik <strong>im</strong> Netz<br />

Thomas Weth, Nürnberg<br />

Das internet-basierte Lehr-Lern-System MaDiN mit seinen Gr<strong>und</strong>sätzen, Ideen <strong>und</strong> Möglichkeiten<br />

wird vorgestellt, <strong>und</strong> erste Erfahrungen be<strong>im</strong> Einsatz in einer Geometrie-Vorlesung<br />

werden beschrieben.<br />

1 Gr<strong>und</strong>sätzliches zu MaDiN<br />

Seit Beginn des Jahres 2000 wurde für die<br />

Dauer von 3 Jahren vom B<strong>und</strong>esministerium<br />

für Bildung <strong>und</strong> Forschung das Projekt Ma-<br />

DiN (<strong>Mathematik</strong>didaktik <strong>im</strong> Netz) finanziell<br />

gefördert. Ziel des Projekts war es, die "gesamte"<br />

Didaktik der <strong>Mathematik</strong>, die in der<br />

Lehrerausbildung der Pr<strong>im</strong>arstufe sowie den<br />

Sek<strong>und</strong>arstufen I <strong>und</strong> II gelehrt wird, unter<br />

sinnvoller Nutzung mult<strong>im</strong>edialer Komponenten<br />

<strong>im</strong> <strong>Internet</strong> anzubieten. Realisiert wurde<br />

das Projekt von den Lehrstühlen für Didaktik<br />

der <strong>Mathematik</strong> an den Universitäten Braunschweig,<br />

Erlangen/Nürnberg, Münster <strong>und</strong><br />

Würzburg. Die Themen, die <strong>im</strong> Projekt für die<br />

Nutzung <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> aufbereitet wurden, umfassen<br />

• Gr<strong>und</strong>schuldidaktik<br />

• Zahlsysteme<br />

• Geometrie<br />

• Algebra<br />

• Analysis<br />

• Stochastik <strong>und</strong><br />

• Computereinsatz <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht.<br />

Neben der eigentlichen Materialentwicklung<br />

war die wissenschaftliche Evaluation weiterer<br />

konstitutioneller Bestandteil des Gesamtprojekts.<br />

Über eine Evaluation wird <strong>im</strong> zweiten<br />

Teil dieses Artikels berichtet; eine weitere<br />

findet sich <strong>im</strong> Artikel von G. Wittmann in diesem<br />

Tagungsband.<br />

Die Zielgruppen des Projekts sind Studierende,<br />

Dozenten <strong>und</strong> praktizierende Lehrer.<br />

Studierenden dient das Material zum einen<br />

zur Nachbereitung des Vorlesungsstoffs. Zudem<br />

sind die Inhalte so ausgearbeitet, dass<br />

sie sich (zumindest ansatzweise) zur selbständigen<br />

Erarbeitung von Lerninhalten eignen.<br />

Darüber hinaus versteht sich MaDiN als<br />

Nachschlagewerk <strong>und</strong> als Aufgabensammlung<br />

zu zentralen didaktischen Themen.<br />

Dozenten bietet MaDiN eine Medien- <strong>und</strong><br />

Quellensammlung zur Didaktik der <strong>Mathematik</strong><br />

<strong>und</strong> zum <strong>Mathematik</strong>unterricht. Während<br />

universitärer Veranstaltungen lassen sich<br />

professionell erstellte Grafiken, An<strong>im</strong>ationen,<br />

Lehrfilme usw. zur Veranschaulichung <strong>und</strong><br />

Unterstützung nutzen <strong>und</strong> einsetzen.<br />

Vergleichbaren Nutzen bietet MaDiN praktizierenden<br />

Lehrern in seiner Funktion als Medien-,<br />

Aufgaben- <strong>und</strong> Ideensammlung.<br />

Um diesen Benutzergruppen ein möglichst<br />

vollständiges Angebot zur Didaktik der <strong>Mathematik</strong><br />

anbieten zu können, war ein wesentlicher<br />

konzeptioneller Aspekt bei der<br />

Entwicklung, dass Standardthemen (s.o.)<br />

<strong>und</strong> nicht nur "ausgewählte Aspekte" aufbereitet<br />

werden sollten. Anders formuliert: die<br />

Projektpartner wollten sich bewusst der Herausforderung<br />

stellen, keine "Perlen"-Didaktik<br />

<strong>im</strong> Netz anzubieten, sondern möglichst benutzerorientiert<br />

genau diejenigen Themen zu<br />

bearbeiten, welche in der Standardausbildung<br />

von Bedeutung sind. Und gerade die<br />

Fokussierung auf "Standardinhalte" stellt das<br />

Anspruchsvolle <strong>und</strong> viele konzeptionelle<br />

Überlegungen erfordernde Element von Ma-<br />

DiN dar. Denn das Abwägen des sinnvollen<br />

Einsatzes <strong>und</strong> das Einbeziehen mult<strong>im</strong>edialer<br />

Elemente in Lehrtexte fällt für "trockene,<br />

spröde" Themen wie etwa "schriftliche Addition"<br />

wesentlich schwerer als die Konzeptionierung<br />

"bunter, ergiebiger" Themen wie "der<br />

goldene Schnitt" oder "die Satzgruppe des<br />

Pythagoras".<br />

Um insbesondere der Zielgruppe der Studierenden<br />

gerecht zu werden, wurde bei der<br />

Aufbereitung der Inhalte darauf geachtet,<br />

dass neben der eigentlichen Didaktik auch<br />

die fachwissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>lagen Bestandteil<br />

der Materialien sind. Denn die einhellige<br />

Erfahrung aller Projektpartner war,<br />

dass die Studierenden die Didaktikvorlesung<br />

<strong>im</strong> Allgemeinen mit defizitärem fachwissenschaftlichem<br />

Wissensstand betreten, <strong>und</strong> die<br />

Überzeugung die, dass Didaktikvorlesungen<br />

nur auf der Basis eines soliden fachwissenschaftlichen<br />

F<strong>und</strong>aments sinnvoll <strong>und</strong> ertragreich<br />

sein können.<br />

45


Thomas Weth<br />

2 Ein Streifzug durch MaDiN<br />

Um einen Eindruck über Art der Aufbereitung<br />

der Inhalte <strong>und</strong> den Umgang mit MaDiN be<strong>im</strong><br />

46<br />

Abb. 1<br />

Abb. 2<br />

<strong>Lernen</strong> von <strong>Mathematik</strong>didaktik zu gewinnen,<br />

sollen <strong>im</strong> Folgenden einige Charakteristika<br />

des Projekts vorgestellt werden.


Abb. 3<br />

2.1 Die "Verpackung"<br />

MaDiN präsentiert die mathematikdidaktischen<br />

Inhalte über einen<br />

Schreibtisch als Navigationsbzw.<br />

Auswahlinstrument (vgl.<br />

Abb. 1), der den größten Teil des<br />

Bildschirms einn<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> das<br />

"Hauptfenster" bildet. Das Lehrmaterial<br />

ist zu jedem einzelnen<br />

Thema (z.B. Kongruenzabbildungen)<br />

in die "Schreibtisch-<br />

Schubladen" Theorie, Beispiele,<br />

Übungen, Literatur, Links <strong>und</strong><br />

Medien eingeordnet (s.u.). Wählt<br />

man eine dieser Schubladen (per<br />

Mausklick) an, werden die Inhalte<br />

<strong>im</strong> Hauptfenster eingeblendet<br />

(vgl. Abb. 2). Eine Navigationsleiste mit denselben<br />

Elementen wird zusätzlich über dem<br />

Schreibtisch angezeigt, da es sich (aus mediendidaktischer<br />

Sicht) als günstig erweist,<br />

dem Benutzer Steuerelemente red<strong>und</strong>ant<br />

anzubieten (so lassen sich <strong>im</strong> realen Einsatz<br />

von MaDiN auch wirklich Benutzer beobachten,<br />

welche ausschließlich über den Schreibtisch<br />

<strong>und</strong> andere, welche ausschließlich über<br />

die Navigationsleiste <strong>im</strong> System navigieren).<br />

In Bildschirmabschnitten (Frames) links <strong>und</strong><br />

oberhalb des Hauptfensters sind Orientierungshilfen<br />

eingeblendet, die den Benutzer<br />

über seinen Standort <strong>im</strong> System informieren<br />

(vgl. Abb. 1, 2 <strong>und</strong> 3). Die Standortinformation<br />

ist kontextabhängig <strong>und</strong> stellt lediglich die<br />

"nähere" Umgebung <strong>und</strong> nicht die Struktur aller<br />

Inhalte grafisch dar.<br />

Neben weiteren Navigations- <strong>und</strong> Steuerhilfen<br />

(z.B. Einblenden der Gesamtstruktur aller<br />

Inhalte, "History"-Funktion, ...) zählt eine Lupe<br />

<strong>—</strong> als Metapher für eine Volltextsuche <strong>—</strong><br />

zu den Bedien-Elementen von MaDiN.<br />

Die "Map" von MaDiN (in Abb. 4 etwa für das<br />

Thema Geometrie <strong>—</strong> fachwissenschaftlich)<br />

stellt die Inhalte in der "Windows-Explorer"-<br />

MaDiN <strong>—</strong> <strong>Mathematik</strong>didaktik <strong>im</strong> Netz<br />

üblichen Art dar <strong>und</strong> dient gleichzeitig als<br />

weiteres Navigations- <strong>und</strong> Orientierungsinstrument.<br />

2.2 Die Inhalte<br />

Ein Blick auf die Geometrie-Map (Abb. 4)<br />

zeigt, dass die Inhalte ausschließlich "klassisch"<br />

sind. In diesem Sinne ist von MaDiN<br />

also weder eine "neue" <strong>Mathematik</strong> noch eine<br />

"neue" Didaktik zu erwarten. Das Neue an<br />

MaDiN steckt nicht in den Inhalten, sondern<br />

in deren mult<strong>im</strong>edialen Aufbereitung.<br />

Abb. 4<br />

Um mathematikdidaktische Inhalte über den<br />

Computer bzw. über das <strong>Internet</strong> darzustellen<br />

<strong>und</strong> zu vermitteln, bedarf es <strong>—</strong> allein<br />

schon wegen der Verfügbarkeit unterschiedlicher<br />

Medien <strong>—</strong> anderer Gestaltungsprinzipien<br />

als etwa bei einer Darbietung in Buchform.<br />

Aus dem Studium der mediendidaktischen<br />

Literatur, aus der eigenen pädagogischen<br />

Erfahrung <strong>und</strong> dem erworbenen Wissen<br />

aus vorherigen "Computerprojekten"<br />

wurde versucht, bei der Gestaltung u.a. folgende<br />

Prinzipien einzuhalten:<br />

1. Die MaDiN-Texte sollen kurz sein; denn<br />

Lesen/<strong>Lernen</strong> scheint <strong>—</strong> unabhängig vom<br />

Alter <strong>und</strong> der Vertrautheit mit dem Computer<br />

<strong>—</strong> am Bildschirm schwieriger <strong>und</strong><br />

unangenehmer empf<strong>und</strong>en zu werden, als<br />

mit Hilfe eines Buchs.<br />

2. Die MaDiN-Texte sollen die Inhalte auf<br />

verschiedenen Niveaus darstellen; in kurzen<br />

Texten werden Begriffe etwa in Form<br />

"propädeutischer" Erklärungen bis hin zu<br />

formal korrekten Definitionen angeboten<br />

(vgl. Abb. 2).<br />

3. Die MaDiN-Texte sollen authentisch sein;<br />

die Orientierung an den genannten Zielgruppen<br />

erfordert, dass die Texte mit pra-<br />

47


Thomas Weth<br />

xisorientiertem Material unterstützt werden.<br />

Dem wurde u.a. dadurch Rechnung<br />

getragen, dass zu den eigentlichen Lehrtexten<br />

Lehrplanausschnitte, Schulbuchseiten,<br />

Filme zu Unterrichtsversuchen<br />

usw. einbezogen wurden.<br />

4. Die MaDiN-Texte sollen auf überflüssige<br />

An<strong>im</strong>ationen verzichten; auf alle gestalterischen<br />

Elemente (wie z.B. blinkender<br />

Text, "amüsante" an<strong>im</strong>ated-gifs, ...), die<br />

den Benutzer von den Lerninhalten ablenken<br />

bzw. die mit den Lerninhalten<br />

höchstens indirekt zu tun haben, wurde<br />

verzichtet.<br />

5. Die MaDiN-Texte sollen zur Selbsttätigkeit<br />

anregen; in den Seiten finden sich zahlreiche<br />

Möglichkeiten, selbst am Bildschirm<br />

aktiv zu werden; dies reicht etwa<br />

von interaktiven Multiple-choice-Tests<br />

über bewegliche geometrische Konstruktionen<br />

bis hin zu "Pop-up-Ikonogrammen"<br />

(einer parallel zu MaDiN entwickelten<br />

strukturierten <strong>und</strong> an<strong>im</strong>ierten Bild- <strong>und</strong><br />

Filmfolge (Hartmann 2003), mit Hilfe derer<br />

komplexere Beweise selbständig erlernt<br />

werden können).<br />

2.3 Beispiele<br />

Am Beispiel "geometrische Abbildungen" soll<br />

<strong>im</strong> Folgenden ein kurzer Einblick in die hierarchische<br />

Struktur der Inhaltsseiten von Ma-<br />

DiN gegeben werden.<br />

Dabei wird <strong>im</strong> gesamten System der Weg<br />

"Geometrische Abbildungen" – "Kongruenzabbildungen"<br />

– "Achsenspiegelungen" durchlaufen,<br />

um dem Leser ein Gespür für die<br />

Ausprägung der Inhalte auf den einzelnen<br />

Hierarchiestufen zu vermitteln.<br />

2.3.1 Der Schreibtisch "geometrische<br />

Abbildungen"<br />

Die Theorie-Schublade des Schreibtischs<br />

"geometrische Abbildungen" behandelt auf<br />

allgemeinem Niveau den Begriff einer geo-<br />

48<br />

Abb. 5<br />

metrischen Abbildung <strong>und</strong> erklärt<br />

Begriffe wie Fixelemente, surjektiv,<br />

injektiv usw. Anzumerken ist,<br />

dass hier (wie <strong>im</strong> gesamten System)<br />

die Texte durch zahlreiche<br />

Beispiele <strong>und</strong> Gegenbeispiele<br />

unterstützt werden.<br />

Die Beispiel-Schublade des<br />

Schreibtischs "Geometrische Abbildungen"<br />

beinhaltet <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

Exper<strong>im</strong>entiermaterial in<br />

Form von interaktiven Cinderella-Konstruktionen,<br />

mit Hilfe derer die o.g.<br />

Begriffe be-"greif"-bar gemacht werden. Wieder<br />

wurde Wert darauf gelegt, neben klassischen<br />

Abbildungen (Kongruenzabbildungen)<br />

auch Alternativbeispiele wie etwa das folgende<br />

zur Verfügung zu stellen, in welchem<br />

die Gerade CD auf die schwarze Kurve abgebildet<br />

wird.<br />

Abb. 6: Beispiel für eine geometrische Abbildung<br />

Abb. 7: Beispiel für eine surjektive, nicht injektive<br />

Abbildung<br />

Abb. 8: Beispiel für eine geometrische Abbildung<br />

In der Übungs-Schublade finden sich <strong>im</strong> Allgemeinen<br />

Übungen aus Schulbüchern,<br />

"klassische" Aufgaben, Schulbuchaufgaben,<br />

Aufgaben zur didaktischen Reflexion oder<br />

wie hier u.a. Multiple-Choice-Tests.<br />

2.3.2 Der Schreibtisch "Kongruenzabbildungen"<br />

Eine Hierarchiestufe unter dem Schreibtisch<br />

"geometrische Abbildungen" finden sich die


Abb. 9: Ausschnitt aus einem Multiple-Choice-Test<br />

Abb. 10: Ausschnitt aus der Theorie-Schublade des Schreibtischs<br />

"Kongruenzabbildungen"<br />

Schreibtische "Kongruenzabbildungen",<br />

"Ähnlichkeitsabbildungen" <strong>und</strong> "Projektionen".<br />

Auf dieser Hierarchiestufe (vgl. Abb. 5)<br />

enthält die Theorie-Schublade aller Schreibtische<br />

eine Darstellung des gestuften Wissenserwerbs<br />

über die Schuljahre hinweg. Parallel<br />

werden die Theoriestufen des Begriffserwerbsmodells<br />

von Vollrath (1984), inhaltliche<br />

Konkretisierungen <strong>und</strong> (als Pop-ups)<br />

Lehrplanauszüge <strong>und</strong> Schulbuchausschnitte<br />

angeboten.<br />

Die Beispiel-Schublade beinhaltet konkrete<br />

Beispiele für Zugänge zum Kongruenzbegriff<br />

(Basteln, Schneiden, Zeichnen, ...) <strong>und</strong> die<br />

Übungs-Schublade bietet eine Sammlung<br />

von (bayerischen) Staatsexamensaufgaben.<br />

2.3.3 Der Schreibtisch "Achsenspiegelungen"<br />

Eine Hierarchiestufe unter dem Schreibtisch<br />

"Kongruenzabbildungen" finden sich u.a. die<br />

Schreibtische "Achsenspiegelungen", "Verschiebungen",<br />

..., "Gruppe der Kongruenzabbildungen",<br />

"Kongruenzsätze am Dreieck"<br />

oder "Symmetrie".<br />

Im Theorieteil zu "Achsenspiegelungen" werden<br />

den Prinzipien von MaDiN entsprechend<br />

u.a. verschiedene, alternative Definitionsmöglichkeiten<br />

zum Begriff "Achsenspiegelung"<br />

gegeben.<br />

Weitere Elemente der Theorieseite sind eine<br />

Darstellung der Eigenschaften von Achsenspiegelungen,<br />

Konstruktionsvorschriften (pa-<br />

MaDiN <strong>—</strong> <strong>Mathematik</strong>didaktik <strong>im</strong> Netz<br />

rallel dazu werden zum Exper<strong>im</strong>entieren<br />

interaktive<br />

Cinderella-Applets angeboten)<br />

<strong>und</strong> der Theorie der Hintereinanderausführung<br />

von<br />

Achsenspiegelungen. Mit<br />

Hilfe eines Pop-up-Ikonogramms<br />

wird der Satz (grafisch,<br />

an<strong>im</strong>iert <strong>und</strong> mit hörbarem<br />

Text) über die Hintereinanderausführung<br />

dreier<br />

Achsenspiegelungen dem<br />

Benutzer nahegebracht <strong>und</strong><br />

bewiesen.<br />

3 Ergebnisse einer<br />

Evaluation<br />

Die zentralen Fragen be<strong>im</strong><br />

nicht unbeträchtlichen finanziellen<br />

Aufwand, der bei der<br />

Realisierung von MaDiN anfiel,<br />

sind ganz lapidar: Wird<br />

MaDiN von den Studierenden<br />

be<strong>im</strong> <strong>Lernen</strong> von <strong>Mathematik</strong>didaktik als<br />

hilfreich akzeptiert? Führt das Einbeziehen<br />

von MaDiN in die Ausbildung zu einem höheren<br />

Lernerfolg?<br />

Die zweite Frage ist langfristiger Natur <strong>und</strong><br />

kann demgemäß in der Entwicklungsphase<br />

nicht beantwortet werden. Ihr wird <strong>im</strong> Zuge<br />

einer Dissertation am Lehrstuhl für Didaktik<br />

der <strong>Mathematik</strong> der Universität Erlangen/<br />

Nürnberg in den kommenden Jahren nachgegangen<br />

werden.<br />

Auf die Frage, ob MaDiN von Studierenden<br />

als hilfreich akzeptiert wird, gibt der Artikel<br />

von Wittmann in diesem Tagungsband eine<br />

(positive) Antwort. Anders als dort mit dem<br />

direkten Interview als Evaluationsinstrument<br />

wurde <strong>im</strong> SS 2003 an der Universität Erlangen/Nürnberg<br />

versucht, über Fragebögen<br />

(also eher "klassisch") eine Antwort zu finden.<br />

Bei der zur Verfügung stehenden Testpopulation<br />

von etwa 14 Hauptschullehramtstudierenden<br />

verstehen sich die folgenden<br />

"Ergebnisse" in keiner Weise als empirisch<br />

abgesichert, sondern stellen nur ein erstes<br />

St<strong>im</strong>mungsbild dar, das durch eine größer<br />

angelegte empirische Untersuchung zu verifizieren<br />

ist.<br />

Die folgende Befragung wurde mit den Teilnehmern<br />

der Vorlesung "Geometrie in der<br />

Hauptschule" (3 St<strong>und</strong>en Vorlesung + 2<br />

St<strong>und</strong>en Übung) am Semesterende durchgeführt.<br />

Die Studierenden saßen zu etwa einem<br />

Drittel der Vorlesungsst<strong>und</strong>en in einem Mult<strong>im</strong>ediaraum<br />

an einem eigenen Computer<br />

49


Thomas Weth<br />

<strong>und</strong> konnten MaDiN entsprechend der Vorgaben<br />

des Dozenten während der Vorlesungen<br />

nutzen. Außerhalb der Vorlesungen hatten<br />

alle Studierenden von zu Hause aus Zugang<br />

zu MaDiN über das <strong>Internet</strong>. In der ersten<br />

Vorlesung wurde eine etwa halbstündige<br />

Einführung in die Bedienung <strong>und</strong> Struktur<br />

von MaDiN gegeben.<br />

Bei der Evaluation am Ende des Semesters<br />

erhielten die Studierenden einen Fragebogen,<br />

bei dem zu jedem Statement (vgl. unten)<br />

jeweils eine von drei möglichen Antworten<br />

(+, 0 oder –) anzukreuzen war. Die folgende<br />

Darstellung zeigt eine kleine Auswahl<br />

von Antworten.<br />

3.1 Akzeptanz der Nutzung<br />

außerhalb der Vorlesung<br />

Einer der Fragenkomplexe bezog sich auf die<br />

Akzeptanz von MaDiN ausserhalb der Vorlesung:<br />

50<br />

Abb. 11: Alternative Definitionsmöglichkeiten<br />

Abb. 12: Pop-up-Ikonogramm<br />

Ich habe MaDiN zur Nachbereitung<br />

des Vorlesungsstoffes<br />

genutzt. (11; 2; 0)<br />

Die überwiegend positiven<br />

Antworten bilden einen ersten<br />

Hinweis, dass die Inhalte von<br />

den Studierenden genutzt <strong>und</strong><br />

akzeptiert werden. Diese<br />

Tendenz zeigt sich auch <strong>im</strong><br />

Antwortverhalten auf das<br />

nächste Statement:<br />

MaDiN war für mich eine Hilfe,<br />

den Lernstoff besser zu verstehen.<br />

(12; 1; 1)<br />

3.2 Akzeptanz der<br />

Nutzung innerhalb<br />

der Vorlesung<br />

Die Vorlesungsst<strong>und</strong>en, in<br />

denen die Studierenden zeitweise<br />

mit MaDiN am Computer<br />

arbeiteten, erschienen mir<br />

als Dozenten in irgendeiner<br />

Art <strong>und</strong> Weise als "langsamer",<br />

"zäher", in gewissem<br />

Sinne "ineffektiver" <strong>und</strong> weniger<br />

gut steuer- <strong>und</strong> planbar<br />

oder mit einem Wort: chaotischer<br />

als die (bei mir) herkömmlichen<br />

Tafel- <strong>und</strong> Kreide-Veranstaltungen.<br />

Die folgenden<br />

Fragen sollten einen<br />

Einblick geben, ob diese Empfindung<br />

<strong>und</strong> St<strong>im</strong>mung von<br />

den Studierenden auch als<br />

eher negative Begleiterscheinung von MaDiN<br />

erachtet wurde.<br />

Die Vorlesungsst<strong>und</strong>en, in denen MaDiN<br />

eingesetzt wurde, waren für mich verständlicher<br />

als herkömmliche Vorlesungsst<strong>und</strong>en.<br />

(5; 5; 4)<br />

Das ausgeglichene Antwortverhalten läßt<br />

sich evtl. in dem Sinne interpretieren, dass<br />

die Studierenden die Intention der Fragestellung<br />

nicht verstanden <strong>und</strong> mit einem achselzuckenden<br />

"ich weiß gar nicht, was er jetzt<br />

von mir will" reagieren. Ähnlich wären eventuell<br />

auch die Antworten auf die nächste Frage<br />

zu interpretieren:<br />

Eine herkömmliche Veranstaltung ist mir lieber<br />

als eine Vorlesung mit MaDiN. (3; 6; 4)<br />

Mein Eindruck, dass die Vorlesungsst<strong>und</strong>en<br />

mit Einbeziehung von MaDiN "zäh" <strong>und</strong><br />

schleppend erschienen, wurde von den Studierenden<br />

anscheinend nicht geteilt, wie die<br />

Antworten auf die folgende Frage zeigen:


Die St<strong>und</strong>en, in denen MaDiN eingesetzt<br />

wurde, litten aus meiner Sicht unter zu viel<br />

'Leerlauf', die deutlich mit einem "st<strong>im</strong>mt eher<br />

nicht" beantwortet wurde. (0; 4; 10)<br />

Ein weiteres Indiz, dass MaDiN von den Studierenden<br />

angenommen wird, liefern die positiven<br />

Antworten auf die Frage<br />

MaDiN läßt sich als Skriptersatz verwenden.<br />

(10; 0; 3)<br />

Die positive Resonanz spiegelt sich auch in<br />

den Freitext-Antworten wieder, die <strong>im</strong> Fragebogen<br />

vorgesehen waren. Auf die Frage:<br />

"Welche Vor- <strong>und</strong> Nachteile sehen Sie be<strong>im</strong><br />

Einbezug von MaDiN in den Lehr-Lern-<br />

Prozess?" wurden Antworten gegeben wie<br />

z.B.: "leicht zu verstehen", "sehr kompakt,<br />

viel Inhalt", "An<strong>im</strong>ationen verdeutlichen <strong>und</strong><br />

machen vieles klarer" oder "Interaktionen<br />

veranschaulichen komplexe Inhalte".<br />

3.3 Akzeptanz der mult<strong>im</strong>edialen<br />

Elemente<br />

Die Entwickler von MaDiN waren bemüht,<br />

Texte knapp zu formulieren, mit An<strong>im</strong>ationen<br />

sparsam umzugehen <strong>und</strong> sich an die in 2.2<br />

genannten Prinzipien zu halten. Eine deshalb<br />

interessierende Frage war, ob die mult<strong>im</strong>edialen<br />

Elemente seitens der Studierenden als<br />

"passend" anerkannt würden. Die Fragen<br />

nach der Verständlichkeit von Lehrtexten,<br />

Schulbuchseiten, Grafiken, Interaktionen <strong>und</strong><br />

Beweisfilmen (Pop-up-Ikonogrammen) wurden<br />

durchweg gleichermaßen positiv beantwortet.<br />

Stellvertretend sei deshalb hier nur<br />

die Antwort auf folgende Frage dargestellt:<br />

Die Texte in MaDiN sind verständlich <strong>und</strong><br />

lehrreich. (11; 2; 1)<br />

3.4 Weitere Fragestellungen<br />

Weitere Aspekte, die für die Entwickler von<br />

MaDiN von Interesse sind, wurden durch<br />

Fragen nach der Einfachheit der Navigation,<br />

der Orientierung innerhalb des Systems oder<br />

der Vollständigkeit des Systems geklärt. Interessant<br />

war, dass die Nutzer eher dahingehend<br />

tendieren, weitere Applikationen wie<br />

z.B. einen Chat, ein Forum, Email-Funktionen,<br />

einen persönlichen virtuellen "Notizzettel"<br />

usw. generell nicht vermissen bzw. sogar<br />

eher ablehnen. In Gesprächen wurde seitens<br />

der Studierenden die Meinung geäußert,<br />

MaDiN <strong>—</strong> <strong>Mathematik</strong>didaktik <strong>im</strong> Netz<br />

dass MaDiN so, wie es ist, übersichtlich sei<br />

<strong>und</strong> alle weiteren zusätzlichen Elemente die<br />

Navigation <strong>und</strong> Orientierung <strong>im</strong> System "nur<br />

behindern" würden.<br />

4 Subjektives Resümee<br />

Zu Beginn des Projekts war ich mit der eher<br />

kritischen Idee angetreten, nach bestem<br />

Wissen <strong>und</strong> mit vollem Einsatz mult<strong>im</strong>ediales<br />

Material zum Erwerb mathematikdidaktischen<br />

Wissens zu erstellen, um anschließend<br />

empirisch nachweisen zu können, dass<br />

alle vollm<strong>und</strong>igen Visionen über das "<strong>Internet</strong><br />

als Schule (oder Universität) der Zukunft" lediglich<br />

marktschreierische Prophezeiungen<br />

sind, welche einer empirischen Überprüfung<br />

nicht standhalten. Diese kritische Haltung<br />

über die "revolutionären Auswirkungen des<br />

<strong>Internet</strong> auf die (schulische oder universitäre)<br />

Ausbildung" habe ich auch nach dem Projekt<br />

nicht geändert. Allerdings habe ich gelernt,<br />

dass die Lehre <strong>—</strong> entsprechend gut entwickelte<br />

Gesamtkonzeptionen vorausgesetzt <strong>—</strong><br />

durch die mult<strong>im</strong>edialen Elemente, welche<br />

durch das <strong>Internet</strong> verfügbar gemacht werden,<br />

durchaus unterstützt <strong>und</strong> verbessert<br />

werden kann. Ich sehe es deshalb als sinnvoll<br />

an, sich weiterhin mit der Entwicklung<br />

von Lehrmaterial <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> <strong>und</strong> entsprechenden<br />

Evaluationen zu beschäftigen; wesentliche<br />

Änderungen <strong>im</strong> Lehr-Lern-Verhalten<br />

erwarte ich allerdings auch weiterhin<br />

nicht.<br />

Darüber hinaus habe ich gelernt (bzw. erneut<br />

erfahren), dass die Entwicklung professionell<br />

ausgearbeiteter <strong>Internet</strong>auftritte "teuer" ist:<br />

Der finanzielle Aufwand für die Realisierung<br />

der in diesem Artikel vorgestellten Geometrie<br />

beträgt etwa 250 000 €. Ob die Entwicklung<br />

"preiswert" ist, müssen zukünftige Evaluationen<br />

zeigen.<br />

Literatur<br />

Hartmann, Mutfried (2003): Eine neue Repräsentationsform<br />

schulmathematischer Inhalte für<br />

das <strong>WWW</strong>: Pop-up-Ikonogramme. In: Der <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

49, Heft 4, 59–70<br />

Vollrath, Hans-Joach<strong>im</strong> (1984): Methodik des Begriffslehrens<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht. Stuttgart:<br />

Klett<br />

51


� <strong>Mathematik</strong>lernen <strong>und</strong> Organisieren<br />

1 Einleitung<br />

Die unüberschaubare Fülle von Informationen,<br />

die <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> zur Verfügung stehen,<br />

führt bei sehr vielen Nutzern entweder gar<br />

nicht oder nur unter sehr großem Zeitaufwand<br />

zu Generierung von Wissen. Vor allem<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler können weder systematisch<br />

suchen, noch können sie die gef<strong>und</strong>enen<br />

Dokumente nach ihrer Relevanz,<br />

Verlässlichkeit oder Gültigkeit einordnen.<br />

Um die vielen Möglichkeiten, die die Verwendung<br />

des <strong>Internet</strong>s <strong>—</strong> oder der computergestützten<br />

Medien <strong>—</strong> bietet, überhaupt<br />

nutzen zu können, ist organisationales Denken<br />

dringend notwendig.<br />

2 Organisationales Denken<br />

Unter "organisationalem Denken" verstehen<br />

wir die Summe der Überlegungen <strong>und</strong> Maßnahmen,<br />

die notwendig sind, um Aufgabenlösungen<br />

<strong>—</strong> alleine <strong>und</strong>/oder in Zusammenarbeit<br />

mit anderen <strong>—</strong> in einer effizienten, systematischen<br />

<strong>und</strong> koordinierten Weise zu ermöglichen.<br />

Im Kontext von <strong>Lernen</strong> beziehen<br />

sich diese Aufgaben vor allem auf die Generierung<br />

von Wissen aus Informationen <strong>und</strong><br />

Kompetenzen sowie die Verbindung von<br />

Faktenwissen mit Handlungswissen.<br />

52<br />

Christine Bescherer & Herbert Löthe, Ludwigsburg<br />

Die <strong>Internet</strong>-Nutzung be<strong>im</strong> <strong>Lehren</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> führt bei Schülern <strong>und</strong> Studierenden <strong>—</strong> ja<br />

selbst bei Wissenschaftlern <strong>—</strong> sehr leicht zu inkohärenten <strong>und</strong> teilweise falschen Vorstellungen.<br />

Dies liegt mit daran, dass durch die chaotische Vielfalt des <strong>Internet</strong>s <strong>und</strong> durch<br />

die Nutzung der neuen Medien mit ihren gewaltigen Potenzen eine Recherche sehr leicht<br />

zu einer Anhäufung von spektakulären Details führt <strong>und</strong> die fachlichen Inhalte <strong>und</strong> Prozesse<br />

in ihrer Struktur nicht mehr erkennbar sind.<br />

Um sinnvoll aus der Informationsfülle des <strong>Internet</strong>s <strong>und</strong> der neuen Medien Wissen <strong>und</strong><br />

Kompetenzen aufbauen zu können, ist "organisationales Denken" notwendig. Wir denken<br />

dabei nicht nur an das Organisieren des mathematischen Arbeitens, <strong>Lehren</strong>s <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>s,<br />

sondern wir meinen vor allem die Fähigkeit der <strong>Lehren</strong>den <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>den, gut organisierte<br />

Inhalte <strong>und</strong> Kompetenzen von vornherein anzustreben <strong>und</strong> als wertvoll anzusehen.<br />

Nur solche organisierte Strukturen von Wissen <strong>und</strong> Können werden für <strong>Lehren</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> fruchtbar.<br />

Es ist interessant, dass organisationales Denken mit dem Gebiet der Datenverarbeitung<br />

Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts thematisiert worden ist, <strong>und</strong> <strong>im</strong>mer<br />

mit der Informatik verb<strong>und</strong>en war. Für die <strong>Mathematik</strong> ist es eine querliegende aber auch<br />

verbindende Kompetenz, die die process standards (<strong>im</strong> Sinne der NCTM) ergänzen. Diese<br />

Thesen werden anhand einer Reihe von Beispielen erläutert.<br />

Diese Definition basiert auf einer allgemeinen<br />

Definition von "Organisation", wie sie z.B. in<br />

der <strong>Internet</strong>-Enzyklopädie "Wikipedia" (vgl.<br />

URL http://de.wikipedia.org/wiki/Hauptseite,<br />

Zugriffsdatum 25.10.2003) zu finden ist: "Organisation<br />

ist eine dauerhafte Anordnung von<br />

Elementen, deren Tun durch Regeln so festgelegt<br />

ist, dass eine Aufgabenlösung in einer<br />

zusammenarbeitenden, koordinierten Weise<br />

stattfinden kann." Kennzeichnend für Organisation<br />

ist also das Zusammenwirken verschiedener<br />

Elemente, die Befolgung von Regeln<br />

<strong>und</strong> die Unterstützung einer Aufgabenlösung<br />

<strong>—</strong> in einer kooperativen Art <strong>und</strong> Weise.<br />

Dies lässt sich direkt auf Lehr-/Lernprozesse<br />

übertragen.<br />

So gibt es gewisse Regeln oder erprobte<br />

Vorgehensweisen, die das <strong>Lernen</strong> hilfreich<br />

unterstützen, wie Gliedern, in eigenen Worten<br />

Wiedergeben usw. Dass be<strong>im</strong> <strong>Lernen</strong><br />

verschiedene Aspekte wie Motivation, Vorwissen,<br />

Transfermöglichkeiten, … eine große<br />

Rolle spielen <strong>und</strong> diese Teile alle zusammen<br />

erst ein erfolgreiches <strong>Lernen</strong> ermöglichen, ist<br />

bekannt.<br />

Organisationales Denken beinhaltet die geistige<br />

Bemühung um eine effiziente Arbeit auf<br />

verschiedenen Ebenen:<br />

• häufig als trivial angesehene Hilfsmittel<br />

(gespitzte Buntstifte, genug Platz auf der<br />

Arbeitsfläche zum Zeichnen, ...)


• Hilfstechniken des geistigen Arbeitens<br />

(Nachschlagewerke geordnet <strong>und</strong> greifbar,<br />

Notizen machen, Skizzen erstellen,<br />

...)<br />

• Nutzung neuer Medien (Bookmarks verwertbar<br />

aufbereitet, Browser mit entsprechenden<br />

Sicherheitseinstellungen, E-Mail-<br />

Filter, regelmäßige Sicherungen, Verständnis<br />

für Ordnerstrukturen, Versionen,<br />

Dateitypen, ...)<br />

• systematische Arbeitstechniken (Gliedern<br />

z.B. durch farblich Kennzeichnen, Beschriften,...)<br />

• Strategien des Wissenserwerbs (Ordnen,<br />

Strukturieren, Ergänzen, Gliedern, ...)<br />

Diese Bemühungen beziehen sich bewusst<br />

nicht nur auf die Nutzung von computergestützten<br />

Medien, sondern auch auf herkömmliche<br />

Arbeitsweisen. Eine gute (Eigen-) Organisation<br />

hört nicht be<strong>im</strong> Abschalten des<br />

Rechners auf.<br />

Dabei ist zu beachten, dass gute Organisation<br />

allein nicht automatisch gute Arbeit oder<br />

erfolgreiches <strong>Lernen</strong> bedeutet, sondern sie<br />

stellt lediglich eine notwendige Bedingung<br />

dar. Ohne Organisation entsteht Chaos, <strong>und</strong><br />

dies ist fast <strong>im</strong>mer kontraproduktiv für das<br />

<strong>Lernen</strong>. Noch wichtiger ist hingegen, dass<br />

der Umgang mit den computergestützten Medien<br />

kein sich selbst organisierender Prozess<br />

ist. Im Gegenteil: der Computer erzwingt in<br />

starkem Maße eine gut strukturierte Arbeitshaltung.<br />

Dies ist jedem klar, der schon einmal<br />

eine best<strong>im</strong>mte Datei auf alten Sicherungsdisketten<br />

gesucht hat. (Für die Festplatte<br />

gibt es <strong>im</strong>merhin noch die Suchfunktion<br />

z.B. des Windows Explorers, aber die Disketten<br />

müssen einzeln durchgesehen werden.)<br />

Dabei stellt die (fast) unbegrenzte Speicherkapazität<br />

das<br />

Hauptproblem dar.<br />

Ein reales Regal mit<br />

Büchern, Ordnern<br />

<strong>und</strong> Unterlagen ist<br />

irgendwann einmal<br />

so voll, dass entschieden<br />

werden<br />

muss, auf welche<br />

Inhalte verzichtet<br />

werden kann. Wird<br />

die Festplatte zu<br />

klein, so wird eher<br />

ein neuer Speicher<br />

gekauft, anstatt<br />

einmal richtig "aufzuräumen".<br />

Als Test stellen Sie<br />

sich einfach Ihre<br />

<strong>Mathematik</strong>lernen <strong>und</strong> Organisieren<br />

Bookmark- bzw. Favoriten-Datei in Ihrem<br />

Browser vor. Sind die Einträge in sinnvolle<br />

Kategorien organisiert <strong>und</strong> durchsichtig kommentiert?<br />

Oder besteht Ihre Bookmark-Datei<br />

aus einer wilden Sammlung mehr oder weniger<br />

aussagekräftigen Seitentiteln von <strong>Internet</strong>seiten.<br />

Wenn das letztere zutrifft, dann<br />

finden Sie meist schneller die entsprechenden<br />

Seiten wieder, wenn Sie mit einer Suchmaschine<br />

<strong>im</strong> <strong>Internet</strong> suchen.<br />

3 <strong>Mathematik</strong>standards<br />

<strong>und</strong> Querstandards<br />

Werden Bildungsstandards <strong>im</strong> Bereich <strong>Mathematik</strong><br />

nach Inhalts- <strong>und</strong> Prozessstandards<br />

organisiert wie z.B. in den "Principles and<br />

Standards for School Mathematics, 2000"<br />

des NCTM, so bietet sich die Darstellung in<br />

einer 2x2-Matrix an. Die Inhaltsstandards bestehen<br />

aus "Zahlen <strong>und</strong> ihre Verknüpfungen",<br />

"Muster, Funktionen <strong>und</strong> Strukturen",<br />

"Geometrie", "Größen <strong>und</strong> Messen", "Datenanalyse<br />

<strong>und</strong> Wahrscheinlichkeit" <strong>und</strong> die Prozessstandards<br />

aus "Lösen von Aufgaben <strong>und</strong><br />

Problemen", "Begründen <strong>und</strong> Beweisen",<br />

"mathematisch Denken <strong>und</strong> Kommunizieren",<br />

"Bezüge inner- <strong>und</strong> außerhalb der <strong>Mathematik</strong>"<br />

<strong>und</strong> "Repräsentieren <strong>und</strong> Modellieren".<br />

Denn weder kann mathematisches Prozessdenken<br />

ohne mathematische Inhalte vermittelt<br />

werden, noch macht das <strong>Lernen</strong> mathematischer<br />

Inhalte ohne Beachtung der dabei<br />

angemessenen Prozesse Sinn.<br />

Nach unserer Vorstellung fehlen bei dieser<br />

Darstellung noch fünf "Querstandards", die,<br />

wie in der Abbildung 1 zu sehen ist, quer sowohl<br />

zu den Inhalts- wie auch den Prozess-<br />

Abb. 1<br />

53


Christine Bescherer & Herbert Löthe<br />

standards liegen. Diese Querstandards sind<br />

selbstverständlich nicht auf das Fach <strong>Mathematik</strong><br />

beschränkt, sondern spielen auch in<br />

anderen Fächern eine Rolle.<br />

Die einzelnen Querstandards beschreiben<br />

die Überlegungen, die <strong>Lehren</strong>de zum Unterrichtsprozess<br />

anstellen sollten: Wie kann Unterricht<br />

bei vorgegebenen Inhalten <strong>und</strong> angezielten<br />

(mathematischen) Prozessen ablaufen,<br />

gefördert <strong>und</strong> unterstützt werden?<br />

Um den Querstandard "organisationales<br />

Denken", der in diesem Beitrag ausführlich<br />

geschildert wird, entsprechend in den größeren<br />

Kontext einzuordnen, werden die weiteren<br />

Querstandards kurz erklärt:<br />

• Der Lehrer konzipiert <strong>und</strong> motiviert die<br />

Entwicklung mathematischer Produkte<br />

durch Schüler (für diese selbst <strong>und</strong> für andere)<br />

sowohl alleine, mit Anleitung durch<br />

den Lehrer <strong>und</strong> innerhalb einer Gruppe.<br />

Beispiele hierfür wären eine Zusammenfassung<br />

zur Bruchrechnung (als Gedächtnisstütze,<br />

Spickzettel), die Erstellung eines<br />

"persönlichen Schülerdudens" zur Erhaltung<br />

des Überblicks, ein Plakat zu Pythagoras<br />

für eine Elternpräsentation.<br />

• Die Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer ermuntern<br />

<strong>und</strong> fördern kontinuierlich den Erwerb <strong>und</strong><br />

die ständige Anwendung von Vorstellungen<br />

durch die Schüler (mentale Modelle,<br />

quasigeometrische Darstellungen usw.),<br />

indem beispielsweise die Zahlvorstellung,<br />

der Aufbau eines Tabellensystems oder<br />

Selbstdemonstrationen mit Realmodellen<br />

bzw. Software (Geobrett, Java-Applets)<br />

thematisiert <strong>und</strong> <strong>im</strong>mer wieder überprüft<br />

wird.<br />

• Die <strong>Lehren</strong>den geben den <strong>Lernen</strong>den<br />

Raum zum selbstständiges <strong>Lernen</strong>, ermöglichen<br />

das Entdecken durch Exploration<br />

in einer mathematikhaltigen Umgebung,<br />

regen an <strong>und</strong> unterstützen das gezielte<br />

Sammeln <strong>und</strong> Verarbeiten von Informationen<br />

über <strong>Mathematik</strong> (Bsp.: lesendes<br />

Erarbeiten, WebQuests, Exploration<br />

in einer mathematikhaltigen Umgebung<br />

unter Verwendung geometrischer<br />

Modelle, Taschenrechner, Logo).<br />

• Die Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer arbeiten die<br />

Schüler ein in eine begrifflich <strong>und</strong> nicht<br />

technisch orientierte Nutzung mathematischer<br />

Werkzeuge (wie Zeichenwerkzeuge,<br />

Taschenrechner, CAS, DGS oder Programmiersprachen,<br />

Laptop als ständig<br />

präsentes Medium usw.).<br />

Das organisationale Denken steht in starker<br />

Wechselwirkung mit allen diesen Querstan-<br />

54<br />

dards <strong>und</strong> spielt deshalb eine besondere Rolle.<br />

4 Organisationales Denken<br />

<strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong>standards<br />

Anhand der Prozessstandards des NCTM<br />

werden nun Aspekte der Verzahnung mit<br />

diesem Querstandard exemplarisch aufgezeigt.<br />

Dies bedeutet nicht, dass die Verzahnung<br />

mit den Inhaltsstandards weniger wichtig<br />

oder gar trivial wäre, sondern nur, dass<br />

wir leider nicht alle unsere Überlegungen auf<br />

diesem engen Raum schildern können.<br />

Die NCTM-Standards illustrieren die Inhaltsstandards<br />

anhand von Beispielaufgaben <strong>und</strong><br />

die Prozessstandards durch beispielhafte<br />

Unterrichtssituationen. Für die Darstellung<br />

der Querstandards wählten wir die Thematisierung<br />

der Gr<strong>und</strong>fragen, die sich die <strong>Lehren</strong>den<br />

stellen sollten, um einen entsprechenden<br />

Unterricht zu konzipieren, versehen<br />

mit illustrierenden Beispielen.<br />

Gr<strong>und</strong>legend ist hierbei, dass die Lehrerinnen<br />

<strong>und</strong> Lehrer selbst über organisationales<br />

Denken aus eigenen Lernerlebnissen verfügen<br />

<strong>und</strong> ihnen die Wichtigkeit bewusst ist.<br />

4.1 Organisationales Denken <strong>und</strong><br />

Problemlösen:<br />

Dazu gehören sämtliche Überlegungen zur<br />

Förderung der Problemlösenkompetenzen<br />

der Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler. Welche Freiräume<br />

sind be<strong>im</strong> Problemlösen notwendig,<br />

ohne dass das <strong>Lernen</strong> zu sehr in die "falsche"<br />

Richtung abdriftet? Welches Zeitbudget<br />

muss dafür eingeplant werden? Eine Abwägung<br />

von Vor- <strong>und</strong> Nachteilen von Gruppen-<br />

bzw. Einzelarbeit usw. Wie wird Vorwissen<br />

aktiviert? Und vor allem: wann wird es<br />

aktiviert? Zu Beginn der Unterrichtseinheit<br />

oder erst, wenn die <strong>Lernen</strong>den selbst den<br />

Bedarf erkannt haben? Gibt es eine Aufgaben-,<br />

eine Problemesammlung zu vorgegebenen<br />

Gebieten? Gibt es eine Sammlung<br />

von Hilfen, die systematisch angelegt, angewendet<br />

<strong>und</strong> bewertet sind? (z.B. <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

URL www.mathe-online.at/mathint.html, Zugriffsdatum:<br />

25.10.2003) Gibt es eine Protokollierung<br />

für die spätere Reflexion? Dies ist<br />

besonders wichtig bei der Verwendung von<br />

Computeralgebra- oder Dynamische-Geometrie-Systemen.<br />

Daran schließt sich sofort die<br />

Frage an: Wie wird neues Wissen <strong>und</strong> Können<br />

festgehalten oder sogar dokumentiert


(als Notizen, als ausgearbeitetes Essay<br />

usw.)? Welche Organisationsform des Unterrichts<br />

ist zur Anregung von Problemlöseprozessen<br />

die richtige?<br />

4.2 Organisationales Denken <strong>und</strong><br />

Begründen & Beweisen:<br />

Wie ist organisiert, auf welchen Gr<strong>und</strong>annahmen<br />

(Axiomen) bewiesen <strong>und</strong> begründet<br />

wird? Gibt es eine Struktur aufeinander aufbauender<br />

Beweise bzw. Begründungen für<br />

ein Teilgebiet? Gerade bei der Satzgruppe<br />

des Pythagoras sollte sich die Lehrperson<br />

klar darüber sein, dass zwar jeder Satz sich<br />

aus den anderen herleiten lässt, dabei aber<br />

verschiedene Vorstellungen in den Köpfen<br />

der Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler erzeugt werden.<br />

Wie werden Vermutungen dokumentiert,<br />

ausgewertet, in eine Reihenfolge gebracht?<br />

Wie werden Argumentationen <strong>und</strong> Beweise<br />

für spätere Bewertung <strong>und</strong> Bewertung durch<br />

andere festgehalten? So ist z.B. in USA der<br />

"Zweispaltenbeweis" (two column proof) in<br />

der Mittelstufengeometrie sehr verbreitet. Ein<br />

Beispiel dafür findet sich auf den "Dr. Math"-<br />

Seiten (s. Abb. 2 oder URL http://mathforum.<br />

org/dr.math/faq/proof_fetter.html, Zugriffsdatum<br />

25.10.2003) Diese Art, geometrische Beweise<br />

in zwei Spalten zu organisieren, wobei<br />

in der einen Spalte die Aussage steht <strong>und</strong> in<br />

Abb. 2<br />

<strong>Mathematik</strong>lernen <strong>und</strong> Organisieren<br />

der anderen der Gr<strong>und</strong>, warum diese Aussage<br />

wahr ist, ist eigentlich eine sehr schöne<br />

Art, Beweise zu strukturieren. <strong>Mathematik</strong>didaktiker<br />

in den USA bemängeln allerdings<br />

den inflationären Gebrauch, der von dieser<br />

Darstellungsart gemacht wird. Und dass die<br />

Form des Zweispaltenbeweises für Behauptungen<br />

missbraucht wird, die eigentlich keines<br />

Beweises bedürfen. (vgl. z.B. Burrill<br />

1998)<br />

Gibt es eine Sammlung von Begründungen,<br />

Beweismethoden? Wie findet man sich da<br />

zurecht? Auch könnte entsprechend einer eigenen<br />

Formelsammlung eine eigene "Beweissammlung"<br />

von den Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schülern oder auch von der gesamten Klasse<br />

angelegt werden. Auf höherer Ebene<br />

könnte man an Axiome <strong>und</strong> eine Folge von<br />

Sätzen denken, um Ordnung zu erzeugen.<br />

4.3 Organisationales Denken <strong>und</strong><br />

Kommunikation:<br />

Welche Sprachmittel sind geeignet? Wie<br />

stellt man mathematische Gedanken, Inhalte<br />

<strong>und</strong> Verfahren systematisch sachgerecht <strong>und</strong><br />

strukturiert dar? Da können Mindmaps sehr<br />

hilfreich für die Strukturierung <strong>und</strong> Darstellung<br />

von Zusammenhängen sein. (vgl. z.B.<br />

URL www.math-edu.de/Mind_Mapping/mind<br />

_mapping.html,<br />

Zugriffsdatum<br />

25.10.2003)<br />

Wie kann man<br />

durch Gestalten<br />

mathematischer<br />

Inhalte <strong>und</strong> Gedanken<br />

mehr<br />

Klarheit <strong>und</strong><br />

Systematik erreichen?<br />

Wie kann<br />

man durch aktives<br />

Lesen <strong>und</strong><br />

Hören Mathematisches<br />

besser<br />

darstellen (Notizen,Selbstvisualisierung,erhellende<br />

Beispiele<br />

usw.)? Aktives<br />

Lesen <strong>und</strong> Hören<br />

bedeutet<br />

Verbinden des<br />

Gelesenen <strong>und</strong><br />

Gehörten mit<br />

Bekanntem<br />

(Gliedern, Strukturieren,<br />

Visuali-<br />

55


Christine Bescherer & Herbert Löthe<br />

sieren von Zusammenhängen). Ein typischer<br />

"verbindungsloser" mathematischer Sachverhalt<br />

ist die Vorstellung des Satzes von Pythagoras<br />

als "a 2 +b 2 =c 2 ". Frühestens wenn mit<br />

dem Stichwort "Pythagoras" sofort ein Bild<br />

des rechtwinkligen Dreiecks mit den Quadraten<br />

über den Seiten verb<strong>und</strong>en wird, ist der<br />

mathematische Sachverhalt verstanden worden.<br />

Diese "mentale Lücke" muss von den<br />

<strong>Lehren</strong>den überprüft, thematisiert, <strong>und</strong> es<br />

muss gegebenenfalls eine "Füllung" angeregt<br />

werden.<br />

Wie kann man Präzision erzeugen <strong>und</strong> ständig<br />

verbessern? Selbstverständlich geht dies<br />

nur, wenn man sich als <strong>Lehren</strong>der selbst um<br />

Präzision bemüht <strong>und</strong> sie von den Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler auch ständig fordert.<br />

4.4 Organisationales Denken <strong>und</strong><br />

Verbindung inner- <strong>und</strong> außerhalb<br />

der <strong>Mathematik</strong>:<br />

Wie ist eine Lernumgebung organisiert? Dazu<br />

gehört in erster Linie die "Hypertext-<br />

Problematik". Es wurde vermutet, dass Hypertext<br />

mit der Möglichkeit der Vernetzung<br />

verschiedener Teile <strong>und</strong> Medien <strong>Lernen</strong> unterstützt,<br />

da <strong>Lernen</strong> ja auch eine Vernetzung<br />

von Informationen, Kompetenzen <strong>und</strong> Wissen<br />

darstellt. Nach neueren Untersuchungen<br />

(z.B. Unz 2000) ergibt sich allerdings die<br />

Vermutung, dass <strong>Lernen</strong>de spezielle Kompetenzen<br />

benötigen, um Hypertext effektiv nutzen<br />

zu können. Welche Navigationshilfen<br />

sind notwendig <strong>und</strong> hilfreich (guided tours<br />

unter best<strong>im</strong>mten Aspekten, Sitemaps nach<br />

Sachlogik, Querverweise usw.)?<br />

Wie sind elementare Beziehungen dargestellt,<br />

wie kann man sie verknüpfen? Wie<br />

wird eine kohärente Struktur aufgebaut, dargestellt,<br />

beschrieben, kommuniziert? Welche<br />

Form hat ein neues Ganzes? Welche Sammlung<br />

von geeigneten Lernumgebungen gibt<br />

es?<br />

4.5 Organisationales Denken <strong>und</strong><br />

Darstellen & Repräsentieren /<br />

Modellieren:<br />

Welche Organisationsformen sind für verschiedenartige<br />

Repräsentationsformen <strong>und</strong><br />

modellierte Strukturen adäquat? Welche<br />

Beschreibungs- <strong>und</strong> Dokumentationsmittel<br />

sind geeignet? Welches Repertoire mit welchen<br />

Hilfen ist wie bereitzustellen? Wie organisiert<br />

man ein Repertoire an Anwendungen<br />

(Lernumgebungen)? Eine von vielen ver-<br />

56<br />

schiedenen Möglichkeiten wäre hier ein<br />

WebQuest, eine Projektstruktur, die die Verwendung<br />

von Information (auch aus <strong>Internet</strong>quellen)<br />

anhand von fachlichen Themen inszeniert.<br />

Diese fragen-basierte Aktivität ist<br />

auf das Niveau der <strong>Lernen</strong>den abgest<strong>im</strong>mt,<br />

die durch die fest vorgegebene Struktur unterstützt<br />

werden. (vgl. URL http://webquest.<br />

ph-bw.de, Zugriffsdatum 25.10.2003)<br />

Darstellen & Repräsentieren/Modellieren<br />

hängt eng mit den anderen Prozessstandards<br />

zusammen, deshalb treffen viele der<br />

oben geschilderten Beispiele auch hierfür zu.<br />

5 Fazit<br />

Be<strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>lernen ist offensichtlich ein<br />

hoch entwickeltes organisationales Denken<br />

sehr hilfreich. Deshalb sollte organisationales<br />

Denken einen wichtigen Teil der Lernziele<br />

darstellen. Ohne dieses Denken ist eine sinnvolle<br />

Nutzung computergestützter Medien zur<br />

Wissensgenerierung (fast) nicht möglich.<br />

Bei der Nutzung des Computers wird aber<br />

besonders deutlich, dass organisationales<br />

Denken eine entscheidende Rolle be<strong>im</strong> Lernvorgang<br />

spielen muss. Der Computer wirkt<br />

<strong>—</strong> wie häufig <strong>—</strong> auch hier als Medium, das<br />

best<strong>im</strong>mte Aspekte erst ins Bewusstsein<br />

rückt.<br />

Selbstverständlich ist damit nicht gesagt,<br />

dass in anderen Fächern nicht auch organisationales<br />

Denken eine Rolle spielt bzw. dort<br />

nicht gefördert werden kann. Hier sollte eine<br />

fachübergreifende Arbeitsteilung einsetzen.<br />

Literatur<br />

Burrill (1998): Interview with Gail Burrill in: Notices<br />

of the AMS 45, Nr. 1<br />

http://www.ams.org/notices/199801/<br />

comm-burrill.pdf, Zugriffsdatum 25.10.2003<br />

NCTM (2000): National Council of Teachers of<br />

Mathematics: Principles and Standards for<br />

School Mathematics, 2000. Reston, Va: NCTM<br />

http://standards.nctm.org/,<br />

Zugriffsdatum 25.10.2003<br />

Unz, Dagmar (2000): <strong>Lernen</strong> mit Hypertext: Informationssuche<br />

<strong>und</strong> Navigation. Münster usw.:<br />

Waxmann<br />

zitiert nach http://www.trinks.org/hypertext/<br />

hypertext_printtext.html,<br />

Zugriffsdatum 25.10.2003


� Ein virtuelles Seminar <strong>—</strong><br />

Konzeption, Durchführung <strong>und</strong> Auswertung<br />

Christine Bescherer, Ludwigsburg<br />

Matthias Ludwig, Weingarten<br />

Barbara Schmidt-Thieme, Karlsruhe<br />

Hans-Georg Weigand, Würzburg<br />

Virtualität von Veranstaltungen, der Einbezug neuer Medien in die Lehre wird auch an<br />

Hochschulen verlangt, Medienentwicklungspläne sichern die hard- <strong>und</strong> softwaremäßige<br />

(Gr<strong>und</strong>-) Ausstattung, die <strong>Lehren</strong>den werden zu deren Nutzung aufgefordert. Wie kann<br />

jetzt eine sinnvolle Umsetzung <strong>im</strong> Rahmen der Hochschullehre aussehen? Welche "neuen"<br />

Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich durch die Nutzung des <strong>Internet</strong>s für ein Seminar?<br />

Welcher Mehrwert <strong>—</strong> inhaltlich, didaktisch, organisatorisch, kommunikativ <strong>—</strong> entsteht<br />

aus diesen Formen für Studierende <strong>und</strong> Dozenten? Wo liegen aber auch die Problemstellen?<br />

Im Sommersemester fand ein virtuelles Seminar "Geometrie in der Umwelt" als Zusammenarbeit<br />

der Pädagogischen Hochschulen Karlsruhe (Barbara Schmidt-Thieme), Ludwigsburg<br />

(Christine Bescherer) <strong>und</strong> Weingarten (Matthias Ludwig) sowie der Universität<br />

Würzburg (Hans-Georg Weigand) statt. Die Veranstaltungsform basierte auf einer "virtuellen"<br />

Art des Gruppenpuzzles (Jigsaw), die Zusammenarbeit <strong>und</strong> Kommunikation verlief<br />

in der Hauptsache über eine netzbasierte Groupware. Aufgabe der Studierenden war die<br />

Erarbeitung von Inhalten zum Thema "Geometrie in der Umwelt" sowie die Gestaltung<br />

<strong>und</strong> Präsentation von Websites. Neben fachlichen, didaktischen <strong>und</strong> unterrichtlichen Inhalten<br />

stand die Entwicklung von Medienkompetenz durch die Studierenden als Veranstaltungsziel<br />

<strong>im</strong> forscherlichen Fokus der Veranstalter. Beobachtung der Aktivitäten der<br />

Studierenden sowie Fragebögen lassen erste Aussagen über Erfolg <strong>und</strong> Nutzen dieser<br />

Seminarform treffen.<br />

1 Das <strong>Internet</strong> als Chance<br />

für den <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

Hinsichtlich der Integration des <strong>Internet</strong>s in<br />

den (<strong>Mathematik</strong>-) Unterricht stehen wir <strong>im</strong><br />

Jahr 2003 sicherlich noch am Anfang der<br />

Entwicklung, <strong>und</strong> gegenwärtig spielt dieses<br />

Medium <strong>im</strong> (<strong>Mathematik</strong>-) Unterricht <strong>—</strong> außer<br />

an wenigen Versuchsschulen <strong>—</strong> kaum eine<br />

nennenswerte Rolle. Es haben sich aber in<br />

den letzten Jahren zumindest einige verschiedene<br />

Funktionen des <strong>Internet</strong>s für den<br />

(<strong>Mathematik</strong>-) Unterricht herauskristallisiert.<br />

So wird das <strong>Internet</strong> als ein Nachschlage-<br />

<strong>und</strong> Recherchemedium für mathematische<br />

Begriffe (z.B. bei der Konzeption von Web-<br />

Quests: webquest.ph-bw.de/), als eine Quelle<br />

für Unterrichtsmaterialien (etwa: www.zum.<br />

de/), als ein Demonstrationsmedium <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer<br />

(etwa www.matheprisma.uni-wu<br />

ppertal.de) oder als ein Kommunikationsmedium<br />

genutzt.<br />

Wie <strong>im</strong>mer hängt es von der genauen Art des<br />

Einsatzes des <strong>Internet</strong>s <strong>im</strong> Unterricht ab, ob<br />

Schüler aktiver <strong>und</strong> verantwortlicher in das<br />

Unterrichtsgeschehen einbezogen werden,<br />

neue <strong>und</strong> sinnvolle methodische Aspekte<br />

oder fachübergreifende Ansätze <strong>im</strong> Unterricht<br />

unterstützt werden <strong>und</strong> sich die Aktualität<br />

zu einer größeren Wirklichkeitsnähe nutzen<br />

lässt. Auf jeden Fall bedarf es für eine<br />

erfolgreiche Nutzung des <strong>Internet</strong>s <strong>im</strong> Unterricht<br />

zusätzlicher Kompetenzen bei den <strong>Lehren</strong>den.<br />

Eine notwendige Voraussetzung für die Nutzung<br />

des <strong>Internet</strong>s <strong>im</strong> (<strong>Mathematik</strong>-) Unterricht<br />

ist, dass der Lehrer mit den technischen<br />

Möglichkeiten dieses neuen Mediums vertraut<br />

ist. Nur wer die Vorzüge <strong>und</strong> Nachteile<br />

eines neuen Mediums erkannt <strong>und</strong> möglichst<br />

auch selbst authentisch kennen gelernt hat,<br />

der wird auch in der Lage sein, dieses Medium<br />

<strong>im</strong> Unterricht konstruktiv zu nutzen.<br />

Schließlich wird <strong>Lernen</strong> in der Schule <strong>—</strong><br />

auch wenn letztlich die Wissenskonstruktion<br />

durch den Einzelnen das Entscheidende ist<br />

<strong>—</strong> durch den Lehrer initiiert. Wie so oft be-<br />

57


Christine Bescherer, Matthias Ludwig, Barbara Schmidt-Thieme & Hans-Georg Weigand<br />

ginnt eine Änderung oder Neuerung <strong>im</strong> schulischen<br />

Bereich also eigentlich bei der Lehrerausbildung.<br />

2 Das <strong>Internet</strong> in der<br />

Lehrerausbildung<br />

Es gibt heute ein wachsendes Angebot an <strong>Internet</strong>materialien,<br />

die neben Universitätsveranstaltungen<br />

sinnvoll genutzt werden können<br />

(vgl. Ludwig & Wittmann 2002, Weth 2005).<br />

Darüber hinaus bleibt es aber eine offene<br />

Frage, ob dabei die Chance für selbstbest<strong>im</strong>mtes,<br />

ortsunabhängiges <strong>und</strong> kooperatives<br />

<strong>Lernen</strong> in der Universitäts- <strong>und</strong> insbesondere<br />

in der Lehrerausbildung genutzt<br />

werden wird. Diese Frage stand <strong>im</strong> Mittelpunkt<br />

des virtuellen Seminars "Geometrie in<br />

der Umwelt", das <strong>im</strong> Sommersemester 2003<br />

als Zusammenarbeit der Pädagogischen<br />

Hochschulen Karlsruhe (Barbara Schmidt-<br />

Thieme), Ludwigsburg (Christine Bescherer)<br />

<strong>und</strong> Weingarten (Matthias Ludwig) sowie der<br />

Universität Würzburg (Hans-Georg Weigand)<br />

stattfand. Gr<strong>und</strong>lage <strong>und</strong> Ausgangspunkt waren<br />

dabei die Ziele der Lehrerbildung, wie sie<br />

etwa in der Denkschrift von DMV <strong>und</strong> GDM<br />

zur Lehrerbildung (2001), Krauthausen<br />

(1998) oder in den "Perspektiven der Lehrerbildung<br />

in Deutschland" (Terhart 1999) angeführt<br />

werden. Wir strebten also durch unser<br />

virtuelles Seminar keine neuen Ziele, sondern<br />

ein besseres (oder auch "nur" anderes)<br />

Erreichen der Ziele an, die wir auch in traditionellen<br />

Veranstaltungen anstreben würden.<br />

Ferner sahen wir uns der folgenden Forderung<br />

verpflichtet: "Die Einbeziehung neuer<br />

Medien in die Lehrerausbildung ist eine wichtige<br />

Aufgabe, die in den mathematischen<br />

Fachbereichen geleistet werden muss" (DMV<br />

& GDM 2001).<br />

3 Erwartungen,<br />

Schwierigkeiten, Ziele<br />

Außer Christine Bescherer, die seit vier Jahre<br />

<strong>im</strong> Rahmen des durch die Landesregierung<br />

Baden-Württembergs finanzierten Projekts<br />

"Virtualisierung <strong>im</strong> Bildungsbereich" als<br />

Teil der "Virtuellen Hochschule Baden-Württemberg"<br />

teilvirtualisierte Hochschulveranstaltungen<br />

konzipiert <strong>und</strong> umsetzt, hatte keiner<br />

der beteiligten Dozenten bisher Erfahrungen<br />

mit einem rein virtuellen Seminar. Es<br />

gibt wohl zahlreiche Überlegungen zum kooperativen<br />

Arbeiten (vgl. etwa Renkl 1997<br />

58<br />

oder Friedrich u.a. 2002), aber <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf das online-Arbeiten <strong>und</strong> insbesondere <strong>im</strong><br />

Hinblick auf das <strong>Lernen</strong> von <strong>Mathematik</strong> liegen<br />

bisher kaum Erfahrungen vor (vgl. etwa<br />

Reinmann-Rothmeier & Mandl 2001 oder Döring<br />

2002). Wendet man ein klassisches kybernetisches<br />

Verarbeitungsmodell an, das<br />

kommunikatives Handeln in "Input – Prozesse<br />

– Ergebnisse" untergliedert (vgl. Friedrich<br />

& Hron 2002), dann gehen wir von Studierenden<br />

bzw. Gruppen von Studierenden <strong>und</strong><br />

einer Lernumgebung aus, haben verschiedene<br />

Interaktionsprozesse der beteiligten Personen<br />

untereinander <strong>und</strong> der Personen mit<br />

dem Computer <strong>und</strong> erhalten als Ergebnisse<br />

evtl. Veränderungen bei den Personen <strong>und</strong><br />

ein Produkt (<strong>Internet</strong>seiten).<br />

Gegenüber traditionellen Seminaren erwarteten<br />

wir<br />

• ein stärkeres (zeitliches) Engagement der<br />

Studierenden aufgr<strong>und</strong> der Möglichkeit,<br />

zeitungeb<strong>und</strong>en arbeiten zu können, aber<br />

auch wegen der zusätzlichen technischen<br />

Fähigkeiten, die für die Nutzung des <strong>Internet</strong>s<br />

notwendig sind;<br />

• eine größere Bedeutung des Verbalisierens<br />

bzw. Verschriftlichens fachdidaktischer<br />

<strong>und</strong> fachlicher Inhalte;<br />

• eine höhere Qualität bei Aufbereitung <strong>und</strong><br />

Darstellung der Inhalte aufgr<strong>und</strong> der Präsentation<br />

<strong>im</strong> Netz (<strong>und</strong> damit der weltweiten<br />

Veröffentlichung), insbesondere durch<br />

das Nutzen neuer Möglichkeiten wie die<br />

Verwendung von Applets <strong>und</strong> Links;<br />

• eine verstärkte Kommunikation zwischen<br />

den Studierenden <strong>und</strong> auch zwischen Dozenten<br />

<strong>und</strong> Studierenden.<br />

Wir rechneten aber auch mit Problemen der<br />

Studierenden<br />

• be<strong>im</strong> Umgang mit der der neuen Technik;<br />

• hinsichtlich der inhaltlichen <strong>und</strong> organisatorischen<br />

Abst<strong>im</strong>mung zwischen Studierenden<br />

verschiedener Hochschulen;<br />

• durch das "Ausklinken" einzelner Studierender<br />

aus ihrer Arbeitsgruppe;<br />

• aufgr<strong>und</strong> der verlangten höheren Selbststeuerung;<br />

• aufgr<strong>und</strong> der eingeschränkten Möglichkeit,<br />

vor allem mathematische Formeln<br />

<strong>und</strong> Skizzen, Graphen <strong>und</strong> Diagramme<br />

elektronisch darzustellen zu können.<br />

Bei unserer Veranstaltung waren wir an folgenden<br />

zunächst sehr allgemein gehaltenen<br />

Fragen interessiert:


• Wie ist ein virtuelles Seminar zu gestalten,<br />

das Studierende verschiedener<br />

Hochschulen zusammenbringt?<br />

• Werden unsere Erwartungen <strong>und</strong> Hoffnungen<br />

<strong>im</strong> Hinblick auf das selbstbest<strong>im</strong>mte<br />

<strong>und</strong> kooperative Arbeiten erfüllt?<br />

• Ist gegenüber einem traditionellen Seminar<br />

ein Mehrwert <strong>im</strong> Hinblick auf die Ziele<br />

(ein Ziel) der Lehrerausbildung festzustellen?<br />

• Welche technischen, inhaltlichen, kommunikativen<br />

Schwierigkeiten treten während<br />

des Seminars auf?<br />

• Welche Qualität hat das zu erzeugende<br />

Produkt (<strong>Internet</strong>seiten)?<br />

Bevor aber spezielle Forschungsfragen gestellt<br />

<strong>und</strong> untersucht werden können, müssen<br />

zuerst Erfahrungen mit der Realität virtueller<br />

Veranstaltungen gemacht werden, sonst besteht<br />

die Gefahr, in den technischen Problemen<br />

stecken zu bleiben.<br />

4 Konzeptionelle Gestaltung<br />

4.1 Personen<br />

Teilnehmer an dem Seminar waren Studierende<br />

für die Lehrämter an Gymnasien, Real-<br />

<strong>und</strong> Hauptschulen. Somit war das Vorwissen<br />

sowohl in fachlicher als auch didaktischer<br />

Hinsicht sehr unterschiedlich. Die Studierenden<br />

für das Lehramt an Gymnasium waren<br />

mehrheitlich <strong>im</strong> 3. Semester <strong>und</strong> hatten bisher<br />

noch keine Didaktikveranstaltung gehört. 1<br />

4.2 Thema<br />

Das Thema des Seminars "Geometrie in der<br />

Umwelt" spricht <strong>Lernen</strong>de an, ist wichtig für<br />

alle Schularten <strong>und</strong> in jede Studienordnung<br />

integrierbar. Die Dozenten wählten sechs<br />

Themenbereiche <strong>im</strong> Hinblick auf gute Bearbeitungsmöglichkeiten<br />

aus: Flächeninhalte,<br />

Dreiecke, Spiegel, Spiralen, Strahlensatz <strong>und</strong><br />

Trigonometrie. Für alle Studierenden war<br />

dieses Seminar eine Pflichtveranstaltung, in<br />

der ein Leistungsnachweis erworben werden<br />

konnte.<br />

1 Das ist sicherlich nicht wünschenswert; aufgr<strong>und</strong> einer Änderung<br />

der Studienordnung musste diesen Studierenden kurzfristig eine<br />

neue Veranstaltung angeboten werden; <strong>und</strong> dabei handelte es<br />

sich um das hier beschriebene Virtuelle Seminar.<br />

Ein virtuelles Seminar <strong>—</strong> Konzeption, Durchführung <strong>und</strong> Auswertung<br />

4.3 Interaktionsformen<br />

Um den durch die Virtualität gegebenen Vorteil<br />

verteilter Standorte mit verschiedenen<br />

personalen Ausgangssituationen (fachliches,<br />

didaktisches Vorwissen sowie Studienschwerpunkt)<br />

bestmöglich zu nutzen (<strong>und</strong> die<br />

Studierenden zur Kooperation mit den anderen<br />

Hochschulen zu zwingen), wurde jedem<br />

Standort ein Bearbeitungsschwerpunkt zugeordnet.<br />

• Würzburg übernahm die fachliche<br />

Aufarbeitung der Inhalte,<br />

• in Ludwigsburg widmete man sich der didaktischen<br />

Aufbereitung der Themenbereiche,<br />

<strong>und</strong><br />

• in Karlsruhe geschah die Umsetzung für<br />

den Unterricht, also die methodische Aufbereitung.<br />

• Weingarten setzte die Themen durch Vermessungsaufgaben<br />

<strong>im</strong> Gelände um, es<br />

handelte sich also um eine praktische<br />

Aufbereitung.<br />

Entsprechend der sechs Themenbereiche<br />

wurden an jeder Hochschule sechs Gruppen<br />

von je 2 – 4 Personen gebildet, die Standortgruppen.<br />

Eine Themengruppe bestand dann<br />

aus den vier Standortgruppen der vier Hochschulen,<br />

somit aus 10 – 16 Personen. Insgesamt<br />

nahmen 83 Personen an dem Seminar<br />

teil.<br />

Die Arbeit an den Standorten war sehr unterschiedlich<br />

organisiert. In Weingarten traf sich<br />

die Gesamtgruppe überwiegend "real", in<br />

Ludwigsburg nur "virtuell" <strong>und</strong> in Karlsruhe<br />

<strong>und</strong> Würzburg in Mischformen. Die Zusammenarbeit<br />

innerhalb der Themengruppe verlief<br />

rein virtuell. Eine weitere Aufteilung der<br />

Zuständigkeiten innerhalb einer Standortgruppe<br />

blieb den Studierenden selbst überlassen.<br />

So bot es sich an, dass sich etwa ein<br />

Student um die technische Aufbereitung, ein<br />

anderer um das Literaturstudium in der Bibliothek<br />

<strong>und</strong> ein dritter um die <strong>Internet</strong>recherche<br />

kümmerte.<br />

Somit entstand eine virtuelle Form eines<br />

"Gruppenpuzzles" (Stebler u.a. 1994, Bett<br />

u.a. 2002), bei dem zunächst von den Standortgruppen<br />

je ein Teil eines Themenbereiches<br />

bearbeitet wurde. In der Mischung von<br />

realen Terminen vor Ort, virtueller Zusammenarbeit<br />

hochschulintern <strong>und</strong> -extern entstand<br />

somit eine "hybride Form" des Lernarrangements.<br />

59


Christine Bescherer, Matthias Ludwig, Barbara Schmidt-Thieme & Hans-Georg Weigand<br />

4.4 Kommunikationsplattform<br />

Wir stellten folgende Anforderungen an die<br />

Kommunikationsplattform:<br />

• Es sollte eine organisatorische sowie inhaltsbezogene<br />

Kommunikation der Gruppenmitglieder<br />

untereinander, aber auch<br />

zwischen Studierenden, Tutoren <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong>den<br />

stattfinden;<br />

• der Austausch von Sachinformationen<br />

sollte in verschiedenen elektronischen<br />

Formaten (Texte, Dateien, URLs usw.) erfolgen;<br />

• es sollten Annotationsmöglichkeiten (auf<br />

Beiträge gezielt reagieren können) <strong>und</strong><br />

eine gezielte Betreuung von einzelnen<br />

oder Gruppen unterstützt werden.<br />

Als Kommunikationsplattform wurde BSCW<br />

(Basic Support for Cooperative Work <strong>—</strong><br />

www.bscw.de) gewählt.<br />

4.5 Anforderungen an die<br />

Studierenden<br />

Jede Gruppe hatte die Aufgabe, bis zum<br />

Semesterende eine Website zu ihrem Thema<br />

zu erstellen, welche Studierenden oder (angehenden)<br />

Lehrern Information in übersichtlicher<br />

<strong>und</strong> ansprechender Weise anbietet.<br />

Vorgaben für die Gestaltung der Websites<br />

gab es keine. Diese Freiheit stellte sich als<br />

ein sehr zeitraubender Faktor heraus, da die<br />

Studierenden in den ersten Entwürfen anstatt<br />

sich mit den Inhalten zu beschäftigen, sehr<br />

viel Zeit in die farbliche Gestaltung <strong>und</strong> das<br />

Design der Website investierten.<br />

In technischer Hinsicht wurden von den Teilnehmern<br />

keine Vorkenntnisse erwartet. An<br />

jeder Hochschule fanden Einführungsveranstaltungen<br />

<strong>im</strong> Umfang von etwa einer St<strong>und</strong>eneinheit<br />

zur Nutzung von BSCW statt.<br />

Wieterhin wurde den Studierenden <strong>—</strong> ebenfalls<br />

<strong>im</strong> Rahmen einer St<strong>und</strong>eneinheit <strong>—</strong> eine<br />

Einführung in die Erstellung von HTML-Seiten<br />

gegeben. Es wurden drei unterschiedlich<br />

komplexe Vorlagen für Websites angeboten,<br />

die jedoch von den Studierenden nicht genutzt<br />

wurden.<br />

Die Studierenden mussten also ihre Aufmerksamkeit<br />

<strong>und</strong> Arbeitszeit <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

auf drei Bereiche verteilen: Inhalt,<br />

Kommunikation oder soziale Interaktion <strong>und</strong><br />

Technik.<br />

Daraus ergaben sich folgende Anforderungen<br />

an die Studierenden:<br />

60<br />

• Selbstständige Einarbeitung in die fachlichen<br />

<strong>und</strong> didaktischen Gr<strong>und</strong>lagen des<br />

Themas;<br />

• Kennen lernen elektronischer Kommunikationsmöglichkeiten;<br />

• Aufarbeitung eines mathematischen Themenbereichs<br />

in Form einer <strong>Internet</strong>präsentation;<br />

• selbstständige Organisation des gesamten<br />

Arbeitsablaufes zur Erstellung des <strong>Internet</strong>-gestützten<br />

Produkts;<br />

• Präsentation des Produkts in der realen<br />

Abschlussveranstaltung.<br />

5 Ablauf<br />

5.1 Rahmenplan<br />

Ein virtuelles Seminar auf Projektbasis gewährt<br />

viele Freiheiten, es ist deshalb umso<br />

wichtiger, organisatorische Eckdaten für die<br />

Ergebnissicherung festzusetzen. Tabelle 1<br />

zeigt einen Ausschnitt aus dem Rahmenplan,<br />

der bei Veranstaltungsbeginn veröffentlicht<br />

wurde (vgl. www.vib-bw.de/tp2/achiv/<br />

sose2003/seminar3/zeitplan.pdf).<br />

Die Eckdaten orientieren sich an Wendepunkten<br />

der Projektarbeit. Während die Gesamtgruppen<br />

virtuell arbeiteten, waren hochschulinterne<br />

Gruppentreffen natürlich möglich,<br />

erwiesen sich auch als fruchtbar. Ebenso<br />

fand die Betreuung durch den jeweils <strong>Lehren</strong>den<br />

virtuell wie real statt, in Ludwigsburg<br />

<strong>und</strong> Würzburg standen den Teilnehmern zudem<br />

Tutoren für alle technischen Fragen zur<br />

Verfügung. Die rein virtuelle Organisation in<br />

Ludwigsburg lässt sich auch am Plan erkennen,<br />

da ohne reale Treffen die Aufgabenstellung<br />

viel klarer formuliert werden muss.<br />

5.2 BSCW<br />

Über die Einführungsveranstaltung zu BSCW<br />

<strong>und</strong> zu HTML hinaus standen den Studierenden<br />

Online-Hilfen <strong>und</strong> Lernaufgaben zur Verfügung,<br />

die sich in einem eigenen Ordner befanden.<br />

Von der Eingangsseite (Screenshot<br />

s. Abb. 1) aus gelangte man direkt in den Arbeitsordner<br />

seiner Gruppe, bekam fachliche<br />

Informationen <strong>und</strong> technische Hilfestellung<br />

<strong>im</strong> virtuellen Handapparat "Materialien &<br />

Links", organisatorische Hilfen in "Organisatorisches"<br />

oder konnte sich in der "Cafeteria"<br />

austauschen. Bei einigen Ordnern beschränkte<br />

sich der Zugang der Studierenden<br />

auf "Leserechte", in den Ordnern ihrer eige-


Woche /<br />

Datum Aktion<br />

28.4. bis<br />

4.5.<br />

nen Arbeitsgruppe durften sie natürlich Dokumente<br />

jeder Art einstellen, diese kommentieren,<br />

sich an einem Diskussionsforum beteiligen<br />

oder neue Ordnerstrukturen erstellen.<br />

Wie schon erwähnt, verwendeten die Studierenden<br />

viel Zeit für die Diskussion über die<br />

farbliche <strong>und</strong> bildnerische Gestaltung ihrer<br />

Website, inhaltlichen Fragen wurden deshalb<br />

erst <strong>im</strong> weiteren Verlauf der Veranstaltung<br />

Ein virtuelles Seminar <strong>—</strong> Konzeption, Durchführung <strong>und</strong> Auswertung<br />

Würzburg Ludwigsburg Karlsruhe Weingarten<br />

Erstellen einesAblaufplans<br />

für die<br />

Arbeit innerhalb<br />

der<br />

hochschulübergreifendenArbeitsgruppen<br />

Einführung ins<br />

Seminar LB:<br />

Bearbeiten den<br />

Aufgabe <strong>im</strong><br />

BSCW-Ordner:<br />

"Aller Anfang<br />

ist schwer"<br />

Einführung<br />

ins Seminar<br />

KA<br />

Einführung<br />

ins Seminar<br />

WG<br />

Besonderheiten <br />

Semesterbeginn<br />

Ba-Wü<br />

… … …<br />

16.6. bis<br />

22.6.<br />

zweiter Entwurf wird noch von allen Gruppen kommentiert<br />

23.6. bis<br />

29.6.<br />

4.7.<br />

Überarbeitung des zweiten Entwurfs. Erstellen der Website,<br />

vernetzt mit den anderen Gruppen.<br />

…<br />

Präsentation<br />

Tab. 1<br />

Abb. 1<br />

analysiert. So lautet ein typischer Diskussionsbeitrag<br />

vom 22.5.:<br />

"Ja, die Idee mit der gemeinsamen Diskussion<br />

find ich gut! Vorschläge zur URL:<br />

<strong>—</strong> Die Randleiste finde ich sehr gut gelungen,<br />

aber die zentrale Hintergr<strong>und</strong>farbe<br />

(weiss) könnte aber auch ruhig blau<br />

oder gelb sein. <strong>—</strong> Von den Buttons an der<br />

Randleiste könnte man dann ja auf die<br />

Themenbestandteile der einzelnen Hoch-<br />

…<br />

61


Christine Bescherer, Matthias Ludwig, Barbara Schmidt-Thieme & Hans-Georg Weigand<br />

62<br />

schulen kommen. <strong>—</strong> Man müsste sich<br />

auch auf gemeinsame Formatvorlagen<br />

(einheitlicher Hintergr<strong>und</strong>, gemeinsame<br />

Schriftart, Schriftgröße, Kopf- <strong>und</strong> Fußzeile,<br />

...) einigen. So weit so gut. Ich hoffe,<br />

wir bringen die Geschichte auf einen gemeinsamen<br />

Nenner!"<br />

5.3 Webseiten<br />

Die Vorgaben für die Gestaltung der Webseiten<br />

waren sehr gering, doch hatten wir die<br />

technischen Schwierigkeiten zu wenig bedacht.<br />

So wurden von den einzelnen Gruppen<br />

zunächst hochschulintern die <strong>Internet</strong>-<br />

Seiten konzipiert <strong>und</strong> erstellt. Das Problem<br />

war dann, die unterschiedlichen <strong>Internet</strong>seiten<br />

zu einer Gesamtstruktur zusammenzufügen.<br />

Einige Beispiele der Webseiten finden sich<br />

unter der Adresse www.ph-weingarten.de/<br />

homepage/faecher/mathematik/virgeo/ (Beispiel<br />

eines Screenshots s. Abb. 2). Wir konnten<br />

leider nicht alle Websites veröffentlichen,<br />

da sich manche Gruppen nicht an die Copyright-Regelungen<br />

gehalten <strong>und</strong> z.B. Seiten<br />

aus Schulbüchern eingescannt haben.<br />

5.4 Präsentation<br />

Am Ende des Seminars wurde ein "Face-toface-Treffen"<br />

durchgeführt, bei dem die hochschulübergreifenden<br />

Themen-Gruppen ihre<br />

Webseiten präsentierten. Die Gesamt-Rede-<br />

zeit jeder Themengruppe umfasste 50 Minuten<br />

(plus 10 Minuten Diskussion), wobei die<br />

Präsentation innerhalb der Gruppe abgest<strong>im</strong>mt<br />

werden sollte. Die Vorbereitung dieser<br />

<strong>—</strong> benoteten <strong>—</strong> Präsentation fand ebenfalls<br />

virtuell statt. Ergiebiger wären sicherlich<br />

zweitägige Gesamttreffen sowohl zu Beginn<br />

wie auch zum Abschluss der Veranstaltung<br />

gewesen, dies war aber sowohl aus organisatorischen<br />

wie auch aus finanziellen Gründen<br />

nicht möglich.<br />

6 Ergebnisse <strong>und</strong> Eindrücke<br />

6.1 Webseiten<br />

Die am Semesterende von den Studierenden<br />

zusammengestellten <strong>Internet</strong>seiten lassen<br />

die Gliederung des jeweils bearbeiteten<br />

Themenbereichs in einen fachlichen, didaktischen,<br />

methodischen <strong>und</strong> anwendungsorientierten<br />

Untermodul gut erkennen. Sie zeigen<br />

weiterhin, dass sich die einzelnen Gruppen<br />

intensiv mit dem jeweiligen Thema auseinandergesetzt<br />

<strong>und</strong> ein vorzeigbares Produkt<br />

erstellt hatten. Die Qualität der Seiten stufen<br />

wir (die Dozenten) als "gut" <strong>und</strong> teilweise<br />

"sehr gut" ein.<br />

6.2 Diskussionsforen<br />

Abb. 2: Screenshot einer <strong>im</strong> Seminar entstandenen Webseite<br />

Ein virtuelles Seminar bringt es mit sich, dass<br />

die gesamte Interaktion über Sprache in


elektronischer Form erfolgt. Interessant ist<br />

das Kommunikationsverhalten in Bezug auf<br />

Thema <strong>und</strong> Häufigkeit in Abhängigkeit von<br />

dem Seminarablauf, welches anhand der<br />

Diskussionsbeiträge der Studierenden analysiert<br />

wurde. Diagramm 1 zeigt die gesamten<br />

Beiträge aller Teilnehmer <strong>im</strong> zeitlichen Verlauf.<br />

Bei insgesamt 414 Diskussionsbeiträgen<br />

ergibt sich eine Beitragsdichte von<br />

knapp 6 Beiträgen pro Teilnehmer <strong>im</strong> gesamten<br />

Seminar.<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

gesamte Diskussionsbeiträge<br />

28.04.2003 - 04.0...<br />

05.05.2003 - 11.0...<br />

12.05.2003 - 18.0...<br />

19.05.2003 - 25.0...<br />

26.05.2003 - 01.0...<br />

02.06.2003 - 08.0...<br />

09.06.2003 - 15.0...<br />

16.06.2003 - 22.0...<br />

23.06.2003 -29.0...<br />

30.06.2003 -06.0...<br />

Auffallend war, dass der Anteil organisatorischer<br />

Diskussionsbeiträge sehr hoch war;<br />

d.h. die Arbeitsverteilung, das Erstellen der<br />

Seiten, Terminabsprachen <strong>und</strong> Fragen, die<br />

mit der Präsentation am Ende des Seminars<br />

zusammenhingen, sowie technische Probleme<br />

<strong>und</strong> Fragen <strong>im</strong> Bereich der Seitenerstellung<br />

wurden mehr diskutiert als mathematische<br />

<strong>und</strong> didaktische wie methodische Fra-<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Diagramm 1<br />

Diskussionsverhalten<br />

Ludwigsburg<br />

Diagramm 2a<br />

Diagramm 2b<br />

Ein virtuelles Seminar <strong>—</strong> Konzeption, Durchführung <strong>und</strong> Auswertung<br />

gen. Das lässt sich eventuell darauf zurückführen,<br />

dass die einzelnen Standortgruppen<br />

doch zum grossen Teil eigenständig arbeiteten,<br />

ohne Bezug zu den anderen Modulen ihrer<br />

Themengruppe. Absprachen zwischen<br />

den Standortgruppen wurden allerdings auch<br />

über (private) Emails getroffen.<br />

Die Diskussionsfreudigkeit stieg in fast allen<br />

Hochschulen stetig bis zum Ende des Seminars<br />

an. Nur in Ludwigsburg wurde durch eine<br />

verpflichtende Maßnahme erreicht, dass<br />

die Studierenden in der Mitte<br />

des Seminars ihren Diskussionsanteil<br />

stark erhöhten<br />

(Diagramm 2a <strong>und</strong> 2b). Insgesamt<br />

war der Diskussionsanteil<br />

der Ludwigsburger<br />

gesamt<br />

Studierenden wesentlich höher<br />

als an den anderen<br />

Hochschulen. Dies lässt sich<br />

wohl darauf zurückführen,<br />

dass in Ludwigsburg sowohl<br />

seitens der Dozentin als<br />

auch seitens der Studierenden<br />

bereits Erfahrungen mit<br />

virtuellen Seminaren vorliegen,<br />

diese Kommunikationsform<br />

den Studierenden also<br />

vertrauter war.<br />

So erfreulich einerseits ein reges Diskussionsverhalten<br />

<strong>im</strong> Forum ist, so ergibt sich andererseits<br />

dadurch eine <strong>—</strong> auch von den Dozenten<br />

<strong>—</strong> kaum zu bewältigende Informationsfülle.<br />

Es war kaum möglich, alle Beiträge<br />

<strong>im</strong> Diskussionsforum zu lesen, geschweige<br />

denn auch noch darauf zu antworten.<br />

6.3 BSCW <strong>und</strong> HTML<br />

(Technologie)<br />

Die Bedienung des BSCW-Systems brachte<br />

mehr Probleme mit sich, als wir gedacht hatten.<br />

Diese lagen nur z.T. in der hohen Eingewöhnungszeit<br />

der Studierenden, auch die <strong>—</strong><br />

je nach Netzauslastung <strong>—</strong> lange Übertragungszeit<br />

bei jeder Aktion erschwerte den<br />

Austausch, zudem gab es Schwierigkeiten<br />

mit verschiedenen Dateiformaten<br />

(insbesondere<br />

mit Word-Dokumenten).<br />

Darüber hinaus hatten wir<br />

die Vertrautheit der Studierenden<br />

mit dem <strong>Internet</strong><br />

überschätzt. Unklar<br />

war vielen, was das<br />

"Netz" eigentlich ist, was<br />

eine Website ist (eine<br />

HTML-Datei auf einem<br />

Rechner), ganz abgese-<br />

63


Christine Bescherer, Matthias Ludwig, Barbara Schmidt-Thieme & Hans-Georg Weigand<br />

hen davon, wie man eine solche Seite selbst<br />

erstellt.<br />

7 Fazit <strong>und</strong> Ausblick<br />

• Die Auswertung der Abschlussdiskussion<br />

zeigt, dass die Veranstaltung von den<br />

Studierenden positiv beurteilt wurde. Dies<br />

lag zum einen an den hochschulübergreifenden<br />

Kontakten <strong>und</strong> zum anderen daran,<br />

dass die Studierenden Zeit hatten,<br />

sich intensiv mit einem Thema auseinander<br />

zu setzen. Allerdings wurde auch herausgestellt,<br />

dass eine Veranstaltung in<br />

dieser Form einen erheblichen Mehraufwand<br />

<strong>im</strong> Vergleich zu traditionellen Seminaren<br />

erforderte. Dies gilt in gleicher Weise<br />

auch für die <strong>Lehren</strong>den, da die <strong>im</strong>mer<br />

wieder erforderlichen Einzelberatungen<br />

sehr viel Zeit benötigte.<br />

• Die Email-Anfragen seitens der Studierenden<br />

an die Dozenten hielten sich <strong>—</strong><br />

anders als erwartet <strong>—</strong> doch in sehr begrenztem<br />

Rahmen. Hier zeigt sich das alte<br />

Phänomen, dass es eines fortgeschrittenen<br />

Wissens bedarf, um Fragen zu stellen.<br />

Bei Unsicherheiten in der Fragestellung<br />

scheint man seitens der Studierenden<br />

ein persönliches Gespräch einer<br />

Email-Anfrage vorzuziehen.<br />

• Das Vermitteln von Gr<strong>und</strong>lagenkenntnissen<br />

<strong>im</strong> Umgang mit dem Kommunikationssystem<br />

<strong>und</strong> einem Programm zur Erstellung<br />

von <strong>Internet</strong>seiten sollte zu Beginn<br />

in einem konzentrierten Kurs angeboten<br />

werden. Wir gehen zwar davon aus,<br />

dass in Zukunft mehr <strong>und</strong> mehr Studierende<br />

mit derartigen Programmen vertraut<br />

sein werden <strong>und</strong> deren Bedienung auch<br />

<strong>im</strong>mer einfacher werden wird. Gegenwärtig<br />

ist die Unkenntnis <strong>im</strong> Umgang mit den<br />

Programmen aber noch ein leistungsl<strong>im</strong>itierender<br />

Faktor <strong>im</strong> Hinblick auf die Ziele<br />

einer virtuellen Veranstaltung.<br />

• Die Freiheit, die sich aus dem Projektcharakter<br />

ergab, wurde allgemein positiv gesehen,<br />

dennoch stand dazu <strong>im</strong> Widerspruch,<br />

dass sich die Studierenden mehr<br />

Strukturvorgaben wünschten (z.B. mehrere<br />

best<strong>im</strong>mte Zwischentermine, genaue<br />

Angaben zur Erstellung, zum Umfang,<br />

usw.). Ein Zitat aus der Abschlussdiskussion,<br />

die in der Präsenzveranstaltung angefangen<br />

<strong>und</strong> dann über BSCW weitergeführt<br />

wurde, beschreibt stellvertretend die<br />

Meinung der Studierenden:<br />

"Im Gesamten gesehen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf die derzeit an den Schulen geforderte<br />

64<br />

Projektdidaktik hat mir dieses Virtuelle Seminar<br />

viele Aspekte (Planung, Kommunikation,<br />

Gruppenarbeit, Teamgeist, -fähigkeit,<br />

Problembewältigung, Präsentieren,<br />

...), die für ein Projekt erforderlich sind,<br />

mit vielen ihrer Vor- <strong>und</strong> Nachteile sowie<br />

Problemen gezeigt. Eine wichtige Gr<strong>und</strong>erfahrung,<br />

um später selbst Projekte mit<br />

Schülern durchführen zu können."<br />

• Entscheidend ist die Vorgabe strukturierender<br />

<strong>und</strong> ordnender Maßnahmen zu<br />

Beginn des Seminars. Insbesondere bedarf<br />

es klar formulierter Aufgabenstellungen,<br />

die den Studierenden den Einstieg in<br />

die inhaltliche Diskussion erleichtern.<br />

• Was wir zu wenig bedacht haben: Neben<br />

der Gruppenbewertung sollten auch die<br />

Leistungen der Einzelnen deutlicher herausgestellt<br />

werden. "Förderung der individuellen<br />

Verantwortlichkeit bei gleichzeitiger<br />

Gruppenbelohnung lautet die Gestaltungsformel."<br />

(Fischer u. Waibel 2002).<br />

• Bei einem Seminar über vier Universitäten<br />

hinweg ist es kaum leistbar, dass sich ein<br />

Dozent mit jeder Themenstellung intensiv<br />

auseinandersetzt. Insbesondere ist es<br />

kaum möglich, alle Beiträge <strong>im</strong> Diskussionsforum<br />

zu würdigen. Es ist deshalb<br />

notwendig, dass sich jeder der beteiligten<br />

Dozenten auf einen Teilbereich konzentriert.<br />

Dies könnte etwa dadurch erfolgen,<br />

dass jeder Dozent die Themengruppe betreut,<br />

die seinen Interessen am nächsten<br />

steht.<br />

• Vor allem <strong>im</strong> Hinblick auf die Darstellung<br />

von <strong>Internet</strong>seiten ist BSCW nicht das<br />

geeingete Werkzeug für ein virtuelles<br />

Seminar. Auch wird es gerade <strong>im</strong> Bereich<br />

der <strong>Mathematik</strong> sehr wichtig sein, mit einem<br />

Programm kommunizieren zu können,<br />

das die einfache Darstellung mathematischer<br />

Symbole <strong>und</strong> Skizzen erlaubt.<br />

Diese Veranstaltung, in der die Studierenden<br />

in Teamarbeit einen mathematischen Kontext<br />

erarbeiteten <strong>und</strong> ihn elektronisch recherchierten,<br />

aufbereiteten <strong>und</strong> präsentierten, sollte<br />

zunächst die Akzeptanz einer virtuellen Veranstaltung<br />

<strong>im</strong> Bereich der <strong>Mathematik</strong>didaktik<br />

seitens der Studierenden <strong>und</strong> seitens der<br />

Dozenten aufzeigen. Mit ihr wurden vor allem<br />

Möglichkeiten, aber auch Schwierigkeiten<br />

<strong>und</strong> Grenzen ausgelotet. Ob langfristige Veränderungen<br />

<strong>im</strong> Arbeitsverhalten oder in der<br />

Einstellung zu <strong>Mathematik</strong> bzw. zu <strong>Mathematik</strong>didaktik<br />

erzielt wurden, lässt sich <strong>im</strong> Moment<br />

noch nicht sagen.


Literatur<br />

Bett, K. u.a. (2002): Das Gruppenpuzzle als kooperative<br />

Lernmethode in virtuellen Seminaren<br />

<strong>—</strong> ein Erfahrungsbericht. In: Gudrun Bachmann,<br />

Odette Haefeli & Michael Kindt (Hrsg.)<br />

(2002): Campus 2002. Münster u.a.: Waxmann,<br />

357-365<br />

DMV & GDM (2001): Denkschrift zur Lehrerbildung.<br />

www.mathematik.de/gdm unter Stellungnahmen,<br />

Zugriffsdatum 17.11.2003<br />

Döring, Nicola (2002): Online-<strong>Lernen</strong>. In: Issing &<br />

Kl<strong>im</strong>sa (2002), 247–264<br />

Fischer, F. & M. C. Waibel (2002): Wenn virtuelle<br />

Lerngruppen nicht so funktionieren, wie sie eigentlich<br />

sollten. In: Rinn & Wedekind (2002),<br />

35–50<br />

Friedrich, H. F., W. Hesse, B. Garsoffky & A. Hron<br />

(2002): Netzbasiertes cooperatives <strong>Lernen</strong>. In:<br />

Issing & Kl<strong>im</strong>sa (2002), 283–298<br />

Friedrich, H. F. & A. Hron (2002): Gestaltung <strong>und</strong><br />

Evaluation virtueller Seminare. In: Rinn & Wedekind<br />

(2002), 11–34<br />

Issing, Ludwig J. & Paul Kl<strong>im</strong>sa (Hrsg.) (2002): Information<br />

<strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> mit Mult<strong>im</strong>edia <strong>und</strong> <strong>Internet</strong>.<br />

Weinhe<strong>im</strong>: Beltz PVU, 3. Auflage<br />

Ein virtuelles Seminar <strong>—</strong> Konzeption, Durchführung <strong>und</strong> Auswertung<br />

Krauthausen, Günter (1998): <strong>Lernen</strong> <strong>—</strong> <strong>Lehren</strong> <strong>—</strong><br />

<strong>Lehren</strong> lernen. Stuttgart: Klett<br />

Ludwig, Matthias & Gerald Wittmann (2002): Eine<br />

internetgestützte Wissensbasis zur Didaktik<br />

der Geometrie <strong>—</strong> Entwicklungsprinzipien <strong>und</strong><br />

Pilotstudie. In: mathematica didactica 24, 81–<br />

92<br />

Reinmann-Rothmeier, Gabi & Heinz Mandl (2001):<br />

Virtuelle Seminare in Hochschule <strong>und</strong> Weiterbildung.<br />

Göttingen: Huber<br />

Renkl, Alexander (1997): <strong>Lernen</strong> durch <strong>Lehren</strong>:<br />

Zentrale Wirkmechanismen be<strong>im</strong> kooperativen<br />

<strong>Lernen</strong>. Wiesbaden: DUV<br />

Rinn U. & J. Wedekind (Hrsg.) (2002): Referenzmodelle<br />

netzbasierten <strong>Lehren</strong>s <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>s.<br />

Virtuelle Komponenten der Präsenzlehre.<br />

Münster u.a.: Waxmann<br />

Stebler, R., K. Reusser & C. Pauli (1994): Interaktive<br />

Lehr-Lern-Umgebungen: Didaktische Arrangements<br />

<strong>im</strong> Dienst des gründlichen Verstehens.<br />

In: Reusser, K. <strong>und</strong> M. Reusser-Weyenth<br />

(1994): Verstehen. Psychologischer Prozess<br />

<strong>und</strong> didaktische Analyse. Göttingen: Huber,<br />

227–259<br />

Terhart, Ewald (1999) Perspektiven der Lehrerbildung<br />

in Deutschland. Weinhe<strong>im</strong>: Beltz<br />

Weth, Thomas (2005): MaDiN <strong>—</strong> <strong>Mathematik</strong>didaktik<br />

<strong>im</strong> Netz. In diesem Band<br />

65


� Der Kosinussatz <strong>—</strong> wiederentdeckt als Flächensatz<br />

1 Einleitung<br />

Heutzutage wird in den Schulbüchern der<br />

Kosinussatz üblicherweise bewiesen, indem<br />

ein gegebenes spitzwinkliges Dreieck in zwei<br />

rechtwinklige Teildreiecke zerlegt wird (bzw.<br />

<strong>im</strong> stumpfwinkligen Fall entsprechend ergänzt<br />

wird) <strong>und</strong> dann der Satz des Pythagoras<br />

angewandt wird.<br />

Dieser Beweis verfolgt einen algebraisch orientierten,<br />

statischen Ansatz. Die schließlich<br />

errechnete Formel dominiert. Sie bleibt dabei<br />

bezugslos, es gibt kein adäquates Bild zur<br />

Formel. Der Satz des Pythagoras wird <strong>im</strong><br />

Beweis zwar angewandt, bleibt aber unter<br />

der Oberfläche.<br />

66<br />

Hans-Jürgen Elschenbroich, Korschenbroich<br />

Der Beitrag beschreibt, welche Erfahrungen <strong>und</strong> Entdeckungen die Autoren elektronischer<br />

Geometrie-Arbeitsblätter (Elschenbroich & Seebach 2003) bei der Entwicklung von<br />

Aufgaben zum Kosinussatz machten, wie eine alte Idee mühsam wieder freigelegt wurde,<br />

wie sich dies bei der Lektüre alter Schulbücher entwickelte <strong>und</strong> wie sich schließlich mit<br />

DGS derartige alte Ideen mit neuen Werkzeugen dynamisch umsetzen lassen.<br />

Abb. 1: Duden Basiswissen Schule <strong>Mathematik</strong><br />

Abb. 2: Lambacher–Schweizer Klasse 10 (2000)<br />

Eine Verwandtschaft zum Pythagoras-Satz,<br />

die ja aus der Formel offensichtlich nahe<br />

liegt, ist in der Beweisfigur nicht mehr zu erkennen.<br />

Der Zusammenhang der Sätze ist<br />

völlig verdunkelt, er wird nicht einmal mehr<br />

<strong>im</strong> rechtwinkligen Sonderfall deutlich. Aus γ =<br />

90° folgt nur noch algebraisch der Wegfall<br />

eines Terms, weil ein Faktor darin 0 ist. Figürlich<br />

ist vom klassischen Pythagoras-<br />

Ansatz nichts zu finden, das betrachtete<br />

Dreieck mutiert nur zu einem rechtwinkligen<br />

Dreieck, in dem der Beweisansatz überhaupt<br />

nicht mehr sichtbar wird.<br />

Abb. 3a: Beweisfigur für γ > 90°


Abb. 3b: Beweisfigur für γ = 90°<br />

Unsere eigenen (Elschenbroich <strong>und</strong> Seebach)<br />

Erinnerungen an den Kosinussatz als<br />

Verallgemeinerung des Pythagoras fanden<br />

keine Entsprechung <strong>im</strong> heutigen Schulbuch.<br />

Es gab keinen textlichen Hinweis, geschweige<br />

denn eine entsprechende Figur, das Symbolische<br />

triumphierte über das Visuelle.<br />

2 Flächen(un)gleichheiten<br />

Abb. 4a: Fall γ = 90°: a 2 + b 2 = c 2<br />

Abb. 4b: Fall γ > 90°: a 2 + b 2 < c 2<br />

Der Kosinussatz <strong>—</strong> wiederentdeckt als Flächensatz<br />

Abb. 4c: Fall γ < 90°: a 2 + b 2 > c 2<br />

Ein qualitativer Zusammenhang zum Kosinussatz<br />

ist durch eine Dynamisierung <strong>und</strong><br />

Verallgemeinerung des Pythagoras-Satzes<br />

schnell <strong>und</strong> einfach herzustellen. Bei fester<br />

Seite c <strong>und</strong> beweglichem Eckpunkt C erhält<br />

man die Konfigurationen in Abb. 4a, b, c.<br />

Hierbei bleibt jedoch noch <strong>im</strong> Dunkeln, um<br />

wieviel a 2 + b 2 größer oder kleiner als c 2 ist<br />

<strong>und</strong> woran das liegt.<br />

3 Der Kosinussatz <strong>im</strong><br />

Spiegel der Schulbücher<br />

Unsere zunächst enttäuschte Erinnerung an<br />

den Kosinussatz als Verallgemeinerung des<br />

Pythagoras führte uns dazu, in älteren Schulbüchern<br />

nachzuschlagen. Im Lambacher-<br />

Schweizer der 70er Jahre wurden wir als erstes<br />

dahingehend fündig, dass wenigstens <strong>im</strong><br />

Text ein Bezug zum Satz des Pythagoras<br />

hergestellt wurde.<br />

Abb. 5: Lambacher-Schweizer 1975<br />

Im Lambacher-Schweizer der 60er Jahre<br />

fand sich dann folgende Formulierung des<br />

Satzes, die durch einen erhöhten Textanteil<br />

auffällt:<br />

Abb. 6: Lambacher-Schweizer 1960<br />

67


Hans-Jürgen Elschenbroich<br />

Es folgen dazu zweierlei Beweise, einmal der<br />

erwähnte Zerteilungsansatz <strong>und</strong> dann ein<br />

zweiter Beweis, in dem explizit eine pythagoras-ähnliche<br />

Figur auftaucht, in der der Charakter<br />

des Flächensatzes sichtbar wird.<br />

68<br />

Abb. 7: Lambacher-Schweizer 1960<br />

Auch ist hier <strong>im</strong> Text wieder der Hinweis auf<br />

die Verallgemeinerung des Pythagoras-Satzes<br />

zu finden.<br />

Fast die gleiche Figur ist dann auch <strong>im</strong> Lambacher-Schweizer<br />

von Ende 40er / Anfang<br />

50er Jahre zu finden. Es gibt jedoch einen<br />

kleinen, aber bedeutenden Unterschied: Der<br />

Hinweis b·cosγ am Rande des Quadrats<br />

über a ist nicht mehr vorhanden <strong>und</strong> die Formel<br />

c 2 = a 2 + b 2 - 2ab cosγ ist nicht mehr zu<br />

finden.<br />

Abb. 8: Lambacher-Schweizer ca. 1950<br />

Bemerkenswert: Der Satz ist hier rein als<br />

Flächensatz mit Quadraten <strong>und</strong> Teilrechtecken<br />

formuliert! Dies erklärt sich daraus,<br />

dass dieser Sachverhalt nicht <strong>im</strong> Kapitel Trigonometrie<br />

thematisiert wurde (die damals<br />

noch in der Oberstufe behandelt wurde),<br />

sondern <strong>im</strong> Kapitel "Flächensätze <strong>im</strong> rechtwinkligen<br />

Dreieck" unter "Vermischte Aufgaben"<br />

auftauchte. Anstelle des Kosinus wird<br />

hier mit der Projektion einer Strecke auf eine<br />

andere argumentiert.<br />

4 Der Ursprung<br />

Insgesamt fällt auf, dass die Formulierung<br />

von 1950 rein verbal ist <strong>und</strong> die Deutung des<br />

Sachverhalts als Kosinus-Satz offensichtlich<br />

neuzeitlicher zu sein scheint. Der Flächen-<br />

Aspekt samt Projektionsgedanken dürfte<br />

klassischer sein. Die weitere Rückverfolgung<br />

der Lambacher-Schweizer-Reihe stößt an eine<br />

natürliche Grenze. Ein Blick in den Klassiker,<br />

die Elemente des Euklid, brachte folgendes<br />

zu Tage:<br />

§ 13 (L. 12).<br />

An jedem spitzwinkligen Dreieck ist das<br />

Quadrat über der einem spitzen Winkel gegenüberliegenden<br />

Seite kleiner als die Quadrate<br />

über den diesen spitzen Winkel umfassenden<br />

Seiten zusammen um zwe<strong>im</strong>al das<br />

Rechteck aus einer der Seiten um diesen<br />

spitzen Winkel, nämlich der, auf die das Lot<br />

fällt, <strong>und</strong> der durch das Lot innen abgeschnittenen<br />

Strecke an dieser spitzen Ecke.<br />

Damit hat die Rückverfolgung des Kosinussatzes<br />

nun ihr Ende gef<strong>und</strong>en.<br />

5 Die Dynamisierung mit<br />

DGS<br />

Bei der Umsetzung in eine dynamische Konstruktion<br />

haben wir uns auf den Fall des<br />

spitzwinkligen Dreiecks beschränkt. Dabei<br />

kann man den Scherungsansatz des Beweises<br />

von Euklid zum Satz des Pythagoras<br />

aufgreifen 1 .<br />

Es ist ein spitzwinkliges Dreieck ABC gegeben<br />

samt Quadraten über den Seiten. (Wenn<br />

C so gezogen wird, dass das Dreieck stumpfwinklig<br />

würde, verschwindet es.)<br />

a) Woran erinnert dich diese Figur?<br />

b) Begründe: Die blau gefärbten Teilrechtecke<br />

in a² <strong>und</strong> c² sind gleich groß.<br />

Ziehe dazu an Zug1 <strong>und</strong> Zug2. Dann<br />

kannst du die blau schraffierten Flächen<br />

in eine solche Gestalt <strong>und</strong> Lage bringen,<br />

dass du ihre Kongruenz begründen<br />

kannst.<br />

1 Euklid hatte das selbst nicht so gemacht, sondern auf das Ergebnis<br />

des Pythagoras-Satzes zurück gegriffen <strong>und</strong> nicht auf den Beweisansatz.<br />

Die Scherungsargumentation macht aber den Flächenaspekt<br />

besonders deutlich.


Abb. 9a: Scherungsbeweis<br />

Abb. 9b: Scherungsbeweis<br />

Abb. 9c: Scherungsbeweis<br />

Üblicherweise wird dieser Satz jedoch heutzutage<br />

<strong>im</strong> Unterricht als eine Anwendung des<br />

Kosinus behandelt. Dem wurde in einem<br />

elektronischen Arbeitsblatt Rechenschaft getragen,<br />

das den Sachverhalt sowohl in heutiger<br />

Form formuliert, als ihn auch in Adaption<br />

der klassischen Flächensichtweise visuali-<br />

Der Kosinussatz <strong>—</strong> wiederentdeckt als Flächensatz<br />

siert. Die Schüler finden so einerseits die<br />

gängige Formulierung des Schulbuchs wieder<br />

<strong>und</strong> lernen andererseits den Flächenaspekt<br />

<strong>und</strong> die Verbindung zum Satz des Pythagoras<br />

kennen.<br />

Es ist ein spitzwinkliges Dreieck ABC gegeben<br />

samt Quadraten über den Seiten. (Wenn<br />

C so gezogen wird, dass das Dreieck stumpfwinklig<br />

würde, verschwindet es.)<br />

a) Woran erinnert dich diese Figur?<br />

b) Begründe: Die blau gefärbten Teilrechtecke<br />

in a² <strong>und</strong> c² sind gleich groß, die rot<br />

gefärbten in b² <strong>und</strong> c² ebenfalls.<br />

Tipp: Suche nach Teildreiecken von ABC,<br />

in denen du geeignete Seiten berechnen<br />

kannst.<br />

c) Zeige für die die schraffierten hellroten<br />

bzw. hellblauen Teilrechtecke, dass ihr<br />

Flächeninhalt a·c·cos(β) beträgt.<br />

Tipp: Suche nach Teildreiecken von ABC,<br />

in denen du geeignete Seiten berechnen<br />

kannst.<br />

d) Folgere daraus den Kosinussatz:<br />

c² = a² + b² – 2a·b·cos(γ).<br />

e) Findest du bekannte Sonderfälle?<br />

Abb. 10: Screenshot Elektronisches Arbeitsblatt<br />

Die Dynamik der Dateien kommt in der Printversion<br />

naturgemäß nur unzureichend zur<br />

Geltung, ebenso die farblichen Hilfen. Die<br />

Dateien sind Teil der CD "Dynamisch Geometrie<br />

entdecken Klasse 10" <strong>und</strong> können in<br />

einer Demo-Version auch aus dem <strong>Internet</strong><br />

(www.dynamische-geometrie.de) geladen<br />

werden.<br />

69


Hans-Jürgen Elschenbroich<br />

Literatur<br />

DUDEN (2001): Basiswissen Schule <strong>Mathematik</strong>.<br />

Berlin & Mannhe<strong>im</strong>: Duden-Verlag<br />

Elschenbroich, Hans-Jürgen & Günter Seebach<br />

(2003): Dynamisch Geometrie entdecken. Elektronische<br />

Arbeitsblätter Klasse 10. Rosenhe<strong>im</strong>:<br />

CoTec<br />

Euklid (1997): Die Elemente. Ostwalds Klassiker<br />

der exakten Wissenschaften. Frankfurt: Harri<br />

Deutsch<br />

70<br />

Lambacher-Schweizer Geometrie 2 (1948). Stuttgart:<br />

Klett<br />

Lambacher-Schweizer Ebene Trigonometrie<br />

(1960). Stuttgart: Klett Verlag, 12. Auflage<br />

Lambacher-Schweizer Geometrie 2 (1975). Stuttgart:<br />

Klett<br />

Lambacher-Schweizer Klasse 10 (2000). Stuttgart:<br />

Klett


� Konstruktiv arbeiten mit dem <strong>Internet</strong> in Schule <strong>und</strong><br />

Lehrerausbildung <strong>—</strong> Methoden der Content-Erstellung<br />

mit Beispielen aus der Praxis<br />

Astrid Ernst & Engelbert Niehaus, Münster<br />

Lehr- <strong>und</strong> Lernsysteme können es <strong>Lernen</strong>den ermöglichen, selber Inhalte in das System<br />

einzubringen <strong>und</strong> so zu Autoren <strong>und</strong> Autorinnen zu werden. In diesem Beitrag werden<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> Wege einer solchen konstruktiven Nutzung von Lehr- Lernsystemen in<br />

der Lehrerausbildung vorgestellt.<br />

0 Einleitung<br />

Der typische Umgang mit Lehr- <strong>und</strong> Lehrsystemen<br />

ist dadurch gekennzeichnet, dass<br />

<strong>Lehren</strong>de Inhalte in das System einstellen<br />

<strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>de die Inhalte für die Vor- <strong>und</strong><br />

Nachbereitung von Klausuren, Seminaren<br />

usw. "entnehmen". Zu diesem Zweck arbeiten<br />

dann didaktische <strong>und</strong> fachliche Experten<br />

am Aufbau einer Wissensbasis zusammen.<br />

In diesem Sinne werden <strong>im</strong> vom bmb+f geförderten<br />

MADIN-Projekt (homepage:<br />

http://www.madin.net) größere Wissensbereiche<br />

der Lehramtsausbildung <strong>Mathematik</strong><br />

für das <strong>Internet</strong> aufbereitet (vgl. auch die Beiträge<br />

von T. Weth <strong>und</strong> G. Wittmann zu<br />

MADIN in diesem Band).<br />

Betrachtet man die Anforderungen, die z.B.<br />

an Lehrer/innen in der Unterrichtspraxis gestellt<br />

werden, so ist die Anpassung gegebener<br />

Unterrichtsinhalte an die Lernvoraussetzungen<br />

der Lerngruppe eine zentrale Aufgabenstellung,<br />

die unabhängig vom unterrichteten<br />

Fach von jedem/r Lehrer/in geleistet werden<br />

muss. In diesem wie in vielen anderen<br />

Anwendungsbereichen genügt es heute nicht<br />

mehr, wenn <strong>Lernen</strong>de Inhalte ausschließlich<br />

rezeptiv nutzen. <strong>Internet</strong>basierte Lehr- <strong>und</strong><br />

Lernsysteme können <strong>Lernen</strong>de bei einer<br />

konstruktiven Nutzung von Inhalten auf unterschiedliche<br />

Weise unterstützen, z.B. indem<br />

die Inhalte als Informationsquelle für die<br />

Bearbeitung projektartiger Aufgabenstellungen<br />

in Gruppenarbeitssituationen gewinnbringend<br />

nutzbar sind. <strong>Internet</strong>basierte Lehr<strong>und</strong><br />

Lernsystemen können es <strong>Lernen</strong>den aber<br />

auch ermöglichen, Inhalte in einem persönlichen<br />

Bereich neu zu organisieren, neue<br />

Inhalte in das System einzubringen <strong>und</strong> so<br />

selbst zu Autorinnen <strong>und</strong> Autoren zu werden.<br />

Die <strong>im</strong> Rahmen des MADIN-Projektes von<br />

der Arbeitsgruppe um M. Stein, Münster,<br />

entwickelte Software SIMLA (System for internet<br />

based mult<strong>im</strong>edia enriched learning<br />

acitivites) unterstützt Studierende bei einer<br />

konstruktiven Nutzung des Lehr- <strong>und</strong> Lernsystems<br />

in diesem Sinne.<br />

Wenn es lediglich darum geht, einen Unterrichtsentwurf<br />

oder ein Video in ein System<br />

einzubinden, kann dies in der Regel "ad hoc"<br />

geschehen. Problematisch wird dieses Vorgehen<br />

aber, wenn viele Personen an einer<br />

Wissensbasis arbeiten bzw. größere Wissensbereiche<br />

aufbereitet werden. Es entsteht<br />

dann u.U. eine unstrukturierte Ansammlung<br />

von einzelnen Informationseinheiten, die für<br />

eine/n spätere/n Nutzer/in unüberschaubar<br />

werden können. Deshalb wurde zum einen<br />

ein internetbasiertes Lehr- <strong>und</strong> Lernsystem<br />

entwickelt, das die Präsentation, Reorganisation<br />

<strong>und</strong> Produktion von mathematischen <strong>und</strong><br />

didaktischen Inhalten unterstützt, <strong>und</strong> zum<br />

anderen eine darauf abgest<strong>im</strong>mte Methode<br />

erarbeitet, die Studierende bei der eigenständigen<br />

Aufbereitung von Inhalten für das<br />

Lehr-Lernsystem unterstützt. Diese Methode<br />

wurde innerhalb von drei Generationen von<br />

Examenstudentinnen <strong>und</strong> -studenten erprobt,<br />

die <strong>im</strong> Rahmen ihrer Examensarbeit ein mathematikdidaktisches<br />

Thema für das Lehr-<br />

Lernsystem aufbereiteten.<br />

Im Folgenden wird zunächst das entwickelte<br />

Lehr- <strong>und</strong> Lernsystem kurz vorgestellt. Anschließend<br />

werden Methoden behandelt, die<br />

Autoren/innen bei der Erstellung von Lernsoftware<br />

unterstützen können. Dazu werden<br />

zwei Modelle aus dem ISD (Instructional Systems<br />

Design) vorgestellt <strong>und</strong> ihre Eignung für<br />

den Einsatz <strong>im</strong> Lehramtsstudium <strong>und</strong> insbesondere<br />

<strong>im</strong> Rahmen von Examensarbeiten<br />

diskutiert. Die in Münster erarbeitete Lösung<br />

wird dann überblicksartig dargestellt. Abschließend<br />

werden Möglichkeiten behandelt,<br />

wie eine Autorentätigkeit <strong>im</strong> Lehramtsstudium<br />

schrittweise von Vorlesungen über Seminare<br />

bis hin zu Examensarbeiten aufgebaut<br />

werden kann. Wege einer konstruktiven Nut-<br />

71


Astrid Ernst & Engelbert Niehaus<br />

zung des Systems in der Referendarzeit <strong>und</strong><br />

später als Lehrer/in werden vorgestellt.<br />

1 Vorstellung des entwickelten<br />

Lehr-Lernsystems<br />

Das entwickelte webbasierte Lehr- <strong>und</strong> Lernsystem<br />

besteht aus zwei Komponenten:<br />

• der Navigationsumgebung, mit dem Inhalte<br />

angeschaut werden können.<br />

• dem Autorentool, mit dem neue Inhalte in<br />

das System "geladen" werden können<br />

<strong>und</strong> mit dem die Struktur der vorhandenen<br />

Inhalte in einem persönlichen Bereich<br />

modifiziert <strong>und</strong> erweitert werden kann.<br />

Abb. 1: Schreibtisch als Navigationselement, ermöglicht<br />

Zugriff auf theoretische Informationen,<br />

Anwendungsbeispiele, Anregungen zu Aktivitäten<br />

usw.<br />

Abb. 2: Menü ermöglicht Navigation in der hierarchisch<br />

vernetzten Inhaltsstruktur<br />

Zentrales Element der Navigationsumgebung<br />

ist der Schreibtisch, über den die Nutzer/innen<br />

auf die Inhalte zugreifen. Dieser<br />

wird kontextabhängig unterschiedlich gefüllt:<br />

Be<strong>im</strong> Thema "Bruchrechnung" enthält er theoretische<br />

Informationen, Anwendungsbeispiele,<br />

Anregungen zu Aktivitäten, Links ins<br />

<strong>Internet</strong> usw.. Navigiert der/die Nutzer/in mittels<br />

des Menüs (Abb. 2) zu einem anderen<br />

72<br />

Thema, so werden die Inhalte <strong>im</strong> Schreibtisch<br />

ausgetauscht (weitere Erläuterungen<br />

siehe Absatz "4 Gr<strong>und</strong>konzeption für den Inhaltsbereich<br />

des Lehr-Lernsystems").<br />

2 Modelle des Instructional<br />

Systems Design (ISD)<br />

ID- (Instructional Design) bzw. ISD- (Instructional<br />

System Design) Modelle stellen eine<br />

Hilfe dar, die für die Entwicklung eines Lernsystems<br />

relevanten Arbeitsschritte <strong>und</strong> Aspekte<br />

effizient zu planen <strong>und</strong> durchzuführen.<br />

Typischerweise findet sich bei den ISD-<br />

Modellen eine Einteilung in folgende größere<br />

Arbeitsabschnitte: Analyse, Planung, Entwicklung/Produktion,<br />

Implementierung, Evaluation/Revision<br />

(vgl. Issing 2002, 151; Wager<br />

et al. 1997; Fardouly 2002). Viele ISD-<br />

Modelle zielen auf die Erstellung eher linear<br />

organisierter Lernangebote ab <strong>und</strong> wurden<br />

insbesondere bei der Erstellung von Programmen<br />

in der Tradition von drill and practice<br />

angewendet. In Abbildung 3 ist ein ISD-<br />

Gr<strong>und</strong>modell zu sehen, in dem Issing (2002)<br />

typische Elemente von ISD-Modellen zusammenfasst.<br />

Modelle für die Entwicklung von konstruktivistisch<br />

orientierten Angeboten, wie z.B. von<br />

Hypermediasystemen, befinden sich in der<br />

Entwicklung. Ein solches Modell ist das von<br />

Blumstengel entwickelte (Abb. 4). Beide Modelle<br />

werden <strong>im</strong> Folgenden kurz vorgestellt.<br />

2.1 ISD-Gr<strong>und</strong>modell (vgl. Issing<br />

2002)<br />

Die Arbeitsphasen des Entwicklungsprozesses<br />

werden be<strong>im</strong> ISD typischerweise zeitlich<br />

weitgehend nacheinander durchgeführt. Der<br />

Entwicklungsprozess beginnt mit der Phase<br />

der "Analyse/Planung".<br />

2.1.1 Analyse/Planung:<br />

In der Analyse/Planung werden die didaktische<br />

<strong>und</strong> pädagogische Grob- <strong>und</strong> Feinplanung<br />

durchgeführt. Dazu wird zunächst<br />

eine didaktische Zielsetzung sowie ein didaktischer<br />

Entwurf für das Lernangebot erarbeitet.<br />

Typisches Element dieser Phase ist eine<br />

präzise "Definition der Lernziele". Diese bildet<br />

die Voraussetzung für die Ableitung geeigneter<br />

Methoden der Inhaltsvermittlung <strong>und</strong><br />

der Beurteilung des Lernerfolges. Bei der<br />

Entwicklung des didaktischen Entwurfes sollte<br />

auf Basis einer Zielgruppenanalyse eine


Abb. 3: Modell des Systematischen Instruktionsdesign<br />

(aus Issing 2002, 158)<br />

Abst<strong>im</strong>mung auf die Zielgruppe erfolgen<br />

("Identifizierung der Lernereigenschaften").<br />

Dabei sind insbesondere deren Vorwissen<br />

<strong>und</strong> Motivationslage wichtig.<br />

Die Planungen werden anschließend weiter<br />

verfeinert ("Auswahl <strong>und</strong> Vorbereitung der<br />

Lerninhalte" "Planung der Lehr- Lernmethode<br />

<strong>und</strong> der Medien"). Feinlernziele werden best<strong>im</strong>mt,<br />

Inhalte <strong>und</strong> Vermittlungsstrategien<br />

festgelegt, die Inhalte in eine Abfolge gebracht<br />

<strong>und</strong> geeignete Medien ausgewählt.<br />

2.1.2 Entwicklung <strong>und</strong> Produktion:<br />

Die praktische Umsetzung der Planungen ist<br />

Gegenstand der Entwicklungs- <strong>und</strong> Produktionsphase.<br />

Als Hilfsmittel werden u.a. Flowcharts<br />

verwendet, die insbesondere die Planung<br />

linearer Ablaufstrukturen unterstützen.<br />

Außerdem wird der Arbeitskräfteeinsatz <strong>und</strong><br />

die Teamzusammensetzung geplant, sowie<br />

der Zeit- <strong>und</strong> Mittelaufwand für die Medienproduktion<br />

kalkuliert. Es werden geeignete<br />

Werkzeuge <strong>und</strong> technische Hilfsmittel ausgewählt.<br />

2.1.3 Evaluation, Revision, Implementation:<br />

Die Erprobung der Einheiten sowie des Lehr-<br />

Lernprogramms in der Anwendung sollte als<br />

formative Evaluation den Entwicklungs- <strong>und</strong><br />

Produktionsprozess begleiten. Eine summative<br />

Evaluation ist mit einem wesentlich höherem<br />

Aufwand verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> mit verschiedenen<br />

Problemen der Umsetzung verb<strong>und</strong>en.<br />

Die Aussagen können aufgr<strong>und</strong> der langen<br />

Dauer des Evaluationsprozesses in der<br />

Konstruktiv arbeiten mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> Methoden der Content-Erstellung<br />

Regel nicht mehr für die Verbesserung des<br />

Produktes verwendet werden. Vielmehr sind<br />

die Ergebnisse für eine abschließende Beurteilung<br />

der Entwicklung von Interesse.<br />

2.2 Entwicklungsmodell für hypermediale<br />

Lernsysteme von<br />

Blumstengel (1998)<br />

Blumstengel (1998; s. Abb. 4) entwickelte ein<br />

an konstruktivistischen Konzepten orientiertes<br />

Entwicklungsmodell für hypermediale<br />

Lernsysteme, in dem sie Elemente des ISD<br />

aufgreift. So unterteilt auch Blumstengel<br />

(1998, 155–184) den Projektverlauf in größere<br />

Phasen, <strong>und</strong> zwar in Bedarfsanalyse, Entwicklung<br />

von Alternativen, Produktion/Planung<br />

sowie Anwendung <strong>und</strong> Evaluation.<br />

Abb. 4: Entwicklungsmodell für hypermediale<br />

Lernsysteme (Blumstengel 1998, Abb. 3.1, 156)<br />

In ihr Modell integriert Blumstengel das Konzept<br />

des "rapid prototyping", das aus der<br />

Software-Entwicklung stammt <strong>und</strong> durch die<br />

frühzeitige Produktion eines "Prototypen",<br />

seiner Erprobung in der Praxis <strong>und</strong> iterativen<br />

Verbesserungsmaßnahmen an dem Prototypen<br />

gekennzeichnet ist. Dies führt auch zu<br />

einer Überlappung von Arbeitsphasen, so<br />

dass eine eindeutige Abgrenzung der einzelnen<br />

Arbeitsphasen mit einer streng linearen<br />

Abfolge nicht mehr gegeben ist. In Abb. 4 ist<br />

das Modell in einer Grafik skizziert.<br />

Von dem oben dargestellten ISD Gr<strong>und</strong>modell<br />

unterscheidet sich das Modell von<br />

Blumstengel insbesondere in den folgenden<br />

Hinsichten:<br />

• Es wird keine genaue <strong>und</strong> detaillierte<br />

Lernzieldefinition vorgenommen. Statt<br />

dessen werden die Ziele "weicher" definiert,<br />

indem z.B. relevante Wissensdomä-<br />

73


Astrid Ernst & Engelbert Niehaus<br />

nen best<strong>im</strong>mt werden <strong>und</strong> ein Kernbereich<br />

festgelegt wird.<br />

• Die Phase der didaktischen Feinplanung<br />

<strong>und</strong> die Produktionsphase werden zu einer<br />

einzigen Phase zusammengefasst,<br />

nämlich zu der Produktions-/Planungsphase.<br />

In dieser Phase wird rapid prototyping<br />

eingesetzt. Es erfolgt daher eine verzahnte<br />

Entwicklung der (didaktischen)<br />

Feinplanung sowie der (softwaretechnischen)<br />

Realisierung. Die Planungs-/Produktionsphase<br />

wird von formativer Evaluation<br />

begleitet.<br />

• Die Planungen, deren Umsetzung <strong>und</strong><br />

Erprobung folgen rasch aufeinander <strong>und</strong><br />

werden in mehreren Entwicklungszyklen<br />

nachgebessert. Der Entwicklungsprozess<br />

ist daher nicht mehr streng linear, sondern<br />

von Phasenüberschneidungen gekennzeichnet.<br />

• Die Empfehlungen zur didaktischen Gestaltung<br />

des Lernangebotes sind auf lerner/innengesteuerte<br />

Systeme zugeschnitten.<br />

Als Planungshilfen werden beispielsweise<br />

concept maps <strong>und</strong> storyboards<br />

empfohlen, die auch die Planung nichtlinearer<br />

Strukturen unterstützen. Eine Linearisierung<br />

bzw. Sequenzialisierung von<br />

Lernschritten des geplanten Lernangebotes<br />

findet nicht statt.<br />

3 Anwendbarkeit der vorgestellten<br />

Modelle <strong>im</strong> Rahmen<br />

von Examensarbeiten<br />

Inwiefern sind die vorgestellten Modelle nun<br />

geeignet, Studierende des Lehramtes bei der<br />

Aufbereitung eines Inhaltes <strong>im</strong> Rahmen einer<br />

Examensarbeit zu unterstützen?<br />

Zentraler Bestandteil des ISD-Gr<strong>und</strong>modells<br />

sind genaue Lernzieldefinitionen <strong>und</strong> eine Linearisierung<br />

von Arbeitsschritten innerhalb<br />

des zu entwickelnden Lernangebotes. Beides<br />

ist mit den Zielsetzungen <strong>im</strong> vorliegenden<br />

Projekt nicht vereinbar: Studierenden soll es<br />

gerade ermöglicht werden, das Lernsystem<br />

unter verschiedenen Zielvorstellungen eigengesteuert<br />

zu durchwandern.<br />

In diesen Hinsichten erscheint das von<br />

Blumstengel entwickelte Modell angemessener.<br />

Allerdings beinhaltet dieses Modell auch<br />

zahlreiche Arbeitsschritte, die für die Studierenden<br />

nicht relevant sind bzw. die eine<br />

Überforderung darstellen würden. Dazu gehört<br />

beispielsweise die Planung der Teamzusammensetzung<br />

<strong>und</strong> der Produktionskosten<br />

74<br />

sowie die Erarbeitung einer gr<strong>und</strong>legenden<br />

didaktischen Konzeption.<br />

Da das Blumstengel-Modell auf viele verschiedene<br />

Anwendungssituationen übertragbar<br />

sein soll, sind die Hinweise <strong>und</strong> Hilfen,<br />

die zur Vorgehensweise bei der Aufbereitung<br />

von Inhalten gegeben werden, eher allgemein<br />

gehalten. Für Studierende, die mit der<br />

Erstellung von Inhalten für Lernsysteme in<br />

der Regel keine Erfahrung haben, wären hier<br />

detailliertere <strong>und</strong> konkretere Hilfen wünschenswert.<br />

Im Projekt wurden daher folgende Entscheidungen<br />

getroffen:<br />

• Es wird eine gr<strong>und</strong>legende didaktische<br />

Konzeption für den Inhaltsbereich des<br />

Lehr-Lernsystems bis hin zur Definition<br />

geeigneter "Formate" entwickelt.<br />

• Es wird eine Methode entwickelt, die die<br />

Studierenden bei der Erzeugung von Inhalten<br />

gemäß dieser Formate unterstützt.<br />

Diese Methode beschränkt sich auf die relevanten<br />

Aspekte der Inhaltsaufbereitung<br />

<strong>und</strong> beschreibt detailliert die notwendigen<br />

Arbeitsschritte. Zu der entwickelten Methode<br />

wird eine Art Anleitung oder Dokumentation<br />

entwickelt, in der die Abläufe<br />

<strong>und</strong> notwendigen Überlegungen beschrieben<br />

werden.<br />

4 Gr<strong>und</strong>konzeption für den<br />

Inhaltsbereich des Lehr-<br />

Lernsystems<br />

Die entwickelte Konzeption zeichnet sich<br />

durch folgende Merkmale aus:<br />

• Modulare Inhaltsaufbereitung: Die Inhalte<br />

sollen als Module konzipiert werden, die<br />

dann in einer "Wissensbasis" zusammengesteckt<br />

werden können.<br />

• Sachlogische hierarchisch vernetzte<br />

Gr<strong>und</strong>struktur: Die hierarchische Gr<strong>und</strong>struktur<br />

soll die Orientierung der Nutzer<br />

<strong>und</strong> Nutzerinnen <strong>im</strong> Informationsbestand<br />

unterstützen. Die Vernetzungen sollen ein<br />

eigengesteuertes Vorgehen erleichtern<br />

<strong>und</strong> Querbezüge aufzeigen.<br />

• Informationsbündel statt Informationsknoten:<br />

Zu jedem Thema gibt es verschiedene<br />

Informationsangebote wie Theorie,<br />

Anwendungsbeispiele, Anregung zur aktiven<br />

Auseinandersetzung mit den Inhalten,<br />

Hinweise auf weiterführende Literatur,<br />

Links ins <strong>Internet</strong> usw. Dadurch soll eine<br />

Verzahnung theoretischer Informationen


insbesondere mit Anwendungssituationen<br />

<strong>und</strong> Anregungen zur aktiven Auseinandersetzung<br />

mit den dargestellten Inhalten erreicht<br />

werden<br />

• Selbsterklärende Informationseinheiten:<br />

Soll ein eigengesteuertes Vorgehen möglich<br />

sein, so sind aus sich heraus verständliche<br />

Informationseinheiten eine wesentliche<br />

Voraussetzung.<br />

Diese Struktur wird innerhalb des Lehr- Lernsystems<br />

auf dem Bildschirm visualisiert: Ein<br />

Schreibtisch visualisiert die Informationsbündel<br />

(s. Abb. 1). Hier können Theorie, Anwendungsbeispiele,<br />

Anregungen zu Aktivitäten,<br />

Links ins <strong>Internet</strong>, Literaturhinweise, usw.<br />

"einsortiert" werden. Die hierarchisch vernetzte<br />

Struktur der Module spiegelt sich in<br />

dem Menü wieder (s. Abb. 2). Die Navigation<br />

<strong>im</strong> Informationsbaum füllt den Schreibtisch<br />

dann kontextabhängig mit Inhalten.<br />

Konstruktiv arbeiten mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> Methoden der Content-Erstellung<br />

Abb. 5: entwickelte Gr<strong>und</strong>struktur am Beispiel des Themas "Konzepte zur Bruchrechnung" (Th=Theorie,<br />

Bsp=Beispiel, Akt=Anregung zu Aktivitäten, Lin=Links ins <strong>Internet</strong>, Lit=Hinweis auf Quellen)<br />

5 Die entwickelte Methode<br />

Die entwickelte Methode ist als eine Schrittfür-Schritt-Anleitung<br />

konzipiert. Sie kann also<br />

in aufeinander folgenden Arbeitsschritten<br />

"abgearbeitet" werden. In Abbildung 6 ist eine<br />

Übersicht über den Ablauf der Methode<br />

zu sehen. Als sinnvoll hat sich die Integration<br />

des rapid prototyping hinsichtlich der technischen<br />

Umsetzung erwiesen: der frühe Beginn<br />

der technischen Umsetzung hilft Studierenden,<br />

die Stärken aber auch Schwächen<br />

der geplanten Module zu erkennen. Deshalb<br />

sollte mit der technische Umsetzung, ähnlich<br />

wie <strong>im</strong> Blumstengel-Modell, schon in der<br />

Phase der Planung begonnen werden.<br />

Die entwickelte Methode integriert das concept<br />

mapping als Planungshilfsmittel für die<br />

Strukturierung des Angebotes <strong>und</strong> greift Elemente<br />

des storyboarding auf. Die entwickelte<br />

Methode beginnt mit der Phase der Strukturierung.<br />

Abb. 6: Überblick über den Ablauf der entwickelten<br />

Methode. Die technische Umsetzung sollte<br />

früh begonnen werden.<br />

75


Astrid Ernst & Engelbert Niehaus<br />

5.1 Strukturierung<br />

In dieser Phase entwickeln die<br />

Studierenden zunächst eine<br />

concept map, mit der sie die Inhalte<br />

abgrenzen <strong>und</strong> vorstrukturieren<br />

(Schritt 1). Auf Basis der<br />

concept map entwickeln sie<br />

dann eine hierarchisch-vernetzte<br />

Struktur für die geplante Aufbereitung<br />

(Schritt 2). Dazu müssen<br />

Sie verschiedene Entscheidungen<br />

treffen: Bei welchen Beziehungen<br />

zwischen zwei Begriffen<br />

handelt es sich um Unterordnungen,<br />

bei welchen um Bezüge?<br />

Welche Begriffe sind zentral,<br />

welche nicht? Wie kann ich<br />

gleichwertige Unterthemen finden<br />

<strong>und</strong> eine st<strong>im</strong>mige Struktur<br />

aufbauen? Die Zuteilung der<br />

Begriffe zu den Kategorien erfolgt<br />

in enger Anlehnung an die<br />

OOA (objektorientierte Analyse,<br />

vgl. dazu auch Ernst 2005, Niehaus<br />

2001), eine Analysetechnik,<br />

die aus der Softwareentwicklung<br />

stammt.<br />

76<br />

Schritt 1<br />

Schritt 2<br />

Objektorientierte Themenbeschreibung "Konzepte zur Bruchrechnung"<br />

Kurzbeschreibung<br />

Wir zeigen in diesem Modul, wie Bruchzahlen unter fünf verschiedenen Konzeptionen definiert werden<br />

<strong>und</strong> wie dann mit ihnen gerechnet wird. Außerdem werden typische Schülerfehler analysiert <strong>und</strong> besprochen.<br />

In allen fünf Konzeptionen lassen sich Sätze <strong>und</strong> Regeln formulieren <strong>und</strong> exakt beweisen.<br />

Beschreibung/Unterthemen<br />

<strong>—</strong> Im Rahmen eines formalen Konzepts wird gezeigt, wie Bruchzahlen ausschließlich auf der Kenntnis<br />

der natürlichen Zahlen aufbauend behandelt werden können. In diesem Abschnitt wird ein vollständiger<br />

Kurs bis zum Beweis der Irrationalität von Wurzel 2 vorgestellt.<br />

<strong>—</strong> Das Äquivalenzklassenkonzept lehnt sich stark an die formale Theorie an. Die Überlegungen <strong>und</strong><br />

Begründungen werden allerdings exemplarisch durchgeführt.<br />

<strong>—</strong> Das Größenkonzept geht vom intuitiven Vorverständnis der Bruchzahlen als Maßzahlen aus.<br />

<strong>—</strong> Das Operatorkonzept sieht Bruchzahlen als "Zusammenbau" von Multiplikations- <strong>und</strong> Divisionsmaschinen.<br />

<strong>—</strong> Das Gleichungskonzept führt Bruchzahlen als Lösung von Gleichungen ein, also z.B. "3/4" ist die<br />

Lösung der Gleichung "4x=3".<br />

Zweck<br />

Die "sortenreine" Darstellung der fünf Konzepte stellt eine didaktische Fiktion dar. In der Schulwirklichkeit<br />

wird man keines dieser Konzepte in reiner Form antreffen; es wäre auch in keiner Weise sinnvoll,<br />

den Unterricht längs einer einzelnen Konzeption "sortenrein" zu gestalten. Die getrennte Benennung<br />

<strong>und</strong> Behandlung der Konzepte dient dem Zweck, die <strong>im</strong> Unterricht oder in Schulbüchern vorfindbaren<br />

Beispiele klassifizieren <strong>und</strong> beschreiben zu können. Ein Verständnis dessen, was ein Bruch<br />

"ist", kann aber nur als Wissensnetz zwischen den vielen verschiedenen Konzepten <strong>und</strong> ihren Ausdeutungen<br />

<strong>im</strong> Alltag aufgebaut werden.<br />

Bezug<br />

Im Modul Rechnen mit Brüchen wird gezeigt, wie die verschiedenen Themenkreise der Bruchrechnung<br />

mithilfe der verschiedenen Konzepte in der Schule behandelt werden können.<br />

Schritt 3


Ist eine st<strong>im</strong>mige Struktur gef<strong>und</strong>en, beginnt<br />

die Erstellung der Theorie-Seiten. Dazu wird<br />

zu jedem Thema der erarbeiteten Struktur<br />

eine Theorie-Seite erstellt. Ein Ziel bei der<br />

Erstellung der Seiten ist es, aus sich heraus<br />

verständliche Informationseinheiten zu erzeugen.<br />

Um dieses zu unterstützen, wurde<br />

aus der oo (objektorientierten) Analyse eine<br />

Seitenstruktur abgeleitet, die die Vollständigkeit<br />

der Seiten unterstützen soll. Jede Seite<br />

weist folgende Elemente auf (siehe Schritt 3):<br />

• eine Kurzbeschreibung, in der das Thema<br />

der Seite "definiert" wird,<br />

• einen Beschreibungs-/Unterthemen-Teil,<br />

in der das Thema der Seite ausführlicher<br />

erläutert wird <strong>und</strong> Unterthemen ggf. aufgelistet<br />

werden,<br />

• einen Zweck-Teil, in dem erläutert wird,<br />

wozu man die dargestellten Inhalte "verwenden"<br />

kann, <strong>und</strong><br />

• einen Bezüge-Teil, in dem interessante<br />

Bezüge zu anderen Themengebieten aufgelistet<br />

werden.<br />

Bei der Erstellung jeder Theorie-Seite muss<br />

auch die endgültige Verlinkungsstruktur festgelegt<br />

werden. Nach Fertigstellung aller<br />

Theorie-Seiten kann dann eine Übersichtskarte<br />

über die endgültige Modulstruktur angefertigt<br />

werden (s. Schritt 4).<br />

Konstruktiv arbeiten mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> Methoden der Content-Erstellung<br />

Schritt 4: In diesem Schritt besitzt jeder Knoten eine objektorientierte Themenbeschreibung.<br />

Durch die Erstellung der oo Themenbeschreibungen<br />

verändert sich u. U. auch die Baumstruktur.<br />

5.2 Informationsformen<br />

In dieser Phase konzipieren die Studierenden<br />

Anwendungsbeispiele, Anregungen zu<br />

Aktivitä-ten, Links ins <strong>Internet</strong>, weiterführende<br />

Literaturhinweise usw. Dazu finden sie in<br />

der zur Methode gehörigen Dokumentation<br />

Hilfestellungen <strong>und</strong> Beispiele. Die Konzep-<br />

tion der Informationsformen<br />

ist eng verb<strong>und</strong>en<br />

mit der nächsten<br />

Arbeitsphase, in der<br />

passende Medien ausgewählt<br />

werden.<br />

5.3 Medieneinsatz<br />

In dieser Phase wählen<br />

die Studierenden zu<br />

den konzipierten Informationsformengeeignete<br />

Medien aus.<br />

Dabei sollen Erkenntnisse<br />

aus der Mediendidaktik<br />

berücksichtigt<br />

werden, wie z.B. die<br />

besondere Eignung von Videos oder An<strong>im</strong>ationen<br />

für die Veranschaulichung von Prozessen.<br />

Insbesondere soll ein "zweck-loser"<br />

Medieneinsatz vermieden werden.<br />

5.4 Textliche Umsetzung<br />

Nun werden die Textteile der geplanten Dokumente<br />

hinsichtlich ihrer <strong>Internet</strong>-Tauglichkeit<br />

überarbeitet. Dazu gehört z.B. die<br />

Formulierung von kurzen, gut verständlichen<br />

Sätzen, die Fett-Markierung von Schlüsselwörtern,<br />

die Verwendung von Hints <strong>und</strong> Popup-Fenstern,<br />

aber auch Aspekte des Web-<br />

Designs wie die Auswahl von Schrifttypen<br />

<strong>und</strong> die Verwendung von Lay-out-Vorlagen.<br />

5.5 Technische Umsetzung<br />

Wie schon zuvor erläutert, sollte die technische<br />

Umsetzung den gesamten Entwicklungsprozess<br />

begleiten. In der zugehörigen<br />

Dokumentation werden in diesem Teil die relevanten<br />

Aspekte der technischen Realisierung<br />

behandelt.<br />

6 Anwendungsszenarien<br />

für den rezeptiven <strong>und</strong><br />

konstruktiven Umgang<br />

mit einer internetbasierten<br />

Wissensbasis<br />

Wie kann eine konstruktive Nutzung eines<br />

Lehr-Lernsystems durch <strong>Lernen</strong>de <strong>im</strong> Rahmen<br />

der Lehramtsausbildung aufgebaut werden?<br />

77


Astrid Ernst & Engelbert Niehaus<br />

Innerhalb der universitären Ausbildung erfolgt<br />

zunächst die Einführung in den rezeptiven<br />

Umgang mit einem Informationssystem<br />

mit dem Ziel, sich mit der Wissensbasis vertraut<br />

zu machen <strong>und</strong> diese ausbildungsbegleitend<br />

als Informationsressource zu nutzen.<br />

Beispielsweise können die <strong>im</strong> MADIN-Projekt<br />

erstellten Inhalte direkt aus dem Informationssystem<br />

entnommen <strong>und</strong> in Vorlesungen<br />

eingesetzt werden.<br />

In Seminaren wird diese Aufgabenstellung<br />

durch Inhaltsproduktionen der Studenten/innen<br />

erweitert. Dies beinhaltet das Zusammenstellen<br />

professionell erstellter Inhalte in<br />

einem persönlichen Arbeitsbereich <strong>und</strong> die<br />

Ergänzung von zusätzlichen selbst erstellten<br />

Inhalten. Die Ausbildung zielt in dieser Phase<br />

bereits darauf ab, die Trennung von Autoren/innen<br />

<strong>und</strong> Lesern/innen aufzuheben.<br />

Persönliche Bedürfnisse <strong>und</strong> Erfahrungen in<br />

Unterrichtspraktika best<strong>im</strong>men dabei ebenfalls<br />

die Wissensorganisation <strong>und</strong> die Adaption<br />

von Inhalten. Professionell erstellte Inhalte<br />

können in einem persönlichen Arbeitsbereich<br />

durch eigene Dokumente ergänzt bzw.<br />

ersetzt werden, ohne die Originaldokumente<br />

zu verändern. Im Zusammenhang mit der Erstellung<br />

von Projekten eröffnet internetbasierte<br />

Wissensrepräsentation zudem die<br />

Möglichkeit, kooperativ in der Lehrerbildung<br />

zu arbeiten <strong>und</strong> internetbasierte Projektentwicklung<br />

<strong>im</strong> Team zu erlernen. Im<br />

Folgenden werden die Anwendungsszenarien<br />

in den unterschiedlichen<br />

Ausbildungsphasen kurz skizziert. Alle<br />

bisherigen Erprobungen dieses<br />

Konzeptes fanden in Münster auf der<br />

Basis der SIMLA-Software statt.<br />

78<br />

dem Informationssystem. Studierende des<br />

Lehramts sollen in die Lage versetzt werden,<br />

Informationen zur Vorlesung zu recherchieren.<br />

Szenario 2:<br />

Nutzer: Studierendengruppe<br />

Nutzungsform: rezeptiv & konstruktiv <strong>—</strong> in<br />

Seminaren<br />

Nutzungsziel: Vorbereitung von Seminarvorträgen<br />

In einem Seminar bereiten die Studierenden<br />

in Gruppen einen Seminarvortrag vor. Dazu<br />

ist wie be<strong>im</strong> vorlesungsbegleitenden Einsatz<br />

auch die Fähigkeit zur Informationsrecherche<br />

notwendig. Professionell erstellte Inhalte<br />

werden entsprechend dem Vortragsthema in<br />

einem Arbeitsbereich zusammengestellt. Hinzu<br />

kommt, dass die Studierenden einen ersten<br />

Kontakt zur Inhaltserzeugung erhalten.<br />

Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Organisation<br />

des Wissensnetzes mit Hilfe von mind<br />

mapping <strong>und</strong> in Anfängen auch mit Hilfe der<br />

objektorientierten Themenanalyse <strong>und</strong> anschließender<br />

Umsetzung in vernetzte html-<br />

Dokumente. Eine von einer Studierendengruppe<br />

<strong>im</strong> Rahmen eines Seminars entwickelte<br />

Strukturierung ist in Abbildung 7 zu<br />

sehen.<br />

Szenario 1:<br />

Nutzer: Studierende<br />

Nutzungsform: rezeptiv <strong>—</strong> in Vorlesungen<br />

<strong>und</strong> zur Nachbereitung<br />

Nutzungsziel: ausbildungsbegleiten-<br />

Abb. 7: Von Studierenden <strong>im</strong> Rahmen eines Seminars erde<br />

Informationsrecherche<br />

stellte Strukturierung als Planung für eine <strong>Internet</strong>-Aufberei-<br />

In der Vorlesung werden Materialien tung des Themas<br />

wie An<strong>im</strong>ationen, Videos <strong>und</strong> HTML-<br />

Seiten für die Darstellung von Inhalten <strong>und</strong><br />

für Aufgabenstellungen für die Studierenden Szenario 3:<br />

verwendet. Der/die Studierende wird mit der Nutzer: Studierende<br />

Arbeitsumgebung vertraut gemacht Nach der<br />

Nutzungsform: konstruktiv <strong>—</strong> in Examens-<br />

Vorlesung können die Studierenden mit dem<br />

arbeiten<br />

aus der Vorlesung bekannten Navigationssystem<br />

auf die Information der Vorlesung on- Nutzungsziel: Erstellung <strong>und</strong> Einbettung der<br />

line zugreifen <strong>und</strong> zusätzliche Quellen zur Examensarbeit in ein Informationssystem<br />

Nachbereitung nutzen. Durch diese rezeptive Lehramtsstudierende fertigen <strong>im</strong> Rahmen der<br />

Arbeit bekommt der/die Studierende eine Prüfungsleistungen zum ersten Staatsexa-<br />

Vorstellung von der Wissensrepräsentation in men eine Hausarbeit zu einem best<strong>im</strong>mten


Thema an. Im Gegensatz zu Seminararbeiten,<br />

die bereits konstruktive Elemente enthielten,<br />

können bei der Erstellung von Examensarbeiten<br />

alle Aufbereitungsschritte von<br />

der objektorientierten Strukturierung <strong>und</strong> Seitenerstellung<br />

über die Konzeption der Informationsformen<br />

bis hin zur Medienauswahl<br />

berücksichtigt werden. Eine Ausarbeitung eines<br />

Inhaltes für ein internetbasiertes System<br />

erfordert die Einbettung eines erarbeiteten<br />

Inhaltes in eine bestehende Wissensstruktur.<br />

Bezogen auf eine internetbasierte Wissensrepräsentation<br />

enthält eine Examensarbeit<br />

daher drei wesentliche Bestandteile:<br />

• Den in die Wissensbasis einzubettenden<br />

Inhalt, der in der Examensarbeit ausgearbeitet<br />

wurde.<br />

• Die Analyse des Informationskontextes<br />

der Wissensbasis, in den der Inhalt eingebettet<br />

wird.<br />

• Die Dokumentation der Einbettung <strong>und</strong><br />

der notwendigen Anpassungen des Informationskontextes,<br />

in den der Inhalt eingebettet<br />

wurde.<br />

Szenario 4:<br />

Nutzer: Referendare<br />

Nutzungsform: rezeptiv & konstruktiv<br />

Nutzungsziel: Vorbereitung von Unterrichtsentwürfen<br />

mit kooperativer Planung<br />

Die Planung von Unterricht erfordert die Einarbeitung<br />

in didaktisches Wissen über die<br />

jeweiligen Unterrichtsinhalte. Dafür können<br />

die notwendigen Inhalte in den persönlichen<br />

Arbeitsbereich eingebettet werden. An Schulen<br />

müssen Referendare nach einer Einarbeitungsphase<br />

bedarfsdeckenden Unterricht<br />

erteilen. In dieser Phase ist der Betreuungsaufwand<br />

durch Mentoren min<strong>im</strong>al. Eine kooperative<br />

Planung <strong>und</strong> eine Weiterentwicklung<br />

von Unterrichtsideen in einer Gruppe<br />

kann durch die Verteilung der Referendare<br />

auf unterschiedliche Schulen durch eine internetbasierte<br />

kooperative Planung unterstützt<br />

werden.<br />

Szenario 5:<br />

Nutzer: Schülergruppen<br />

Nutzungsform: rezeptiv & konstruktiv<br />

Nutzungsziel: kooperative Projektplanung<br />

<strong>und</strong> Projektdokumentation<br />

Werden Unterrichtsprojekte durchgeführt, so<br />

können Schülergruppen für ihr Teilprojekt bereitgestellte<br />

Informationen in ihren Gruppenarbeitsbereich<br />

einbetten, wenn sie dieses für<br />

Konstruktiv arbeiten mit dem <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> Methoden der Content-Erstellung<br />

wesentlich erachten. Neben der rezeptiven<br />

Arbeit in den Teilprojekten können sich Schüler/innen<br />

bei online dokumentierten Inhalten<br />

jederzeit über den Stand der anderen Teilprojekte<br />

informieren <strong>und</strong> ihre Arbeit bei Veränderungen<br />

ggf. schnell anpassen. Die konstruktive<br />

Arbeit der Schülergruppen beinhaltet<br />

die Dokumentation des eigenen Teilprojektes,<br />

wie das Sammeln, Auswerten <strong>und</strong> Interpretieren<br />

von Daten.<br />

7 Fazit<br />

Die vorangegangenen Abschnitte zeigen einige<br />

Möglichkeiten <strong>und</strong> Wege eines konstruktiven<br />

Umgangs mit einer online verfügbaren<br />

Wissensbasis <strong>im</strong> Rahmen einer internetbasierten<br />

Lehrerausbildung auf. Die Anpassung<br />

von Lerninhalten an eine Lerngruppe<br />

ist eine gr<strong>und</strong>legende Fähigkeit, die Lehrer/innen<br />

in ihrer alltäglichen Arbeit benötigen.<br />

Die Entwicklung <strong>und</strong> der Ausbau dieser<br />

Fähigkeit sollte durch die Ermöglichung einer<br />

personalisierten Wissensorganisation <strong>und</strong><br />

-aufbereitung <strong>im</strong> Bereich der internetgestützten<br />

Lehrerausbildung die gesamte Lehrerausbildung<br />

durchziehen. Sie kann bei der<br />

Wissensorganisation von Studierenden <strong>und</strong><br />

Dozenten/innen für Vorlesungen <strong>und</strong> Seminaren<br />

beginnen <strong>und</strong> über die kooperative Unterrichtsplanung<br />

von Referendaren bis hin<br />

zur Planung <strong>und</strong> Dokumentation von Projekten<br />

in Schulen führen, bei denen Schülergruppen<br />

eigene Teilprojekte dokumentieren<br />

<strong>und</strong> mit anderen Schülergruppen ihre Ergebnisse<br />

abst<strong>im</strong>men. Die Recherche in einem internetbasierten<br />

Informationssystem, die individuelle<br />

Organisation der für die <strong>Lernen</strong>den<br />

wesentlichen Inhalte <strong>und</strong> das Ergänzen persönlicher<br />

Inhalte hat die folgende Zielsetzung:<br />

• Die <strong>Lernen</strong>den sollen ihr eigenes Wissen<br />

<strong>im</strong> Verlaufe ihrer Ausbildung durchgängig<br />

organisieren <strong>und</strong> erweitern lernen.<br />

• Die <strong>Lernen</strong>den sollen lernen, Inhalte so zu<br />

strukturieren <strong>und</strong> aufzubereiten, dass sie<br />

wiederum für andere gut lernbar sind.<br />

• Die <strong>Lernen</strong>den sollen sicher <strong>im</strong> Umgang<br />

mit <strong>Internet</strong> <strong>und</strong> digitalen Medien werden.<br />

• Die <strong>Lehren</strong>den bereiten Lerninhalte für<br />

Lerngruppen auf <strong>und</strong> stellen damit für die<br />

<strong>Lernen</strong>den einen Rahmen für die Unterstützung<br />

von individuellen Lernprozessen<br />

bereit (Dozent für Studierende oder Referendar/Lehrer<br />

für Schüler oder Fachleiter<br />

für Referendare).<br />

79


Astrid Ernst & Engelbert Niehaus<br />

Für die Organisation des eigenen Wissens ist<br />

es notwendig, Methoden für die Strukturierung<br />

von Inhalten bereitzustellen. Inhalte hypermedial<br />

so aufzubereiten, dass sie für andere<br />

gut erlernbar sind, stellt außerdem besondere<br />

Anforderungen an die Autoren <strong>und</strong><br />

Autorinnen. Das entwickelte Modell für die<br />

Aufbereitung von Inhalten (s. Ernst 2005)<br />

stellt diese Methoden zur Verfügung. Es unterstützt<br />

die Studierenden dabei, Inhalte modularisiert<br />

<strong>und</strong> vernetzt aufzubereiten, in Verbindung<br />

zu Anwendungssituationen zu stellen<br />

<strong>und</strong> die späteren Nutzer/innen zur aktiven<br />

Auseinandersetzung mit den Inhalten anzuregen.<br />

Unterstützt werden die Autoren/innen<br />

dabei durch das darauf abgest<strong>im</strong>mte Lehr-<br />

Lernsystem, das die angestrebte Strukturierung<br />

durch den Schreibtisch visualisiert <strong>und</strong><br />

somit ein Gerüst für die Integration eigener<br />

Inhalte in die Wissensbasis liefert.<br />

Bei der Integration einer internetbasierten<br />

Wissensorganisation in die Lehramtsausbildung<br />

wird der angehende Lehrer/ die angehende<br />

Lehrerin vom rezeptiven Einsatz in<br />

Vorlesungen zu einer konstruktiven Arbeit mit<br />

einer Wissensbasis in Seminaren, Examensarbeiten<br />

<strong>und</strong> Referendariat geführt. Die dabei<br />

gesammelten mediendidaktischen Erfahrungen<br />

dienen be<strong>im</strong> Wechsel von der lernenden<br />

in die lehrende Rolle dazu, selbst Wissen <strong>im</strong><br />

schulischen Zusammenhang für Schüler <strong>und</strong><br />

Schülerinnen internetbasiert bereit zu stellen<br />

<strong>und</strong> z.B. in einer Projektarbeit eigenverantwortliches<br />

Wissensmanagment bei den<br />

Schülergruppen zu initiieren.<br />

Insgesamt ist festzustellen, dass die Dynamik<br />

<strong>und</strong> kooperative Weiterentwicklung "unfertiger<br />

Inhalte" eine sinnvolle <strong>und</strong> wichtige<br />

Ergänzung zu der Nutzung "fertiger Inhalte"<br />

<strong>im</strong> Rahmen einer internetbasierte Lehrerbildung<br />

darstellt.<br />

Literatur<br />

Buzan Centres homepage:<br />

http://www.mind-map.com<br />

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� Didaktische Aspekte der Einbeziehung von<br />

Elementen der 3D-Computergrafik in das<br />

Stoffgebiet Analytische Geometrie<br />

Andreas Filler, Berlin<br />

Die engen Beziehungen zwischen der 3D-Computergrafik <strong>und</strong> der Analytischen Geometrie<br />

können für eine anschaulichere <strong>und</strong> attraktivere Gestaltung des Stoffgebietes Analytische<br />

Geometrie in der SII genutzt werden. In diesem Beitrag werden Erfahrungen bei<br />

der Nutzung einer skriptgesteuerten 3D-Grafiksoftware für den Einstieg <strong>und</strong> die Visualisierung<br />

von traditionellen Inhalten dieses Stoffgebietes beschrieben. Weitere Möglichkeiten<br />

der Einbeziehung der Computergrafik sind u.a. die Beschreibung von Farben durch<br />

Vektoren <strong>und</strong> die Funktionsweise der Bildberechnung in 3D-Grafikprogrammen. Letztere<br />

beruht wesentlich auf dem Reflexionsgesetz, dessen analytische Formulierung für den<br />

Raum das Skalarprodukt sowie Normaleneinheitsvektoren benötigt.<br />

1 Warum 3D-Computergrafik<br />

<strong>im</strong> Stoffgebiet Analytische<br />

Geometrie?<br />

Über die Bedeutung der Analytischen Geometrie<br />

für die Allgemeinbildung bestehen<br />

kaum Zweifel. Die Autoren der Expertise<br />

(Borneleit u.a. 2001) sehen den allgemeinbildende<br />

Wert der Analytischen Geometrie in<br />

"ihren mächtigen Methoden <strong>und</strong> interessanten<br />

Objekten zur Erschließung des uns umgebenden<br />

Raumes" (S. 81). In den Einheitlichen<br />

Prüfungsanforderungen <strong>im</strong> Fach <strong>Mathematik</strong><br />

von 2002 wird hervorgehoben, dass<br />

dem Gebiet Lineare Algebra / Analytische<br />

Geometrie "unverändert zentrale Bedeutung<br />

zu(kommt)" (EPA 2002, 3).<br />

In den Curricula <strong>und</strong> in der weitläufig verbreiteten<br />

Unterrichtspraxis des Stoffgebietes<br />

"Analytische Geometrie" bestehen jedoch<br />

einige gravierende Defizite (vgl. Borneleit<br />

u.a. 2001, Schupp 2000, u.a.):<br />

• Durch die weitgehende Beschränkung auf<br />

lineare geometrische Objekte (Geraden<br />

<strong>und</strong> Ebenen) kennzeichnet eine Armut an<br />

Formen den Unterricht.<br />

• Die Untersuchung interessanter geometrischer<br />

Objekte wird zugunsten der Demonstration<br />

von Methoden vernachlässigt.<br />

Die Leistungsfähigkeit von Abstraktionen<br />

(Vektorbegriff), Beschreibungen (<strong>im</strong>plizite<br />

Gleichungen, Parameterdarstellungen)<br />

<strong>und</strong> Verfahren (Zurückführung von<br />

Schnittmengen auf Lösungsmengen von<br />

Gleichungssystemen) wird dadurch nicht<br />

genügend nachvollziehbar.<br />

• Es besteht ein Mangel an "echten", für die<br />

Schüler nachvollziehbaren Anwendungen<br />

sowie an stoffgebiets- <strong>und</strong> fächerübergreifenden<br />

Bezügen.<br />

• F<strong>und</strong>amentale Ideen des <strong>Mathematik</strong>unterrichts,<br />

die in der Analytischen Geometrie<br />

besonders behe<strong>im</strong>atet sein müssten,<br />

wie Koordinatisieren <strong>und</strong> räumliches<br />

Strukturieren, kommen ungenügend zur<br />

Geltung; der Bedeutung der Analytischen<br />

Geometrie für die Modellierung räumlicher<br />

Strukturen kann nur in Ansätzen entsprochen<br />

werden.<br />

• Der Unterricht ist durch eine starke Dominanz<br />

kalkülhaften Arbeitens gekennzeichnet.<br />

Die Darstellung <strong>und</strong> Untersuchung<br />

geometrischer Gebilde tritt häufig in den<br />

Hintergr<strong>und</strong> zugunsten des formalen Lösens<br />

von linearen Gleichungssystemen.<br />

Besonders gravierend wirken sich diese Probleme<br />

in Gr<strong>und</strong>kursen aus, in denen anspruchsvollere<br />

algebraisch-strukturelle Überlegungen<br />

kaum durchgeführt werden. Der<br />

Unterricht reduziert sich dadurch oft weitgehend<br />

auf das Lösen von Standardaufgaben.<br />

Die Einbeziehung der 3D-Computergrafik in<br />

den Unterricht der Analytischen Geometrie<br />

bietet die Möglichkeit, dieses Stoffgebiet zu<br />

"geometrisieren", den Modellierungsaspekt<br />

zu stärken <strong>und</strong> den Unterricht attraktiver zu<br />

gestalten. Mit der Einbeziehung von Elementen<br />

der 3D-Computergrafik werden vor allem<br />

folgende Ziele verfolgt:<br />

• Ergänzung der algebraischen Untersuchung<br />

geometrischer Objekte <strong>und</strong> Relationen<br />

durch Visualisierungen.<br />

81


Andreas Filler<br />

• Sichtbarmachen der Anwendungsrelevanz<br />

der Analytischen Geometrie auf einem<br />

Gebiet, das für viele Schüler sehr attraktiv<br />

ist.<br />

• Die Schüler erkennen bei der praktischen<br />

Arbeit an computergrafischen Darstellungen<br />

die Notwendigkeit, geometrische Objekte<br />

durch Koordinaten zu beschreiben,<br />

Gleichungen aufzustellen <strong>und</strong> Koordinaten<br />

parameterabhängig anzugeben.<br />

• Einbeziehung heuristischer <strong>und</strong> exper<strong>im</strong>enteller<br />

Arbeitsweisen in den Unterricht.<br />

• Größere Formenvielfalt durch Betrachtung<br />

nicht mehr <strong>im</strong> Unterricht vorkommender<br />

nichtlinearer geometrischer Objekte durch<br />

den mittels CG-Software möglichen visuellen<br />

<strong>und</strong> exper<strong>im</strong>entellen Zugang.<br />

• Ermöglichen stoffgebiets- <strong>und</strong> fächerübergreifender<br />

Bezüge (Analysis, Physik, Informatik,<br />

Kunst).<br />

• Motivierung durch den ästhetischen Reiz<br />

3D-computergrafischer Darstellungen.<br />

Im Gegensatz zu anderen Einsatzgebieten<br />

des Computers <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

kann die 3D-Computergrafik nicht nur als<br />

Hilfsmittel für den Unterricht dienen, sondern<br />

auch als Unterrichtsgegenstand den Schülern<br />

die Bedeutung <strong>und</strong> Nützlichkeit der Analytischen<br />

Geometrie an einem praxisrelevanten<br />

<strong>und</strong> interessanten Gegenstand verdeutlichen.<br />

Die Schüler können dabei mathematische<br />

Modelle (z.B. der Lichtausbreitung in<br />

der Realität) erarbeiten <strong>und</strong> deren Nutzen in<br />

für sie interessanten computergrafischen<br />

Anwendungen erleben.<br />

Bereits die Veranschaulichung von geometrischen<br />

Objekten <strong>und</strong> Lagebeziehungen mithilfe<br />

einer Grafiksoftware kann die überwiegend<br />

rechnerisch betriebene Analytische Geometrie<br />

sinnvoll visuell ergänzen. Die 3D-Computergrafik<br />

bietet jedoch mehr Möglichkeiten für<br />

eine interessantere Gestaltung des Stoffgebietes.<br />

Diese können allerdings nur zum Tragen<br />

kommen, wenn <strong>—</strong> gegenüber der aktuell<br />

praktizierten, meist von algebraischen Überlegungen<br />

ausgehenden Herangehensweise<br />

an das Stoffgebiet <strong>—</strong> Ausgangs- <strong>und</strong><br />

Schwerpunkte bei der Behandlung der Analytischen<br />

Geometrie modifiziert werden. Insbesondere<br />

ist dazu eine Prioritätensetzung zugunsten<br />

geometrischer Inhalte <strong>und</strong> Herangehensweisen<br />

gegenüber algebraischen<br />

Aspekten notwendig. In diese Richtung gehende<br />

Forderungen sind auch unabhängig<br />

von computergrafischen Inhalten u.a. von<br />

Schupp (2000) gestellt worden.<br />

82<br />

In diesem Beitrag gehe ich auf vier Gebiete<br />

der Einbeziehung von Elementen der 3D-<br />

Computergrafik in den Unterricht der Analytischen<br />

Geometrie ein:<br />

1. Einstieg in das Stoffgebiet über die Beschreibung<br />

von Körpern <strong>im</strong> Raum durch<br />

Koordinaten <strong>und</strong> die darauf basierende<br />

Modellierung von Objekten in einer 3D-<br />

Grafiksoftware,<br />

2. Nutzung einer Grafiksoftware zur Visualisierung<br />

herkömmlicher Inhalte des Stoffgebietes,<br />

3. Computergrafik <strong>und</strong> Vektorbegriff, Beschreibung<br />

von Farben durch Vektoren,<br />

4. Skalarprodukt <strong>und</strong> Normalenvektoren als<br />

zentrale mathematische Gr<strong>und</strong>lagen der<br />

3D-Computergrafik. 1<br />

2 Rahmenbedingungen<br />

Neben Vorschlägen zur Einbeziehung von<br />

Elementen der 3D-Computergrafik in den Unterricht<br />

werde ich in diesem Beitrag auf erste<br />

Erfahrungen eingehen, die ich damit in einem<br />

Unterrichtsversuch gesammelt habe, der <strong>im</strong><br />

Herbst 2003 in einem Gr<strong>und</strong>kurs ma-13 in<br />

Berlin-Friedrichshain stattfand. Bei der<br />

Durchführung des Unterrichtsversuches<br />

mussten natürlich die Vorgaben des Rahmenplanes<br />

berücksichtigt werden. Im Rahmenplan<br />

des Landes Berlin [4] tritt die Analytische<br />

Geometrie an drei Stellen auf.<br />

Am Ende von Klasse 11 sind 30 St<strong>und</strong>en für<br />

das Stoffgebiet Analytische Geometrie vorgesehen;<br />

dabei werden Punkte <strong>und</strong> Vektoren<br />

<strong>im</strong> kartesischen Koordinatensystem <strong>und</strong> Abstände<br />

von Punkten behandelt. Die Schüler<br />

sollen mit Vektoren rechnen <strong>und</strong> Geraden <strong>im</strong><br />

R 2 durch Gleichungen beschreiben. Am Ende<br />

der Klassenstufe 12 <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>kurs ma-2 sind<br />

15 Unterrichtsst<strong>und</strong>en für lineare Gleichungssysteme,<br />

dabei vor allem für die Behandlung<br />

des Gauß-Algorithmus, best<strong>im</strong>mt. In vielen<br />

Fällen wird jedoch weder am Ende von Klasse<br />

11 noch am Ende von Klasse 12 die vorgesehene<br />

Zeit für die Analytische Geometrie<br />

bzw. die Behandlung linearer Gleichungssysteme<br />

aufgewendet, da diese Stoffgebiete jeweils<br />

am Ende des Schuljahres liegen <strong>und</strong><br />

oft aufgr<strong>und</strong> von Verzögerungen verkürzt<br />

werden. Auch in dem Kurs ma-3, in dem der<br />

hier beschriebene Schulversuch stattfand,<br />

1 Damit sind nicht alle sinnvollen Bezüge zwischen der 3D-Computergrafik<br />

<strong>und</strong> dem Unterricht in Analytischer Geometrie erfasst.<br />

Ausführungen zu weiteren Aspekten, wie z.B. der visuellen Untersuchung<br />

von Kegelschnitten sowie von Flächen des Raumes, sind<br />

z.B. in Filler 2001 <strong>und</strong> 2002 enthalten.


ergaben Überprüfungen am Anfang des Kurses<br />

sehr lückenhafte Kenntnisse; <strong>—</strong> der Vektorbegriff<br />

z.B. wurde von den Schülern vor allem<br />

mit seiner aus der Physik bekannten Bedeutung<br />

für die Beschreibung von Kräften<br />

assoziiert.<br />

Schwerpunktmäßig wird die Analytische Geometrie<br />

nach dem Berliner Rahmenplan am<br />

Anfang des 13. Schuljahres (<strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>kurs<br />

ma-3) behandelt; dabei sind folgende Themen<br />

vorgesehen:<br />

• Skalarprodukt von Vektoren, Rechenregeln,<br />

• Längen- <strong>und</strong> Winkelgrößen, Orthogonalität,<br />

• Geraden- <strong>und</strong> Ebenengleichungen in Parameter-<br />

<strong>und</strong> Koordinatenform,<br />

• Hessesche Normalenform der Ebenengleichung,<br />

• Lagebeziehungen, Schnittpunkte <strong>und</strong> -geraden,<br />

• Abstandsberechnungen (Punkt – Gerade,<br />

Punkt – Ebene),<br />

• Schnittwinkelberechnungen,<br />

• Gleichung der Kugel in allgemeiner Lage.<br />

2<br />

Der Berliner Rahmenplan zeigt die typische<br />

Ausrichtung bei der Behandlung der Analytischen<br />

Geometrie in Gr<strong>und</strong>kursen: Mit Ausnahme<br />

der Kugel (für deren Behandlung zudem<br />

oft keine Zeit bleibt) werden als geometrische<br />

Objekte lediglich Geraden <strong>und</strong> Ebenen<br />

betrachtet. Der Unterricht wird durch die Berechnung<br />

von Schnittpunkten <strong>und</strong> -geraden,<br />

Skalarprodukten sowie Längen <strong>und</strong> Winkelgrößen<br />

dominiert; <strong>—</strong> es bildet sich ein auch<br />

als "Aufgabeninseln" (Tietze u.a. 2000, 100)<br />

bezeichneter enger Kanon an Standardaufgaben<br />

heraus.<br />

Wie bereits dargelegt, erfordert jedoch eine<br />

geometrisch orientierte Behandlung der Analytischen<br />

Geometrie <strong>und</strong> die Einbeziehung<br />

von Elementen der Computergrafik die Betrachtung<br />

einer größeren Vielfalt von Objekten<br />

an Stelle der sehr ausführlichen Anwendung<br />

algebraischer Verfahren auf nur sehr<br />

wenige Objekte. Sollen die oben genannten<br />

Ziele in regulären Kursen unter Berücksichtigung<br />

der heute gültigen Rahmenpläne realisiert<br />

werden, so ist es notwendig, einen<br />

Kompromiss zwischen stärker koordinatenbezogenen<br />

geometrischen Überlegungen<br />

<strong>und</strong> der geforderten algebraisch orientierten<br />

2 Diese Aufzählung spiegelt natürlich nicht die Reihenfolge der Behandlung<br />

<strong>im</strong> Unterricht wider; vielmehr ist eine verzahnte Behandlung<br />

der genannten Stoffinhalte vorgesehen.<br />

Didaktische Aspekte der Einbeziehung von Elementen der 3D-Computergrafik<br />

Untersuchung von Geraden <strong>und</strong> Ebenen zu<br />

finden. Um die Anknüpfung an die Geometrie<br />

der Sek<strong>und</strong>arstufe I herzustellen, bietet es<br />

sich an, geometrische Gr<strong>und</strong>körper zu betrachten<br />

<strong>und</strong> durch Koordinaten zu beschreiben.<br />

Damit kann gleichzeitig der Einstieg in<br />

die Arbeit mit einer koordinatenorientierten<br />

3D-Grafiksoftware gef<strong>und</strong>en werden.<br />

3 Koordinatengeometrie als<br />

Gr<strong>und</strong>lage der Modellierung<br />

von Objekten<br />

Die Nutzung einer dreid<strong>im</strong>ensionalen Grafiksoftware<br />

eröffnet gute Visualisierungsmöglichkeiten<br />

für eine koordinatenbezogene<br />

Raumgeometrie. Gleichzeitig "zwingt" <strong>—</strong> falls<br />

eine skriptgesteuerte Software verwendet<br />

wird <strong>—</strong> der Wunsch, 3D-Computergrafiken<br />

zu erstellen, zur Beschreibung von Objekten<br />

durch Koordinaten. Ein gut geeignetes Programm<br />

ist die Freeware POV-Ray [3]. POV-<br />

Ray ermöglicht sehr hochwertige, fotorealistische<br />

Ergebnisse <strong>und</strong> steht in dieser Hinsicht<br />

kommerziellen Programmen, die für die<br />

Produktion computergenerierter Spielfilme<br />

benutzt werden, nicht nach. Jedoch müssen<br />

Objekte bei POV-Ray mithilfe einer Skriptsprache<br />

durch Koordinaten modelliert werden;<br />

<strong>—</strong> die Erstellung <strong>und</strong> Positionierung<br />

mithilfe der Maus ist nicht möglich. Insofern<br />

erfordert die Erzeugung von Computergrafiken<br />

mit POV-Ray tatsächlich die Beschäftigung<br />

mit der Analytischen Geometrie; <strong>—</strong> diese<br />

Tatsache erweist sich be<strong>im</strong> Einstieg in<br />

das Stoffgebiet in Klasse 13 als nützlich.<br />

Da allerdings dreid<strong>im</strong>ensionale Szenen nicht<br />

nur aus geometrischen Objekten bestehen,<br />

sondern auch die Beschreibung einer Kamera<br />

<strong>und</strong> von Lichtquellen erfordern (siehe z.B.<br />

Filler 2001 <strong>und</strong> 2002) ist der Einstieg in POV-<br />

Ray recht komplex <strong>und</strong> würde den zur Verfügung<br />

stehenden zeitlichen Rahmen sprengen.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong>e habe ich Vorlagen<br />

entwickelt, bei denen Kameras <strong>und</strong> Lichtquellen<br />

bereits vorbereitet sind <strong>und</strong> außerdem<br />

sehr leicht ein die Orientierung erleichterndes<br />

Koordinatenkreuz in Szenen eingefügt<br />

werden kann. 3<br />

Unter Verwendung der Vorlagen können die<br />

Schüler recht schnell einfache geometrische<br />

Körper modellieren, <strong>im</strong> Raum positionieren<br />

<strong>und</strong> entsprechende Grafiken erzeugen. Nach<br />

einer kurzen Diskussion, durch welche Punkte<br />

<strong>und</strong> Größen Kugeln, Kegelstümpfe <strong>und</strong><br />

3 Die Vorlagen, eine kurze Anleitung für ihre Nutzung <strong>und</strong> einige<br />

Beispiele stehen auf der <strong>Internet</strong>seite [1] zur Verfügung.<br />

83


Andreas Filler<br />

Zylinder <strong>im</strong> Raum beschrieben werden, war<br />

die Verwendung der folgenden Befehle in<br />

POV-Ray für die Schüler unproblematisch:<br />

sphere{,r} (Koordinaten des Mittelpunktes<br />

<strong>und</strong> Radius),<br />

cylinder{,,r}<br />

(Koordinaten der Mittelpunkte von Gr<strong>und</strong><strong>und</strong><br />

Deckfläche, Radius),<br />

cone{,r1,,r2}<br />

(Koordinaten der Mittelpunkte sowie Radien<br />

von Gr<strong>und</strong>- <strong>und</strong> Deckfläche).<br />

Zusätzlich zu diesen Anweisungen, welche<br />

die Art <strong>und</strong> Lage geometrischer Körper <strong>im</strong><br />

Raum beschreiben, müssen noch Oberflächenerscheinungen<br />

(Texturen) der Körper<br />

festgelegt werden. Da sich die Schüler zu<br />

Anfang auf die Beschreibung geometrischer<br />

Objekte durch Koordinaten konzentrieren sollen,<br />

enthält die zur Verfügung gestellte Vorlage<br />

einfach anzuwendende Texturen, die<br />

nur die Eingabe von (in der Kurzanleitung<br />

dokumentierten) Begriffen wie blau_matt,<br />

silber oder holz erfordern.<br />

Bereits in der ersten Doppelst<strong>und</strong>e zur Analytischen<br />

Geometrie in Klasse 13 erhielten<br />

die Schüler die Aufgabe, unter Nutzung der<br />

Vorlagen <strong>und</strong> der Kurzanleitung einen<br />

Schneemann zu modellieren. Abbildung 1<br />

zeigt ein typisches Ergebnis einer Schülerin<br />

am Ende dieser Doppelst<strong>und</strong>e (nach ca. 35minütiger<br />

Arbeit mit POV-Ray).<br />

84<br />

Abb. 1<br />

Für die Erzeugung dieses Bildes gab die<br />

Schülerin folgenden Quelltext ein:<br />

sphere{, 2<br />

texture{blau_matt}}<br />

sphere{, 1.5<br />

texture{blau_matt}}<br />

sphere{, 2.7<br />

texture{blau_matt}}<br />

cylinder{,,<br />

2.5 texture{schwarz}}<br />

cylinder{,,<br />

1.2 texture{schwarz}}<br />

Das Hauptproblem bei der Erstellung des<br />

Schneemannes verlagerte sich für die Schüler<br />

sehr schnell von der Bedienung der Software<br />

hin zur Wahl geeigneter Koordinaten.<br />

Dabei gelangten sie von zunächst recht ziellosem<br />

Exper<strong>im</strong>entieren zu gezielten Veränderungen<br />

einzelner Koordinaten <strong>und</strong> überlegten,<br />

welche Anordnung der Objekte bezüglich<br />

der Koordinatenachsen ihre Positionierung<br />

vereinfacht. Durch geschicktes Variieren<br />

der Koordinaten mithilfe von Skizzen auf<br />

Papier gelang einigen Schülern sogar bereits<br />

eine annähernd realistische Anordnung von<br />

Knöpfen <strong>und</strong> Augen des Schneemannes. In<br />

der folgenden Unterrichtsst<strong>und</strong>e erfolgte eine<br />

Diskussion der dazu angestellten Überlegungen.<br />

Es wurde herausgearbeitet, dass es<br />

sinnvoll ist, Objekte <strong>—</strong> wenn möglich <strong>—</strong> entlang<br />

der Koordinatenachsen oder zumindest<br />

auf Koordinatenebenen zu positionieren, da<br />

ihre Koordinaten dann durch Skizzen oder<br />

einfache Berechnungen ermittelt werden<br />

können. Die Schüler erkannten, dass die Anordnung<br />

der Hauptbestandteile (Rumpf,<br />

Kopf) lediglich eind<strong>im</strong>ensionale Überlegungen<br />

erfordert, für die Positionierung der<br />

Knöpfe zweid<strong>im</strong>ensionale <strong>und</strong> die der Augen<br />

sogar dreid<strong>im</strong>ensionale Betrachtungen notwendig<br />

sind (s. Abb. 2).<br />

Abb. 2<br />

Die Erkenntnis, dass für eine völlig exakte<br />

Positionierung der Knöpfe <strong>und</strong> Augen somit<br />

Gleichungen des Kreises bzw. der Kugel benötigt<br />

werden, lag damit auf der Hand. In der<br />

folgenden Unterrichtsst<strong>und</strong>e wurden Gleichungen<br />

des Kreises <strong>und</strong> der Kugel mithilfe<br />

des Satzes des Pythagoras hergeleitet. Die<br />

Schüler lösten dann einige Beispielaufgaben<br />

zur Berechnung der fehlenden Koordinate<br />

eines Punktes, von dem zwei Koordinaten<br />

gegeben sind <strong>und</strong> der auf einer Kugel mit<br />

vorgegebenen Mittelpunktskoordinaten <strong>und</strong><br />

festgelegtem Radius liegen soll.


Im Anschluss beschäftigten sich die Schüler<br />

eine Doppelst<strong>und</strong>e lang mit der "Perfektionierung"<br />

ihrer Schneemänner <strong>und</strong> erreichten<br />

dabei teilweise beachtliche Ergebnisse (s.<br />

Abb. 3 <strong>—</strong> der betreffende Schüler fertigte<br />

durch Änderung der Kameraposition zwei<br />

Ansichten seines Modells an <strong>—</strong> <strong>und</strong> Abb. 4).<br />

Abb. 3<br />

Abb. 4<br />

Allerdings nutzten nicht alle Schüler die Kugelgleichung<br />

für die Positionierung der Augen,<br />

vielen gelang eine korrekte Anordnung<br />

am Kopf auch durch geschicktes schrittweises<br />

Ändern von Koordinaten. Die von mir beabsichtigte<br />

Motivierung der Kugelgleichung<br />

durch ihre Notwendigkeit für die exakte Positionierung<br />

gelang somit nicht vollständig<br />

überzeugend; <strong>—</strong> einen Einblick in die Nützlichkeit<br />

von Beschreibungen geometrischer<br />

Objekte durch Gleichungen für exakte Anordnungen<br />

<strong>im</strong> Raum <strong>und</strong> somit die Modellierung<br />

komplexerer Formen haben die Schüler<br />

jedoch erhalten. In jedem Falle haben sie<br />

durch die Arbeit an der sinnvollen Anordnung<br />

einiger Körper <strong>—</strong> auch durch schrittweises<br />

"Herantasten" <strong>—</strong> eine gewisse "Orientierungsfähigkeit"<br />

<strong>im</strong> räumlichen Koordinatensystem<br />

erlangt, die auch für andere Teile des<br />

Didaktische Aspekte der Einbeziehung von Elementen der 3D-Computergrafik<br />

Stoffgebietes Analytische Geometrie von<br />

Nutzen ist. Zugleich bietet ein derartiger Einstieg<br />

in das Stoffgebiet Anknüpfungspunkte<br />

an die Elementargeometrie der Sek<strong>und</strong>arstufe<br />

I, die ansonsten bei der heute gängigen<br />

Behandlung der Analytischen Geometrie<br />

kaum hergestellt werden.<br />

Es muss hinzugefügt werden, dass einige<br />

Schüler ihre z.T. recht ausgereiften Ergebnisse<br />

nicht in den insgesamt ca. 120 Minuten<br />

Unterrichtszeit erreicht haben, die dafür am<br />

Computer zur Verfügung standen, sondern<br />

auch (freiwillig) zu Hause oder in Freist<strong>und</strong>en<br />

an ihren Schneemännern arbeiteten; dies gilt<br />

u.a. für die Schülerin, die Abbildung 4 anfertigte.<br />

Neben Kugeln, Zylindern <strong>und</strong> Kegeln<br />

verwendete sie auch Quader, aus denen der<br />

Besen besteht. Die passende Anordnung der<br />

insgesamt 25 geometrischen Objekte, welche<br />

die Schülerin für ihr Modell verwendete,<br />

erfordert zu Beginn der Beschäftigung mit<br />

Koordinatengeometrie deutlich mehr Zeit als<br />

2 St<strong>und</strong>en. 4<br />

Bei einigen Schülern verlagerte sich das<br />

Hauptinteresse schnell von der perfekten<br />

Modellierung hin zu der Frage, wie sie ein Video<br />

ihres Modells erzeugen können. Dazu<br />

müssen in POV-Ray beliebige Werte in Abhängigkeit<br />

von einem Parameter "clock" angegeben<br />

werden, der sich in einem festgelegten<br />

Intervall verändert. Da die Kameraposition<br />

in der erwähnten Vorlage, die ich den<br />

Schülern zur Verfügung gestellt habe, durch<br />

einen Winkel beschrieben wird, gelang es ihnen<br />

durch An<strong>im</strong>ation dieses Winkels schnell,<br />

einen R<strong>und</strong>flug der Kamera um den Schneemann<br />

darzustellen. Einige Schüler arbeiteten<br />

auch mit Transformationen (Verschiebungen,<br />

Drehungen <strong>und</strong> Streckungen) von Objekten,<br />

die sie zeitabhängig ausdrückten. Aus Zeitgründen<br />

konnte ich hierauf <strong>im</strong> Unterricht<br />

nicht mehr eingehen, sondern nur noch einzelne<br />

Schüler beraten, die sich in ihrer Freizeit<br />

weiter damit beschäftigten. Die Erstellung<br />

von Videos (z.B. durch Veränderung der<br />

Kamerakoordinaten) würde sich jedoch gut<br />

eignen, um die Darstellung von Kurven <strong>im</strong><br />

Raum durch Parameterdarstellungen zu motivieren.<br />

Um eine gewünschte Kameraführung<br />

zu s<strong>im</strong>ulieren, müssen sich die Kamerakoordinaten<br />

auf einer Kurve des Raumes<br />

bewegen, also abhängig von einem Parameter<br />

(der Zeit) beschrieben werden. 5<br />

4 Die POV-Ray-Datei dieser Schülerin mit der Beschreibung des<br />

Schneemannes ist auf der <strong>Internet</strong>seite [1] unter der Rubrik<br />

"Raytracing-Praxis" zugänglich.<br />

5 Für eine Kurzanleitung zur Erstellung von Videos mithilfe von<br />

POV-Ray s. [1].<br />

85


Andreas Filler<br />

4 Nutzung einer Grafiksoftware<br />

zur Visualisierung<br />

herkömmlicher Inhalte<br />

des Stoffgebietes<br />

Nach dem skizzierten, insgesamt 6 Unterrichtsst<strong>und</strong>en<br />

umfassenden Einstieg in das<br />

Stoffgebiet Analytische Geometrie über Anwendungen<br />

der räumlichen Koordinatengeometrie<br />

wurde mit der Behandlung der durch<br />

den Rahmenplan vorgegebenen Inhalte des<br />

Stoffgebiets (Geraden, Ebenen <strong>und</strong> ihre Lagebeziehungen)<br />

begonnen. Die Erfahrungen<br />

mit der Bedienung von POV-Ray, welche die<br />

Schüler sich vorher aneigneten, nutzten sie<br />

dabei, um ergänzend zur rechnerischen Behandlung<br />

von Aufgaben der Analytischen<br />

Geometrie Visualisierungen anzufertigen <strong>und</strong><br />

damit ihre Ergebnisse zu überprüfen oder zu<br />

Vermutungen hinsichtlich best<strong>im</strong>mter Zusammenhänge<br />

zu gelangen.<br />

Da POV-Ray als fotorealistisches Grafikprogramm<br />

<strong>und</strong> nicht als Visualisierungswerkzeug<br />

für Zusammenhänge der Analytischen<br />

Geometrie vorgesehen ist, müssen Punkte<br />

als kleine Kugeln, Pfeile (die Vektoren repräsentieren<br />

sollen) als Vereinigungen von Zylindern<br />

mit Kegeln, Strecken als Zylinder mit<br />

geringem Radius, Geraden als Zylinder, die<br />

über die Grenzen des Bildes hinausreichen,<br />

<strong>und</strong> Ebenen z.B. als dünne Quader dargestellt<br />

werden. Allerdings wäre es <strong>im</strong> Rahmen<br />

der zur Verfügung stehenden Zeit für die<br />

Schüler nicht möglich, jeweils selbst mit diesen<br />

"Ersatzobjekten" zu arbeiten. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>e habe ich eine Sammlung von<br />

Makros <strong>und</strong> eine Vorlagendatei erstellt, die<br />

es den Schülern ermöglichen, unmittelbar<br />

Punkte (wahlweise einschließlich der Projektion<br />

auf die x-y-Ebene <strong>und</strong> der Lote auf die<br />

Koordinatenachsen), Vektoren (als Pfeile),<br />

Strecken, Geraden sowie Ebenen (anhand<br />

einer Parameterdarstellung oder durch die<br />

Koeffizienten einer Koordinatengleichung)<br />

darzustellen. Im Einzelnen stehen folgende<br />

Befehle zur Verfügung:<br />

punkt(,textur)<br />

Punkt (als kleine Kugel dargestellt),<br />

pluspunkt(,textur)<br />

Punkt mit Lot auf die x-y-Ebene <strong>und</strong> Verbindungsstrecken<br />

zu den Koordinatenachsen,<br />

ortsvektor(,textur)<br />

Ortsvektor des Punktes P,<br />

verbindungsvektor(,,textur)<br />

Verbindungsvektor der Punkte P <strong>und</strong> Q,<br />

86<br />

vektoranpunkt (,, textur)<br />

Pfeildarstellung des Vektors x r , angetragen an den<br />

Punkt P,<br />

strecke(,,textur)<br />

Strecke mit den Endpunkten P <strong>und</strong> Q,<br />

gerade (,,textur)<br />

Gerade durch die Punkte P <strong>und</strong> Q,<br />

ebenepar (,,,textur)<br />

Ebene durch P mit Richtungsvektoren a r <strong>und</strong> b r ,<br />

ebene (A,B,C,D,textur)<br />

Ebene mit der Gleichung Ax+By+Cz+D=0.<br />

An Stelle von bzw. sind jeweils die<br />

Koordinaten des Punktes bzw. Vektors einzugeben.<br />

Für textur müssen die Schüler<br />

jeweils <strong>—</strong> wie oben beschrieben <strong>—</strong> ein<br />

Schlüsselwort für die Oberflächenerscheinung<br />

des betreffenden Objekts angeben. Insbesondere<br />

für Ebenen können sie dazu auch<br />

transparente Texturen verwenden. 6<br />

Nach einer Zusammenfassung den Schülern<br />

bereits bekannter Aspekte des Vektorbegriffs<br />

bearbeiteten sie eine Folge von Aufgaben<br />

zur Darstellung von Vektoren als Pfeile, zu<br />

Orts- <strong>und</strong> Verbindungsvektoren sowie zur<br />

Vektoraddition, welche letztlich zur Parameterdarstellung<br />

der Geraden führt. 7<br />

Abb. 5<br />

• Stellen Sie 4 Punkte als pluspunkt dar,<br />

blenden Sie das Koordinatenkreuz ein.<br />

6 Das Makropaket für POV-Ray <strong>und</strong> die Vorlage stehen <strong>—</strong> zusammen<br />

mit einer kurzen Anleitung für die Nutzung <strong>und</strong> einer Dokumentation<br />

der Befehle <strong>—</strong> auf meiner <strong>Internet</strong>seite [1] zur Verfügung.<br />

Für den Fall, dass ein Grafikprogramm nur für die Veranschaulichung<br />

traditioneller Inhalte des Stoffgebietes genutzt, die<br />

Computergrafik also nicht thematisiert wird, können auch einfachere<br />

Programme, die speziell für das Stoffgebiet Analytische Geometrie<br />

entwickelt wurden, zum Einsatz kommen (z.B. DreiDGeo, s.<br />

Andraschko 2001). Die Verwendung von POV-Ray (<strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit geeigneten Makros <strong>und</strong> Vorlagen) bietet sich <strong>im</strong> Kontext<br />

mit den anderen hier unterbreiteten Vorschlägen zum Einstieg<br />

in das Stoffgebiet sowie zu weitergehenden Überlegungen zur<br />

Computergrafik an.<br />

7 Im Folgenden werden nur einige repräsentative Aufgaben <strong>und</strong><br />

mögliche Lösungen dargestellt. Eine umfangreichere Sammlung<br />

von Aufgaben kann unter [1] heruntergeladen werden. Die Abbildungen<br />

5 – 9 wurden von Schülern bei der Lösung der Aufgaben<br />

erstellt.


• Wählen Sie einen Vektor. Setzen Sie mittels<br />

vektoranpunkt an jeden der von<br />

Ihnen dargestellten Punkte einen Pfeil,<br />

der diesen Vektor beschreibt (Abb. 5).<br />

⎛ 1⎞<br />

• Stellen Sie die Vektoren a =<br />

⎜<br />

−1<br />

⎟<br />

,<br />

⎜ 3⎟<br />

⎝ ⎠<br />

r<br />

⎛ −2⎞<br />

b =<br />

⎜<br />

3<br />

⎟<br />

⎜ ⎟<br />

⎝ 1 ⎠<br />

r<br />

als Pfeile so dar, dass der zu a r gehörende<br />

Pfeil <strong>im</strong> Koordinatenursprung <strong>und</strong> der<br />

zu b r gehörende Pfeil in der Pfeilspitze<br />

von a r r r<br />

beginnt. Berechnen Sie a + b <strong>und</strong><br />

r r<br />

stellen Sie a + b als Pfeil dar, der <strong>im</strong> Koordinatenursprung<br />

beginnt.<br />

Abb. 6<br />

• Gegeben sind der Punkt P(2;-1;2) <strong>und</strong> der<br />

⎛ ⎞<br />

Vektor =<br />

⎜ ⎟<br />

⎜<br />

−<br />

⎟<br />

⎝<br />

1<br />

⎠<br />

1<br />

2<br />

a r<br />

.<br />

- Stellen Sie P als pluspunkt <strong>und</strong> a r<br />

als Pfeil, beginnend an P, dar.<br />

r<br />

- Stellen Sie die Punkte P + 0 , 5⋅<br />

a ,<br />

P a<br />

r<br />

r r<br />

+ , P + 1 , 5⋅<br />

a , P + 2 ⋅ a sowie<br />

r<br />

P − 0 , 5⋅<br />

a , P a<br />

r<br />

r<br />

− , P −1 , 5⋅<br />

a <strong>und</strong><br />

r<br />

P − 2 ⋅ a dar.<br />

- Betrachten Sie die Darstellung aus<br />

verschiedenen Richtungen.<br />

Anhand derartiger Aufgaben konnten sich die<br />

Schüler eine anschauliche Vorstellung von<br />

Vektoren <strong>im</strong> Raum verschaffen, gleichzeitig<br />

stellten sie nach Lösung der letzten Aufgabe<br />

(s. Abb. 7) sofort fest, dass alle genannten<br />

Punkte auf einer Geraden liegen. Nach der<br />

Betrachtung verfeinerter Darstellungen (Abb.<br />

8) <strong>und</strong> schließlich eines Videos, das die Entstehung<br />

einer Geraden durch kaum noch erkennbare<br />

Punkte zeigt (s. [1]) war ihnen auch<br />

klar, dass man alle Punkte dieser Geraden<br />

erhält, wenn man den gegebenen Vektor<br />

statt mit -2, -1,5, ..., 2 mit beliebigen reellen<br />

Zahlen multipliziert. Somit sind die Schüler<br />

auf visuellem Wege zur Parameterdarstellung<br />

der Geraden gelangt. Die Parameterdarstellung<br />

der Ebene wurde dann etwas später<br />

auf ähnliche Weise erarbeitet. Gerade bei<br />

der Herausarbeitung der Parameterdarstel-<br />

Didaktische Aspekte der Einbeziehung von Elementen der 3D-Computergrafik<br />

lungen erwiesen sich die computergrafischen<br />

Visualisierungsmöglichkeiten als sehr sinnvoll,<br />

da die Schüler diese Gleichungen so mit<br />

anschaulichen Vorstellungen verbinden.<br />

Abb. 7<br />

Abb. 8<br />

Im weiteren Verlauf des Unterrichts fertigten<br />

die Schüler computergrafische Darstellungen<br />

vor allem an, um die Lage von Objekten <strong>im</strong><br />

Raum sowie Lagebeziehungen zu veranschaulichen.<br />

Die <strong>im</strong> Rahmenplan vorgesehenen<br />

Aufgaben zu Lage- <strong>und</strong> Schnittberechnungen<br />

wurden somit visuell ergänzt.<br />

• Stellen Sie die Ebene mit der Parameterdarstellung<br />

( , )<br />

0, 5<br />

21 1<br />

2<br />

1 ⎛1⎞<br />

⎛− ⎞ ⎛ − ⎞<br />

: x = ⎜1⎟<br />

+ r ⋅⎜<br />

⎟ + s ⋅⎜<br />

− ⎟ r s ∈ R<br />

⎜1⎟<br />

⎜ ⎟ ⎜ ⎟<br />

⎝ ⎠ ⎝ ⎠ ⎝ ⎠<br />

r<br />

ε dar.<br />

(Nutzen Sie für die Darstellung der Ebene<br />

eine transparente Textur.) Stellen Sie außerdem<br />

den Aufpunkt <strong>und</strong> die beiden<br />

Richtungsvektoren der Ebene dar.<br />

Fügen Sie der Darstellung die Gerade, die<br />

durch die Punkte A(1;-1;1) <strong>und</strong> B(-5;1;-2)<br />

verläuft, hinzu. Schätzen Sie <strong>—</strong> so gut wie<br />

möglich <strong>—</strong> die Koordinaten des Schnittpunktes<br />

der Geraden <strong>und</strong> der Ebene.<br />

Auf analoge Weise wurden auch Aufgaben<br />

zur gegenseitigen Lage zweier Ebenen sowie<br />

später zu Normalenvektoren von Ebenen bearbeitet.<br />

8<br />

Im Unterricht wurden Visualisierungen aus<br />

Zeitgründen nur exemplarisch für einige Aufgaben<br />

angefertigt. Viele Schüler nutzten jedoch<br />

die Möglichkeit, Aufgaben der Analyti-<br />

8 Neben diesen Aufgaben <strong>und</strong> exemplarischen Lösungen befindet<br />

sich auf [1] auch eine etwas komplexere Visualisierung, die das<br />

Verhalten dreier durch Koordinatengleichungen beschriebener<br />

Ebenen bei der Durchführung des Gauss-Algorithmus veranschaulicht.<br />

87


Andreas Filler<br />

schen Geometrie mithilfe von POV-Ray grafisch<br />

darzustellen, auch für ihre Hausaufgaben,<br />

<strong>—</strong> obwohl dies nicht verlangt war. Als<br />

Gr<strong>und</strong> gaben sie an, dass sie sich so unter<br />

den Aufgaben mehr vorstellen <strong>und</strong> vor allem<br />

ihre rechnerischen Ergebnisse kontrollieren<br />

können.<br />

88<br />

Abb. 9<br />

5 Computergrafik <strong>und</strong><br />

Vektorbegriff<br />

Das dominierende Modell für Vektoren, welches<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht Verwendung<br />

findet, ist das der Pfeilklassen. Äquivalenzklassen<br />

werden dabei allerdings i.Allg. nicht<br />

thematisiert; statt dessen wird herausgearbeitet,<br />

dass Vektoren durch verschiedene<br />

gleich lange <strong>und</strong> gleich gerichtete Pfeile dargestellt<br />

werden können. Diese Vektorauffassung<br />

steht auch in Beziehung zum Physikunterricht<br />

der Sek<strong>und</strong>arstufe I, in dem Kräfte als<br />

vektorielle Größen bezeichnet, durch Pfeile<br />

beschrieben <strong>und</strong> grafisch addiert werden.<br />

Auch der Zusammenhang zwischen Verschiebungen<br />

<strong>und</strong> Vektoren wird anhand der<br />

Pfeilauffassung gut deutlich. Untersuchungen<br />

von G. Wittmann ergaben, dass Schüler zum<br />

großen Teil sinnvolle geometrische Vorstellungen<br />

von Vektoren erlangen, vielfach aber<br />

inhaltliche <strong>und</strong> begriffliche Probleme mit der<br />

Abstraktion, die der Vektorbegriff beinhaltet,<br />

bestehen (Wittmann 2003, 100–123).<br />

Ein weiterer Aspekt des Vektorbegriffs ergibt<br />

sich aus dem Rechnen mit Vektoren. Dazu<br />

werden diese durch n-Tupel (meist Paare<br />

oder Tripel) reeller Zahlen charakterisiert.<br />

Aus mathematischer Sicht stellen die n-Tupel<br />

ebenso ein Modell für den Vektorbegriff dar<br />

wie die Pfeilklassen. In der Auffassung von<br />

Schülern besteht diese Gleichwertigkeit<br />

meist nicht: Häufig verbinden sie in ihrer Vorstellung<br />

Vektoren mit Pfeilen, die durch Zahlentripel<br />

beschrieben werden, <strong>—</strong> wie auch<br />

Punkte durch Koordinatentripel beschrieben<br />

werden können (s. Tietze u.a. 2000, Wittmann<br />

2003, u.a.).<br />

In der Informatik (<strong>und</strong> auch <strong>im</strong> Informatikunterricht)<br />

versteht man unter Vektoren generell<br />

Zahlen-n-Tupel, die in den meisten Fällen<br />

keine geometrische Bedeutung besitzen. An<br />

diese Vektorauffassung angelehnt, heißt es<br />

z.B. in der Hilfe von POV-Ray:<br />

"A vector is a set of related float values."<br />

Vektoren in diesem Sinne, also Zahlen-n-Tupel,<br />

treten in der Computergrafik in sehr unterschiedlichen<br />

Zusammenhängen auf. Sie<br />

beschreiben in POV-Ray u.a.:<br />

• Punkte des Raumes: <br />

• Geometrische Transformationen:<br />

- Translationen:<br />

translate <br />

- Drehungen: rotate <br />

φx, φy <strong>und</strong> φz sind dabei die Drehwinkel<br />

um die x-, y- bzw. z-Achse.<br />

- Streckungen: scale <br />

sx, sy <strong>und</strong> sz geben die Skalierungsfaktoren<br />

in x-, y- bzw. z-Richtung an.<br />

• Farben: color rgb <br />

r steht für den Rot-, g für den Grün- <strong>und</strong> b<br />

für den Blau-Anteil einer Farbe. 9<br />

Von den genannten Bedeutungen des Vektorbegriffs<br />

ist die Beschreibung von Farben<br />

sicherlich am weitesten von den Beispielen<br />

entfernt, die <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht betrachtet<br />

werden. Die Farbvektoren sind aber<br />

insofern besonders interessant, als sie in vielen<br />

Bereichen moderner Medien (wie z.B. in<br />

der Bildbearbeitung <strong>und</strong> der Beschreibung<br />

von <strong>Internet</strong>seiten) ein große Bedeutung haben<br />

<strong>und</strong> zugleich ein Beispiel sinnvoller geometrischer<br />

Interpretation eines an sich ungeometrischen<br />

Sachverhaltes darstellen. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong>e soll <strong>im</strong> Folgenden etwas näher<br />

auf die Beschreibung von Farben eingegangen<br />

werden.<br />

Nach der Trist<strong>im</strong>ulustheorie besitzt das<br />

menschliche Auge drei Arten von Sensoren<br />

(Synapsen) mit unterschiedlichen wellenlängenabhängigen<br />

Empfindlichkeiten. Die Empfindlichkeitsmax<strong>im</strong>a<br />

dieser Synapsen liegen<br />

<strong>im</strong> roten, grünen bzw. <strong>im</strong> blau-violetten Bereich<br />

des Farbspektrums (s. z.B. Nyman<br />

1999 <strong>und</strong> Watt 2002). Menschliche Farbwahrnehmung<br />

entsteht durch Auswertung<br />

der Intensitäten der Reize, die auf jede der<br />

Arten von Synapsen ausgeübt werden. Somit<br />

kann jede mögliche Farbempfindung durch<br />

9 Erweiterte Farbbeschreibungen durch Quadrupel oder Quintupel in<br />

POV-Ray beinhalten zusätzlich die Beschreibung von Transparenzeigenschaften,<br />

wobei zwei unterschiedliche Modelle von<br />

Transparenz zum Einsatz kommen (s. Hilfe von POV-Ray bzw.<br />

[3]).


drei Gr<strong>und</strong>farben hervorgerufen werden, deren<br />

Wellenlängen in der Nähe der Empfindlichkeitsmax<strong>im</strong>a<br />

liegen. Diese Tatsache liegt<br />

dem Aufbau elektronischer Bildwiedergabegeräte<br />

(wie Fernsehgeräte <strong>und</strong> Monitore) zu<br />

Gr<strong>und</strong>e, die in jedem ihrer Bildpunkte (Pixel)<br />

über drei Subpixel in den Farben Rot, Grün<br />

<strong>und</strong> Blau verfügen. Alle Farben werden somit<br />

durch geeignete Zusammensetzungen von<br />

Rot-, Grün- <strong>und</strong> Blauanteilen erzeugt. Eine<br />

Farbe lässt sich somit durch einen Vektor<br />

⎛ ⎞<br />

⎜<br />

g<br />

⎟<br />

⎜ ⎟<br />

⎝ b ⎠<br />

r beschreiben. Dabei ist es allerdings mathematisch<br />

nicht ganz korrekt, von Vektoren<br />

zu sprechen, da die Farben keinen Vektorraum<br />

bilden: Die Komponenten von rgb-Vektoren<br />

können nicht negativ sein <strong>und</strong> sind<br />

nach oben beschränkt. In POV-Ray sind die<br />

r-, g- <strong>und</strong> b-Komponenten reelle Zahlen aus<br />

dem Intervall [0;1], Bildbearbeitungsprogramme<br />

verwenden oft natürliche Zahlen zwischen<br />

0 <strong>und</strong> 255, in HTML müssen diese<br />

Werte in Hexadez<strong>im</strong>alschreibweise angegeben<br />

werden. Die Beschränkung auf 256 Werte<br />

kommt daher, dass sich für die Steuerelektronik<br />

von Monitoren eine Farbbeschreibung<br />

mit 8 bit je Gr<strong>und</strong>farbe durchgesetzt hat<br />

<strong>und</strong> somit 2 8 = 256 Stufen dargestellt werden<br />

können. Auch bei den gängigen Bilddateien<br />

ist eine Auflösung von 24 bit je Bildpunkt, also<br />

8 bit für jede Gr<strong>und</strong>farbe üblich. Die folgenden<br />

Ausführungen beziehen sich jedoch<br />

auf das u.a. von POV-Ray verwendete normierte<br />

System der Farbbeschreibung mit<br />

Komponenten aus dem Intervall [0;1].<br />

Abb. 10 10<br />

Die Menge aller rgb-Farbvektoren ist eine<br />

Teilmenge des R 3 . Betrachtet man nun diese<br />

Vektoren als Ortsvektoren von Punkten des<br />

Anschauungsraumes, so entspricht jeder<br />

Farbe genau ein Punkt des Würfels mit den<br />

Eckpunkten (0;0;0), (1;0;0), (0;1;0), (0;0;1),<br />

(1;0;0), (1;1;0), (1;0;1) <strong>und</strong> (1;1;1). Dieser<br />

10 Eine farbige Darstellung des RGB-Würfels, bei dem die Farben<br />

erkennbar werden, die den Punkten auf den Seitenflächen zugeordnet<br />

sind, <strong>und</strong> ein zugehöriges Video, in welchem sich der<br />

Würfel dreht, befinden sich auf der <strong>Internet</strong>seite [1].<br />

Didaktische Aspekte der Einbeziehung von Elementen der 3D-Computergrafik<br />

Würfel wird als Farbwürfel oder genauer<br />

RGB-Würfel bezeichnet (s. Abb. 10).<br />

Dem Koordinatenursprung entspricht die Farbe,<br />

die entsteht, wenn die Intensität aller drei<br />

Gr<strong>und</strong>farben Null ist: Schwarz. Bei max<strong>im</strong>aler<br />

Intensität aller drei Gr<strong>und</strong>farben wird<br />

Weiß erzeugt. Sehr gut lassen sich auf dem<br />

Farbwürfel Komplementärfarben erkennen;<br />

dabei handelt es sich um Farben, denen gegenüberliegende<br />

Eckpunkte zugeordnet sind.<br />

Die elementaren Vektoroperationen (Vektoraddition<br />

<strong>und</strong> Multiplikation mit Skalaren) sind<br />

für Farben sinnvoll anwendbar, so lange die<br />

Ergebnisse für alle Komponenten <strong>im</strong> Intervall<br />

[0;1] liegen. Es gilt z.B.:<br />

⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛1⎞<br />

Rot + Grün = ⎜ ⎟ + ⎜1⎟<br />

= ⎜1⎟<br />

⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟<br />

⎝ ⎠ ⎝0⎠<br />

⎝0⎠<br />

0 1<br />

0<br />

= Gelb,<br />

0<br />

⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛1⎞<br />

Rot + Grün + Blau = ⎜ ⎟ + ⎜ ⎟ + ⎜ ⎟ = ⎜1⎟<br />

⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟<br />

⎝ ⎠ ⎝ ⎠ ⎝1⎠<br />

⎝1⎠<br />

00 1<br />

0<br />

0 1<br />

0<br />

;<br />

0<br />

als Summe der drei Gr<strong>und</strong>farben ergibt sich<br />

also auch rein rechnerisch Weiß. Da Weiß<br />

die hellste mögliche Farbe ist, ergeben aber<br />

Ergebnisse bei der Farbaddition, die größere<br />

Komponenten als 1 besitzen, keinen Sinn.<br />

Eine sinnvolle allgemeine Definition für die<br />

Summe zweier Farbvektoren ist daher<br />

⎛ r1<br />

⎞ ⎛ r2<br />

⎞ ⎛ max( r1<br />

+ r2<br />

, 1)<br />

⎞<br />

⎜ ⎟<br />

+<br />

⎜ ⎟<br />

=<br />

⎜<br />

⎟<br />

⎜<br />

g1<br />

⎟ ⎜<br />

g 2 ⎟ ⎜<br />

max( g1<br />

+ g2<br />

, 1)<br />

⎟<br />

.<br />

⎝ b1<br />

⎠ ⎝ b3<br />

⎠ ⎝ max( b1<br />

+ b2,<br />

1)<br />

⎠<br />

Die Addition von Farben kann mit Bildbearbeitungsprogrammen<br />

wie Adobe Photoshop<br />

oder Corel Photopaint gut nachvollzogen<br />

werden. Dazu werden z.B. drei Kreise in den<br />

Gr<strong>und</strong>farben auf jeweils eine Ebene über einer<br />

schwarzen Hintergr<strong>und</strong>ebene gelegt. Für<br />

die Ebenen der Kreise wird jeweils der Ebenenverrechnungsmodus<br />

"Addieren" (Photopaint)<br />

bzw. "Aufhellen" (Photoshop) eingestellt.<br />

Es wird sofort sichtbar, zu welchen<br />

Farben sich die einzelnen Paare von Gr<strong>und</strong>farben<br />

addieren; Punkte, die <strong>im</strong> Durchschnitt<br />

aller drei Kreise liegen, werden weiß dargestellt<br />

(siehe Abb. 11).<br />

Das RGB-Modell <strong>—</strong> auch als additives Farbmodell<br />

bezeichnet <strong>—</strong> beschreibt sehr gut die<br />

Funktion elektronischer Bildwiedergabegeräte.<br />

Im Ausgangszustand (ohne Signal) bleibt<br />

der Bildschirm dunkel; folgerichtig entspricht<br />

der Koordinatenursprung der Farbe Schwarz,<br />

<strong>und</strong> Farben werden durch die Addition von<br />

Helligkeitswerten der drei Gr<strong>und</strong>farben gebildet.<br />

Demgegenüber verhält sich Papier umgekehrt;<br />

<strong>—</strong> ist es unbedruckt, so wirkt es<br />

weiß. So wie bei Bildschirmen die Farbkomponenten<br />

Helligkeit addieren, wird durch den<br />

Auftrag von Farbpigmenten (Reflexions-)<br />

89


Andreas Filler<br />

flexions-) Helligkeit des Papiers subtrahiert.<br />

Daher kann die Farbwiedergabe <strong>im</strong> Druck<br />

durch das subtraktive CMY-Modell mit den<br />

Gr<strong>und</strong>farben Cyan, Magenta <strong>und</strong> Gelb (Yellow)<br />

beschrieben werden. Wie der RGB-<br />

Farbwürfel (Abb. 10) zeigt, sind dies die<br />

Komplementärfarben der Farben Rot, Grün<br />

<strong>und</strong> Blau. Es gilt:<br />

90<br />

Abb. 11<br />

Weiß – Rot = Cyan, Weiß – Grün = Magenta,<br />

Weiß – Blau = Gelb.<br />

Im CMY-Würfel (Abb. 12) entspricht der Koordinatenursprung<br />

dem Weißpunkt; denn für<br />

diesen Punkt erfolgt kein Farbauftrag. Die<br />

Koordinatenachsen entsprechen den Intensitäten<br />

c, m <strong>und</strong> y der Farbauftragungen für die<br />

Gr<strong>und</strong>farben Cyan, Magenta <strong>und</strong> Gelb. Zwischen<br />

den rgb- <strong>und</strong> den cmy-Vektoren einer<br />

Farbe besteht daher der Zusammenhang<br />

⎛ ⎞ ⎛ ⎞ ⎛ ⎞<br />

⎜ ⎟ = ⎜ ⎟ −<br />

⎜<br />

g<br />

⎟<br />

⎜ ⎟ ⎜ ⎟ ⎜ ⎟<br />

⎝ ⎠ ⎝ ⎠ ⎝ b ⎠<br />

r<br />

m<br />

y<br />

c 1<br />

1 .<br />

1<br />

Abb. 12 11<br />

Das RGB- <strong>und</strong> das CMY(K)-Modell orientieren<br />

sich an den Eigenschaften der Farbein-<br />

<strong>und</strong> -ausgabegeräte sowie an der Physiologie<br />

der Farbwahrnehmung. Demgegenüber<br />

wurden Farbmodelle geschaffen, welche besonders<br />

gut für Bildkomposition <strong>und</strong> Design<br />

genutzt werden können. Dazu gehört das<br />

HSB-Modell, wobei H für Hue (Farbton), S für<br />

Saturation (Farbsättigung) <strong>und</strong> B für Brightness<br />

(Helligkeit) stehen. Um zu diesem Mo-<br />

11 In der Praxis können Druckmaschinen durch den Aufdruck der<br />

drei Druckfarben Cyan, Magenta <strong>und</strong> Gelb kein überzeugendes<br />

Schwarz erzeugen. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e wird zusätzlich schwarze<br />

Druckfarbe verwendet, es kommt das CMYK-Modell zum Einsatz,<br />

wobei K für Schwarz steht (s. Nyman 1999).<br />

dell zu gelangen, wird der RGB-Farbwürfel<br />

(Abb. 10) parallel zur Schwarz-Weiß-Diagonalen<br />

auf die zu dieser Diagonalen orthogonale<br />

Ebene <strong>im</strong> Punkt W projiziert. Dabei entsteht<br />

ein regelmäßiges Sechseck mit den<br />

Eckpunkten Rot, Gelb, Grün, Cyan, Blau <strong>und</strong><br />

Magenta (Abb. 13). Jeder Farbton (außer<br />

Schwarz, Weiß <strong>und</strong> reinen Grautönen) wird<br />

nun durch einen Winkel <strong>im</strong> Intervall [0;360°)<br />

dargestellt. Diese Darstellung liegt auch dem<br />

häufig anzutreffenden Farbkreis zu Gr<strong>und</strong>e.<br />

Cyan<br />

(180°)<br />

Cyan<br />

(180°)<br />

Grün (120°) Gelb (60°)<br />

Weiß<br />

Schwarz<br />

Rot<br />

(0°)<br />

Blau (240°) Magenta (300°)<br />

Abb. 13<br />

B<br />

Grün (120°) Gelb (60°)<br />

B=1<br />

Weiß<br />

Rot<br />

(0°)<br />

Blau (240°) Magenta (300°)<br />

Schwarz<br />

(B=0)<br />

Abb. 14<br />

Das Farbsechseck bildet die Basis einer Pyramide<br />

(siehe Abb. 14), deren Spitze der Helligkeitswert<br />

0 (schwarz) entspricht. Die Achse<br />

dieser Pyramide bildet die Helligkeits- (B-)<br />

Achse; der Abstand einer Farbe von dieser<br />

Achse best<strong>im</strong>mt deren Sättigung S. Durch<br />

den bereits erwähnten Winkel <strong>im</strong> Farbkreis<br />

wird schließlich der Farbton H beschrieben.<br />

Das HSB-Modell unterstützt die Auswahl harmonisch<br />

wirkender Farben:<br />

• Die Kombination von Farben mit annähernd<br />

gleicher Sättigung wird als angenehm<br />

empf<strong>und</strong>en. Demgegenüber zählt<br />

die Verwendung von Farben mit sehr unterschiedlichen<br />

Sättigungswerten für inhaltlich<br />

vergleichbare Grafikelemente zu<br />

den häufigsten Fehlern bei der Gestaltung<br />

von Informationsgrafiken <strong>und</strong> <strong>Internet</strong>seiten.<br />

H<br />

S


• In vielen Fällen ist auch die Auswahl ähnlicher<br />

Helligkeitswerte sinnvoll.<br />

• Für korrespondierende Grafikelemente ist<br />

die Auswahl komplementärer Farben (H-<br />

Differenz 180°) bzw. von Farben mit H-<br />

°<br />

Differenzen von m ⋅<br />

n<br />

360 (für n Grafikelemente,<br />

m = 1,...,n) sinnvoll.<br />

Die Beschreibung von Farben durch Vektoren<br />

kann dazu beitragen, dass die Schüler<br />

die Bedeutung des Vektorbegriffes etwas<br />

umfassender sehen <strong>und</strong> ein Beispiel für die<br />

sinnvolle <strong>und</strong> offensichtlich nützliche geometrische<br />

Interpretation eines nichtgeometrischen<br />

Sachverhaltes kennen lernen. Die n-<br />

Tupel bilden dabei ein "Bindeglied" zwischen<br />

sehr verschiedenen Bedeutungen, die Vektoren<br />

haben können. 12<br />

6 Gr<strong>und</strong>lagen der Computergrafik:<br />

Skalarprodukt<br />

<strong>und</strong> Normalenvektoren<br />

Computergrafische Anwendungen können für<br />

die Motivierung zentraler Inhalte der Analytischen<br />

Geometrie genutzt werden. Besonders<br />

bietet sich dies bei der Behandlung des Skalarproduktes<br />

<strong>und</strong> des Winkels zwischen Vektoren<br />

sowie von Normalen(einheits-)vektoren<br />

an. Dabei sollte aber die Frage, wie die Software<br />

Bilder berechnet, nicht nur theoretisch<br />

diskutiert werden. Die Schüler können den<br />

praktischen Nutzen des Verständnisses dieser<br />

Zusammenhänge anhand von Möglichkeiten<br />

erfahren, die sie dadurch für die Gestaltung<br />

von Oberflächen <strong>und</strong> die bewusste<br />

Wahl dafür geeigneter Parameter <strong>—</strong> letztlich<br />

also für die Erstellung eigener Bilder <strong>—</strong> gewinnen.<br />

Ausgangspunkte der Betrachtungen<br />

zum Skalarprodukt <strong>und</strong> zu Normalenvektoren<br />

bilden die folgenden Fragen:<br />

• Wie werden geometrisch komplizierte "reale"<br />

Objekte wie z.B. Menschen <strong>und</strong> Tiere<br />

in der Computergrafik beschrieben <strong>und</strong><br />

dargestellt?<br />

12 Den Vektorbegriff unmittelbar am Anfang des Stoffgebietes Analytische<br />

Geometrie zu thematisieren, erscheint m.E. nicht empfehlenswert.<br />

Anhand der Beschreibung von Punkten <strong>und</strong> einfachen<br />

geometrischen Objekten durch Koordinaten finden die<br />

Schüler einen anschaulicheren <strong>und</strong> einfacheren Einstieg in die<br />

Analytische Geometrie (s. z.B. Filler & Wittmann 2003), als wenn<br />

gleich am Anfang der vergleichsweise abstrakte Vektorbegriff<br />

"auf Vorrat" eingeführt wird. Eine spätere Zusammenfassung der<br />

verschiedenen Auffassungen <strong>und</strong> Anwendungen von Vektoren<br />

(Zahlentripel, Klassen bzw. Mengen von Pfeilen, Kräfte, Verschiebungen,<br />

Farben) bietet sich an, um den Schülern einen<br />

Einblick in Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> Universalität des Vektorbegriffs<br />

zu vermitteln.<br />

Didaktische Aspekte der Einbeziehung von Elementen der 3D-Computergrafik<br />

• Wie wird das Aussehen von Oberflächen<br />

<strong>—</strong> über die Farbgebung hinaus <strong>—</strong> modelliert?<br />

Wodurch unterscheiden sich spiegelnde<br />

von matten, glänzende von rauen<br />

Oberflächen?<br />

Indem die Schüler den POV-Ray-Quelltext<br />

eines komplexeren dreid<strong>im</strong>ensionalen Modells<br />

analysieren, stellen sie fest, dass Objekte<br />

durch die Vereinigung einer großen<br />

Zahl von Dreiecken dargestellt werden. Der<br />

in Abb. 15 dargestellte Fisch besteht z.B. aus<br />

ca. 6000 Zeilen der Form<br />

triangle { ,<br />

,<br />

} .<br />

Abb. 15<br />

Bei der Berechnung des Bildes in POV-Ray<br />

sind die dreieckigen Facetten deutlich erkennbar.<br />

Bereits an dieser Stelle können die<br />

Schüler eine Datei analysieren, bei der dieses<br />

Problem gelöst wurde <strong>—</strong> der in Abb. 16<br />

dargestellte Fisch besteht aus ebenso vielen,<br />

jedoch "geglätteten" Dreiecken:<br />

Abb. 16<br />

smooth_triangle {<br />

,<br />

,<br />

,<br />

,<br />

,<br />

}<br />

Bei dieser Darstellung wird zu jedem Eckpunkt<br />

ein aus den anliegenden Dreiecksfacetten<br />

gemittelter Normaleneinheitsvektor<br />

angegeben. Aus den zu den Eckpunkten gehörenden<br />

Normalenvektoren werden be<strong>im</strong><br />

Rendern die Helligkeits- bzw. Farbwerte der<br />

einzelnen Oberflächenpunkte interpoliert.<br />

91


Andreas Filler<br />

Dieses Verfahren (Gouraud- bzw. Phong-<br />

Shading, vgl. z.B. Watt 2002 oder Xiang &<br />

Plastock 2003) können die Schüler an dieser<br />

Stelle noch nicht nachvollziehen; <strong>—</strong> dazu<br />

sind Kenntnisse über das Skalarprodukt <strong>und</strong><br />

über Normaleneinheitsvektoren erforderlich.<br />

Zu dieser Erkenntnis führen die <strong>im</strong> Folgenden<br />

geschilderten <strong>—</strong> an den Physikunterricht<br />

der Sek<strong>und</strong>arstufe I anknüpfenden <strong>—</strong> Überlegungen<br />

zur prinzipiellen Funktionsweise<br />

der 3D-Computergrafik. 13<br />

Die Bildberechnung in hochwertiger 3D-Computergrafiksoftware<br />

wie POV-Ray erfolgt<br />

nach dem Raytracing-Verfahren, bei dem<br />

Verläufe von Lichtstrahlen ausgehend vom<br />

Auge des Beobachters (bzw. der Kamera)<br />

über Spiegelungen an Körpern der Szene<br />

<strong>und</strong> evtl. Durchdringungen transparenter<br />

Körper hin zu den Lichtquellen zurück verfolgt<br />

werden. Eine kurze Beschreibung des<br />

Verfahrens habe ich in (Filler 2001) sowie auf<br />

der <strong>Internet</strong>seite [1] gegeben, ausführlichere<br />

Darstellungen finden sich u.a. in (Watt 2002)<br />

<strong>und</strong> (Xiang & Plastock 2003). Nach einer<br />

kurzen Erläuterung der <strong>—</strong> recht nahe liegenden<br />

<strong>—</strong> Funktionsweise des Raytracing liegt<br />

für die Schüler auf der Hand, dass die Berechnung<br />

von Reflexionen entscheidend für<br />

die Generierung computergrafischer Darstellungen<br />

ist. Davon ausgehend wird das Reflexionsgesetz<br />

aus dem Physikunterricht der<br />

Mittelstufe wiederholt. Dieses besagt, dass<br />

Einfallswinkel <strong>und</strong> Reflexionswinkel maßgleich<br />

sind, wobei der Einfallswinkel α vom<br />

einfallenden Strahl <strong>und</strong> dem Einfallslot, der<br />

Reflexionswinkel β vom reflektierten Strahl<br />

<strong>und</strong> dem Einfallslot gebildet wird. Als Einfallslot<br />

wird die auf der spiegelnden Oberfläche<br />

<strong>im</strong> Auftreffpunkt des einfallenden Strahles errichtete<br />

Senkrechte verstanden (siehe Abb.<br />

17). Teilweise wird hinzugefügt, dass die<br />

beiden Lichtstrahlen <strong>und</strong> das Einfallslot in einer<br />

Ebene liegen; <strong>im</strong> Allgemeinen werden jedoch<br />

ebene Versuchsaufbauten als selbstverständlich<br />

vorausgesetzt.<br />

Um das Reflexionsgesetz für allgemeine Anordnungen<br />

<strong>im</strong> Raum zu formulieren <strong>und</strong> Verläufe<br />

reflektierter Lichtstrahlen berechnen zu<br />

können, ist es notwendig, Einfallslote für beliebige<br />

Ebenen <strong>im</strong> Raum anzugeben <strong>und</strong><br />

Winkel zwischen diesen Einfallsloten <strong>und</strong><br />

13 Es sei hier noch angemerkt, dass die Betrachtung der in der<br />

Computergrafik üblichen Darstellung realer Objekte durch Dreiecksfacetten<br />

<strong>—</strong> also ebene Oberflächen <strong>—</strong> als Motivierung für<br />

die ansonsten geometrisch recht bedeutungsarme, <strong>im</strong> Unterricht<br />

jedoch sehr ausführliche Behandlung der Ebenen dienen kann.<br />

Ein offensichtlich für Computerspiele begeisterter Schüler merkte<br />

bei der Diskussion dieser Thematik <strong>im</strong> Unterricht an, dass er nun<br />

den Aufdruck "Dreiecksdurchsatz: 4,2 Mill./Sek<strong>und</strong>e" auf dem<br />

Karton seiner Grafikkarte verstehe.<br />

92<br />

Lichtstrahlen in Abhängigkeit von den Richtungsvektoren<br />

auszudrücken. Ausgehend<br />

von diesen Überlegungen wird das Skalarprodukt<br />

zweier Vektoren eingeführt sowie der<br />

Zusammenhang zwischen dem Winkel zwischen<br />

zwei Vektoren <strong>und</strong> ihrem Skalarprodukt<br />

behandelt. Durch Darstellung von Beispielen,<br />

die in Aufgaben vorkommen, mithilfe<br />

von POV-Ray können die Schüler zumindest<br />

qualitativ den Zusammenhang zwischen dem<br />

Winkel zweier Vektoren, dem Produkt ihrer<br />

Beträge <strong>und</strong> dem Skalarprodukt erkennen.<br />

Geeignete Anregungen stehen auf der <strong>Internet</strong>seite<br />

[1] zur Verfügung.<br />

Abb. 17<br />

Bei der Einführung der Normalenvektoren<br />

stellen die Schüler durch die Darstellung<br />

mehrerer Ebenen, die durch Koordinatengleichungen<br />

der Form Ax + By + Cz = D gegeben<br />

sind, <strong>und</strong> der jeweils zugehörigen<br />

⎛ ⎞<br />

Vektoren ⎜ ⎟<br />

⎜ ⎟<br />

⎝C<br />

⎠<br />

BA in POV-Ray fest, dass diese<br />

Vektoren jeweils senkrecht zu den zugehörigen<br />

Ebenen sind. Die betrachteten Koeffizientenvektoren<br />

werden dann als Normalenvektoren<br />

bezeichnet. Anschließend untersuchen<br />

die Schüler die Zusammenhänge zwischen<br />

den Normalen- <strong>und</strong> den Richtungsvektoren<br />

der Ebenen.<br />

Nach diesen Betrachtungen kann mithilfe des<br />

Skalarproduktes <strong>und</strong> des Normaleneinheitsvektors<br />

das Reflexionsgesetz nun folgendermaßen<br />

formuliert werden: Ist n r der Normaleneinheitsvektor<br />

der spiegelnden Oberfläche<br />

<strong>und</strong> sind l r <strong>und</strong> b r die normierten<br />

Richtungsvektoren des einfallenden bzw. reflektierten<br />

Lichtstrahls, so gilt:<br />

1. n r , l r <strong>und</strong> b r sind komplanar,<br />

2.<br />

r r<br />

n,<br />

l =<br />

r r<br />

n,<br />

b .<br />

Abb. 18


Einzelne Berechnungen des Verlaufes reflektierter<br />

Lichtstrahlen können anhand dieser<br />

Formulierung des Reflexionsgesetzes zwar<br />

durchgeführt werden, entsprechen aber<br />

kaum Anwendungsbedürfnissen in der Computergrafik.<br />

Interessanter ist es, anhand von<br />

Beobachtungen der Realität zu diskutieren,<br />

ob die durch das Reflexionsgesetz beschriebene<br />

direkte Reflexion die einzige Art ist, in<br />

der Körper beleuchtet werden, <strong>und</strong> welchen<br />

Einfluss hierauf die Glätte oder Rauheit der<br />

Körperoberfläche hat. Neben der direkten<br />

(spiegelnden) Reflexion sind auch eine völlig<br />

richtungsunabhängige (ambiente) Beleuchtung,<br />

die durch Unebenheit von Körperoberflächen<br />

verursachte diffuse Beleuchtung sowie<br />

die durch nicht ganz exakte Reflexion<br />

von Lichtquellen ausgehender Strahlen entstehenden<br />

"Leuchtflecken" (Highlights) von<br />

Bedeutung. Diese Beleuchtungskomponenten<br />

können durch die Normalenvektoren sowie<br />

die Verbindungsvektoren zu den Lichtquellen<br />

<strong>und</strong> zur Kamera realitätsnah beschrieben<br />

werden. So ist es den Schülern<br />

möglich, geeignete mathematische Modelle<br />

der Beleuchtungskomponenten zu entwickeln.<br />

In engem Zusammenhang damit können<br />

sie die Wirkung der entsprechenden Parameter<br />

ambient, diffuse, reflexion<br />

<strong>und</strong> phong in POV-Ray erproben. 14<br />

Die am Beispiel des Fisches erwähnte Glättung<br />

von Kanten durch Normaleninterpolation<br />

können die Schüler nach der Behandlung der<br />

Normalenvektoren von Ebenen anhand eines<br />

Körpers mit wenigen Facetten selbst nachvollziehen.<br />

Dazu bietet sich z.B. das Oktaeder<br />

mit den Eckpunkten (1;0;0), (0;1;0),<br />

(-1;0;0), (0;-1;0), (0;0;-1) <strong>und</strong> (0;0;1) an. Zunächst<br />

stellen die Schüler dieses Oktaeder<br />

als Vereinigung von Dreiecken dar, wodurch<br />

sich in POV-Ray das erwartete Bild ergibt.<br />

Anschließend best<strong>im</strong>men sie die Normalenvektoren<br />

der Ebenen, in denen die Seitenflächen<br />

des Oktaeders liegen. Um die Kanten<br />

des Oktaeders zu glätten, werden für jeden<br />

Punkt die Mittelwerte der Normalenvektoren<br />

der anliegenden Facetten komponentenweise<br />

berechnet <strong>und</strong> normiert; <strong>—</strong> für das gewählte<br />

Oktaeder stellt sich heraus, dass die<br />

Koordinaten dieser "Mittelwertvektoren" mit<br />

denen der zugehörigen Eckpunkte identisch<br />

sind. Durch Darstellung der Vereinigung von<br />

8 geglätteten Dreiecken der Form<br />

smooth_triangle {,,<br />

,,<br />

, }<br />

14 Eine Beschreibung der Beleuchtungskomponenten <strong>und</strong> Beispiele<br />

für die Wirkung der genannten Parameter sind u.a. auf der <strong>Internet</strong>seite<br />

[1] unter "Ray-Tracing-Theorie" zu finden.<br />

Didaktische Aspekte der Einbeziehung von Elementen der 3D-Computergrafik<br />

in POV-Ray (siehe Abb. 19) ergibt sich auch<br />

für das Oktaeder eine Kantenglättung wie für<br />

den in Abb. 16 dargestellten Fisch.<br />

Abb. 19<br />

Es fällt auf, dass die durch die Software vorgenommene<br />

Kantenglättung in diesem extremen<br />

Fall merkwürdige Effekte in der Darstellung<br />

verursacht. Dass der dargestellte<br />

Körper geometrisch <strong>im</strong>mer noch ein Oktaeder<br />

ist, sehen die Schüler, wenn sie ihn<br />

durch Änderung der Kameraposition aus verschiedenen<br />

Richtungen betrachten. 15<br />

Die Glättung der Kanten des Oktaeders, welche<br />

die Schüler durch eigene Berechnungen<br />

vornahmen, löste bei ihnen Erstaunen aus.<br />

Durch den Bezug auf das Beispiel des Fisches,<br />

das sie zuvor kennen gelernt hatten,<br />

war ihnen bewusst, dass sie eine der wichtigsten<br />

Berechnungen, die für Computerspiele<br />

<strong>und</strong> Spielfilme millionenfach vorgenommen<br />

werden muss, selbst ausgeführt haben.<br />

7 Schlussbemerkungen<br />

Die bisherigen Erfahrungen mit der Einbeziehung<br />

von Elementen der 3D-Computergrafik<br />

in das Stoffgebiet Analytische Geometrie<br />

schätze ich als ermutigend ein. Die Schüler<br />

zeigten sich sehr interessiert an dieser<br />

Thematik; die Anfertigung eigener Computergrafiken<br />

empfanden sie als ausgesprochen<br />

reizvoll. Die Verwendung einer skriptgesteuerten<br />

Software wie POV-Ray führt<br />

zwangsläufig dazu, dass reines "Spielen" zu<br />

keinen Ergebnissen führt <strong>und</strong> die Schüler<br />

sich mit der <strong>Mathematik</strong>, die "hinter der Computergrafik<br />

steht", auseinander setzen müssen,<br />

um zu Ergebnissen gelangen.<br />

Neben den besonders reizvollen Beispielen<br />

Schneemannbau <strong>und</strong> Glättung des Oktaeders<br />

empfanden die Schüler auch die Vi-<br />

15 Ein Video, das dies deutlich zeigt, steht <strong>—</strong> neben den entsprechenden<br />

POV-Ray-Dateien <strong>—</strong> auf der <strong>Internet</strong>seite [1] zur Verfügung.<br />

93


Andreas Filler<br />

sualisierung von Standardaufgaben der Analytischen<br />

Geometrie als sinnvolle Ergänzung<br />

zu deren rechnerischer Bearbeitung.<br />

Die Beschreibung von Farben sowie der bewusste<br />

Einsatz der Beleuchtungskomponenten<br />

führen <strong>—</strong> miteinander kombiniert <strong>—</strong> zu<br />

weit gehenden Möglichkeiten der Gestaltung<br />

von Körperoberflächen. Die zu Gr<strong>und</strong>e liegenden<br />

mathematischen Modelle sind recht<br />

elementar <strong>und</strong> schaffen nicht nur ein Verständnis<br />

der Funktionsweise der Computergrafik<br />

sondern auch einen anderen Blick auf<br />

Erscheinungen der täglichen Umgebung.<br />

Klassische Inhalte der Analytischen Geometrie<br />

können dadurch von den Schülern mit einer<br />

anderen Bedeutung wahrgenommen<br />

werden, als dies anhand der <strong>im</strong> Unterricht<br />

normalerweise behandelten Beispiele der<br />

Fall ist.<br />

Als problematisch erwies es sich, in der vorgegebenen<br />

Zeit die vom Rahmenplan festgelegten<br />

Inhalte zu bearbeiten <strong>und</strong> Fragen der<br />

Computergrafik zu thematisieren. Die Spielräume,<br />

die der Berliner Rahmenplan lässt,<br />

sind sehr gering; auf die Behandlung der Farben<br />

musste ich deshalb z.B. verzichten.<br />

In Cottbus führte F. Rieper (ebenfalls in einem<br />

Gr<strong>und</strong>kurs ma-13) ein dreiwöchiges Unterrichtsprojekt<br />

zur 3D-Computergrafik durch<br />

<strong>und</strong> lies den Schülern große Freiräume bei<br />

der Wahl der Schwerpunkte. Die Ergebnisse<br />

dieses Projektes sind hinsichtlich der erstellten<br />

Grafiken, noch mehr aber aufgr<strong>und</strong> der<br />

von den Schülern verwendeten mathematischen<br />

Beschreibungen beeindruckend (s.<br />

[2]). Diese Ergebnisse unterstreichen die<br />

Forderung, durch veränderte Rahmenpläne<br />

Freiräume für weitergehende Überlegungen<br />

<strong>und</strong> Unterrichtsprojekte zu schaffen.<br />

Da die Einbeziehung von Elementen der 3D-<br />

Computergrafik Zeit benötigt, sollten Abstriche<br />

an den traditionellen, stärker algebraisch<br />

orientierten Inhalten des Stoffgebietes möglich<br />

sein. Das Setzen von Schwerpunkten,<br />

die Beschränkung auf Kernthemen, die vertieft<br />

<strong>und</strong> durch Anwendungen motiviert <strong>und</strong><br />

gefestigt werden, sowie die Reduzierung der<br />

mit Routineaufgaben verbrachten Zeit sind<br />

Ansätze für Straffungen. Das durch visuelle<br />

Vorstellungen unterstütze Verständnis kann<br />

die Reduzierung der für Routineaufgaben<br />

aufgewendeten Zeit zumindest teilweise<br />

kompensieren. Auch wenn an einigen Stellen<br />

Abstriche gemacht werden müssen, kann eine<br />

stärker geometrische <strong>und</strong> anwendungs-<br />

94<br />

orientierte Behandlung der Analytischen Geometrie<br />

eine Bereicherung für den <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

in der Sek<strong>und</strong>arstufe II sein.<br />

Literatur <strong>und</strong> <strong>Internet</strong><br />

Andraschko, H. (2001): DreiDGeo <strong>—</strong> ein Computerwerkzeug<br />

für die analytische Geometrie <strong>im</strong><br />

E 3 . In: Der <strong>Mathematik</strong>unterricht 47, Heft 5,<br />

54–68<br />

Borneleit, Peter, Rainer Danckwerts, Hans-Wolfgang<br />

Henn & Hans-Georg Weigand (2001):<br />

Expertise zum <strong>Mathematik</strong>unterricht in der<br />

gymnasialen Oberstufe. In: Journal für <strong>Mathematik</strong>-Didaktik<br />

22, 73–90<br />

EPA (Einheitliche Prüfungsanforderungen) (2002).<br />

Beschluss der 298. Kultusministerkonferenz<br />

am 23./24.05.2002 in Eisenach<br />

Filler, Andreas (2001): Dreid<strong>im</strong>ensionale Computergrafik<br />

<strong>und</strong> Analytische Geometrie. In: mathematica<br />

didactica 24, Heft 2, 21–56<br />

Filler, Andreas (2002): 3D-Computergrafik <strong>und</strong><br />

Analytische Geometrie <strong>—</strong> Vorschläge für den<br />

<strong>Mathematik</strong>unterricht in der Sek<strong>und</strong>arstufe II.<br />

In: Beiträge zum <strong>Mathematik</strong>unterricht 2002,<br />

Hildeshe<strong>im</strong> & Berlin: Franzbecker, 163–166<br />

Filler, Andreas & Gerald Wittmann (2004): Raumgeometrie<br />

vom ersten Tag an! Einstiege in die<br />

Analytische Geometrie. In: Der <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

50, Heft 1/2, 91–103<br />

Nyman, M. (1999): 4 Farben 1 Bild. Berlin, Heidelberg<br />

& New York: Springer<br />

Schupp, Hans (2000): Geometrie in der Sek<strong>und</strong>arstufe<br />

II. In: Journal für <strong>Mathematik</strong>-Didaktik<br />

21, 50–60<br />

Tietze, Uwe-Peter, Manfred Klika & Hans Wolpers<br />

(2000): <strong>Mathematik</strong>unterricht in der Sek<strong>und</strong>arstufe<br />

II, Band 2: Didaktik der Analytischen Geometrie<br />

<strong>und</strong> Linearen Algebra.Braunschweig &<br />

Wiesbaden: Vieweg<br />

Watt, A. (2002): 3D-Computergrafik. München:<br />

Pearson Education<br />

Wittmann, Gerald (2003): Schülerkonzepte zur<br />

Analytischen Geometrie. Hildeshe<strong>im</strong> & Berlin:<br />

Franzbecker<br />

Xiang, Z. & R. A. Plastock (2003): Computergrafik.<br />

Bonn: mitp-Verlag<br />

[1] <strong>Internet</strong>seite des Autors mit Materialien zum<br />

Thema dieses Beitrags: http://www-didaktik.<br />

mathematik.hu-berlin.de/org/filler/3D<br />

[2] Mathe-Projekt "Raytracing" in einem Gr<strong>und</strong>kurs<br />

ma-13, Fürst-Pückler-Gymnasium Cottbus:<br />

http://fpg-cottbus.de/faecher/mathematik/<br />

povrayprojekt.html<br />

[3] POV-Ray-Homepage: http://www.povray.org/<br />

[4] Rahmenpläne des Landes Berlin:<br />

http://www.senbjs.berlin.de/schule/<br />

rahmenplaene/thema_rahmenplaene.asp


� Konstruktion <strong>und</strong> Kontinuität in der Dynamischen<br />

Geometrie<br />

Thomas Gawlick, Landau<br />

Das Erscheinen der Dynamischen Geometrie-Software (DGS) "Cinderella" war der Auslöser<br />

für eine aspektreiche <strong>und</strong> teils kontroverse Diskussion über die Frage: Was ist das<br />

korrekte Verhalten von DGS <strong>im</strong> Zugmodus? "Dazu muss festgelegt werden, was man als<br />

korrekt ansieht, <strong>und</strong> eine naheliegende Forderung ist[,] hier Kontinuität zu erreichen. Dabei<br />

entspricht der Begriff der Kontinuität dem der Stetigkeit (eine sinnvolle Topologie vorausgesetzt).<br />

... Da Kontinuität offensichtlich nicht trivial zu erreichen ist, stellt sich die<br />

Frage, ob sie denn überhaupt erreichbar ist. Die Frage kann positiv beantwortet werden,<br />

<strong>und</strong> mit Cinderella ist inzwischen ein[e] kontinuierliche DGS erhältlich." (Kortenkamp<br />

2000). In Teil I. werden wir zeigen, dass diese Antwort in zweierlei Hinsicht mehr Probleme<br />

aufwirft, als sie löst. Scheut man jedoch zurück vor der Tragweite solcher Gr<strong>und</strong>satzüberlegungen,<br />

aber auch vor den bekannten Nebenwirkungen des stetigen Zug-<br />

Paradigmas, stellt sich natürlich um so dringender die Frage: Kann man auch auf andere<br />

Weise korrektes Verhalten von DGS <strong>im</strong> Zugmodus herbeiführen? Ja, das kann man <strong>—</strong> in<br />

Teil II. zeigen wir, dass die Restrukturierung des dynamischen Konstruktionsbegriffs<br />

zu einem Lösungsweg führt, der auch didaktisch fruchtbar gemacht werden kann.<br />

I. Das Problem der Kontinuität<br />

Postuliert man, dass DGS sich stetig verhalten<br />

soll, stellen sich zwei neue Fragen:<br />

(1) Welches Zug-Verhalten ist als stetig zu<br />

bezeichnen?<br />

(2) Wie stellt man es her?<br />

Die Antwort auf (1) ist nur scheinbar offenk<strong>und</strong>ig;<br />

<strong>—</strong> in Kap. I.1 werden wir sehen, dass<br />

man hierüber schon in einfachsten Beispielen<br />

ganz unterschiedlicher Ansicht sein kann.<br />

Und es zeigt sich in Kap. I.2, dass die konträren<br />

Auffassungen sich tatsächlich jeweils auf<br />

verschiedene mögliche Präzisierungen des<br />

Begriffs Kontinuität stützen können. Schließlich<br />

lehrt auch der geschichtliche Rückblick in<br />

Kap. I.3, dass sich aus der historischen Entwicklung<br />

das Kontinuitätsprinzips keineswegs<br />

so einfach <strong>und</strong> eindeutig einer dieser<br />

Interpretationen den Vorzug geben lässt.<br />

Nun könnte man meinen, dass sich doch<br />

wenigstens aus der Antwort auf (2) eine<br />

Maßregel für stetiges Verhalten ableiten<br />

lässt. Dem ist jedoch nicht so; <strong>—</strong> in Kap. I.4<br />

beschreiben wir, wie in "Cinderella" Stetigkeit<br />

erzeugt werden soll, indem Ausnahmesituationen<br />

durch Umwege ins Komplexe vermieden<br />

werden. Ebenso gut kann man jedoch<br />

als Geometer auch einen reellen Umweg beschreiten;<br />

<strong>—</strong> <strong>und</strong> das führt zu einem abweichenden<br />

Verhalten, welches gemäß der Analyse<br />

in Kap. I.2 sogar höhere Stetigkeitseigenschaften<br />

hat. Insofern muss also offen<br />

bleiben, ob überhaupt eine einzige Zug-<br />

Strategie als die stetige benannt werden<br />

kann.<br />

I.1 Springende Punkte: unstetig<br />

<strong>—</strong> oder auch nicht<br />

F<br />

A<br />

Abb. 1<br />

Bei spielerischen Erk<strong>und</strong>ungen <strong>im</strong> Vorfeld<br />

der klassischen Zweikreis-Konstruktion der<br />

Mittelsenkrechten kann man folgende Erfahrung<br />

machen: Gegeben seien zwei Kreise<br />

mit gleichem Radius r <strong>und</strong> Mittelpunkten A,<br />

E, die frei beweglich gedacht sind <strong>—</strong> <strong>und</strong> mit<br />

DGS auch so erfahren werden können. Für<br />

0


Thomas Gawlick<br />

nen der Mittelpunkte ein wenig, so wird F<br />

sich ebenfalls mitbewegen, <strong>—</strong> <strong>und</strong> zwar stetig.<br />

Das wird sicher als so natürlich empf<strong>und</strong>en,<br />

dass man es gar nicht bewusst wahrn<strong>im</strong>mt.<br />

Über kurz oder lang bemerkt man jedoch<br />

folgende Phänomene:<br />

(V1) Werden E <strong>und</strong> A zur Übereinst<strong>im</strong>mung<br />

gebracht, verschwindet F. 1<br />

(V2) Entfernt man E weit genug von A, verschwindet<br />

F ebenfalls.<br />

Abbildung 2 zeigt für (V1) verschiedene Stadien<br />

einer solchen Bewegung: E1, E2 <strong>und</strong> E3<br />

sind vorherige Positionen von E, sowie F1,<br />

F2 <strong>und</strong> F3 die dazugehörigen "früheren"<br />

Schnittpunkte.<br />

In beiden Fällen ist offenbar die Bedingung<br />

0


A<br />

F<br />

Abb. 4<br />

1. scheinen (V1) <strong>und</strong> (V2) doch nur oberflächlich<br />

ähnliche Situationen <strong>und</strong> Verhaltensweisen<br />

darzustellen, dem Sinne nach<br />

aber ganz verschieden zu sein,<br />

2. wird man (V1) <strong>und</strong> (V2) zunächst ganz unterschiedlich<br />

werten: während das abweichende<br />

Verhalten von "Euklid" in (V1)<br />

Ausdruck eines mathematischen Mangels<br />

(Unstetigkeit) zu sein scheint, ist man<br />

wohl geneigt, die mangelnde Erwartungskonformität<br />

von "Cinderella" in (V2) eher<br />

als eine harmlose Kuriosiät zu betrachten.<br />

Beide Ansichten erweisen sich jedoch bei<br />

näherer Betrachtung als falsch:<br />

1. (V1) <strong>und</strong> (V2) hängen dadurch zusammen,<br />

dass "Cinderella" Situationen vom Typ<br />

(V1) behandelt, indem es sie <strong>—</strong> <strong>und</strong> nicht<br />

nur sie! <strong>—</strong> in Situationen des Typs (V2)<br />

verwandelt.<br />

2. Es wird sich sowohl bei (V1) als auch bei<br />

(V2) zeigen, dass die Bewertung, was tatsächlich<br />

abweichend sein soll <strong>und</strong> wie<br />

schwer es wiegt, aus guten Gründen anders<br />

ausfallen kann.<br />

Der Zusammenhang zwischen beiden Sondersituationen<br />

wird anhand einer weiteren offenbar:<br />

(V3) Erhöht man den Abstand zwischen E<br />

<strong>und</strong> A auf 2r, fallen Fo <strong>und</strong> Fu zusammen.<br />

Verringert man anschließenden den Abstand<br />

wieder, gibt es aus der Anschauung der Situation<br />

heraus offenbar keinerlei sinnvolle<br />

Vorerwartung an das Verhalten von F: Fo <strong>und</strong><br />

Fu sind a priori gleichberechtigte Kandidaten<br />

für die Fortsetzung von F! Wenn man denn<br />

überhaupt eine generelle Regel formulieren<br />

will, nach der DGS eigenständig in solchen<br />

Situationen die Entscheidung trifft, bedarf es<br />

dafür einer gr<strong>und</strong>sätzlich anders gearteten<br />

Richtschnur, um unserer geometrischen Anschauung<br />

hierfür die Richtung zu weisen.<br />

E<br />

Konstruktion <strong>und</strong> Kontinuität in der Dynamischen Geometrie<br />

Bedingt vergleichbar ist die Geschichte des<br />

Parallelenaxioms: bemühte man sich schon<br />

seit Euklid um einen Beweis <strong>und</strong> erwog dabei<br />

durchaus auch seine Verneinung, erwuchs<br />

doch erst aus dem Studium alternativer Modelle<br />

der Geometrie eine Leitlinie, die es ermöglichte,<br />

mit den vormals als bloße Absurditäten<br />

erscheinenden Aussagen der Nichteuklidischen<br />

Geometrie erstmals eine wirkliche<br />

Anschauung zu verbinden (etwa für sich<br />

schneidende Parallelen) <strong>und</strong> auf dieser<br />

Gr<strong>und</strong>lage tragfähige Alternativen zum Parallelenaxiom<br />

zu formulieren. Zugleich wurde<br />

auch klar, dass es für die <strong>Mathematik</strong> nicht<br />

darum gehen kann, ein für alle Mal ein solches<br />

Axiom als absolute Wahrheit zu setzen,<br />

sondern dass situativ Maßregeln zu entwickeln<br />

sind, welche Axiome für best<strong>im</strong>mte<br />

Zwecke geeignet ist, die jeweilige Situation<br />

zu modellieren. (Bis zu welchem Maßstab<br />

darf ein Kartograph die Erdkrümmung ignorieren<br />

<strong>und</strong> die Vermessungspunkte einer<br />

Landschaft in einem euklidischen Modell<br />

(Landkarte!) repräsentieren?)<br />

Auch in der Dynamischen Geometrie erwächst<br />

das propagierte Stetigkeitsprinzip aus<br />

einer Modellierung: Kortenkamp & Richter-<br />

Gebert (2001) postulieren, dass ihre funktionentheoretische<br />

Auffassung des Ponceletschen<br />

Kontinuitätsprinzips sowohl eine solche<br />

konzeptionelle Ausdeutung des Zugmodus<br />

liefert als auch zugleich eine Hintergr<strong>und</strong>theorie<br />

<strong>und</strong> gegenüber rein geometrischen<br />

Zugängen anderer DGS stets zu höherer<br />

mathematischer Konsistenz führe, was<br />

auch didaktisch vorteilhaft sei. Wie jedoch<br />

die Beispiele in (Gawlick 2002) zeigen, bewirkt<br />

ihr Ansatz auch diverse Aberrationen<br />

der "Cinderella"-Geometrie von der (Schul-)<br />

Geometrie, die geeignet sind, den Lernprozess<br />

zu beeinträchtigen (vgl. Kap. I.3).<br />

Aber auch schon das obige Beispiel gibt Anlass,<br />

die Zugstrategie von "Cinderella" zu<br />

überdenken: Da Situationen vom Typ (V3)<br />

sich rein geometrisch nicht auflösen lassen,<br />

müssen sie vermieden werden. In "Cinderella"<br />

wird dazu jede Zugbewegung so abgeändert,<br />

dass Situationen des Typs (V2) entstehen,<br />

die sich in der funktionentheoretischen<br />

Modellierung behandeln lassen. Insofern<br />

hängt alles an der St<strong>im</strong>migkeit dieses "Prinzips<br />

der ständigen Verformung": Denn<br />

man wird solch eine nichttriviale Modifikation<br />

des Bewegungsvorganges doch nur dann als<br />

Richtschnur für sein Ergebnis akzeptieren,<br />

wenn sie in einfach nachvollziehbaren Spezialfällen<br />

Ergebnisse liefert, die mit der eigenen<br />

Anschauung übereinst<strong>im</strong>men.<br />

97


Thomas Gawlick<br />

Im Beispiel führt jedoch die von "Cinderella"<br />

vorgenommene Ersetzung des "gestörten"<br />

Zugweges zu anderen Ergebnissen, als es<br />

die Anschauung nahe legt. Schauen wir uns<br />

das etwas näher an:<br />

Im einfachsten Fall zieht man E also längs<br />

einer Geraden auf A (Abb. 5a). Im Grenzfall<br />

E=A ist F offenbar zunächst nicht definiert,<br />

danach aber stetig fortsetzbar.<br />

98<br />

Abb. 5a<br />

Abb. 5b<br />

Wenn man E über A hinaus bewegt, gibt es<br />

offenbar genau zwei Möglichkeiten:<br />

• F wird weiter durch den "oberen" Schnittpunkt<br />

Fo fortgesetzt: stetiges Verhalten,<br />

<strong>—</strong> so scheint es wenigstens ...<br />

• F wird nun durch den "unteren" Schnittpunkt<br />

Fu fortgesetzt: Dieses „sprunghafte“<br />

Verhalten ist scheinbar unstetig.<br />

Abb. 6<br />

"Euklid" realisiert (wie die meisten DGS) das<br />

scheinbare Umspringen von F in den anderen<br />

Schnittpunkt (Abb. 5b).<br />

Man beachte jedoch: Definitionsgemäß ist<br />

die Zugfigur von F dennoch auch <strong>im</strong> zweiten<br />

Fall der Graph einer stetigen Funktion, die<br />

abschnittsweise durch E a F bzw. E a Fu gegeben<br />

ist. Denn für E=A ist diese Funktion ja<br />

nicht definiert. Ihr Definitionsbereich ist also<br />

unzusammenhängend; <strong>—</strong> <strong>und</strong> auf den beiden<br />

Komponenten ist sie offenbar stetig! Man<br />

sollte daher nicht von "sprunghaft" sprechen,<br />

sondern eher von "lückenhaft".<br />

Trotzdem erscheint die erste Lösung zunächst<br />

als die bessere: Wird doch in diesem<br />

Fall die Zugfigur durch den "oberen" Schnittpunkt<br />

Fo zum Graphen der stetigen Funktion<br />

E a Fo auf dem ganzen Zugweg fortgesetzt.<br />

Doch diese von "Cinderella" realisierte Möglichkeit<br />

führt selbst zu einer Unstetigkeit:<br />

Betrachten wir dazu (in Abb. 6) die geradlinige<br />

Bewegung von E durch A als Grenzfall einer<br />

geradlinigen Bewegung durch D, wobei D<br />

<strong>im</strong>mer näher an A liegt. Durchläuft E für festes<br />

D eine solche Gerade c, bewegt sich dabei<br />

stets das jeweilige F=F D auf dem festen<br />

Kreis um A <strong>im</strong>mer weiter nach unten, je näher<br />

D an A liegt, um dann wieder nach oben<br />

zurückzukehren. Der scheinbare "Sprung" in<br />

der Bewegung von E durch A in Abb. 5b ist<br />

also der stetige Grenzfall dieser Bewegung.<br />

Abbildung 6 zeigt vier Stadien der Annäherung.<br />

Bewegt man D auf A zu, gilt offenbar<br />

F D ØFu für jedes Zwischenstadium der Bewegung<br />

von E "links" von A. Mit anderen Worten:<br />

Die Folge der Funktionen E a F D zu festem<br />

D konvergiert für DØA nicht gegen die<br />

überall stetige Funktion E a Fo, sondern ge-


gen die "lückenhafte" Funktion, die stückweise<br />

durch E a Fo bzw. E a Fu definiert ist.<br />

I.2 Was bedeutet Kontinuität in<br />

der Dynamischen Geometrie?<br />

Die Unklarheit, was für die Zweikreisfigur als<br />

"richtige" Auffassung von Stetigkeit gelten<br />

soll, motiviert sicher den Versuch, dies nicht<br />

durch "lokale Anschauung" sondern aus<br />

"globalen Prinzipien" abzuleiten. Zur Begründung<br />

des Zug-Verhaltens der Zug-Strategie<br />

von "Cinderella" wird von seinen Autoren das<br />

Ponceletsche Kontinuitätsprinzip (KP) angeführt:<br />

"Ist eine Figur aus einer anderen durch<br />

stetige Veränderung hervorgegangen <strong>und</strong><br />

'ebenso allgemein als diese', so kann eine<br />

an der ersten Figur bewiesene Eigenschaft<br />

ohne weiteres auf die andere übertragen<br />

werden." (Poncelet 1822, z.n. Kötter<br />

1901, 121)<br />

In dieser Form definiert das Prinzip jedoch<br />

nicht die Stetigkeit der Veränderung, sondern<br />

folgert aus ihr eine andere Eigenschaft: die<br />

Theoreminvarianz (TI):<br />

Bewiesene Sätze bleiben bei stetiger Veränderung<br />

richtig.<br />

KP liefert damit eine notwendige Bedingung<br />

für das Vorliegen stetiger Veränderung: nur<br />

wenn Theoreme "zug-invariant" sind, kann<br />

man das Verziehen einer Konstruktion stetig<br />

nennen. Was stetige Veränderung als solche<br />

bedeuten soll, wird dagegen wohl eher in<br />

Leibniz' Version des Kontinuitätsgesetzes<br />

(KL) deutlich:<br />

"Wenn sich (bei den gegebenen Größen)<br />

zwei Fälle stetig einander nähern, so daß<br />

schließlich der eine in den anderen übergeht,<br />

muss notwendig bei den abgeleiteten<br />

bzw. abhängigen (gesuchten) Größen<br />

dasselbe geschehen." (Leibniz 1687 &<br />

1996, 192f)<br />

Dies lässt sich mit Hilfe eines geeigneten<br />

Abstandsbegriffs (etwa des verallgemeinerten<br />

Euklidischen Abstands auf einem höherd<strong>im</strong>ensionalen<br />

Raum) schon als eine "moderne"<br />

Stetigkeitseigenschaft formulieren.<br />

Gehen nämlich in einer Konstruktion aus den<br />

unabhängigen Elementen u=(u1, ..., un) die<br />

abhängigen Elemente a=(a1, ..., ak) hervor,<br />

so bedeutet (KL) nichts anders als stetige<br />

Abhängigkeit (sA) <strong>im</strong> gewohnten Sinne:<br />

d(u, u’) → 0 ⇒ d(a, a’) → 0<br />

Lässt sich die betrachtete Konstruktion als<br />

funktionaler Zusammenhang a=f(u) auffassen,<br />

ist diese Bedingung offenbar gleichbe-<br />

Konstruktion <strong>und</strong> Kontinuität in der Dynamischen Geometrie<br />

deutend mit der üblichen Stetigkeit von f; <strong>—</strong><br />

allerdings ist genau diese funktionale Beschreibung<br />

der konstruktiven Abhängigkeit<br />

oftmals nicht möglich, weil die verwendeten<br />

Operationen mehrdeutig sind: Ein Winkel hat<br />

zwei Halbierende, zwei Kreise schneiden<br />

sich i.a. in zwei Punkten etc. Üblicher Weise<br />

wählt man stets nur eine Instanz a der abhängigen<br />

Elemente einer Konstruktion zu<br />

den unabhängigen Elementen u aus; <strong>—</strong> allerdings<br />

ist diese Auswahl in der Regel nicht<br />

stabil gegenüber stetiger Veränderung: Wird<br />

u längs eines geschlossenen Weges wieder<br />

auf den Ausgangspunkt bewegt, wird a nicht<br />

notwendig in sich überführt, sondern i.a. in<br />

eine andere Instanz a* derselben Konstruktion!<br />

Das paradigmatische<br />

Beispiel hierfür ist das<br />

folgende: Sei w die innere<br />

Halbierende von<br />

<strong>—</strong>AMB <strong>und</strong> S der<br />

Schnittpunkt von w mit<br />

dem Kreis k um M durch<br />

Abb. 7<br />

A. Für u=B→A "von unten"<br />

gilt nicht a=S→A (vgl. Abb. 7). Denn<br />

<strong>—</strong>AMB→360°, also <strong>—</strong>AMS→180°. In dieser<br />

Betrachtungsweise kann (KL) durch kein<br />

DGS erfüllt werden!<br />

Dennoch n<strong>im</strong>mt "Cinderella" für sich in Anspruch,<br />

stetiges Verhalten zu realisieren; <strong>—</strong><br />

<strong>und</strong> in der Regel n<strong>im</strong>mt der Benutzer dabei<br />

auch keine Sprünge wahr. Das aber bedeutet<br />

hier nur das Vorliegen einer stetigen Hochhebung<br />

(sH) von u auf a:<br />

Bewegt man u längs eines stetigen Weges<br />

t→u(t), t∈[0,1], so gibt es auch einen<br />

stetigen Weg t→a(t), der die Bewegung<br />

des abhängigen Elements a beschreibt.<br />

Wir schreiben dafür u�a.<br />

Insbesondere wird dabei nicht behauptet,<br />

dass aus u(1)=u(0) auch a(1)=a(0) folgt! Eine<br />

DGS mit (sH) braucht also nicht deterministisch<br />

zu sein. Erschwerend kommt Folgendes<br />

hinzu: Die Eigenschaft (sH) ist nicht nur<br />

wesentlich schwächer als (KL); <strong>—</strong> sie verändert<br />

auch auf subtile Art die Auffassung von<br />

Punkten; <strong>—</strong> es gibt jetzt nicht mehr den unabhängigen<br />

Punkt u der Ebene, anhand dessen<br />

sich Aussagen über die abhängigen Elemente<br />

a der Konstruktion machen lassen,<br />

wie man es aus der statischen Geometrie ja<br />

gewohnt ist; <strong>—</strong> vielmehr kommt es nun entscheidend<br />

auf die "Vergangenheit" von u an.<br />

An dieser Stelle divergieren also die intendierte<br />

Visualisierung durch die DGS <strong>und</strong> die<br />

ihr zugr<strong>und</strong>e liegende begriffliche Modellierung<br />

auf wesentliche Weise! Sichtbar ma-<br />

99


Thomas Gawlick<br />

chen lässt sich dies am leichtesten, indem<br />

man "Cinderella" in Abb. 7 <strong>—</strong>AMB anzeigen<br />

lässt; <strong>—</strong> be<strong>im</strong> Bewegen <strong>im</strong> bzw. gegen den<br />

Uhrzeigersinn erhält man dann beliebig kleine<br />

bzw. große Werte für <strong>—</strong>AMB. Dies zeigt,<br />

dass B "in Wirklichkeit" gar nicht in der Euklidischen<br />

Ebene E bewegt wird. Wo aber<br />

dann?<br />

Um die Information über die Auswahl von a<br />

gleichsam in u zu konzentrieren <strong>und</strong> so beide<br />

Seiten wieder etwas anzunähern, bietet es<br />

sich an, u mit "Zustandsinformation" darüber<br />

anzureichern, welche der möglichen Instanzen<br />

für a aktuell gewählt wurde. Das entspricht<br />

dem Übergang von Punkten u in der<br />

Euklidischen Ebene E zu Paaren (u,a)∈E×E .<br />

Diese Paare bilden eine Überlagerung von<br />

E: "über" jedem u (außer dem Verzweigungspunkt<br />

M) liegen zwei Paare (u,a). Vermöge<br />

der Projektion (u,a)→u wird diese<br />

Überlagerung von "Cinderella" in der Bildschirmebene<br />

dargestellt. Dabei gehen best<strong>im</strong>mte<br />

Information notwendig verloren, <strong>—</strong><br />

ähnlich wie bei der ebenen Projektion eines<br />

Kantenmodells: Wenn Kanten <strong>im</strong> Bild zusammenfallen,<br />

kann man allein aus der Abbildung<br />

nicht mehr erschließen, welche gemeint<br />

ist. Erst be<strong>im</strong> Bewegen wird das deutlich,<br />

<strong>—</strong> ähnlich bei "Cinderella": hier jedoch<br />

sieht man stets nur einen der beiden möglichen<br />

Punkte, <strong>—</strong> <strong>und</strong> muss sich überlegen,<br />

welcher. Durch Ziehen lässt sich das evtl.<br />

entscheiden; <strong>—</strong> allerdings ändert sich dabei<br />

dann auch die Auswahl des Punktes ... Auch<br />

Kortenkamp <strong>und</strong> Richter-Gebert konzedieren,<br />

"dass das auf einem Computerbildschirm<br />

gezeigte reelle [sic!] Verhalten eines<br />

DGS nur ein unvollständiges Bild des gesamten<br />

mathematischen Inhalts einer Konstruktion<br />

angibt ... Vielmehr hat der Weg, den<br />

man von einer Startsituation aus n<strong>im</strong>mt, entscheidenden<br />

Einfluss. Das st<strong>im</strong>mt sogar<br />

dann noch, wenn die komplette Bewegungssituation<br />

auf einen Parameter t reduziert<br />

worden ist. Selbst dann entscheidet <strong>im</strong>mer<br />

noch die relative Windungszahl in C des Weges<br />

von t um die Verzweigungspunkte über<br />

die erreichte Endinstanz." (a.a.O., 138f) All<br />

diese Sachverhalte wird man aber wohl<br />

kaum einem Lehrer (zu schweigen von Schülern!)<br />

deutlich machen können; <strong>—</strong> dennoch<br />

beeinflussen sie auf nachdrückliche Weise<br />

die Gesetze der "Cinderella"-Geometrie,<br />

wie wir sehen werden.<br />

Noch weitreichender ist jedoch die in<br />

Kap. I.1 offenbar gewordene Unstetigkeit der<br />

"Cinderella"-Fortsetzung bei Verformung des<br />

Zugweges! Man mag diese bloß für eine Erschwernis<br />

der Aufgabenstellung halten, <strong>und</strong><br />

100<br />

daher für unpassend, solange nicht einmal<br />

die Ausgangsfrage geklärt ist. Tatsächlich<br />

wird aber die Analyse der Zugstrategie von<br />

"Cinderella" in Kap. I.4 nachweisen, dass<br />

genau diese Eigenschaft essentiell für ihre<br />

tatsächliche Umsetzung ist. Wir kommen insofern<br />

nicht umhin, noch eine weitere Bedingung<br />

für stetiges Verhalten zu formulieren,<br />

die sich als notwendig für "Cinderella" erweisen<br />

wird!<br />

Stetige Verformung von Wegen führt auf den<br />

topologischen Begriff der Homotopie, worauf<br />

hier aber nicht eingegangen werden braucht:<br />

Interpretieren wir nämlich wie in (Gawlick<br />

2001) die stetige Verformung einer Figur<br />

selbst wieder als neue Figur <strong>—</strong> die Zugfigur!<br />

<strong>—</strong>, können wir auch deren stetige Deformation<br />

(sD) verlangen:<br />

Verformt man den Zugweg einer Figur<br />

stetig, soll sich die Zugfigur ebenfalls stetig<br />

verhalten.<br />

Sinnvoller Weise wird (sH) vorausgesetzt.<br />

Dann lässt sich (sD) mittels (KL) beschreiben:<br />

Der Zugweg eines Punktes u ist nichts anderes<br />

als die Zugfigur U von u, wenn man u als<br />

Figur auffasst. Entsprechend sei A die Zugfigur<br />

eines abhängigen Punktes a. Dann bedeutet<br />

(sD) nichts anderes als stetige Abhängigkeit<br />

der Zugfigur (sZ):<br />

d(U, U’) → 0 ⇒ d(A, A’) → 0<br />

Man genieße die Kürze <strong>und</strong> Eleganz dieser<br />

Formel <strong>und</strong> ihre starke Ähnlichkeit mit (sA)!<br />

Mit Wegen lässt (sD) sich so formulieren:<br />

u' � a'<br />

↓ ↓<br />

u � a<br />

Also ist (sD) nichts anderes als (KL) für Wege!<br />

Die Autoren von "Cinderella" versuchen jedoch,<br />

noch einen Schritt weiter zu gehen <strong>und</strong><br />

(sD) zur Behebung von Ausnahmesituationen<br />

zu benutzen. Das ist mehr als Kontinuität<br />

<strong>—</strong> sozusagen das Prinzip der stetigen Erweiterung<br />

(sE):<br />

Zugfiguren längs Wegen durch Ausnahmesituationen<br />

sollen stetig fortgesetzt<br />

werden, indem der durchlaufene Weg stetig<br />

abgeändert wird.<br />

Damit dies von Erfolg gekrönt ist, muss die<br />

Zugfigur sich bei einer solchen Verformung<br />

natürlich ebenfalls stetig verhalten, also (sZ)<br />

<strong>und</strong> damit auch (sD) gelten. Unsere Beispiele


zeigen jedoch folgenden, in Kap. I.4 zu beweisenden,<br />

Ausschließungssatz: (sD) <strong>und</strong> (sE) sind<br />

unvereinbare Prinzipien der Dynamischen<br />

Geometrie.<br />

Fassen wir nun zusammen, was all diese<br />

Prinzipien für die Dynamische Geometrie<br />

hergeben:<br />

• (KP) liefert keine Präzisierung des Stetigkeitsbegriffs,<br />

<strong>—</strong> aber eine notwendige<br />

Bedingung für eine solche: (TI).<br />

• (KL) lässt sich dagegen in die Stetigkeitsbedingung<br />

(sA) übersetzen; <strong>—</strong> deren Voraussetzungen<br />

sind jedoch i.A. zu stark.<br />

• (sH) lässt sich dagegen für die Dynamische<br />

Geometrie als Stetigkeitsbedingung<br />

verwenden, <strong>—</strong> liefert aber zwischen den<br />

beiden Fortsetzungen von E a F aus<br />

Kap. I.1 nicht unbedingt die gewünschte<br />

Abgrenzung:<br />

o Auch die "lückenhafte" Fortsetzung<br />

durch E a Fu erfüllt (sH).<br />

o Die überall stetige Fortsetzung E a Fo<br />

erfüllt (sH) zwar in einem Punkt mehr;<br />

<strong>—</strong> dass man dadurch auch in diesem<br />

Beispiel die Euklidische Ebene verlässt,<br />

wird von (sH) aber natürlich nicht<br />

erfasst.<br />

• (sD) ist als (sZ) bündig präzisierbar <strong>und</strong><br />

daher gut als Prüfstein tauglich,<br />

• (sE) ist wohl die stärkste Forderung, genügt<br />

aber nicht als alleiniges Kriterium der<br />

Unterscheidung:<br />

o (sD) wird von "Cinderella" <strong>im</strong> Beispiel<br />

aus Kap. I.1 verletzt, <strong>—</strong> obwohl notwendige<br />

Bedingung der internen Zugstrategie!<br />

o Dagegen erfüllen andere DGS (sD) <strong>im</strong><br />

Beispiel aus Kap. I.1; <strong>—</strong> sie verzichten<br />

aber auf (sE) Erweiterung der Gültigkeit<br />

von (sH) auf E=A.<br />

Die Autoren von "Cinderella" entscheiden<br />

sich dafür, (sD) zu opfern, um (sH) durchgängig<br />

zu realisieren. Ob dies tatsächlich<br />

(KP) entspricht, muss jedoch fraglich bleiben,<br />

da doch in einigen Beispielen (TI) verletzt zu<br />

werden scheint (vgl Kap. I.3). Die anderen<br />

DGS erkaufen dagegen die Gültigkeit von<br />

(sD) mit der scheinbaren "Sprunghaftigkeit"<br />

von Zugfiguren, deren Definitionsbereich<br />

eben nicht um E=A erweiterbar ist, ohne Widersprüche<br />

zu produzieren.<br />

Welchem dieser widersprüchlichen Prinzipien<br />

soll aber der Anwender nun den Vorzug geben?<br />

Eine genauere Analyse ihrer begriffli-<br />

Konstruktion <strong>und</strong> Kontinuität in der Dynamischen Geometrie<br />

chen Relationen erfordert sicherlich mehr<br />

<strong>Mathematik</strong>, als man billigerweise von Lehrern<br />

als fertig abrufbar verlangen wird, <strong>—</strong><br />

umso mehr, als dies letztlich nicht zu definitiven<br />

Antworten führen kann, da sich der Widerspruch<br />

zwischen Erfüllbarkeit von (sD)<br />

<strong>und</strong> (sE) auch nicht auf höherer Ebene auflösen<br />

wird. Diesen Weg weiter zu begehen,<br />

wäre ggf. wohl eher ein adäquater Gegenstand<br />

für Topologie-Vorlesungen, <strong>—</strong> die sich<br />

zukünftig ja vielleicht auch mehr solch konkreten<br />

Dingen zuwenden werden ...<br />

I.3 Das historische Ringen um<br />

das Kontinuitätsprinzip<br />

Das vorige Kapitel lieferte statt der gewünschten<br />

"globalen Ableitung" einer Präzisierung<br />

des Kontinuitätsprinzips deren mehrere,<br />

die in durchaus nicht einfach zu durchschauender<br />

Beziehung zueinander stehen.<br />

Dies kann zu einem Gefühl der Verwirrung<br />

führen, von dem man sich vielleicht durch<br />

den Rückgriff auf historische Autoritäten befreien<br />

möchte, die diese Entscheidung eventuell<br />

bereits mit größerem Weitblick getroffen<br />

haben könnten. Wie auch <strong>im</strong>mer, bei ihrer<br />

Lesart des Kontinuitätsprinzips berufen sich<br />

die Autoren von "Cinderella" jedenfalls auf<br />

Felix Kleins Interpretation: "Erst die Bezugnahme<br />

auf die Analysis, die Poncelet gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

ablehnt, konnte das neue Gedankengebäude<br />

auf eine sichere Gr<strong>und</strong>lage stellen.<br />

Der <strong>im</strong>aginäre Punkt ist dann ebenso wie<br />

der reelle nur ein gemeinsamer Lösungswert<br />

einer Anzahl gleichzeitig erfüllter Gleichungen,<br />

die je eines der zum Schnitt gebrachten<br />

Gr<strong>und</strong>gebilde darstellen. ... Ein jeder geometrischer<br />

Satz ist analytisch auszudrücken<br />

(wenn wir Geometrie so umgrenzen, wie es<br />

damals üblich war) durch die Nullsetzung einer<br />

algebraischen oder auch nur analytischen<br />

Funktion f(a,b,c,...) der darin in Beziehung<br />

gesetzten Stücke a, b, c, ... der Figur.<br />

Das Prinzip der Kontinuität spricht dann<br />

nichts anderes aus, als dass eine analytische<br />

Funktion, die längs eines noch so kleinen<br />

Stückes ihres Bereiches verschwindet, überhaupt<br />

Null ist." (Klein 1928, 82)<br />

Schon zu Kleins Zeiten war allerdings deutlich,<br />

dass diese Sicht von Geometrie zahlreiche<br />

elementargeometrische Sachverhalte<br />

<strong>und</strong> Beweise nicht erfasst, <strong>—</strong> nämlich insbesondere<br />

die, welche auf Lageverhältnissen<br />

beruhen:<br />

• Z.B. der Umfangwinkelsatz lässt sich nicht<br />

mehr wie gewohnt darstellen, weil die<br />

Voraussetzung, dass ein Punkt auf einem<br />

101


Thomas Gawlick<br />

Kreisbogen liegt, nicht als Gleichung formuliert<br />

werden kann.<br />

• Ebenso wenig lässt sich der bekannte<br />

(fehlerhafte) Beweis, dass alle Dreiecke<br />

gleichschenklig sind, in dieser Sprache<br />

untersuchen, da sie keinen Ausdruck dafür<br />

hat, ob ein Punkt inner- oder außerhalb<br />

eines Dreiecks liegt.<br />

In der Arbeit (Gawlick 2002) wurden weitere<br />

Aberrationen der "Cinderella"-Geometrie gezeigt.<br />

Ein lehrreiches Beispiel wird auch in<br />

Teil II. genauer analysiert.<br />

Darüber hinaus weiß man heute, dass es<br />

aber auch Sätze gibt, die <strong>im</strong> Komplexen<br />

falsch werden, ohne dass sie auf solchen<br />

Lagebezeichnungen beruhen, z.B. der folgende<br />

Satz (MacLane):<br />

Seien A0, ..., A7 Punkte mit Ai+3∈AiAi+1 für<br />

i=0,…,7 (alle Indizes mod 8). Dann sind<br />

A0, ..., A7 kollinear.<br />

Dies merkt man allerdings in der Regel nicht,<br />

da eine solche Konfiguration sich mit "Cinderella"<br />

wohl nur <strong>im</strong> Reellen erstellen lässt (sollte<br />

dem Leser dennoch ein Trick zur Realisierung<br />

einer nichtkollinearen komplexen Mac-<br />

Lane-Konfiguration in "Cinderella" einfallen,<br />

möge er dies dem Vf. mitteilen!). Wer sich<br />

auf die (ohnehin nur probabilistisch) von<br />

"Cinderella" verifizierte Zugfestigkeit dieser<br />

Aussage verlässt, erliegt also einem kategorialen<br />

Irrtum!<br />

Auf diesem Hintergr<strong>und</strong> stellt sich die Frage,<br />

ob die von Klein propagierte Auffassung der<br />

Elementargeometrie als komplex-analytische<br />

Geometrie nicht doch zu kurz greift. Und ein<br />

historischer Rückblick zeigt, dass diese Kalkülisierung<br />

des Prinzips auch keineswegs so<br />

zwangsläufig ist, wie Klein es nahe legt: Eine<br />

Theorie <strong>im</strong>aginärer (Schnitt-) Punkte, die für<br />

die Dynamische Geometrie natürlich benötigt<br />

wird, lässt sich ja nämlich auch rein synthetisch<br />

betreiben, wie von Staudt (1856) gezeigt<br />

hat. Aber auf diese Weise vermeidet<br />

man natürlich ebenso wenig das in Kap. I.1<br />

geschilderte Dilemma. Hier offenbart sich,<br />

dass die didaktisch scheinbar so nutzbringende<br />

Konkretisierung vorgestellter Veränderungen<br />

durch reale Bilder in gewissem Sinne<br />

den Teufel mit dem Beelzebub austreibt, weil<br />

die Fülle der mit ihr erzeugten Bilder so recht<br />

auf keinen theoretischen Begriff mehr zu<br />

bringen ist. Nahe gelegt wird diese Sicht der<br />

Dinge u.a. von den prophetischen Worten eines<br />

historischen Protagonisten des Ponceletschen<br />

Kontinuitätsprinzips:<br />

"Die alte Geometrie strotzt von Figuren.<br />

Das Raisonnement darin ist einfach. ...<br />

Man hat aber die Unbequemlichkeit dieser<br />

102<br />

Verfahrungsart erfahren durch die<br />

Schwierigkeit der Construction gewisser<br />

Figuren <strong>und</strong> durch die Complication, welche<br />

das Verständnis mühsam <strong>und</strong> beschwerlich<br />

macht. ... Man muss sich hiernach<br />

fragen, ob es nicht auch in der reinen<br />

<strong>und</strong> speculativen Geometrie eine Art<br />

des Raisonnements gäbe, wobei nicht<br />

beständig Figuren nöthig wären, deren<br />

wirkliche Unbequemlichkeit, selbst wenn<br />

die Konstruktion leicht ist, doch <strong>im</strong>mer<br />

darin besteht, den Geist zu ermüden <strong>und</strong><br />

die Gedanken zu hemmen." (Chasles<br />

1839)<br />

Selbst wenn eine DGS für sich in Anspruch<br />

nehmen könnte, das Ponceletsche Kontinuitätsprinzip<br />

getreuer als andere zu realisieren<br />

<strong>—</strong> gemäß einer definitiven Lesart, die freilich<br />

<strong>im</strong>mer noch zu ermitteln bliebe! <strong>—</strong>, wäre damit<br />

noch keineswegs der Intention dieses<br />

Prinzips entsprochen, das offenbar doch ersonnen<br />

wurde, um sich von der Vielfältigkeit<br />

konkreter Figuren nicht den Blick verstellen<br />

zu lassen.<br />

Es ist in diesem Zusammenhang sehr bemerkenswert,<br />

dass sowohl Leibniz als auch<br />

Poncelet sich zwar ausführlichst über die philosophische<br />

Begründung des Kontinuitätsprinzips<br />

äußern, die Anwendung auf konkrete<br />

Situationen aber stets nur knapp <strong>und</strong> vage<br />

beschreiben. Insbesondere verlieren beide<br />

nach Kenntnis des Vf. kein einziges Wort<br />

darauf, die Schwierigkeit in Kap. I.1 (oder<br />

ähnlich s<strong>im</strong>plen Situationen) auch nur anzudeuten,<br />

geschweige denn aufzulösen. Dennoch<br />

wäre sie sicherlich diesen Geistesgrößen<br />

(aber auch ihren Nachfolgern) nicht entgangen;<br />

<strong>—</strong> wenn sie sich denn einer solch<br />

konkreten Betrachtung figürlicher Veränderung<br />

überhaupt unterzogen hätten. Hierfür<br />

fehlte ihnen aber doch wohl weniger das<br />

rechte Werkzeug als vielmehr das Bedürfnis!<br />

Bei Leibniz gibt es i.W. überhaupt nur ein<br />

geometrisches Beispiel: die bewegte Variation<br />

eines Kegelschnitts. Er kommt dabei zur<br />

Herleitung von Tangenteneigenschaften<br />

auch auf das Verhalten von Schnittpunkten<br />

zu sprechen: "Nun kann die den Kreis<br />

schneidende Gerade so bewegt werden,<br />

dass sie mehr <strong>und</strong> mehr aus diesem heraustritt<br />

<strong>und</strong> sich die Schnittpunkte mehr <strong>und</strong><br />

mehr einander nähern, bis sie schließlich<br />

koinzidieren, in welchem Fall die Gerade den<br />

Kreis verlässt <strong>und</strong> zur Tangente wird" (Leibniz<br />

1687 & 1996, 192f). Dieses Verhalten<br />

wird auf Kegelschnitte übertragen: "Wenn<br />

deshalb die Gerade den Kreis berührt, wird<br />

auch die Projektion der Geraden den zugehörigen<br />

Kegelschnitt tangieren. Auf diese


Weise lässt sich eines der Haupttheoreme<br />

über Kegelschnitte beweisen, ohne Umschweife<br />

<strong>und</strong> Aufwand von Figuren, auch<br />

nicht für jeden Kegelschnitt besonders, sondern<br />

ganz allgemein, durch bloße geistige<br />

Anschauung." Leibniz spricht also <strong>im</strong>mer nur<br />

von "zwei Punkten", ohne sie zu unterscheiden;<br />

<strong>—</strong> <strong>und</strong> da er sie "durch bloße geistige<br />

Anschauung" nur zusammen-, aber nicht<br />

wieder auseinanderlaufen lässt, braucht er<br />

auch nicht genauer betrachten, wie sie sich<br />

dabei ggf. unterscheiden lassen, <strong>—</strong> <strong>und</strong> ob<br />

überhaupt! Ganz genauso spricht Poncelet<br />

angesichts der Verwandlung einer Geraden<br />

in eine Kreistangente <strong>im</strong>mer nur von einem<br />

"System von Punkten"; <strong>—</strong> <strong>und</strong> auch bei ihm<br />

wird die umgekehrte Bewegung nicht angesprochen.<br />

Schon <strong>im</strong> Vorfeld der Veröffentlichung von<br />

Poncelets Kontinuitätsprinzips kam es jedoch<br />

auch zu Zweifeln an seiner Gültigkeit: Cauchy<br />

sprach 1820 in seinem "Rapport à l'académie<br />

des sciences... sur un mémoire ... par<br />

M. Poncelet" nur von einer "induction forte"!<br />

Aus der so begonnenen Auseinandersetzung<br />

um die Rechtfertigung des Kontinuitätsprinzips<br />

(<strong>und</strong> durch persönlichen Querelen aufgr<strong>und</strong><br />

von Prioritätsstreitigkeiten!) erwuchs<br />

ein recht fruchtbar wirkender Gegensatz von<br />

synthetischer <strong>und</strong> analytischer Geometrie,<br />

der schließlich in von Staudts rein synthetischer<br />

Auffassung gipfelte, wie man dem lesenswerten<br />

Aufsatz von Fano (1903–1915)<br />

entn<strong>im</strong>mt. Dagegen scheiterte der Versuch<br />

von Schubert (1879), das algebraische Kontinuitätsprinzip,<br />

die o.a. Problematik durch<br />

Reduktion allein auf den quantitativen Aspekt<br />

als "Prinzip von der Erhaltung der Anzahl" zu<br />

retten:<br />

Kohn (1902) führt eine Anzahl von Gegenbeispielen<br />

auf <strong>und</strong> schließt mit dem vernichtenden<br />

Urteil: "Das Schubertsche Prinzip von<br />

der Erhaltung der Anzahl als Prinzip mathematischer<br />

Beweisführung ist krank, unheilbar<br />

krank sogar in gewissem Sinne; allein als<br />

heuristisches Prinzip von allzeit frischer Kraft<br />

wird es fortleben in der Wissenschaft." Und<br />

schließlich führte sogar Hilbert (1900) in seiner<br />

berühmten Liste ungelöster Probleme als<br />

Nr. 15 die "Strenge Begründung von Schuberts<br />

Abzählungskalkül" auf, was er wie folgt<br />

begründete: "Wenn auch die heutige Algebra<br />

die Durchführbarkeit der El<strong>im</strong>inationsprocesse<br />

<strong>im</strong> Princip gewährleistet, so ist zum Beweise<br />

der Sätze der abzählenden Geometrie<br />

erheblich mehr erforderlich, nämlich die<br />

Durchführung der El<strong>im</strong>ination bei besonders<br />

geformten Gleichungen in der Weise, daß<br />

der Grad der Endgleichungen <strong>und</strong> die Vielfachheit<br />

ihrer Lösungen sich voraussehen<br />

Konstruktion <strong>und</strong> Kontinuität in der Dynamischen Geometrie<br />

läßt." Die Lösung dieses Problems durch van<br />

der Waerden u.a. <strong>im</strong> Rahmen der gr<strong>und</strong>legenden<br />

Neugestaltung der Algebraischen<br />

Geometrie in der ersten Hälfte des vorigen<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts erfordert ganz andersartige<br />

Begriffe <strong>und</strong> Methoden; <strong>—</strong> sie lässt dementsprechend<br />

von der ursprünglichen Fragestellung<br />

kaum noch etwas erahnen ... Von dem<br />

Versuch, die anschauliche Fragestellung aus<br />

Kap. I.1 in diese so ganz andersartige Sprache<br />

zu übersetzen, soll hier abgesehen werden;<br />

<strong>—</strong> selbst wenn es darauf dort auch eine<br />

Antwort geben mag, ist doch deren Rückübersetzbarkeit<br />

fraglich, sicherlich aber wenig<br />

erhellend.<br />

I.4 Cinderellas Behandlung von<br />

Ausnahmesituationen<br />

Um die funktionentheoretische Interpretation<br />

von (KP) zu realisieren, verwenden die Autoren<br />

von "Cinderella" noch eine weitere wesentliche<br />

Idee:<br />

Ausnahmesituationen werden durch Abänderung<br />

des Weges vermieden.<br />

Konkret bedeutet das:<br />

Die Bewegung des unabhängigen Elements<br />

u wird in einer Serie u0, u1, ..., un von Stützstellen<br />

repräsentiert, die sich z.B. aus der<br />

Position des Mauszeigers zu verschiedenen<br />

Zeitpunkten ergeben. Diese Stützstellen sind<br />

nun durch stetige Wege zu verbinden. Dabei<br />

machen die Autoren von "Cinderella" jedoch<br />

zwei wesentliche Einschränkungen:<br />

- Punkte dürfen nur linear verb<strong>und</strong>en werden.<br />

- Umwege dürfen nur auf komplex-lineare<br />

Wegen in einer Koordinate vorgenommen<br />

werden.<br />

Vgl. dazu Abb. 8 aus Richter-Gebert (o.J.).<br />

Die Homogenität dieser Darstellung lässt<br />

leicht übersehen, dass gerade die zweite<br />

Einschränkung sehr wesentlich ist: Denn sie<br />

erfolgt keineswegs nur, um Ausnahmesituationen<br />

möglichst zu vermeiden sondern überhaupt<br />

bei jeder Bewegung: "'Cinderella' erzeugt<br />

für je zwei aufeinander folgende Stützstellen<br />

einen quasi-linearen Weg, bei dem<br />

der Kontrollparameter durchs Komplexe<br />

führt" (Kortenkamp & Richter-Gebert 2001).<br />

Mit anderen Worten: "Cinderella" führt nie die<br />

visualisierte reelle Bewegung aus, <strong>—</strong> selbst<br />

dann nicht, wenn diese bereits linear ist: hat<br />

etwa <strong>im</strong> Musterfall der Anwender die Bewegung<br />

von E durch A so modelliert, dass E auf<br />

einer Geraden durch A bewegt wird, so wird<br />

be<strong>im</strong> Ziehen nicht diese Bewegung ausge-<br />

103


Thomas Gawlick<br />

führt, sondern durch eine Sequenz komplexer<br />

Kreisbögen zwischen den Interpolationspunkten<br />

des Mauszeigers ersetzt.<br />

All dies könnte als nachrangiges Implementationsdetail<br />

hier unerwähnt bleiben, <strong>—</strong> wenn<br />

es denn eines wäre! Dazu müsste aber gesichert<br />

sein, dass diese Ersetzung jeder<br />

durchgeführten Bewegung durch einen komplexen<br />

Umweg tatsächlich nichts Wesentliches<br />

verändert oder höchstens verbessert.<br />

Das sollte bedeuten:<br />

• War die Ersetzung "unnötig" (keine Ausnahmesituation<br />

auf dem Weg des Benutzers),<br />

kommt Dasselbe heraus, wie wenn<br />

nicht ersetzt wird.<br />

• War die Ersetzung "nötig" (Ausnahmesituation<br />

auf dem Weg), ist dieser Vergleich<br />

nicht möglich, daher sollte gelten:<br />

A) Für die Ersetzung gibt es <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

nur eine Möglichkeit.<br />

B) Bei der vorgenommenen Ersetzung<br />

sollte Dasselbe herauskommen wie<br />

bei anderen Umwegen, <strong>—</strong> d.h.: durch<br />

stetige Verformung des Ersetzungsweges<br />

sollen die Zugfiguren ineinander<br />

überführbar sein, also (sD) erfüllen:<br />

Genau das ist aber Beides nicht der Fall:<br />

A) Wie wir sehen werden, gibt es eine<br />

geometrisch naheliegende Variante<br />

der Ersetzungsstrategie; <strong>—</strong> reelle statt<br />

komplexe Umwege! <strong>—</strong> die zu einem<br />

abweichenden Ergebnis führt,<br />

B) <strong>im</strong> Fall der Zweikreisfigur zeigt sich,<br />

dass der von Cinderella gewählte komplexe<br />

Umweg (sD) verletzt.<br />

Wir weisen zunächst B) nach: Der obstruierte<br />

Weg ut wird in einer ε-Umgebung der Ausnahmestelle<br />

t=1/2 durch ein komplexes<br />

Kreisbogenstück u't(ε) ersetzt. Für ε→0 gilt<br />

dann u't(ε)→u (Abb. 9). Wenn sich die Wege<br />

u't(ε) der unabhängigen Punkte hochheben<br />

104<br />

Abb. 8<br />

x<br />

Im_x<br />

A E<br />

lassen zu stetigen Wegen a't(ε) der abhängigen<br />

Punkte <strong>und</strong> diese Wege für ε→0 ebenfalls<br />

gegen einen Weg a' konvergieren, lässt<br />

sich dieser Folgengrenzwert in sinnvoller<br />

Wiese als Ersatz für die Hochhebung des<br />

obstruierten Weges ut verwenden. Und definitionsgemäß<br />

gilt dann a'(ε)→a', so dass wenigsten<br />

für diese Folge (sD) erfüllt ist:<br />

u'(ε) � a'(ε)<br />

↓ ε→0 ↓<br />

u � a'<br />

Wie sieht es aber mit anderen Wegen aus?<br />

Dazu folgt die Best<strong>im</strong>mung von a' <strong>im</strong> Beispiel.<br />

Für ε=1/2 zeigt Abb. 10 die Abänderung<br />

von ut durch u't(ε). Der Einfachheit halber<br />

rechnen wir <strong>im</strong> Folgenden aber nur mit<br />

ε=1. <strong>—</strong> Bei der Bewegung des Punktes E<br />

von u0=E0=(1,0) nach u1=E1=(-1,0) wird dann<br />

y<br />

F<br />

Abb. 9<br />

ε→ 0<br />

<strong>im</strong>_x<br />

u'(ε)<br />

A u<br />

Abb. 10<br />

E<br />

1<br />

x


die "quasi-lineare" Verbindung ut=Et=<br />

(1-2t, 0), t=0,...,1, ersetzt durch den "quasilinearen"<br />

Weg u't mit u'0=u0, u'1=u1, aber<br />

u't∉R für t≠0, 1. Der Einfachheit halber betrachten<br />

wir hier u't=(x't,y't)=(cos(πt)+i·sin(πt),<br />

0), t=0,...,1. (Dieser Weg erfüllt übrigens <strong>im</strong><br />

Gegensatz zu dem a.a.O., 138, betrachteten<br />

Weg die Definition von "quasi-linear" mit<br />

komplexem Kontrollparameter!)<br />

Der abhängige Punkt a=F ist eine der beiden<br />

Lösungen des Gleichungssystems<br />

x²+y²=1<br />

(x-1)²+y²=1<br />

Längs des abgeänderten Weges u't wird a<br />

stetig durch den Punkt at=F't fortgesetzt, wobei<br />

die Koordinaten (x,y) von at jeweils<br />

x²+y²=1<br />

(x-x't)²+(y-y't)²=1<br />

erfüllen. Erst durch die Stetigkeitsforderung<br />

ist at eindeutig best<strong>im</strong>mt. Man rechnet nach,<br />

dass für a0=(1/2, 1/2· 2 )=F tatsächlich a1=<br />

(-1/2, 1/2· 2 )=Fo entsteht. Für ε→0 folgt daher:<br />

a' ist die bereits in Kap. I.1 betrachtete<br />

Hochhebung von u zu der stetigen Fortsetzung<br />

von F durch Fo.. Unsere Berechnung<br />

st<strong>im</strong>mt also mit dem von "Cinderella" gezeigten<br />

Ergebnis überein. Wir wissen aber bereits,<br />

dass diese Fortsetzung nicht als<br />

Grenzwert der linearen Abänderung des Zugweges<br />

entsteht, die ja auch möglich sein soll.<br />

Daher ist (sD) verletzt, also B) gezeigt.<br />

y<br />

u 0 (ε)<br />

ε→ 0<br />

A u<br />

E<br />

Nun zu A): Vom geometrischen Standpunkt<br />

aus ist es einfacher <strong>und</strong> anschaulicher, die<br />

Ausnahmesituation ut=Et=A für t=1/2 nicht<br />

durch einen komplexen, sondern durch einen<br />

reellen Umweg zu umgehen. Statt eines<br />

Halbkreises in C nehme man einen in R 2 :<br />

u o t=(cos(πt), sin(πt)), t=0,...,1.<br />

Die Bewegung von E längs dieses Weges<br />

kann man mit jedem DGS selbst nachvollziehen<br />

<strong>und</strong> sich davon überzeugen, dass a o t<br />

dabei E o 0=E0 nach E o 1=FU überführt.<br />

Es bietet sich also an, E1 (die nicht definierte<br />

Fortsetzung längs ut) als E o 1 zu definieren<br />

<strong>und</strong> entsprechend auch at:=Et:=(1/2–t,<br />

sign(1/2–t)· 1–(1/2-t) 2 Abb. 11<br />

) für t≠1/2. Dieser Weg<br />

ist stetig auf seinem Definitionsbereich, wenn<br />

auch nicht stetig fortsetzbar nach t=1/2.<br />

x<br />

1<br />

Konstruktion <strong>und</strong> Kontinuität in der Dynamischen Geometrie<br />

Insbesondere entsteht bei dieser reellen Ersetzung<br />

eine andere Fortsetzung als zuvor,<br />

diesmal nämlich die "lückenhafte" Fortsetzung<br />

von F durch Fu. Damit ist A) gezeigt.<br />

Aber mehr noch:<br />

C) Die reelle Ersetzung erfüllt (sD).<br />

Denn sie hat die folgende angenehme Eigenschaft:<br />

Ist u n<br />

t irgendein Weg der unabhängigen<br />

Elemente mit u n<br />

t→ut für n→∞, so<br />

gilt auch a n<br />

t→at. Es gilt also:<br />

u n<br />

t � a n<br />

t<br />

↓ n→∞ ↓<br />

ut � at<br />

Der Weg at ist also zwar selbst nicht stetig<br />

erweiterbar, erfüllt aber die nächsthöhere<br />

Kontinuitätseigenschaft (sD). Insgesamt folgt<br />

aus A), B) <strong>und</strong> C) der angekündigte<br />

Ausschließungssatz: (sD) <strong>und</strong> (sE) sind<br />

unvereinbare Prinzipien der Dynamischen<br />

Geometrie.<br />

Denn natürlich lässt sich die reelle Abänderung<br />

des Weges stetig in die komplexe deformieren<br />

(Abb. 12). Aber diese Deformation<br />

lässt sich nicht auf die Wege der abhängigen<br />

Punkte hochheben: Denn <strong>im</strong> Beispiel erfüllt<br />

ja die reelle Ersetzung (sD), aber nicht (sE).<br />

Bei der komplexen Ersetzung ist es umgekehrt:<br />

sie erfüllt (sE), aber nicht (sD). Daher<br />

können diese beiden Zugfiguren nicht stetig<br />

ineinander überführbar sein, wie man mit einem<br />

CAS nachrechnen kann (Abb. 13):<br />

I.5 Diskussion<br />

Abb. 12<br />

U 0 � A 0<br />

↓ ↓<br />

U' � A'<br />

u 0 (ε)<br />

A E<br />

Nach Auffassung des Vf. kann sich die in<br />

Kap. I.4 verwendete reelle Ersetzungsstrategie<br />

mit gleichem Recht auf Poncelets Kontinuitätsprinzip<br />

stützen wie die komplexe.<br />

Nach der Diskussion auf der Tagung in Dillingen<br />

hat jedoch Herr Kortenkamp einge-<br />

sD<br />

105


Thomas Gawlick<br />

106<br />

Abb. 13<br />

u0 a<br />

(ε)<br />

sD<br />

0 (ε)<br />

x<br />

A E<br />

u'(ε)<br />

a'(ε)<br />

wandt, diese Anwendung von (KP) sei unzulässig:<br />

Die Bewegung von E durch A dürfe<br />

nur durch einen linearen Weg beschrieben<br />

<strong>und</strong> dieser daher nur durch einen rein-<strong>im</strong>aginären,<br />

nicht etwa durch einen reellen Weg<br />

ersetzt werden. Dazu ist folgendes zu sagen:<br />

• Die von uns in Kap. I.1 gewählte freie<br />

Beweglichkeit der Punkte E <strong>und</strong> A dürfte<br />

doch wohl eher dem entsprechen, was<br />

vor dem geistigen Auge eines unvoreingenommenen<br />

Betrachters abläuft, als eine<br />

wie <strong>im</strong>mer begründete Einschränkung<br />

durch Linearisierung <strong>und</strong> Koordinatisierung.<br />

• Formal könnte man das so begründen:<br />

Die Fragestellung "Wie verhält sich F bei<br />

Bewegung von E durch A?" gehört zunächst<br />

einmal zur synthetischen Dynamischen<br />

Geometrie als möglicher Erweiterung<br />

der statischen Euklidischen Geometrie:<br />

Hier ist zu fragen, welche zusätzlichen<br />

Axiome die anschaulichen Vorstellungen<br />

vom Verhalten bewegter Punkte<br />

adäquat beschreiben; <strong>—</strong> <strong>und</strong> solche Vorstellungen<br />

treten ja explizit schon <strong>im</strong> Originalbeweis<br />

von Euklids Proposition I,2<br />

auf! Damit dürfte aber auch klar sein,<br />

dass von Anfang <strong>—</strong> zumindest von Euklid!<br />

<strong>—</strong> an eine Beschränkung auf lineare Bewegungsmöglichkeiten<br />

nicht gedacht war.<br />

Es müsste also erst noch dargelegt werden,<br />

aus welcher späteren Entwicklungslinie<br />

eine solche Beschränkung herrühren<br />

<strong>und</strong> wie sie gerechtfertigt werden sollte.<br />

• Im Sinne der kinematischen Geometrie<br />

würde man die Bewegung der Punkte in<br />

obiger Fragestellung adäquat mittels stetiger<br />

Wege beschreiben; <strong>—</strong> so dürfte es<br />

wohl auch Leibniz verstanden haben. Der<br />

Schritt von stetigen zu linearen Wegen ist<br />

aber natürlich groß <strong>und</strong> auch nicht dadurch<br />

zu rechtfertigen, dass er etwa zu<br />

stärkeren Aussagen führt (s.u.).<br />

• Erst nach einer Koordinatisierung <strong>und</strong><br />

Komplexifizierung des Anschauungsraums<br />

leuchtet die von Herrn Kortenkamp<br />

nahegelegte Einschränkung ein: dann<br />

wird die Bewegung von E durch A nämlich<br />

durch einen reell-differenzierbaren Weg in<br />

einem komplex-eind<strong>im</strong>ensionalen Gebilde<br />

beschrieben. Und erst auf solche Wege<br />

lässt sich dann die klassische Funktionentheorie<br />

in der von Klein beschriebenen<br />

Weise anwenden.<br />

Deutlich wurde aber bereits in Kap. I.4, dass<br />

diese Vorgehensweise auf wesentlichen Einschränkungen<br />

basiert, die nicht aus der Fragestellung<br />

zu rechtfertigen sind; <strong>—</strong> das konzedieren<br />

<strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e auch "Cinderellas" Autoren:<br />

"Es mag zunächst befremdlich erscheinen,<br />

dass in der Definition von Kontinuität lediglich<br />

das Verhalten auf quasi-linearen <strong>und</strong><br />

nicht auf quasi-stetigen Wegen als Eingangsvariation<br />

berücksichtigt wird. Würde die Definition<br />

aber auf allgemeinen quasi-stetigen<br />

Wegen aufbauen, so könnten wir nicht erwarten,<br />

dass es überhaupt nicht-triviale kontinuierliche<br />

formale DGS gibt" (Kortenkamp &<br />

Richter-Gebert 2001, 133). Wir teilen jedoch<br />

nicht den <strong>im</strong>pliziten Umkehrschluss, dass<br />

sich dies durch Einschränkung auf quasilineare<br />

Wege abwenden lässt! Denn man<br />

überlegt sich leicht, dass das nicht zu einer<br />

Verbesserung der Antwort führen kann: Bekanntlich<br />

lässt sich jede stetige reelle Funktion<br />

auf einem abgeschlossenen Intervall<br />

gleichmäßig durch Polynome approx<strong>im</strong>ieren<br />

(Satz von Stone-Weierstraß). Und jedes Polynom<br />

kann auf einem Intervall durch hinreichend<br />

viele Stützstellen gleichmäßig gut<br />

durch stückweise quasi-lineare Funktionen<br />

interpoliert werden. Wendet man beides zusammen<br />

auf die Komponenten eines quasistetigen<br />

Weges an, sieht man, dass man ihn<br />

gleichmäßig durch quasi-lineare Wege approx<strong>im</strong>ieren<br />

kann. Jedes Stetigkeitsresultat<br />

für quasi-lineare Wege lässt sich daher auf<br />

quasi-stetige Wege übertragen.<br />

Umgekehrt lässt sich auf diesem Hintergr<strong>und</strong><br />

vermuten, dass sich die begrüßenswerte Absicht,<br />

"man kann aber auch a priori best<strong>im</strong>mte<br />

Qualitätsmerkmale axiomatisch fordern<br />

<strong>und</strong> auf mathematischer Basis zeigen, dass<br />

eine best<strong>im</strong>mte Modellierung diesen Qualitätsansprüchen<br />

genügt, <strong>—</strong> oder zeigen, dass<br />

es eine solche Modellierung nicht geben<br />

kann" (Kortenkamp & Richter-Gebert 2001,<br />

124), für den selbst gestellten Anspruch,<br />

Zugfiguren max<strong>im</strong>al stetig zu erweitern <strong>und</strong><br />

zugleich stetig zu verformen, nur in der letztgenannten<br />

negativen Hinsicht erfüllen lässt:<br />

Entgegen dem ersten Augenschein ist nicht<br />

nur "Cinderella" offenbar nicht in der Lage,<br />

zugleich (sD) <strong>und</strong> (sE) zu realisieren, <strong>—</strong> sondern<br />

wohl überhaupt kein DGS.


I.6 Fazit<br />

Die Autoren von "Cinderella" beantworten die<br />

einleitenden Fragen nach dem korrekten<br />

Verhalten von DGS <strong>im</strong> Zugmodus auf folgende<br />

neuartige Weise:<br />

(1) Stetigkeit ist <strong>im</strong> Sinne einer funktionentheoretischen<br />

Interpretation des<br />

Ponceletschen Kontinuitätsprinzips zu<br />

verstehen.<br />

(2) Stetigkeit ist durch geeignete Veränderung<br />

des "Zug-Weges" zu erreichen.<br />

Wir haben gesehen: Die Antwort auf (1) kann<br />

auch durchaus anders ausfallen; <strong>—</strong> <strong>und</strong> dafür<br />

gibt es aus mathematischen <strong>und</strong> historischen<br />

Gründen auch ganz gute Argumente.<br />

Und diese alternative Antwort lässt sich auch<br />

geometrisch realisieren, wenn man sich die<br />

Antwort auf (2) zueigen macht, aber nicht<br />

einseitig auf eine Interpretation verengen<br />

lässt.<br />

II. Geometrie <strong>—</strong> mit dem<br />

dynamischen Lineal<br />

Der Zug-Modus von "Cinderella" zeigt interessante<br />

Phänomene; <strong>—</strong> wie sie zustande<br />

kommen, ist aber für (viele) Schüler <strong>und</strong> (einige)<br />

Lehrer nicht leicht zu verstehen <strong>und</strong><br />

lässt sich auch nicht so ohne weiteres aus<br />

einfachen Antworten auf klare Fragen ableiten.<br />

Daher bietet es sich an, weniger nach<br />

der DGS mit dem "richtigen" Zugmodus zu<br />

suchen, sondern vielmehr nach der passenden<br />

Art, das gesuchte Zug-Verhalten einer<br />

Figur konstruktiv zu erzeugen.<br />

II.1 Die Notwendigkeit, den dynamischen<br />

Konstruktionsbegriff<br />

zu restrukturieren<br />

Man betrachte dazu folgendes Beispiel:<br />

Durch Ziehen an den Ecken des Dreiecks<br />

kann man entdecken, dass sich die Winkelhalbierenden<br />

stets <strong>im</strong> Inkreismittelpunkt I<br />

schneiden. Die "Cinderella"-Version dieser<br />

Konstruktion erlaubt eine überraschende Variante:<br />

zieht man B durch A, bewegt sich I allerdings<br />

manchmal aus dem Dreieck heraus<br />

(Abb. 14).<br />

Offenbar läuft ein solches Verhalten dem Ziel<br />

der interaktiven Satzfindung völlig zuwider<br />

<strong>und</strong> wirft <strong>im</strong> geometrischen Einführungsunterricht<br />

der Sek<strong>und</strong>arstufe I erhebliche didaktische<br />

Probleme auf. Nun könnte man meinen,<br />

dass es sich dabei um nichts anderes<br />

Konstruktion <strong>und</strong> Kontinuität in der Dynamischen Geometrie<br />

Abb. 14<br />

als einen offenbaren Software-Fehler handelt;<br />

<strong>—</strong> warum also nicht einfach "Cinderella"<br />

debuggen? Es lässt sich aber zeigen (Gawlick<br />

2001), dass das nicht möglich ist: dieses<br />

Verhalten ist eine mathematisch notwendige<br />

Konsequenz der Stetigkeit! Angesichts<br />

der Dichotomie von Stetigkeit <strong>und</strong> Determinismus<br />

könnte dieser schwer kontrollierbare<br />

Seiteneffekt stetigen Verhaltens für unterrichtliche<br />

Zwecke die Wahl eines deterministischen<br />

Systems als vorteilhaft erscheinen<br />

lassen, <strong>—</strong> aber wie wir gleich sehen werden,<br />

liegt die Sache noch etwas komplizierter:<br />

Was ist der Ort I des Inkreismittelpunkts I eines<br />

gleichschenkligen Dreiecks ABC, wenn<br />

C den Kreis durch B um A durchläuft? Eine<br />

Konstruktion von I mittels "Euklid" liefert eine<br />

Ortskurve mit einer Singularität, bei der es<br />

sich scheinbar um eine Spitze handelt.<br />

Abb. 15<br />

Warneke (2001) hat jedoch erläutert, wie<br />

man mittels elementarer Trigonometrie eine<br />

Parameterdarstellung für I erhält, aus der<br />

man dann durch algebraische Umformungen<br />

à la Pythagoras eine Gleichung für I gewinnen<br />

kann. Der Gleichung zufolge ist die Kurve<br />

vom Typ der Strophoide; <strong>—</strong> der singuläre<br />

Punkt muss also ein Doppelpunkt sein!<br />

Durch Plotten der Kurve bemerkt man, dass<br />

der geometrische Ort nur ein Teil des alge-<br />

107


Thomas Gawlick<br />

braischen Orts ist: man erhält nur den Teil<br />

der Kurve, der sich <strong>im</strong> Innern des Kreises befindet.<br />

Dies widerspricht der gewohnten Auffassung<br />

der Cartesischen Korrespondenz,<br />

wonach jeder geometrisch erzeugte Ort sich<br />

in Koordinaten als Nullstellenmenge einer<br />

geeigneten, zumeist algebraischen Gleichung<br />

beschreiben lässt.<br />

Man ist zunächst versucht zu folgern, dass<br />

das kontinuierliche Verhalten von "Cinderella"<br />

hier ein didaktischer Vorteil ist, da es den<br />

gesamten Ort zu erzeugen erlaubt (Abb. 16).<br />

Aber der Preis, den man dafür zahlen muss,<br />

lautet: Akzeptiere, dass der Inkreismittelpunkt<br />

I sich bei jedem zweiten Durchlauf aus<br />

dem Dreieck ABC herausbewegt!<br />

Im Gr<strong>und</strong>e wird durch das stetige Verhalten<br />

von "Cinderella" hier auch eine Kontinuität<br />

der Konstruktion vorgetäuscht, die so nicht<br />

gegeben ist: offenbar hört I ja "unterwegs"<br />

auf, der Inkreismittelpunkt des Dreiecks zu<br />

sein; <strong>—</strong> aber was repräsentiert I denn dann?<br />

Be<strong>im</strong> Ziehen wird ja die Innen- stetig in die<br />

Außenwinkelhalbierende überführt, I wird also<br />

zum Ankreismittelpunkt!<br />

An der Stelle wird deutlich, dass derartige<br />

Phänomene allein durch die Wahl der Zug-<br />

Strategie nicht zufriedenstellend geklärt werden<br />

können, sondern dass ein neuer Begriff<br />

von Konstruktion erforderlich ist: Eine dynamische<br />

Konstruktion hat offenbar einen Gültigkeitsbereich,<br />

der sowohl von der Lage der<br />

Ausgangspunkte als auch von ihrer "Geschichte"<br />

abhängt. Dafür gibt es in der statischen<br />

Geometrie keine Parallele.<br />

Auf der Basis des gewohnten Konstruktionsbegriffs<br />

lässt sich die obige Schwierigkeit jedoch<br />

ebenfalls beheben; <strong>—</strong> wenn man die<br />

gewohnte Konstruktion der Strophoide durch<br />

eine Linealkonstruktion ersetzt, wird auch<br />

von deterministischen DGS die ganze Ortslinie<br />

erzeugt!<br />

108<br />

Abb. 16<br />

II.2 Dynamische Linealkonstruktionen<br />

Gewöhnlich beschreibt man die Mächtigkeit<br />

eines Zeichengeräts durch die Menge der mit<br />

ihm konstruierbaren Punkte. Dann gilt bekanntlich<br />

(Bieberbach 1952) der<br />

Satz: Die Koordinaten der mit dem Lineal<br />

konstruierbaren Punkte sind genau die, die<br />

sich durch rationale Ausdrücke in den Koordinaten<br />

der gegebenen Punkte beschreiben<br />

lassen.<br />

Ein neues Element tritt jedoch<br />

dann hinzu, wenn man<br />

die Beweglichkeit der gegebenen<br />

Punkte zu erfassen<br />

sucht.<br />

Variiert ein Punkt P auf einer<br />

Geraden, sind seine Koordinaten<br />

lineare Funktionen eines<br />

Parameters t, die wir mit diesem<br />

halbfreien Punkt identifizieren<br />

können. Ein Punkt Q,<br />

der aus P <strong>und</strong> weiteren festen<br />

Punkten allein mit Hilfe des Lineals<br />

konstruiert ist, hat Koordinaten,<br />

die rationale Funktionen<br />

von t sind. Die Ortslinie von Q bei Variation<br />

von P nennen wir dynamisches Linealkonstrukt.<br />

Den bekannten Satz über die<br />

Konstruierbarkeit mit dem Lineal können wir<br />

daher so dynamisieren.<br />

Satz über dynamische Linealkonstrukte:<br />

Die dynamischen Linealkonstrukte<br />

sind genau die Ortslinien, für die es eine<br />

rationale Parameterdarstellung gibt.<br />

Überraschend ist nun, wie groß die Klasse<br />

der Ortlinien mit diesen beiden äquivalenten<br />

Eigenschaften ist; <strong>—</strong> zunächst einmal erweist<br />

sich der Kreis als dynamisches Linealkonstrukt:<br />

Dies haben wir in (Gawlick 2004a) auf<br />

dreierlei Art sowohl algebraisch als auch geometrisch<br />

gezeigt. Am einfachsten zugänglich<br />

ist wohl folgende Anwendung der Umkehrung<br />

des Satzes von Thales: Sind P <strong>und</strong><br />

Q diametrale Punkte des Kreises k <strong>und</strong><br />

durchläuft R eine von PQ verschiedene Gerade<br />

g, so durchläuft der Schnittpunkt S von<br />

PR <strong>und</strong> des Lots aus Q auf PR den Kreis, <strong>—</strong><br />

der umgekehrt so mit dem Lineal allein rekonstruiert<br />

werden kann (vgl. Abb. 17)!<br />

Aber auch die algebraische Zugangsweise<br />

vermittelt wertvolle Einsichten: Für den Beweis<br />

der obigen Sätze überlegt man sich ja,<br />

dass sich mit Hilfe des Lineals alle vier<br />

Gr<strong>und</strong>rechenarten geometrisch realisieren<br />

lassen. Zur konkreten Durchführung der in<br />

(Gawlick 2004a) erläuterten Konstruktionen


P<br />

R<br />

Abb. 17<br />

ist schon <strong>im</strong> Fall des dynamischen Linealkreises<br />

die Verfügbarkeit von Makros praktisch<br />

unerlässlich. Auf diese Weise kommt es<br />

<strong>im</strong> Geometrieunterricht dann einmal zu der<br />

oft als Ziel angestrebten Restrukturierung einer<br />

Konstruktion durch Zusammenfassung<br />

ganzer Sequenzen von Konstruktionsschritten<br />

zu einem neuen Ganzen. Aber auch inhaltlich<br />

weist dieser Zugang weit über den<br />

Kreis hinaus: zu den rational parametrisierbaren,<br />

also mit dem Lineal konstruierbaren<br />

Kurven gehören nämlich insbesondere die<br />

Ortslinien des Höhenschnittpunkts <strong>und</strong> der<br />

Mittelpunkte von Um- <strong>und</strong> in einigen Fällen<br />

auch Inkreis (Gawlick (2004b). Dieser algebraische<br />

Sachverhalt wirft geometrische Fragen<br />

auf: Lassen sich denn auch Mittelsenkrechten,<br />

Höhen <strong>und</strong> Winkelhalbierende allein<br />

mit dem Lineal konstruieren? Das würde<br />

überraschen, da sie ja auf metrischen Eigenschaften<br />

wie "senkrecht" oder "halbierend"<br />

basieren. Diese sind allein mit Linealkonstruktionen<br />

nicht zu realisieren; <strong>—</strong> aber es ist<br />

möglich, sie in der Menge der Startpunkte zu<br />

kapseln:<br />

Abb. 18<br />

Denn man kann aus ihnen die Koordinatenachsen<br />

<strong>und</strong> den Ursprung U konstruieren<br />

<strong>und</strong> hat auf diesen je zwei Punkte mit Mittelpunkt.<br />

Zu einer solchen Geraden AB kann<br />

man aber die Parallele durch einen gegebenen<br />

Punkt F ziehen, wenn man noch über einen<br />

weiteren Punkt R auf AF verfügt, von<br />

dessen Existenz man sich jeweils vorher<br />

überzeugen muss: Ist E der Mittelpunkt von<br />

S<br />

Q<br />

g<br />

Konstruktion <strong>und</strong> Kontinuität in der Dynamischen Geometrie<br />

A <strong>und</strong> B, D = ER∩BF <strong>und</strong> G = AD∩BR, dann<br />

gilt AB⎟⎜FG (vgl. Abb. 18).<br />

Auf das Parallelenziehen kann man die meisten<br />

elementargeometrischen Konstruktionen<br />

zurückführen (vgl. Gawlick 2004b):<br />

II.3 Die Elementargeometrie als<br />

Linealgeometrie<br />

Mit einem Parallelenlineal sind fast alle<br />

Gr<strong>und</strong>aufgaben lösbar:<br />

Senkrechte zu einer Geraden g durch U: g<br />

schneide die x-Achse in Q. Die Parallele zu<br />

x1y1 durch P schneide die x-Achse in P', die<br />

durch Q schneide die y-Achse in PQ'. P'Q' ist<br />

das Spiegelbild von g = PQ an der ersten<br />

Winkelhalbierenden. Sei P" der Schnittpunkt<br />

der Parallelen durch P' <strong>und</strong> Q' zu den Koordinatenachsen.<br />

Dann steht UP" senkrecht<br />

auf g (vgl. Abb. 19).<br />

g<br />

Q'<br />

P<br />

y1<br />

U<br />

P''<br />

x1 P'<br />

Q<br />

Abb. 19<br />

Senkrechte zu g durch einen beliebigen<br />

Punkt R: Diese erhält man als Parallele zu<br />

der eben konstruierten Senkrechten durch<br />

den Punkt R.<br />

Mittelpunkt M = MP(A,B) der Punkte A <strong>und</strong><br />

B: Sei C ein Punkt außerhalb von AB <strong>und</strong> D<br />

ein Punkt auf der Parallelen zu AB durch C.<br />

Sei E = AC∩BD <strong>und</strong> F = AD∩BC. Aufgr<strong>und</strong><br />

der harmonischen Eigenschaften des vollständigen<br />

Vierseits ist dann M = AB∩EF (vgl.<br />

Abb. 20 <strong>und</strong> Bieberbach 1952).<br />

Mittelsenkrechte MS(A,B) der Punkte A <strong>und</strong><br />

B: Dies ist natürlich die Senkrechte auf AB in<br />

M.<br />

Seitenhalbierende <strong>und</strong> Höhen des Dreiecks<br />

ergeben sich entsprechend. Folglich sind<br />

auch Umkreismittelpunkt, Schwerpunkt<br />

<strong>und</strong> Höhenschnittpunkt des Dreiecks schon<br />

allein mit dem Lineal konstruierbar! Dabei<br />

haben wir gesehen, dass man nicht nur, wie<br />

üblich, das Parallelenziehen auf das Lotfällen<br />

zurückführen kann, sondern auch umgekehrt.<br />

Der Einfachheit halber bietet es sich aber an,<br />

109


Thomas Gawlick<br />

ein Lineal zu benutzen, mit dem man, wie<br />

gewohnt, Senkrechte konstruieren kann.<br />

110<br />

A M<br />

B<br />

C<br />

F<br />

E<br />

D<br />

Abb. 20<br />

Welche Konsequenzen zieht nun die Durchführbarkeit<br />

der meisten elementargeometrischen<br />

Konstruktionen mit dem Lineal allein<br />

nach sich? Dass man auf den Zirkel weitgehend<br />

verzichten kann, ist ja nichts Neues; <strong>—</strong><br />

schon Steiner zeigte, dass sich die üblichen<br />

Konstruktionen allein mit dem Lineal <strong>und</strong> einem<br />

festen Kreis durchführen lassen. Hier<br />

liegen die Dinge etwas anders: DGS kann ja<br />

in Makros eine Vielzahl von Konstruktionsschritten<br />

zu einem einzigen zusammenfassen;<br />

<strong>—</strong> dadurch ist es möglich, die effektive<br />

Durchführbarkeit von Linealkonstruktionen<br />

wesentlich zu erhöhen. Die Benutzung einer<br />

DGS entspricht also der Verwendung eines<br />

Rechtwinkellineals, das nicht nur Geraden<br />

zeichnen kann, sondern auch Lote fällen: Mit<br />

dem Rechtwinkellineal lassen sich außer<br />

dem Winkelhalbieren alle elementargeometrischen<br />

Konstruktionen fast ebenso effizient<br />

ausführen wie mit dem Zirkel. In diesem Sinn<br />

gilt also:<br />

Die Elementargeometrie ist eine (Rechtwinkel-)<br />

Linealgeometrie!<br />

Man beachte dabei: Die Mächtigkeit des<br />

Rechtwinkellineals ist nicht größer als die<br />

des gewöhnlichen, sofern die Startpunkte die<br />

metrischen Daten enthalten; <strong>—</strong> aber es erhöht<br />

die praktische Durchführbarkeit von Linealkonstruktionen.<br />

Was bedeutet diese Einsicht für die Nutzung<br />

von DGS? Auf der positiven Seite gilt: Viele<br />

Konstruktionen lassen sich durchführen, ohne<br />

auf mehrdeutige Operationen wie den<br />

Schnitt mit Kreisen oder das Halbieren von<br />

Winkeln zurückgreifen zu müssen. Das beschränkt<br />

die Auswirkungen des stetigen Verhalten<br />

einer DGS. Das Rechtwinkellineal liefert<br />

stets eindeutige Ergebnisse; <strong>—</strong> daher<br />

lässt sich damit die Stetigkeitsproblematik<br />

umschiffen. Sie tritt nur auf, wenn sich die<br />

Verwendung von Winkelhalbierenden nicht<br />

vermeiden lässt; <strong>—</strong> aber in manchen Fällen<br />

ist dennoch sogar die Ortslinie des Inkreismittelpunkts<br />

mit dem Lineal konstruierbar:<br />

II.4 Linealisierung der Strophoide<br />

Aufgr<strong>und</strong> der Charakterisierung der Linealkurven<br />

als rationale Kurven muss es eine Linealkonstruktion<br />

der Strophoiden geben (die<br />

Rationalität liest man aus ihrer Gleichung ab,<br />

vgl. Gawlick 2004c). Insbesondere ist diese<br />

dann mit deterministischen DGS durchführbar.<br />

Offenbar erhält man dabei aber als geometrischen<br />

Ort nur den <strong>im</strong> Innern von k liegenden<br />

Teil der Kurve, wenn man verlangt,<br />

dass I der Schnittpunkt von Innenwinkelhalbierenden<br />

ist <strong>—</strong> <strong>und</strong> bleibt: dann muss nämlich<br />

die Winkelhalbierende in B be<strong>im</strong> Passieren<br />

von C durch B um 90° springen. (Verhält<br />

sie sich demgegenüber stetig, so verlassen<br />

bei dieser Bewegung die Winkelhalbierende<br />

wB <strong>und</strong> der Inkreismittelpunkt das Dreieck!)<br />

Es ist daher nötig, wB <strong>und</strong> I anders zu interpretieren.<br />

Nur so erhält man die ganze<br />

Strophoide als Ortslinie einer deterministischen<br />

DGS, etwa durch folgende Konstruktion:<br />

Man lässt β = ∠ABC/2 die Bewegung<br />

der Figur steuern, indem man die Winkelhalbierende<br />

um B dreht, <strong>—</strong> etwa durch Bewegung<br />

des Zugpunktes Z auf einem Kreis um<br />

B (Abb. 21). wA ist lineal-konstruierbar als<br />

MS(B,C). I ergibt sich als Schnitt von wA <strong>und</strong><br />

wB. Mit einer Linealkonstruktion des Trägerkreises<br />

von Z ist die Linealkonstruktion der<br />

Strophoide komplett!<br />

wB<br />

II.5 Ausblick<br />

C<br />

γ<br />

α<br />

A<br />

I<br />

Abb. 21<br />

Z<br />

β<br />

Geben wir nun abschließend dem Studium<br />

der lineal-konstruierbaren Kurven seine theoretische<br />

Abr<strong>und</strong>ung: Eine Kurve ist, wie gesagt,<br />

genau dann mit dem Lineal konstruierbar,<br />

wenn sie rational ist, also eine rationale<br />

Parameterdarstellung besitzt. Das ist zunächst<br />

einmal eine gute Eigenschaft: Für rationale<br />

Kurven lassen sich effektiv Gleichungen<br />

ermitteln <strong>und</strong> Schnittpunkte exakt berechnen.<br />

Damit sind sie für jegliche Art professioneller<br />

geometrischer Datenverarbeitung<br />

das geeignete Terrain. Im Computer Aided<br />

Design (CAD) ist sogar der Begriff "Parametrisierung"<br />

mittlerweile synomyn zu "rati-<br />

A'<br />

B


onale Parametrisierung", da diese offenbar<br />

die einzig praktisch verwendbaren darstellen.<br />

Auch <strong>im</strong> Hinblick auf eine Integration symbolisch-algebraischer<br />

Methoden in die Arbeitsweise<br />

von DGS sind die Linealkurven also<br />

der adäquate Gegenstand.<br />

Es gibt aber auch problematische Auswirkungen:<br />

Damit Rationalität vorliegt, muss<br />

aufgr<strong>und</strong> der erwähnten Plücker-Formel eine<br />

Kurve umso singulärer sein, je höher ihr<br />

Grad ist. Damit handelt man sich systematisch<br />

Phänomene des Typs ein, dass eine<br />

Kurve eigentlich Singularitäten hat, die aber<br />

nicht sichtbar sind, da komplex oder unendlich<br />

fern; <strong>—</strong> <strong>und</strong> dennoch beeinflussen sie<br />

die sichtbare Geometrie. Bestes Beispiel dafür<br />

sind wohl die Höhenschnittpunktskurven<br />

(vgl. Gawlick 2000, 2001c!)<br />

Hier ist also etwas Theorie nötig <strong>und</strong> hilfreich,<br />

um mit dynamischen Figuren sachgerecht<br />

umgehen zu können. Und wer in der<br />

am Beispiel der Strophoide gezeigten Art die<br />

Konstruktion nicht nur einer Kurve, sondern<br />

einer ganzen Kurvenklasse restrukturiert, betreibt<br />

ja globales Ordnen <strong>im</strong> Sinne Freudenthals;<br />

<strong>—</strong> <strong>und</strong> das ist die höchste Stufe des<br />

geometrischen Denkens, die allerdings auf<br />

der Schule oft nicht (mehr) erreicht wird ...<br />

Derartige Überlegungen werfen aber neues<br />

Licht auf den Hintergr<strong>und</strong> der Schulgeometrie<br />

<strong>und</strong> sind daher hilfreich für die Lehreraus<strong>und</strong><br />

-weiterbildung, aber auch <strong>im</strong> Kontext der<br />

Begabtenförderung: Denn aus der Reflexion<br />

der Phänomene erwachsen Einsichten, die<br />

weit über die Schulgeometrie hinaus zu aktuellen<br />

Themen der mathematischen Forschung<br />

weisen können. Dies gibt Begabten<br />

die Möglichkeit, ihr Potential zu erproben <strong>und</strong><br />

einen möglichen zukünftigen Tätigkeitsbereich<br />

zu erk<strong>und</strong>en.<br />

Literatur<br />

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Chasles, Michel (1839 & 1968): Geschichte der<br />

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von Ortslinien der besonderen<br />

Punkte des Dreiecks. In: Der <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

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höherer Kurven. In: Der <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

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Zeuthen, H. G. (1903–1915): Abzählende Methoden.<br />

In: Encyclopädie der mathematischen<br />

Wissenschaften, Band III,2,1. Leipzig: Teubner<br />

111


� Ein Java-Applet zur Eingabe <strong>und</strong> Überprüfung<br />

mathematischer Terme<br />

1 Einleitung<br />

Schlägt man ein beliebiges Algebra-Buch<br />

auf, stößt man nahezu zwangsläufig auf sogenannte<br />

"Aufgaben-Plantagen". Das Durcharbeiten<br />

<strong>im</strong> herkömmlichen Stil (ein Schüler<br />

rechnet vor, die anderen schreiben von der<br />

Tafel ab <strong>—</strong> oder noch schl<strong>im</strong>mer: der Lehrer<br />

rechnet vor, um "Zeit zu sparen") führt bei<br />

unserer medien-verwöhnten Schülerschaft<br />

schnell zu Langeweile. Der Spruch "Wenn alles<br />

schläft <strong>und</strong> einer spricht, das Ganze<br />

nennt man Unterricht", ist schon alt. Manche<br />

Kollegen lockern den Unterricht mit Gruppenarbeit<br />

auf, oder sie verpacken die Algebra-Aufgaben<br />

in Spielchen <strong>und</strong> verkaufen<br />

das Ganze als "Freiarbeit". Zu Recht wird eine<br />

neue Schwerpunktsetzung in der<br />

Aufgabenkultur gefordert.<br />

Wie dem auch sei, auf Übungsphasen als<br />

Anwendung der Theorie wird man bei keinem<br />

Unterrichtsstil verzichten können. Es genügt<br />

nicht, den Schülern die Vorzeichen-Rechenregeln<br />

bei der Multiplikation nur mitzuteilen<br />

(oder herzuleiten) <strong>—</strong> man muss sie einüben<br />

<strong>—</strong> mit mehr als zwei Faktoren, mit Variablen,<br />

mit Abgrenzung von den Rechenregeln für<br />

die Addition, mit Wiederholung des Bruchrechnens<br />

usw. Bei solchen Übungsphasen<br />

ist es wünschenswert, den Großteil der<br />

Schüler aus der Passivität des bloßen Abschreibens<br />

von der Tafel herauszuholen.<br />

Möglichst viele Schüler sollten den Aufgaben-F<strong>und</strong>us<br />

gleichzeitig unabhängig voneinander<br />

bearbeiten können <strong>und</strong> unmittelbar eine<br />

Rückmeldung in der Form "richtig/falsch"<br />

erhalten. Diesem Ziel kommen die Freiarbeits-Aufgaben<br />

der ALP Dillingen (Lippert et<br />

al. 1999) sehr nahe. Sie bieten Aufgaben auf<br />

der Vorderseite <strong>und</strong> Lösungen zur Selbstkontrolle<br />

auf der Rückseite. Eine Umsetzung<br />

112<br />

Rudolf Großmann, Stein<br />

Das hier vorgestellte Java-Applet erlaubt einerseits die Darstellung (Ausgabe) von Termen<br />

mit Brüchen, Wurzeln <strong>und</strong> Funktionen auf HTML-Seiten, andererseits die Eingabe<br />

eines Terms <strong>und</strong> die Überprüfung auf Übereinst<strong>im</strong>mung mit einem vorgegebenen Lösungsterm.<br />

Dabei werden auch äquivalente Terme als Lösung akzeptiert. Als Anwendung<br />

können Übungsaufgaben auf Datenträger oder <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> bereitgestellt werden, bei<br />

denen der Schüler sofort eigenständig die Richtigkeit seines Ergebnisses überprüfen<br />

kann. Zur Erstellung solcher Übungsaufgaben sind nur gr<strong>und</strong>liegende HTML-Kenntnisse<br />

notwendig. Das Applet wird laufend fortentwickelt <strong>und</strong> kann zu Testzwecken über die<br />

Homepage des Autors [1] bezogen werden.<br />

dieses Konzeptes auf HTML-Basis ist mit<br />

den unten beschriebenen Java-Applets möglich.<br />

An unserer Schule müssten die Schüler noch<br />

in den (inzwischen gut ausgebuchten) Informatikraum<br />

umziehen, <strong>und</strong> es stünde nur ca.<br />

ein Rechner für zwei Schüler zur Verfügung.<br />

Wenn sich die Entwicklung der letzten Jahre<br />

auf dem Computer-Markt wie bisher fortsetzt,<br />

kann man vorausahnen, dass in einigen Jahren<br />

die Schüler mit dem (eigenen) Notebook<br />

<strong>im</strong> Unterricht ebenso umgehen wie heute mit<br />

dem Taschenrechner, noch dazu über Funk<br />

miteinander <strong>und</strong> mit dem <strong>Internet</strong> vernetzt.<br />

Man mag dieser Entwicklung durchaus kritisch<br />

gegenüberstehen, wie Clifford Stoll in<br />

seinem lesenswerten Buch "LogOut" (Stoll<br />

2001); <strong>—</strong> aufhalten wird man sie nicht. Wir<br />

müssen uns für das Zeitalter des Computer<br />

Aided Learning (CAL) rüsten.<br />

2 Das Trio der Formel-<br />

Applets<br />

2.1 Das Formelausgabe-Applet<br />

Es gibt viele Möglichkeiten, mathematische<br />

Formeln auf Seiten <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> darzustellen.<br />

Zum Beispiel existiert mit MathML [2] ein<br />

HTML-Abkömmling speziell für die Darstellung<br />

mathematischer Inhalte <strong>im</strong> <strong>Internet</strong>. Leider<br />

verstehen nur einige spezielle Browser,<br />

z.B. Amaya [3] MathML. Hier wären die<br />

Browser-Hersteller <strong>—</strong> allen voran Microsoft<br />

<strong>—</strong> aufgefordert, endlich MathML-Unterstützung<br />

in ihre Browser zu integrieren.<br />

Mit "Hot Equation" [4] der Ruhr-Universität<br />

Bochum gibt es ein sehr leistungsfähiges


Applet, das TEX-Input in Formeln umsetzen<br />

kann.<br />

Schließlich kann man Formeln innerhalb eines<br />

Dokuments von MS Word mit dem Formel-Generator<br />

erstellen <strong>und</strong> das Dokument<br />

als HTML-Datei speichern. Die Formeln werden<br />

dann in Bitmap-Grafiken umgewandelt<br />

<strong>und</strong> an den entsprechenden Stellen <strong>im</strong> Text<br />

eingeb<strong>und</strong>en. Word erzeugt allerdings einen<br />

HTML-Code, der nur schwer von Hand nachzubearbeiten<br />

ist. Daher empfehle ich die letzte<br />

Methode nicht.<br />

Bei so vielen schon existierenden Möglichkeiten<br />

bräuchte man das Formelausgabe-<br />

Applet gar nicht. Es bietet jedoch den Vorzug<br />

eines einheitlichen Designs für die Eingabe<br />

<strong>und</strong> Ausgabe. Durch Anpassung der Hintergr<strong>und</strong>farbe<br />

an den Hintergr<strong>und</strong> der umgebenden<br />

HTML-Seite wird die rechteckige<br />

Applet-Begrenzung gleichsam unsichtbar.<br />

2.2 Das Formeleingabe-Applet<br />

Das Eingabe-Applet erlaubt neben der Verwendung<br />

der vier Gr<strong>und</strong>rechenarten die Eingabe<br />

von Klammern, Brüchen, Quadratwurzeln<br />

<strong>und</strong> der Funktionen sin, cos, tan, ln, lg<br />

<strong>und</strong> Betrag. So lange die Eingabe nicht abgeschlossen<br />

ist, ist der Hintergr<strong>und</strong> des<br />

Applets hellblau. Die Eingabe wird mit der<br />

Enter-Taste oder dem Drücken des optionalen<br />

OK-Knopfes abgeschlossen. Gleichungen<br />

können (noch) nicht eingegeben werden.<br />

Das Applet reagiert vorläufig mit Grünfärbung<br />

des Hintergr<strong>und</strong>es auf richtige Eingaben <strong>und</strong><br />

Abb. 1: Das Formelausgabe- <strong>und</strong> Eingabe-Applet<br />

Ein Java-Applet zur Eingabe <strong>und</strong> Überprüfung mathematischer Terme<br />

mit Orangefärbung auf falsche Eingaben. Alle<br />

Farben können mit in der HTML-Seite eingebettetem<br />

JavaScript-Code dem persönlichen<br />

Geschmack angepasst werden. Die<br />

Reaktionsfähigkeit soll in zukünftigen Versionen<br />

stark erweitert werden, so dass eine differenzierte<br />

Reaktion auf verschiedene Arten<br />

von Falscheingaben möglich ist, beispielsweise<br />

der Sprung zu anderen HTML-Seiten<br />

je nach Fehler-Art.<br />

Abbildung 1 zeigt ein Beispiel einer Übungsseite<br />

mit Ein- <strong>und</strong> Ausgabe-Applet.<br />

Das Eingabe-Applet kennt folgende Sondetasten:<br />

Taste Funktion<br />

Strg-W Wurzel<br />

Strg-B Bruchstrich<br />

Cursor hoch Exponent<br />

5½ wird wie folgt eingegeben: "5, Strg-B, 1,<br />

Cursor runter, 2". Das Eingabe-Applet erlaubt<br />

auch eine Ansteuerung mit beschrifteten<br />

Knöpfen als Eingabehilfe, so dass man sich<br />

die Sondertasten nicht merken muss.<br />

2.3 Das Editor-Applet<br />

Das Editor-Applet benötigt nur, wer selbst<br />

Übungsseiten mit Ein- <strong>und</strong> Ausgabe-Applets<br />

erstellen will, also z.B. der Lehrer als Autor<br />

von Übungsaufgaben, nicht der Schüler als<br />

Leser von Übungsaufgaben.<br />

Das Eingabe-Applet erscheint <strong>im</strong> HTML-<br />

Quellcode z.B. wie in Abb. 2.<br />

Der Term, den das Ausgabe-Applet darstellen<br />

soll, bzw. der<br />

Term, den das Eingabe-Applet<br />

als Lösung<br />

akzeptieren soll, wird<br />

dem Applet in Form<br />

eines Textes als Parameter<br />

übergeben (in<br />

Abb. 2 kursiv). Dieser<br />

Parameter stellt, hexadez<strong>im</strong>al<br />

codiert,<br />

den Term dar. Das<br />

Editor-Applet erzeugt<br />

als Output genau diesen<br />

Code-Text, der<br />

dann <strong>im</strong> HTML-Code<br />

der Übungsaufgabe<br />

eingebettet wird. Das<br />

klingt komplizierter,<br />

als es ist.<br />

113


Rudolf Großmann<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

114<br />

Abb. 2: HTML-Code des Eingabe-Applets<br />

Das Editor-Applet muss diesen Code-Text<br />

auf Festplatte speichern oder über die Zwischenablage<br />

exportieren können. Damit es<br />

das darf, wurde das Applet von mir digital<br />

signiert. Wird es geladen, muss der Benutzer,<br />

d.h. der Autor von Übungsseiten, ihm<br />

erst die Erlaubnis dazu erteilen (s. Abb. 3).<br />

Das ist eigentlich nichts Besonderes <strong>im</strong> Vergleich<br />

dazu, dass z.B. jedes Installationsprogramm<br />

unter Windows in der Regel beliebige<br />

Dateien anlegen <strong>und</strong> ausführen darf.<br />

Wer Vertrauen in Shareware unbekannten<br />

Ursprungs hat, kann auch dem Editor-Applet<br />

erlauben, seinen Formel-Code-Text in die<br />

Zwischenablage zu exportieren.<br />

3 Wieso gerade Java?<br />

3.1 Vorteile von Java<br />

3.1.1 Betriebssystem-Unabhängigkeit<br />

Java ist eine betriebssystem-unabhängige<br />

Programmiersprache, d.h. das gleiche Java-<br />

Abb. 3: Das Editor-Applet bekommt Schreibrechte<br />

Applet läuft unter Windows ebenso wie unter<br />

Linux oder auf einem Macintosh, vorausgesetzt,<br />

es steht, wie momentan üblich, ein<br />

Browser zur Verfügung, der Java unterstützt.<br />

3.1.2 Einbindung in HTML<br />

Durch die Einbindung des Applets in HTML<br />

stehen die vielfältigen Möglichkeiten der Seitengestaltung<br />

zur Verfügung, die HTML bietet.<br />

Die "Auslieferung" der Seiten kann über<br />

das <strong>Internet</strong> erfolgen.<br />

3.1.3 Erweiterbarkeit mit JavaScript<br />

Die Funktionalität (z.B. differenzierte Reaktion<br />

auf Falsch-Eingaben) kann durch die Bereitstellung<br />

geeigneter Schnittstellen mittels<br />

der Sprache JavaScript durch den Benutzer<br />

(Autor von Übungsseiten) erweitert werden,<br />

ohne dass dieser in Java programmieren<br />

muss. Verwechseln Sie JavaScript [5] nicht<br />

mit Java.<br />

3.2 Nachteile von Java<br />

3.2.1 Zeit- <strong>und</strong> Speicherprobleme<br />

Java hat den Ruf, langsam <strong>und</strong> speicherhungrig<br />

zu sein. Tatsächlich zeigt das Eingabe-Applet<br />

auf Rechnern älterer Bauart merkliche<br />

Reaktionszeiten auf Eingaben. Es läuft<br />

gut auf Rechnern ab ca. 500 MHz Taktfrequenz.<br />

Wenn die Entwicklung <strong>im</strong>mer schnellerer<br />

Prozessoren <strong>und</strong> der Preisverfall bei<br />

Arbeitsspeichern so weitergeht wie bisher,


dürfte diese Thematik kein Problem darstellen.<br />

3.2.2 Die falsche Java-Version?<br />

Bei der Verwendung von Java taucht manchmal<br />

folgendes Problem auf: Das Applet ist<br />

mit Version Y programmiert <strong>und</strong> kompiliert<br />

worden, der Browser des Benutzers, d.h. des<br />

Schülers, verwendet aber die ältere Java-<br />

Version X <strong>und</strong> findet ein paar Java-"Classes"<br />

nicht. An der Stelle des Applets bleibt der<br />

Bildschirm leer. Um diese Situation zu vermeiden,<br />

habe ich bei dem Aus- <strong>und</strong> Eingabe-<br />

Applet das "alte" Java 1.1.8 verwendet. Nur<br />

das Editor-Applet setzt eine neuere Java-<br />

Version (ab 1.3) voraus.<br />

3.2.3 Microsoft boykottiert Java<br />

Mit Windows XP wird als Standard-Browser<br />

ein <strong>Internet</strong> Explorer ausgeliefert, der kein<br />

Java unterstützt <strong>—</strong> passend zur Firmenpolitik<br />

Microsofts <strong>—</strong> ärgerlich für die Benutzer. Wer<br />

als Autor von Übungsaufgaben das Editor-<br />

Applet verwenden will, muss seinen Browser<br />

mit einer Java-Version 1.3 oder neuer ausstatten.<br />

Man kann sich hierzu die neueste<br />

Java-Version von SUN herunterladen [6]. Für<br />

unsere Zwecke genügt die "Java Runt<strong>im</strong>e<br />

Engine" (JRE). Sie ist für Windows ca.<br />

8 Megabyte groß. Nur wer selbst in Java programmieren<br />

will, braucht das "Java Development<br />

Kit" (JDK). Man kann alternativ auch<br />

auf den Begleit-CDs der aktuellen Computer-<br />

Fachzeitschriften nach den Browsern "Opera"<br />

oder "Mozilla" (Netscape-Nachfolger) suchen.<br />

Die Installationsprogramme dieser<br />

Browser installieren in der Regel Java mit<br />

<strong>und</strong> versorgen auch den Microsoft <strong>Internet</strong><br />

Explorer mit dem Java-Plugin von SUN.<br />

3.2.4 Speichern verboten?<br />

Das Sicherheits-Konzept von Java verhindert<br />

zunächst, dass Applets lesend oder schreibend<br />

auf die lokale Festplatte oder die Zwischenablage<br />

zugreifen. So wird verhindert,<br />

dass Java-Applets dazu missbraucht werden,<br />

bösartigen Code (Viren, Würmer, ...) be<strong>im</strong><br />

Surfen <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> einzuschleusen. Wie in 2.3<br />

beschrieben, muss der Benutzer des Editor-<br />

Applets erst zust<strong>im</strong>men, dass das von mir digital<br />

signierte Applet diese Rechte erhält. Damit<br />

die Rechte-Verwaltung klappt, ist, wie<br />

oben erwähnt, eine neuere Java-Version (ab<br />

1.3) nötig. Meine digitale Signatur könnte ich<br />

wiederum von einer Firma wie z.B. VeriSign<br />

signieren lassen, die dann dafür garantiert,<br />

dass die Signatur wirklich von mir stammt.<br />

Ein Java-Applet zur Eingabe <strong>und</strong> Überprüfung mathematischer Terme<br />

Das kostet allerdings nicht unerhebliche Gebühren,<br />

die nicht einmalig, sondern jährlich<br />

erhoben werden. Sie haben sicherlich Verständnis,<br />

dass ich eine Signatur verwende,<br />

die nicht von einer „Certification Authority“ signiert<br />

wurde.<br />

3.3 Pro <strong>und</strong> contra Java<br />

Resümee: Die Nachteile von Java lassen<br />

sich mit vertretbarem Aufwand alle überwinden.<br />

Die Vorteile überwiegen. Daher fiel meine<br />

Entscheidung zugunsten von Java als zu<br />

verwendender Programmiersprache für meine<br />

Zwecke.<br />

4 Zielgruppen für die<br />

Formel-Applets<br />

4.1 Der engagierte Mathelehrer<br />

Jeder interessierte Kollege kann sich bereits<br />

jetzt (September 2003) von meiner Homepage<br />

[1] eine Vorab-Version der drei Formel-<br />

Applets mit Beispielen herunterladen. Das<br />

Editor-Applet (nicht das Eingabe-Applet) hat<br />

einen eingeschränkten Funktionsumfang: Es<br />

erlaubt nicht die Eingabe von Quadratwurzeln<br />

<strong>und</strong> Funktionen. Man kann damit<br />

Übungsseiten erstellen, die einen Großteil<br />

der gymnasialen Applets Algebra bis zur<br />

8. Jahrgangsstufe abdecken.<br />

4.2 Der Schulbuch-Verlag<br />

So manches Übungsprogramm aus dem<br />

Edutainment-Sektor entspricht dem Schema<br />

"viel Verpackung, wenig Inhalt". Die Lernsoftware<br />

ist oft mult<strong>im</strong>edial mit An<strong>im</strong>ationen <strong>und</strong><br />

Sprachausgabe aufgepeppt. Die eigentlichen<br />

Übungen sind dann bessere Multiple-Choice-<br />

Tests, decken nur Arithmetik ab oder akzeptieren<br />

nur sture Lösungen in Texteingabe-<br />

Fenstern, sagen z.B. bei "a+b" "richtig", aber<br />

bei "b+a" "falsch".<br />

Bisher kenne ich nur zwei Titel mathematischer<br />

Lernsoftware, die einigermaßen flexibel<br />

auf die Eingaben der Schüler reagieren.<br />

Erstens: "Ali, der Mathemaster" (Heureka-<br />

Klett, 1998). "Ali" ist zwar schon alt; ihn gab<br />

es schon für den legendären Commodore<br />

C 64. Das Programm erlaubt aber sogar die<br />

Eingabe eigener Aufgaben, die es dann auf<br />

Wunsch vorrechnet!<br />

115


Rudolf Großmann<br />

Zweitens: Das "Telekolleg Algebra" aus dem<br />

Lernpaket "Mathe <strong>und</strong> Physik" des Franzis-<br />

Verlags teilt Ergebnisse nicht nur in "richtig"<br />

oder "falsch" ein, sondern kommentiert eine<br />

Eingabe auch mal mit "Das ist zwar richtig.<br />

Du kannst aber weiter vereinfachen". Eine<br />

Weiterentwicklung des Eingabe-Applets<br />

könnte in Verbindung mit JavaScript eine<br />

ähnliche Funktionalität bieten.<br />

Genau auf ein Schulbuch abgest<strong>im</strong>mte Begleitsoftware<br />

gibt es bereits <strong>im</strong> Fremdsprachenbereich<br />

(z.B. "Green Line" von Klett). Mit<br />

den Formel-Applets lassen sich Übungsseiten<br />

erstellen, die dementsprechend auf ein<br />

Algebra-Buch abgest<strong>im</strong>mt sind.<br />

Ähnlich wie bei einem Vokabel-Trainer könnte<br />

der Lernerfolg in einer Datenbank mitnotiert<br />

<strong>und</strong> grafisch aufbereitet dargestellt werden.<br />

Aufgabentypen mit vielen Fehlern werden<br />

häufiger, gut beherrschte Aufgaben seltener<br />

abgefragt.<br />

4.3 Die Fachdidaktik <strong>Mathematik</strong><br />

An der Universität Bayreuth wurde ein Java-<br />

Applet namens "GeoNeXt" entwickelt [7], mit<br />

dem man dynamische Geometrie betreiben<br />

kann, ähnlich wie mit "Euklid", "Cinderella",<br />

"Cabri Geometre" usw.<br />

Was "GeoNeXt" für die Geometrie leistet,<br />

könnte das Formel-Applet bei entsprechender<br />

Weiterentwicklung für die Algebra leisten.<br />

Denkbar wäre ein <strong>im</strong> Team entwickeltes mathematisches<br />

Lehrwerk, das auf CD oder<br />

über das <strong>Internet</strong> bereitgestellt wird.<br />

4.4 Last but not least <strong>—</strong> die<br />

Schüler<br />

Die Schüler benutzen nur Ein- <strong>und</strong> Ausgabe-<br />

Applets, basierend auf Java 1.1.8, so dass<br />

die Übungsseiten auch auf älteren Browsern<br />

dargestellt werden können.<br />

5 Die Zukunft der Formel-<br />

Applets<br />

5.1 Die endlose Geschichte<br />

Wann ist ein Programm fertig? Eigentlich nie.<br />

Wie lange gibt es "Word"? Und <strong>im</strong>mer noch<br />

erscheint beinahe jährlich eine neue Version.<br />

Und <strong>im</strong>mer noch stolpert es manchmal bei<br />

den Fußnoten.<br />

116<br />

Auch Hobby-Programmier-Projekte sind in<br />

der Gefahr, nie fertig zu werden. Zu oft haben<br />

Außenstehende Wünsche nach neuen<br />

"Features", die man dann aus Ehrgeiz versucht<br />

zu verwirklichen. Dabei vergisst man<br />

allzu oft, dass der Zeitaufwand für das Programmieren<br />

zu ca. 90 Prozent aus Fehlersuche<br />

besteht.<br />

5.2 Was noch verwirklicht wird<br />

Im Formeleingabe-Applet lassen sich mit der<br />

Backspace-Taste einzelne Variablen <strong>und</strong> Ziffern<br />

von Zahlen löschen, jedoch z.B. keine<br />

Rechenzeichen. Hat man sich so vertippt,<br />

dass die Struktur des Terms nicht st<strong>im</strong>mt,<br />

sollte man die ganze Formel mit der Entfernen-Taste<br />

löschen <strong>und</strong> neu mit der Eingabe<br />

beginnen. Das Eingabe-Applet ist in der gegenwärtigen<br />

Version noch zu wenig fehlertolerant<br />

gegen Fehleingaben, als dass es bereits<br />

für den Einsatz <strong>im</strong> harten Unterrichtsalltag<br />

taugen würde. (Stand: September 2003)<br />

Für die 10. Jahrgangsstufe fehlen noch Logarithmen<br />

zur allgemeinen Basis b <strong>und</strong> höhere<br />

Wurzeln.<br />

Der Definitionsbereich von Termen darf bisher<br />

nicht eingeschränkt sein.<br />

5.3 Was das Formel-Applet nie<br />

werden wird<br />

Das Formel-Applet wird nicht zu einem Computer-Algebra-System<br />

(CAS) wie "Mathematica",<br />

"Derive", "MuPAD" usw. ausgebaut<br />

werden. Es gibt schon genug CAS. Die Verwendung<br />

eines CAS in der Unter- <strong>und</strong> Mittelstufe<br />

ist auch didaktisch wenig sinnvoll, da<br />

die Einstiegshürden durch die spezielle Umgebung,<br />

Syntax usw. viel zu hoch sind. Außerdem<br />

wird zwar der Output in herkömmlicher<br />

Schreibweise (Bruchstriche, Wurzeln<br />

usw.) dargestellt, aber nicht der Input. Der<br />

geschieht meist in einer Textzeile <strong>und</strong> ist daher<br />

fremdartig <strong>im</strong> Vergleich zur Tafel-<br />

Schreibweise.<br />

5.4 Was noch verwirklicht werden<br />

könnte<br />

In loser Reihenfolge: Periodenstrich, Griechische<br />

Buchstaben, Konstante Pi, Grad, physikalische<br />

Einheiten, Gleichungen <strong>und</strong> Ungleichungen,<br />

Integralzeichen, Summenzeichen,<br />

Taste "EE" für Zehnerpotenzen, Indizes.


Sicher haben Sie noch ein paar Anregungen<br />

für mich.<br />

E-Mail: rudolf.grossmann@odn.de<br />

Literatur<br />

Lippert, Gerhard & Wolfram Thom (Hrsg.) (1999):<br />

Freies Arbeiten am Gymnasium, Band 2, Aka-<br />

<strong>Internet</strong><br />

[1] Testversion des Formel-Applets:<br />

www.users.odn.de/~odn22355/formelapplet<br />

www.fuemo.de/formelapplet<br />

[2] MathML Dokumentation (engl.):<br />

www.w3.org/Math/<br />

Informationen zu MathML (deutsch)<br />

www.formelbaska.com/deutsch/foba_mathml.html<br />

Ein Java-Applet zur Eingabe <strong>und</strong> Überprüfung mathematischer Terme<br />

demiebericht Nr. 330. Dillingen: Akademie für<br />

Lehrerfortbildung <strong>und</strong> Personalführung<br />

Neidhardt, Wolfgang & Thomas Oetterer (2000):<br />

Geonet … <strong>und</strong> die Geometrie lebt! Bamberg:<br />

Buchner<br />

Ostermann, Peter et al. (1998): Ali, der Mathemaster.<br />

Stuttgart: Heureka-Klett<br />

Stoll, Clifford (2001): LogOut. Frankfurt: Fischer<br />

Versch. Autoren (2001): Lernpaket Mathe & Physik.<br />

Poing: Franzis<br />

[3] Amaya Homepage (Browser mit MathML-Unterstützung):<br />

www.w3.org/Amaya/<br />

[4] Hot Equation Java-Applet<br />

www.esr.ruhr-uni-bochum.de/VCLab/software/HotEqn/HotEqn.html<br />

[5] Vergleich von JavaScript mit Java<br />

www.bluedom.de/bluedom/wissen_javascript.php<br />

[6] Java-Plugin von SUN:<br />

java.sun.com<br />

[7] GeoneXt Java-Applet <strong>und</strong> -Applikation:<br />

www.geonext.de<br />

117


� Echtzeit-Online-Fortbildungen für Lehrkräfte zum<br />

Thema: <strong>Mathematik</strong> mit grafischen Taschenrechnern<br />

<strong>und</strong> CAS<br />

Es hat einerseits noch nie ein so dringender<br />

Bedarf an Fort- <strong>und</strong> Weiterbildung bestanden<br />

wie gegenwärtig, um <strong>Mathematik</strong>lehrerinnen<br />

<strong>und</strong> -lehrer in neue Technologien wie grafische<br />

Taschenrechner, Taschencomputer mit<br />

einem CAS, Dynamische-Geometrie-Software<br />

<strong>und</strong> CAS für PCs einzuführen. Es liegt<br />

daher nahe, klassische Fort- <strong>und</strong> Weiterbildungsmaßnahmen<br />

zur Einführung in die beschriebenen<br />

Systeme durch internetbasierte<br />

Veranstaltungen zu ergänzen. Ich habe dazu<br />

ausgenutzt, dass das IQSH in Kiel (Schleswig-Holstein)<br />

seit einigen Jahren die Möglichkeit<br />

bietet, kostenlos Echtzeit-Online-Fortbildung<br />

für Lehrkräfte durchzuführen.<br />

Auf der von der Fa. Interwise angemieteten<br />

Plattform habe ich bisher ca. 40 Fortbildungen<br />

über den Einsatz von Taschencomputern<br />

mit CAS bzw. CAS auf PCs <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

abgehalten. Die Einheiten habe<br />

ich als Online-Workshops zu organisieren<br />

versucht, in denen Teilnehmer ähnlich wie in<br />

einer Präsenzveranstaltung meine Vorschläge<br />

auch sofort auf den eigenen PCs oder<br />

Handheld-Geräten erproben konnten. In diesen<br />

Veranstaltungen besteht eine Audio-Verbindung<br />

zwischen den Teilnehmern, <strong>und</strong> außerdem<br />

können Bildschirminhalte z.B. des<br />

Tutors allen sichtbar gemacht werden. Ziel ist<br />

es, Lehrkräften vorzuführen, wie neue Technologien<br />

(CAS, DGS, Handheld-Geräte mit<br />

CAS) <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht genutzt werden<br />

können.<br />

Um den Bedarf innerhalb der Lehrerschaft zu<br />

erfahren, wurde eine Online-Umfrage bei den<br />

Lehrkräften durchgeführt, die sich bereits<br />

mindestens einmal zu Präsenzfortbildungen<br />

gemeldet hatten <strong>und</strong> deren Email-Adressen<br />

deshalb bekannt waren. Der Fragebogen<br />

kann <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> unter<br />

118<br />

Karl-Heinz Keunecke, Kiel<br />

Das IQSH in Kiel stellt seit 2000 eine Plattform zur Verfügung, auf der es möglich ist, <strong>im</strong><br />

<strong>Internet</strong> innerhalb einer geschlossenen Gruppe gleichzeitig Sprache <strong>und</strong> Daten auszutauschen.<br />

Die Teilnehmer benötigen dafür lediglich ein 56k-Modem <strong>und</strong> ein Mikrofon.<br />

Diese Plattform wird seit ca. 2 Jahren genutzt, um <strong>Mathematik</strong>lehrkräfte in die Benutzung<br />

von CAS <strong>und</strong> Taschencomputer mit CAS <strong>im</strong> Unterricht einzuführen. Die Veranstaltungen<br />

finden in den Abendst<strong>und</strong>en statt <strong>und</strong> dauern etwa zwei St<strong>und</strong>en.<br />

http://zkl.uni-muenster.de/t3/Umfrage/<br />

umfrag1.htm<br />

abgerufen werden. Die Umfrage ist bisher sicherlich<br />

nicht repräsentativ wegen des kleinen<br />

Stichprobenumfanges (ca. 200 Antworten),<br />

<strong>und</strong> weil bereits 90% der Befragten<br />

neue Technologien in ihrem Unterricht gelegentlich<br />

oder regelmäßig einsetzen. Trotzdem<br />

besteht auch bei dieser Gruppe noch<br />

ein großer Bedarf an Fortbildungen bei allen<br />

nachgefragten Technologien. Das CAS Derive<br />

ist am häufigsten angegeben worden, darauf<br />

folgen CAS-Taschencomputer, <strong>und</strong> am<br />

wenigsten Hilfe wurde für grafische Taschenrechner<br />

angefordert.<br />

Nur wenige (13%) wollen nach einer Einführung<br />

in die Technologie auch noch eine umfassende<br />

Einführung in das Unterrichten mit<br />

der neuen Technologie. Die Antworten kann<br />

man so interpretieren, dass drei Viertel der<br />

Lehrkräfte nur eine Starthilfe benötigen <strong>und</strong><br />

dann nach Bedarf Angebote nutzen wollen.<br />

Diese sollten sich auf Literatur zu den neuen<br />

Technologien <strong>und</strong> auf überzeugende Unterrichtsbeispiele<br />

beziehen. Die meisten Lehrkräfte<br />

sind bereit, an Fortbildungen außerhalb<br />

der regulären Schulzeit teilzunehmen<br />

<strong>und</strong> auch für die Kosten für den <strong>Internet</strong>-Zugang<br />

aufzukommen. Die zeitliche Belastung<br />

durch die zusätzlichen Online-Fortbildungen<br />

ist für sie offensichtlich kritischer. Eine wöchentliche<br />

Teilnahme glauben nur 16% sich<br />

leisten zu können, während 55% eine 14tägige<br />

oder monatliche Frequenz wünschen.<br />

19% st<strong>im</strong>men einer Blockbildung zu. Fast<br />

65% der Lehrkräfte halten die Abendst<strong>und</strong>en<br />

von 18 bis 22 Uhr für Online-Fortbildungen<br />

für am besten geeignet. 11% der befragten<br />

Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen sind erfreulicherweise<br />

ihrerseits bereit, ihre bisherigen Erfahrungen<br />

mit den neuen Technologien auch in


Online-Fortbildungen an andere Lehrkräfte<br />

weiterzugeben.<br />

Als Ergebnis dieser Umfrage werden ab<br />

2004 vier bis sechs Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen<br />

regelmäßig Online-Fortbildungen für <strong>Mathematik</strong>lehrkräfte<br />

in den Abendst<strong>und</strong>en anbieten.<br />

Damit soll die Möglichkeit geboten<br />

werden, Angebote <strong>und</strong> Arbeitsunterlagen für<br />

ihren aktuellen Unterricht auszuwählen, die<br />

von erfahrenen Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen<br />

präsentiert werden. Der Veranstaltungskalender<br />

von "Fortbildung Online" kann bei<br />

http://www.lernnetz-sh.de/l3n/bildung1.html<br />

eingesehen werden.<br />

Echtzeit-Online-Fortbildungen zu grafischen Taschenrechnern <strong>und</strong> CAS<br />

Da die Teilnahme an den Online-Veranstaltungen<br />

freiwillig ist, loggen sich die Lehrkräfte<br />

nur ein, wenn sie sich davon einen Nutzen<br />

versprechen. Das Steigen der Teilnehmerzahlen<br />

deutet daraufhin, dass hier ein Weg<br />

gef<strong>und</strong>en wurde, um Lehrkräfte bei der<br />

Einführung neuer Technologien in der Schule<br />

zu unterstützen.<br />

Adresse des Autors:<br />

Dr. Karl-Heinz Keunecke<br />

Gorch Fock Str. 2<br />

24159 Kiel<br />

kh.keunecke@t-online.de<br />

119


� Exper<strong>im</strong>entieren <strong>und</strong> Publizieren<br />

1 Einleitung<br />

Dynamische Geometrie-Software ist inzwischen<br />

als dritte Säule des <strong>Mathematik</strong>unterrichts<br />

mit neuen Medien etabliert; sie wird unterstützt<br />

von CAS <strong>und</strong> Tabellenkalkulation.<br />

Die Grenzen zwischen den drei Säulen verschwinden<br />

zusehends, da die Ergebnisse,<br />

die mit einem Paket gewonnen wurden, auch<br />

mit den anderen weiterverwendet werden<br />

sollen.<br />

In diesem Artikel möchte ich auf Anwendungsszenarios<br />

von DGS <strong>und</strong> verwandter<br />

Software eingehen <strong>und</strong> sie einander gegenüberstellen.<br />

Dabei werden Lücken <strong>im</strong> derzeitigen<br />

Softwareangebot identifiziert, die wir<br />

über technische Erweiterungen einer DGS zu<br />

schließen vermögen. Die technische Umsetzung<br />

dieser Erweiterung bietet zudem neue<br />

Möglichkeiten für die empirische Forschung<br />

zum Einsatz von DGS <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht.<br />

2 Exper<strong>im</strong>entieren<br />

DGS stellt eigene Welten zum Exper<strong>im</strong>entieren<br />

<strong>und</strong> Forschen zur Verfügung. Die vielfältigen<br />

Möglichkeiten sind inzwischen bekannt<br />

<strong>und</strong> dokumentiert. Für den Unterrichtseinsatz<br />

existieren Sammlungen fertiger elektronische<br />

Arbeitsblätter; DGS hat einen festen Platz in<br />

vielen Lehr- <strong>und</strong> Rahmenplänen.<br />

Zu einem Zeitpunkt, wo die anfängliche Euphorie<br />

einer gewissen Routine gewichen ist,<br />

lohnt es sich, einen Blick zurück in die Anfänge<br />

des DGS-Einsatzes zu wagen, um<br />

fehlende Mosaiksteine aus der Vision zu identifizieren.<br />

120<br />

Ulrich Kortenkamp, Berlin<br />

In diesem Artikel werden zwei Erweiterungen Dynamischer Geometrie-Software (DGS)<br />

vorgestellt, die bisher vorhandene Lücken schließen <strong>und</strong> neue didaktische Impulse geben<br />

können. Zum einen wird die Unterstützung von Algorithmen in DGS <strong>und</strong> die Erweiterung<br />

durch selbst geschriebene Module beschrieben, wie sie bereits prototypisch in Cinderella<br />

<strong>im</strong>plementiert ist. Zum anderen wird CINErella vorgestellt, eine Kombination aus<br />

Interaktion <strong>und</strong> Film, die sich zum Beispiel für die Dokumentation von Forschungsarbeit<br />

mit der DGS eignet.<br />

2.1 Entwicklungsperspektive '91<br />

Schon 1991 zeigt Schumann eine Entwicklungsperspektive<br />

für plan<strong>im</strong>etrische Werkzeuge<br />

auf, die inzwischen durch eine Vielzahl<br />

von Systemen zum größten Teil umgesetzt<br />

wurde. Insbesondere zählt er die in den<br />

folgenden Abschnitten aufgeführten plan<strong>im</strong>etrischen<br />

Module auf:<br />

2.1.1 Konstruktionssystem (PKS)<br />

Dieses Modul ist das, was heutzutage den<br />

Kern einer DGS darstellt. Die meisten Systeme<br />

sind menü-gesteuert, es existieren aber<br />

auch kommandobasierte oder alternativ kommandobasierte<br />

System wie Geolog oder<br />

Z.u.L., um nur zwei frühe Vertreter zu nennen.<br />

Entscheidendes Merkmal dieser Systeme ist<br />

die Manipulation <strong>im</strong> Zugmodus, die das Exper<strong>im</strong>entieren<br />

<strong>im</strong> Sinne von "Was-wärewenn?"<br />

erlaubt. In (K. 1999) wird dargestellt,<br />

welche mathematischen Schwierigkeiten bei<br />

einer konsistenten Implementierung des Zugmodus<br />

auftreten (<strong>und</strong> eine mathematisch<br />

f<strong>und</strong>ierte Lösung für diese Probleme angeboten).<br />

Diese sind speziell für die Umsetzung<br />

einer DGS in eine exper<strong>im</strong>entierfähige Umgebung<br />

zu beachten, da die stoffdidaktische<br />

Gr<strong>und</strong>lage der Fachwissenschaft nicht außer<br />

Acht gelassen werden kann.<br />

Leider führt die konsequente Umsetzung der<br />

<strong>Mathematik</strong> auch zu neuen didaktischen<br />

Schwierigkeiten (u.a. dokumentiert von Gawlick),<br />

die bislang nicht ausreichend wissenschaftlich<br />

untersucht wurden. Somit bleibt<br />

auch <strong>im</strong> Bereich der reinen Konstruktionssysteme<br />

<strong>im</strong>mer noch die offene Frage, wie diese<br />

zu gestalten sind, um sie <strong>im</strong> Unterricht gewinnbringend<br />

einzusetzen. Die meisten Untersuchungen<br />

differenzieren zunächst zwischen<br />

Computereinsatz <strong>und</strong> herkömmlichen<br />

Methoden, <strong>und</strong> vergleichen nicht mehrere


Programme. Angesichts der schon <strong>im</strong>mensen<br />

organisatorischen <strong>und</strong> methodischen<br />

Schwierigkeiten für solche Untersuchungen<br />

ist das eine nicht zu unterschätzende Leistung.<br />

Es soll aber nicht unerwähnt bleiben,<br />

dass die Gestaltung <strong>und</strong> Ausstattung von<br />

DGS nicht allein dem Markt überlassen werden<br />

kann, da sonst subjektive oder gar rein<br />

finanzielle Gründe über die eingesetzte Software<br />

entscheiden, <strong>und</strong> nicht didaktische oder<br />

fachwissenschaftliche Argumente. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> ist es dringend geboten, eine<br />

größere Vergleichsstudie durchzuführen.<br />

2.1.2 Berechnungssystem (PBS)<br />

Längen, Winkel <strong>und</strong> Flächen sollen gemessen<br />

werden können, <strong>und</strong> die gemessenen<br />

Werte sollen numerisch für weitere Berechnungen<br />

zur Verfügung stehen. Die Berechnungen<br />

sind dynamisch; der Zugmodus verändert<br />

die gemessenen Werte <strong>und</strong> die daraus<br />

resultierenden Ergebnisse.<br />

Die meisten kommerziellen Programme<br />

(Cabri, Sketchpad, Euklid Dynageo) unterstützen<br />

diese Berechnungen in der einen<br />

oder anderen Form. Zum Exper<strong>im</strong>entieren ist<br />

ein solches Modul gerade dadurch geeignet,<br />

dass ein Bezug zwischen realen Daten <strong>und</strong><br />

der Modellierung <strong>im</strong> Computer hergestellt<br />

werden kann. Die virtuellen Exper<strong>im</strong>ente<br />

werden <strong>im</strong> Umfeld der Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schüler verankert.<br />

2.1.3 Algebrasystem (PAS)<br />

Hier fordert Schumann die bereits oben angesprochene<br />

Konvergenz: Computeralgebra-<br />

Systeme sollen so an DGS angeb<strong>und</strong>en werden,<br />

dass Generalisierungen möglich sind<br />

<strong>und</strong> konstruierte Figuren symbolisch behandelt<br />

werden können.<br />

Die Umsetzung dieser Forderung erfordert<br />

erhebliche konzeptionelle Arbeit. Die bisher<br />

verfügbaren Systeme, die Ansätze in dieser<br />

Richtung zeigen (Geonext <strong>und</strong> das u.a. in<br />

diesem Band von Hohenwarter vorgestellte<br />

GeoGebra) geben zwar vor, Computeralgebra-Systeme<br />

zu enthalten, doch diese beschränken<br />

sich auf die Definition <strong>und</strong> einfache<br />

symbolische Manipulation von Formeln.<br />

Damit erfüllen sie eher die Anforderungen an<br />

ein plan<strong>im</strong>etrisches Berechnungssystem,<br />

nicht aber an ein plan<strong>im</strong>etrisches Algebrasystem.<br />

Dies soll nicht den didaktischen Wert<br />

dieser Module schmälern! Als PBS sind sie<br />

eine große Bereicherung für den Unterricht.<br />

Wie schwer die wirkliche Umsetzung eines<br />

PAS ist, kann man an dem jüngst vorgestell-<br />

Exper<strong>im</strong>entieren <strong>und</strong> Publizieren<br />

ten System Feli-X von Oldenburg (2002) sehen;<br />

die <strong>im</strong>mensen Möglichkeiten einer echten<br />

CAS-Umgebung gehen teilweise zu Lasten<br />

der einfachen, unmittelbaren Manipulation.<br />

Ein Einsatz in der Schule scheint derzeit<br />

noch in weiter Ferne zu liegen; zu sehr ähnelt<br />

die Benutzung des Systems einer Gratwanderung.<br />

Dies liegt keineswegs in der<br />

Verantwortung von Oldenburg: Die Freiheit<br />

des CAS ist eben auch die Freiheit, mit wenigen<br />

Symbolen die Komplexität der Berechnung<br />

zu sprengen. Schränkt man diese Freiheit<br />

ein, so werden die Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schüler wieder "an der kurzen Leine geführt";<br />

<strong>—</strong> dann wiederum braucht man kein CAS<br />

mehr. Gerade die Arbeit von Oldenburg ist<br />

aber ein notwendiger Schritt hin zu einer<br />

konsequenten Umsetzung, <strong>und</strong> die mit Feli-X<br />

gewonnenen Erfahrungen müssen in eine<br />

weitere Konzeption einfließen.<br />

2.1.4 Hypothesen-Prüfsystem (PHS)<br />

Schumann bezieht sich hier auf "Mechanical<br />

Geometry Theorem Proving", also die automatische<br />

Generierung von Beweisen für Sätze<br />

der Geometrie mit Hilfe eines Computers<br />

(oder eines sonstigen technischen Hilfsmittels).<br />

Es existiert eine große Gemeinde von<br />

Wissenschaftlern, die sich mit diesem Gebiet<br />

der <strong>Mathematik</strong> beschäftigen, zum größten<br />

Teil wird die Arbeit dort aber nicht in der <strong>Mathematik</strong>didaktik<br />

wahrgenommen. Dieses ist<br />

in den fernab der Schulmathematik liegenden<br />

Methoden für die dortigen Beweise, die meist<br />

aus der Algebra stammen, begründet. Die<br />

automatisch generierten Beweise haben für<br />

sich genommen wenig didaktischen Wert; da<br />

meist von Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern weder<br />

die Methode noch die konkrete Beweisführung<br />

auch nur ansatzweise verstanden werden<br />

kann, sind sie dem "Autoritätsbeweis"<br />

("Das ist so.") nicht überlegen.<br />

Solche "Beweise" kann man auch durch das<br />

Verifizieren <strong>im</strong> Zugmodus ersetzen, sofern<br />

nicht programminterne Details falsche Tatsachen<br />

vorspiegeln (siehe dazu Hölzl, 1994,<br />

der auf die Problematik halbfreier Punkte auf<br />

Strecken, die das Teilungsverhältnis gleich<br />

halten, hinweist).<br />

Es gibt aber auch durchaus viel versprechende<br />

Ansätze, ein PHS-Modul in eine DGS<br />

zu integrieren. Gao (2004) stellte mit dem <strong>—</strong><br />

leider nur schwer erhältlichen <strong>—</strong> Geometry<br />

Expert (inzwischen MMP/Geometer) ein System<br />

vor, welches mehrere verschiedene Beweisstrategien<br />

enthält. Die automatisch gef<strong>und</strong>enen<br />

Beweise können in textueller Form<br />

angezeigt werden. So sehr allerdings die<br />

Beweiskompetenz (es werden für alle rele-<br />

121


Ulrich Kortenkamp<br />

vanten Sätze Beweise gef<strong>und</strong>en) beeindruckt,<br />

so wenig ist klar, wie diese <strong>im</strong> Unterricht<br />

Gewinn bringend eingesetzt werden<br />

können.<br />

Die DGS Cinderella integriert ein Beweismodul,<br />

welches zur Gestaltung von interaktiven<br />

Arbeitsblättern mit Kontrollfunktion genutzt<br />

werden kann. Die eigentlichen Beweise sind<br />

nicht zugreifbar, stattdessen wird ausgenutzt,<br />

dass das Programm den individuellen Fortschritt<br />

innerhalb einer Aufgabe analysieren<br />

kann. Auf dieser Gr<strong>und</strong>lage entstand die<br />

Schulversion der DGS (Richter-Gebert & K.<br />

1999). Weitere Informationen finden sich in<br />

(K. & Richter-Gebert 2004) <strong>und</strong> (K. 1999).<br />

2.1.5 Programmiersystem (PPS)<br />

Das letzte von Schumann gewünschte Modul<br />

ist bisher von den Herstellern1 von DGS<br />

ignoriert worden. Die gewünschte "komfortable<br />

grafische Benutzersprache" zur "direkten<br />

Manipulation" existiert in dieser Form<br />

bisher in keinem mir bekannten Programm.<br />

Es ist daher nicht möglich, algorithmische<br />

Fragestellungen in DGS zufrieden stellend zu<br />

behandeln, selbst wenn diese sich ausdrücklich<br />

mit geometrischen Sachverhalten beschäftigen.<br />

Sollte ein vollständiges CAS (beispielsweise<br />

Mathematica oder Maple) an eine DGS angeb<strong>und</strong>en<br />

werden können, so würde dieses<br />

natürlich eine mächtige Programmierumgebung<br />

bieten; in Feli-X kann dies zum Beispiel<br />

zur automatisierten Herstellung von Konstruktionen<br />

verwendet werden. Komfortabel<br />

<strong>und</strong> grafisch ist dies aber nicht, <strong>und</strong> man wird<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern wohl kaum zumuten,<br />

in einem solchen System algorithmische<br />

Fragestellungen zu untersuchen.<br />

2.2 Algorithmen <strong>im</strong> Unterricht<br />

Besteht überhaupt Bedarf für das Programmier-Modul?<br />

Was könnte man mit dem <strong>—</strong><br />

bislang hypothetischen <strong>—</strong> Einsatz bezwecken?<br />

Dies soll in den nächsten Abschnitten<br />

geklärt werden, die sich mit Algorithmen <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematik</strong>unterricht beschäftigen. Ausdrücklich<br />

sind damit nicht Standardalgorithmen<br />

wie das schriftliche Multiplizieren oder<br />

Dividieren gemeint, sondern weiterführende<br />

strukturierte Vorschriften, die komplexe Pro-<br />

1 Als Hersteller bezeichnen wir hier alle diejenigen, die mit der Entwicklung<br />

von DGS befasst sind. Schumann (1991) spricht hier<br />

"Teams aus Geometriedidaktikern, Informatikern, professionellen<br />

Programmierern <strong>und</strong> Geometrielehrern" an; in der Realität sind<br />

diese Teams eher vermöge Personalunion aus ein bis zwei Personen<br />

zusammengesetzt.<br />

122<br />

bleme durch die Zerlegung in einfachere Einzelprobleme<br />

lösen.<br />

2.2.1 Logo<br />

Die Idee, algorithmisches Denken <strong>im</strong> Unterricht<br />

zu schulen, ist nicht neu, <strong>und</strong> mit der<br />

Programmiersprache Logo ist auch schon<br />

seit mehr als zwei Jahrzehnten eine gute Lösung<br />

verfügbar, mit der die Gr<strong>und</strong>konzepte<br />

von Algorithmen vermittelt werden können.<br />

Hier handelt es sich tatsächlich um eine komfortable<br />

grafische Benutzersprache für die<br />

Manipulation von Grafik; lediglich das Konzept<br />

von geometrischen Objekten ist nur bedingt<br />

vorhanden. Es handelt sich aber ganz<br />

klar nicht um ein Modul, welches mit den anderen<br />

genannten Modulen kompatibel ist;<br />

diese Kompatibilität (<strong>im</strong> Sinne des einfachen<br />

Austausch von Daten <strong>und</strong> Konzepten) ist jedoch<br />

eine wichtige Forderung, die Schumann<br />

mit einem Diagramm des K5, dem vollständigen<br />

Graphen auf 5 Knoten, illustriert:<br />

Abb. 1: Erwünschte Kompatibilität unter Plan<strong>im</strong>etrischen<br />

Modulen nach Schumann (1991)<br />

Gemäß den bisherigen Ausführungen existieren<br />

zwar alle Knoten dieses Graphen, <strong>—</strong> die<br />

Kanten, d.h. die Querverbindungen zwischen<br />

den einzelnen Modulen, jedoch nicht.<br />

2.2.2 Diskrete <strong>Mathematik</strong><br />

Gerade die diskrete <strong>Mathematik</strong>, <strong>und</strong> dort<br />

insbesondere die Graphentheorie, bietet sich<br />

für algorithmische Fragestellungen an. Viele<br />

interessante Probleme lassen sich mit Hilfe<br />

von Graphen modellieren, <strong>und</strong> mit einfachen<br />

Algorithmen wie Tiefen- oder Breitensuche<br />

lösen. Opt<strong>im</strong>ierungsfragen können oft mit<br />

Kürzeste-Wege-Algorithmen oder min<strong>im</strong>alen<br />

aufspannenden Bäumen gelöst werden.<br />

Es ist keine neue Idee, Graphen <strong>und</strong> Algorithmen<br />

in den Schulunterricht zu bringen<br />

(siehe z.B. Bodendiek 1973); neu ist, dass<br />

diesen Themen in den Lehr- <strong>und</strong> Rahmenplänen<br />

der Länder mehr Platz zugestanden<br />

wird. Die Kompetenzen, die in diesem Gebiet<br />

erworben werden können, sind Bestandteil<br />

der Bildungsstandards der KMK. So nennen


eispielsweise die Bildungsstandards für den<br />

Hauptschulabschluss das Reflektieren <strong>und</strong><br />

kritische Beurteilen von "Darstellungen von<br />

Zuordnungen, Zeichnungen, strukturierte[n]<br />

Darstellungen [<strong>und</strong>] Ablaufplänen" <strong>im</strong> Anforderungsbereich<br />

III (Verallgemeinern <strong>und</strong> Reflektieren).<br />

2.3 Algorithmen in DGS<br />

Es gibt zurzeit keine Möglichkeit, Graphenalgorithmen<br />

innerhalb einer DGS zu untersuchen,<br />

obwohl die Darstellung von Graphen<br />

durchaus nahe legt, das es sich um ein geometrisches<br />

Problem handelt. Spezielle Visualisierungen<br />

von einzelnen Graphenalgorithmen<br />

oder auch ganze Programmpakete (z.B.<br />

CATBox/GATO von Schliep & Hochstättler<br />

2001) wirken auf den ersten Blick wie DGS!<br />

Die Ähnlichkeit beschränkt sich aber auf die<br />

interaktive Eingabe der Graphen. Es wäre<br />

wünschenswert, wenn die durch ein weiteres<br />

Programmpaket in den Unterricht gebrachte<br />

Komplexität umgangen werden könnte, d.h.,<br />

wenn ein PPS <strong>im</strong>plementiert wäre, mit dem<br />

algorithmische Aspekte in Geometriesoftware<br />

aufgenommen werden können.<br />

Aus dieser Motivation heraus wurde eine<br />

Programmierschnittstelle für die Java-basierte<br />

DGS Cinderella entwickelt, mit der es erstmals<br />

möglich wird, selbst entwickelte (aber<br />

natürlich auch vorgefertigte) Algorithmen direkt<br />

auf geometrischen Konstruktionen ablaufen<br />

zu lassen.<br />

Abb. 2: Ein in Cinderella modellierter Graph<br />

Die Algorithmen können schrittweise abgearbeitet<br />

werden, so dass für verschiedene Eingabedaten<br />

nachvollzogen werden kann, wie<br />

der Algorithmus arbeitet. Zusätzlich können<br />

Exper<strong>im</strong>entieren <strong>und</strong> Publizieren<br />

die Algorithmen aber auch interaktiv verwendet<br />

werden: Während die Eingabe <strong>im</strong> Zugmodus<br />

manipuliert wird, wird für jede Position<br />

neu der gesamte Algorithmus durchlaufen,<br />

<strong>und</strong> die Anzeige aktualisiert.<br />

Diese algorithmische Schnittstelle ist derzeit<br />

nur exper<strong>im</strong>entell; es fehlen Erfahrungen<br />

zum Unterrichtseinsatz. In Anbetracht des<br />

"Arbeitsprogramms" in (Schumann 1991)<br />

wird hier aber damit begonnen, eine Lücke<br />

zu schließen. Die sich daraus ergebenden<br />

didaktischen Konsequenzen sind noch nicht<br />

abzusehen. In Abschnitt 4 gehen wir auf diesen<br />

Punkt noch einmal ein.<br />

Abb. 3: Ein Phasenfoto aus der Best<strong>im</strong>mung eines min<strong>im</strong>alen<br />

spannenden Baumes mit dem Algorithmus von<br />

Boruvka. Es ist bereits ein Wald (fette Kanten) best<strong>im</strong>mt<br />

worden, der nun durch weitere Kanten zu einem einzigen<br />

Baum verschmilzt.<br />

Abb. 4: Dresden wird verschoben, der min<strong>im</strong>ale aufspannende<br />

Baum verändert sich in Echtzeit.<br />

123


Ulrich Kortenkamp<br />

3 Publizieren<br />

Ergebnissicherung <strong>und</strong> Reflektion sind unverzichtbare<br />

Bestandteile des Forschens <strong>und</strong><br />

Entdeckens. Ein Unterricht, in dem Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler exper<strong>im</strong>entieren, zieht einen<br />

Teil seines Erfolges daraus, dass es einen<br />

gewissen Zwang zur Niederschrift des<br />

Gesehenen, Gesagten, <strong>und</strong> Gedachten gibt.<br />

DGS sind prädestiniert für die Aufbereitung<br />

<strong>und</strong> Publikation von geometrischen Daten.<br />

Wir stellen nun vier Publikationsformen vor.<br />

3.1 Herkömmlicher Druck<br />

Jede gute DGS ist in der Lage, die dargestellte<br />

Grafik in hoher Auflösung für den Ausdruck<br />

aufzubereiten. Gerade weil <strong>im</strong> Zugmodus<br />

einfach Korrekturen angebracht werden<br />

können, sind mit dem Computer erzeugte Figuren<br />

oft besser <strong>—</strong> in vielerlei Hinsicht <strong>—</strong> als<br />

die von Hand gezeichneten Pendants. Es ist<br />

<strong>im</strong>mer noch wichtig, dass die händische Arbeit<br />

gerade in den unteren Jahrgangsstufen<br />

nicht vom Computer verdrängt wird; für feinmotorisch<br />

unbegabte Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schüler ergibt sich mit dem Computer aber<br />

eine große Chance, Erfolgserlebnisse zu haben,<br />

auf die sie sonst verzichten müssten.<br />

Die Ästhetik der <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> insbesondere<br />

der Geometrie leidet nicht durch den<br />

Computer, sondern ihr wird zu einer neuen<br />

D<strong>im</strong>ension verholfen, die es zu nutzen gilt.<br />

3.2 Interaktiv <strong>im</strong> <strong>WWW</strong><br />

Geht es um dynamische Zusammenhänge,<br />

so ist die Darstellung auf Papier oft nicht angemessen.<br />

Dies wird selbst in diesem Artikel<br />

klar: Abbildung 3 ergibt nur durch einen zusätzlichen<br />

Erklärungstext Sinn; schöner <strong>und</strong><br />

deutlicher wäre es, könnte man die dort beschriebene<br />

Manipulation selbst durchführen.<br />

Moderne DGS ermöglichen es, interaktive<br />

Konstruktionen als Webseiten abzuspeichern,<br />

wobei die Dynamik erhalten bleibt.<br />

Dabei wird entweder auf das plattform-unabhängige<br />

Java (Cinderella, Geonext, Geo-<br />

Gebra, Cabri Java, Java Sketchpad, Z.u.L.)<br />

oder hersteller-abhängige Lösungen wie ActiveX<br />

(Euklid Dynageo) zurückgegriffen. Die<br />

Funktionalität der Java-Versionen variiert<br />

stark, doch alle bieten wenigstens den Zugmodus.<br />

Bei manchen Produkten kann man<br />

auch die Konstruktion Schritt für Schritt einblenden<br />

lassen, oder mit Aktions-Schaltflächen<br />

Teile der Konstruktion zeigen oder verstecken.<br />

124<br />

3.3 Bildschirm-Videos<br />

Es gibt verschiedene Softwareprodukte, mit<br />

denen "Filme" vom Bildschirminhalt aufgezeichnet<br />

werden können. Damit kann man<br />

manche Abläufe besser, als unter 3.2 beschrieben,<br />

erfassen <strong>und</strong> wiedergeben. An<br />

Stelle von langatmigen Erklärungen ("Ziehe<br />

zuerst an A in Richtung B. Dann verschiebe<br />

M auf S <strong>und</strong> schaue, was passiert. …") können<br />

fertige Sequenzen abgespielt werden.<br />

Im <strong>Internet</strong>-Projekt MADIN wurden solche<br />

Filme eingeb<strong>und</strong>en, ebenso wie die <strong>im</strong> vorherigen<br />

Abschnitt beschriebenen interaktiven<br />

Darstellungen.<br />

3.4 CINErella<br />

Die Darstellung über eine interaktive <strong>WWW</strong>-<br />

Seite stellt eine Erweiterung der Interaktionsmöglichkeiten<br />

dar. Die Darstellung als<br />

Film erweitert <strong>—</strong> <strong>im</strong> Vergleich zum statischen<br />

Ausdruck <strong>—</strong> die Konstruktion um die Zeit-<br />

D<strong>im</strong>ension.<br />

Abb. 5: Einordnung von CINErella<br />

In Abb. 5 sind diese Beziehungen schematisch<br />

dargestellt. Zusätzlich ist in der Grafik<br />

die neue Cinderella-Erweiterung CINErella<br />

eingeordnet, die die Vorteile der Interaktion<br />

<strong>und</strong> des automatischen Abspielens miteinander<br />

verbinden soll.<br />

Mit CINErella kann die gesamte Interaktion<br />

mit der DGS "mitgeschnitten" werden. Dabei<br />

werden allerdings keine Bildschirmfotos aufgezeichnet,<br />

sondern die abstrakt (<strong>im</strong> Koordinatensystem<br />

der DGS) dargestellten Bewegungen<br />

<strong>und</strong> Aktionen der Maus. Diese können<br />

dann wieder abgespielt werden, so dass<br />

der Bewegungsablauf reproduziert wird. Als<br />

erster Vorteil gegenüber dem Mitschnitt gegenüber<br />

der in 3.3 dargestellten Methode<br />

lässt sich festhalten, dass die Speicherung<br />

wesentlich kompakter ist als wenn für jedes


Einzelbild ein aus Pixeln zusammengesetztes<br />

Bild gespeichert wird. In nur wenigen Kilobyte<br />

kann eine lange Sequenz gespeichert<br />

<strong>und</strong> <strong>—</strong> wichtiger! <strong>—</strong> übertragen werden. Dadurch<br />

ist das CINErella-Verfahren gerade für<br />

<strong>Internet</strong>-basierte Lehr-/Lernumgebungen hervorragend<br />

geeignet.<br />

Die Speicherung als Folge von Manipulationen<br />

einer Konstruktion ist aber auch aus weiteren<br />

Gründen sinnvoll. Mit Bilddaten wäre<br />

es nicht möglich, in einen Film "einzugreifen"<br />

<strong>und</strong> die aktuell vorhandene Konstruktion eigenhändig<br />

mit der Maus zu manipulieren. Mit<br />

CINErella kann man diese Funktionalität<br />

leicht zur Verfügung stellen. Damit sind interaktive<br />

Tutorials machbar, die die <strong>Lernen</strong>den<br />

mit einbeziehen <strong>und</strong> ihnen Hilfestellungen<br />

geben sowie Vorgaben machen. So kann<br />

beispielsweise die Konstruktion der Mittelsenkrechten<br />

z.T. vorgeführt werden (zwei<br />

Kreise werden eingefügt); <strong>und</strong> diese Konstruktion<br />

soll dann durch das Einzeichnen<br />

der Mittelsenkrechten vervollständigt werden.<br />

Da sich diese Beispiele nicht in einem gedruckten<br />

Artikel wiedergeben lassen, stehen<br />

sie unter http://cinderella.de/cinerella bereit.<br />

Zusätzlich zu den Konstruktionsdaten kann<br />

auch eine Tonspur angelegt werden, die<br />

dann synchron abgespielt wird. Wird keine<br />

Tonspur mitgeschrieben, so werden Leerlaufzeiten<br />

automatisch gekürzt, außerdem können<br />

die Dateien auch mit höherer Geschwindigkeit<br />

abgespielt werden (fast forward).<br />

Ein Nachteil muss allerdings auch verzeichnet<br />

werden: Mit CINErella gespeicherte Sequenzen<br />

können nicht einfach rückwärts gespielt<br />

werden; diese Navigation muss aufwändig<br />

neu gerechnet werden, denn aus einer<br />

Folge von Maus-Aktionen kann zwar der<br />

Zustand einer Konstruktion nach dem Ausführen<br />

dieser Aktionen berechnet werden,<br />

aber es ist nicht ohne weiteres möglich, aus<br />

einer Aktion den Zustand vor deren Durchführen<br />

zu berechnen. Wenn zum Beispiel eine<br />

gespeicherte Aktion "bewege Maus mit<br />

gedrückter Taste von (x0,y0) nach (x1,y1)" lautet,<br />

<strong>und</strong> bei (x1,y1) befindet sich nach dieser<br />

Aktion ein Punkt, so kann nicht entschieden<br />

werden, ob dieser durch diese Aktion von<br />

(x0,y0) nach (x1,y1) verschoben wurde oder<br />

ob er sich bereits vorher bei (x1,y1) befand.<br />

Es ist ebenfalls nicht möglich, nach dem Eingriff<br />

des Benutzers einen begonnenen CINErella-Film<br />

weiter abzuspielen, da es dabei zu<br />

verwirrenden Inkonsistenzen kommen könnte.<br />

Es ist nicht klar, ob an dieser Stelle das<br />

Beweissystem von Cinderella helfen könnte,<br />

um in eindeutigen Fällen doch nach einer<br />

Unterbrechung fortsetzen zu können.<br />

Exper<strong>im</strong>entieren <strong>und</strong> Publizieren<br />

3.5 Elektronische Lerntagebücher<br />

Alle in den vorigen Abschnitten vorgestellten<br />

Dokumentationsmöglichkeiten eignen sich für<br />

die Erstellung von Lerntagebüchern. Wenn<br />

es möglich ist, elektronische Lerntagebücher<br />

<strong>—</strong> also zum Beispiel <strong>WWW</strong>-Seiten <strong>—</strong> herstellen<br />

zu lassen, dann kann die CINErella-<br />

Erweiterung neue Impulse liefern. Die Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler können "vormachen",<br />

was sie meinen, <strong>und</strong> den Film in ihre Dokumentation<br />

übernehmen.<br />

Es muss aber beachtet werden, dass diese<br />

einfache Art der Dokumentation nur dort angewandt<br />

wird, wo es darum geht, sonst nicht<br />

anders zu beschreibende Sachverhalte darzustellen.<br />

Diese Erleichterung darf nicht dazu<br />

missbraucht werden, das Denken zu vermeiden<br />

<strong>und</strong> die Formulierung in Sätzen zu ersetzen.<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern, deren<br />

Tagebuch aus Textbrocken wie "<strong>und</strong> dann<br />

habe ich so gemacht, <strong>und</strong> dann das, <strong>und</strong><br />

dann noch dieses" besteht, fehlt die Schulung<br />

ihrer Kommunikations- <strong>und</strong> damit Strukturierungsfähigkeiten.<br />

4 Zusammenfassung <strong>und</strong><br />

Aussichten<br />

In diesem Artikel wurden zwei Lücken identifiziert,<br />

die seit über einem Jahrzehnt von keiner<br />

DGS gefüllt werden konnten. Die Entwicklung<br />

eines plan<strong>im</strong>etrischen Programmiersystem<br />

wurde bereits 1991 gefordert,<br />

erste Schritte in diese Richtung haben wir<br />

hier beschrieben.<br />

Die beschriebenen Erweiterungen waren<br />

zum Zeitpunkt der Dillinger Tagung 2003 nur<br />

in der Entwicklerversion von Cinderella <strong>im</strong>plementiert.<br />

Für 2005 ist die Veröffentlichung<br />

von Cinderella.2 angekündigt, in der diese<br />

Schnittstellen weiter ausgebaut <strong>und</strong> vereinheitlicht<br />

wurden. Im Projekt Visage (G6) des<br />

DFG-Forschungszentrum Matheon wurden<br />

zudem Unterrichtsmaterialien für den computergestützten<br />

Unterricht zur Diskreten <strong>Mathematik</strong><br />

entwickelt, die derzeit evaluiert werden.<br />

Diese basieren auf den Erfahrungen mit<br />

dem hier beschriebenen Prototypen.<br />

Unter anderem kann Cinderella.2 nun in der<br />

Skriptsprache Python erweitert werden; damit<br />

ergeben sich weitere Anwendungsmöglichkeiten<br />

auch <strong>im</strong> Informatik-Unterricht.<br />

Auf der GDM-Tagung 2005 haben Schumann<br />

<strong>und</strong> Knapp vorgestellt, wie Instruktionsvideos<br />

für die Einführung in DGS verwendet<br />

werden können. Hier bietet es sich<br />

an, die Neuerungen von CINErella zu ver-<br />

125


Ulrich Kortenkamp<br />

wenden, um von der narrativen Präsentation<br />

zur interaktiven Rezeption zu gelangen.<br />

Die Umkehrung der Abspielrichtung von CI-<br />

NErella-Videos ist eine wünschenswerte Ergänzung.<br />

Hier sollte erforscht werden, ob<br />

dies effizient möglich ist, <strong>und</strong> welche zusätzlichen<br />

Daten hierfür gespeichert werden<br />

müssten. So genannte keyframes, also die<br />

Abspeicherung der Gesamtsituation in festgelegten<br />

(kurzen) Zeitintervallen, wären eine<br />

Möglichkeit, das Problem zu lösen.<br />

Zuguterletzt soll auf die neuen Möglichkeiten<br />

in der empirischen Unterrichtsforschung eingegangen<br />

werden. Die mit CINErella mitgeschnittenen<br />

Sequenzen liegen nämlich in einer<br />

statistisch auswertbaren Form vor. Das<br />

kompakte Datenformat lässt es zu, die Arbeit<br />

aller Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler einer Klasse<br />

über mehrere Schulst<strong>und</strong>en hinweg auf dem<br />

Rechner zu speichern. Diese Dateien werden<br />

mit einem Zeitcode versehen, so dass die Interaktionen<br />

mit zusätzlichen Videoaufnahmen<br />

synchronisiert werden können. Diese<br />

elektronischen Transkripte sind nicht nur<br />

leichter handhab- <strong>und</strong> herstellbar, sondern<br />

sie sind auch statistischen Methoden zugänglich,<br />

so dass auffällige oder besonders<br />

interessante Verhaltensmuster schnell aufgef<strong>und</strong>en<br />

werden können. Zudem können Konstruktionen,<br />

die <strong>im</strong> Unterricht durchgeführt<br />

wurden, sofort "benutzt" werden, z.B., um sie<br />

auf Korrektheit zu prüfen (diese ist aus einem<br />

Video allein nicht <strong>im</strong>mer leicht zu erkennen).<br />

Basierend auf diesen Neuvorstellungen sollen<br />

jetzt konkrete Unterrichtserfahrungen gesammelt<br />

werden.<br />

Literatur<br />

Bodendiek, Rainer (1973): Ecken, Wege, Bäume,<br />

Zahlen: Graphentheorie in der Schule. Freiburg:<br />

Herder<br />

Elschenbroich, Hans-Jürgen, Thomas Gawlick &<br />

Hans-Wolfgang Henn (2001): Mathematische<br />

<strong>und</strong> didaktische Aspekte Dynamischer Geometrie-Software.<br />

Hildeshe<strong>im</strong> & Berlin: Franzbecker<br />

Gao, Xiao-Shao (2004): MMP/Geometer <strong>—</strong> A<br />

Software Package for Automated Geometry<br />

Reasoning. In: F. Winkler (Hrsg.) (2004): Automated<br />

Deduction in Geometry 2002. Berlin<br />

u.a.: Springer, 44–66<br />

Hohenwarter, Markus (2005): Bidirektionale Verbindung<br />

von dynamischer Geometrie <strong>und</strong> Algebra<br />

in GeoGebra. In diesem Band<br />

Hölzl, Reinhard (1994): Im Zugmodus der Cabri-<br />

Geometrie. Weinhe<strong>im</strong>: DSV<br />

Kortenkamp, Ulrich (1999): Fo<strong>und</strong>ations of Dynamic<br />

Geometry. ETH Zürich: Dissertation<br />

126<br />

Kortenkamp, Ulrich (2001): Decision complexity in<br />

dynamic geometry. In: Dongming Wang<br />

(Hrsg.) (2001): Proceedings of ADG 2000,<br />

Lecture Notes in Artificial Intelligence 2061.<br />

Heidelberg u.a.: Springer, 167–172<br />

Kortenkamp, Ulrich (2004): Exper<strong>im</strong>ental Mathematics<br />

and Proofs <strong>—</strong> What is Secure Mathematical<br />

Knowledge? In: Zentralblatt für Didaktik<br />

der <strong>Mathematik</strong> 36, 61–66<br />

Kortenkamp, Ulrich & Jürgen Richter-Gebert<br />

(1998): In: Association for the Advancement of<br />

Computing in Education (Hrsg.) (1998): Geometry<br />

and Education in the <strong>Internet</strong> Age. Proceedings<br />

of ED-MEDIA 98. Charlottesville, VA:<br />

AACE, 790–799<br />

Kortenkamp, Ulrich & Jürgen Richter-Gebert<br />

(2004): Using Automatic Theorem Proving for<br />

Enhancing the User Interface of Geometry<br />

Software. In: Paul Libbrecht (Hrsg.) (2004):<br />

Proceedings of MathUI 2004, Bialowiecza, Polen:<br />

MKM. http://www.activemath.org/~paul/<br />

MathUI/proceedings/ATP_UI_Cinderella.html<br />

Kultusministerkonferenz (2004): Bildungsstandards<br />

<strong>im</strong> Fach <strong>Mathematik</strong> für den Hauptschulabschluss<br />

(Jahrgangsstufe 9). Beschluss<br />

vom 15.10.2004. Bonn. Online unter<br />

http://www.kmk.org/schul/Bildungsstandards/<br />

Hauptschule_<strong>Mathematik</strong>_BS_307KMK.pdf<br />

Oldenburg, Reinhard (2002): Feli-X: Ein Prototyp<br />

zur Integration von CAS <strong>und</strong> DGS. In: Peter<br />

Bender et al. (Hrsg.) (2002): Lehr- <strong>und</strong> Lernprogramme<br />

für den <strong>Mathematik</strong>unterricht. Hildeshe<strong>im</strong>:<br />

Franzbecker, 123–132<br />

Oldenburg, Reinhard (2004): Feli-X <strong>—</strong> ein Computeralgebra-gestütztes<br />

dynamisches Geometrieprogramm.<br />

In: Computeralgebra-R<strong>und</strong>brief 34<br />

Oldenburg, Reinhard (2005): GeoGebra: Dynamische<br />

Geometrie mit etwas Algebra. In: Computeralgebra-R<strong>und</strong>brief<br />

36<br />

Richter-Gebert, Jürgen & Ulrich Kortenkamp<br />

(2000): Die interaktive Geometrie-Software<br />

Cinderella, Schulversion. Stuttgart: Klett Software-Verlag<br />

Schliep, Alexander & Winfried Hochstättler (2001):<br />

Developing Gato and CATBox with Python.<br />

Teaching graph algorithms through visualization<br />

and exper<strong>im</strong>entation. In: Jon Borwein, Maria<br />

Haydee Morales, Konrad Polthier & Jose<br />

Francisco Rodrigues (Hrsg.) (2001): Proceedings<br />

of MTCM 2000. Heidelberg u.a.: Springer,<br />

291–310<br />

Schumann, Heinz (1991): Schulgeometrisches<br />

Konstruieren mit dem Computer. Stuttgart:<br />

Metzler & Stuttgart: Teubner (besonders 219f.)<br />

Schumann, Heinz & Olaf Knapp (2005): Instruktionsvideos<br />

für das Arbeiten mit Computerwerkzeugen.<br />

Erscheint in: Beiträge zum <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

2005. Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker<br />

Stein, Martin, Uwe-Peter Tietze, Hans-Georg Wiegand<br />

& Thomas Weth (2004): MADIN <strong>—</strong> eine<br />

internetgestützte Lehr-Lernumgebung für das<br />

Lehramtsstudium <strong>Mathematik</strong><br />

http://www.madin.net


� Dynamische Visualisierung einer Aufgabe<br />

(in Variationen)<br />

Ingmar Lehmann, Berlin<br />

Wir legen um den Äquator (in Gedanken) ein Seil, das 1 m länger ist als der Äquator.<br />

Welchen Abstand hat das Seil von der Erdoberfläche, wenn das Seil konzentrisch gespannt<br />

wird? <strong>—</strong> So etwa lautet die "übliche" Fassung dieser Aufgabe.<br />

Mit dieser Aufgabe gelingt es noch <strong>im</strong>mer, Interesse <strong>und</strong> Aktivität der Schüler zu wecken.<br />

Diese Aufgabe werden wir <strong>im</strong> Folgenden variieren <strong>und</strong> dabei auf zum Teil unerwartete<br />

Resultate stoßen. Obwohl die Ergebnisse nachvollziehbar sind, bleibt ein Unbehagen:<br />

"Ich verstehe es, aber glaube es nicht." Mit Hilfe dynamischer Geometriesoftware werden<br />

die Resultate erlebbar!<br />

Überraschende oder unerwartete Ergebnisse<br />

st<strong>im</strong>ulieren den Fortgang mathematischen<br />

Exper<strong>im</strong>entierens ebenso wie auftretende<br />

Widersprüche. Diese Widersprüche können<br />

dabei auch nur scheinbare sein.<br />

Abb. 1<br />

Die oben gestellte Aufgabe ist alt, "uralt"; <strong>—</strong><br />

dennoch hält sie noch <strong>im</strong>mer einige Überraschungen<br />

parat. Dabei nehmen wir der Einfachheit<br />

halber an, die Erde sei eine (vollkommene)<br />

Kugel <strong>und</strong> der Äquator sei exakt<br />

40 000 km lang. Die Aufgabe werden wir <strong>im</strong><br />

Folgenden variieren <strong>und</strong> dabei auf zum Teil<br />

völlig unerwartete Resultate stoßen.<br />

1 Das "konzentrische" Seil<br />

1.1 "Urfassung" der Aufgabe<br />

Aufgabe 1:<br />

Um den Äquator wird konzentrisch ein Seil<br />

gespannt, das 1 m länger ist als der Äquator.<br />

Welchen Abstand a hat das Seil von der<br />

Erdoberfläche? (vgl. Abb. 1, 2)<br />

u+1<br />

u<br />

Abb. 2<br />

Zunächst wird man die Schüler schätzen lassen!<br />

Auch Fragen wie "Könnte man ein Blatt<br />

Papier, das etwa ein Zehntel Mill<strong>im</strong>eter dick<br />

ist, zwischen Seil <strong>und</strong> Erdoberfläche hindurchschieben?"oder<br />

"Könnte eine Fliege, eine<br />

Maus darunter hindurchkriechen?" sollten<br />

die Schüler veranlassen, die Aufgabe mit Interesse<br />

in Angriff zu nehmen.<br />

Lösung:<br />

Die Schüler müssen lediglich den Zusammenhang<br />

zwischen Radius <strong>und</strong> Umfang eines<br />

Kreises kennen (u = 2πr) sowie einfachste<br />

Termumformungen beherrschen.<br />

lSeil = uÄquator+1 = 2πr+1<br />

Da das Seil selbst auch einen Kreis beschreibt,<br />

nämlich mit dem Radius r+a, gilt<br />

ferner<br />

lSeil = 2π(r+a),<br />

r<br />

r<br />

a<br />

127


Ingmar Lehmann<br />

sodass sich die Gleichung 2πr+1 = 2π(r+a)<br />

ergibt. Mit 2πr+1 = 2π(r+a) = 2πr+2πa folgt<br />

1<br />

unmittelbar 1 = 2πa, also a = .<br />

2π<br />

Da alle Längen in Meter angegeben worden<br />

sind, erhalten wir<br />

a = 0,1591549430 ... m ≈ 16 cm.<br />

Das ist für die Schüler paradox. Das Ergebnis<br />

ist vom Radius r (der Erde) unabhängig;<br />

<strong>—</strong> <strong>und</strong> gerade dieser Sachverhalt widerspricht<br />

der Erwartung.<br />

Man kann dieses für die Schüler paradoxe<br />

Resultat auch folgendermaßen formulieren:<br />

Für die Differenz der Umfänge zweier konzentrischer<br />

Kreise mit den Radien r1 <strong>und</strong> r2<br />

sowie dem Abstand a gilt<br />

u1–u2 = 2πr1–2πr2 = 2π(r2+a)–2πr2 = 2πa,<br />

d.h., diese Differenz der Umfänge ist konstant,<br />

wenn die beiden konzentrischen Kreise<br />

nur denselben Abstand voneinander haben.<br />

Das Ergebnis veranlasst Schüler sogar, die<br />

ganze Rechnung zu wiederholen, <strong>—</strong> um den<br />

vermeintlichen Fehler zu entdecken!<br />

Das ist ein guter Gr<strong>und</strong>, mit dieser Aufgabe<br />

in die Thematik "Umfang von Kreisen" zu<br />

starten. Walsch (2000) schreibt dazu:<br />

"Die Aufgabe ist zwar nicht auf vordergründige<br />

Art 'realitätsnah'. Sie trägt aber dazu bei,<br />

geometrisches Vorstellungsvermögen zu fördern,<br />

zu kritischer Distanz gegenüber intuitiven<br />

Urteilen zu erziehen, Einsichten in theoretische<br />

Zusammenhänge zu gewinnen (hier<br />

insbesondere die Unabhängigkeit des Abstandes<br />

vom Radius der Kugel zu erkennen),<br />

das Arbeiten mit dem 'mathematischen<br />

Handwerkszeug' zu üben."<br />

Mit dieser Aufgabe gelingt es in jedem Fall,<br />

Interesse <strong>und</strong> Aktivität der Schüler zu wecken.<br />

1.2 Vier "natürliche" Variationen<br />

von Aufgabe 1<br />

Aufgabe 2: Der Abstand des Seils zum<br />

Äquator ist gegeben<br />

Um den Äquator wird konzentrisch ein Seil<br />

gespannt, das einen Abstand von 1 m von<br />

der Erdoberfläche hat. Wie lang ist das Seil?<br />

Lösung:<br />

Für die Differenz der Umfänge gilt<br />

lSeil–uÄquator = 2π(r+a) – 2πr = 2πa = 2π.<br />

128<br />

Das Seil wäre dann nur etwas mehr als 6 m<br />

länger als der Äquator. Es hätte also die Länge<br />

lSeil = 2π(r+a) ≈ 40 000 006,28 [m].<br />

Ein Flugzeug umr<strong>und</strong>et bei konstanter Flughöhe<br />

von 10 000 m einmal die Erde (den<br />

Äquator). Wie lang ist die Flugstrecke?<br />

Aufgabe 3: Ein Mensch unterquert am<br />

Äquator das Seil<br />

Um den Äquator wird konzentrisch ein Seil<br />

gespannt. Um wie viel Meter/Kilometer müsste<br />

man dieses Seil verlängern, damit jeder<br />

Mensch aufrecht das (konzentrisch um den<br />

Äquator gespannte) Seil unterqueren könnte?<br />

Lösung:<br />

Das ist Aufgabe 2 in anderem Gewand:<br />

Seil Äquator<br />

lSeil–uÄquator = 2πa bzw. a =<br />

2π<br />

u l −<br />

.<br />

Das Seil müsste höchstens 16 m länger als<br />

der Äquator sein (a ≈ 2,55 m).<br />

Aufgabe 4: Ein Apfel statt der Erde<br />

Um einen Apfel (oder eine Münze) wird konzentrisch<br />

ein Faden gespannt, der um 1 m<br />

länger ist als der Apfelumfang (Münzumfang)<br />

selbst. Welchen Abstand a hat der Faden<br />

vom Apfelrand (vom Münzrand)?<br />

Lösung: (vgl. Abb. 3)<br />

Das Ergebnis, dass der Abstand a vom Radius<br />

(der Erde, eines Apfels oder eines<br />

Tischtennisballs) unabhängig ist, wird auf<br />

diese Weise besonders anschaulich bestätigt.<br />

Der Abstand a hängt lediglich von der<br />

gewählten Verlängerung (1 m) des Umfangs<br />

1<br />

ab: a = ≈ 16 [cm].<br />

2π<br />

Abb. 3


Verkleinern wir den (Ausgangs-) Kreis weiter,<br />

schrumpft der Äquator schließlich zu einem<br />

Punkt zusammen; d.h., in diesem Extremfall<br />

haben Äquator <strong>und</strong> Radius die Länge Null.<br />

Das Ergebnis bleibt dennoch dasselbe. Jetzt<br />

wird die "Verlängerung" (um 1 m) selbst zum<br />

(Kreis-) Umfang <strong>und</strong> dessen Radius der gesuchte<br />

Abstand a.<br />

Aufgabe 5: Zwei Münzen bilden eine "8":<br />

1 € <strong>und</strong> 1 c<br />

Eine 1-Euro-Münze <strong>und</strong> eine 1-Cent-Münze<br />

werden nebeneinander auf einen Tisch gelegt.<br />

Um beide Münzen wird ein Faden in<br />

Form zweier Kreise <strong>—</strong> wie eine Acht ("8") <strong>—</strong><br />

gespannt, wobei der Faden um 1 m [zum<br />

Ausprobieren evtl. besser 10 cm] länger ist<br />

als beide Münzumfänge zusammen.<br />

(Durchmesser: 1€: d€ = 25,75 mm; 1c: dc =<br />

16,25 mm)<br />

Welchen Abstand hat der Faden vom jeweiligen<br />

Münzrand? (vgl. Abb. 4)<br />

MC Cent<br />

r E<br />

M E<br />

Euro<br />

r C<br />

Abb. 4<br />

b<br />

k 2 Faden<br />

a<br />

k 1 Faden<br />

Lösung:<br />

Viele Schüler argumentieren richtig, dass<br />

jetzt zwei Kreise "mitspielen", also die Verlängerung<br />

um 1 m nicht durch 2π sondern<br />

durch 2 . 2π zu teilen sei, also für den Abstand<br />

1 . 1 1<br />

gelten muss: a = = [m] (≈ 8 cm).<br />

2 2π<br />

4π<br />

Das ist allerdings nur dann richtig, wenn zusätzlich<br />

gefordert wird, dass der Faden zu<br />

beiden Münzen denselben Abstand haben<br />

soll.<br />

Dynamische Visualisierung einer Aufgabe (in Variationen)<br />

Mit 2πr€+2πrc+1 = 2πr€+2πrc+2πa+2πb folgt<br />

1<br />

unmittelbar a+b = .<br />

2π<br />

Es gibt also unendlich viele Lösungen. Für<br />

1<br />

a = b erhalten wir a ( = b ) = [m] ≈ 8 [cm].<br />

4π<br />

1.3 Vier "künstliche", aber wirkungsvolle<br />

Variationen von<br />

Aufgabe 1<br />

Statt des Äquators (bzw. eines Kreises) wird<br />

ein Quadrat gewählt. Dieser Vorschlag geht<br />

auf Winter (1991) zurück:<br />

"Eine produktive anschauliche Aufklärung<br />

besteht darin, die Kreissituation auf eine analoge<br />

Quadratsituation zu übertragen (Analogie<br />

des Heurismus!) ..."<br />

Aufgabe 6: Ein Seil um ein Quadrat<br />

Um ein Quadrat wird ein Fadenquadrat gespannt,<br />

das um 1 m länger ist als der gegebene<br />

Quadratumfang. Der Faden wird dabei<br />

so gespannt, dass die jeweiligen Quadratseiten<br />

zueinander parallel sind (vgl. Abb. 5).<br />

s<br />

s<br />

Abb. 5<br />

Welchen Abstand a hat der Faden vom<br />

Quadratrand? Genauer: Welchen Abstand a<br />

haben die jeweiligen zueinander parallelen<br />

Quadratseiten?<br />

Lösung:<br />

Die Abbildung zeigt deutlich, wie sich die<br />

Überhänge des Fadenquadrates, also die<br />

Zugabe von 1 m, auf 8 gleich lange Stücke<br />

an den 4 Ecken verteilen.<br />

Mit 4s+1 = 4s+8a folgt unmittelbar 1 = 8a; also<br />

muss der Abstand a = 12,5 cm betragen.<br />

s<br />

a<br />

a<br />

a<br />

s<br />

a<br />

129


Ingmar Lehmann<br />

Auch dieser Abstand a zwischen beiden<br />

Quadraten ist somit unabhängig von der Seitenlänge<br />

des Ausgangsquadrates. Das gilt<br />

damit auch für ein Quadrat mit der Seitenlänge<br />

von 10 000 km.<br />

Die Verlängerung um 1 m erzeugt daher<br />

auch in diesem <strong>—</strong> dem Äquator nachempf<strong>und</strong>enen<br />

<strong>—</strong> Beispiel einen Abstand von<br />

12,5 cm. Hier erscheint das Ergebnis "glaubhafter"<br />

als die 16 cm (für das Seil um den<br />

Äquator), da man ja "sieht", wo die Verlängerung<br />

um 1 m bleibt!<br />

Anstelle eines Quadrates kann man auch ein<br />

gleichseitiges Dreieck, allgemein ein regelmäßiges<br />

Vieleck, betrachten <strong>und</strong> nach dem<br />

Abstand des Fadens vom Vielecksrand fragen.<br />

Aufgabe 7: Ein Seil um ein regelmäßiges<br />

n-Eck<br />

Um ein regelmäßiges n-Eck wird ein Fadenn-Eck<br />

gespannt, das um 1 m länger ist als<br />

der Umfang des gegebenen n-Ecks.<br />

Der Faden wird dabei so gespannt, dass die<br />

jeweiligen n-Eckseiten zueinander parallel<br />

sind (vgl. Abb. 6, 7, 8).<br />

Welchen Abstand a hat der Faden vom Rand<br />

des Ausgangs-n-Ecks? Genauer: Welchen<br />

Abstand a haben die jeweiligen zueinander<br />

parallelen n-Eck-Seiten?<br />

Lösung: (<strong>im</strong> Überblick)<br />

Auch für die drei regelmäßigen Vielecke in<br />

Abb. 6, 7, 8 ist also der Abstand a zwischen<br />

den jeweiligen zueinander parallelen Vieleckseiten<br />

unabhängig von der Seitenlänge<br />

des Ausgangsvielecks.<br />

Für ein beliebiges regelmäßiges n-Eck gilt<br />

mit n·s+1 = n·s+2·n·b dann 1 = 2·n·b; mit<br />

π<br />

cot<br />

π b 1<br />

tan = folgt damit a = = n .<br />

n a<br />

π 2n<br />

2n<br />

tan<br />

n<br />

Je größer die Eckenzahl n ist, umso größer<br />

wird der Abstand a. Wächst a beliebig?<br />

Natürlich kann dieser Abstand a niemals<br />

größer werden als der <strong>im</strong> Falle des Kreises!<br />

Der Abstand a liegt <strong>im</strong> Falle des regelmäßigen<br />

Sechsecks (14,4 cm) schon relativ nahe<br />

an dem Grenzwert, den wir in Aufgabe 1<br />

gewonnen haben (≈16 cm):<br />

a = l<strong>im</strong><br />

n→∞<br />

130<br />

1 1<br />

= ≈16 [cm].<br />

π<br />

2n<br />

tan<br />

2π<br />

n<br />

s<br />

s + 2b<br />

Abb. 6: a ≈ 9,6 cm<br />

s<br />

s + 2b<br />

a<br />

Abb. 7: a ≈ 13,8 cm<br />

s<br />

s + 2b<br />

a<br />

Abb. 8: a ≈ 14,4 cm<br />

Aufgabe 8: Ein Seil um ein Kreisbogendreieck<br />

Um ein Reuleauxsches Dreieck (mit Kreisbögen<br />

vom Radius r) wird ein Faden gespannt,<br />

der um 1 m länger ist als der Umfang des<br />

Reuleauxschen Dreiecks selbst. Der Faden<br />

wird dabei so gespannt, dass er wieder ein<br />

Reuleauxsches Dreieck bildet. Beide Reuleauxschen<br />

Dreiecke sollen "konzentrisch"<br />

liegen, d.h., die Schwerpunkte der beiden<br />

Trägerdreiecke fallen zusammen <strong>und</strong> die<br />

a<br />

b<br />

b<br />

a<br />

a<br />

a<br />

b<br />

b<br />

b<br />

b


Eckpunkte des zweiten Trägerdreiecks liegen<br />

auf den Winkelhalbierenden des ersten Trägerdreiecks.<br />

(vgl. Abb. 9)<br />

u + 1<br />

b<br />

u<br />

r<br />

r<br />

r '<br />

Abb. 9<br />

Welchen Abstand a haben die Mittelpunkte<br />

der jeweiligen (zueinander ähnlichen) Kreisbögen<br />

der beiden Reuleauxschen Dreiecke?<br />

Welchen Abstand b haben die auf einer Winkelhalbierenden<br />

liegenden Eckpunkte der<br />

beiden Reuleauxschen Dreiecke?<br />

Lösung:<br />

Überraschender Weise ist zunächst der Umfang<br />

eines Reuleauxschen Dreiecks der Dicke<br />

r gerade gleich dem Umfang des Kreises<br />

mit dem Durchmesser dieser Dicke des Reuleauxschen<br />

Dreiecks. Das ist der Satz von<br />

Emile Barbier (1839–1889): u = πr.<br />

Mit πr+1 = π(r+a+b) = πr+π(a+b) folgt unmit-<br />

1<br />

telbar 1 = π(a +b), also a+b = ≈ 32 [cm].<br />

π<br />

Man kann dann zeigen, dass sich so<br />

3 − 3<br />

3<br />

a = ≈13,5 [cm]; b = ≈ 18,4 [cm] er-<br />

3π<br />

3π<br />

geben. Diese beiden Abstände sind von der<br />

"Dicke" r des gegebenen Reuleauxschen<br />

Dreiecks unabhängig.<br />

Aufgabe 9: Ein Seil um ein Kreisbogenviereck<br />

Um ein Quadrat der Seitenlänge s werden<br />

vom Mittelpunkt jeder Seite Kreisbögen<br />

durch die gegenüber liegenden Eckpunkte<br />

geschlagen. Um dieses Kreisbogenviereck<br />

wird ein Faden gespannt, der um 1 m länger<br />

ist als der Umfang des Kreisbogenvierecks<br />

selbst.<br />

Der Faden wird dabei so gespannt, dass er<br />

wieder ein Kreisbogenviereck bildet. Beide<br />

Kreisbogenvierecke sollen so liegen, dass<br />

die Mittelpunkte der beiden Trägerquadrate<br />

zusammenfallen <strong>und</strong> die Eckpunkte des<br />

zweiten Trägerquadrates auf den Winkelhal-<br />

a<br />

Dynamische Visualisierung einer Aufgabe (in Variationen)<br />

bierenden des ersten Trägerquadrates liegen.<br />

(vgl. Abb. 10)<br />

u + 1 u<br />

a<br />

b<br />

M<br />

s<br />

s '<br />

Abb. 10<br />

Welchen Abstand a haben die Mittelpunkte<br />

der jeweiligen (zueinander ähnlichen) Kreisbögen<br />

der beiden Kreisbogenquadrate? Welchen<br />

Abstand b haben die auf einer Winkelhalbierenden<br />

liegenden Eckpunkte der beiden<br />

Kreisbogenquadrate?<br />

Lösung:<br />

Mit etwas Geduld erhält man auch hier, dass<br />

die beiden Abstände a <strong>und</strong> b von der Seitenlänge<br />

s des gegebenen Quadrates unabhängig<br />

sind: a ≈ 14,9 cm; b ≈ 17,1 cm. Ihre<br />

Summe a+b ist damit ebenfalls etwa 32 cm.<br />

1.4 Eine sportliche <strong>und</strong> fünf<br />

physikalische Variationen<br />

von Aufgabe 1<br />

Statt des Seils, das <strong>im</strong> Abstand von 1 m von<br />

der Erdoberfläche um den Äquator gespannt<br />

wird, findet man in der Literatur auch die Version,<br />

ein Eisenbahngleis um den Äquator zu<br />

verlegen. Dass es sich hierbei erst recht um<br />

ein Gedankenexper<strong>im</strong>ent handelt, sei noch<br />

einmal hervorgehoben.<br />

Aufgabe 10: Per D-Zug um den Äquator <strong>—</strong><br />

ein "fragwürdiges" Eisenbahngleis<br />

Ein Eisenbahngleis, das r<strong>und</strong> um den Äquator<br />

führt <strong>und</strong> komplett in der Äquatorebene<br />

liegen möge, verlaufe mit der inneren Schiene<br />

direkt auf dem Äquator, die äußere<br />

Schiene liege in der Luft.<br />

Um wie viel Meter wäre die äußere Schiene<br />

länger als die innere Schiene? (vgl. Abb. 11)<br />

(a = Gleisbreite = Spurweite = 1,46 m)<br />

r<br />

r '<br />

131


Ingmar Lehmann<br />

132<br />

Abb. 11<br />

Lösung:<br />

Die Lösung folgt dem Muster in Aufgabe 2.<br />

Statt der Länge von etwa 6,30 m, die sich<br />

dort als Differenz bei 1 m Abstand ergab, erhalten<br />

wir in diesem Fall läußereSch–linnereSch =<br />

2πa ≈ 9,17 [m].<br />

Dagegen erhalten wir ein ganz anderes Resultat,<br />

wenn das ganze Gleis auf der Erde<br />

verlegt wird, d.h. die eine Schiene auf dem<br />

Äquator, die andere auf einem (parallelen)<br />

Breitenkreis zum Äquator liegt (Aufgabe 15).<br />

Aufgabe 10 lässt sich auch so formulieren,<br />

dass überhaupt kein Seil mehr (oder Gleis) in<br />

Erscheinung tritt:<br />

Aufgabe 11: Einmal zu Fuß um den Äquator<br />

Ein Mensch, der (a =) 1,80 m groß ist, laufe<br />

(in Gedanken) einmal längs des Äquators um<br />

die Erde. Dabei ist der Weg des Kopfes länger<br />

als der der Füße.<br />

Um wie viel ist der "Kopfweg" länger?<br />

Lösung:<br />

lKopfweg–lFußweg = 2πa ≈ 11,31 [m].<br />

Alternativ bietet sich auch an, den größten<br />

<strong>und</strong> kleinsten Schüler auszuwählen, <strong>und</strong> zu<br />

fragen, wessen Differenz zwischen Kopf- <strong>und</strong><br />

Fußweg größer (kleiner) ist.<br />

Der Extremfall, dass die Füße an einer Achse<br />

(z. B. einer Reckstange) "drehbar befestigt"<br />

sind <strong>und</strong> der gestreckte Körper eine vollständige<br />

Drehung um diese Achse vollführt,<br />

liefert diesen Wert für die Wegdifferenz zwischen<br />

Kopf <strong>und</strong> Füßen unmittelbar; der<br />

"Äquator", d.h. der Weg der Füße, schrumpft<br />

auf Null.<br />

Der Felgumschwung wäre besser geeignet,<br />

allerdings würden dann die Hände die Rolle<br />

der Füße übernehmen, während diese die<br />

Rolle des Kopfes spielen würden. (vgl. Abb.<br />

12)<br />

Abb. 12<br />

Aufgabe 12: Ein "kaltes" Drahtseil um den<br />

Äquator<br />

Diesmal legen wir einen Draht, ein Stahlseil,<br />

straff um den Äquator.<br />

Wie tief schneidet sich der Draht (konzentrisch)<br />

in die Erde hinein, wenn der Draht um<br />

1°C (oder 1°K) abgekühlt wird <strong>und</strong> wir annehmen,<br />

dass der Draht dabei nicht reißt <strong>und</strong><br />

auch nicht mechanisch beeinflusst wird?<br />

Lösung:<br />

Die Längenänderung ∆l hängt von der ursprünglichen<br />

Länge l, der Temperaturdifferenz<br />

∆t <strong>und</strong> dem linearen Ausdehnungskoef-<br />

1<br />

fizienten α ab (αStahl = 0,000013 [ ]):<br />

° K<br />

∆l = α·l·∆t.<br />

Damit erhalten wir bei Abkühlung um ∆t (°C)<br />

die neue Länge l–∆l = l–α·l·∆t = l(1–α·∆t).<br />

In unserem Fall ergibt sich dann<br />

∆l = lÄquator–lDraht = α·lÄquator·∆t ≈ 520 m.<br />

Für die Differenz aus ursprünglicher <strong>und</strong> abgekühlter<br />

Drahtlänge erhalten wir ferner<br />

∆l = 2πr–2π(r–a) = 2πa.<br />

Der Draht schneidet sich mit einer Tiefe von<br />

knapp 83 m in die Erdoberfläche hinein.<br />

Aufgabe 13: Ein "heißes" Drahtseil um<br />

den Äquator<br />

Wir legen wieder einen Draht (Stahlseil)<br />

straff um den Äquator. Um wie viel Grad<br />

müsste dieser Draht erwärmt werden, damit<br />

er genau 1 m länger als der Äquator wird?<br />

Oder anders gefragt:<br />

Um wie viel Grad müsste ein solcher konzentrisch<br />

gespannter Draht erwärmt werden,<br />

damit er überall denselben Abstand vom<br />

Äquator hätte wie das Seil aus der "Urfassung"<br />

der Aufgabe (a ≈ 16 cm)?


Lösung:<br />

Mit lÄquator+1 = lÄquator+lÄquator·α·∆t erhalten wir<br />

∆t ≈ 0,002°C.<br />

Es genügt also eine winzige Temperaturerhöhung<br />

von etwa 0,002°C, um diesen Abstand<br />

von etwa 16 cm herzustellen.<br />

Aufgabe 14: Per D-Zug um den Äquator <strong>—</strong><br />

ein "gewagtes" Eisenbahngleis<br />

Ein Eisenbahngleis wird entlang des Äquators<br />

verlegt. Eine Schiene folgt exakt dem<br />

Äquator ("Äquatorschiene"), die dazu parallele<br />

Schiene soll ganz auf der Erde verlegt<br />

werden, also auf einem (parallelen) Breitenkreis<br />

zum Äquator ("Parallelschiene"). Die<br />

Äquatorschiene sei genau 1 m länger als die<br />

Parallelschiene. (vgl. Abb. 13)<br />

Wie groß ist der Gleisabstand a?<br />

Oder anders gefragt: Auf welchem Breitenkreis<br />

verläuft die Parallelschiene?<br />

Lösung:<br />

h<br />

M'<br />

M<br />

Abb. 13<br />

r<br />

r '<br />

B<br />

a<br />

α a/2<br />

α/2<br />

r C<br />

r<br />

a = ≈ 1423,5 [m]. Die Spurweite wäre al-<br />

π<br />

so "gigantisch", nämlich fast 1½ km.<br />

Aufgabe 15: Per D-Zug um den Äquator –<br />

ein normales Eisenbahngleis<br />

Ein Eisenbahngleis wird entlang des Äquators<br />

verlegt. Eine Schiene folgt exakt dem<br />

Äquator ("Äquatorschiene"), die dazu parallele<br />

Schiene soll ganz auf der Erde verlegt<br />

werden, also auf einem (parallelen) Breitenkreis<br />

zum Äquator ("Parallelschiene").<br />

Um wie viel Meter wäre die Äquatorschiene<br />

eines solchen Gleises, das r<strong>und</strong> um den<br />

Äquator führt, länger als die zugehörige Parallelschiene,<br />

wenn angenommen wird, dass<br />

die Parallelschiene ganz auf der Erde verlegt<br />

b<br />

A<br />

Dynamische Visualisierung einer Aufgabe (in Variationen)<br />

wird, also auf einem Parallelkreis zum Äquator?<br />

(a = Gleisbreite = Spurweite = 1,46 m)<br />

Lösung:<br />

Die Spurweite a können wir wegen des sehr<br />

kleinen Winkels α mit dem Bogen b identifizieren.<br />

Ein erwartetes <strong>—</strong> oder wohl eher unerwartetes<br />

Resultat: die Schienen unterscheiden<br />

sich in ihrer Länge nicht! Der Taschenrechner<br />

zeigt ∆l = 0 an; die Grenze der Genauigkeit<br />

ist hier erreicht. Selbst per Computer-<br />

Algebra-System wird erst bei 25- bzw. 30stelliger<br />

Anzeige ein von Null verschiedener<br />

Wert ermittelt. Der TI-92 liefert ∆l = 1,2 µm.<br />

2 Das hochgezogene Seil<br />

2.1 Die "aufgehängte" Erdkugel<br />

Aufgabe 16:<br />

Das Seil wird – wie in Aufgabe 1 – um 1 m<br />

verlängert. Aber jetzt soll es nicht konzentrisch<br />

liegen, sondern so gezogen werden,<br />

dass es an einer Stelle max<strong>im</strong>alen Abstand<br />

von der Erdoberfläche besitzt. (vgl. Abb. 14)<br />

Wie weit lässt sich das Seil hochziehen?<br />

Q<br />

T<br />

R<br />

M<br />

x<br />

α<br />

Abb. 14<br />

Das Ergebnis ist scheinbar (wieder) paradox!<br />

Hatten die Schüler in Aufgabe 1 zunächst<br />

wohl eher erwartet, das Seil lasse bei 1 m<br />

Verlängerung <strong>und</strong> konzentrischer Spannung<br />

kaum Spielraum für eine Maus zum Hindurchkriechen,<br />

so liefert dieselbe Verlängerung<br />

um 1 m, jetzt aber tangentialer "Aufhängung"<br />

der Erde <strong>im</strong> Seil, ein wieder ganz unerwartetes<br />

Resultat: fast 122 m (Meter!).<br />

b<br />

y<br />

r<br />

S<br />

133


Ingmar Lehmann<br />

Lösung:<br />

2π ⋅ r ⋅α<br />

Die Gleichung b = = r·tanα–0,5 lässt<br />

360°<br />

sich nicht geschlossen lösen. Man kann sie<br />

aber numerisch lösen. Mit einem Computer-<br />

Algebra-System ist das kein Problem<br />

(DERIVE: α = 0,3538811189°). Der TI-92 liefert<br />

α = 0,353881176881° als Lösung.<br />

Auch sinnvolles Probieren (mittels TR) führt<br />

uns zur Lösung dieser Gleichung (mit r =<br />

6 366 198 m als Erdradius). Für α = 0,354°<br />

2π ⋅ r ⋅α<br />

st<strong>im</strong>men die Terme <strong>und</strong> r·tanα– 0,5<br />

360°<br />

dann bereits in 8 Ziffern überein.<br />

Das Seil liegt somit knappe (y =) 40 km nach<br />

jeder Seite in der Luft, ehe es sich an den<br />

Äquator anschmiegt. Für die gesuchte Höhe<br />

x = r·( α<br />

2<br />

1<br />

1+ tan –1) = r·( –1) finden wir<br />

cosα<br />

so die bereits angebene Weite (121,5 m).<br />

Jetzt ist das Ergebnis also vom Radius r (<strong>und</strong><br />

vom Winkel α) abhängig!<br />

Dieses Resultat ist vielleicht auch deshalb<br />

erstaunlich, weil man intuitiv ann<strong>im</strong>mt, dass<br />

bei einem solchen Erdumfang (von 40 000<br />

km) ein zusätzlicher Meter quasi "verschwinden"<br />

müsste. Aber das ist der Irrtum! Je größer<br />

nämlich die Kugel ist, desto weiter kann<br />

das Seil weggezogen werden.<br />

Gawlick (2001) hebt hervor, dass sich die<br />

Aufgabe als exemplarisches Beispiel zum reflektierten<br />

Umgang mit einem Computer-<br />

Algebra-System eignet. Kirsch (2002) betont,<br />

dass der Fehler des zur Seilverlängerung<br />

1 m gef<strong>und</strong>enen Abstandes von 121,50 m<br />

1<br />

weniger als von 0,041% beträgt, <strong>und</strong> das<br />

64<br />

ist jedenfalls weniger als 1 mm!<br />

2.2 Sieben Variationen des<br />

hochgezogenen Seils<br />

Wie in Aufgabe 4 wird statt der Erde ein Apfel,<br />

ein Tischtennisball oder sogar nur eine<br />

Scheibe, etwa eine Euro-Cent-Münze, gewählt.<br />

Aufgabe 17: Die "aufgehängte" Cent-Münze<br />

Ein Faden wird um eine Euro-Cent-Münze<br />

gelegt (Durchmesser 16,25 mm), um 1 m<br />

verlängert <strong>und</strong> so gezogen, dass er an einer<br />

Stelle max<strong>im</strong>alen Abstand vom Münzrand<br />

besitzt.<br />

Wie weit lässt sich der Faden hochziehen?<br />

134<br />

Lösung:<br />

Das Ergebnis ist diesmal nicht unerwartet:<br />

Mit α ≈ 89,092° ergibt sich x ≈ 504,6 mm.<br />

Das ist fast das Ergebnis des Extremfalles, in<br />

dem der Radius des Kreises auf Null<br />

schrumpft (x = 0,5 m).<br />

Anschauung <strong>und</strong> Erfahrung helfen <strong>im</strong> Falle<br />

der Aufgabe 16 (der "aufgehängten" Erdkugel)<br />

i.Allg. gar nicht weiter; sie stehen einer<br />

Lösung eher <strong>im</strong> Wege. Im täglichen Leben<br />

abstrahieren wir von der Erdkrümmung; wir<br />

sehen die Umgebung als eben an.<br />

Schwier (1997) hat gezeigt, wie man sich<br />

dennoch dieser unerwarteten Lösung (x ≈<br />

122 m) nähern kann, indem zuvor eine entsprechende<br />

Betrachtung in der Ebene angestellt<br />

wird: (vgl. Abb. 15)<br />

l<br />

+ 0,5<br />

2<br />

C<br />

x<br />

l<br />

+ 0,5<br />

2<br />

A<br />

l<br />

M<br />

l<br />

B<br />

2<br />

2<br />

Abb. 15<br />

Das Seil der Länge l liege straff gespannt<br />

zwischen den Punkten A <strong>und</strong> B. Wird das<br />

Seil jetzt um 1 m verlängert <strong>und</strong> in der Mitte<br />

max<strong>im</strong>al nach oben gezogen, lässt sich dieser<br />

Abstand x leicht berechnen. Ein fast 20<br />

km langes Seil lässt sich bereits fast 100 m<br />

in der Mitte anheben! (Dabei wird natürlich<br />

vernachlässigt, dass sich das Seil bei zu<br />

großer Länge kaum noch geradlinig spannen<br />

ließe.)<br />

Aufgabe 18: Das "aufgehängte" Quadrat<br />

s = u<br />

4<br />

Q<br />

A<br />

y y<br />

x<br />

s u<br />

=<br />

2 8<br />

T<br />

R<br />

s = u<br />

4<br />

Abb. 16<br />

S<br />

B


Um ein Quadrat (Umfang u = 40 000 km)<br />

wird ein Seil gespannt, das um 1 m länger ist<br />

als der Quadratumfang selbst. Das Seil wird<br />

dabei so gespannt, dass es über der Mitte<br />

einer Quadratseite max<strong>im</strong>al weggezogen<br />

wird. (vgl. Abb. 16)<br />

Welchen Abstand x hat das Seil in diesem<br />

Punkt vom Quadratrand?<br />

Lösung:<br />

Mit lSeil = uQuadrat+1 = 4s+1 = 3s+2y folgt<br />

s + 1 2 s + 1<br />

y = <strong>und</strong> x = (Pythagoras).<br />

2<br />

2<br />

Mit s = 10 000 km (u = 40 000 km) erhebt<br />

sich damit das Seil in die "schwindelerregende"<br />

Höhe von x ≈ 2 236 m.<br />

Aufgabe 19: Das "aufgehängte", aber gekippte<br />

Quadrat<br />

Um ein Quadrat (Umfang u = 40 000 km)<br />

wird ein Seil gespannt, das um 1 m länger ist<br />

als der Quadratumfang selbst. Das Seil wird<br />

dabei so gespannt, dass es entlang einer Diagonalenrichtung<br />

(des Quadrates) max<strong>im</strong>al<br />

weggezogen wird.<br />

Wie weit lässt sich das Seil hochziehen?<br />

M.a.W.: Welchen Abstand x hat das Seil in<br />

diesem Punkt vom nächstgelegenen Eckpunkt<br />

des Quadrates? (vgl. Abb. 17)<br />

A<br />

α<br />

y<br />

E<br />

β<br />

M<br />

β<br />

s s<br />

B<br />

x<br />

D<br />

Abb. 17<br />

Lösung:<br />

Im Unterschied zu Aufgabe 18 "hängt" in diesem<br />

Fall das Quadrat in einer stabilen Lage:<br />

y<br />

α<br />

C<br />

Dynamische Visualisierung einer Aufgabe (in Variationen)<br />

2 1<br />

x = – s+ 2 4 1<br />

2 2<br />

2<br />

s + s + ≈ 71 cm. Wieder<br />

eine Überraschung! Nachdem wir jetzt, d.h.<br />

nach den vorangehenden Varianten, eher<br />

wieder mit einer langen Strecke "gerechnet"<br />

hätten, ist sie in Wirklichkeit sehr kurz.<br />

Aufgabe 20: Das "aufgehängte" Gleichdick<br />

<strong>—</strong> Spitze nach unten<br />

Um ein Reuleauxsches Dreieck (mit Kreisbögen<br />

vom Radius r) wird ein Seil gespannt,<br />

das um 1 m länger ist als der Umfang des<br />

Reuleauxschen Dreiecks selbst. Das Seil<br />

wird dabei so nach oben gezogen, dass das<br />

Reuleauxsche Dreieck mit einer Ecke nach<br />

unten <strong>im</strong> Seil "aufgehängt" wird. (vgl. Abb.<br />

18, 19)<br />

b<br />

y<br />

D<br />

x<br />

N c<br />

A B<br />

b<br />

C<br />

Abb. 18<br />

y<br />

D<br />

x y<br />

TA c<br />

Nc TB c<br />

A B<br />

C<br />

Abb. 19<br />

y<br />

r<br />

b<br />

b<br />

135


Ingmar Lehmann<br />

Wie weit lässt sich das Seil hochziehen?<br />

Lösung:<br />

Wenn das Reuleauxsche Dreieck einen Umfang<br />

von 40 000 km hat, ist x ≈ 153 m (Fall 2<br />

in Abb. 19). Fall 1 in Abb. 18 kann dann nicht<br />

eintreten.<br />

Aufgabe 21: Das "aufgehängte" Gleichdick<br />

<strong>—</strong> Spitze nach oben<br />

Diesmal wird das Seil so nach oben gezogen,<br />

dass das Reuleauxsche Dreieck mit einem<br />

Kreisbogen nach unten <strong>im</strong> Seil "aufgehängt"<br />

wird. (vgl. Abb. 20)<br />

Wie weit lässt sich das Seil hochziehen?<br />

136<br />

z<br />

T b<br />

D<br />

y C y<br />

A B<br />

b<br />

x<br />

Abb. 20<br />

Lösung:<br />

Wenn das Reuleauxsche Dreieck einen Umfang<br />

von 40 000 km hat, ist x ≈ 89 cm.<br />

Aufgabe 22: Das "aufgehängte" Kreisbogenquadrat<br />

Um ein Kreisbogenquadrat (Quadrat der Seitenlänge<br />

s) wird ein Seil gespannt, das um<br />

1 m länger ist als der Umfang des Kreisbogenvierecks<br />

selbst. Das Seil wird dabei über<br />

dem Mittelpunkt eines Kreisbogens nach<br />

oben gezogen, sodass das Kreisbogenquadrat<br />

<strong>im</strong> Seil "aufgehängt" wird. (vgl. Abb. 21,<br />

22)<br />

Wie weit lässt sich das Seil hochziehen?<br />

Lösung:<br />

Wenn das Kreisbogenquadrat einen Umfang<br />

von 40 000 km hat, ist x ≈ 145 m (Fall 2 in<br />

Abb. 22). Fall 1 in Abb. 21 kann dann nicht<br />

eintreten.<br />

b'<br />

T a<br />

z<br />

x<br />

D C<br />

E<br />

A B<br />

F<br />

Abb. 21<br />

D<br />

TD E<br />

x<br />

F<br />

TC C<br />

A M B<br />

s<br />

Abb. 22<br />

Aufgabe 23: Das "aufgehängte", aber gekippte<br />

Kreisbogenquadrat<br />

Diesmal wird das Seil so nach oben gezogen,<br />

dass das Kreisbogenquadrat mit einer<br />

Ecke nach unten <strong>im</strong> Seil "aufgehängt" wird.<br />

(vgl. Abb. 23, 24)<br />

Wie weit lässt sich das Seil hochziehen?<br />

Lösung:<br />

Der Fall 1 (EA, EC sind keine Tangenten) bereitet<br />

keine Probleme (Abb. 23). Wenn das<br />

Kreisbogenquadrat jedoch einen Umfang von<br />

40 000 km haben soll, kommt nur Fall 2<br />

(Abb. 24) in Frage. Dieses Problem ist offen!


A<br />

A<br />

d<br />

T A<br />

c<br />

c<br />

y<br />

F<br />

y<br />

s<br />

D<br />

E<br />

B<br />

x<br />

Abb. 23<br />

s<br />

s s<br />

r<br />

D<br />

E<br />

B<br />

x<br />

Abb. 24<br />

3 Dynamische Geometriesoftware<br />

<strong>und</strong> die<br />

Äquator-Seil-Aufgabe<br />

Wir setzen <strong>im</strong> Folgenden den Zugmodus ein,<br />

über den jede dynamische Geometriesoftware<br />

(DGS) verfügt. Der Zugmodus gestattet<br />

r<br />

y<br />

y<br />

G<br />

c<br />

c<br />

T B<br />

d<br />

C<br />

C<br />

Dynamische Visualisierung einer Aufgabe (in Variationen)<br />

es, an einem (unabhängigen) Punkt in einer<br />

Konstruktion beliebig ziehen zu können, ohne<br />

dadurch die geometrischen Beziehungen<br />

zwischen den konstruierten Objekten zu verändern.<br />

So bleibt also die Mittelsenkrechte einer<br />

Strecke AB stets ihre Mittelsenkrechte, auch<br />

wenn diese Strecke durch Ziehen an einem<br />

der beiden Endpunkte vergrößert, verkleinert<br />

bzw. verlagert wird. Die Schüler können unmittelbar<br />

beobachten, verfolgen, was mit der<br />

konstruierten Figur passiert, wenn sie an diesem<br />

oder jenem Punkt ziehen. Was ändert<br />

sich, was bleibt erhalten?<br />

Es ist gerade der Zugmodus, der die Schüler<br />

reizt, etwas selbst auszuprobieren.<br />

Wie lässt sich nun diese Dynamik solcher<br />

Geometriesoftware für unsere Zwecke nutzen?<br />

3.1 Ein Seil um einen Kreis<br />

Wie lässt sich die Situation, die Abb. 2 wiedergibt,<br />

dynamisch visualisieren?<br />

Vorab aber eine Anmerkung:<br />

Die Größenverhältnisse 40 000 km auf der<br />

einen Seite <strong>und</strong> 1 m auf der anderen Seite<br />

lassen sich natürlich am Bildschirm nicht<br />

nachvollziehen.<br />

Für eine aussagekräftige Zeichnung verlängern<br />

wir deshalb den Umfang u besser um<br />

eine Länge v, die <strong>im</strong> Größenbereich von r<br />

liegt.<br />

Jetzt können wir zeigen, wie die Konstanz<br />

des Abstandes zwischen den beiden Kreisen<br />

erlebbar wird. (vgl. Abb. 25 <strong>—</strong> "in Aktion")<br />

Durch Ziehen am ("oberen") Punkt A vergrößern<br />

oder verkleinern wir den Radius r.<br />

Die Änderungen werden unmittelbar angezeigt<br />

(per Messbefehl). Der Abstand a bleibt<br />

konstant.<br />

Dass es sich hierbei aber nicht um eine fest<br />

eingegebene Länge handelt, wird deutlich,<br />

wenn nun auch die Verlängerung v verändert<br />

wird (Ziehen am Punkt Q).<br />

Der entscheidende Punkt ist die Konstruktion<br />

des (Seil-) Kreises mit dem Umfang u+v. Mit<br />

Hilfe des in die DGS integrierten Rechners<br />

u + v<br />

ermitteln wir den zugehörigen Radius<br />

2π<br />

(= r+a) <strong>und</strong> nutzen den Befehl "Kreis aus Mittelpunkt<br />

<strong>und</strong> Radius".<br />

Die Schüler können hier die Konstruktion beliebig<br />

verändern; das "paradoxe" Resultat<br />

wird <strong>im</strong>mer wieder aufs Neue bestätigt.<br />

137


Ingmar Lehmann<br />

138<br />

r<br />

M A<br />

P v<br />

Q<br />

Ausgangskreis: Radius:<br />

Fadenkreis: Umfang:<br />

u + v<br />

u<br />

Umfang:<br />

Verlängerung:<br />

Radius:<br />

Abstand:<br />

r = 5,00 cm<br />

u = 31,42 cm<br />

v = 9,00 cm<br />

u+v = 40,42 cm<br />

u+v<br />

= 6,43 cm<br />

2⋅π<br />

a = 1,43 cm<br />

M<br />

Abb. 25<br />

a<br />

C<br />

D<br />

r<br />

r + a<br />

Für den Fall r = 0 versagt das Programm, da<br />

der äußere Kreis in Abhängigkeit vom inneren<br />

Kreis konstruiert worden ist.<br />

s<br />

v<br />

Ausgangsquadrat: Seite:<br />

Fadenquadrat: Umfang:<br />

s<br />

Umfang:<br />

Verlängerung:<br />

Seite:<br />

Abstand:<br />

s<br />

s = 10,00 cm<br />

u = 40,00 cm<br />

v = 5,00 cm<br />

a = 1,25 cm<br />

a s<br />

a<br />

Abb. 26<br />

A<br />

u+v = 45,01 cm<br />

( u+v)<br />

= 11,25 cm<br />

4<br />

B<br />

a<br />

s<br />

a<br />

3.2 Ein Seil um ein Quadrat<br />

Analog zeigen wir die Konstanz des Abstandes<br />

zwischen den beiden Quadraten. (vgl.<br />

Abb. 5, 26)<br />

u + v<br />

Hier muss zunächst die Seite (= s+2a)<br />

4<br />

des Fadenquadrates konstruiert werden.<br />

Wenn wir dann die gegebene Seitenlänge s<br />

des Ausgangsquadrates verändern, bleibt<br />

der Abstand a zwischen beiden Quadraten<br />

unverändert; anschließend variieren wir die<br />

Verlängerung v (des Umfangs u).<br />

3.3 Das hochgezogene Seil<br />

Um diese Aufgabe "dynamisieren" zu können<br />

(vgl. Abb. 14), stützen wir uns auf die Näherungsberechnung<br />

des Winkels α.<br />

Mit α ≈ 3<br />

3<br />

können wir (allerdings nur für<br />

2r<br />

kleine α – hier ist der "Haken") dann die Hö-<br />

1<br />

he x [= r · ( – 1)] berechnen. Damit<br />

cosα<br />

sind wir in der Lage, die Punkte T <strong>und</strong> S<br />

(Thales) zu konstruieren. (vgl. Abb. 27)<br />

Eine andere Möglichkeit der Konstruktion<br />

bietet sich über die Sehne RS. Das Dilemma,<br />

für den am Bildschirm benötigten Winkel α<br />

(zwischen 20° <strong>und</strong> 70°) keine einfache Näherungslösung<br />

zu besitzen, lässt sich aber<br />

auch damit nicht beheben.<br />

Immerhin lassen sich aber best<strong>im</strong>mte Zusammenhänge<br />

zwischen den gegebenen<br />

Größen r <strong>und</strong> v sowie den abhängigen Größen<br />

α, b, y <strong>und</strong> schließlich x demonstrieren.<br />

Insbesondere lässt sich auch die "Grenzlage"<br />

mit α ≈ 90° s<strong>im</strong>ulieren:<br />

Ausgangskreis: Radius r = 5,90 cm<br />

Umfang u = 37,07 cm<br />

Verlängerung v = 15,24 cm<br />

Faden: Länge: u+v = 52,31 cm<br />

Winkel: α = 89,99°<br />

Abstand: x = 32 459,15 cm ≈ 325 m (!)<br />

Vielleicht "glauben" wir jetzt auch an die fast<br />

122 m <strong>im</strong> Falle des Äquatorseils?!


Faden: Länge: u+v = 41,42 cm<br />

v<br />

Winkel: α ≈ ( 43,62°<br />

u = 39,57 cm<br />

v = 1,85 cm<br />

2,40 cm<br />

3v<br />

2r )<br />

1<br />

3 =<br />

(für kleine α ; hier schon verletzt!)<br />

Tang.Absch.: y = b + v<br />

M A<br />

P Q<br />

Ausgangskreis: Radius: r = 6,30 cm<br />

Umfang:<br />

2<br />

Verlängerung:<br />

1<br />

Abstand: x = r ⋅ ( - 1) =<br />

cos α<br />

Nachtrag<br />

Das in Aufgabe 23 (das "aufgehängte", aber<br />

gekippte Kreisbogenquadrat) gestellte Problem<br />

(Fall 2) konnte inzwischen von Herrn<br />

Dr. Thomas Gawlick mit Methoden der analytischen<br />

Geometrie gelöst werden: Der Punkt<br />

G in Abb. 24 wird in den Koordinatenursprung<br />

gelegt. (s. Abb. 28)<br />

Dabei wird insbesondere deutlich, wie die<br />

heuristische Lösungsfunktion eines DGS dazu<br />

verwendet werden kann, einen plausiblen<br />

algebraischen Schluss streng abzusichern.<br />

A<br />

Q<br />

T A<br />

-5<br />

F<br />

s<br />

B<br />

T<br />

R<br />

M<br />

x<br />

α<br />

r<br />

s/2<br />

b<br />

y<br />

r<br />

Abb. 28<br />

r<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

-2<br />

D<br />

G<br />

S<br />

Abb. 27<br />

x<br />

r<br />

E<br />

b<br />

s<br />

A<br />

y<br />

TB d<br />

C<br />

Dynamische Visualisierung einer Aufgabe (in Variationen)<br />

Literatur<br />

Gawlick, Thomas (2001): Die aufgehängte<br />

Erdkugel als Aufhänger. In: Praxis<br />

der <strong>Mathematik</strong> 43, 241–243<br />

Kirsch, Arnold (2002): Die aufgehängte<br />

Erdkugel <strong>—</strong> mehr Durchblick mit Näherungsrechnung?<br />

In: Praxis der <strong>Mathematik</strong><br />

44, 82–83<br />

Schwier, Manfred (1997): Paradoxien<br />

<strong>und</strong> ihre didaktische Funktion. In: <strong>Mathematik</strong><br />

in der Schule 35, Heft 1, 30–<br />

40<br />

Walsch, Werner (2000): Die aufgehängte<br />

Erdkugel <strong>und</strong> andere praxisferne Anwendungsaufgaben.<br />

In: Mathematische<br />

Unterrichtspraxis 21, Heft 1,<br />

31–35<br />

Winter, Heinrich (1991): Entdeckendes<br />

<strong>Lernen</strong>. Wiesbaden & Braunschweig:<br />

Vieweg<br />

139


� Von Pr<strong>im</strong>zahlen zur Verschlüsselung mit RSA <strong>—</strong><br />

Eine Unterrichtseinheit <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> für eine 11. Klasse<br />

1 Vorbemerkung<br />

Die meisten beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg<br />

verwenden seit einigen<br />

Jahren Computeralgebrasysteme <strong>im</strong> Unterricht<br />

<strong>und</strong> <strong>im</strong> Abitur, an meiner Schule wird<br />

nach dem TI-89, 92 <strong>und</strong> 92+ nun der TI-<br />

140<br />

Carsten Münchenbach, Emmendingen<br />

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Lehr- <strong>und</strong> Lernportale <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> erstellt, in denen<br />

Wissen <strong>und</strong> Informationen aufbereitet werden. Ich habe <strong>im</strong> Rahmen meiner zweiten<br />

Staatsexamensarbeit 1999 versucht, eine komplette Unterrichtseinheit zum Thema Kryptographie<br />

für die interaktive Verwendung <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> umzusetzen. Das Ergebnis ist seit<br />

damals online <strong>und</strong> wird von Lehrern, Schülern, Studenten <strong>und</strong> mathematisch interessierten<br />

Menschen genutzt.<br />

Voyage 200 eingesetzt. Unterricht in Computertechnik<br />

spielt ebenfalls eine größere Rolle<br />

als am allgemeinbildenden Gymnasium in<br />

BW. Meine Schule ist deshalb recht gut mit<br />

Computerräumen ausgestattet. Das hier vorgestellte<br />

Projekt ist erst durch diese Umstände<br />

möglich geworden.<br />

Abb. 1: Der Zeitplan der Unterrichtseinheit mit Themenübersicht


2 Die Staatsexamensarbeit<br />

Die über 2000 Jahre alte Kunst der Kryptographie<br />

(Gehe<strong>im</strong>schrift) <strong>und</strong> Kryptoanalyse<br />

(Analyse von Gehe<strong>im</strong>schriften) faszinierte die<br />

Menschen schon <strong>im</strong>mer, die Bedeutung der<br />

Gehe<strong>im</strong>haltung ist aber heute so groß wie<br />

nie in der Menschheitsgeschichte zuvor. Waren<br />

früher nur Feldherren <strong>und</strong> Kaiser auf sichere<br />

Kommunikation angewiesen, wird "Otto<br />

Normalverbraucher" heute von PIN, TAN,<br />

Passwörtern be<strong>im</strong> E-Mailen oder allgemein<br />

am Computer, abhörsicheren verschlüsselten<br />

Handy-Telefonaten, Pay-TV-Karten, usw. auf<br />

Schritt <strong>und</strong> Tritt von Verschlüsselungsverfahren<br />

verfolgt, oft ohne dass er es merkt.<br />

Das Ziel meiner Staatsexamensarbeit war,<br />

den Schülern mit einem public-key-Verfahren,<br />

dem RSA-Verfahren, eine Anwendung<br />

der reinen <strong>Mathematik</strong> zu vermitteln. Das<br />

RSA-Verfahren ist ein Verschlüsselungsverfahren,<br />

das bei sorgsamer Wahl der Schlüsselgröße<br />

auch heute mit genügend leis-<br />

Von Pr<strong>im</strong>zahlen zur Verschlüsselung mit RSA <strong>—</strong> Eine Unterrichtseinheit <strong>im</strong> <strong>WWW</strong><br />

tungsstarken Rechnern nicht geknackt werden<br />

kann. Das Verfahren beruht auf wenigen<br />

Sätzen der Zahlentheorie (Satz von Euler,<br />

Kleiner Satz von Fermat), die relativ einfach<br />

zu verstehen sind, der Tatsache, dass die<br />

Faktorisierung von Zahlen mit zunehmender<br />

Größe <strong>im</strong>mer schwieriger wird, <strong>und</strong> auf dem<br />

Rechnen mit Restklassen.<br />

Eingebettet wurde das Ganze in Historisches<br />

zur Zahlentheorie, Betrachtungen zu Pr<strong>im</strong>zahlen,<br />

Kongruenzrechnung <strong>und</strong> Faktorisierung<br />

(s.a. Abb. 1). So entstand eine Unterrichtseinheit<br />

über sechs Doppelst<strong>und</strong>en.<br />

Die gesamte Unterrichtseinheit wurde als<br />

Lernprogramm in Form einer Webseite zusammengefasst,<br />

die den Schülern <strong>im</strong> Unterricht<br />

zum Arbeiten, Wiederholen, Stöbern<br />

<strong>und</strong> Suchen von Hintergr<strong>und</strong>informationen<br />

zur Verfügung stand.<br />

Die Arbeitsaufträge zum selbständigen Arbeiten<br />

mit dem CAS wurden den Schülern in<br />

Form von MuPAD-Worksheets übergeben, in<br />

einer überarbeiteten Version habe ich diese<br />

Abb. 2: Das Sieb des Eratosthenes, interaktiv mit Hilfe von JavaScript<br />

141


Carsten Münchenbach<br />

auch als .9xp-Dateien für den TI-Voyage<br />

oder 92+ gespeichert.<br />

3 Das Lernprogramm<br />

Es handelt sich bei dem Lernprogramm nicht<br />

um ein eigenständig lauffähiges Programm,<br />

sondern um ein Lernprogramm auf HTML-<br />

JavaScript-Basis, also eine Webseite. Es ist<br />

also lediglich ein Webbrowser nötig, um mit<br />

dem Lernprogramm zu arbeiten, wodurch der<br />

Einsatz auch auf älteren Computern <strong>und</strong> unter<br />

fast jedem Betriebsystem möglich ist. Das<br />

Design wurde für damals übliche Hard- <strong>und</strong><br />

Softwarekonfigurationen opt<strong>im</strong>iert. Für die<br />

opt<strong>im</strong>ale Darstellung wird eine Bildschirmauflösung<br />

von 800*600 (besser 1074*768) Pixeln<br />

benötigt, was die meisten Computer, die<br />

heute in Schulen oder bei den Schülern zu<br />

Hause zu finden sind, darzustellen in der Lage<br />

sind. Zur korrekten Wiedergabe ist lediglich<br />

ein Browser von Netscape/Mozilla oder<br />

Microsoft ab Version 4 nötig. Das Lernprogramm,<br />

das die komplette Unterrichtseinheit<br />

umfasst, ist über das <strong>Internet</strong> verfügbar. Zusätzlich<br />

wurde das Lernprogramm Schülern<br />

ohne eigenen <strong>Internet</strong>zugang zu Beginn der<br />

Unterrichtseinheit auf Diskette zur Verfügung<br />

gestellt.<br />

Der Anzeigebereich des Webbrowsers wurde<br />

in vier verschiedene, frei definierbare Segmente<br />

aufgeteilt, sogenannte "frames” oder<br />

Rahmen (s. Abb. 2). Rahmen bieten die<br />

Möglichkeit, einen (linearen) Text aufzubrechen<br />

<strong>und</strong> in nicht-linearer Weise aufzubereiten.<br />

Hierdurch ist eine bessere Gliederung<br />

<strong>und</strong> größere Übersichtlichkeit möglich. Der<br />

größte Rahmen (Rahmen 1, etwas heller, in<br />

der Mitte) ist der zentrale Anzeigebereich des<br />

Lernprogramms. Hier werden alle Inhalte<br />

dargestellt. Die Rahmen 2 (links) <strong>und</strong> 3<br />

(oben) sind statisch <strong>und</strong> verändern sich nicht.<br />

Im Rahmen 2 befindet sich die Hauptnavigation<br />

des Lernprogramms mit Verweisen zu<br />

dem "Zeitplan", einer Einführung in "MuPAD",<br />

der "Literaturliste", der "Linkliste", den "Lösungen"<br />

zu den Aufgaben, einer "Bildergalerie"<br />

<strong>und</strong> einer "Kommentarseite". Die Inhalte<br />

zu den Menüpunkten werden dann <strong>im</strong> Rahmen<br />

1 dargestellt. Im Rahmen 3 befindet sich<br />

eine Nebennavigationsleiste. Die Reiter<br />

("D(oppel)st<strong>und</strong>e 1", ..., "DSt<strong>und</strong>e 6") in diesem<br />

Rahmen verweisen auf die entsprechenden<br />

Abschnitte des Lernprogramms. Aus<br />

Gründen der Übersichtlichkeit wird <strong>im</strong> Rahmen<br />

1 nur soviel Text dargestellt, wie bei<br />

normaler Bildschirmauflösung gerade wiedergegeben<br />

werden kann. Der Benutzer kann<br />

142<br />

mit einer weiteren Navigationsleiste, die sich<br />

unter dem Text <strong>im</strong> Rahmen 1 befindet, zur<br />

nächsten oder vorherigen Seite springen.<br />

Der Text <strong>und</strong> das Layout <strong>im</strong> gesamten Lernprogramm<br />

wurde einheitlich gestaltet. Als<br />

Schrift wurde Arial, eine serifenlose Standardschriftart,<br />

gewählt. Das Seitenlayout <strong>und</strong><br />

die Farbgestaltung <strong>im</strong> Lernprogramm bleiben<br />

durchgängig gleich. Hyperlinks <strong>im</strong> Text sind<br />

an dunkelblauem fettgesetzten Text von normalem<br />

Text zu unterscheiden.<br />

4 <strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>und</strong> mit dem<br />

<strong>WWW</strong><br />

Über das <strong>Lernen</strong> mit Medien (Mittlern) wurde<br />

in den letzten Jahren auf den AK-Tagungen<br />

wie auch 2003 vielfach referiert, die Vor- <strong>und</strong><br />

Nachteile diskutiert <strong>und</strong> erörtert. Diese Beiträge<br />

sollen an dieser Stelle nicht aufgegriffen,<br />

sondern mit den Erfahrungen <strong>und</strong> Meinungen<br />

<strong>im</strong> Bezug auf dieses Projekt ergänzt<br />

werden.<br />

Was kann das <strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> bzw. mit<br />

diesem Lernprogramm leisten, was von herkömmlichen<br />

Medien nicht oder nur schwer<br />

erreicht werden kann?<br />

Im Folgenden habe ich zunächst einige Thesen<br />

mit Kommentaren <strong>und</strong> zugehörigen Zitaten<br />

von Schülern zusammengefasst <strong>und</strong><br />

dann einige Kritikpunkte zum <strong>Lernen</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>WWW</strong> aufgeführt.<br />

Thesen zum <strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>WWW</strong>:<br />

<strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> ...<br />

... macht mehr Spaß<br />

• Arbeiten am Rechner macht den meisten<br />

Schülern Spaß.<br />

• Das Medium "<strong>Internet</strong>/Computer" fasziniert.<br />

• "Meistens macht <strong>Lernen</strong> keinen Spaß.<br />

<strong>Lernen</strong> bedeutet Arbeit <strong>und</strong> Disziplin." (Stoll,<br />

2002)<br />

... macht den Unterricht spannender <strong>und</strong><br />

anschaulicher<br />

• "Anschauung wird durch Interaktivität gesteigert."<br />

• "Ohne Computer zu trocken."<br />

• Alles andere als der übliche Unterricht ist<br />

für Schüler spannender.


... hilft, mehr Informationen zu vermitteln<br />

• "Ohne den Einsatz am Computer wäre<br />

diese Fülle an Informationen nicht vermittelbar<br />

gewesen."<br />

• Wirklich mehr?<br />

... hilft, Informationen übersichtlicher zu<br />

gestalten<br />

• Durch das Aufbrechen von Text in Hypertext<br />

kann Text besser strukturiert werden,<br />

aber auch der gegenteilige Effekt ist möglich.<br />

... erleichtert das Wiederholen<br />

... ermöglicht weltweite Verfügbarkeit bzw.<br />

Verfügbarkeit von zuhause<br />

• "Ich würde gerne das, was wir in der<br />

Schule gelernt haben, zuhause wiederholen."<br />

• Selbstbest<strong>im</strong>mtes <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> Wiederholen<br />

von zuhause ist möglich.<br />

... erleichtert das Behalten von Lerninhalten<br />

• Intrinsische Motivation zu lernen n<strong>im</strong>mt<br />

zu.<br />

• Oberflächliches Stöbern (browsen) n<strong>im</strong>mt<br />

ebenfalls zu.<br />

... ermöglicht eigenes Lerntempo<br />

• Ganz sicher.<br />

... ermöglicht Vernetzen von Informationen<br />

mit Hilfe von Hypertext<br />

• Vernetzung erleichtert Darstellung komplexer<br />

Zusammenhänge.<br />

• Vernetzung führt u.U. aber auch zu Desorientierung<br />

<strong>im</strong> Dokument (Lost-in-Hyperspace-Syndrom).<br />

... ermöglicht effektive Recherche in globalen<br />

Datenbeständen<br />

• Externe Quellen <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> können miteinbezogen<br />

werden <strong>und</strong> ermöglichen interessierten<br />

Schülern den Zugang zu zusätzlichem<br />

Hintergr<strong>und</strong>wissen.<br />

• Aber: Im <strong>WWW</strong> gibt es viele zweifelhafte<br />

oder falsche Informationen <strong>und</strong> Halbwahrheiten.<br />

... ermöglich interaktive Anwendungen<br />

<strong>und</strong> Mult<strong>im</strong>edia<br />

• Java-Applets, JavaScript-Programme ermöglichen<br />

Interaktivität statt nur passives<br />

<strong>Lernen</strong> (s. Abb. 2).<br />

Von Pr<strong>im</strong>zahlen zur Verschlüsselung mit RSA <strong>—</strong> Eine Unterrichtseinheit <strong>im</strong> <strong>WWW</strong><br />

Kritik am <strong>Lernen</strong> mit Computern in<br />

der Schule:<br />

<strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> ...<br />

... erfordert Computer<br />

• Für die Durchführung ist Hard- <strong>und</strong> Software<br />

wie Computer, Beamer, CAS in ausreichender<br />

Menge nötig.<br />

... erfordert geeignete Räume<br />

• Ein Raum ist notwendig, der sowohl als<br />

Computerraum, als auch als Klassenz<strong>im</strong>mer<br />

zum Schreiben <strong>und</strong> Lesen genutzt werden<br />

kann.<br />

... erfordert eine geeignete Lernumgebung<br />

• Infrastrukturelle Voraussetzungen <strong>im</strong><br />

Netzwerk, <strong>—</strong> d.h. ein zu restriktives geführtes<br />

Netzwerk behindert die Vorbereitung <strong>und</strong><br />

Durchführung, z.B durch strenge Rechtevergabe.<br />

... erfordert Disziplin<br />

• Disziplinprobleme: Surfen <strong>im</strong> Unterricht.<br />

• Unsere Gesellschaft ist oft hektisch <strong>und</strong><br />

oberflächlich, die Informationsdichte, der<br />

man ausgesetzt ist, ist sehr hoch. Die Programme<br />

zu Darstellung von Webseiten, die<br />

Browser haben ihren Namen von "to<br />

browse", was so viel heißt wie blättern oder<br />

schmökern. Tatsächlich beobachtet man,<br />

dass Webseiten, oder ganz allgemein Textseiten<br />

am Computer, oft nur überflogen <strong>und</strong><br />

nicht konzentriert durchgearbeitet werden.<br />

Dies gilt natürlich auch für Lernprogramme<br />

<strong>und</strong> senkt die Effektivität des Lernprogramms<br />

drastisch.<br />

... ermüdet<br />

• Die meisten Menschen empfinden es sehr<br />

schwierig <strong>und</strong> ermüdend, am Bildschirm konzentriert<br />

einen längeren Text zu lesen. Ein<br />

Schüler hat sich aus diesem Gr<strong>und</strong> eines der<br />

MuPAD-Notebooks ausgedruckt.<br />

... erfordert Lernprogramme<br />

• Lernprogramme kosten Geld in der Anschaffung.<br />

• Das Herstellen von eigenen Lernprogrammen<br />

ist sehr zeitintensiv (siehe nächster<br />

Absatz).<br />

143


Carsten Münchenbach<br />

5 Kosten-Nutzen-Verhältnis<br />

"Da haben Sie sich aber 'sau-viel' Arbeit gemacht!"<br />

war der Kommentar eines Schülers.<br />

In der Tat war das Programmieren <strong>und</strong> Zusammensuchen<br />

von Materialien sehr viel Arbeit.<br />

Ballin et al. bewerten den Aufwand so:<br />

"Die Entwicklung mult<strong>im</strong>edialer Lernsysteme<br />

stellt komplexe Anforderungen an die inhaltliche,<br />

methodische, didaktische, organisatorische,<br />

künstlerische, innovative <strong>und</strong> kreative<br />

Gestaltungsfähigkeit <strong>und</strong> setzt Managementfähigkeiten<br />

<strong>im</strong> selben Maß wie neue Lerntechnologien<br />

<strong>und</strong> entsprechende Lernarrangements<br />

voraus. Der einzelne ist dabei in der<br />

Regel überfordert ... Die Zusammenarbeit<br />

zwischen Autor, Drehbuchschreiber, Mult<strong>im</strong>edia-Entwickler,<br />

Medienpädagoge <strong>und</strong> Projektmanager<br />

zur Koordination der Arbeiten<br />

eines Projekts sind unverzichtbar. Entwicklungskosten<br />

von 1000 DM/min [Kommentar:<br />

wohl eher 1000 DM/(Mann*Tag)] <strong>und</strong> mehr<br />

sind keine Seltenheit ... <strong>und</strong> lohnen sich nur,<br />

wenn die entwickelte Lernsoftware von möglichst<br />

vielen Adressaten nachgefragt wird."<br />

(Ballin et al. 1996) Der Entwicklungsaufwand<br />

für Lernsoftware wird zwischen 1:20 über<br />

1:70 bis zu 1:200 geschätzt, für "normale"<br />

St<strong>und</strong>en nur bei 1:4 bis 1:10. Für Unternehmen<br />

lohnt sich der Aufwand dennoch ab circa<br />

100 Teilnehmern (Riehm & Wingert 1996).<br />

Ich habe während der Entwicklung des Lernprogramms<br />

etwa 150 St<strong>und</strong>en programmiert,<br />

die Materialsuche <strong>und</strong> sonstige Vorbereitung<br />

dauerte ca. 50 St<strong>und</strong>en. Für sechs mal 90<br />

Minuten Unterricht ergab sich also ein Faktor<br />

von 1:22. Hinzu kommen noch die Kosten<br />

bzw. der Zeitaufwand für die dauerhafte<br />

Pflege der Webseiten.<br />

Dieser Aufwand ist für eine reguläre Unterrichtsvorbereitung<br />

unüblich. Ich denke dennoch,<br />

dass er sich gelohnt hat. Allein die positive<br />

Resonanz von den Schülern <strong>und</strong> die<br />

Reaktionen, die ich <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> auf das Lernprogramm<br />

bekommen habe, zeigen, dass<br />

der Weg, Lernprogramme einzusetzen, richtig<br />

ist. Bei entsprechender Modifikation des<br />

Lernprogramms <strong>und</strong> Überarbeitung des Projekts<br />

unter Berücksichtigung der erkannten<br />

Schwachpunkte lässt sich das Projekt ohne<br />

144<br />

übermäßig große Vorbereitung leicht erneut<br />

durchführen.<br />

6 Fazit<br />

Clifford Stoll meint sinngemäß, dass <strong>Lernen</strong><br />

keine Spaß machen kann, weil <strong>Lernen</strong> Arbeit<br />

<strong>und</strong> Disziplin bedeutet (Stoll 2002). Was haben<br />

die Schüler dann bei mir gelernt? Kann<br />

man mit so einem Lernprogramm etwas lernen?<br />

Ein Ziel war, dass <strong>Mathematik</strong> den Schülern<br />

Spaß machen soll. Die Rückmeldung zeigt,<br />

dass dieses Ziel größtenteils erreicht wurde.<br />

<strong>Lernen</strong> bedeutet aber <strong>im</strong>mer auch Arbeit, das<br />

ist unbestritten. Mit Interesse <strong>und</strong> Spaß am<br />

Thema steigt jedoch auch die Freude am<br />

<strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> Arbeiten. Davon kann jeder Lehrer<br />

berichten, der mit den Schülern einen<br />

Blick über den Tellerrand der Schulmathematik<br />

wirft oder aktivere Lern- <strong>und</strong> Arbeitsformen<br />

für seinen Unterricht wählt. Lernprogramme<br />

können nicht gebraucht <strong>und</strong> dürfen<br />

nicht dazu missbraucht werden, einen Lehrer<br />

zu ersetzen <strong>und</strong> als einziges Medium Unterricht<br />

zu gestalten. Sie sind ein weiteres Medium,<br />

das Lehrern helfen kann, einen guten<br />

<strong>und</strong> für die Schüler interessanten sowie lehrreichen<br />

Unterricht zu gestalten. Und dabei<br />

können die Schüler sicherlich etwas lernen,<br />

so wie auch mit anderen Medien, vielleicht<br />

auch ein wenig besser.<br />

Literatur<br />

Stoll, Clifford (2002): LogOut <strong>—</strong> Warum Computer<br />

nichts <strong>im</strong> Klassenz<strong>im</strong>mer zu suchen haben.<br />

Frankfurt: Fischer<br />

Ballin, D., M. Brater & D. Blume (Hrsg.) (1996):<br />

Handlungsorientiert <strong>Lernen</strong> mit Mult<strong>im</strong>edia.<br />

Nürnberg: BW Bildung <strong>und</strong> Wissen<br />

Riehm, U. & B. Wingert (1996): Mult<strong>im</strong>edia: Mythen,<br />

Chancen <strong>und</strong> Herausforderungen. Mannhe<strong>im</strong>:<br />

Bollmann<br />

Das Lernprogramm ist <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> unter<br />

http://www.hydrargyrum.de/kryptographie erreichbar.


� Vom 19. ins 21. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>—</strong> Ändert das <strong>Internet</strong><br />

die Chancen für den Zugang zur <strong>Mathematik</strong>?<br />

Vorbemerkung<br />

Aus technischen Gründen musste die Schriftfassung<br />

des Beitrags <strong>im</strong> Mai 2005 neu erstellt<br />

werden.<br />

Hinführung<br />

In der "guten alten Zeit" gab es weder Computer<br />

noch Massenmedien, nicht einmal Bücher.<br />

Wissen wurde von Weisen <strong>im</strong> mündlichen<br />

Vortrag weitergegeben <strong>und</strong> von Schülern<br />

aufgenommen. Seither hat sich die Welt<br />

verändert. Information kann in vielfältiger<br />

Weise gespeichert <strong>und</strong> interaktiv wieder abgerufen<br />

werden. Auf die Organisation von<br />

<strong>Lernen</strong> hat sich diese Veränderung bisher<br />

nur in verschwindend geringem Umfang ausgewirkt.<br />

Im Vordergr<strong>und</strong> steht <strong>im</strong>mer noch<br />

die klassische Schule, in der in altershomogenen,<br />

kleinen Gruppen vieltausendfache<br />

Parallelarbeit ohne nennenswerte gruppenübergreifende<br />

Kontrolle als "Unterricht" inszeniert<br />

wird.<br />

Im Abstract wurde die Auseinandersetzung<br />

mit drei Fragen angekündigt:<br />

1 Muss <strong>Mathematik</strong> gelehrt werden? (Gibt<br />

es da eine Frage??)<br />

2 Kann das <strong>Internet</strong> das <strong>Lernen</strong> von <strong>Mathematik</strong><br />

fördern?<br />

3 Wie kann festgestellt werden, ob <strong>Mathematik</strong><br />

gelernt worden ist?<br />

1<br />

Fritz Nestle, Ulm<br />

In den vergangenen zwei Jahrh<strong>und</strong>erten haben sich die landwirtschaftliche <strong>und</strong> die industrielle<br />

Produktion gr<strong>und</strong>sätzlich geändert. Gr<strong>und</strong>lage dafür sind lokal verfügbare<br />

Energiequellen sowie neue Organisationsformen <strong>und</strong> Besitzverhältnisse.<br />

Im Bildungswesen steht die angemessene Nutzung der Informationsverarbeitung noch<br />

aus. Durch Schaffung eines Angebots von ubiquitär zugänglichen, überprüfbaren Bildungsstandards,<br />

deren Anwendung schulischen Leistungsnachweisen gleichgestellt wird,<br />

kann der <strong>Lernen</strong>de von bisherigen Zwängen befreit werden. Zugleich ändert sich die Lehrerolle<br />

in ähnlicher Weise, wie dies mit der Handarbeit <strong>im</strong> produzierenden Gewerbe geschehen<br />

ist.<br />

Die unten folgenden Axiome zum derzeitigen<br />

<strong>Lernen</strong> von <strong>Mathematik</strong> werden bis heute<br />

überwiegend nicht in Frage gestellt <strong>—</strong> wie<br />

von Seiten der <strong>Mathematik</strong>er die Axiome der<br />

euklidischen Geometrie, bis der Außenseiter<br />

Lobatschewski den Mut hatte, ein(en) Traktat<br />

über eine nichteuklidische Geometrie zu<br />

schreiben. Sein Vorgehen: Er ersetzte ein<br />

Axiom durch ein Gegenteil. Der princeps mathematicorum<br />

Gauß war wohl in der gleichen<br />

Zeit zu ähnlichen Erkenntnissen gekommen,<br />

fürchtete sich jedoch vor dem Spott der<br />

Fachkollegen ("Ich fürchtete das Geschrei<br />

der Böoter"). Erst nachdem Lobatschewskis<br />

Arbeiten Interesse gef<strong>und</strong>en hatten, hätte er<br />

gern die Priorität für sich in Anspruch genommen.<br />

Beispiele für Axiome des <strong>Mathematik</strong>lernens:<br />

- <strong>Mathematik</strong> lernt man in der Schule.<br />

- Zum <strong>Lernen</strong> braucht man einen <strong>Mathematik</strong>lehrer.<br />

- Der Mathelehrer wird an der Hochschule<br />

für seinen Beruf ausgebildet.<br />

- Jedes Kind kann <strong>Mathematik</strong> lernen.<br />

- Der <strong>Mathematik</strong>unterricht beginnt in der<br />

Gr<strong>und</strong>schule.<br />

- Das <strong>Internet</strong> ist für den normalen Mathelehrer<br />

bedeutungslos.<br />

- Das <strong>Internet</strong> spielt für den normalen<br />

Schüler be<strong>im</strong> Mathelernen keine Rolle.<br />

- Außerhalb der Schule erworbene Qualifikationen<br />

sind bedeutungslos.<br />

- Aus den früheren Lehrplänen sind <strong>—</strong> fast<br />

nur durch Umbenennung <strong>—</strong> Bildungspläne,<br />

Lernzielkataloge <strong>und</strong> jetzt Bildungsstandards<br />

geworden.<br />

Im vorliegenden Beitrag sollen nur die ersten<br />

beiden <strong>und</strong> die letzten beiden Aussagen hinterfragt<br />

werden.<br />

Zuerst ein Beispiel zum "neuen" <strong>Lernen</strong>:<br />

145


Fritz Nestle<br />

Es gibt nicht wenige Kids, die den Umgang<br />

mit dem Computer besser beherrschen als<br />

ihre Lehrer. Wo haben diese Kids den Umgang<br />

mit dem Computer gelernt? Doch nicht<br />

in der Schule, sondern zuhause oder bei<br />

Fre<strong>und</strong>en. Weil der Computer personenunabhängig<br />

Rückmeldungen gibt, ist selbstorganisiertes<br />

<strong>Lernen</strong> möglich. Rückmeldungen<br />

aus der sozialen Gruppe erhöhen die Effektivität<br />

des <strong>Lernen</strong>s.<br />

Ein Beispiel dafür, dass über "neues" <strong>Lernen</strong><br />

schon früher nachgedacht wurde, finden wir<br />

in der Literatur des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts: Theodor<br />

Storm lässt schon 1888 <strong>im</strong> Sch<strong>im</strong>melreiter<br />

seinen Hauke Haien Geometrie aus einem<br />

Euklid lernen:<br />

146<br />

Abb. 1<br />

(Hatten Sie schon einmal einen in der Hand?)<br />

Abb. 2<br />

Euklid ist als Lehrmaterial nicht besonders<br />

gut aufbereitet. Bei Hauke Haien kam noch<br />

eine Erschwernis hinzu: Hauke Haien ist<br />

Deutscher, sein Euklid liegt in Holländisch<br />

vor. Außer dem holländischen Euklid hatte er<br />

Zugriff auf eine holländische Grammatik. Bei<br />

Storm hatte Haien erfolgreich <strong>Mathematik</strong><br />

gelernt mit zwei nur mäßig geeigneten Lehrmedien.<br />

Was heute für selbstorganisiertes<br />

<strong>Lernen</strong> angeboten wird <strong>und</strong> angeboten werden<br />

könnte, ist Größenordnungen besser geeignet<br />

<strong>und</strong> erleichtert den Einstieg.<br />

Storm zeigt, dass man auch ohne Schule<br />

<strong>Mathematik</strong> lernen kann. Das Beispiel Computer<br />

beweist, dass <strong>Lernen</strong> außerhalb der<br />

Schule <strong>—</strong> ohne Lehrer <strong>—</strong> mit Hilfe von Medien<br />

auch heute möglich ist. Wie für nichteuklidische<br />

Geometrien liegt damit für außerschulisches<br />

<strong>Lernen</strong> ohne Lehrer der Existenzbeweis<br />

vor. Die Geometrie zeigt zugleich,<br />

dass es Jahrzehnte dauert, bis ein<br />

neuer Gedanke Allgemeingut wird.<br />

Hier nochmals die Entwicklung der Lernmöglichkeiten:<br />

In der Vorzeit gibt es nur die<br />

mündliche Überlieferung durch Weise, singulär<br />

<strong>und</strong> geb<strong>und</strong>en an Ort <strong>und</strong> Person. Die Erfindung<br />

des Buchdrucks hebt die Bindung an<br />

die Person oder teure Handschriften auf; der<br />

Weg zur preiswerten Vervielfältigung von Information<br />

ist frei. Nicht zuletzt dadurch kann<br />

Adam Riese eine neue Rechenmethode <strong>—</strong><br />

ohne Abakus auf Papier <strong>—</strong> rasch verbreiten.<br />

Abb. 3


Die Abhängigkeit von den alten Rechenmeistern<br />

hat aufgehört. Jedermann (jedefrau)<br />

kann mit der neuen Methode selbst rechnen.<br />

Bald freilich erhält die Schule das Monopol,<br />

Zertifikate über die individuellen Rechenfähigkeiten<br />

auszustellen. Nicht viel mehr dauert<br />

es, bis der Missbrauch dieses Monopols zum<br />

Regelfall wird <strong>und</strong> die Lehrerschaft ihre Misserfolge<br />

be<strong>im</strong> <strong>Lehren</strong> durch gute Noten zuzudecken<br />

beginnt, das heißt, Lehrerfolge werden<br />

nicht an externen Kriterien gemessen.<br />

Vielmehr kann jeder einzelne Lehrer (oder<br />

Hochschullehrer trotz ETCS) seine eigenen<br />

Maßstäbe verwenden. Der Manipulation sind<br />

Tür <strong>und</strong> Tor geöffnet.<br />

Zusammenfassend kann Frage 1 jetzt beantwortet<br />

werden: <strong>Mathematik</strong> muß nicht gelehrt,<br />

sie muss vielmehr gelernt, erf<strong>und</strong>en<br />

<strong>und</strong> entdeckt werden. Manchmal kann ein<br />

Lehrer dabei helfen, manchmal ist der Erfolg<br />

ohne Lehrer größer <strong>und</strong> vor allem interindividuell<br />

vergleichbar. Die "soft skills" werden bei<br />

selbstorganisiertem <strong>Lernen</strong> besser entwickelt.<br />

Ergänzung 1<br />

Je besser <strong>und</strong> vielfältiger die Rückmeldungen<br />

durch das Lernmaterial, desto "angenehmer"<br />

das <strong>Lernen</strong>.<br />

Ergänzung 2<br />

Nur solange Berechtigungen an Schulnoten<br />

geknüpft sind <strong>und</strong> solange Schulnoten nur<br />

von Lehrern vergeben werden dürfen, sind<br />

Lehrer unverzichtbar, aber ohne externe<br />

Kontrolle unterliegen sie (durch Schulverwaltung,<br />

Kollegen, Eltern, Politik!) einem korrumpierenden<br />

Druck, Noten zu schönen.<br />

Ich habe dazu einen Traum:<br />

Die Ziele des <strong>Lernen</strong>s sind so formuliert,<br />

dass das Lernsubjekt selbst seinen Abstand<br />

von den Zielen feststellen kann. Aus<br />

"Wer lehrt, prüft!"<br />

wird<br />

"Wer lehrt, darf nicht prüfen!"<br />

Man kann diesen Traum auch den Traum<br />

von Chancengleichheit <strong>und</strong> Chancengerechtigkeit<br />

nennen. Das <strong>Internet</strong> macht diesen<br />

Traum technisch möglich.<br />

2<br />

Der Traum ist die Antwort auf Frage 2:<br />

Kann das <strong>Internet</strong> das <strong>Lernen</strong> von <strong>Mathematik</strong><br />

fördern? <strong>—</strong> Ja, wenn man will!<br />

Vom 19. ins 21. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>—</strong> Ändert das <strong>Internet</strong> die Chancen?<br />

3<br />

Wie kann festgestellt werden, ob <strong>Mathematik</strong><br />

gelernt worden ist?<br />

Zunächst: Wer stellt das fest?<br />

- Der Lehrer <strong>—</strong> in der derzeitigen Schule.<br />

Das ist der status quo.<br />

- Dritte <strong>—</strong> TIMSS, PISA, zentrale Vergleichsarbeiten;<br />

das Beurteilungsmonopol<br />

der Institutionen wird dabei nicht in Frage<br />

gestellt.<br />

- Das lernende Subjekt selbst; <strong>—</strong> der<br />

Traum vom selbstorganisierten <strong>Lernen</strong>;<br />

technische Schwierigkeiten wären dazu<br />

nicht mehr zu überwinden.<br />

Zur Thematik wird auf einschlägige Abschnitte<br />

der Sites [1] – [4] verwiesen:<br />

Die Stellungnahme der B<strong>und</strong>esvereinigung<br />

der Deutschen Arbeitgeberverbände (online<br />

seit 8.9.03; kein Ort innerhalb des Sites zitierbar)<br />

akzeptiert <strong>im</strong> Wesentlichen die aufgeführten<br />

Ausarbeitungen, das heißt, die offiziellen<br />

Äußerungen des BMBF [2], das das<br />

Sagen haben möchte, <strong>und</strong> der KMK [3], die<br />

das Sagen hat. Die Ausarbeitung des BMBF<br />

ignoriert die heutigen Möglichkeiten der Informationsverarbeitung<br />

vollständig; es beschäftigt<br />

sich deskriptiv mit der Schule <strong>und</strong> soziologischen<br />

Fragen der Vergangenheit vornehmlich<br />

der letzten 50 Jahre. In den ersten<br />

KMK-"Standards" verweisen zwar die Englischdidaktiker<br />

auf ausländische <strong>Internet</strong>veröffentlichungen,<br />

stellen jedoch herkömmliche<br />

Modelle der Lernorganisation nicht in Frage.<br />

Was die KMK als "Standards" bezeichnet,<br />

hat indessen mit einem Standard wenig zu<br />

tun. Worin besteht zum Beispiel die Standardisierung<br />

bei der Formulierung "Die Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler entwickeln sinntragende<br />

Vorstellungen von natürlichen, ganzen, gebrochenen<br />

<strong>und</strong> rationalen Zahlen <strong>und</strong> nutzen<br />

diese entsprechend der Verwendungsnotwendigkeit."<br />

Verbindlichkeit ist keine zu erkennen;<br />

die Interpretationsspielraum ist riesig.<br />

Die Interpretation wird Tausenden von <strong>Mathematik</strong>lehrern<br />

aufgebürdet, weil sich die<br />

Behörde um die Formulierung konkreter Anforderungen<br />

drückt. Gegebenenfalls kann sie<br />

den Schwarzen Peter <strong>im</strong>mer an die Lehrer<br />

weitergeben. Man muss sich auch einmal<br />

klar machen, welche Verschwendung von<br />

Ressourcen damit verb<strong>und</strong>en ist, dass jeder<br />

einzelne Lehrer gezwungen wird, aus einem<br />

solchen Wortgeklingel ein tragbares Unterrichtskonzept<br />

zu entwickeln. Jede Lehrkraft<br />

muss selbst entscheiden, was sie für Anfor-<br />

147


Fritz Nestle<br />

derungen stellen will <strong>und</strong> wie sie konkrete<br />

Lernergebnisse der Schüler bewerten will.<br />

In der industriellen Produktion von Wirtschaftsgütern<br />

ist man von diesem Verfahren<br />

schon vor mehr als h<strong>und</strong>ert Jahren abgekommen<br />

mit dem Ergebnis, dass heute jeder<br />

Bürger unseres Landes nach eigenen Wünschen<br />

aus einem Riesenangebot hochwertiger<br />

Waren auswählen kann; die Konkurrenz<br />

sorgt dabei mit für Qualität. Maßarbeit, zum<br />

Beispiel bei Schuhen, wird nur noch von<br />

Krüppeln, Wirtschaftsbossen <strong>und</strong> arrivierten<br />

Politikern in Auftrag gegeben.<br />

Im Bildungswesen werden dagegen klassenindividuelle<br />

Produkte zusammengeschustert,<br />

deren Qualität, wie TIMSS <strong>und</strong> PISA gezeigt<br />

haben, viele Wünsche offen läßt. Den Kindern<br />

lässt man keine Wahl! Wenn es keine<br />

anderen Möglichkeiten geben würde, müsste<br />

man das hinnehmen. Wenn die Ursache indessen<br />

<strong>im</strong> Fehlen von Visionen bei Kultusverwaltung<br />

<strong>und</strong> Lehrerbildung, <strong>im</strong> Ignorieren<br />

konkreter, praktikabler Vorschläge <strong>und</strong> mangelnder<br />

IT-Kompetenz der Verantwortlichen<br />

zu suchen ist, ist das eine Katastrophe für<br />

unser Land.<br />

Im Site www.bildungsstandards.de sind solche<br />

konkreten <strong>und</strong> praktikablen Vorschläge<br />

in den Kernaussagen<br />

(www.bildungsoptionen.de/manifest.htm)<br />

lang vor den Veröffentlichungen der KMK publiziert<br />

<strong>und</strong> der KMK als Stellungnahme unmittelbar<br />

übersandt worden. Der Eingang<br />

wurde nicht bestätigt, der Inhalt von den anonymen<br />

Experten der KMK <strong>—</strong> <strong>und</strong> der Fachdidaktik?<br />

<strong>—</strong> ignoriert. Liegt es daran, dass<br />

der Autor des Sites von der Sache nicht genug<br />

versteht <strong>und</strong> seine Vorschläge nicht<br />

praktikabel sind, oder liegen die Gründe bei<br />

den anonymen Experten, die ökonomisch mit<br />

ihrer Zeit umgehen <strong>und</strong> sich deshalb auf einen<br />

neuen Aufguss von "Bewährtem" beschränken?<br />

Das kann nur entscheiden, wer<br />

neben den Papieren der KMK auch die Forderungen<br />

<strong>und</strong> Vorschläge des Sites<br />

www.bildungsstandards.de kennt. Hier ist eine<br />

Zusammenfassung der Letzteren:<br />

- Ein Bildungsstandard wird definiert als<br />

Klasse von Aufgaben, die den Standard<br />

repräsentieren, das heißt, durch konkrete,<br />

eindeutig überprüfbare Anforderungen.<br />

Unter<br />

www.bildungsstandards.de/praxis.htm finden<br />

Sie Beispiele.<br />

- Bildungsstandards sind öffentlich, das<br />

heißt, der Aufgabenpool ist der freien Diskussion,<br />

nicht der einseitigen Vorgabe<br />

durch die Schulverwaltung unterworfen.<br />

148<br />

Das <strong>Internet</strong> ist eine fast ideale Plattform<br />

für diese Diskussion.<br />

- Lernergebnisse, die an <strong>Internet</strong>angeboten<br />

nachgewiesen werden, erhalten bei zertifizierter<br />

Bearbeitung den Rang von Schulzeugnissen.<br />

Im Gegensatz zu den Schulzeugnissen<br />

kann bei "Zeugnissen" aus<br />

dem <strong>Internet</strong> nachvollzogen werden, welche<br />

Anforderungen nachgewiesen worden<br />

sind.<br />

Wenn die letzte dieser drei Forderungen erfüllt<br />

wird, beginnt die größte "Schul"reform<br />

dieses Jahrtausends. Der Erwerb von Bildung<br />

verändert sich dadurch so, wie sich die<br />

Herstellung von industriellen <strong>und</strong> landwirtschaftlichen<br />

Produkten (Stahl, Nägel, Schuhe,<br />

..., Gr<strong>und</strong>nahrungsmittel) in den vergangenen<br />

zwei Jahrh<strong>und</strong>erten geändert hat. <strong>Lernen</strong><br />

wird zu einem teilweise rationalen Prozess.<br />

An die Stelle der Anpassung an die<br />

Lehrkraft tritt die Auseinandersetzung mit der<br />

Sache. Der Lehrer wird von der gehassten<br />

Autorität zum Lernberater <strong>und</strong> -helfer.<br />

Welche Veränderung sich dadurch für den<br />

Beruf des Lehrers ergibt, mag das Beispiel<br />

der Milcherzeugung verdeutlichen: Noch in<br />

meiner Kindheit gab es in den größeren<br />

Milchbetrieben die "Schweizer". Jeder<br />

Schweizer musste täglich zwei Mal die gleichen<br />

20 bis 30 Kühe melken; so wurden <strong>im</strong><br />

Jahr 1000 bis 2000 Liter Milch pro Kuh gewonnen.<br />

Nach einer Zwischenlösung mit<br />

Melkmaschinen, deren Sauger von Hand angelegt<br />

werden mussten, gehen heute in modernen<br />

Betrieben die Kühe zum Melkstand,<br />

wenn sie gerade das Bedürfnis haben, identifizieren<br />

sich mit einem Transponder <strong>und</strong> geben<br />

ihre Milch ab <strong>—</strong> bis zu 8000 Liter <strong>im</strong><br />

Jahr. Die Milchproduktion wird damit der einzelnen<br />

Kuh mit einem objektiven Maß zugeordnet.<br />

Ich möchte die Parallele nicht <strong>im</strong> Einzelnen<br />

ausführen. Interessant sind sowohl<br />

die positiven als auch die negativen Seiten<br />

des Vergleichs.<br />

Landwirtschaft <strong>und</strong> Industrie haben sich <strong>im</strong><br />

21. Jahrh<strong>und</strong>ert etabliert; die Gr<strong>und</strong>struktur<br />

des Bildungswesens hat den Stand des 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts noch nicht überw<strong>und</strong>en.<br />

Das <strong>Internet</strong> könnte der automatische Melkstand<br />

der Bildung werden. Während die<br />

Milch einseitig von der Kuh in den Milchtank<br />

strömt, kann die Information auf interaktiven<br />

<strong>Internet</strong>seiten in beiden Richtungen fließen.<br />

Die Eingaben der <strong>Lernen</strong>den können vom<br />

System nach transparenten, für alle Schüler<br />

gleichen Kriterien bewertet <strong>und</strong> unverzüglich<br />

zurückgemeldet werden. (Auch die Kühe erhalten<br />

an modernen Melkständen motivie-


ende Rückmeldungen.) Im Gegensatz zur<br />

Schule kann <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> eine weitaus größere<br />

Themenvielfalt angeboten werden. Die Auswahl<br />

der Themen durch die <strong>Lernen</strong>den kann<br />

durch einschlägige Beratung gesteuert werden.<br />

Dadurch wird das System wesentlich<br />

flexibler als der konventionelle Klassenunterricht.<br />

Ist die Umgestaltung des Bildungswesens ein<br />

utopischer Traum <strong>—</strong> oder die dringlichste<br />

Aufgabe der Gegenwart auch für die Lehrerbildung?<br />

Neuerdings wird von einzelnen Didaktikern<br />

(Elschenbroich, Profke, ...) die Frage erörtert,<br />

ob es überhaupt genügend Menschen gibt,<br />

die mit Erfolg als Lehrer ausgebildet werden<br />

können. Man muss die Augen schon vollkommen<br />

vor der Wirklichkeit verschließen,<br />

wenn man diese Frage übergehen will. Wir<br />

sind uns sicher darin einig, dass nur die Besten<br />

den Lehrberuf ergreifen sollen. Leider<br />

finden wir diese Einigkeit auch für den Arzt-,<br />

Ingenieur-, Politikerberuf <strong>und</strong> für Positionen<br />

in der Wirtschaft, so dass hier mit Konkurrenz<br />

zu rechnen ist. Das stellt uns vor die<br />

Aufgabe, wie wir die Zweitbesten auch für<br />

den Lehrberuf qualifizieren können – oder<br />

vor die Frage, auf welche Teilqualifikationen<br />

des Allro<strong>und</strong>spezialisten Lehrer man getrost<br />

verzichten kann, wenn man die heutige Informationstechnik<br />

auch für das <strong>Lernen</strong> einsetzt.<br />

Vorab sollten wir vielleicht nicht mehr<br />

von Lehrern sondern von Lernbetreuern reden,<br />

denn die meisten anderen, derzeitig von<br />

Lehrern erwarteten Tätigkeiten lassen sich<br />

leicht unter Steigerung der durchschnittlichen<br />

Qualität wegrationalisieren. Dabei soll nicht<br />

verschwiegen werden, dass damit eine Ver-<br />

Sites<br />

Vom 19. ins 21. Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>—</strong> Ändert das <strong>Internet</strong> die Chancen?<br />

änderung des Berufsbilds verb<strong>und</strong>en ist, wie<br />

sie vergleichbar der Übergang vom Schuhmacher<br />

zum Arbeiter in der Schuhfabrik<br />

zeigt.<br />

Ist die Umstellung des <strong>Lernen</strong>s wirklich so<br />

einfach? Spiele <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> haben eine große<br />

Klientel. Schon einige Zufallsproben zeigen,<br />

wie hart um vordere Plätze auf der jeweiligen<br />

Scoreliste gekämpft wird. Warum machen wir<br />

nicht einen Teil dieser Motivation für das <strong>Lernen</strong><br />

fruchtbar? Auf einer Verbraucherausstellung<br />

vor einigen Jahren konnten die Besucher,<br />

gesponsert von der Commerzbank, an<br />

einem Wettbewerb "2 Minuten Wirtschaftswissen"<br />

teilnehmen. Der erste Preis: Ein Tagesausflug<br />

in die Zentrale der Commerzbank<br />

in Frankfurt. Die drei Computer waren umlagert<br />

von Wartenden. Die Zahl der Teilnehmer<br />

am Mathe-Känguru n<strong>im</strong>mt jedes Jahr zu, <strong>—</strong><br />

<strong>und</strong> die Teilnehmer bezahlen dafür, dass sie<br />

20 Matheaufgaben lösen dürfen.<br />

Wenn wir warten, bis KMK <strong>und</strong> IQB am grünen<br />

Tisch überprüfbare Bildungsstandards<br />

per ordre de Mufti entwickeln, verschenken<br />

wir wertvolle Zeit <strong>und</strong> die Freiheit, selbst auf<br />

die Entwicklung Einfluss zu nehmen. Ein<br />

Dutzend Leute, die gemeinsam an diesem<br />

Thema arbeiten, können den Stein ins Rollen<br />

bringen. Vorbild für eine unserer Zeit angemessenen<br />

Art <strong>und</strong> Weise, konkrete Bildungsstandards<br />

zu entwickeln, ist die open-source-<br />

Bewegung. Sie kanalisiert die Intelligenz von<br />

Tausenden <strong>und</strong> lässt überzeugende Lösungen<br />

entstehen. LINUX <strong>und</strong> OpenOfficeorg<br />

sind Beispiele. Warum sollte es bei Bildungsstandards<br />

nicht gelingen?<br />

Wer hilft mit, dass aus dem Traum Wirklichkeit<br />

wird? Kontakt: nestle1@t-online.de<br />

[1] http://www.bildungsstandards.de (online seit 21.10.2002; Kernbeitrag<br />

http://www.bildungsstandards.de/manifest.htm)<br />

[2] http://www.dipf.de/aktuelles/expertise_bildungsstandards.pdf (online seit 18.2.2003; eine Ausarbeitung<br />

<strong>im</strong> Auftrag des BMBF)<br />

[3] http://www.kmk.org/aktuell/Bildungsstandards/<strong>Mathematik</strong>04072003.pdf (online seit 3.12.2003; inzwischen<br />

durch Bildungs-"Standards" für weitere Altersstufen ergänzt; der Ort der Seiten hat sich mehrfach<br />

geändert; Link deshalb vermutlich falsch)<br />

[4] http://www.bildungsstandards-bw.de (online seit 19.5.2003; Beispiel für regional-föderalistische Umsetzung)<br />

149


� Das CAS-basierte DGS Feli-X zur Vernetzung von<br />

Algebra <strong>und</strong> Geometrie<br />

1 Einleitung<br />

<strong>Mathematik</strong> ist eine Schlüsseldisziplin der<br />

modernen technisierten Welt, ihr Wirken<br />

bleibt aber meist <strong>im</strong> Verborgenen. In der<br />

Form von dynamischen Geometrieprogrammen<br />

(DGS) folgen selbst Lernprogramme<br />

diesem Trend. Ihr ursprünglicher Ansatz entsprang<br />

dem Geist der synthetischen Geometrie.<br />

Für die Realisierung <strong>im</strong> Computer<br />

musste diese freilich algebraisch gefasst<br />

werden. Diese Mathematisierung bleibt aber<br />

weitgehend verborgen (auch wenn ihre Folgen,<br />

z.B. bei der Auswahl von Lösungen,<br />

<strong>im</strong>mer mal wieder an der Oberfläche kratzen).<br />

Innerhalb der <strong>Mathematik</strong> wiederum ist<br />

die Algebra die Disziplin, die dem Computer<br />

mathematische Inhalte erschließt, ihre Bedeutung<br />

wächst daher ständig, obwohl ihre<br />

Sichtbarkeit geringer wird. Folgerichtig reduzieren<br />

beispielsweise die neuen niedersächsischen<br />

Rahmenrichtlinien den Anteil der Algebra<br />

am Curriculum. Es ist meine Überzeugung,<br />

dass die Erneuerung der Schulalgebra<br />

eine der wichtigsten didaktischen Herausforderungen<br />

darstellt. Ein wesentlicher Bestandteil<br />

sollte das Aufzeigen der vielfältigen Vernetzung<br />

der Algebra mit anderen Gebieten<br />

sein.<br />

In der Geschichte der <strong>Mathematik</strong> sind Geometrie<br />

<strong>und</strong> Algebra eine erfolgreiche Wechselbeziehung<br />

eingegangen. Diese ist heute<br />

zwar schlecht beleum<strong>und</strong>et (so wird etwa<br />

von einem "nur rechnerischen Beweis" einer<br />

geometrischen Aussage <strong>im</strong> Gegensatz zu einem<br />

"richtigen Beweis" gesprochen; <strong>—</strong> m.E.<br />

sind beide Aspekte wichtig, die Reduktion auf<br />

einen der beiden Aspekte bringt die Schüler<br />

um Vernetzungsmöglichkeiten), aber aus der<br />

Sicht der Anwendungsorientierung ist sie<br />

f<strong>und</strong>amental. Leider bewirkt die Verwendung<br />

aktueller Lernsoftware für den <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

eine deutliche Divergenz beider Bereiche.<br />

Die Behandlung von Parabeln mit<br />

DGS <strong>und</strong> mit CAS ist so unterschiedlich,<br />

150<br />

Reinhard Oldenburg, Göttingen<br />

Viele Probleme lassen sich sowohl mit Computeralgebrasystemen als auch mit dynamischen<br />

Geometrieprogrammen behandeln. Die enge Wechselwirkung von Geometrie <strong>und</strong><br />

Algebra wird aber am deutlichsten, wenn das verwendete Werkzeug algebraische <strong>und</strong><br />

geometrische Zugänge integriert, wie dies bei Feli-X der Fall ist.<br />

dass es Schülern schwer fällt, das Gemeinsame<br />

in den Blick zu kriegen.<br />

In dieser Situation soll der Prototyp Feli-X eines<br />

CAS-basierten DGS aufzeigen, dass es<br />

technische Optionen gibt, die den Brückenschlag<br />

schaffen <strong>und</strong> so ein integrierendes<br />

Arbeiten ermöglichen.<br />

2 Der Ansatz von Feli-X<br />

Die Gr<strong>und</strong>idee von Feli-X wurde bereits <strong>im</strong><br />

Tagungsband 2002 dargestellt (Oldenburg<br />

2002), so dass hier nur eine Kurzcharakterisierung<br />

vorgenommen werden soll.<br />

Die Arbeit mit Feli-X geschieht in zwei Fenstern,<br />

zum einen einem Mathematica-Notebook<br />

für algebraische Rechnungen (kurz Algebrafenster)<br />

<strong>und</strong> einem Geometriefenster,<br />

das ähnliche Möglichkeiten bietet wie andere<br />

DGS auch. Beide Fenster werden bidirektional<br />

synchron gehalten. Die Änderung von<br />

Koordinaten <strong>im</strong> Zugmodus oder die Erstellung<br />

neuer Objekte <strong>im</strong> Geometriefenster wirkt<br />

sich unmittelbar <strong>im</strong> Algebrafenster aus. Dort<br />

stehen u.a. folgende Variablen zur Verfügung:<br />

Objects: Die aktuell vorhandenen geometrischen<br />

Objekte<br />

Vars: Die Variablen der Objekte<br />

Co: Die aktuellen Koordinaten der Objekte<br />

DGAncestors: Der gerichtete Graph der Konstruktion<br />

Equations: Die Gleichungen, die zwischen<br />

den Variablen gelten.<br />

An diesen Variablen darf der Benutzer rumfummeln.<br />

Wenn er den Graphen in DGAncestors<br />

ändert, werden einige der wählbaren<br />

Zug-Strategien ihr Verhalten ändern. Wenn<br />

die Koordinaten geändert werden, bewegt<br />

sich das Bild <strong>im</strong> Geometriefenster. Wenn eine<br />

weitere Gleichung hinzu gefügt wird, ist


die Bewegungsfreiheit der Konstruktion<br />

eingeschränkt. Gerade dieses<br />

Feature ist auch für jüngere Schüler<br />

interessant, da es erlaubt, die Bedeutung<br />

einer Gleichung mit der Maus erfahren<br />

zu können. Im Gegensatz zum<br />

(auch sehr wichtigen) <strong>im</strong>pliziten Plotten<br />

ermöglicht das einen operativen<br />

Zugang zur Exploration von Gleichungen.<br />

3 Ein Beispiel<br />

Ein etwas ausführlicheres Beispiel<br />

(siehe Abb. 1 für das zugehörige Geometriefenster<br />

<strong>und</strong> Abb. 2 für das Algebrafenster)<br />

soll die Arbeit mit Feli-X<br />

erläutern. Man frage sich nach dem<br />

Radius des Krümmungskreises, der<br />

sich an eine Parabel (jede andere<br />

Kurve könnte genau so behandelt<br />

werden) anschmiegt. Es ist schnell<br />

klar, dass der Kreismittelpunkt auf der<br />

Normalen durch den Berührpunkt<br />

liegt, <strong>—</strong> aber wo da? Die Analogie zur<br />

Sekantensteigung kann einen auf die<br />

Idee bringen, gleich zwei Normalen<br />

auf die Kurve zu setzen. Und in der<br />

Tat, wenn man den einen Punkt längs<br />

der Kurve durch den anderen bewegt,<br />

gewinnt man den Eindruck, dass der<br />

Schnittpunkt der beiden Normalen ein<br />

vernünftiges Grenzwertverhalten<br />

zeigt. Also konstruiert man den<br />

Schnittpunkt der Normalen. Aus den<br />

Equations kann man den Abstand<br />

dieses Schnittpunktes zu einem der<br />

Punkte auf der Kurve mit Mathematicas<br />

Solve-Befehl ausrechnen lassen.<br />

Der Grenzprozess muss noch durchgeführt<br />

werden: Man lässt mit L<strong>im</strong>it<br />

die Koordinaten der beiden Kurvengleiter<br />

gegeneinander laufen <strong>und</strong> erhält<br />

einen Term für den Krümmungsradius.<br />

4 Lösungsmengen<br />

Neben das Konzept der Ortslinie, das es in<br />

herkömmlichen DGS gibt, tritt in Feli-X zusätzlich<br />

das Konzept der Lösungsmenge. Eine<br />

Konstruktion in der Form der erzeugten<br />

oder vom Nutzer explizit eingegebenen Gleichungen,<br />

kann die Bewegungsfreiheit eines<br />

Punktes einengen. Immer wenn man feststellt,<br />

dass sich ein Punkt nur noch auf einer<br />

Das CAS-basierte DGS Feli-X zur Vernetzung von Algebra <strong>und</strong> Geometrie<br />

Abb. 1<br />

Abb. 2<br />

Kurve verschieben lässt, ist das passiert <strong>—</strong><br />

<strong>und</strong> dann kann man sich den möglichen Orbit<br />

komplett als "Lösungsmenge" anzeigen lassen<br />

(siehe Bild).<br />

Die herkömmlichen Ortslinien sind ein funktionales<br />

Konzept: Man fragt sich nach der<br />

Wertemenge eines abhängigen Punktes unter<br />

der durch die Konstruktion gegebenen<br />

Abbildung, wenn ein Ausgangspunkt auf einer<br />

best<strong>im</strong>mten Menge (z.B. Gerade oder<br />

Kreis) variiert. Bei Feli-X braucht es einen<br />

151


Reinhard Oldenburg<br />

solchen "Steuerpunkt" nicht unbedingt zu geben:<br />

Es ist nur ein Punkt involviert, der irgendwie<br />

eingeschränkt ist. Die Lösungsmenge<br />

ist ein relationales Konzept, die zeigt die<br />

Menge der Koordinatenpaare, die der Relation<br />

genügen.<br />

Operativ wird der Unterschied besonders<br />

deutlich: Bei Ortslinien zieht man am Argumentpunkt<br />

(der bis auf eine Bindung frei ist);<br />

bei der Lösungsmenge zieht man<br />

(gedanklich) an dem einen Punkt.<br />

152<br />

Abb. 3<br />

Abb. 4<br />

Es ist keineswegs meine Absicht, eine<br />

Überlegenheit des Konzepts der<br />

Lösungsmengen gegenüber dem der<br />

herkömmlichen Ortslinien zu behaupten;<br />

<strong>—</strong> ganz <strong>im</strong> Gegenteil. Im<br />

Sinne einer genetischen Begriffsbildung<br />

ist es sinnvoll, mit den Ortslinien<br />

anzufangen. Für einen voll entwickelten<br />

Begriff des geometrischen<br />

Ortes sind aber auch die relationalen<br />

Aspekte wichtig.<br />

Ein leistungsfähiges CAS <strong>im</strong> Hintergr<strong>und</strong><br />

ermöglicht, eine Gleichung der<br />

Kurve in symbolischer Form (inklusive<br />

Abhängigkeit von eventuellen Parametern)<br />

ausgegeben zu bekommen.<br />

In Abbildung 3 wurde eine<br />

Strecke der Länge 5 konstruiert, deren<br />

Endpunkte auf den Koordinatenachsen<br />

liegen. Der Lotfußpunkt vom<br />

Koordinatenursprung aus lässt sich<br />

dann nur noch eingeschränkt mit der<br />

Maus bewegen (in herkömmlichen<br />

DGS ließe er sich allerdings gar nicht<br />

direkt bewegen). Es wurde dann die<br />

Lösungsmenge für diesen Punkt gezeichnet,<br />

<strong>und</strong> in Abbildung 4 sieht<br />

man auch die von Feli-X best<strong>im</strong>mte<br />

Gleichung.<br />

5 Schlussbetrachtung<br />

Feli-X ist ein innovativer Zugang zum<br />

explorativen Arbeiten mit <strong>Mathematik</strong>.<br />

Die Stärke des Systems, seine<br />

Flexibilität <strong>und</strong> Offenheit, kann, so<br />

wird <strong>im</strong>mer wieder gefürchtet, auch<br />

seine Schwäche sein: Bleibt das<br />

System vernünftig bedienbar, wenn<br />

ein unerfahrener Nutzer damit arbeitet?<br />

Dies wird sich zeigen, wenn die<br />

Weiterentwicklung soweit gediehen<br />

ist, dass erstmals Schüler mit dem<br />

System arbeiten können. Neben einer<br />

Reifung der Software müssen<br />

dazu auch tragfähige didaktische<br />

Konzepte erarbeitet werden.<br />

Literatur<br />

Oldenburg, Reinhard (2002): Feli-X: Ein Prototyp<br />

zur Integration von CAS <strong>und</strong> DGS. In: Peter<br />

Bender et al. (Hrsg.) (2002): Lehr- <strong>und</strong> Lernprogramme<br />

für den <strong>Mathematik</strong>unterricht. Hildeshe<strong>im</strong>:<br />

Franzbecker, 123–132


� <strong>Mathematik</strong> lernen <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> <strong>—</strong><br />

eine philosophische Betrachtung vom Standpunkt<br />

moderner Erkenntnistheorie<br />

Reinhard Oldenburg, Göttingen<br />

Das <strong>Internet</strong> als Lernumgebung kann mit philosophischen Theorien analysiert werden,<br />

die zwar ursprünglich zur Beschreibung von Erkenntnisleistungen in herkömmlichen Umgebungen<br />

entwickelt wurden, aber in ihren f<strong>und</strong>amentalen Aussagen universell sind. Besonders<br />

die evolutionäre Erkenntnistheorien <strong>und</strong> die naturalisierte Erkenntnistheorie nach<br />

W.v.O. Quine sind geeignet Kriterien zu entwickeln, mit denen <strong>Internet</strong>-Lernumgebungen<br />

kritisch bewertet werden können.<br />

1 Einleitung<br />

Im Sinne intellektueller Redlichkeit sollte ein<br />

Autor die Motive seiner Arbeit offen legen. Im<br />

vorliegenden Falle liegt das Motiv in der Beobachtung<br />

des mittlerweile intensiven Einsatzes<br />

des <strong>Internet</strong> quer durch das Fächerspektrum<br />

des Schulunterrichts. Nach meiner<br />

subjektiven Einschätzung bleibt der dauerhafte<br />

Lernertrag dabei aber oft hinter den<br />

Hoffnungen zurück. Dies deckt sich mit meiner<br />

Selbstbeobachtung bei Lernprozessen.<br />

Ich nutze das <strong>Internet</strong> intensiv für Literaturrecherchen,<br />

als Nachschlagequelle <strong>und</strong> zum<br />

Download von Dokumenten, Programmen<br />

etc. Trotz mehrerer Versuche ist es mir aber<br />

bisher noch nicht gelungen, mir substantielle<br />

mathematische Inhalte aus dem <strong>Internet</strong> online<br />

neu anzueignen. Da ich aber auch ein intensiver<br />

Computernutzer bin <strong>und</strong> vieles mit<br />

neuen Medien (vor allem CAS) gelernt habe,<br />

untern<strong>im</strong>mt dieser Aufsatz den gewagten<br />

Versuch, von philosophischen Betrachtungen<br />

zu einer Erklärung dieses Sachverhaltes zu<br />

kommen. Gleichzeitig sollen Kriterien best<strong>im</strong>mt<br />

werden, durch die sich die Möglichkeit<br />

sinnvollen <strong>Lernen</strong>s abstecken lässt.<br />

Die hier vorgestellten Theorien führen vor allem<br />

zu Vorbehalten gegen das <strong>Internet</strong> als<br />

Unterrichtsmedium <strong>im</strong> Schulunterricht. Nicht<br />

oder wenig von der Kritik betroffen sind:<br />

• <strong>Internet</strong> als Plattform der Veröffentlichung<br />

von Schülerprodukten,<br />

• <strong>Internet</strong> als <strong>—</strong> kritisch zu sehende <strong>—</strong> Faktenquelle,<br />

• <strong>Internet</strong> als Quelle von Anregungen (z.B.<br />

Applets),<br />

• Universitärer Einsatz.<br />

2 Evolution<br />

Evolutionäres Denken ist m.E. für Didaktiker<br />

essentiell, da es klar macht, dass alles Wissen<br />

hypothetischer Natur ist. Dies führt zu<br />

einer pragmatischen Sicht, die sowohl einer<br />

praxis-orientierten Wissenschaft als auch der<br />

praktischen Lehre ein tolerantes Gesicht verleiht.<br />

Es gibt in der Literatur verschiedene Auffassungen<br />

über die Mechanismen der Evolution,<br />

insbesondere <strong>im</strong> Hinblick auf die kognitive<br />

Entwicklung. Diese lassen sich schlagwortartig<br />

verkürzen zu:<br />

A) Die evolutionäre Anpassung ermöglicht<br />

dem kognitiven Apparat, die Außenwelt <strong>im</strong><br />

Individuum wider zu spiegeln.<br />

B) Die Wahrnehmung liefert Information, aus<br />

der eine individuelle Repräsentation der<br />

realen Außenwelt konstruiert wird, die einen<br />

Überlebensvorteil liefert.<br />

C) Das Individuum gewinnt keine Information<br />

über seine Umwelt, es überlebt nicht der<br />

Angepasstere, sondern der Überlebende.<br />

Im Vortrag habe ich die Zuhörer gebeten, die<br />

Position zu benennen, die ihrer Vorstellung<br />

von Evolution entspricht. Die Zahlen waren<br />

A: 6, B: 9, C: 2, bei einigen Enthaltungen. Die<br />

kodierten Positionen sind die von Konrad Lorenz<br />

(A), der modernen evolutionären Erkenntnistheorie<br />

(B) <strong>und</strong> des radikalen Konstruktivismus<br />

(von Glasersfeld) (C). Es erstaunt,<br />

dass die Gemeinde der <strong>Mathematik</strong>didaktiker<br />

ihre eigene Mainstream-Ansicht so<br />

wenig schätzt.<br />

153


Reinhard Oldenburg<br />

3 Evolutionäre Erkenntnistheorie<br />

Immanuel Kant ist ein Klassiker der Erkenntnistheorie.<br />

Ein wesentlicher Beitrag ist die<br />

klar ausgedrückte Erkenntnis, dass nicht alles<br />

Wissen in einem s<strong>im</strong>pel-empiristischen<br />

Bild einfach aus der Welt aufgenommen werden<br />

kann, da jede Wahrnehmung Voraussetzungen<br />

hat (die Apriori der Erkenntnis), z.B.<br />

die Anschauungsformen Raum <strong>und</strong> Zeit, die<br />

eben nicht aus der Beobachtung entnommen<br />

sein können.<br />

Konard Lorenz hat vorgeschlagen, dass die<br />

Kantschen Apriori als Aposteriori der Evolution<br />

aufgefasst werden können. Dieses Programm<br />

einer evolutionären Erkenntnistheorie<br />

wurde von Riedl, Vollmer, Wuketits u.a. in<br />

unterschiedlichen Variationen ausgearbeitet.<br />

Aus dem Spektrum dieser, teilweise auch untereinander<br />

nicht kompatibler Ausprägungen,<br />

wähle ich <strong>im</strong> folgenden eklektisch nach persönlicher<br />

Vorliebe aus. Die Aussagen werden<br />

der Kürze wegen auch nicht belegt (siehe<br />

(Oldenburg 2003) für ein ambitionierteres<br />

Herangehen). Kernthesen der so verstandenen<br />

evolutionären Erkenntnistheorie sind:<br />

Hypothetischer Realismus: Obwohl Wahrnehmungen<br />

keinen Zugang zur Welt an sich<br />

ermöglichen, kann man aufgr<strong>und</strong> des Anpassungsprozesses<br />

hypothetisch davon ausgehen,<br />

dass es eine Realität hinter den Erscheinungen<br />

gibt. Die Welt besitzt Strukturen,<br />

die unserer Sinnesorgane affizieren<br />

(wenn diese sie auch nicht treu abbilden).<br />

Intelligenz ist eine Anpassungsleistung an<br />

die Umwelt. Sie ermöglicht eine aktivere Rolle<br />

des Individuums.<br />

Der Vorgang der Wahrnehmung ist konstruktiv<br />

interpretierend.<br />

<strong>Lernen</strong> ist ein individueller Vorgang, ermöglicht<br />

durch evolutionär ausgebildete Strukturen<br />

des Gehirns.<br />

In der Ausarbeitung dieses Programms wurde<br />

eine Reihe von Prinzipien formuliert, die<br />

dem Erkenntnisprozess eigen sind. Zwei davon<br />

(aus Riedls Werk) sollen jetzt mit Blick<br />

auf das <strong>Internet</strong> angewendet werden:<br />

Hypothese vom Vergleichbaren: Dies bezeichnet<br />

die Tendenz des Erkenntnisapparates,<br />

ähnlichen Wahrnehmungen auch ähnliche<br />

Ursachen <strong>und</strong> ähnlichen Handlungen<br />

auch ähnliche Folgen zu unterstellen. Diese<br />

Strategie kommt <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> offensichtlich an<br />

ihre Grenzen, da das Medium einem extrem<br />

schnellen Wandel der Inhalte unterliegt. Auch<br />

gibt es kaum eine Korrelation von Form <strong>und</strong><br />

154<br />

Inhalt, so dass die Wahrnehmung von Ähnlichkeiten<br />

kaum ein Hinweis auf z.B. ähnlich<br />

verlässliche Inhalte sind.<br />

Konstanzleistungen: Dies bezeichnet die<br />

Tendenz des Erkenntnisapparates, Invarianten<br />

teilweise sogar bei variierenden Reizlagen<br />

zu konstruieren. Verwandt damit ist die<br />

Erwartung, sich wiederholende Strukturen zu<br />

finden. Hier stellt die extreme Inhomogenität<br />

des <strong>Internet</strong>s ein Problem dar.<br />

4 Quines naturalisierte Erkenntnistheorie<br />

Willard van Orman Quine gilt allgemein als<br />

der einflussreichste amerikanische Philosoph<br />

des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Sein umfangreiches<br />

Werk soll hier auf einige Aspekte reduziert<br />

werden, die in Hinblick auf das <strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

relevant sind.<br />

Web of belief: Quine hält alles Wissen für<br />

hypothetisch, auch die <strong>Mathematik</strong>. Die kognitiven<br />

Inhalte sind in einem Netz verknüpft,<br />

das an den Rändern von Erfahrungen best<strong>im</strong>mt<br />

wird, ansonsten aber durch innere<br />

Gesetzmäßigkeiten best<strong>im</strong>mt ist.<br />

Semantischer Holismus: Diese Position wird<br />

gelegentlich zu "alles hängt mit allem zusammen"<br />

verkürzt. Um eine bessere Vorstellung<br />

zu bekommen, versetze man sich z.B. in<br />

die Lage eines Physikers. Nach naiver Auffassung<br />

kann er mit seinen Exper<strong>im</strong>enten<br />

Theorien verifizieren oder falsifizieren. Popper<br />

hat dagegen schon eingewendet, dass<br />

eine Verifikation unmöglich ist. Quine geht<br />

weiter <strong>und</strong> bezweifelt auch die eindeutige<br />

Falsifikation. Falls nämlich Beobachtungen<br />

zu einem Widerspruch führen, ist zwar klar,<br />

dass etwas falsch sein muss, aber es ist<br />

nicht klar, wo <strong>im</strong> Theoriegefüge Änderungen<br />

vorgenommen werden müssen. Zwar hat<br />

man es meist mit einer fraglichen Theorie gegenüber<br />

einem akzeptierten Theorief<strong>und</strong>us<br />

zu tun, aber diese Einteilung ist nur pragmatisch.<br />

Wie lernen wir Sprache? Im Gr<strong>und</strong>e<br />

unterscheidet sich die Position des Kleinkindes<br />

bei seinen Sprechversuchen nicht von<br />

der des Physikers. Eine Konsequenz ist die<br />

"Unbest<strong>im</strong>mtheit der Übersetzung": Es ist unmöglich,<br />

überindividuelle Bedeutungsgleichheit<br />

exakt zu best<strong>im</strong>men, dies geht nur in einem<br />

Approx<strong>im</strong>ationsprozess. Eine weitere<br />

Konsequenz der Unbest<strong>im</strong>mtheit: Einzelne<br />

Wörter bzw. Sätze sind in der Regel zu klein<br />

als bedeutungstragende Einheiten.<br />

Ontologische Relativität: Ontologische Aussagen<br />

sind nach Quine sehr wichtig, da sie


die Bedeutung vieler sprachlicher Konstrukte<br />

best<strong>im</strong>men, sie sind aber nur relativ zu einem<br />

Bezugsrahmen sinnvoll. Eine absolute Ontologie<br />

ist uns nicht zugänglich. Er weist z.B.<br />

darauf hin, dass Atome nicht weniger als<br />

Homers Götter menschliche Setzungen sind.<br />

Innerhalb eines Bezugsrahmens allerdings<br />

kann mit Wörtern referenziert werden.<br />

In einigen Aspekten ist Quines Werk wenig<br />

attraktiv, z.B. in seiner Neigung zu einer behavioristischen<br />

Sicht des Spracherwerbs. Interpretiert<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> seines Gesamtwerks<br />

erscheint diese aber in einem<br />

gänzlich anderen Licht als der schlichte Ansatz<br />

von Skinner.<br />

5 Folgerungen =<br />

Forderungen<br />

Nun soll die eben ausgebreitete Theorie auf<br />

das <strong>Lernen</strong> <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> angewendet werden.<br />

Die Bedeutung von Theorien (<strong>im</strong> weitesten<br />

Sinne) wird durch ihre Vernetzung <strong>im</strong> web-ofbelief<br />

gegeben. Um Bedeutung zu fixieren,<br />

braucht man darin viele Fäden. Die Verlinkung<br />

<strong>im</strong> <strong>Internet</strong> ist etwas anderes als die<br />

hier angesprochene Vernetzung. Um Bedeutungen<br />

fest zu ziehen, braucht man, was<br />

man eine Big-Footprint-Vernetzung nennen<br />

könnte, es müssen möglichst viele Fäden ein<br />

Selektionsfeld herstellen, in dem sich die Selektion<br />

<strong>im</strong> Reich der individuellen Hypothesen<br />

effektiv abspielen kann. Hypothesen<br />

können nicht eindeutig falsifiziert werden. Sie<br />

können deshalb Auferstehung feiern, <strong>und</strong><br />

dann ist es wichtig, <strong>im</strong> eigenen Lernweg zurückgehen<br />

zu können. Das ist dann besonders<br />

gut möglich, wenn die ursprüngliche Selektionsumgebung<br />

z.B. in Form bedruckten<br />

Papiers noch vorliegt. Die Flüchtigkeit des <strong>Internet</strong>s<br />

<strong>und</strong> die schnelle Veränderung seiner<br />

Inhalte ist deshalb ein kritischer Punkt, der es<br />

signifikant von anderen, z.B. CD-ROM-gestützten<br />

Lernumgebungen unterscheidet.<br />

Be<strong>im</strong> Projekt MaDiN wurde die Beobachtung<br />

gemacht (s. Wittmann 2003), dass Studenten,<br />

die mit einer virtuellen Lernplattform arbeiten,<br />

dazu neigen, die Seiten komplett auszudrucken.<br />

Dies ist nach unserer bisherigen<br />

Diskussion eine äußerst vernünftige Strategie.<br />

Die Studenten stellen Dauerhaftigkeit<br />

her, sie können auf dem Material ihren Lernweg<br />

dokumentieren <strong>und</strong> so aus den fremden<br />

Produkten eigene machen, sie sich einverleiben.<br />

Nehmen wir noch einmal die Problematik der<br />

Bezugsrahmen auf: Deren Leistung, als onto-<br />

<strong>Mathematik</strong> lernen <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> eine philosophische Betrachtung<br />

logischer Rahmen bedeutungsstiftend wirken<br />

zu können, hängt an ihrer Vernetzung, an der<br />

Verwirkung der involvierten Hypothesen. Um<br />

einen Begriffsabgleich z.B. zwischen einem<br />

Nutzer <strong>und</strong> einem Computerprogramm herzustellen,<br />

muss es ausreichend Interaktionsmöglichkeit<br />

geben, das ist das Prinzip der<br />

Bereitstellung von Operationsmöglichkeiten.<br />

Diese Operationen selbst sollten möglichst<br />

klar sein, so dass sie nicht zu einem aufwändigen<br />

Forschungsgegenstand werden müssen.<br />

Dies ist das Prinzip der Transparenz. Es<br />

begrenzt zum einen den Einsatz von Black-<br />

Boxes, <strong>und</strong> zum anderen erlaubt es, konkrete<br />

Forderungen an das Softwaredesign von<br />

Lernprogrammen zu stellen. Als relativ<br />

unspektukaläres Beispiel sei die Zugstrategie<br />

von dynamischen Geometrieprogrammen<br />

diskutiert. Es wurde erhebliche Energie investiert<br />

in den Versuch, eine gute Entscheidungsstrategie<br />

für mehrdeutige Situationen<br />

zu finden. Es gibt auch viele mathematische<br />

Gründe, diese Diskussion zu führen. Aus didaktischer<br />

Sicht dagegen bedeuten Entscheidungssituationen,<br />

dass unterschiedliche<br />

Erwartungen <strong>im</strong> Bewusstsein des Nutzers<br />

konkurrieren können, <strong>und</strong> die Synchronisation<br />

wird erschwert, wenn das System nach internen<br />

Gesetzmäßigkeiten seine Wahl trifft,<br />

ohne diesen Vorgang transparent zu machen.<br />

Es wäre viel besser, wenn das Programm<br />

den Nutzer informieren würde, dass<br />

es eine Entscheidung für ihn getroffen hat,<br />

<strong>und</strong> ihm die Option anbieten würde, sich<br />

auch die anderen Möglichkeiten anzusehen.<br />

In dem prototypischen DGS Feli-X gibt es in<br />

einigen Zugmodi einen (noch recht rud<strong>im</strong>entären)<br />

"next"-Button, mit dem man zur nächsten<br />

möglichen Konfiguration wechseln kann.<br />

Das Prinzip der Transparenz fordert ferner,<br />

die Fäden des web-of-belief aufzeigen. Der<br />

Holismus ist nämlich nicht total: Die Vernetzung<br />

hat ihre eigenen Strukturen, <strong>und</strong> es ist<br />

eine Aufgabe der Wissenschaft, diese so<br />

weit wie möglich zu klären (auch wenn es<br />

dabei prinzipielle Hürden gibt). Die <strong>Mathematik</strong><br />

besitzt ein Standardverfahren zur Netz-<br />

Forschung: Die systematische Beschränkung.<br />

Sie zeigt sich in den Bemühungen,<br />

Sätze mit möglichst wenig Voraussetzungen<br />

<strong>—</strong> oder bereits bewiesene Sätze mit gänzlich<br />

anderen Mitteln erneut zu beweisen. Dieser<br />

Wesenszug wird m.E. in den üblichen Katalogen<br />

f<strong>und</strong>amentaler Ideen der <strong>Mathematik</strong><br />

nicht ausreichend deutlich, ich nenne ihn<br />

deshalb eine vergessene f<strong>und</strong>amentale Idee<br />

(Peter Bender hat mich allerdings dankenswerter<br />

Weise darauf hingewiesen, dass es<br />

eine Nähe zur f<strong>und</strong>amentalen Idee der Reduktion<br />

gibt).<br />

155


Reinhard Oldenburg<br />

Mittlerweile, so könnte es scheinen, haben<br />

wir uns <strong>im</strong> Hinblick auf das Software-Design<br />

in eine ausweglose Konkurrenzsituation hineinargumentiert.<br />

Auf der einen Seite steht die<br />

Forderung nach einer Big-Footprint-Vernetzung,<br />

auf der anderen Seite die nach der<br />

systematischen Beschränkung. Die bisherigen<br />

Ausführungen enthalten aber auch bereits<br />

die Lösung des Dilemmas: Ersteres ist<br />

unverzichtbar zur Etablierung ontologischer<br />

Referenzrahmen (also zur Verankerung neuer<br />

bedeutungstragender Teile), das Zweite ist<br />

sinnvoll, nachdem dieser etabliert wurde. Ein<br />

gutes Beispiel dafür, wie dese Kriterien erfüllt<br />

sein können, bietet Cinderella mit seinen<br />

Möglichkeiten, die Schüler Probleme mit einer<br />

Auswahl von Werkzeugen bearbeiten zu<br />

lassen. Dieser reduktionistische Weg ist sinnvoll,<br />

weil es sich um Werkzeuge handelt, die<br />

vorher semantisch transparent gemacht werden<br />

konnten.<br />

156<br />

Abb. 1<br />

Umgekehrt gibt es natürlich auch viele Beispiele<br />

von Lernumgebungen, die mit einem<br />

zu kleinen Fußabdruck den Lerner <strong>im</strong> Stich<br />

lassen. Vor allem die Formular-Interaktivität<br />

von s<strong>im</strong>plen Java-Applets oder webMathematica-Seiten<br />

engt den Benutzer zu sehr ein.<br />

Auf der MaDiN-Seite (MadiN 2003) in Abb. 1<br />

kann der Benutzer zwei Funktionen in zwei<br />

Variablen eingeben, deren Funktionsgraphen<br />

dann in ein gemeinsames Koordinatensystem<br />

gezeichnet werden. Es ist unbestritten,<br />

dass Nutzer damit etwas Sinnvolles machen<br />

können (weniger klar ist, warum sie dazu das<br />

teure webMathematica online statt eines<br />

Freeware-Computeralgebrasystems offline<br />

nutzen sollen). Der vorgegebene, vorgedachte<br />

Rahmen ist mit Bedacht gewählt, <strong>und</strong><br />

trotzdem ist er zu eng: Kann man die Schnittkurve<br />

hervorheben? Ist meine Überlegung,<br />

wie ich sie ausrechnen kann, richtig? Kann<br />

man beide Graphen durch eine Ebene tren-


nen? Wie ist die Darstellung (Projektion) zu<br />

verstehen; <strong>—</strong> vielleicht sollte ich eine senkrechte<br />

Hilfsebene mitzeichnen lassen? Bei all<br />

diesen Fragen lässt das Formular den Nutzer<br />

<strong>im</strong> Stich, es taugt nicht als evolutionäres Feld<br />

der Hypothesenselektion.<br />

Die Verwendung von Formularen wie in der<br />

beschriebenen Seite wird zum einen durch<br />

die technischen Möglichkeiten nahegelegt, ist<br />

zum anderen aber auch Ausdruck einer erstaunlichen<br />

didaktischen Gr<strong>und</strong>haltung.<br />

Während der Mainstream der <strong>Mathematik</strong>didaktik<br />

für Schüler ein stärker selbstgesteuertes<br />

<strong>Lernen</strong> in offenen Lernumgebungen fordert,<br />

wird in der universitären Lehrerausbildung<br />

die Notwendigkeit einer durch das<br />

Formular geleisteten Engführung betont. Eine<br />

evolutionäre Sichtweise führt dagegen zur<br />

Forderung, universelle Werkzeuge zu erlernen<br />

<strong>und</strong> zu nutzen (mit denen eigene Hypothesen<br />

effektiv untersucht <strong>und</strong> selektiert werden<br />

können) <strong>und</strong> die Hypothesenbildung<br />

durch (elektronische) Arbeitsblätter <strong>und</strong><br />

durch ausgearbeitete Beispiele anzuregen;<br />

<strong>—</strong> die notwendige Lenkung erfolgt dann also<br />

nicht durch das Werkzeug, sondern durch<br />

zusätzliche Lernmaterialien. Die Wichtigkeit<br />

solcher ausgearbeiteter Beispiele erkennt<br />

man, indem man die evolutionäre Sichtweise<br />

als Leitlinie für den eigenen Erkenntnisgewinn<br />

anwendet: Im Informatikbereich gibt es<br />

viele Schüler, die sich komplexe Inhalte autodidaktisch<br />

aneignen (man denke z.B. an die<br />

von vielen Schüler beherrschte Programmierung<br />

von OpenGL, die u.a. das Verständnis<br />

homogener Koordinaten voraussetzt). Solche<br />

Schüler suchen sich ihre Lernumgebungen<br />

selbst, <strong>und</strong> der didaktisch interessierte Lehrer<br />

kann aus der Beobachtung dieses Prozesses<br />

lernen. Suchen Schüler etwa nach<br />

möglichst klaren Erklärungstexten, sind die<br />

Anhänger der Erklärungsideologie? Suchen<br />

Sie nach Seiten mit möglichst offenen Anregungen?<br />

Weder noch. Die mit Abstand beliebteste<br />

Lernform ist das <strong>Lernen</strong> am Beispiel,<br />

das Nachmachen <strong>und</strong> langsam Verändern<br />

hin zu den eigenen Vorstellungen.<br />

Ich habe oben eine MaDiN-Seite kritisiert.<br />

Diese Wahl ist durchaus mit Bedacht getroffen:<br />

MaDiN ist insgesamt von ausgezeichneter<br />

Qualität. Wenn aber ein mit so viel Überlegung<br />

gemachtes Angebot subopt<strong>im</strong>al ist,<br />

dann zeigt das m.E. ein Gr<strong>und</strong>problem des<br />

"Lernort <strong>Internet</strong>" auf. Ebenfalls am Beispiel<br />

MaDiN lässt sich zeigen, dass die unübersichtliche<br />

Struktur eines Hypertextes dazu<br />

führen kann, dass trotz etablierter Qualitätskontrolle<br />

fachlicher Unsinn ins Netz gelangen<br />

kann. Vermutlich sind die von mir gef<strong>und</strong>enen<br />

Dinge längst korrigiert. Es bleibt der<br />

<strong>Mathematik</strong> lernen <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> <strong>—</strong> eine philosophische Betrachtung<br />

Nachteil, dass der Lerner keine Dokumentation<br />

der Änderung hat. Wenn er nach ein<br />

paar Monaten zurückkommt <strong>und</strong> das Gefühl<br />

hat, das Gegenteil dessen zu lesen, was vor<br />

ein paar Monaten da stand, bleibt er damit alleine.<br />

Bei einem Buch könnte er, wenn ihn<br />

die Frage denn ernsthaft bedrückt, die Geschichte<br />

der verschiedenen Auflagen studieren.<br />

In seiner Schnelllebigkeit ist das <strong>Internet</strong> geschichtslos<br />

<strong>und</strong>, was bisher noch gar nicht<br />

angesprochen wurde, es ist extrem unpersönlich.<br />

Dies führt zu Konflikten mit der Erwartung<br />

vom Vergleichbaren. Wenn man ein<br />

Buch oder einen Aufsatz liest, erwartet man<br />

eine gewisse Gleichartigkeit der Argumentationen<br />

<strong>und</strong> versucht diese herzustellen (Konstanzerwartung).<br />

Dies ist auch vernünftig,<br />

denn wenn all diese Gedanken von einem<br />

Menschen stammen, sollten sie sich halbwegs<br />

passend ordnen lassen. Diese Sichtweise<br />

wird problematisch, wenn man analoge<br />

Vergleichbarkeit an anderer Stelle erwartet<br />

(wenn etwa von "der Meinung des Spiegel"<br />

gesprochen wird). Diese Erwartung wird<br />

aber selbst von seriösen <strong>Internet</strong>angeboten<br />

tiefgreifend enttäuscht. Mit der generellen<br />

Seriosität eines Angebots steigt die Zahl der<br />

involvierten Autoren. Der Leser hat also nicht<br />

mehr die Spur einer Chance, Bedeutungsnuancen<br />

zwischen verschiedenen Autoren zu<br />

detektieren.<br />

Physikalisch interessierte Leser können sich<br />

durch eine einfache Metapher die bisher ausgearbeitete<br />

Kritik verdichten in der Form,<br />

dass die Korrelationslänge des <strong>Internet</strong>s zu<br />

klein ist.<br />

6 Konstruktivismus?<br />

Der Leser mag sich fragen, warum bisher<br />

nicht die konstruktivistische Erkenntnistheorie<br />

thematisiert wurde. Die vollständige Antwort<br />

wird in einer Analyse des Konstruktivismus<br />

enthalten sein, die gegenwärtig in Vorbereitung<br />

ist (Oldenburg 2003). Hier nur einige<br />

Bemerkungen dazu: Die Didaktik profitiert<br />

enorm vom Konstruktivismus, z.B. be<strong>im</strong> Verständnis<br />

von Fehlvorstellungen. Zentral für<br />

die Leistungen des Konstruktivismus ist dabei<br />

das Verständnis des Wissenserwerbs als<br />

individuelle Konstruktion. Diese Position ist<br />

aber Gemeingut unter vielen moderneren<br />

Ansätzen, z.B. den hier vorgestellten. Die<br />

weitergehenden Positionen des Konstruktivismus<br />

sind für die Didaktik unzureichend<br />

oder irrelevant. Für die hier geführte Diskussion<br />

leidet der Konstruktivismus an einer we-<br />

157


Reinhard Oldenburg<br />

niger detaillierten Vorstellung zur Wechselwirkung<br />

Medium <strong>und</strong> Individuum. Außerdem<br />

führt der Konstruktivismus zu einer systematischen<br />

Unterschätzung der Bedeutung der<br />

Eigenaktivität des Lerners (die ausführliche<br />

Begründung dieser möglicherweise als erstaunlich<br />

empf<strong>und</strong>en Aussage erfolgt in der<br />

oben zitierten Arbeit).<br />

7 Das <strong>Internet</strong> als Anregung<br />

Hier sollen exemplarisch einige Nutzungsmöglichkeiten<br />

des <strong>Internet</strong>s <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

aufgezeigt werden, die in keiner<br />

Weise von der zuvor geäußerten Kritik getroffen<br />

sind. Als Bestandteile der Lebenswelt<br />

der Schüler <strong>und</strong> Schülerinnen eignet sich das<br />

<strong>Internet</strong> als Quelle von Anregungen <strong>und</strong> als<br />

Thema des <strong>Mathematik</strong>unterrichts, gerade<br />

auch in Hinblick auf fächerübergreifende Projekte.<br />

Terme kommunizieren<br />

In den Anfangszeiten des <strong>Internet</strong> wurden<br />

Formeln oft als gif-Bilder in Seiten eingeb<strong>und</strong>en.<br />

Man kann mit den Schülern Vor- <strong>und</strong><br />

Nachteile eines solchen Vorgehens diskutieren<br />

<strong>und</strong> sich die Repräsentation von Termen<br />

in verschiedenen Systemen anschauen:<br />

• "Standard"-Formeleingabe <strong>im</strong> PC: a*x^2/3<br />

• Lisp (Max<strong>im</strong>a). (* a (^ x (/ 2 3) ) )<br />

• TeX: $a*x^{3/2}$<br />

• Mathematica:<br />

T<strong>im</strong>es[a,Power[x,Rational[2,3]]]<br />

Man kann hier Anforderungen diskutieren,<br />

neue Repräsentationsformen erfinden <strong>und</strong><br />

z.B. mit den ausufernd langen Kodierungen<br />

in MathML vergleichen.<br />

Spam-Filter<br />

Die gegenwärtige Entwicklung zur Stärkung<br />

der Bayes-Statistik in der Schule (z.B. neue<br />

niedersächsische Rahmenrichtlinien) erfordert<br />

sinnvolle Projekte, die dies unterstützen.<br />

158<br />

Was ist Spam? Die Antwort darauf erfordert<br />

eine Individualisierung. Menschen unterscheiden<br />

sich nun einmal in der Art der Mail,<br />

die sie lesen wollen. Lernfähige Spamfilter<br />

kann man z.B. folgendermaßen bauen: Der<br />

Nutzer klassifiziert in einer Trainingsphase<br />

eingehende Mail als Spam oder Ham (das ist<br />

die erwünschte Mail). Auf diese Art findet<br />

man die bedingten Wahrscheinlichkeiten einer<br />

Klasse von Wörtern in Spam <strong>und</strong> in Ham.<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage dieses Wissens kann die<br />

Bayes-Formel angewendet werden:<br />

P(Spam|"Viagra") =<br />

P("<br />

Viagra"<br />

Spam)<br />

P("<br />

Viagra"<br />

Spam)<br />

+<br />

P("<br />

Viagra"<br />

Ham)<br />

Verallgemeinert auf viele Bewertungswörter<br />

kann man so eine gute Erkennungsrate erreichen.<br />

Eine reale Anwendung findet man<br />

z.B. <strong>im</strong> Mozilla-Junk-Mail-Filter.<br />

8 Zum Schluss<br />

Dieser Aufsatz spannt einen weiten Bogen,<br />

der Leser entscheide, ob es gar ein zu weiter<br />

Bogen ist. Unbestreitbar dürfte sein, dass<br />

sich die Strukturen des Gehirns <strong>und</strong> damit<br />

die Prinzipien seiner kognitiven Leistungen in<br />

einer Umgebung evolutionär herausgebildet<br />

haben, die von den heutigen gesellschaftlichen<br />

Realitäten <strong>und</strong> erst recht von der virtuellen<br />

Realität des <strong>Internet</strong>s weit entfernt ist.<br />

Literatur<br />

MaDiN <strong>—</strong> <strong>Mathematik</strong>didaktik <strong>im</strong> Netz (2003),<br />

www.madin.net, gelesen 24.9.2003. Die Seiten<br />

sind mittlerweile deutlich geändert.<br />

Oldenburg, Reinhard (2003): Realistischer Konstruktivismus.<br />

Göttingen: Preprint<br />

Quine, Willard van Orman (1975): Ontologische<br />

Relativität <strong>und</strong> andere Schriften. Stuttgart:<br />

Reclam<br />

Riedl, Rupert (1988): Biologie der Erkenntnis.<br />

München: dtv<br />

Wittmann, Gerald (2003): Wie lernen Studierende<br />

in internetgestützten Lehrveranstaltungen? In<br />

diesem Band<br />

Weitere Literatur zu den philosophischen Themen<br />

findet sich in Oldenburg (2003)


� Integration des <strong>Internet</strong>s <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

unter Berücksichtigung von Aspekten der Handlungsorientierung<br />

am Beispiel der Behandlung von Korrelation<br />

<strong>und</strong> Regression in der Jahrgangsstufe 11<br />

Andreas Pallack, Soest<br />

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einer Lernumgebung zur schulischen Beschreibenden<br />

Statistik unter Berücksichtigung der neuen Medien. Gr<strong>und</strong>lage ist eine Unterrichtsreihe in<br />

der Jahrgangsstufe 11. Der Kurs wurde unter Nutzung des Mediums <strong>Internet</strong> <strong>und</strong> eines<br />

CAS-Werkzeugs unterrichtet. Der Unterricht wurde methodisch so angelegt, dass selbstregulierende<br />

Prozesse zur Konstruktion tragfähiger Begriffe durch eine den Schülern<br />

vorgegebene Organisationsstruktur angeregt <strong>und</strong> z.T. auch durchlaufen wurden.<br />

1 Einleitung<br />

"Bei gesellschaftlichen, politischen <strong>und</strong><br />

wirtschaftlichen Fragen wird heute zunehmend<br />

mit statistischen Daten argumentiert.<br />

Zeitungen, Zeitschriften<br />

<strong>und</strong> Fernsehen verwenden Tabellen,<br />

graphische Darstellungen, Mittelwerte<br />

<strong>und</strong> Anteilsangaben, um Informationen<br />

zu übermitteln. Auch <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

<strong>und</strong> in anderen Unterrichtsfächern<br />

treten <strong>im</strong>mer wieder statistische<br />

Daten in Form von Tabellen <strong>und</strong><br />

Graphiken auf, die der Schüler richtig<br />

lesen <strong>und</strong> interpretieren soll. Dazu sind<br />

Sachkenntnisse erforderlich." (Kütting<br />

1994, 9)<br />

Die zunehmende Informationsflut <strong>und</strong> das<br />

Wachstum des verfügbaren Wissens zwingt<br />

uns Methoden zu entwickeln, die es erlauben,<br />

schnell Überblick über große Datenmengen<br />

zu gewinnen. Schülern einige dieser<br />

Methoden an die Hand zu geben, ist ein<br />

zentrales Ziel der schulischen Beschreibenden<br />

Statistik. Im Schuljahr 1999/2000 wurde<br />

diese <strong>im</strong> Lehrplan der gymnasialen Oberstufe<br />

Nordrhein–Westfalens fest verankert. Offensichtlich<br />

gibt es <strong>im</strong> Bereich dieses Themenkomplexes<br />

viele Möglichkeiten, handlungsorientierte<br />

Ansätze umzusetzen.<br />

"Die Beschreibende Statistik eignet sich in<br />

besonderer Weise für die Durchführung kleinerer<br />

Projekte aus dem Umfeld Schule. Im<br />

Exper<strong>im</strong>ent können Antworten auf wirklichkeitsnahe<br />

Fragen gegeben werden." (NRW<br />

MSWWF 1999, 15)<br />

Schüler können für sie relevante oder interessante<br />

Problemstellungen nicht nur bearbeiten,<br />

sondern sogar von Gr<strong>und</strong> auf erarbeiten.<br />

Sie können aktiv Daten erheben <strong>und</strong> sie<br />

quantitativ <strong>und</strong> qualitativ auswerten. Die mathematisch<br />

notwendigen Begriffe können sich<br />

dabei aus dem Wunsch ergeben, den Daten<br />

spezielle Informationen zu entnehmen.<br />

Ziel dieses Beitrags ist es, eine Lernumgebung1<br />

zu Begriffen der Beschreibenden Statistik,<br />

speziell Korrelation <strong>und</strong> Regression,<br />

vorzustellen <strong>und</strong> über deren Umsetzung kurz<br />

zu berichten (ausführlicher in Pallack 2003).<br />

Die Entscheidungen, welche schließlich zur<br />

konkreten Planung <strong>und</strong> Durchführung der<br />

Unterrichtsreihe führten, sollen <strong>im</strong> Folgenden<br />

systematisch dargelegt werden. Ausgehend<br />

von schulischen Rahmenbedingungen, werden<br />

in einem ersten Schritt das Konzept der<br />

Handlungsorientierung vorgestellt <strong>und</strong> Vorschläge<br />

zur Realisierung handlungsorientierten<br />

<strong>Mathematik</strong>unterrichts angeführt.<br />

Im zweiten Schritt wird die Problematik der<br />

Beziehung von Schule <strong>und</strong> Computer in aller<br />

Kürze umrissen. In der betreffenden Unterrichtsreihe<br />

erfüllten Rechner zwei zentrale<br />

Aufgaben:<br />

• Sie dienten <strong>im</strong> Unterricht als Werkzeug<br />

(CAS-System) für die Schüler.<br />

• Sie dienten der Präsentation der Ergebnisse<br />

<strong>und</strong> Meinungen von Schülern.<br />

Da die erste Funktion mittlerweile in vielen<br />

Lehrplänen berücksichtigt <strong>und</strong> der Einsatz<br />

von Rechnern bzw. grafischen Taschenrechnern<br />

mit CAS in vielen Ländern erlaubt oder<br />

gar vorgeschrieben wird (Weigand & Weth<br />

2002, XI), verzichte ich auf die Darstellung<br />

1 Zur Begriffsklärung: Eine Lernumgebung umfasst das Gesamtarrangement,<br />

das zur Unterstützung von Lernprozessen planvoll gestaltet<br />

werden kann; zu den Komponenten einer Lernumgebung<br />

zählen neben adäquaten Räumlichkeiten die <strong>Lehren</strong>den, Lehr- <strong>und</strong><br />

Lernmaterialien <strong>und</strong> natürlich auch Medien in unterschiedlichen<br />

Funktionen (entnommen aus Möller, 1999, 142)<br />

159


Andreas Pallack<br />

der Möglichkeiten von CAS. Einen Überblick<br />

hierzu bieten sie in ihrem Buch zu Computern<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht (ebd., Kap. IV).<br />

Die Nutzung des <strong>Internet</strong>s als Publikationsorgan<br />

ist <strong>im</strong> schulischen Rahmen weitaus<br />

weniger etabliert als der Einsatz von CAS.<br />

Da sie jedoch eine wesentliche Komponente<br />

des vorgestellten Konzeptes ist, habe ich ihr<br />

das 5. Kapitel des vorliegenden Beitrags gewidmet.<br />

Einen Überblick zu Konzepten der Einführung<br />

von Korrelation <strong>und</strong> Regression <strong>im</strong> Unterricht<br />

erspare ich dem Leser ebenso wie<br />

Details zur Lerngruppe <strong>und</strong> St<strong>und</strong>enverläufe.<br />

Ich beschränke mich auf einen kleinen Überblick<br />

<strong>und</strong> einige wenige exemplarische Szenen<br />

des unterrichtlichen Geschehens.<br />

2 Handlungsorientierung<br />

als Konzept für den (all-)<br />

täglichen <strong>Mathematik</strong>unterricht?<br />

Der Unterricht der Oberstufe ist an Rahmenbedingungen<br />

geb<strong>und</strong>en. Hierzu gehören u.a.<br />

der 45-Minuten-Takt, die Notwendigkeit der<br />

Notengebung, die beschränkte Möglichkeit,<br />

Schüler außerschulisch mit Arbeiten zu beauftragen,<br />

z.T. große Kurs- <strong>und</strong> Klassenfrequenzen<br />

oder auch die Lehrpläne, welche<br />

Rahmen für jedes Schulfach festlegen. Veränderungen,<br />

wie sie mittlerweile gefordert<br />

werden, sind jedoch eine Sache von Menschen<br />

<strong>und</strong> nicht von Papier, wie auch Weigand<br />

(1997, 325) in einer Arbeit zum computergestützten<br />

<strong>Lernen</strong> herausstellt. Wenig<br />

aussichtsreich scheint es, nicht zuletzt aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong>, Konzepte unter Missachtung<br />

oder Beschönigung der genannten Rahmenbedingungen<br />

zu entwickeln. Vielmehr muss<br />

es Ziel sein, auf der Basis des Ist-Zustands<br />

schüleraktive Unterrichtseinheiten zu planen<br />

<strong>und</strong> so sukzessive Veränderungen "von innen"<br />

herbeizuführen.<br />

Schüleraktivität wird häufig mit Handeln, also<br />

dem sinnvollen Tun des <strong>Lernen</strong>den, assoziiert.<br />

Im nächsten Kapitel stelle ich deswegen<br />

Beiträge der allgemeinen Didaktik zur Handlungsorientierung<br />

vor <strong>und</strong> verdichte die Informationen<br />

zur begrifflichen Klärung. Diese<br />

Ausführungen eher allgemeiner Natur werden<br />

dann auf den <strong>Mathematik</strong>unterricht angewendet<br />

<strong>und</strong> konkretisiert. Auf der so geschaffenen<br />

Basis werden schließlich einige<br />

Kriterien zur Planung eines handlungsorientierten<br />

Statistikunterrichts entwickelt.<br />

160<br />

2.1 Handlungsorientierung <strong>und</strong><br />

<strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

Kann Handlungsorientierung überhaupt ein<br />

akzeptables Konzept für den <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

sein? Die Vorstellung von dem, was<br />

Handeln ist, steht doch in einem eher ambivalenten<br />

Verhältnis zum pr<strong>im</strong>är kognitiv ausgerichteten<br />

<strong>Lernen</strong> von <strong>Mathematik</strong>. Obwohl<br />

die folgenden Zahlen bereits recht abgegriffen<br />

sind <strong>und</strong> die zugr<strong>und</strong>e gelegte Studie<br />

wohl noch niemand der zahlreichen Zitierenden<br />

gelesen hat (auch Kl<strong>im</strong>sa, 2002, 9, konnte<br />

die Quelle trotz umfangreicher Nachforschungen<br />

nicht ausfindig machen), wage ich<br />

es trotzdem <strong>und</strong> führe (Gudjons 1997, 55)<br />

an. Die von ihm zitierte empirische Untersuchung<br />

ergab:<br />

Wir behalten<br />

20% von dem, was wir hören,<br />

30% von dem, was wir sehen,<br />

80% von dem, was wir selber formulieren<br />

können,<br />

90% von dem, was wir selber tun.<br />

Ziel müsste es demnach sein, Schüler zum<br />

stetigen sinnvollem Tun zu bewegen. Dies ist<br />

ein Ziel handlungsorientierten Unterrichts.<br />

Handlungen sind direkt gekoppelt mit dem<br />

Aufbau günstiger kognitiver Strukturen. Nähere<br />

Ausführungen hierzu finden sich u.a. bei<br />

(Gudjons 1997). Gegenüber der derzeitigen<br />

Schulrealität, in welcher Schüler häufig dem<br />

Lehrer folgen <strong>und</strong> jeder Schritt durch eine<br />

starke Abhängigkeit von ihm geprägt ist, soll<br />

handlungsorientierter Unterricht die gesellschaftlich<br />

notwendige Selbstverantwortung<br />

der Schüler fördern <strong>und</strong> fordern (Gudjons<br />

1998, 108). Der Unterricht wandelt sich vom<br />

linearen zum iterativen Prozess. Umwege<br />

<strong>und</strong> auch Irrtümer können in ihm als Lernchancen<br />

begriffen werden.<br />

(Handlungsorientierter) Unterricht muss den<br />

Schüler zum Handeln provozieren. Selbsttätigkeit<br />

<strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>ene Handlung<br />

führt Schüler zur erwünschten Selbstständigkeit.<br />

Aufgabe des Lehrers ist es, für seine<br />

Ziele geeignete Provokationen zu entwickeln<br />

(<strong>im</strong> Sinne von Gudjons 1997, 8, kann auch<br />

von Dissonanzen gesprochen werden) <strong>und</strong><br />

diese in geeignete Lernumgebungen einzubinden.<br />

Die unterrichtliche Umsetzung von<br />

Lernumgebungen ist unter anderem durch<br />

Sozialformen des Unterrichts geprägt. Passend<br />

erscheint Gruppen- oder Partnerarbeit<br />

(Jank & Meyer 1994, 356, Hole 1998, 11).<br />

Auch Sozialformen eines möglichen Projektunterrichts<br />

sind denkbar (s. hierzu vor allem<br />

Frey 1998).


Handlungsorientierung erhebt nicht den Anspruch,<br />

eine neue Didaktik zu repräsentieren.<br />

Handlungsorientierter Unterricht soll Schülern<br />

den handelnden <strong>und</strong> aktiven Umgang<br />

mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit erlauben<br />

(Gudjons 1998, 103, Beckmann 1999,<br />

79). Verschiedene Autoren setzen dabei unterschiedliche<br />

Akzente bei ihrer Um- <strong>und</strong> Beschreibung<br />

von Handlungsorientierung (z.B.<br />

Beckmann 1999, 79f). Nicht zuletzt dies<br />

zeigt, dass es sich bei Handlungsorientierung<br />

nicht um ein vollständig ausformuliertes (starres)<br />

didaktisches Konzept handelt (Gudjons<br />

1998, Gudjons 1997, Jank & Meyer 1994,<br />

Meyer 1987). Auch ist das Konzept nicht vollends<br />

revolutionär. Es gibt durchaus Berührpunkte<br />

mit dem exemplarischen, genetischen<br />

<strong>Lernen</strong> (v.a. Wagenschein 1968) <strong>und</strong> dem<br />

entdeckenden <strong>Lernen</strong> (Bruner 1974).<br />

Eine weit verbreitete Merkmalsliste zur Charakterisierung<br />

handlungsorientierten Unterrichts<br />

stammt von Jank & Meyer (1994). Sie<br />

führen sieben Merkmale handlungsorientierten<br />

Unterrichts an, die <strong>im</strong> Folgenden umrissen<br />

werden.<br />

Hervorgehoben wird, dass Handlungsorientierter<br />

Unterricht ganzheitlich <strong>und</strong> schüleraktiv<br />

ist. Hierzu gehört sowohl, dass Schüler<br />

Gelegenheit haben, mit allen Sinnen zu lernen,<br />

als auch, dass nicht die Fachsystematik<br />

den Unterricht dominiert (Horstmann, Meyer-<br />

Lerch et al. 1987, 8). Das schließt, was gerade<br />

für den <strong>Mathematik</strong>unterricht von <strong>im</strong>menser<br />

Bedeutung ist, nicht aus, dass der Unterricht<br />

systematische Abschnitte enthält. Im<br />

Wesentlichen sollte sich jedoch aus nur wenigen<br />

vom Lehrer entwickelten Vorgaben ein<br />

selbstständiger <strong>und</strong> von Selbsttätigkeit geprägter<br />

Lernprozess entfalten. Die Notwendigkeit<br />

der Aktivität der Schüler beschreibt<br />

auch Freudenthal (1970, 107ff). Akzentuiert<br />

wird hier der Wandel vom Tun des Lehrers<br />

auf das des Schülers.<br />

Ein weiteres Merkmal ist, dass <strong>im</strong> Mittelpunkt<br />

des handlungsorientierten Unterrichts die<br />

Entwicklung von Handlungsprodukten steht,<br />

mit denen weitergearbeitet, gespielt <strong>und</strong> gelernt<br />

werden kann. Handlungsprodukte können<br />

dabei veröffentlichungsfähige materielle<br />

<strong>und</strong> geistige Ergebnisse der Unterrichtsarbeit<br />

sein. Zu Beginn des handlungsorientierten<br />

Unterrichts steht ein relevantes, unter Berücksichtigung<br />

der Schülerinteressen ausgewähltes<br />

Problem eher kognitiver Natur. Zum<br />

Ende entsteht ein Handlungsprodukt, mit<br />

dem sich Schüler identifizieren können. Gerade<br />

solche Handlungsprodukte sind zur Zeit<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht eher selten vorzufinden.<br />

Dabei gibt es auch in diesem Fach<br />

Integration des <strong>Internet</strong>s <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

Teilgebiete, die hierzu prädestiniert wären.<br />

Als Beispiel sei die Stochastik angeführt. Da<br />

es nicht Ziel eines adäquaten handlungsorientierten<br />

Unterrichts sein kann, pr<strong>im</strong>är Handlungsprodukte<br />

zu schaffen, deren Erstellung<br />

nicht mit den Zielen des jeweiligen Faches in<br />

Einklang zu bringen ist, muss das Spektrum<br />

möglicher Produkte hinreichend eingeschränkt<br />

werden. Handlungsprodukte müssen<br />

in den Rahmen des Unterrichts <strong>und</strong> der<br />

häuslichen Nacharbeit, also in den derzeitigen<br />

organisatorischen Rahmen, einbettbar<br />

sein, um als Alternative zu üblichen Vorgehensweisen<br />

akzeptiert werden zu können<br />

(Breuer, Hermann-Wyrwa et al. 2000, 30).<br />

Für den <strong>Mathematik</strong>unterricht bieten sich<br />

Wandzeitungen, Schülerbücher, Flugschriften,<br />

ein Exper<strong>im</strong>ent oder auch das Veröffentlichen<br />

<strong>im</strong> <strong>Internet</strong> an. Eine spezielle Form<br />

von letzterem ist das in einem der nächsten<br />

Abschnitte vorgestellte WWP, das gerade<br />

unter Berücksichtigung des gegebenen schulischen<br />

Rahmens entwickelt wurde.<br />

Handlungsorientierter Unterricht bemüht sich,<br />

die subjektiven Schülerinteressen zum Ausgang<br />

der Unterrichtsarbeit zu machen. Er<br />

bietet den Schülern aber auch Möglichkeiten,<br />

die eigenen Interessen weiter zu entwickeln.<br />

Die umspannenden Kontexte werden durch<br />

den Lehrer unter Berücksichtigung der Schülerinteressen<br />

gewählt. Handlungsorientierter<br />

Unterricht schmiegt sich an dies an <strong>und</strong> berücksichtigt<br />

die Umwelt der Schüler. Damit ist<br />

nicht gemeint, dass die Lehrkraft keine oder<br />

nur wenige Möglichkeiten bezüglich der Themenauswahl<br />

hat. Dies würde auch der angestrebten<br />

Adaptivität widersprechen <strong>und</strong> mögliche<br />

Konflikte zu Richtlinien aufwerfen. Ziel<br />

sollte es vielmehr sein, aus den Rahmenbedingungen<br />

heraus Lernsituationen zu planen,<br />

die nicht die Schüler bloß berücksichtigen,<br />

sondern sie zum Ausgangspunkt der<br />

Überlegungen macht. Hierzu muss der Lehrer<br />

seine Schüler kennen <strong>und</strong> deren Umfeld<br />

<strong>und</strong> soziale Lage stetig analysieren (Meyer<br />

1987, 413). Soziale Verknüpfungen <strong>und</strong> die<br />

persönlichen Beziehung von Schülern <strong>und</strong><br />

Lehrer stellen nicht vernachlässigbare<br />

Aspekte der Planung <strong>und</strong> Durchführung von<br />

Unterricht dar. Subjektive Schülerinteressen<br />

sind dabei situationsspezifische, persönliche<br />

Bedürfnisse, Vorstellungen <strong>und</strong> Phantasien<br />

zum Unterricht (ebd.). Diese sind Schülern<br />

oft nur unbewusst bekannt, wirken jedoch<br />

trotzdem handlungsleitend.<br />

Des Weiteren sollten Schüler von Anfang an<br />

bei der Planung, Durchführung <strong>und</strong> Auswertung<br />

des Unterrichts beteiligt werden. Jeder<br />

Schritt ist Anregungen, Kritiken oder auch<br />

Handlungen von Schülern ausgesetzt. Unbe-<br />

161


Andreas Pallack<br />

gründete Schritte müssen plakativ als solche<br />

präsentiert <strong>und</strong> entweder begründet oder verworfen<br />

werden. Der Lehrer sucht in der eigenen<br />

persönlichen Vorplanung Elemente, welche<br />

Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Der<br />

Planungsprozess selbst erfolgt <strong>und</strong> vollzieht<br />

sich handlungsorientiert <strong>im</strong> Unterricht (Gudjons<br />

1997, 106).<br />

Durch die Produktbezogenheit sollte Handlungsorientierter<br />

Unterricht zu einer Öffnung<br />

von Schule führen. Zum einen wird Unterricht<br />

<strong>und</strong> die Beziehung von <strong>Lernen</strong>den <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong>den<br />

offener, zum anderen sollten Schüler<br />

Gelegenheit erhalten, ihre Erfahrungen oder<br />

Vermutungen nach außen zu tragen <strong>und</strong> hier<br />

zu überprüfen. Umgekehrt sollte auch das<br />

schulische Umfeld (z.B. Eltern oder Fre<strong>und</strong>e)<br />

Gelegenheit erhalten, auf die Handlungsprodukte<br />

zuzugreifen, <strong>und</strong> ggf. an ihnen Kritik zu<br />

äußern. Auch hierzu möchte ich auf das später<br />

vorgestellte WWP verweisen.<br />

Produktbezogenheit eröffnet auch die Chance,<br />

Kopf- <strong>und</strong> Handarbeit in ein ausgewogenes<br />

Verhältnis zu bringen. Kopfarbeit sind<br />

dabei <strong>im</strong>materielle, Handarbeit materielle<br />

Handlungen. Diese stehen in einer dynamischen<br />

Wechselwirkung zueinander. Das Verhältnis<br />

von Kopf- <strong>und</strong> Handarbeit sollte vor<br />

Durchführung einer Unterrichtseinheit weder<br />

festgelegt noch vorgeplant werden, da es<br />

stark schülerabhängig sein kann. Die Energie<br />

der Lehrer sollte pr<strong>im</strong>är in die Vorbereitung<br />

des Unterrichts eingehen. Unter Vorbereitung<br />

darf dabei nicht die exakte <strong>und</strong> haarkleine<br />

Planung verstanden werden. Vielmehr sollte<br />

der Lehrer vorab formulieren, in welcher Zeit<br />

welche kognitiven, affektiven <strong>und</strong> auch psychomotorischen<br />

Ziele <strong>und</strong> Fertigkeiten erreicht<br />

werden sollen. Hierauf können dann<br />

geeignete Provokationen aufbauen.<br />

Propagiert wird hier eine Form der Handlungsorientierung,<br />

die nahezu unmittelbar<br />

umsetzbar ist, also ein hinreichend adaptives<br />

Konzept. Die gegebenen Rahmenbedingungen<br />

werden ebenso berücksichtigt <strong>und</strong> akzeptiert<br />

wie das Umfeld <strong>und</strong> die am Unterrichtsprozess<br />

beteiligten Personen. Dies<br />

spiegelt sich auch in den folgenden Vorschlägen<br />

für einen handlungsorientierten <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

wieder, die zu den vorhergehenden<br />

Ausführungen kohärent sind.<br />

2.2 Vorschläge für einen handlungsorientierten<strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

<strong>Mathematik</strong> n<strong>im</strong>mt, wie es oft der Fall ist, eine<br />

Sonderrolle ein. So gibt es nur wenige Au-<br />

162<br />

toren, welche sich mit Handlungsorientierung<br />

auseinandersetzen <strong>und</strong> konkrete Beispiele<br />

zu deren Umsetzung <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

angeben. Auch Gudjons (1998, 120) betont,<br />

dass es naiv wäre anzunehmen, dass<br />

sich alle Fächer bruchlos handlungsorientiert<br />

lehren <strong>und</strong> lernen ließen. Als Beispiel führt er<br />

die Prozentrechnung an.<br />

Die folgenden Vorschläge dienen als Anregung<br />

<strong>und</strong> wurden unter Beachtung der <strong>im</strong> vorigen<br />

Abschnitt formulierten Merkmale handlungsorientierten<br />

Unterrichts entwickelt. Sie<br />

leiten auf konkrete Entscheidungen zur Planung<br />

des Unterrichts. Ich nehme dabei bewusst<br />

davon Abstand, mich vorab auf eine<br />

Jahrgangsstufe festzulegen. Ziel ist es vielmehr,<br />

Kriterien herauszuarbeiten, die bei der<br />

Planung von konkretem Statistikunterricht<br />

hilfreich sind <strong>und</strong> dann als Gr<strong>und</strong>lage für die<br />

noch folgende Darlegung der konkreten Entscheidungen<br />

dienen können.<br />

Realitätsbezug: Aufgaben <strong>und</strong> Probleme<br />

sollten <strong>im</strong> Statistikunterricht zum einen gesellschaftliche<br />

Relevanz, zum anderen hinreichenden<br />

Realitätsbezug bieten. Hierzu gehört,<br />

dass sich Schüler mit realen Daten auseinandersetzen.<br />

Der Umgang mit diesen ist<br />

meist unbequem <strong>und</strong> für Lehrer <strong>und</strong> Schüler<br />

mit Aufwand verb<strong>und</strong>en. Eine Möglichkeit,<br />

derartige Aufgaben <strong>und</strong> Probleme in den Unterricht<br />

zu integrieren, ist der früh einsetzende<br />

<strong>und</strong> stetig verfolgte Rechnereinsatz. Vor<br />

allem wünschenswert ist das Erlernen der<br />

Bedienung möglicher Werkzeuge. Das kann<br />

Derive, Maple, aber auch Excel oder ein anderes<br />

Programm sein. Schüler erlangen hiermit<br />

Fähig- <strong>und</strong> Fertigkeiten, welche sie erst in<br />

die Lage versetzen, in einem zeitlich angemessenen<br />

Rahmen Probleme mit Lebensbezug<br />

selbsttätig zu lösen. Betont sei an dieser<br />

Stelle, dass nicht gemeint ist, dass Statistikunterricht<br />

stets reale Probleme mit konkreten<br />

Messwerten zu Gr<strong>und</strong>e liegen müssen. Vielmehr<br />

sollte <strong>im</strong> Falle des Rückgriffs auf reale<br />

Messungen keine Beschönigungen oder<br />

nicht unbedingt notwendige Elementarisierungen<br />

durch die Lehrkraft vorgenommen<br />

werden. Es könnte sonst der Eindruck entstehen,<br />

dass statistische Daten für den <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

erf<strong>und</strong>en wurden <strong>und</strong><br />

nichts mit realen Problemen gemein haben.<br />

Fazit: Unbequeme Zahlen <strong>und</strong> Rechnungen<br />

nicht umgehen, sondern provozieren. Unterrichtsergänzende<br />

Werkzeuge berücksichtigen<br />

<strong>und</strong> ggf. direkt zu Beginn in den Unterricht<br />

integrieren.<br />

Schülerorientierung: <strong>Mathematik</strong>bücher geben<br />

häufig enge Lernwege vor. Im Rahmen<br />

eines schülerorientierten Unterrichts kann


somit ein Lehrbuch nicht einzige Gr<strong>und</strong>lage<br />

des Unterrichts sein. Es kann sehr wohl als<br />

Nachschlagewerk <strong>und</strong> Aufgabensammlung<br />

dienen. Des Weiteren bieten Schulbücher<br />

nur sporadisch Gelegenheit <strong>und</strong> Anregung,<br />

Handlungsprodukte zu erstellen. Das Hauptnachschlagewerk<br />

<strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>lage für Wiederholungen<br />

sollten für Schüler pr<strong>im</strong>är die eigenen<br />

<strong>im</strong> Unterricht <strong>und</strong> <strong>im</strong> Rahmen der<br />

Hausaufgaben angefertigten Unterlagen sein<br />

(Barzel 2001, 6). Zu Beginn dieses Abschnitts<br />

habe ich angeführt, wie hoch die Behaltquoten<br />

bei verschiedenen Methoden der<br />

Wissensaufnahme ist. Können Schüler den<br />

mathematischen Inhalt in eigenen Worten<br />

wiedergeben, erreichen sie eine höhere Behaltquote<br />

als lediglich be<strong>im</strong> Lesen desselben<br />

(zumindest wenn man die gezeigten Zahlen<br />

ernst n<strong>im</strong>mt). Aus dieser Perspektive ist es<br />

sinnvoll, das eigene Formulieren <strong>und</strong> Verschriftlichen<br />

zu fördern. Schüler sollen häufig<br />

Ergebnisse eigenständig formulieren <strong>und</strong> mit<br />

anderen Schülern abgleichen. Der Unterricht<br />

schmiegt sich so an die Schüler, deren Defizite,<br />

Fertigkeiten etc. an.<br />

Fazit: Nicht an Schulbücher klammern.<br />

Schüler so oft wie möglich Zusammenhänge<br />

selbstständig schriftlich <strong>und</strong> mündlich formulieren<br />

lassen. Bei Wiederholungen pr<strong>im</strong>är auf<br />

die schülereigenen Aufzeichnungen zurückgreifen.<br />

Erfahrungsbezug: Wenn Schüler etwas beobachten,<br />

sehen, hören, lesen oder auch erfahren,<br />

setzen sie dies in Verbindung zu früheren<br />

Erlebnissen. Sie verarbeiten so das<br />

neu Aufgenommene, das dann wieder<br />

Gr<strong>und</strong>lage für neue sinnliche Erfahrungen<br />

<strong>und</strong> deren Verarbeitung wird (Jank & Meyer<br />

1994, 313). Im Prozess der Verarbeitung<br />

werden Erfahrungen zu Haltungen verdichtet.<br />

Diese steuern das reale körperliche Handeln<br />

von <strong>Lernen</strong>den. Unterricht kann das nutzen.<br />

Durch Provokation werden Schüler motiviert,<br />

ihre eigenen Erfahrungen zu veröffentlichen.<br />

Auch hier ist es wieder Aufgabe des Lehrers,<br />

geeignete Provokationen zu finden. Im <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

könnte auf recht einfache<br />

Erfahrungen wie z.B. die schnelle Kurvenfahrt<br />

oder auch den bekannten Papierstapel<br />

auf dem he<strong>im</strong>ischen Schreibtisch zurückgegriffen<br />

werden. Bei solchen Erlebnissen haben<br />

Schüler keine Erfahrungen aus zweiter<br />

Hand übernommen. Sie haben sie mit mehreren<br />

Sinnen gleichzeitig erlebt. Unterricht,<br />

der Erfahrungsbezug fördert, schafft eine gute<br />

Gr<strong>und</strong>lage zur Generierung von Handlungsprodukten.<br />

Schüler bringen verstärkt eigene<br />

Empfindungen ein, veröffentlichen diese<br />

<strong>im</strong> Handlungsprozess <strong>und</strong> erhalten so verstärkt<br />

Gelegenheit etwas zu schaffen, mit<br />

Integration des <strong>Internet</strong>s <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

dem sie sich identifizieren können. Kurz: Unterricht<br />

wird intensiver erlebt, <strong>und</strong> nur so<br />

können sich die Schüler als ganze Person<br />

einbringen, was letztendlich auch ein Indikator<br />

für handlungsorientierten Unterricht ist<br />

(Bönsch 2000, 46).<br />

Fazit: Erfahrungen der Schüler bei der Modellierung<br />

von Provokationen berücksichtigen.<br />

Schüler dabei fördern, ihre eigenen<br />

(subjektiven) Erfahrungen in den Unterricht<br />

einzubringen. Diese Vorschläge stellen<br />

Richtlinien der Unterrichtsplanung dar.<br />

3 Zur Entwicklung der Beziehung<br />

von Schule <strong>und</strong><br />

Rechner, Chancen des<br />

Rechnereinsatzes<br />

Der Computer mit seinen Möglichkeiten<br />

drängt unaufhaltsam in die Schule, das Berufs-<br />

<strong>und</strong> Familienleben, also in fast alle gesellschaftlichen<br />

Bereiche. Dabei finden sich<br />

zwischen diesen <strong>im</strong>mer mehr Überschneidungen,<br />

welche deren einst disjunkte Natur<br />

schwinden lässt. Der Computer hat viele Lebensbereiche<br />

<strong>im</strong> Sturm durchdrungen <strong>und</strong><br />

kann nur von wenigen Wirtschafts- <strong>und</strong> Wissenschaftszweigen<br />

unserer westlichen Gesellschaft<br />

ignoriert werden. Die Lebensrealität<br />

unserer Schüler ist an diese Entwicklung<br />

gekoppelt. Sie leben in einer Welt, in der die<br />

von den neuen Medien ausgehende Informationsflut<br />

nicht mehr überschaubar ist. Viele<br />

integrieren neue Vokabeln wie Virtual-Reality,<br />

Cyberspace oder MP-3 fest in ihren Wortschatz.<br />

Die rasante technische Entwicklung<br />

schuf auch neue Anforderungen. Viele Schüler<br />

werden von den Existenzstrategien ihrer<br />

Eltern Abstand nehmen müssen <strong>und</strong> gezwungen<br />

sein, vielschichtige Flexibilität zu<br />

erlangen, welche die Anpassung an das stetig<br />

wandelnde Umfeld erst ermöglicht (Hole<br />

1998, 7). Das Gelernte veraltet so schnell<br />

wie nie zuvor. Starre Strukturen, ohne hinreichende<br />

Dynamik scheinen nicht mehr geeignet,<br />

um <strong>im</strong> Berufsleben bestehen zu können.<br />

Vielmehr sind es flexible Fähigkeiten wie<br />

schnelles Umlernen oder schnelles Einarbeiten<br />

in Neuerungen, die mögliche Garanten<br />

für den Erfolg <strong>im</strong> Beruf repräsentieren (Heymann<br />

1996, 56f, Papert 1994, 21). Immer<br />

wichtiger werden dabei Qualifikationen wie<br />

selbstständiges Arbeiten, Organisationsfähigkeit,<br />

Kreativität be<strong>im</strong> Umgang mit Problemen,<br />

Team- <strong>und</strong> Kooperationsfähigkeit, aber auch<br />

das Ergreifen von Initiativen <strong>und</strong> das Übernehmen<br />

von Verantwortung (Gudjons 1998,<br />

163


Andreas Pallack<br />

108). Nicht zuletzt wird künftig erwartet, dass<br />

Schulabsolventen Informationsnetze <strong>und</strong><br />

vernetzte Computer kompetent nutzen <strong>und</strong><br />

Daten effektiv selektieren können (Schulmeister<br />

1997, 8).<br />

Das Aussparen eines möglichen Rechnereinsatzes<br />

ignoriert Teile des Lebensumfelds<br />

von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen. Schüler werden<br />

darin bestätigt, dass die schulische Ausbildung<br />

nichts oder nur wenig mit ihrer jetzigen<br />

<strong>und</strong> zukünftigen Lebenswelt gemein hat<br />

(Maier 1998, 165, aber auch Frey 1998, 71).<br />

Die neuen Technologien scheinen somit den<br />

schulischen Bereich von der Lebenswelt der<br />

Schüler zu trennen. Papert (1994, 59–78) hat<br />

diese Entwicklung beobachtet <strong>und</strong> beschrieben.<br />

Er spricht von einer Immunreaktion des<br />

Systems Schule. Nachdem die ersten Rechner<br />

Einzug in die Schule hielten, wurde versucht,<br />

alte Methoden <strong>und</strong> Inhalte mit Hilfe<br />

des Rechners umzusetzen. Er sollte in das<br />

traditionelle Bild eingebaut werden. Da dies<br />

langfristig nicht sinnvoll erschien, versuchte<br />

das System Schule, ihn abzusondern. Es<br />

wurde sogar ein eigenes Fach für ihn geschaffen.<br />

Nach <strong>und</strong> nach erfolgt nun eine<br />

sinnvolle Integration, die <strong>im</strong>mer noch von<br />

heftigen Abwehrreaktionen begleitet wird.<br />

Aus dieser Sicht kann die Beziehung von<br />

Schule <strong>und</strong> Rechner zur Zeit noch als pathologisch<br />

bezeichnet werden.<br />

Wie kann jedoch Schule <strong>und</strong> vor allem der<br />

<strong>Mathematik</strong>unterricht von diesem Wandel<br />

<strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>enen Innovation profitieren?<br />

Kayser schrieb in Bezug auf den Einsatz<br />

von Derive <strong>im</strong> Rahmen des schulischen<br />

<strong>Mathematik</strong>unterrichts:<br />

"Arbeitsaufträge an die <strong>Lernen</strong>den <strong>—</strong> in Partner-<br />

oder Gruppenarbeit auszuführen <strong>—</strong> können<br />

nun offener formuliert werden, unsere<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler lernen, <strong>im</strong> Team<br />

zu arbeiten <strong>und</strong> Verantwortung für eine gemeinsame<br />

Aufgabe zu übernehmen, fachübergreifende<br />

Themen werden zugänglich,<br />

<strong>Mathematik</strong>unterricht wird effizienter, spannender,<br />

<strong>und</strong> zwar für <strong>Lernen</strong>de <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong>de."<br />

(Kayser 1995, 8)<br />

Aufgr<strong>und</strong> der breiten Praxiserfahrung des<br />

angeführten Autors unterstelle ich, dass die<br />

angerissenen positiven Assoziationen (offener,<br />

Team, Verantwortung, gemeinsame Aufgabe,<br />

fächerübergreifend, effizienter, spannender)<br />

nicht Spekulation, sondern authentische<br />

Erfahrungen sind. Der Rechner erweitert<br />

das Spektrum der unterrichtlichen Möglichkeiten<br />

<strong>im</strong>mens. Trotzdem ist es <strong>im</strong>mer<br />

noch von der Lehrkraft <strong>und</strong> deren Konzeption<br />

abhängig, ob der Rechner-Einsatz fruchtbar<br />

ist.<br />

164<br />

"Wer <strong>im</strong> Unterricht keinen Computer einsetzt<br />

ist noch lange kein pädagogischer Neandertaler!";<br />

"Wer einen Computer in sein Klassenz<strong>im</strong>mer<br />

stellt, ist deshalb noch lange kein<br />

moderner Pestalozzi." (Huber 1998, 37)<br />

Dieses Zitat unterstreicht, dass die durch den<br />

Rechner ermöglichte Innovation, nicht von<br />

den Geräten selbst ausgeht. Vielmehr müssen<br />

Schüler die Notwendigkeit entdecken,<br />

dass der Einsatz nicht nur gerechtfertigt,<br />

sondern notwendig, sinnvoll oder zumindest<br />

<strong>im</strong>mens arbeitserleichternd ist (Hole 1998,<br />

43). Des Weiteren muss die Lehrkraft geeignete<br />

Provokationen entwickeln, welche den<br />

Unterricht f<strong>und</strong>ieren <strong>und</strong> dessen Inhalte motivieren.<br />

Die Integration des Rechners in traditionelle<br />

Unterrichtsstrukturen, also meist<br />

Frontalunterricht (Meyer 1987, 61), scheint<br />

nicht oder nur bedingt sinnvoll. Hier kann der<br />

Rechner zwar geschickt substituieren, jedoch<br />

keine, bzw. nur beschränkt Neuerungen induzieren.<br />

In günstigen Fällen werden affektive<br />

Lernziele des Unterrichts st<strong>im</strong>uliert.<br />

4 Integration von Aspekten<br />

der Handlungsorientierung<br />

<strong>im</strong> Statistikunterricht<br />

"Die Fähigkeit, vorgelegte Statistiken<br />

zu verstehen, zu interpretieren, sich<br />

von ihnen nicht manipulieren zu lassen<br />

<strong>und</strong> auch Statistiken selber zu erzeugen,<br />

hat <strong>im</strong> Hinblick auf die Lebensvorbereitung,<br />

auf die Weltorientierung<br />

<strong>und</strong> auf den kritischen Vernunftgebrauch<br />

einen hohen allgemeinbildenden<br />

Wert." (Hole 1998, 138)<br />

Handlungsorientierter Unterricht erfordert eine<br />

Provokation. Nachdem mir die Interessenfelder<br />

der Schüler einigermaßen bekannt <strong>und</strong><br />

auch ihre Pausengewohnheiten kein Gehe<strong>im</strong>nis<br />

mehr waren, schien es lohnenswert,<br />

die ges<strong>und</strong>heitsschädigende Wirkung von<br />

Tabak auf die Tagesordnung zu bringen. In<br />

einer frühen Phase des Unterrichts wurden<br />

die Schüler mit folgenden fiktiven Daten konfrontiert:<br />

In zwei Städten wurden jeweils sechs Todesfälle<br />

mit der Ursache Lungenkrebs dahingehend<br />

analysiert, ob <strong>und</strong> wie viele Zigaretten<br />

die Personen <strong>im</strong> Zeitraum der letzten zehn<br />

Jahre pro Tag konsumierten, mit folgenden<br />

Ergebnissen:


Stadt 1:<br />

Zigaretten pro Tag 40 5 20 0 20 10<br />

Lungenkrebs <strong>im</strong> Alter von 40 71 63 60 68 69<br />

Stadt 2:<br />

Zigaretten pro Tag 20 3 22 4 40 15<br />

Lungenkrebs <strong>im</strong> Alter von 50 71 68 75 36 62<br />

Es wurde zur Diskussion gestellt, ob man<br />

aufgr<strong>und</strong> der gegebenen Daten von einem<br />

Zusammenhang zwischen Zigarettenkonsum<br />

der Lungenkrebssterblichkeit sprechen kann.<br />

Was ein Zusammenhang ist <strong>und</strong> wie man ihn<br />

quantifizieren kann, war zu diesem Zeitpunkt<br />

offen <strong>und</strong> Gegenstand der Diskussion. Die<br />

Schüler entwickelten Ideen, wie man mit den<br />

Daten verfahren könnte. Es zeigte sich dabei,<br />

dass pr<strong>im</strong>är univariate Strategien wie<br />

Auszählen <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong> standen. Schnell<br />

wurde klar, dass die bisher bekannten Methoden<br />

keine befriedigende Antworten lieferten.<br />

Es entwickelte sich ein guter Nährboden<br />

zur Vorstellung des Korrelationskoeffizienten<br />

<strong>und</strong> der Methode der linearen Regression zur<br />

Beschreibung linearer Zusammenhänge von<br />

intervallskalierten Daten.<br />

Die Schüler bekamen die Aufgabe, selbst eine<br />

Untersuchung durchzuführen <strong>und</strong> auszuwerten.<br />

Festgelegt wurden lediglich die Rahmenbedingungen:<br />

"Mindestens 40 Probanden";<br />

"mindestens 6 Testitems, wobei mindestens<br />

zwei nominalskaliert zu wählen<br />

sind"; "es müssen begründet Zusammenhänge<br />

zwischen den Items vermutet werden".<br />

Inhaltlich waren die Schüler in ihrer<br />

Wahl völlig frei.<br />

Da sich der übliche Korrelationskoeffizient<br />

zum Vergleich nominalskalierter Daten nicht<br />

eignet, waren die Schüler gezwungen, die<br />

vorgestellte Methode hinreichend zu reflektieren<br />

<strong>und</strong> ihren Einsatz abzuwägen.<br />

Ein weiteres zentrales Ziel der geplanten<br />

Einheit war, dass die Schüler sich mit einer<br />

von ihnen gewählten Aufgabenstellung identifizieren<br />

können <strong>und</strong> so den direkten Bezug<br />

des <strong>Mathematik</strong>unterrichts zu sich <strong>und</strong> ihrer<br />

Umwelt herstellen konnten. In Kap. 2 wurden<br />

bereits Kriterien für einen Handlungsorientierten<br />

Unterricht erarbeitet. Für die Behandlung<br />

von Korrelation <strong>und</strong> Regression kann<br />

man die Kriterien wie folgt konkretisieren:<br />

Realitätsbezug: Um Realitätsbezug zu gewährleisten,<br />

sollen die Schüler authentische<br />

Daten messen <strong>und</strong> auswerten. Das Problem<br />

wurde selbst gewählt <strong>und</strong> Fragestellungen<br />

hierzu selbst entwickelt. Bei der Unterrichtsreihe<br />

wurde ein Rechner (TI92) direkt zu Beginn<br />

der Einheit in den Unterricht integriert,<br />

Integration des <strong>Internet</strong>s <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

um die Auswertung selbst gemessener Daten<br />

zu ermöglichen.<br />

Schülerorientierung: Die Schüler wurden<br />

durch einen Terminplan angehalten, ihre<br />

Ideen <strong>und</strong> Vorschläge in regelmäßigen Abständen<br />

zu formulieren <strong>und</strong> darzulegen.<br />

Ebenfalls eingeb<strong>und</strong>en waren Kurzvortragsphasen,<br />

in welchen die Schüler ihre Ideen<br />

anderen Schülern vorstellten. Ein Schulbuch<br />

(Cöster, Griesel et al. 1999) lag den Schülern<br />

als Nachschlagewerk vor <strong>und</strong> wurde nicht<br />

explizit eingeb<strong>und</strong>en. Weitere Literatur wurde<br />

für die Zeit des Projekts zur Verfügung gestellt.<br />

Erfahrungsbezug: Die <strong>im</strong> Unterricht vorgestellten<br />

Provokationen boten den Schülern<br />

lediglich Impulse für eigene Ideen. Sie waren<br />

nicht so angelegt, dass den Schülern ein<br />

konkretes Problem nahegelegt wurde. Diese<br />

wurden vielmehr dazu motiviert, ihre eigene<br />

Erfahrungswelt in Kleingruppen einzubringen<br />

<strong>und</strong> auf dieser Gr<strong>und</strong>lage Hypothesen zu<br />

entwickeln <strong>und</strong> zu formulieren.<br />

5 WWP <strong>—</strong> World Wide<br />

Publishing<br />

"Durch die Präsentation <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

wird der enge Klassenrahmen aufgehoben<br />

<strong>und</strong> eine starke Motivation geschaffen,<br />

da die ganze Welt zuschaut."<br />

(Gierhardt 2000)<br />

Handlungsorientierung <strong>und</strong> auch die Projektmethode<br />

sehen meist die Publikation der Ergebnisse<br />

vor. Neben den traditionellen Medien<br />

stehen nunmehr auch elektronische, wie<br />

z.B. das <strong>Internet</strong>, zur Verfügung. In der zu<br />

Gr<strong>und</strong>e gelegten Arbeit wurde das <strong>Internet</strong><br />

zur Publikation von Schülerergebnissen genutzt.<br />

Das WWP soll kein neues Schlagwort<br />

für das ''Ins-Netz-Stellen'' sein, sondern<br />

nachhaltig Eigenschaften des elektronischen<br />

Publizierens <strong>im</strong> Rahmen einer Lernumgebung<br />

unterstreichen.<br />

Den Beteiligten wird unmittelbar bewusst<br />

(gemacht), dass die Informationen <strong>und</strong> Ausarbeitungen,<br />

welche <strong>im</strong> Netz bereit gestellt<br />

werden, weltweit verfügbar sind. Ebenfalls<br />

wird betont, dass die Ergebnisse publiziert,<br />

d.h. der Öffentlichkeit zugänglich sind. Schule<br />

öffnet sich nach außen. Eltern, Bekannte,<br />

Fre<strong>und</strong>e oder andere Interessierte haben die<br />

Möglichkeit, r<strong>und</strong> um die Uhr auf unterrichtsbezogene<br />

Seiten zuzugreifen. Im Gegensatz<br />

zum einseitigen "Ins-Netz-Stellen'' soll der<br />

Begriff des WWP auch <strong>im</strong>plizieren, dass Re-<br />

165


Andreas Pallack<br />

sonanz auf die Publikation nicht nur erlaubt,<br />

sondern sogar gefordert wird.<br />

Be<strong>im</strong> WWP stellen Schüler eigenverantwortlich<br />

<strong>und</strong> selbstständig angefertigte Handlungsprodukte<br />

<strong>im</strong> <strong>WWW</strong> aus. Die Handlungsprodukte<br />

sind unmittelbar mit Namen verknüpft.<br />

Es ist somit für Außenstehende oder<br />

Interessierte unmittelbar einsehbar, wer welches<br />

Produkt mitgestaltet hat. Per E-Mail<br />

oder in etwaiger anderer Schriftform kann<br />

Lob oder Kritik an den Produkten geäußert<br />

werden.<br />

5.1 Inhalt <strong>und</strong> Struktur einer<br />

WWP<br />

In der Präsentation stellen Schüler ihre Ausarbeitungen<br />

vor. Diese sollen folgende Aspekte<br />

berücksichtigen:<br />

Die Ausgangssituation: Schüler sollen das<br />

Problem nochmals in eigenen Worten formulieren.<br />

Die Texte sollen so gestaltet werden,<br />

dass Unbeteiligte schnell einen Überblick<br />

über Ziel <strong>und</strong> Inhalt der Untersuchungen erhalten<br />

können.<br />

Die Lösungsansätze: Den Aufzeichnungen<br />

der Schüler werden meist Lösungs- bzw. Bearbeitungsansätze<br />

zu entnehmen sein. Diese<br />

müssen dem Problem angepasst sein <strong>und</strong><br />

die Anwendung adäquater Methoden <strong>im</strong>plizieren.<br />

Der Lösungsprozess: Wie wurde der Lösungsansatz<br />

umgesetzt, welche Hilfsmittel<br />

wurden benötigt, welche Experten befragt?<br />

Sowohl vorzeitig abgebrochene als auch gelungene<br />

Ansätze sollten hier Platz finden, um<br />

den Prozess hinreichend genau darstellen zu<br />

können.<br />

Die Ergebnisse: Schließlich sollten die gewonnenen<br />

Ergebnisse umfassend auf den<br />

Webseiten präsentiert werden. Sie sind das<br />

zentrale Element des WWP. Hier sollten die<br />

Schüler auch eine Abschätzung der Tragfähigkeit<br />

<strong>und</strong> der Reichweite ihrer Resultate<br />

vornehmen. Ergebnisse können dabei auch<br />

neue Erkenntnisse sein.<br />

Diese Elemente prägen die inhaltliche D<strong>im</strong>ension<br />

von WWP. Ihre strukturelle D<strong>im</strong>ension<br />

wird durch die Navigationsmöglichkeit<br />

<strong>im</strong> <strong>Internet</strong> charakterisiert. <strong>Internet</strong>seiten sind<br />

meist durch Hyperlinks miteinander verb<strong>und</strong>en<br />

(Papert 1998, 14). So verknüpfte Texte<br />

heißen Hypertexte. Werden auch graphische<br />

<strong>und</strong> mult<strong>im</strong>ediale Elemente eingeb<strong>und</strong>en,<br />

spricht man von Hypermedia (Mikelskis<br />

1999, 64, Schulmeister 1997, 247). WWP<br />

soll diese Möglichkeit nutzen. Schüler kön-<br />

166<br />

nen so auf Beziehungen zwischen einzelnen<br />

Elementen des WWP verweisen. Zwischen<br />

Problem, Lösungsansatz, Lösungsprozess<br />

<strong>und</strong> Ergebnis kann sich eine dynamische individuelle<br />

Struktur entwickeln, welche durch<br />

die Arbeit der Schüler geprägt wird. Diese<br />

haben so die Möglichkeit, den Weg vom<br />

Problem zu dessen Lösung relativ weit nachzuvollziehen.<br />

Um den Prozess authentisch<br />

darstellen zu können, müssten die einzelnen<br />

Elemente des WWP begleitend erstellt werden.<br />

5.2 Schüler be<strong>im</strong> WWP, Phasen<br />

der Erarbeitung<br />

Die Schüler sind vor <strong>und</strong> nach der Veröffentlichung<br />

der Seiten verantwortlich für ihr Produkt.<br />

Der Lernprozess ist aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

mit der Veröffentlichung nicht abgeschlossen.<br />

Die Beteiligten haben stetig Zugriff auf<br />

alle Handlungsprodukte der eigenen oder<br />

auch fremder Gruppen <strong>und</strong> können diese<br />

durch unmittelbare Kontaktaufnahme mit<br />

dem jeweiligen Verfasser hinterfragen, kritisieren<br />

oder auch loben. Im Konzept des<br />

WWP ist es vorgesehen, dass mindestens<br />

die teilnehmenden Schüler nach der Publikation<br />

zu jedem Handlungsprodukt in Form eines<br />

Kurzgutachtens Stellung nehmen. Der<br />

Kurs soll so intern mögliche Schwachstellen<br />

in den Webseiten aufspüren <strong>und</strong> diese<br />

selbstregulierend beseitigen.<br />

Die Schüler sind bereits während des Unterrichtsprozesses<br />

gehalten, jeden ihrer Schritte<br />

zu dokumentieren. Auch während der Dokumentation<br />

werden die Ergebnisse erneut diskutiert<br />

<strong>und</strong> evtl. auch revidiert. Um ihre Präsentation<br />

vorab <strong>im</strong> kleinen Rahmen zu testen,<br />

kann einzelnen Gruppen Gelegenheit<br />

gegeben werden, ihre Seiten anderen Gruppen<br />

in Form eines Referats oder durch die<br />

Präsentation ihrer Seiten <strong>im</strong> Intranet der<br />

Schule vorzustellen. Anschließend besteht<br />

wiederum die Möglichkeit, die Präsentation<br />

zu verbessern oder ggf. zu erneuern.<br />

Schließlich folgen die Veröffentlichung <strong>im</strong><br />

Netz <strong>und</strong> die Kurzgutachten der anderen<br />

Gruppen. Nach der Korrektur aufgr<strong>und</strong> der<br />

Kurzgutachten wird eine vorläufig endgültigen<br />

Version veröffentlicht.<br />

Abbildung 1 fasst die verschiedenen Phasen<br />

der Gruppenarbeit zusammen <strong>und</strong> stellt eine<br />

mögliche Verknüpfung derselben dar. Natürlich<br />

kann auch jederzeit aus einer der späteren<br />

Phasen in eine frühere gewechselt werden.<br />

Die Darstellung aller möglichen Kombinationen<br />

unterbleibt jedoch aus Gründen der<br />

Übersichtlichkeit. Kanten, die vom WWP-


WWP<br />

Problem, Provokation<br />

Ideen, Lösungsansätze<br />

Testen der Ideen,<br />

Lösungsprozess<br />

Ergebnis, Fertigstellung<br />

Webseiten<br />

Referate, Intranet<br />

<strong>WWW</strong>-Publikation Stufe 1<br />

Kurzgutachten<br />

<strong>WWW</strong>-Publikation Stufe 2<br />

Abb. 1<br />

Abb. 2<br />

Integration des <strong>Internet</strong>s <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

ten wegzeigen, bedeuten, dass hier Informationen<br />

aus dem WWP entnommen werden.<br />

Weisen die Kanten auf den WWP-Knoten, so<br />

wird es mit Informationen gefüllt, bzw. bearbeitet.<br />

Das Diagramm repräsentiert die dynamische<br />

Struktur der hier modellierten Lernumgebung.<br />

Abbildung 2 zeigt die Einbettung<br />

des WWP in das Gesamtkonzept.<br />

Sowohl schulische als auch außerschulische<br />

Aktivitäten führen zu den Produkten des Unterrichts.<br />

Bindende Glieder zwischen den beiden<br />

Bereichen waren der TI92, die Aufzeichnungen<br />

der Schüler, aber auch das Schulbuch<br />

oder das den Schülern zur Verfügung<br />

gestellte Beispiel. Andere Elemente der Lernumgebung<br />

sind hingegen streng schulischen<br />

oder außerschulischen Bereichen zugeordnet.<br />

Die Dynamik wird durch das WWP-Konzept<br />

best<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> durch den festgesetzten<br />

Terminplan geleitet. Klar wird an dieser Stelle<br />

nochmals die Rolle des Lehrers. Auf viele<br />

Bereiche der Lernumgebung hat er keinen<br />

oder nur wenig Einfluss. Vielmehr steht er<br />

beratend <strong>im</strong> Unterricht oder als Experte per<br />

Mail zur Verfügung. Die Initiative hierzu muss<br />

jedoch von den Schülern ausgehen. Auch visualisiert<br />

wurde, dass die Schüler ausgehend<br />

von einem Problem kognitiver Natur zu einem<br />

Handlungsprodukt geleitet werden. Das<br />

Schema genügt, nicht zuletzt aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>, dem Planungsraster Handlungsorientierten<br />

Unterrichts (Meyer 1987, 405ff).<br />

167


Andreas Pallack<br />

6 Erfahrungen mit dem<br />

Konzept<br />

Insgesamt wurden vier Untersuchungen von<br />

den Schülern durchgeführt <strong>und</strong> ausgewertet.<br />

Ich beschränke mich an dieser Stelle auf die<br />

Schilderung einer einzigen Arbeit. Zur Zeit<br />

(28.10.2003) können die Präsentationen <strong>und</strong><br />

die Schülergutachten unter der URL<br />

http://www.uni-essen.de/mathematik-online/<br />

stat_schu.html eingesehen werden. Ich werde<br />

mich bemühen, die Seiten zu erhalten.<br />

Sollten die Seiten nicht mehr abrufbar sein,<br />

stelle ich Ihnen selbige gerne nach kurzer<br />

Mail an andreas@pallack.de zur Verfügung.<br />

6.1 Beispiel für eine Schülerpräsentation:<br />

Qualm&Co<br />

Die Webseite zeigt drei Versionen der Präsentation<br />

zu Fragen des Tabakkonsums.<br />

Speziell wurde den Fragen nachgegangen,<br />

ob das Rauchen einer Person <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

steht zu körperlichen Daten (z.B.<br />

Schuhgröße), dem Essverhalten, dem familiären<br />

Umfeld oder auch der Freizeitgestaltung<br />

(Aktivitäten <strong>im</strong> Sportverein). In einer frühen<br />

Version sind sowohl fachliche als auch methodische<br />

Mängel zu finden. Die Qualität der<br />

Arbeit verbesserte sich jedoch mit jeder Aktualisierung.<br />

Die Gruppe nutzte auch fremde<br />

Informationsquellen zur Stützung ihrer Hypothesen.<br />

Die Daten werden dem Leser zur<br />

Verfügung gestellt <strong>und</strong> so entsprechende<br />

Transparenz geschaffen. Die letzte Version<br />

der Arbeit wurde in HTML geschrieben. Das<br />

zeigt, dass sich einzelne Gruppenmitglieder<br />

Fähigkeiten aneigneten, die <strong>im</strong> Unterricht<br />

nicht systematisch behandelt wurden. Die<br />

Gruppe ging konstruktiv mit Skalierungsproblemen<br />

um <strong>und</strong> reagierte flexibel bei der<br />

Auswertung der Daten. Auf die Darstellung<br />

von Regressionsgeraden wurde begründet<br />

verzichtet. Dem Leser werden keine fertigen<br />

Ergebnisse vorgelegt, sondern schrittweise<br />

deren Entwicklung dargeboten. Auch der<br />

Rückgriff auf Kreuztabellen ist gelungen. Methodisch<br />

fehlten den Schülern natürlich die<br />

Möglichkeiten, diese systematisch auszuwerten<br />

(z.B. Test von Mc. Nemar). Die Darstellung<br />

des Hauptergebnisses (wenn Eltern<br />

Raucher sind, so auch die Kinder) wird stringent<br />

verfolgt <strong>und</strong> kann durchaus als gelungen<br />

bezeichnet werden.<br />

168<br />

6.2 Erfahrungen mit dem Publikationsorgan<br />

<strong>Internet</strong><br />

Das <strong>Internet</strong> als Publikationsfläche wurde<br />

akzeptiert. Auf der Seite konnten während<br />

der Unterrichtsreihe überdurchschnittlich viele<br />

Hits verzeichnet werden. Der Preis, der für<br />

die Attraktivität der Seite gezahlt werden<br />

musste, war jedoch relativ hoch. Weder der<br />

sichere Umgang aller Schüler mit Textverarbeitungssystemen,<br />

noch die unterstellte Fertigkeit,<br />

mit Leichtigkeit HTML-Dateien zu erstellen,<br />

war gegeben. Teilweise arbeiteten<br />

die Schüler aus diesem Gr<strong>und</strong> handschriftlich<br />

oder benutzten den Rechner als eine Art<br />

Schreibmaschine. Ständig mussten Texte<br />

eingescannt, eingelesen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Netz bereitstellt<br />

werden. Dies bedeutete, vor allem bei<br />

den Gutachten, einen <strong>im</strong>mensen Zeitaufwand.<br />

Im konkreten Fall der betrachteten Unterrichtsreihe<br />

war ein systematisches Training<br />

der Fertigkeiten aus verschiedenen organisatorischen<br />

Gründen nicht möglich.<br />

Trotzdem lernten einige Schüler bis zum Ende<br />

der Reihe den Umgang mit entsprechenden<br />

Werkzeugen. Die Struktur von WWP halte<br />

ich jedoch generell für geeignet, selbstregulierende<br />

Prozesse anzuregen. Rückblickend<br />

würde ich jedoch zusätzlich die Möglichkeit<br />

geben, Wandzeitungen o.ä. zu erstellen,<br />

um auch diejenigen Schüler intensiver<br />

anzusprechen, die noch keine derart enge<br />

Beziehung zu den neuen Medien haben.<br />

6.3 Schlussbemerkungen<br />

Die Durchführung der Unterrichtsreihe war<br />

geprägt von vielen organisatorischen Problemen<br />

(wie zum Beispiel der Tatsache, dass<br />

die Schüler in der Schule nicht am PC arbeiten<br />

konnten). Mittlerweile haben sich die<br />

Rahmenbedingungen erheblich verbessert<br />

(man darf nicht vergessen, dass die Unterrichtsreihe<br />

<strong>im</strong> Jahr 2000 durchgeführt wurde!).<br />

Dass ein mobiles Werkzeug wie der<br />

TI92 für die Dauer der Reihe zur Verfügung<br />

stand, war in vielerlei Hinsicht positiv: Die<br />

Schüler spielten mit den Daten <strong>und</strong> probierten<br />

auch ungewöhnliche Ideen aus. Zusätzlich<br />

nutzten viele <strong>im</strong> He<strong>im</strong>bereich das Tabellenkalkulationsprogramm<br />

EXCEL. Die eigentliche<br />

Verknüpfung von der Arbeit <strong>im</strong> He<strong>im</strong><strong>und</strong><br />

<strong>im</strong> Schulbereich leistete jedoch die Präsenz<br />

des Taschencomputers.<br />

Welche Wechselwirkungen Schule <strong>und</strong> WWP<br />

oder das <strong>Internet</strong> <strong>im</strong> Allgemeinen langfristig<br />

auszeichnen wird, ist sicher noch nicht absehbar.<br />

Die Einsatzgebiete sind vielfältig (s.<br />

Weigand & Weth 2002, 245–255, <strong>und</strong> natür-


lich die Beiträge in diesem Tagungsband)<br />

<strong>und</strong> auf den ersten Blick meist äußerst attraktiv<br />

<strong>und</strong> vielversprechend. Trotzdem kann<br />

nicht verhindert werden, dass sich viele Konzepte<br />

in der Praxis langfristig nicht bewähren<br />

oder recht schnell dem Zeitgeist zum Opfer<br />

fallen. Inwiefern das auch für unterrichtsbezogene<br />

Online-Publikationen von Schülern<br />

gilt, bleibt abzuwarten.<br />

Literatur<br />

Barzel, Bärbel (2001): Anders unterrichten <strong>—</strong> aber<br />

wie? In: mathematik lehren 104, 4–6<br />

Beckmann, Astrid (1999): Formen der Handlungsorientierung<br />

als Ansatz für eine unterrichtliche<br />

Umsetzung, Beispiel: Einführung ganzrationaler<br />

Funktionen. In: mathematica didacta 22,<br />

78–96<br />

Bönsch, M. (2000): Unterrichtsmethoden konstruieren<br />

Lernwege. In: Norbert Seibert (2000):<br />

Unterrichtsmethoden kontrovers ... Bad Heilbrunn:<br />

Klinkhardt, 23–69<br />

Breuer, B., B. Hermann-Wyrwa et al. (2000): Leistungsbeurteilung<br />

in offenen Unterrichtsphasen,<br />

Essen: Neue Deutsche Verlagsgesellschaft<br />

Bruner, Jerome (1974): Entwurf einer Unterrichtstheorie.<br />

Berlin: Berlin Verlag<br />

Cöster, G., Heinz Griesel et al. (1999): Elemente<br />

der <strong>Mathematik</strong> 11. Hannover: Schroedel<br />

Freudenthal, Hans (1970): <strong>Mathematik</strong> als pädagogische<br />

Aufgabe. Band 1. Stuttgart: Klett<br />

Frey, K. (1998): Die Projektmethode. Weinhe<strong>im</strong>:<br />

Beltz<br />

Gierhardt, H. (2000): <strong>Lernen</strong> mit Mult<strong>im</strong>edia.<br />

www.gierhardt.de <strong>und</strong> Methodenhandbuch<br />

DFU. Bonn: Varus<br />

Gudjons, H. (1997): Handlungsorientiert lehren<br />

<strong>und</strong> lernen. Bad Heilbrunn: Klinkhardt<br />

Gudjons, H. (1998): Didaktik zum Anfassen. Bad<br />

Heilbrunn: Klinkhardt<br />

Heymann, Hans-Werner (1996): Allgemeinbildung<br />

<strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong>. Weinhe<strong>im</strong>: Beltz<br />

Hole, Volker (1998): Erfolgreicher <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

mit dem Computer. Donauwörth: Auer<br />

Horstmann, K., J. Meyer-Lerch et al. (1987):<br />

Handlungsorientierung <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht.<br />

In: mathematik lehren 25, 6–9<br />

Huber, P. (1998): Handreichung zum Einsatz des<br />

Computers in der Gr<strong>und</strong>schule. München:<br />

Staatsinstitut für Schulpädagogik <strong>und</strong> Bildungsforschung<br />

Integration des <strong>Internet</strong>s <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

Jank, W. & H. Meyer (1994): Didaktische Modelle.<br />

Berlin: Cornelsen Scriptor<br />

Kayser, H.-J. (1995): Neue Medien <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

<strong>—</strong> Derive mehr als nur ein Assistent.<br />

Soest: Landesinstitut für Schule <strong>und</strong> Weiterbildung<br />

Kl<strong>im</strong>sa, Paul (2002): Mult<strong>im</strong>edianutzung aus psychologischer<br />

<strong>und</strong> didaktischer Sicht. Information<br />

<strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> mit Mult<strong>im</strong>edia <strong>und</strong> <strong>Internet</strong>.<br />

In: Ludwig J. Issing & Paul Kl<strong>im</strong>sa (Hrsg.)<br />

(2002): Information <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> mit Mult<strong>im</strong>edia<br />

<strong>und</strong> <strong>Internet</strong>. Weinhe<strong>im</strong>: Beltz PVU, 3. Auflage,<br />

5–17<br />

Kütting, Herbert (1994): Beschreibende Statistik<br />

<strong>im</strong> Schulunterricht. Mannhe<strong>im</strong> u.a.: BI Wissenschaftsverlag<br />

Maier, W. (1998): Gr<strong>und</strong>kurs Medienpädagogik,<br />

Mediendidaktik. Weinhe<strong>im</strong>: Beltz<br />

Meyer, H. (1987): Unterrichtsmethoden II. Berlin:<br />

Cornelsen Scriptor<br />

Mikelskis, H. (1999): Physik lernen mit interaktiver<br />

Hypermedia: Eine empirische Pilotstudie. Zeitschrift<br />

für Didaktik der Naturwissenschaften 1,<br />

63–74<br />

Möller, R. (1999). Lernumgebungen <strong>und</strong> selbstgesteuertes<br />

<strong>Lernen</strong>. Mult<strong>im</strong>edia, Chancen für die<br />

Schule. In: Dorothee Meister & U. Sander<br />

(1999): Mult<strong>im</strong>edia, Chancen für die Schule.<br />

Kriftel: Luchterhand, 140–154<br />

NRW MSWWF (1999): Sek<strong>und</strong>arstufe II Gymnasium/Gesamtschule<br />

Richtlinien <strong>und</strong> Lehrpläne<br />

<strong>Mathematik</strong>. Frechen: Ritterbach<br />

Pallack, Andreas (2003): Erprobung einer rechnergestützten<br />

Lernumgebung unter Berücksichtigung<br />

von Aspekten der Handlungsorientierung<br />

am Beispiel der Behandlung von Korrelation<br />

<strong>und</strong> Regression in der Jahrgangsstufe<br />

11. Münster: Zentrale Koordination Lehrerausbildung<br />

Papert, Seymour. (1994): Revolution des <strong>Lernen</strong>s.<br />

Hannover: Heise<br />

Papert, Seymour. (1998): Die vernetzte Familie.<br />

Stuttgart: Kreuz<br />

Schulmeister, Rolf (1997): Gr<strong>und</strong>lagen hypermedialer<br />

Lernsysteme. München: Oldenbourg<br />

Wagenschein, Martin (1968): Verstehen lehren.<br />

Weinhe<strong>im</strong>: Beltz<br />

Weigand, Hans-Georg (1997): Was können wir<br />

aus der Vergangenheit für den zukünftigen<br />

computerunterstützten Unterricht lernen? In:<br />

<strong>Mathematik</strong> in der Schule 35, 322–334<br />

Weigand, Hans-Georg & Thomas Weth (2002):<br />

Computer <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht. Heidelberg<br />

u.a.: Spektrum<br />

169


� "Da schauen Sie mal ins <strong>Internet</strong>!" <strong>—</strong> Impressionen<br />

des <strong>Lehren</strong>s <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>s<br />

1 Eigene Suche<br />

1.1 Orientierung<br />

Bei vielen Inhalten, mit denen ich mich beschäftigen<br />

will, schaue ich oft erst einmal<br />

nach. So vor zwei Jahren, als ich einen <strong>Mathematik</strong>wettbewerb<br />

für Kollegiaten an der<br />

Universität durchführen wollte. An vielen<br />

Hochschulen gab es interessante Angebote,<br />

die mir erst einmal die Möglichkeiten aufzeigten.<br />

Dann in einer zweiten Phase habe ich<br />

Beteiligte angeschrieben. Oder bei der "Aufgabe<br />

der Woche" war das auch eine Anleihe<br />

aus einem Angebot eines anderen Lehrstuhls.<br />

1.2 Quellenforschung<br />

Neben der nützlichem CD-ROM aus Karlsruhe<br />

(MathDI) werden Quellen oft über das <strong>Internet</strong><br />

erk<strong>und</strong>et. Als es um eine Aufstockung<br />

der fachdidaktischen Bibliothek ging, habe<br />

ich zunächst in Literaturlisten anderer Institute<br />

nachgesehen, welche Bücher da in der<br />

Regel empfohlen werden, <strong>und</strong> dann auch bei<br />

typischen didaktischen Veranstaltungen<br />

nachgeschaut, welche Bücher da vorgeschlagen<br />

werden. Natürlich kenne ich selbst<br />

viele Bücher, aber ...<br />

1.3 Vergleichen<br />

Bei der Vorbereitung einer Vorlesung, eines<br />

Proseminars oder eines Vortrags gehe ich<br />

gern ins <strong>Internet</strong> <strong>und</strong> suche nach vergleichbaren<br />

Inhalten. Selbst hat man schon eine<br />

Vorstellung, wie das aufgebaut werden soll,<br />

aber ein Vergleich hier <strong>und</strong> da kann ja nicht<br />

schaden. Im Herbst werde ich eine Vorlesung<br />

halten über "Gr<strong>und</strong>begriffe der Schul-<br />

170<br />

Karel Tschacher, Erlangen-Nürnberg<br />

Die Arbeit eines Dozenten für die Fachdidaktik <strong>Mathematik</strong> lebt auch von der Vielfalt der<br />

Ergebnisse, die am einfachsten <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> gef<strong>und</strong>en werden können. Mit diesem Vortrag<br />

sollen die verschiedenen Perspektiven eines sehr persönlichen Eindrucks über den Nutzen<br />

des <strong>Internet</strong>s beschrieben werden. Dabei werden eigene Erfahrungen <strong>und</strong> das individuelle<br />

Interesse an Themen <strong>und</strong> Inhalten <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong> stehen. Darüber hinaus soll<br />

beleuchtet werden, wie man mit vertretbarem Aufwand die Kommunikation zwischen Dozent<br />

<strong>und</strong> Studenten sowie Studenten untereinander verbessern kann.<br />

mathematik". Das wird an vielen Hochschulen<br />

so oder unter anderem Titel gelesen.<br />

Dann sehe ich mir den Umfang <strong>und</strong> die verschiedenen<br />

Inhalte an, die Gliederung <strong>und</strong><br />

die Schwerpunkte. Und dabei kommen oft<br />

gute <strong>und</strong> neue Ideen dazu.<br />

1.4 Material suchen<br />

Gelegentlich sucht man nach einem aussagefähigen<br />

Bild, einer Aufgabe oder einer<br />

Anekdote zu einem Inhalt. Bei einem Vortrag<br />

vor Preisträgern des Fümo-Wettbewerbs in<br />

Fürth über das Zahlensystem <strong>—</strong> ich hatte<br />

mich für das Siebenersystem entschieden <strong>—</strong><br />

suchte ich die sieben Weltw<strong>und</strong>er mit passenden<br />

Abbildungen. Und <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> konnte<br />

ich eine Fülle von Material finden <strong>und</strong> dann<br />

das Passende auswählen.<br />

2 Arbeit mit Studierenden<br />

2.1 Dokumentation der Veranstaltungen<br />

Eine Lehrveranstaltung lebt auch davon,<br />

dass zusätzliches Material <strong>und</strong> weitere Quellen<br />

angegeben werden. Diese Möglichkeit<br />

bietet sich, wenn man für jede Veranstaltung<br />

eine Seite erstellt <strong>und</strong> diese fortlaufend weiterentwickelt.<br />

Etwa ein Schema mit Terminen<br />

<strong>und</strong> Links auf die Informationen für die jeweilige<br />

Veranstaltung. Das hat auch den Vorteil,<br />

dass man als Student diese Seiten nachlesen<br />

kann, wenn man einmal verhindert ist.<br />

Darüber hinaus macht eine kurze Darstellung<br />

des Ablaufs für Interessierte Sinn. Denn<br />

dann weiß man in etwa, was in der Veranstaltung<br />

geboten wird. Und schließlich kann<br />

diese Gliederung für die Klausurvorbereitung


hilfreich sein. Die vorgeschlagenen Quellen<br />

können leicht erreicht werden, wenn es verlinkte<br />

<strong>Internet</strong>adressen sind. Und bei vorausschauender<br />

Gestaltung es auch denkbar,<br />

dass man sich auf eine Vorlesung vorbereitet,<br />

indem man die Materialien zuvor anschaut.<br />

2.2 Präsentation der Ergebnisse<br />

der Studierenden<br />

In Vorlesungen, Proseminaren <strong>und</strong> Seminaren<br />

ergeben sich oft Ergebnisse, die man<br />

gern allen zur Verfügung stellen möchte. Bislang<br />

waren das bedruckte Seiten Papier. Nun<br />

kann man diese Ergebnisse auf der Seite der<br />

Veranstaltung ablegen, <strong>und</strong> jeder Interessierte<br />

holt sich das, was er benötigt. Zum einen<br />

ist der Studierende damit gezwungen, selbsttätig<br />

dort hin zu gehen <strong>und</strong> die entsprechenden<br />

Daten zu suchen, andererseits verlangt<br />

man von den Erstellern dieser Ergebnisse<br />

brauchbare <strong>und</strong> gute Produkte. Zunehmend<br />

werden auch kleine Programme, PowerPoint-<br />

Präsentationen, Java-Applets, Fotoschnappschüsse<br />

oder DGS-An<strong>im</strong>ationen vorgestellt,<br />

die dann zu Hause noch einmal in Ruhe bearbeitet<br />

werden können.<br />

2.3 Aufgabe der Woche<br />

In der Didaktik der <strong>Mathematik</strong> kommen eigentlich<br />

mathematische Aufgaben, Knobelaufgaben<br />

oder Tüftelaufgaben zu kurz, eben<br />

weil man für derartige Aufgaben mehr Zeit<br />

benötigt. Allerdings ist der Wert dieser Aufgaben<br />

hoch: Welche Strategie hat man versucht,<br />

welche heuristischen Ansätze führten<br />

nicht zum Ziel, usw.? Gerade diese Form des<br />

<strong>Mathematik</strong>erlebens sollen ja unsere Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler verstärkt erfahren. also<br />

sollten die Studierenden das auch in ihren<br />

Veranstaltungen erproben können. Eine<br />

Möglichkeit, solche Aufgaben einzustreuen,<br />

sind die "Aufgaben der Woche". Und diese<br />

werden auf der <strong>Internet</strong>seite der Veranstaltung<br />

veröffentlicht; man kann dann in der folgenden<br />

Woche eine gelungene Lösung eines<br />

Kommilitonen als einen Lösungsvorschlag<br />

veröffentlichen.<br />

2.4 Kommunikation mit den Studierenden<br />

Gelegentlich passiert es, dass man am Ende<br />

einer Veranstaltung noch eine gute Idee hat.<br />

Oder man erinnert sich an einen guten Zeit-<br />

"Da schauen Sie mal ins <strong>Internet</strong>!" <strong>—</strong> Impressionen des <strong>Lehren</strong>s <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>s<br />

schriftenartikel zum Thema. Dann wird das<br />

als Nachtrag in die Seite eingearbeitet, die<br />

guten Ideen sind nicht verloren; sondern<br />

konnten den Studierenden zugänglich gemacht<br />

werden. Und Interessierte finden<br />

selbst zusätzliche Informationen, die dem<br />

Dozenten mitgeteilt <strong>und</strong> übersandt werden,<br />

so dass dieses Material allen Teilnehmern<br />

zugänglich gemacht werden kann.<br />

2.5 Zulassungsarbeiten<br />

Bei der Betreuung von Zulassungsarbeiten<br />

(den schriftlichen Hausarbeiten für das<br />

Staatsexamen) ist die Einbindung des <strong>Internet</strong>s<br />

eine große Hilfe. Einer meiner Kandidaten<br />

hat eine geschützte Homepage eingerichtet,<br />

auf der ich bei Bedarf den aktuellen<br />

Stand seiner Arbeit einsehen kann. Natürlich<br />

wird es <strong>im</strong>mer einen Bedarf an persönlichen<br />

Gesprächen geben, aber eine Reihe von inhaltlichen<br />

<strong>und</strong> technischen Fragen kann so<br />

abgearbeitet werden.<br />

3 Zusammenarbeit von<br />

Schule <strong>und</strong> Universität<br />

3.1 Informationsbörse<br />

Viele Lehrstühle <strong>und</strong> Lehreinheiten für Didaktik<br />

der <strong>Mathematik</strong> unterhalten vielfältige<br />

Kontakte zu Schulen <strong>und</strong> Lehrern. Bislang<br />

erlebe ich, dass es <strong>im</strong>mer noch nötig ist,<br />

Briefe mit Einladungen <strong>und</strong> Informationen an<br />

die Fachbetreuer der Schulen zu senden.<br />

Und dann weiß man <strong>im</strong>mer noch nicht, ob die<br />

Informationen an die Betroffenen gegangen<br />

sind. Daher hat man in Mittelfranken ein<br />

Netzwerk gestartet, dass für Lehrkräfte alle<br />

Informationen über <strong>Mathematik</strong> <strong>im</strong> weitesten<br />

Sinne bietet. Dabei werden sowohl Lehrerfortbildungen<br />

als auch Schülerangebote einbezogen.<br />

Langfristig ist sicher auch an<br />

Newsletters in regelmäßigen Abständen gedacht,<br />

aber die Arbeit steht erst am Anfang.<br />

3.2 Email<br />

Schnellen <strong>und</strong> angenehmen Kontakt zu<br />

Schulen <strong>und</strong> Lehrern kann man bei gegenseitigem<br />

Interesse mit der Email entwickeln.<br />

Sehr viele sind inzwischen mit dem <strong>Internet</strong>anschluss<br />

ausgestattet <strong>und</strong> werden diese<br />

Kontaktaufnahme schätzen, weil sie nicht so<br />

nervig <strong>und</strong> teuer ist wie das Telefon <strong>und</strong> man<br />

171


Karel Tschacher<br />

damit zugleich Nachrichten dauerhaft speichern<br />

<strong>und</strong> weiterbearbeiten kann.<br />

3.3 Datenaustausch<br />

Oft erhalte ich eine Anfrage einer Lehrerin<br />

oder eines Lehrers zu einer Aufgabenart<br />

oder zu einer didaktischen Überlegung. Dann<br />

kann man nun leicht eine Antwort mit den<br />

notwendigen Unterlagen schnell <strong>und</strong> bequem<br />

weitergeben, <strong>und</strong> der Kollege kann das sogleich<br />

in seine Unterrichtsvorbereitung einbauen.<br />

Oder nach einem Besuch von Schülern<br />

<strong>im</strong> Institut werden Rückfragen nach Material<br />

gestellt. Oder die digitalen Fotos der<br />

Veranstaltung werden an die Schulen gesandt,<br />

damit sie <strong>im</strong> Jahresbericht erscheinen<br />

können.<br />

4 <strong>Lehren</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong><br />

Viele Inhalte werden interaktiv aufbereitet.<br />

<strong>Lernen</strong> wird da zur Freude. Gern erprobt<br />

man eine Aufgabe, mit Vergnügen verfolgt<br />

man einen Gedankengang, der mit medialem<br />

Aufwand illustriert wird. Viele Begriffsbildungen<br />

werden so besser zugänglich. Viele Aufgaben<br />

werden sogleich korrigiert ausgegeben<br />

<strong>und</strong> bieten eine direkte Rückkopplung<br />

des Lernerfolgs. Die komplexen Navigationsmöglichkeiten<br />

machen es Anfängern<br />

<strong>und</strong> Fortgeschrittenen in gleicher Weise<br />

möglich, sinnvoll zu lernen.<br />

4.1 Interaktive Seiten<br />

Als letzten Punkt möchte ich auf eine weitere<br />

zentrale Rolle des <strong>Internet</strong>s kommen, nämlich<br />

der Möglichkeit, mathematische <strong>und</strong> didaktische<br />

Fragen auf den Seiten von Schülern,<br />

Studenten, Lehrern <strong>und</strong> Instituten zu<br />

genießen. Ich sage "genießen", weil es so<br />

schöne <strong>und</strong> so reizende Inhalte gibt, die so<br />

richtig Freude bereiten. Sicher findet man<br />

auch viele Fehler <strong>und</strong> so manches Überflüssige,<br />

dennoch für mich überwiegt der Reiz.<br />

172<br />

4.2 Referate <strong>und</strong> Hausarbeiten<br />

In Proseminaren, Seminaren <strong>und</strong> bei der Zulassungsarbeit<br />

werden Themen bearbeitet,<br />

die sicher schon oft zuvor von anderen behandelt<br />

wurden. Das <strong>Internet</strong> kann eine Fülle<br />

von Referaten <strong>und</strong> Ausarbeitungen bieten,<br />

die zur Orientierung <strong>und</strong> zur Quellensammlung<br />

dienen. Es ist überraschend, wie viele<br />

Arbeiten schon vorliegen. Auch viele Studienseminare<br />

legen seit einiger Zeit Arbeiten<br />

offen. So kann man viele Lehrproben in allen<br />

Details ansehen <strong>und</strong> als Beispiele für gelungene<br />

Unterrichtsplanung verwenden. Die Literaturangaben<br />

bei Arbeiten verlagern sich<br />

zusehends auf Links <strong>im</strong> <strong>Internet</strong>, die Bücher<br />

treten oft zurück. Dabei ist selbstredend die<br />

Gefahr des Plagiats verführerischer als zuvor.<br />

Denn eine Passage zu markieren, zu<br />

kopieren <strong>und</strong> dann in seine Arbeit einzufügen,<br />

ist blitzschnell geschehen. Aber ich<br />

denke, man sollte nicht zu misstrauisch mit<br />

dem neuen Medium <strong>Internet</strong> umgehen.<br />

4.3 Arbeitsblätter<br />

Als letzte sinnvolle Verwendung des <strong>Internet</strong>s<br />

stelle ich kurz die Arbeitsblätter vor. Eine<br />

kritische Bemerkung sei vorangestellt:<br />

"copio, ergo sum" "Ich kopiere, also bin ich"<br />

Viele Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer werden zu<br />

wahren Kopierweltmeistern, in dem sie die<br />

Schülerin mit Arbeitsblätter überhäufen. 20<br />

Arbeitsblätter pro Woche sind keine Seltenheit.<br />

Die gut gemeinte Idee, die Schüler sollten<br />

nicht alles von der Tafel abschreiben,<br />

führt dann aber oft zu solchen Arbeitsblättern,<br />

auf denen nur noch Kreuze oder Lückentexte<br />

ergänzt werden müssen.<br />

Sinnvoll eingesetzte Arbeitsblätter haben ihren<br />

Platz <strong>im</strong> Unterricht, <strong>und</strong> die Beschaffung<br />

guter Arbeitsblätter <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> ist kein Problem.<br />

Denn die Vorgaben des Kollegen können<br />

auf die eigenen Bedürfnisse angepasst<br />

werden. Aber die Arbeitserleichterung ist<br />

enorm, wenn man schon eine Gr<strong>und</strong>idee eines<br />

Kollegen nutzen kann.


� Computereinsatz <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht unter<br />

Geschlechterperspektive <strong>—</strong> oder<br />

Mädchen, Jungen, <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer<br />

Rose Vogel, Ludwigsburg<br />

Die Diskussion um den Mehrwert neuer Medien für die Gestaltung von Lehr- <strong>und</strong> Lernprozessen<br />

wird derzeit vielerorts geführt. Dies nahm der Arbeitskreis "Frauen <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong>"<br />

in der GDM zum Anlass, die Herbsttagung 2003 dem Thema "Computereinsatz<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht unter Geschlechterperspektive" zu widmen. Vor allem die unterschiedlichen<br />

Einsatzmöglichkeiten computerbasierter Medien <strong>und</strong> deren Potenziale für<br />

die Gestaltung von Lehr- <strong>und</strong> Lernprozessen <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht standen <strong>im</strong> Zentrum<br />

der gemeinsamen Arbeit. Die Arbeitsergebnisse bieten Ansatzpunkte, das traditionelle<br />

Bild von <strong>Mathematik</strong> in der Schule aufzubrechen <strong>und</strong> damit das <strong>Mathematik</strong>lernen<br />

von Mädchen <strong>und</strong> Jungen gleichermaßen anzuregen <strong>und</strong> weiterzuentwickeln.<br />

(zugleich Bericht von der Herbsttagung 2003<br />

des Arbeitskreises "Frauen <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong>"<br />

in der GDM)<br />

1 Einführung<br />

Thema <strong>und</strong> Ziel der Herbsttagung 2003 des<br />

Arbeitskreises "Frauen <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong>" war<br />

es, den Einsatz der neuen Medien <strong>und</strong> deren<br />

Potenziale für die Gestaltung von Lehr- <strong>und</strong><br />

Lernprozessen aus der Geschlechterperspektive<br />

genauer auszuleuchten. Diese thematische<br />

Ausrichtung war dann auch der Anlass<br />

dafür, die Herbsttagungen der beiden<br />

Arbeitskreise "<strong>Mathematik</strong>unterricht <strong>und</strong> Informatik"<br />

sowie "Frauen <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong>"<br />

zeit- <strong>und</strong> ortsgleich stattfinden zu lassen.<br />

Damit bestand die Möglichkeit, sich vor Ort<br />

auszutauschen <strong>und</strong> in einen gemeinsamen<br />

Dialog zu treten. Ein bewusst inszenierter<br />

Schnittbereich stellte der Hauptvortrag von<br />

Cornelia Niederdrenk-Felgner (2005) dar.<br />

Ausgangspunkt für die gemeinsame Arbeit<br />

war die Präsentation von ausgewählten Beispielen,<br />

die unterschiedliche Möglichkeiten<br />

aufzeigen, wie computerbasierte Medien für<br />

den <strong>Mathematik</strong>unterricht genutzt werden<br />

können. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der geschilderten<br />

Lehr-Lern-Arrangements ging es dann<br />

darum, die Potenziale des Computereinsatzes<br />

für den <strong>Mathematik</strong>unterricht auszuloten.<br />

Dieser gemeinsame Auseinandersetzungsprozess<br />

mündete in die Frage, wie der<br />

Mehrwert der neuen Medien genutzt werden<br />

kann, das Bild von <strong>Mathematik</strong> zu verändern<br />

<strong>und</strong> damit das <strong>Mathematik</strong>lernen von Mädchen<br />

<strong>und</strong> Jungen gleichermaßen zu unterstützen<br />

<strong>und</strong> zu fördern.<br />

2 Mögliche Einsatzbereiche<br />

computerbasierter<br />

Medien <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

Die von Barbara Abel <strong>und</strong> Rose Vogel ausgewählten<br />

Beispiele zeigen Produkte oder<br />

Szenarien aus Lehr-Lern-Arrangements, in<br />

denen sowohl mathematiknahe, als auch mathematikferne<br />

Programme genutzt werden,<br />

um das <strong>Lehren</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> von <strong>Mathematik</strong><br />

zu unterstützen, anzuregen <strong>und</strong> zu begleiten.<br />

Auf die Präsentation konkreter einzelner Beispiele<br />

wird an dieser Stelle verzichtet. Es<br />

wird stattdessen der Versuch unternommen,<br />

die Lehr-Lern-Aktivitäten zu charakterisieren,<br />

die in den Konkretisierungen <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong><br />

stehen (vgl. Tab. 1). Die <strong>Internet</strong>-Adressen<br />

[1] <strong>und</strong> [2] geben ebenfalls nur einen Eindruck<br />

von der Vielfalt <strong>und</strong> ließen sich durch<br />

entsprechende Angaben aus anderen B<strong>und</strong>esländern<br />

weiter ausbauen.<br />

Die in Tab. 1 eingenommene Perspektive<br />

rückt nicht die mathematischen Inhalte in den<br />

Vordergr<strong>und</strong>, sondern die Art <strong>und</strong> Weise, wie<br />

mathematische Fragestellungen bearbeitet<br />

werden. Analysieren, Exper<strong>im</strong>entieren, Veranschaulichen,<br />

Strukturieren <strong>und</strong> Präsentieren<br />

sind typische Tätigkeiten in der <strong>Mathematik</strong>,<br />

die lange Zeit von den Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schülern <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht nicht<br />

erlebbar waren. Sie wurden von der Lehrperson<br />

vorweggenommen, <strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong><br />

wurde dadurch als "poliertes Fertigprodukt"<br />

(vgl. Müller, Steinbring & Wittmann 2004, 12)<br />

präsentiert. Im Vordergr<strong>und</strong> stand das Automatisieren<br />

mathematischer Verfahrenswei-<br />

173


Rose Vogel<br />

Lehr-Lern-Aktivitäten Software<br />

Präsentieren von mathematischen Inhalten auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage eines ausgewählten Textes (Schülerarbeiten),<br />

Präsentieren von Bearbeitungswegen ausgewählter Aufgaben<br />

sen <strong>und</strong> nicht die aktive, individuelle Auseinandersetzung<br />

mit <strong>Mathematik</strong>.<br />

Das Einbeziehen der Aktivitäten Kooperieren<br />

<strong>und</strong> Kommunizieren erweitert zusätzlich den<br />

Blick auf den Umgang mit <strong>Mathematik</strong>. Ein<br />

weit verbreitetes Bild beschreibt <strong>Mathematik</strong><br />

als eine Wissenschaft, in der die <strong>Mathematik</strong>erin,<br />

doch meist der <strong>Mathematik</strong>er <strong>im</strong> stillen<br />

Kämmerchen einsam über Formeln brütet<br />

<strong>und</strong> zu neuen Erkenntnissen gelangt. Dies<br />

hat zur Konsequenz, dass <strong>Mathematik</strong> als<br />

eine Wissenschaftsdisziplin wahrgenommen<br />

wird, in der Tätigkeiten wie Kooperieren <strong>und</strong><br />

Kommunizieren nicht <strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong> stehen.<br />

Dies steht <strong>im</strong> Gegensatz zu Beschreibungen<br />

von mathematischen Erkenntnisprozessen.<br />

Diese sind einerseits geprägt durch den Dialog<br />

mit anderen <strong>und</strong> andererseits durch den<br />

Zeitgeist, der u.a. dadurch best<strong>im</strong>mt wird,<br />

dass sich Menschen <strong>und</strong> ihre Ideen in der<br />

Öffentlichkeit darstellen, sich mit ihrer Meinung<br />

exponieren, Anhänger <strong>und</strong> Widersacher<br />

finden <strong>und</strong> damit ein Auseinandersetzungsprozess<br />

mit oder ohne Wirkung entsteht.<br />

Diese Vorgänge prägen <strong>und</strong> verändern<br />

in beschreibbaren Wellenbewegungen das<br />

Zeiterleben <strong>und</strong> bilden den Nährboden für<br />

Theorieentwicklungen.<br />

In der gemeinsamen Arbeit wurde außerdem<br />

deutlich, dass die Auseinandersetzung mit<br />

174<br />

Präsentationsprogramme, z.B.<br />

Power Point<br />

Strukturieren von mathematischen Inhaltstexten Mind-Map-Programme<br />

Gemeinsames Erstellen eines mathematischen Glossars<br />

zur Nutzung <strong>im</strong> Unterricht<br />

Exper<strong>im</strong>entelles Arbeiten: eigenständig durch die <strong>Lernen</strong>den<br />

oder in einer Demonstration durch die Lehrperson<br />

WebQuest <strong>—</strong> Arbeiten an einem Projekt unter Ausnutzung<br />

von <strong>Internet</strong>quellen<br />

Kooperatives Arbeiten mit Unterstützung einer internetbasierten<br />

Groupware<br />

Veranschaulichen mathematischer Konstrukte, entwickeln<br />

von Vorstellungen<br />

Daten analysieren <strong>und</strong> modellieren <strong>—</strong> Zusammenhänge<br />

zwischen der <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> der uns umgebenden Welt<br />

herstellen <strong>und</strong> die <strong>Mathematik</strong> für die Welterschließung<br />

aktiv nutzen<br />

Kommunizieren über eine mathematische Fragestellung<br />

<strong>im</strong> "Mathe-Chat"<br />

HTML<br />

Textverarbeitungsprogramme<br />

z.B. DGS, CAS, Tabellenkalkulationssysteme,<br />

Java-Applets<br />

<strong>WWW</strong><br />

z.B. BSCW oder andere Lernplattformen<br />

Algebra Graph, CAS, Java-<br />

Applets<br />

Tabellenkalkulationssysteme<br />

Statistik-Programme<br />

Chat-Programme<br />

Automatisieren mathematischen Wissens Mathe-Lernprogramme<br />

Tab. 1: Übersicht über Lehr-Lern-Aktivitäten, die durch die Nutzung computerbasierten Medien in besonderer Weise<br />

unterstützt werden.<br />

computerbasierten Medien <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

<strong>im</strong>mer wieder neu die Chance bietet,<br />

über die Gestaltung von Lehr- <strong>und</strong> Lernprozessen<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht nachzudenken<br />

(vgl. Bescherer & Vogel 2002). Die in<br />

Tab. 1 zusammengefassten Lehr-Lern-Aktivitäten<br />

finden sich in den (in den Bildungsstandards<br />

beschriebenen; KMK 2003, 11f)<br />

allgemeinen mathematischen Kompetenzen<br />

wieder <strong>und</strong> bilden einen integrativen Bestandteil<br />

der dort geforderten mathematischen<br />

Gr<strong>und</strong>bildung.<br />

3 Potenziale des Computereinsatzes<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage der in Tab. 1 vorgenommenen<br />

Analyse der Beispiele <strong>und</strong> vor dem<br />

Hintergr<strong>und</strong> des Vortrags von Cornelia Niederdrenk-Felgner<br />

wurden Potenziale computerbasierter<br />

Medien für den Bereich des <strong>Mathematik</strong>lernens<br />

zusammengestellt <strong>und</strong> diskutiert.<br />

Folgende Potenziale erschienen uns<br />

unter Geschlechterperspektive von besonderer<br />

Bedeutung:


Anlass für neue Lehr-Lernformen<br />

Viele der in den Beispielen verwendeten<br />

Computerprogramme geben die Möglichkeit,<br />

Ergebnisse, die am Ende der Beschäftigung<br />

mit mathematischen Fragestellung stehen,<br />

aber auch den Bearbeitungsprozess selbst<br />

zu dokumentieren (z.B. die Ortslinienfunktion<br />

in den Dynamischen Geometriesystemen).<br />

Diese Dokumentationen können dann als Anlass<br />

genutzt werden, über mathematische<br />

Erkenntnisse ins Gespräch zu kommen. Natürlich<br />

steckt dieses Potenzial auch in den<br />

Bleistiftnotizen, die während des Bearbeitungsprozesses<br />

entstehen. Mögliche Zwischenschritte<br />

<strong>und</strong> auch gef<strong>und</strong>ene Endergebnisse<br />

unterliegen hier in einem viel höheren<br />

Maße der Flüchtigkeit. Sie werden überschrieben,<br />

ausradiert <strong>und</strong> bleiben als bald<br />

nicht mehr auffindbare Zettel zurück. Natürlich<br />

wird die Art der möglichen Dokumentationsformen<br />

von Seiten der Programmentwicklung<br />

vorgedacht <strong>und</strong> best<strong>im</strong>mt. Insgesamt<br />

machen die Beispiele deutlich, dass über die<br />

Integration von Dokumenten in den <strong>Mathematik</strong>unterricht,<br />

die während der individuellen<br />

oder kooperativen Auseinandersetzung mit<br />

mathematischen Fragestellungen entstehen,<br />

nachgedacht werden sollte.<br />

In besonderer Weise werden durch die Nutzung<br />

computerbasierter Medien kooperative<br />

Unterrichtsformen unterstützt. Neben der organisatorischen<br />

Unterstützung des kooperativen<br />

Arbeitens, z.B. indem Arbeits- <strong>und</strong> Zeitpläne<br />

wie auch Zwischenprodukte mit Hilfe<br />

geeigneter Programme verwaltet werden, liefern<br />

computerbasierte Medien die Möglichkeit,<br />

zeit- <strong>und</strong> ortsunabhängig gemeinsam an<br />

einem Projekt zu arbeiten.<br />

Außerdem erlauben <strong>Mathematik</strong>programme<br />

wie z.B. DGS <strong>und</strong> speziell erstellte Java-<br />

Applets, auf vielfältige Weise exper<strong>im</strong>entelle<br />

Lehr-Lern-Kontexte zu inszenieren, die den<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern Raum geben,<br />

Ideen zu mathematischen Fragestellungen<br />

zu entwickeln, umzusetzen <strong>und</strong> zu überprüfen.<br />

Betonung des Sprachaspekts von <strong>Mathematik</strong><br />

bei Präsentation <strong>und</strong> Dokumentation<br />

Die Integration mathematikferner Programme,<br />

z.B. von Präsentationsprogrammen, in<br />

den <strong>Mathematik</strong>unterricht gestatten es, neben<br />

den bereits erwähnten Dokumentationsformen,<br />

methodische Elemente in das <strong>Lernen</strong><br />

von <strong>Mathematik</strong> einzubauen, die die<br />

Sprache für die <strong>Mathematik</strong> wichtig werden<br />

lassen. Es entstehen Lernanlässe, die das<br />

Computereinsatz <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht unter Geschlechterperspektive<br />

Reden über <strong>Mathematik</strong> in der Sprache der<br />

<strong>Mathematik</strong> ermöglichen.<br />

Prozess des Modellierens<br />

Der Prozess des Modellierens kann durch<br />

den Einsatz geeigneter Computerprogramme<br />

in dem Sinne weiter entwickelt werden, dass<br />

einerseits realistische Daten <strong>und</strong> damit die<br />

Bearbeitung realistischer Fragestellungen in<br />

den <strong>Mathematik</strong>unterricht Eingang finden<br />

können. Andererseits erlaubt der Einsatz<br />

neuer Technologien, mathematische Probleme,<br />

die Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer mathematischen Fähigkeiten in<br />

der Sek<strong>und</strong>arstufe I noch nicht lösen könnten,<br />

auf sehr anschauliche Weise <strong>im</strong> Sinne<br />

eines dynamischen Visualisierens zu bearbeiten<br />

(vgl. Weigand & Weth 2002, 133ff).<br />

Aufbau von Reflexionskompetenz<br />

Dokumentationen sind in besonderer Weise<br />

geeignet, den Aufbau metakognitiver Kompetenzen<br />

anzuregen <strong>und</strong> zu unterstützen; <strong>—</strong><br />

metakognitive Kompetenzen <strong>im</strong> Sinne eines<br />

Wissens über die eigenen Fähigkeiten <strong>und</strong><br />

über die Qualität von Aufgaben sowie <strong>im</strong><br />

Sinne eines Wissens über Prozesse der Kontrolle<br />

kognitiver Vorgänge wie Planung, Überwachung<br />

<strong>und</strong> Regulation (vgl. Brown 1984).<br />

Das flüchtige Bearbeiten <strong>und</strong> Durchdenken<br />

von mathematischen Fragestellungen wird<br />

durch die unterschiedlichen Dokumentationsformen<br />

konkret <strong>und</strong> kann <strong>im</strong> Rückblick genutzt<br />

<strong>und</strong> <strong>im</strong> Sinne eines "Metawissens" kategorisiert<br />

werden.<br />

Neue Möglichkeiten inhaltlicher Zugänge<br />

Die bisher herausgearbeiteten Potenziale beschäftigen<br />

sich in erster Linie mit der Art <strong>und</strong><br />

Weise, wie das <strong>Lehren</strong> <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> von <strong>Mathematik</strong><br />

gestaltet werden kann. So bleibt abschließend<br />

zu fragen, ob die Veränderungen<br />

der Lehr-Lern-Arrangements ein Nachdenken<br />

über inhaltliche Zugänge nicht sogar erzwingen.<br />

Hat die zunehmende Fokussierung<br />

auf die aktive Auseinandersetzung der <strong>Lernen</strong>den<br />

mit mathematischen Fragestellungen<br />

nicht u.a. zur Folge, dass die Orientierung<br />

der Schulmathematik an der Fachsystematik<br />

verlassen <strong>und</strong> verstärkt Inhalte ins Zentrum<br />

des Unterrichts gerückt werden, die das Interesse<br />

der <strong>Lernen</strong>den aufgreifen?<br />

Natürlich ist die Frage nach den Potenzialen<br />

computerbasierter Medien sowohl eng an die<br />

Freiheitsgrade bzw. an die Gestaltungsspielräume<br />

gekoppelt, die eine Software zulässt,<br />

175


Rose Vogel<br />

als auch an die Medien- <strong>und</strong> Methodenkompetenzen<br />

der Lehrperson.<br />

Damit einher geht auch die Frage: Wem<br />

nutzt welches Angebot <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> bzw. <strong>im</strong> Bereich<br />

der Computersoftware?<br />

4 Chancen für das <strong>Mathematik</strong>lernen<br />

von Mädchen<br />

<strong>und</strong> Jungen durch den<br />

Einsatz des Computers<br />

Welche Folgerungen lassen sich aus der Zusammenstellung<br />

der Potenziale des Computereinsatzes<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht für das<br />

<strong>Mathematik</strong>lernen von Mädchen <strong>und</strong> Jungen<br />

ziehen? Deutlich wird, dass der Einsatz computerbasierter<br />

Medien wieder ein Schritt weiter<br />

führt in dem Bestreben, die Lebenswelt<br />

der Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler in den <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

stärker aufzunehmen. So eröffnet<br />

die Erweiterung möglicher Veranschaulichungen<br />

die Chance, dass <strong>im</strong>mer weniger<br />

die mathematischen Rechenfertigkeiten<br />

die Auswahl der Kontexte best<strong>im</strong>men, sondern<br />

das Interesse <strong>und</strong> die Bedürfnisse der<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler. Die beschriebenen<br />

Ansätze, Sprache <strong>und</strong> damit Kommunikation<br />

mehr <strong>und</strong> mehr in den <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

hereinzuholen, lassen das traditionelle<br />

Bild von <strong>Mathematik</strong>, das sehr technisch<br />

<strong>und</strong> unnahbar auf viele Schülerinnen <strong>und</strong><br />

Schüler wirkte, allmählich bröckeln. Es werden<br />

Identifikationsmöglichkeiten geschaffen,<br />

die bisher <strong>im</strong> Fach <strong>Mathematik</strong> nicht möglich<br />

waren.<br />

176<br />

Literatur<br />

Bescherer, Christine & Rose Vogel (2002): Innovation<br />

durch computerbasierte Medien. In: Wilfried<br />

Herget, Rolf Sommer, Hans-Georg Weigand<br />

& Thomas Weth (Hrsg.) (2002): Medien<br />

verbreiten <strong>Mathematik</strong>. Bericht über die 19. Arbeitstagung<br />

des Arbeitskreises "<strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

<strong>und</strong> Informatik" 2001 in Dillingen.<br />

Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker, 9–17<br />

Brown, Ann L. (1984): Metakognition, Handlungskontrolle,<br />

Selbststeuerung <strong>und</strong> andere, noch<br />

gehe<strong>im</strong>nisvollere Mechanismen. In: Franz E.<br />

Weinert & Rainer H. Kluwe (Hrsg.) (1984): Metakognition,<br />

Motivation <strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>. Stuttgart:<br />

Kohlhammer, 60–109<br />

Kultusministerkonferenz (KMK) (2003): Bildungsstandards<br />

<strong>im</strong> Fach <strong>Mathematik</strong> für den Mittleren<br />

Schulabschluss.<br />

http://www.kmk.org/schul/Bildungsstandards/<br />

<strong>Mathematik</strong>_MSA_BS_04-12-2003.pdf<br />

Müller, Gerhard N., Heinz Steinbring & Erich C.<br />

Wittmann (Hrsg.) (2004): Arithmetik als Prozess.<br />

Seelze: Kallmeyer<br />

Niederdrenk-Felgner, Cornelia (2005): Jungen,<br />

Mädchen, <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer. In diesem<br />

Band<br />

Weigand, Hans-Georg & Thomas Weth (2002):<br />

Computer <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht. Heidelberg:<br />

Spektrum<br />

<strong>Internet</strong>-Adressen<br />

[1] http://lehrerfortbildung-bw.de/faecher/<br />

mathematik<br />

[2] http://webquest.ph-bw.de/


� Gestaltungsprinzipien <strong>und</strong> Erfahrungen zum virtuellen<br />

Selbstlernkurs: <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer<br />

Wolfgang Weigel, Würzburg<br />

Im Rahmen des Bereichs Lehrerbildung der Virtuellen Hochschule Bayern (VHB) wird an<br />

den Universitäten Erlangen-Nürnberg <strong>und</strong> Würzburg der virtuelle Selbstlernkurs <strong>Mathematik</strong><br />

<strong>und</strong> Computer entwickelt. Im Text wird aufgezeigt, welcher Weg zur internetgerechten<br />

inhaltlichen Umsetzung gewählt wurde, <strong>und</strong> es werden Ergebnisse einer ersten<br />

Akzeptanzstudie präsentiert.<br />

1 Einleitung<br />

Das <strong>Internet</strong> n<strong>im</strong>mt mittlerweile eine zentrale<br />

Rolle in unserem täglichen Leben ein. Eine<br />

stetig wachsende Anzahl von Personen aus<br />

allen Bildungsschichten hat Zugang zum<br />

<strong>WWW</strong> <strong>und</strong> nutzt es auf vielfältige Weise<br />

(Ridder 2002). Mit dem Medium <strong>Internet</strong> verb<strong>und</strong>en<br />

sind neue Möglichkeiten der Wissensaufbereitung<br />

(z.B. durch Videos) <strong>und</strong> der<br />

Lernmethodik (Bruns & Gajewski 2002). Aus<br />

diesen Gründen fördert das B<strong>und</strong>esministerium<br />

für Bildung <strong>und</strong> Forschung (BMBF) eine<br />

Vielzahl von Projekten <strong>im</strong> Bereich der Lehrerbildung<br />

mit Schwerpunkt <strong>Mathematik</strong>, die<br />

das <strong>Internet</strong> als Medium zur Wissensvermittlung<br />

nutzen (hierzu [1]). Auch die Länder<br />

nehmen an dieser Entwicklung teil <strong>und</strong> eröffnen<br />

virtuelle Hochschulen (z.B. [2] oder [3]).<br />

In diesem Kontext wird von der Universität<br />

Nürnberg-Erlangen <strong>und</strong> der Universität Würzburg<br />

gemeinsam der Kurs mit dem Titel <strong>Mathematik</strong><br />

<strong>und</strong> Computer für den Bereich Lehreraus-<br />

<strong>und</strong> -weiterbildung <strong>im</strong> Rahmen der<br />

Virtuellen Hochschule Bayern (VHB) entwickelt.<br />

Inhaltlich werden Themen der Geometrie<br />

(Erlangen-Nürnberg) <strong>und</strong> der Algebra<br />

(Würzburg) bearbeitet. Hierbei handelt es<br />

sich um einen rein virtuellen, internet-gestützten<br />

Kurs. Ziele des Lehrgangs sind u.a.,<br />

Studenten an neue Technologien (wie Computer<br />

Algebra Systeme (CAS) oder Dynamische<br />

Geometrie Software (DGS)) heranzuführen<br />

<strong>und</strong> angehende Lehrer zu einem kritisch<br />

reflektierten Einsatz dieser Medien <strong>im</strong><br />

<strong>Mathematik</strong>unterricht anzuregen. Dabei ist es<br />

ein wesentliches Anliegen, keine reinen "Gebrauchsanweisungen"<br />

zum Umgang der vorgestellten<br />

Software zu geben, sondern vielmehr<br />

deren themengeb<strong>und</strong>enen Einsatz <strong>und</strong><br />

Grenzen aufzuzeigen.<br />

Im vorliegenden Aufsatz wird eine Möglichkeit<br />

beschrieben, Inhalte aus dem Themenbereich<br />

Funktionen so aufzubereiten <strong>und</strong><br />

darzustellen, dass das Potential des <strong>Internet</strong>s<br />

genutzt wird <strong>und</strong> es wird über erste Erfahrungen<br />

(ermittelt <strong>im</strong> Rahmen einer Akzeptanzstudie)<br />

zum Kurs berichtet.<br />

2 Medieneinsatz<br />

Sobald man sich mit dem <strong>WWW</strong> <strong>und</strong> dem <strong>Internet</strong><br />

als Lehr-/Lernmedium beschäftigt, bieten<br />

sich dem Autor <strong>und</strong> dem Nutzer eine<br />

Vielzahl von alternativen Arten der Inhaltsdarbietung<br />

an. Hierbei treten sofort die zentralen<br />

Begriffe Mult<strong>im</strong>edia (MM) <strong>und</strong> Interaktivität<br />

in den Mittelpunkt des Interesses.<br />

Setzt man in <strong>WWW</strong>-Inhalten mehrere Mittler<br />

(also Medien) parallel nebeneinander ein, so<br />

spricht man von MM. Kann der Nutzer aktiv<br />

Manipulationen an Mult<strong>im</strong>ediaelementen vornehmen,<br />

entsteht also ein Handeln zwischen<br />

Akteur <strong>und</strong> MM-Komponente, so spricht man<br />

von Interaktion. Hierbei ist besonders darauf<br />

zu achten, dass keine Interaktion mit Navigationselementen<br />

gemeint ist, sondern Interaktion<br />

am Lernobjekt (Schulmeister 2002).<br />

Als Beispiel für ein interaktives Handeln am<br />

Lernobjekt wird in Abb. 1 eine Benutzeroberfläche<br />

gezeigt, mit deren Hilfe Graphen von<br />

Scharfunktionen in dreid<strong>im</strong>ensionaler Darstellung<br />

erzeugt werden.<br />

Der <strong>Lernen</strong>de kann sowohl den Funktionsterm<br />

<strong>und</strong> den dazugehörigen Darstellungsbereich<br />

als auch die resultierende 3D-Darstellung<br />

(durch Drehen oder Zoomen) best<strong>im</strong>men<br />

<strong>und</strong> verändern. Das Arbeiten mit diesem<br />

Hilfsmittel ermöglicht es, Eigenschaften der<br />

dargestellten Funktion <strong>und</strong> deren räumliche<br />

Gestalt zu untersuchen.<br />

177


Wolfgang Weigel<br />

2.1 Kategorisierungen von Mult<strong>im</strong>ediaelementen<br />

Wie von Weidenmann (2002) festgestellt, ist<br />

der Begriff "Mult<strong>im</strong>edia" weit verbreitet, allerdings<br />

zu <strong>und</strong>ifferenziert <strong>und</strong> daher für die<br />

wissenschaftliche Diskussion wenig geeignet.<br />

Ähnliches gilt für den Fachausdruck der<br />

Interaktivität. Mult<strong>im</strong>edia <strong>und</strong> Interaktivität<br />

müssen genauer beschrieben <strong>und</strong> differenziert<br />

betrachtet werden (Haack 2002), damit<br />

man wissenschaftlich damit arbeiten kann.<br />

Um über den Erfolg des zielorientierten Einsatzes<br />

von Mult<strong>im</strong>edia <strong>und</strong> Interaktivität diskutieren<br />

zu können, ist eine genauere Eingrenzung<br />

der Begriffe notwendig. Im Folgenden<br />

werden zwei mögliche Kategorisierungen<br />

vorgestellt.<br />

2.1.1 Passive <strong>und</strong> interaktive Mult<strong>im</strong>ediaelemente<br />

178<br />

Abb. 2: Interaktiv bedienbarer Abakus<br />

Eine einfache Art der Unterteilung von MM-<br />

Elementen ist die Unterscheidung in passive<br />

<strong>und</strong> interaktive Bestandteile (Weigel 2003a).<br />

Abb. 1: Manipulation am Lernobjekt<br />

Zu den passiven Elementen zählen beispielsweise<br />

Text, Bild <strong>und</strong> Video. Interaktive<br />

Komponenten sind Java-Applets oder Web-<br />

Mathematica-Anwendungen. Beispiel für ein<br />

interaktives Java-Applet ist ein online benutzbarer<br />

Abakus, der in eine Lernsequenz eingeb<strong>und</strong>en<br />

werden kann (vgl. Abb. 2).<br />

Die <strong>Lernen</strong>den können mit dem virtuellen Rechengerät<br />

die gleichen Rechnungen, Gedankengänge<br />

<strong>und</strong> Lernprozesse konstruieren<br />

wie mit einem realen Abakus. Das Applet ist<br />

aber <strong>im</strong> Gegensatz zu einem realen Abakus<br />

stets für den Lerner verfügbar.<br />

Die beiden unterschiedlichen Beispiele lassen<br />

bereits erkennen, dass verschieden starke<br />

Ausprägungen von Interaktivität auftreten<br />

können, was eine weitere Differenzierung<br />

von MM-Elementen sinnvoll macht.<br />

Mit WebMathematica (vgl. hierzu [4]) hat<br />

man die Chance, typische CAS-Anwendungen<br />

(wie Berechnungen, Ableitungen oder<br />

Visualisierungen durchzuführen) dem Lerner<br />

zur sofortigen Verwendung innerhalb einer<br />

Online-Lehr-/Lernumgebung bereit zu stellen.<br />

Abbildung 1 zeigt, wie mithilfe von WebMathematica<br />

eine sofortige Darstellung <strong>und</strong><br />

Veränderung von Funktionen zweier Veränderlicher<br />

aussehen kann. Weitere Beispiele<br />

<strong>und</strong> Hintergr<strong>und</strong>information zu diesem Thema<br />

findet man in Weigel (2003b).<br />

2.1.2 Taxonomie nach Schulmeister<br />

Rolf Schulmeister (2002) hat folgende sechsstufige<br />

Kategorisierung von MM-Elementen<br />

vorgeschlagen:<br />

1. Objekte betrachten <strong>und</strong> rezipieren.<br />

2. Multiple Darstellungen betrachten <strong>und</strong> rezipieren.<br />

3. Die Repräsentationsform variieren.<br />

4. Den Inhalt der Komponente modifizieren.


Gestaltungsprinzipien <strong>und</strong> Erfahrungen zum virtuellen Selbstlernkurs: <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer<br />

5. Das Objekt bzw. den Inhalt der Re-präsentation<br />

konstruieren.<br />

6. Den Gegenstand bzw. den Inhalt der Repräsentation<br />

konstruieren <strong>und</strong> durch manipulierende<br />

Handlungen intelligente<br />

Rückmeldung vom System erhalten.<br />

Stufe 1 beinhaltet das Lesen von Texten<br />

oder das Betrachten von Bildern. Der Lerner<br />

kann nicht selbst Inhalte gestalten. Es handelt<br />

sich hierbei um keine echte Interaktivität.<br />

Zur zweiten Stufe zählt man an<strong>im</strong>ierte Bildfolgen<br />

(sogenannte An<strong>im</strong>ated-Gif) oder auch<br />

bei Bedarf verfügbare Zusatzinformationen in<br />

auditiver oder visueller Form zu beliebigen<br />

Elementen. Beispielsweise ein typisches Musikstück,<br />

das bei Klick auf das Bild eines<br />

Komponisten von selbst startet. In Stufe 3<br />

kann der Student selbst best<strong>im</strong>men, welche<br />

Veränderung der Repräsentationsform vorgenommen<br />

wird. Abbildung 3 zeigt als Beispiel<br />

hierfür die interaktive Drehung eines in<br />

der x-z-Ebene halbierten Paraboloids.<br />

Abb. 3: Variation der Repräsentationsform<br />

Best<strong>im</strong>mt <strong>und</strong> modifiziert der Nutzer neben<br />

der Darstellung auch die zu betrachtende<br />

Komponente, dann handelt es sich um Interaktivität<br />

auf Stufe 4. Ein Beispiel hierfür ist in<br />

Abb. 1 dargestellt. Neben der aktiven Manipulation<br />

des 3D-Objektes kann der betrachtete<br />

Funktionsterm selbst eingegeben <strong>und</strong><br />

verändert werden. Konstruiert man als Lerner<br />

selbstständig (z.B. ein Lot zu einer vorgegebenen<br />

Geraden in einem best<strong>im</strong>mten Punkt),<br />

dann handelt es sich um ein Beispiel für Stufe<br />

5. Stufe 6 baut auf den vorherigen Stufen<br />

auf <strong>und</strong> wird um kontextabhängige Rückmeldungen<br />

für den Anwender erweitert, in denen<br />

er Informationen <strong>und</strong> Tipps passend zur momentan<br />

bearbeiteten Aufgabe oder Tätigkeit<br />

erhält.<br />

Lerninhalte in virtuellen Seminaren kann man<br />

mit verschiedenartigen Visualisierungen anschaulicher<br />

Gestalten. Mit interaktiven Elementen<br />

ermöglicht man dem Lerner, seinen<br />

persönlichen Lernweg zu gestalten. Die vorgestellte<br />

Kategorisierung von MM-Elementen<br />

kann helfen, wissenschaftlich zu überprüfen<br />

<strong>und</strong> zu reflektieren, ob die eingesetzten Komponenten<br />

in einer Online-Umgebung den mit<br />

ihnen in Verbindung gebrachten Nutzen erfüllen<br />

<strong>und</strong> ob dieser Nutzen damit auch erreicht<br />

wird.<br />

Der Kurs <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer beschäftigt<br />

sich inhaltlich mit Einsatzmöglichkeiten<br />

von CAS. Ein Ansatz, wie man CAS <strong>und</strong> interaktive<br />

Elemente unterschiedlicher Art sinnvoll<br />

<strong>und</strong> zielorientiert in einer <strong>Internet</strong>-Umgebung<br />

verwenden kann, wird <strong>im</strong> folgenden Abschnitt<br />

anhand des Teilmoduls Funktionen<br />

vorgestellt.<br />

2.2 Verwendete Mult<strong>im</strong>ediaelemente<br />

Gr<strong>und</strong>lage eines jeden virtuellen Online-Kurses<br />

sind <strong>Internet</strong>seiten, die in Hypertextmarkierungssprache<br />

(HTML) realisiert sind <strong>und</strong><br />

somit von beliebigen Browsern (z.B. Netscape<br />

oder Opera) dargestellt werden können.<br />

In Verbindung mit HTML kommen <strong>im</strong><br />

Algebra-Bereich noch 8 weitere MM-Komponenten<br />

zum Einsatz (s. Abb. 4), die <strong>im</strong> Folgenden<br />

näher beschrieben werden.<br />

Abb. 4: Eingesetzte MM-Elemente <strong>im</strong> Kurs <strong>Mathematik</strong><br />

<strong>und</strong> Computer<br />

Um den Studierenden bereits zu Beginn einer<br />

Lerneinheit einen Überblick über anstehende<br />

Inhalte zu ermöglichen <strong>und</strong> dem Effekt<br />

"lost in hyperspace" (beschrieben z.B. in<br />

Haack 2002) entgegenzuwirken, werden<br />

Übersichten angeboten. Sie sind als mehrstufige<br />

Flash-Applikation umgesetzt. Zunächst<br />

erhält der Student Information über<br />

Themenschwerpunkt (z.B. Funktionen) <strong>und</strong><br />

darin enthaltene Unterabschnitte (z.B.<br />

Gr<strong>und</strong>lagen oder Graph-Tabelle-Gleichung-<br />

Darstellungen (GTG)). Zusätzlich zum schriftlich<br />

gestalteten Überblick wird jeweils ein für<br />

den Abschnitt typisches <strong>und</strong> <strong>im</strong> eigentlichen<br />

Kapitel wiederkehrendes Bild angeboten (vgl.<br />

in Abb. 5 Unterpunkt Gr<strong>und</strong>lagen). Werden<br />

von den <strong>Lernen</strong>den weitere Informationen<br />

gewünscht, erscheinen zu jedem Teilaspekt<br />

bei "Mouse-Over" stichpunktartige Inhaltsangaben<br />

(in Abb. 5 Unterpunkt Erk<strong>und</strong>en). In<br />

einer dritten Stufe (bei "Mouse-Klick") werden<br />

zwei charakteristische, inhaltsbeschreibende<br />

Bilder angeboten (vgl. Abb. 5 Unterpunkt<br />

GTG). Alle drei Informationsstufen sind<br />

für jeden Unterpunkt verfügbar.<br />

179


Wolfgang Weigel<br />

180<br />

Abb. 5: Mehrstufige Übersicht realisiert in Flash<br />

Die zunächst knapp bemessene Schautafel<br />

<strong>und</strong> die weitergehende, dreistufige Informationsvermittlung,<br />

kombiniert mit zusätzlich eingebauten<br />

Filmsequenzen, kann als eine alternative<br />

Form der Überblicksgewinnung angesehen<br />

werden.<br />

Ziel des Kurses <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer<br />

ist es, <strong>Lernen</strong>den Kenntnisse über neue<br />

Technologien wie CAS zu vermitteln <strong>und</strong> sie<br />

zu einem didaktisch sinnvollen Einsatz dieser<br />

Hilfsmittel <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht anzuregen.<br />

Hierzu ist es zunächst notwendig, dass<br />

Studierende mit diesen Technologien umgehen<br />

lernen. Für den Gebrauch in der Schule<br />

bietet sich aufgr<strong>und</strong> der einfachen <strong>und</strong> menügesteuerten<br />

Führung z.B. das CAS Derive<br />

an. Da Derive preiswert zu erwerben ist,<br />

werden Teile der Inhalte <strong>und</strong> Aufgaben so<br />

gestellt, dass man zuhause offline eigene Erfahrungen<br />

damit sammeln kann.<br />

Abb. 6: Beispiel für eine Website<br />

Alle CAS-Erfahrungen können natürlich auch<br />

online erworben werden. Zu diesem Zweck<br />

sind viele Inhalte so gestaltet, dass z.B. Exper<strong>im</strong>entieren<br />

oder Visualisieren mit dem<br />

Computer auch innerhalb des virtuellen Kurses<br />

stattfinden kann. Mithilfe von Web-<br />

Mathematica-Seiten (WebM) gelingt es, typische<br />

CAS-Aufgaben <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> zugänglich<br />

<strong>und</strong> bearbeitbar zu gestalten.<br />

Thematische Schwerpunkte, theoretisches<br />

Hintergr<strong>und</strong>wissen <strong>und</strong> Aufgaben werden<br />

durch erklärenden Text präsentiert. Wenn<br />

möglich werden diese Elemente zusätzlich<br />

durch ein Bild erläutert (vgl. Abb. 6). Die Inhalte<br />

liegen nun doppelt codiert vor, wodurch<br />

positive Veränderungen in der Lernleistung<br />

nachgewiesen werden können (vgl. Mayer<br />

2001).<br />

Komplexe <strong>und</strong> dynamische Vorgehensweisen,<br />

wie die Bedienung eines CAS, machen<br />

die schriftliche Erläuterung schwierig <strong>und</strong><br />

umfangreich. Für diese Zwecke ist eine authentische<br />

Erklärung via Video sinnvoll. Dies<br />

geht auch aus bereits genauer untersuchten<br />

Online-Kursen hervor. Studierende äußerten<br />

explizit den Wunsch nach Videos (Mandl<br />

2001). Wichtig ist, dass die Lerner die Möglichkeit<br />

haben, innerhalb des Videos zu<br />

springen, es zu stoppen <strong>und</strong> auch wiederholt<br />

anzusehen (Chambel 2001, Schnotz 2001).<br />

Wie in Abb. 6 gezeigt, werden aus jedem Video<br />

bis zu drei markante Szenen herausge-


Gestaltungsprinzipien <strong>und</strong> Erfahrungen zum virtuellen Selbstlernkurs: <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer<br />

nommen <strong>und</strong> als Bild parallel zum erklärenden<br />

Text angeboten. Diese Bilderfolgen dienen<br />

dazu, dem Lerner schnell einen Überblick<br />

zu verschaffen, was <strong>im</strong> Video beschrieben<br />

wurde bzw. wird. Er erhält so bereits vor<br />

dem Start des eigentlichen Films die Chance<br />

zu entscheiden, ob die Inhalte für ihn wichtig<br />

sind. Hat er das Video bereits gesehen, kann<br />

er sich be<strong>im</strong> Lesen des dazugehörigen Textes<br />

anhand der Bilderfolgen erinnern. Alle<br />

Bilder der Bilderfolge werden zur besseren<br />

Erkennbarkeit von Details auch als Großbild<br />

angeboten. Die Kombination aus Video <strong>und</strong><br />

Bilderfolgen ist als ein Teilaspekt der aktuellen<br />

Forschung <strong>im</strong> Bereich "Neue Medien" unter<br />

dem Schlagwort Hypervideo zu finden<br />

(Chambel 2001).<br />

Neben der Abwechslung <strong>im</strong> Lernszenario<br />

durch einen breiten Einsatz von Medien auf<br />

verschiedenen Stufen sind weitere Schritte<br />

zur Unterbindung psychischer Ermüdung gefragt.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird innerhalb des<br />

Lernkurses aufgefordert, Texte in einem Didaktik-Lehrbuch<br />

zu lesen, darüber zu reflektieren<br />

bzw. <strong>im</strong> Forum dazu Stellung zu nehmen.<br />

Der <strong>Lernen</strong>de führt hier eine Tätigkeit<br />

abseits des Rechners durch. Den gleichen<br />

Effekt bewirken auch vereinzelt eingestreute<br />

"Paper & Pencil"-Aufgaben.<br />

3 <strong>WWW</strong>-Gestaltungsprinzipien<br />

Die einzelnen MM-Elemente erzielen nur<br />

dann den gewünschten Lernerfolg, wenn der<br />

Gestaltung der zugehörigen HTML-Seiten<br />

angemessene Prinzipien zugr<strong>und</strong>e gelegt<br />

werden. Es wurde beispielsweise auf allen<br />

Seiten des Kurses ein weitgehend einheitliches<br />

optisches Layout <strong>und</strong> eine konsequente<br />

inhaltliche Darstellung durchgeführt. Dabei<br />

wird auf Ergebnisse der aktuellen Forschung<br />

zurückgegriffen, die z.B. von Blömeke (2003)<br />

umfassend beschrieben wurden.<br />

3.1 Optische Ebene<br />

Der Lernprozess in Online-Umgebungen wird<br />

bei den Studierenden als aktive <strong>und</strong> konstruktive<br />

Handlung vermutet. Daher ist es<br />

notwendig, dass der Lerner "Prozesse der<br />

Auswahl, der Organisation <strong>und</strong> der Verarbeitung<br />

von Information" (Schnotz 2001, 293)<br />

durchführt. Um ihn dabei zu unterstützen,<br />

wurden die Webseiten nach zwei wesentlichen<br />

Merkmalen gestaltet (vgl. Abb. 6):<br />

• 3-Spalten-Layout (Weigand et al. 2002),<br />

• Verwendung von Buttons.<br />

Mithilfe funktionsgeb<strong>und</strong>enener Buttons erkennt<br />

der Benutzer, ob <strong>im</strong> nebenstehenden<br />

Text eine Inhaltsübersicht gegeben wird, der<br />

Lehrstoff theoretisch dargestellt wird oder eine<br />

Aufgabe vorliegt. Die Buttons sind am linken<br />

Rand angeordnet. In der mittleren Spalte<br />

findet man passend zum jeweiligen Inhalt erklärende<br />

<strong>und</strong> beschreibende Texte. In der<br />

rechten Spalte sind ergänzend zum Text Bilder<br />

aufgeführt. Ebenso findet man hier Buttons,<br />

die auf Videos, WebMathematica-Aktivitäten<br />

oder Lösungstipps zu schwierigen<br />

Aufgaben hinweisen. Zusätzlich zu Text <strong>und</strong><br />

Video gibt es in dieser Spalte auch Bilderfolgen<br />

(wie oben beschrieben).<br />

Mayer (2001) hat in einer empirischen Studie<br />

festgestellt, dass durch Doppelcodierung<br />

bessere Lernergebnisse zu erwarten sind. Er<br />

bezeichnet dieses Ergebnis als Mult<strong>im</strong>ediaprinzip.<br />

Dementsprechend werden soweit<br />

möglich zu den Texten auch illustrierende<br />

Bilder präsentiert. Alle Bilder sind in räumlicher<br />

Nähe zum zugehörigen Text angeordnet.<br />

Es gibt Hinweise, dass die Anwendung<br />

dieses so genannten Kontiguitätsprinzips den<br />

Lernprozess erleichtert (Mayer 2001).<br />

Neben diesen optischen Prinzipien der Gestaltung<br />

wurden auch die Inhalte nach best<strong>im</strong>mten<br />

Regeln angeordnet.<br />

3.2 Inhaltliche Ebene<br />

Die Inhalte des Kurses werden gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

in drei Schritten an die Studierenden herangetragen(Exper<strong>im</strong>entieren-Vormachen-Anwenden<br />

<strong>—</strong> EVA):<br />

1. Exper<strong>im</strong>entieren: Zu Beginn jedes Unterabschnittes<br />

(z.B. Funktionen erk<strong>und</strong>en; s.<br />

Abb. 5) wird versucht, mit Exper<strong>im</strong>entieraufgaben<br />

(s. hierzu [5]) an den mathematischen<br />

Sachverhalt <strong>und</strong> die themenbezogene<br />

Arbeitsweise mit einem CAS heranzuführen.<br />

Dabei ist "Explorierendes Arbeiten<br />

mit dem Computer" eine zentrale <strong>und</strong><br />

wichtige Tätigkeit auch <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

(vom Hofe 2001) <strong>und</strong> sollte daher<br />

von den Studierenden am eigenen Leib<br />

erlebt werden.<br />

2. Vormachen: Nach der Phase des Entdeckens<br />

wird mithilfe von Text <strong>und</strong> Videos<br />

erklärt bzw. vorgemacht, wie man in Derive<br />

eine Problemlösung erreichen würde.<br />

3. Anwenden: Abschließend müssen die<br />

<strong>Lernen</strong>den die Lerninhalte anhand von<br />

Aufgaben selbst einüben.<br />

181


Wolfgang Weigel<br />

Neben dem Erwerb technischer Kompetenzen<br />

wird ein weiterer Schwerpunkt auf die<br />

kritische Reflektion des Mediums gesetzt.<br />

Wann, wie <strong>und</strong> in welchem Umfang nutzt<br />

man diese Medien? Oder auch: Welche Probleme<br />

können be<strong>im</strong> Einsatz auftreten?<br />

4 Akzeptanzstudie<br />

Es stellt sich die Frage, wie das gestalterische<br />

<strong>und</strong> mult<strong>im</strong>ediale Konzept des Kurses<br />

von den Studierenden angenommen wird.<br />

Zur Akzeptanz <strong>und</strong> zum Lernerfolg von Online-Kursen<br />

<strong>im</strong> Bereich der <strong>Mathematik</strong> gibt es<br />

bislang wenige Erkenntnisse. Der folgende<br />

Abschnitt liefert erste Einblicke in die Ergebnisse<br />

einer Akzeptanzstudie zum Kurs <strong>Mathematik</strong><br />

<strong>und</strong> Computer. Es wird <strong>im</strong> Detail auf<br />

Ziele <strong>und</strong> den inhaltlichen Untersuchungsgegenstand<br />

eingegangen. Auch auf die dabei<br />

eingesetzten Methoden wird ein besonderes<br />

Augenmerk gelegt. Abschließend werden die<br />

gewonnenen Erfahrungen diskutiert.<br />

4.1 Ziele<br />

Im Rahmen der Akzeptanzstudie ging es<br />

darum, Erkenntnisse zur Qualität, zu Gestaltung<br />

<strong>und</strong> Nutzbarkeit der Inhalte bzw. der<br />

Lehr-/Lernumgebung zu sammeln. Deshalb<br />

wurden die didaktische Angemessenheit des<br />

Kurses, die Nutzbarkeit der Plattform bzw.<br />

der Webseiten sowie der Lernerfolg der Teilnehmer<br />

des <strong>WWW</strong>-Kurses genauer untersucht<br />

(nach Schaumburg & Rittmann 2001).<br />

4.1.1 Didaktische Angemessenheit<br />

Es galt herauszufinden, ob der Kurs an das<br />

Vorwissen der Teilnehmer anknüpfte, ob es<br />

Lücken gab oder ob die Studierenden unterfordert<br />

waren. Eine weitere wichtige Frage<br />

dieses Bereichs lautete: Waren die Lernziele<br />

für die Beteiligten deutlich erkennbar?<br />

4.1.2 Usability<br />

Mit der Nutzbarkeit oder Usability (vgl. hierzu<br />

[6]) verbindet man Fragen nach der Erlernbarkeit<br />

<strong>im</strong> Umgang mit der Plattform oder<br />

auch danach, wie die Nutzer mit der Anordnung<br />

der Inhalte zurechtgekommen sind.<br />

4.1.3 Lernerfolg<br />

Die sicherlich schwierigste Frage, die es zu<br />

beantworten galt, zielte auf den erhofften<br />

Wissenszuwachs der Studierenden ab. Da<br />

182<br />

die Inhalte mult<strong>im</strong>edial aufbereitet waren <strong>und</strong><br />

die Lerner aktiv mit Lernobjekten umgehen<br />

konnten, stellte sich zunächst die bekannte<br />

Frage: "Was ist unter Lernerfolg zu verstehen?"<br />

(vgl. Baumgartner 1999)<br />

Diese Frage wurde für die Akzeptanzstudie<br />

in zwei Teile unterteilt:<br />

• Fragen zur CAS-Nutzung,<br />

• Fragen zum Ziel des Kurses.<br />

Im Zentrum des Interesses standen dabei:<br />

• Welche Medienangebote wurden von den<br />

Teilnehmern als nützlich eingestuft <strong>und</strong><br />

warum?<br />

• Wurden neue Möglichkeiten zum Computereinsatz<br />

<strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht wahrgenommen?<br />

• Ist dieser Selbstlernkurs als Vorbereitung<br />

auf den Lehrberuf geeignet?<br />

4.2 Mathematische Inhalte<br />

Die Ziele der Akzeptanzstudie wurden am<br />

achtteiligen Abschnitt Funktionen aus dem<br />

Bereich der Algebra überprüft. Zu Beginn<br />

wurden die Probanden anhand einer mehrstufigen<br />

Übersicht über die anstehenden Inhalte<br />

informiert. Im ersten Teilabschnitt wurden<br />

Gr<strong>und</strong>lagen zur Funktionsdarstellung<br />

mithilfe eines CAS vorgestellt. Exper<strong>im</strong>entelles<br />

Arbeiten mit Rechnerunterstützung, Gleichung-Tabelle-Graph-Darstellungen<br />

<strong>und</strong> Visualisierungen<br />

von Kurven waren weitere<br />

Themen. Der Umgang mit zusammengesetzten<br />

Funktionen <strong>und</strong> der Übergang zu Funktionen<br />

zweier Veränderlicher (z.B. anhand<br />

von Funktionsscharen) wurde ebenfalls thematisiert.<br />

Die Inhalte orientieren sich an den<br />

didaktischen Ideen von Vollrath (1999) sowie<br />

Weigand & Weth (2002). Abger<strong>und</strong>et wurde<br />

das Themenpaket mit Aufgaben zu allen vorher<br />

behandelten Bereichen.<br />

4.3 Methoden<br />

Durch den Einsatz von MM-Elementen erhofft<br />

man sich, dass die Lerner konstruktiv ihr<br />

Wissen erweitern <strong>und</strong> der Lernprozess gefördert<br />

wird. Will man eine Untersuchung dahingehend<br />

führen, stellt sich die Frage nach<br />

passenden Werkzeugen zur Evaluation.<br />

Baumgartner (1999) schlägt vor, dass aufgr<strong>und</strong><br />

der Interaktivität andere Arten der Evaluation<br />

gewählt werden müssen. Dementsprechend<br />

wurden zur Überprüfung der oben<br />

vorgestellten Ziele drei Instrumente eingesetzt<br />

<strong>und</strong> kombiniert:


Gestaltungsprinzipien <strong>und</strong> Erfahrungen zum virtuellen Selbstlernkurs: <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer<br />

1. Online-Fragebögen,<br />

2. Videoaufzeichnungen,<br />

3. Interviews.<br />

Zu 1: Vor Beginn der Testphase wurden von<br />

allen Beteiligten in einer zweiteiligen Befragung<br />

allgemeine Daten (Geschlecht, Semesterzahl,<br />

…), Medienkompetenz <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>wissen<br />

über Funktionen in Erfahrung gebracht.<br />

Am Ende des Tests wurde noch einmal<br />

dieses Gr<strong>und</strong>wissen <strong>und</strong> <strong>im</strong> Kurs vermitteltes<br />

Fachwissen abgefragt. Zusätzlich wurden<br />

Daten zur Lernform (Selbstlernen),<br />

Übersichtlichkeit, Verständlichkeit, zu persönlichen<br />

Erfahrungen <strong>und</strong> zur Nützlichkeit<br />

der MM-Komponenten erhoben.<br />

Anhand dieser Daten war ein Vergleich "Vorher-Nachher"<br />

möglich. Eventuell aufgetretene<br />

Probleme <strong>im</strong> Umgang mit Computern oder<br />

den CAS-Anwendungen konnten in Bezug<br />

zur vorher analysierten Medienkompetenz<br />

der Gruppe gestellt werden. Weiterhin<br />

war ein Einblick in Bereiche der Usability <strong>und</strong><br />

des persönlichen Lernerfolgs möglich.<br />

Zu 2: Das Gesichtsfeld ausgewählter Personen<br />

wurde zusammen mit deren Tätigkeit am<br />

Rechner als Video aufgezeichnet (s. Abb. 7).<br />

lichkeit, MM-Elemente, Computereinsatz <strong>und</strong><br />

Selbsteinschätzung des Lernerfolgs eingegangen.<br />

In einem zweiten Teil wurden die<br />

Personen mit vorher ausgewählten (aus der<br />

Sicht des Interviewers interessanten) Szenen<br />

aus dem Video konfrontiert <strong>und</strong> dazu befragt.<br />

Mithilfe der Interviews war es möglich, Ergebnisse<br />

der Fragebögen zu hinterfragen<br />

<strong>und</strong> dadurch ein genaueres Bild der Sachlage<br />

zu erhalten (z.B. "Warum haben Sie das<br />

Medium Film als hilfreich empf<strong>und</strong>en?"). Aus<br />

den Videoprotokollen war ersichtlich, wie die<br />

Studierenden mit dem System umgehen <strong>und</strong><br />

an welchen Stellen bzw. Inhalten Probleme<br />

aufgetreten sind. Im Interview konnte direkt<br />

Bezug darauf genommen werden, <strong>und</strong> dadurch<br />

eröffnete sich die Chance, mehr <strong>und</strong><br />

genaue Informationen zu erhalten, warum<br />

<strong>und</strong> wieso diese Probleme auftraten.<br />

4.4 Ergebnisse<br />

Alle 32 Probanden arbeiteten in mehreren<br />

Gruppen in einem Computer-Pool für mindestens<br />

zwe<strong>im</strong>al 90 Minuten <strong>im</strong> Online-Kurs.<br />

Dabei handelte es sich um 17 Studierende<br />

mit durchschnittlich sechs Semestern Universitätserfahrung<br />

<strong>und</strong> um 15 Schüler der<br />

Abb. 7: Rechts erkennt man die M<strong>im</strong>ik des Probanden <strong>und</strong> links seine momentane Aktivität <strong>im</strong> Online-Kurs<br />

Hierdurch konnte die Arbeitsweise am Rech- Oberstufe mit Leistungskurs <strong>Mathematik</strong>.<br />

ner mit WebMathematica, Derive <strong>und</strong> der Den beteiligten Personen konnte ein durch-<br />

Lernplattform genauer untersucht werden. Es schnittlich gutes Wissen <strong>im</strong> Umgang mit dem<br />

gelang so, anhand der vielfältigen M<strong>im</strong>ik (Le- Computer zugeschrieben werden. Dies zeigt<br />

onard 1968) der Probanden tendenzielle sich daran, dass 31 von 32 Befragten einen<br />

Aussagen über die Wirkung der bearbeiteten Privatrechner besitzen <strong>und</strong> deutlich über<br />

Aufgaben, Texte <strong>und</strong> MM-Elemente zu ma- 80% den Computer für Office-Anwendungen<br />

chen.<br />

bzw. Email nutzen. Dabei war von besonde-<br />

Zu 3: Alle gefilmten Probanden wurden auch<br />

zu einem problembezogenen <strong>und</strong> konfrontierenden<br />

Interview eingeladen. Hierbei wurde<br />

auf Lernplattform, Lernmethode, Verständrem<br />

Interesse, dass fast 80% bereits Erfahrungen<br />

mit CAS hatten. Mit Video aufgezeichnet<br />

<strong>und</strong> interviewt wurden drei Studierende<br />

<strong>und</strong> ein Schüler.<br />

183


Wolfgang Weigel<br />

Ausgehend von den Zielen der Akzeptanzstudie,<br />

werden nun erste Erfahrungen <strong>und</strong><br />

Tendenzen berichtet.<br />

4.4.1 Didaktische Angemessenheit<br />

Angehende <strong>Mathematik</strong>studenten wird man<br />

vor allem unter der Gruppe der mathematikinteressierten<br />

Abiturienten finden. Diese Personengruppe<br />

wird sich <strong>im</strong> Studium mit den<br />

zu untersuchenden Materialien beschäftigen.<br />

Für Studierende <strong>und</strong> Schüler bietet der Kurs<br />

inhaltlich, auf der "technischen" Werkzeugebene,<br />

als auch auf Darstellungs- <strong>und</strong> Objektebene,<br />

neue Aspekte.<br />

Die Schüler bemängelten das sehr breite<br />

Schwierigkeitsspektrum des Kurses. Einige<br />

Inhalte (wie Funktionen zweier Veränderlicher<br />

oder Kurven) waren Ihnen nahezu unbekannt.<br />

Im Gegensatz dazu wurden Theorie<br />

<strong>und</strong> Aufgaben von den Studierenden als angemessen<br />

empf<strong>und</strong>en, woraus man folgern<br />

kann, dass die inhaltlichen Anforderungen<br />

des Kurses für das Zielklientel (Studenten)<br />

geeignet sind.<br />

Die Studierenden vermuteten als Ziel des<br />

Kurses, vor allem den Umgang mit CAS (z.B.<br />

Derive) zu erlernen. Dieses zunächst enttäuschende<br />

Ergebnis relativierte sich bei genauerer<br />

Nachfrage. Großteile der ersten Sitzung<br />

wurden damit verbraucht, den Umgang<br />

mit dem Lernsystem kennen zu lernen. Anfängliche<br />

Schwierigkeiten mit der korrekten<br />

Syntax in Derive bzw. WebMathematica lenkten<br />

die Aufmerksamkeit von didaktischen<br />

Fragestellungen ab. Als weiteres Problem<br />

wurde die "geringe" Zeit genannt. Die Befragten<br />

würden als reale Online-Studierende zuhause<br />

vermutlich mehr Zeit (als in einer Laborsituation)<br />

investieren.<br />

Um die Transparenz der Lernziele des Kurses<br />

zu überprüfen, hat sich der zeitliche Rahmen<br />

der Studie als zu eng erwiesen.<br />

4.4.2 Usability<br />

Wie bereits <strong>im</strong> vorherigen Punkt angedeutet,<br />

wurde die Nutzbarkeit der Lernplattform zu<br />

Beginn als gewöhnungsbedürftig eingestuft.<br />

Diese Schwierigkeit bestand allerdings in der<br />

zweiten Sitzung kaum mehr.<br />

Die gestalterische Aufbereitung der Inhalte<br />

entsprach den Vorstellungen der Probanden.<br />

Ein Teilnehmer bemerkte: "Die Inhalte sind<br />

sehr gut geordnet <strong>und</strong> ergeben auch einzeln<br />

Sinn."<br />

Zusammenfassend kann man feststellen,<br />

dass die Teilnehmer des <strong>WWW</strong>-Kurses eine<br />

184<br />

Einarbeitungszeit benötigten, dann aber effizient<br />

mit dem System arbeiten konnten.<br />

4.4.3 Lernerfolg<br />

Die Studierenden wurden konkret gefragt, ob<br />

sie durch den Kurs neue Möglichkeiten zum<br />

Computereinsatz <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

kennengelernt hätten. Diese Aussage wurde<br />

als durchschnittlich zutreffend (mit geringer<br />

positiver Tendenz) empf<strong>und</strong>en (5-teilige Likert-Skala<br />

gemäß Bortz & Döring (1995): Mittelwert<br />

3, Ergebnis: 3.44 ± 1.46). Weiterhin<br />

wurde gefragt, ob das Selbstlernmodul als<br />

eine gute Vorbereitung auf den Lehrberuf<br />

angesehen werden kann. Die Probanden<br />

stuften diese Aussage ebenfalls als durchschnittlich<br />

zutreffend ein mit geringer negativer<br />

Tendenz: Mittelwert 3, Ergebnis:<br />

2.69 ± 1.04).<br />

Aus Videoprotokollen konnte in Erfahrung<br />

gebracht werden, dass wenig Reflektions<strong>und</strong><br />

Diskussionsaufgaben bearbeitet wurden.<br />

Als Gr<strong>und</strong> hierfür wurde <strong>im</strong> Interview erneut<br />

die geringe Zeit <strong>und</strong> der Schwerpunkt auf<br />

Problemen <strong>im</strong> Umgang mit dem CAS geäußert.<br />

Daher stand der Erwerb einer (notwendigen)<br />

Werkzeugkompetenz <strong>im</strong> Mittelpunkt<br />

der Probanden. Einigen waren aus früher<br />

besuchten Seminaren Möglichkeiten zum<br />

Computereinsatz <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

bereits bekannt.<br />

Über drei Viertel der beteiligten Personen<br />

waren dennoch der Überzeugung, etwas gelernt<br />

zu haben. Aufgr<strong>und</strong> der vorher beschriebenen<br />

Dominanz von CAS-Anwendungen<br />

(aus der Sicht der Teilnehmer) <strong>und</strong> den<br />

anfänglich damit verb<strong>und</strong>en Problemen,<br />

könnte man vermuten, dass der Kurs als<br />

CAS-Training verstanden wurde. Diese Aussage<br />

trifft erneut nur durchschnittlich zu (mit<br />

geringer Tendenz zur Ablehnung:<br />

2.88 ± 0.99).<br />

Die beteiligten Studenten waren der Meinung,<br />

dass die <strong>im</strong> Kurs eingesetzten MM-<br />

Elemente ihnen das <strong>Lernen</strong> erleichtert haben<br />

(4.38 ± 0.99). Besonders nützlich wurden<br />

hierbei die Videos eingestuft (4.82 ± 0.38).<br />

Der Einsatz von Derive wurde tendenziell<br />

nützlicher (4.19 ± 0.73) als der von Web-<br />

Mathematica empf<strong>und</strong>en (3.44 ± 1.27).<br />

4.5 Fazit der Befragung<br />

Die Ergebnisse lassen auf ein st<strong>im</strong>miges<br />

MM-Konzept schließen. Vor allem Videos<br />

wurden positiv bewertet, da man hier nach<br />

Aussage der Probanden bei Problemen


Gestaltungsprinzipien <strong>und</strong> Erfahrungen zum virtuellen Selbstlernkurs: <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Computer<br />

schneller <strong>und</strong> einfacher nachschauen konnte<br />

als <strong>im</strong> Text. Es hat sich auch gezeigt, dass<br />

Videos wirklich mehrmals aufgerufen wurden.<br />

WebMathematica-Seiten sind einfach zu<br />

bedienen <strong>und</strong> befassen sich mit einem konkreten<br />

Problem. Derive erwartet vom Nutzer<br />

mehr Kompetenz, dafür hat er aber die volle<br />

Freiheit in der Anwendung. Man erkennt<br />

deutlich zwei unterschiedliche Philosophien,<br />

die sich auch ansatzweise in der Befragung<br />

der Probanden zeigten. Einige bevorzugten<br />

Bedienungskomfort <strong>und</strong> nahmen wissentlich<br />

Einschränkungen kreativer Möglichkeiten in<br />

Kauf. Andere bevorzugten das offene System,<br />

um alle mathematischen Ideen sofort<br />

verfolgen zu können. Es hat sich auch angedeutet,<br />

dass von leistungsstärkeren Teilnehmern<br />

das offene Derive bevorzugt wird. Leistungsschwächere<br />

neigen eher zum einfachen<br />

<strong>und</strong> geleiteten System. Allerdings basieren<br />

diese Vermutungen auf persönlichen Erfahrungen<br />

mit den Probanden.<br />

5 Zusammenfassung <strong>und</strong><br />

Diskussion<br />

Dieser Aufsatz hat eine Möglichkeit zur Umsetzung<br />

eines Online-Kurses <strong>im</strong> Bereich der<br />

Algebra beschrieben. Schwerpunkte waren<br />

dabei Regeln zur sinnvollen Inhaltsaufbereitung<br />

<strong>und</strong> Ansätze zum reflektierbaren Einsatz<br />

von MM-Elementen.<br />

Die Untersuchungsergebnisse der Akzeptanzstudie<br />

zeigen in den Punkten Angemessenheit<br />

<strong>und</strong> Verwendbarkeit der Lernplattform<br />

bzw. Lerninhalte ein positives Feedback.<br />

Die Studierenden stuften die mathematischen<br />

Inhalte als angemessen ein. Es hat<br />

sich deutlich gezeigt, dass der Umgang mit<br />

der Lernplattform zunächst erlernt werden<br />

muss, bevor ein inhaltliches Arbeiten möglich<br />

ist.<br />

Auch das MM-Konzept scheint nach subjektiven<br />

Einschätzungen der Teilnehmer geeignet<br />

zu sein, um den Lernerfolg zu fördern.<br />

Besonders Videos wurden zur Lösung von<br />

aufgetretenen Problemen herangezogen. Alle<br />

bereitgestellten MM-Ressourcen (z.B.<br />

WebMathematica, Derive, Text) wurden als<br />

nützlich empf<strong>und</strong>en. Allerdings fehlen noch<br />

genauere Erkenntnisse, was diese MM-Elemente<br />

für die Teilnehmer so hilfreich macht.<br />

Ob sich best<strong>im</strong>mte Medien auch wirklich st<strong>im</strong>ulierend<br />

auf leistungsstarke bzw. leistungsschwächere<br />

<strong>Lernen</strong>de auswirken, kann aufgr<strong>und</strong><br />

der geringen Teilnehmerzahl nur vermutet<br />

werden, obwohl sich erste Tendenzen<br />

abzeichnen. Weitere Forschungen sind unumgänglich<br />

um diese offene Frage genauer<br />

zu untersuchen.<br />

Inwieweit alle gewonnenen Ergebnisse in einer<br />

realen Lernsituation (alleine <strong>und</strong> zuhause)<br />

reproduzierbar sind, gilt es ebenfalls zu<br />

überprüfen. In diesem Fall ist damit zu rechnen,<br />

dass der bemängelte knappe zeitliche<br />

Rahmen des Tests <strong>und</strong> die daraus resultierenden<br />

Folgen in den Hintergr<strong>und</strong> treten.<br />

Literatur<br />

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<strong>Lernen</strong>s. In: Michael Kindt (Hrsg.)<br />

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Neuen Medien <strong>—</strong> Forschungsstand <strong>und</strong> Perspektiven.<br />

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Weinhe<strong>im</strong>: Beltz, 3. Auflage<br />

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Leipzig: Barth<br />

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des <strong>Lernen</strong>s durch Neue Medien <strong>—</strong> das virtuelle<br />

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Auswertungsverfahren". In: F. Hesse & H.<br />

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des Web-basierten <strong>Lernen</strong>s <strong>—</strong> Ein Überblick<br />

über Werkzeuge <strong>und</strong> Methoden. In: Unterrichtswissenschaft<br />

29, 342–356<br />

Schnotz, W. (2001): Wissenserwerb mit Mult<strong>im</strong>edia.<br />

In: Unterrichtswissenschaft 29, 293–318<br />

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Schulmeister, Rolf (2002): Taxonomie der Interaktivität<br />

von Mult<strong>im</strong>edia <strong>—</strong> Ein Beitrag zu aktuellen<br />

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Vollrath, Hans-Joach<strong>im</strong> (1999): Algebra in der Sek<strong>und</strong>arstufe.<br />

Mannhe<strong>im</strong>: BI Wissenschaftsverlag<br />

Weidenmann, B. (2002): Multicodierung <strong>und</strong> Mult<strong>im</strong>odalität<br />

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Kommunikation in der Lehramtsausbildung. In:<br />

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Weigel, Wolfgang (2003b): WebMathematica Online<br />

<strong>—</strong> Ein Beispiel aus der Sek<strong>und</strong>arstufe II.<br />

In: Der <strong>Mathematik</strong>unterricht 49, Heft 4, 44–51<br />

[1] http://www.medien-bildung.net/projekte/projekte_uebersicht_db.php/alle/projekte/0/4/<br />

[2] http://www.virtuelle-hochschule.de<br />

[3] http://www.vhb.org<br />

[4] http://www.wolfram.com/products/webmathematica/examples/<br />

[5] http://www.sembs.rv.bw.schule.de/forum/_disc/00000029.htm<br />

[6] http://www.usability.at/


� Der ClassPad 300 von Casio *<br />

Jens Weitendorf, Norderstedt<br />

Im Folgenden werden an Hand von einigen Beispielen einige Möglichkeiten beschrieben,<br />

die man be<strong>im</strong> Unterrichtseinsatz dieses Rechners hat. Hierzu hat es in Dillingen sowohl<br />

einen Vortrag als auch eine Arbeitsgruppe gegeben. In diesem Artikel werden sowohl der<br />

Vortrag als auch die Ergebnisse der Arbeitsgruppe wiedergegeben.<br />

Beispiele aus dem Unterricht<br />

Im Rahmen dieses Artikels ist es nicht möglich,<br />

die Fähigkeiten des Rechners auch nur<br />

ansatzweise darzustellen. Um trotzdem einen<br />

Eindruck zu bekommen, werden <strong>im</strong> Folgenden<br />

drei Beispiele für den Einsatz exemplarisch<br />

beschrieben.<br />

Das Einkommenssteuergesetz<br />

Das aktuelle Gesetz findet man <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

unter der folgenden Adresse: http://b<strong>und</strong>esre<br />

cht.juris.de/b<strong>und</strong>esrecht/estg/index.html<br />

(Stand September 2003). Ich denke, dass es<br />

für unterrichtliche Zwecke günstiger ist, vom<br />

direkten Text auszugehen, als Tabellen zu<br />

benutzen, die leichter zu finden sind. Zum<br />

Zwecke der besseren Lesbarkeit wurde das<br />

"x" aus dem Originaltext durch "*" ersetzt.<br />

Beide Zeichen sind als Multiplikation zu interpretieren.<br />

Das Gesetz für das Jahr 2002 lautet folgendermaßen:<br />

Der Einkommensteuertarif:<br />

"(1) 1 Die tarifliche Einkommensteuer bemisst<br />

sich nach dem zu versteuernden Einkommen.<br />

2 Sie beträgt vorbehaltlich der §§ 32b,<br />

34, 34b <strong>und</strong> 34c jeweils in Euro für zu versteuernde<br />

Einkommen<br />

1. bis 7.235 Euro (Gr<strong>und</strong>freibetrag):<br />

0;<br />

2. von 7.236 Euro bis 9.251 Euro:<br />

(768,85 * y + 1.990) * y;<br />

3. von 9.252 Euro bis 55.007 Euro:<br />

(278,65 * z + 2.300) * z + 432;<br />

4. von 55.008 Euro an:<br />

0,485 * x - 9.872.<br />

3<br />

"y" ist ein Zehntausendstel des 7.200 Euro<br />

übersteigenden Teils des nach Absatz 2 ermittelten<br />

zu versteuernden Einkommens. 4 "z"<br />

ist ein Zehntausendstel des 9.216 Euro über-<br />

steigenden Teils des nach Absatz 2 ermittelten<br />

zu versteuernden Einkommens. 5 "x" ist<br />

das nach Absatz 2 ermittelte zu versteuernde<br />

Einkommen.<br />

(2) Das zu versteuernde Einkommen ist auf<br />

den nächsten durch 36 ohne Rest teilbaren<br />

vollen Euro-Betrag abzur<strong>und</strong>en, wenn es<br />

nicht bereits durch 36 ohne Rest teilbar ist,<br />

<strong>und</strong> um 18 Euro zu erhöhen.<br />

(3) 1 Die zur Berechnung der tariflichen Einkommensteuer<br />

erforderlichen Rechenschritte<br />

sind in der Reihenfolge auszuführen, die sich<br />

nach dem Horner-Schema ergibt. 2 Dabei sind<br />

die sich aus den Multiplikationen ergebenden<br />

Zwischenergebnisse für jeden weiteren Rechenschritt<br />

mit drei Dez<strong>im</strong>alstellen anzusetzen;<br />

die nachfolgenden Dez<strong>im</strong>alstellen sind<br />

fortzulassen. 3 Der sich ergebende Steuerbetrag<br />

ist auf den nächsten vollen Euro-Betrag<br />

abzur<strong>und</strong>en.<br />

(4) (weggefallen)<br />

(5) Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b<br />

zusammen zur Einkommensteuer veranlagt<br />

werden, beträgt die tarifliche Einkommensteuer<br />

vorbehaltlich der §§ 32b, 34, 34b <strong>und</strong><br />

34c das Zweifache des Steuerbetrags, der<br />

sich für die Hälfte ihres gemeinsam zu versteuernden<br />

Einkommens nach den Absätzen<br />

1 bis 3 ergibt (Splitting-Verfahren)."<br />

Für den Unterricht wird es zunächst eine lohnende<br />

Aufgabe sein, eine Tabelle zu erstellen.<br />

Dieses lässt sich am einfachsten mit einer<br />

Tabellenkalkulation bewerkstelligen. Hier<br />

bestehen zunächst keine Unterschiede zwischen<br />

Excel <strong>und</strong> dem Spreadsheet von Casio,<br />

wenn man einmal von der Größe des<br />

Bildschirmes absieht, was natürlich für alle<br />

Anwendungen in Bezug auf Taschenrechner<br />

gilt. In der bisherigen Version des Spreadsheets<br />

lässt sich der "WENN"-Befehl von Excel<br />

nicht übertragen. Da die Teilfunktionen<br />

für die Steuer recht kompliziert sind, ergibt<br />

sich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist,<br />

* Teilnehmende der AG "Der ClassPad 300 von Casio" unter der Leitung von Jens Weitendorf: Norbert Christmann, Olaf Fergen, Reinhold Thode,<br />

Karel Tschacher<br />

187


Jens Weitendorf<br />

einen Ausdruck der folgenden Art einzugeben:<br />

=WENN(A2


F(x) := x 2<br />

F( a + h)<br />

− f(<br />

a)<br />

M(a, h) :=<br />

h<br />

VECTOR([a, M(a, 0.000001)], a, 0, 4, 0.1)<br />

Zunächst muss eine Funktion definiert werden.<br />

Danach wird ein "h" best<strong>im</strong>mt, so dass<br />

sich Sekanten- <strong>und</strong> Tangentensteigung nur<br />

noch geringfügig unterscheiden. Die letzte<br />

Zeile erzeugt eine Punktfolge von "Ableitungswerten",<br />

die sich grafisch darstellen <strong>und</strong><br />

interpretieren lässt.<br />

Abb. 4: Der Graph der Funktion f(x) = x 2 <strong>und</strong> der "Ableitung"<br />

Entsprechendes lässt sich auch mit dem<br />

ClassPad machen. In DERIVE werden die<br />

Ableitungswerte durch den Differenzenquotienten<br />

erzeugt. Bei der Bearbeitung mit dem<br />

Casio-Rechner geschieht dies grafisch so,<br />

wie die folgende Schilderung des Ablaufes<br />

zeigt.<br />

Neben dem oben schon erwähnten Spreadsheet<br />

hat der Rechner noch die folgenden<br />

Anwendungsbereiche.<br />

Abb. 5: Lehrgebiete des Rechners (Verborgen sind die<br />

Bereiche: Programm, Kommunikation, System <strong>und</strong><br />

Spreadsheet)<br />

Was den Rechner gegenüber anderen auszeichnet<br />

ist der eActivity-Bereich, der hier benutzt<br />

wird, um Ableitungen grafisch zu best<strong>im</strong>men<br />

<strong>und</strong> zu visualisieren. In diesem Bereich<br />

ist es möglich, die Gebiete des Class-<br />

Pad miteinander zu verknüpfen. Auch dies<br />

Der ClassPad 300 von Casio<br />

wird am Beispiel deutlich. Man geht in den<br />

eActivity-Bereich hinein <strong>und</strong> öffnet ein Geometrie-Fenster.<br />

Hier lassen sich auch Graphen<br />

von Funktionen mit Koordinatensystemen<br />

zeichnen. Ist der Graph zum Beispiel für<br />

f(x) = x 3 erzeugt, lässt sich an einem beliebigen<br />

Punkt die Tangente einzeichnen. Mit Hilfe<br />

einer An<strong>im</strong>ation kann man den Punkt, an<br />

dem die Tangente konstruiert wurde, auf<br />

dem Graphen wandern lassen. Neben diesem<br />

grafischen Wandern werden gleichzeitig<br />

numerisch Werte für die Tangentensteigungen<br />

erzeugt. Diese lassen sich dann wiederum<br />

so darstellen, wie die folgende Abbildung<br />

zeigt.<br />

Abb. 6: Der Graph der Funktion f(x) = x 3 <strong>und</strong> der Graph<br />

der "Ableitung"<br />

Es fällt auf, dass der Graph der "Ableitungsfunktion"<br />

an der Stelle x=0 nicht dem von x 2<br />

entspricht. Dies zeigt, dass die "Ableitung"<br />

numerisch erzeugt worden ist. Durch Interpolation<br />

ergibt sich die "Gerade" um 0. Der<br />

Graph lässt sich "verbessern", wenn man bei<br />

der An<strong>im</strong>ation mehr Schritte durchführt. Auf<br />

der anderen Seite erfährt man ganz <strong>im</strong> Sinne<br />

von Hischer (2002) auf diese Weise etwas<br />

über die Arbeitsweise des Gerätes. Genau<br />

wie bei DERIVE muss auch jetzt noch von<br />

den Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern eine Funktionsgleichung<br />

für den Graphen gef<strong>und</strong>en<br />

werden. Der ClassPad bietet noch die Möglichkeit,<br />

die Ableitungswerte in den Bereich<br />

Statistik zu übertragen. Mit Hilfe einer quadratischen<br />

Regression lässt sich dann die<br />

Gleichung ermitteln. Für den Lernerfolg der<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler ist es aber günstiger,<br />

wenn sie die Gleichungen von Funktionen,<br />

deren Graph gegeben ist, ohne Regression<br />

ermitteln.<br />

189


Jens Weitendorf<br />

Ich habe <strong>im</strong> Unterricht sowohl das Verfahren<br />

mit DERIVE als auch mit dem Casio-Rechner<br />

durchgeführt. Nach meiner Erfahrung war jedes<br />

Mal bei den Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern<br />

die eigentliche Definition der Ableitung als<br />

Grenzwert von Differenzenquotienten nach<br />

einiger Zeit nicht mehr präsent. Das gleiche<br />

Phänomen ist aber auch zu beobachten,<br />

wenn die Ableitungsregeln auf herkömmliche<br />

Art hergeleitet werden. Dass dies so ist, hat<br />

wahrscheinlich tiefere Gründe, die damit zu<br />

tun haben, dass unser Unterricht <strong>im</strong>mer noch<br />

zu sehr ergebnisorientiert ist <strong>und</strong> die Idee<br />

des Herleitungsprozesses in den Hintergr<strong>und</strong><br />

tritt. Wenn es gelingt, die Bedeutung von<br />

Prozessen bei den Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern<br />

zu verankern, werden unter Umständen<br />

die beiden oben beschriebenen rechnergestützten<br />

Verfahren zu anderen Ergebnissen<br />

führen. Zumindest wird die Eigenständigkeit<br />

gefördert, da bei der formalen Herleitung der<br />

Ableitung, die <strong>im</strong> Allgemeinen <strong>im</strong> Frontalunterricht<br />

geschieht, Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler,<br />

wenn überhaupt, nur passiv beteiligt sind.<br />

Dass sowohl DERIVE, als auch der Class-<br />

Pad in der Lage sind, Ableitungen direkt zu<br />

best<strong>im</strong>men, macht es natürlich noch schwieriger,<br />

den oben beschriebenen Prozess zur<br />

Hinführung zur Ableitungsfunktion bei den<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern zu verankern.<br />

Verlegung eines Telefonkabels<br />

Bei dem folgenden Beispiel, das von Herrn<br />

Tschacher zur Verfügung gestellt wurde,<br />

handelt es sich um ein Opt<strong>im</strong>ierungsproblem.<br />

Die Darstellung <strong>im</strong> Rahmen dieses Artikels<br />

ist schwierig, da sich die Interaktionen nur<br />

beschreibend darstellen lassen. Das Beispiel<br />

soll verdeutlichen, wie sich Schüleraktivitäten<br />

be<strong>im</strong> Lösen von Problemen unterstützen lassen.<br />

Die Aufgabe wird <strong>im</strong> eActivity-Bereich<br />

gestellt <strong>und</strong> bearbeitet. Zunächst wird das<br />

Problem <strong>im</strong> Textbereich beschrieben:<br />

"Telefonkabel<br />

Die Differentialrechnung ermöglicht es, Antworten<br />

auf Fragen zu geben, die anders nur<br />

mit viel Mühe zu finden sind.<br />

Ein Problem der Wirtschaft ist es, eine besonders<br />

billige Lösung zu suchen, um max<strong>im</strong>alen<br />

Gewinn zu erzielen."<br />

Dann erscheint ein Fenster, das mit Voraussetzungen<br />

betitelt ist.<br />

Durch Anklicken der Zeile <strong>im</strong> eActivity-<br />

Bereich halbiert sich das große Fenster, <strong>und</strong><br />

es öffnet sich das untere Fenster mit dem<br />

entsprechenden Inhalt. Auf die gleiche Art ist<br />

es möglich, den Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern<br />

190<br />

Hilfe anzubieten. Sie können dann für sich<br />

selbst entscheiden, ob sie diese Hilfe wollen<br />

oder nicht.<br />

Abb. 7: eActivity-Fenster mit "verborgenem" Inhalt<br />

Als nächstes wird das Problem gemäß folgender<br />

Abbildung beschrieben.<br />

Abb. 8: Allgemeine Beschreibung des Problems<br />

Die zur Lösung notwendigen Hintergr<strong>und</strong>informationen<br />

findet man, wenn man das Fenster<br />

öffnet. Angegeben ist Folgendes:<br />

Stationen: E <strong>und</strong> C, Uferlinie AB, Übergang<br />

Land/Wasser D, E liegt <strong>im</strong> Wasser<br />

Kosten: <strong>im</strong> Wasser 255000 Euro/km; an<br />

Land 120000 Euro/km<br />

Entfernungen: C zum Ufer 10 km, E zum<br />

Ufer 8 km, AB 16 km<br />

Der folgende Bildschirm zeigt die Fragestellungen


Abb. 9: Fragestellungen<br />

In den Lösungshinweisen werden Tipps gegeben<br />

wie, dass der Schnittpunkt von CE mit<br />

dem Ufer ermittelt werden muss <strong>und</strong> dass<br />

Strahlensätze <strong>und</strong> der Satz des Pythagoras<br />

bei der Lösung helfen könnten. Mit Hilfe einer<br />

An<strong>im</strong>ation lassen sich verschiedene "Lösungen"<br />

darstellen.<br />

Abb. 10: Darstellung des Problems<br />

Der Punkt D wandert bei der An<strong>im</strong>ation auf<br />

der Strecke AB, <strong>und</strong> die entsprechenden<br />

Strecken werden sichtbar. Es ist aber leider<br />

nicht möglich, wie man es von der dynamischen<br />

Geometrie her kennt, die benötigten<br />

Strecken zu messen, wodurch eine exper<strong>im</strong>entelle<br />

grafische Lösung möglich wäre.<br />

Auch zur Aufgabe 2 gibt es noch weitere Lösungshinweise,<br />

die sich darauf beziehen,<br />

dass man zunächst die Kosten für einen Weg<br />

über D allgemein findet <strong>und</strong> dann das Min<strong>im</strong>um<br />

der Funktion sucht. In einem weiteren<br />

Der ClassPad 300 von Casio<br />

Aufgabenteil wird die Problemstellung durch<br />

die Einführung eines Sperrgebietes in der<br />

Mitte der Strecke AB variiert.<br />

Ergebnisse der Arbeitsgemeinschaft<br />

Auf einiges, was uns verbesserungswürdig<br />

erscheint, wurde schon oben <strong>im</strong> Rahmen der<br />

Beschreibung der Beispiele hingewiesen. Als<br />

besondere Vorteile erscheinen uns die folgenden:<br />

1) Wie es vor allem exemplarisch <strong>im</strong> dritten<br />

Beispiel beschrieben worden ist, bietet<br />

der Rechner durch den eActivity-Bereich<br />

die Möglichkeit des eigenverantwortlichen<br />

Arbeitens. Zu diskutieren wäre aber auch<br />

hier die Frage der Anleitungen. Durch<br />

sehr viele solcher Anleitungen wird sicher<br />

keine große Eigenständigkeit erreicht. Ein<br />

Vorteil ist, dass diese, wie oben beschrieben,<br />

verdeckt gegeben werden können.<br />

Die Eigenständigkeit der Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler besteht dann auch darin zu<br />

entscheiden, ob man eine Hilfestellung<br />

haben möchte oder nicht. Eine Überprüfung,<br />

ob Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler die Hilfestellung<br />

nutzen, ist direkt nicht möglich.<br />

2) Die obigen Beispiele haben gezeigt, dass<br />

sich mit dem ClassPad 300 funktionale<br />

Arbeitsblätter herstellen lassen.<br />

3) Der ClassPad kann relativ einfach mit einem<br />

Computer verb<strong>und</strong>en werden. Dadurch<br />

kann eine Bibliothek von Arbeitsblättern<br />

ins Netz gestellt werden (die <strong>Internet</strong>adressen<br />

sind unten angegeben).<br />

Solche Programme <strong>und</strong> Blätter können<br />

dank entsprechender Software auch direkt<br />

auf dem Computer verarbeitet <strong>und</strong> für<br />

die eigene Lerngruppe modifiziert werden.<br />

Inwieweit dieser Rechner den Unterricht <strong>im</strong><br />

Vergleich zu anderen Rechnern oder Computern<br />

mit ähnlicher Software anders beeinflusst,<br />

muss noch genauer untersucht <strong>und</strong><br />

diskutiert werden.<br />

Literatur<br />

Hischer, Horst (2002): <strong>Mathematik</strong> <strong>und</strong> Neue Medien.<br />

Hildeshe<strong>im</strong> & Berlin: Franzbecker<br />

www.classpad.de -> Emulator<br />

classpad.net (ohne www!) -> eActivity / Beispiele<br />

191


� Wie lernen Studierende in internetgestützten Lehrveranstaltungen?<br />

1 MaDiN <strong>—</strong> Eine internetgestützte<br />

Lernumgebung<br />

Das Verb<strong>und</strong>projekt "Entwicklung einer dezentralen<br />

internetbasierten Lehr-Lern-Umgebung<br />

für das Lehramtsstudium <strong>Mathematik</strong>"<br />

wird an den Universitäten Würzburg, Münster<br />

<strong>und</strong> Erlangen-Nürnberg sowie der TU Braunschweig<br />

durchgeführt (vgl. Weth 2003). Es<br />

wird vom B<strong>und</strong>esministerium für Bildung <strong>und</strong><br />

Forschung (BMBF) <strong>im</strong> Rahmen des Programms<br />

"Neue Medien in der Bildung" gefördert<br />

(Laufzeit Januar 2001 bis Dezember<br />

2003).<br />

Das zentrale Ziel des Projekts ist die Anreicherung<br />

von Präsenzlehre durch virtuelle<br />

Komponenten; <strong>—</strong> es handelt sich um eine<br />

hybride Form des <strong>Lernen</strong>s mit dem <strong>Internet</strong><br />

(Döring 2002, 254ff). Die hierfür zu erstellende<br />

internetbasierte Lehr-Lern-Umgebung umfasst<br />

mittlerweile<br />

• eine interaktive, <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> verfügbare<br />

Wissensbasis für das Lehramtsstudium<br />

<strong>Mathematik</strong>,<br />

• ein Diskussionsforum,<br />

• weitere Komponenten zur Verwaltung <strong>und</strong><br />

Autorentools.<br />

Die interaktive Wissensbasis mit der Bezeichnung<br />

"<strong>Mathematik</strong>-Didaktik <strong>im</strong> Netz"<br />

(kurz: MaDiN) ist <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> frei zugänglich<br />

(www.madin.net). Sie soll bei Projektende<br />

wichtige Standardthemen der <strong>Mathematik</strong><br />

<strong>und</strong> ihrer Didaktik für das Lehramtsstudium<br />

abdecken. Es handelt sich dabei um ein typisches<br />

Hypertext-System, das mit jedem üblichen<br />

Browser gelesen werden kann (Schulmeister<br />

2002, 19ff, Tergan 2002)<br />

Die Wissensbasis MaDiN ist in verschiedene<br />

Module gegliedert, die sich<br />

192<br />

Gerald Wittmann, Würzburg<br />

An der Universität Würzburg <strong>und</strong> der PH Weingarten wurde <strong>im</strong> WS 02/03 jeweils eine<br />

Lehrveranstaltung zur Didaktik der Geometrie mit der internetgestützten Wissensbasis<br />

MaDiN durchgeführt. So konnten die Studierenden neben üblichen Präsenzphasen auch<br />

eigenständig Lerninhalte online bearbeiten <strong>und</strong> Beiträge für ein Diskussionsforum schreiben.<br />

Die Lehrveranstaltungen wurden formativ evaluiert: Den Kern der Evaluation bildeten<br />

offene Interviews, in denen die Studierenden ihre Erfahrungen aus der jeweiligen<br />

Lehrveranstaltung schilderten. Daraus ergeben sich wichtige Folgerungen für die Gestaltung<br />

vorlesungsbegleitender Lernangebote.<br />

• einerseits mit jahrgangsstufen- <strong>und</strong> inhaltsübergreifenden<br />

Leitlinien oder Aspekten<br />

des Geometrieunterrichts befassen<br />

(z.B. Beweisen <strong>und</strong> Argumentieren, Konstruieren),<br />

• andererseits jahrgangsstufen- <strong>und</strong> inhaltsspezifisch<br />

einzelne Teilgebiete des Geometrieunterrichts<br />

behandeln (z.B. ebene<br />

Geometrie in Klasse 5/6, Ähnlichkeitsgeometrie<br />

in Klasse 9).<br />

Die einzelnen Module können wiederum aus<br />

mehreren Teilmodulen bestehen. Jedes Modul<br />

bzw. Teilmodul ist einheitlich strukturiert<br />

<strong>und</strong> enthält folgende Elemente: Eine kurze<br />

Übersicht, Theorie (zur Didaktik der Geometrie),<br />

Beispiele (mit Unterrichtsbezügen),<br />

Übungen <strong>und</strong> Aktivitäten für die Studierenden<br />

sowie Materialien zum Download, Literaturhinweise<br />

<strong>und</strong> Links. Einen besonderen<br />

Schwerpunkt bilden die Übungen <strong>und</strong> weitere<br />

Aktivitäten, die ein breites Spektrum umfassen:<br />

Es gibt Arbeitsaufträge,<br />

• die interaktiv direkt am Computer bearbeitet<br />

werden können (z.B. elektronische Arbeitsblätter<br />

auf der Basis von Cinderella);<br />

• die nicht unmittelbar am Computer stattfindende<br />

Aktivitäten fordern (z.B. Anfertigen<br />

<strong>und</strong> Ausprobieren von Lernmitteln,<br />

Analysieren von Schülertexten);<br />

• die Impulse für Diskussionsbeiträge von<br />

Studierenden entweder <strong>im</strong> Rahmen traditioneller<br />

Seminare oder in Diskussionsforen<br />

liefern.<br />

Bei der Ausgestaltung von MaDiN steht eine<br />

motivierende <strong>und</strong> problemadäquate Darstellung<br />

<strong>im</strong> Vordergr<strong>und</strong>; <strong>—</strong> ein Themenbereich<br />

muss <strong>und</strong> kann dort nicht erschöpfend abgehandelt<br />

werden; Fachzeitschriften <strong>und</strong> Lehrbücher<br />

sollen auch langfristig keineswegs er-


setzt, sondern vielmehr ergänzt werden (Ludwig<br />

& Wittmann 2001).<br />

Ein unabdingbarer Bestandteil des Projekts<br />

ist die Erprobung der neuen Lehr-Lern-Umgebung<br />

<strong>im</strong> Regelbetrieb, der entsprechend<br />

dokumentiert <strong>und</strong> evaluiert werden soll.<br />

2 Lehrveranstaltungen zur<br />

Didaktik der Geometrie<br />

Im WS 02/03 wurden die Wissensbasis Ma-<br />

DiN <strong>und</strong> das zugehörige Diskussionsforum in<br />

zwei Lehrveranstaltungen zur Didaktik der<br />

Geometrie für Studierende des Lehramts an<br />

Haupt- <strong>und</strong> Realschulen eingesetzt:<br />

• an der Universität Würzburg in einer 2stündigen<br />

Vorlesung (Prof. Dr. H.-G. Weigand)<br />

mit zusätzlicher 2-stündiger Übung<br />

(StR J. Roth),<br />

• an der PH Weingarten in einer 2-stündigen<br />

Vorlesung (Prof. Dr. M. Ludwig) ohne<br />

eigenständige Übung.<br />

Die Rahmenbedingungen beider Lehrveranstaltungen<br />

waren ansonsten ähnlich:<br />

• Die Teilnehmerzahl betrug knapp 30.<br />

• Die Voraussetzungen der Studierenden<br />

waren sehr inhomogen (unterschiedliche<br />

Semesterzahlen; das Studium für das<br />

Lehramt an Realschulen umfasst eigene<br />

fachwissenschaftliche Lehrveranstaltungen,<br />

das Studium für das Lehramt an<br />

Hauptschulen <strong>im</strong> Allgemeinen nicht).<br />

• Die Studierenden konnten durch die Abgabe<br />

von Übungsaufgaben <strong>und</strong> die Teilnahme<br />

an einer Klausur gegen Semesterende<br />

einen Leistungsnachweis ("Schein")<br />

erwerben.<br />

Die Lehrveranstaltung ist Bestandteil des<br />

"Pflichtprogramms", das an der Universität<br />

Würzburg zudem durch bayernweit zentral<br />

gestellte Staatsexamensprüfungen auch inhaltlich<br />

festgelegt ist.<br />

Die üblichen Präsenzphasen blieben <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

erhalten <strong>und</strong> verliefen weitgehend<br />

konventionell, auch unter Verwendung von<br />

"Kreide <strong>und</strong> Tafel"; MaDiN wurde in der Vorlesung<br />

eingesetzt, um z.B. Bilder, Filme <strong>und</strong><br />

An<strong>im</strong>ationen zu projizieren. Zusätzliche virtuelle<br />

Phasen beinhalteten in erster Linie die<br />

individuelle Vor- <strong>und</strong> Nachbereitung von<br />

Lehrveranstaltungen sowie das selbstständige<br />

Erarbeiten einzelner Lerninhalte bei Abwesenheit<br />

des Dozenten. Die Übungsaufgaben,<br />

die Voraussetzung für einen Scheinerwerb<br />

waren, umfassten<br />

Wie lernen Studierende in internetgestützten Lehrveranstaltungen?<br />

• sowohl herkömmliche, in Papierform abzugebende<br />

Aufgaben,<br />

• als auch das regelmäßige Schreiben eines<br />

Beitrags <strong>im</strong> Diskussionsforum zu Fragen<br />

der Geometriedidaktik (z.B. Reflexion<br />

eigener Erfahrungen, Stellungnahme zu<br />

best<strong>im</strong>mten Zielen des Geometrieunterrichts).<br />

Diese Lernangebote spiegeln die Ziele der<br />

Lehrveranstaltungen zur Didaktik der Geometrie<br />

wider: Die fachbezogenen Ziele lassen<br />

sich <strong>im</strong> Wesentlichen in zwei Kategorien<br />

einteilen:<br />

• Die Studierenden sollen Kenntnisse über<br />

Ziele, Inhalte <strong>und</strong> Methoden des Geometrieunterrichts<br />

sowie Lernprozesse <strong>im</strong> Geometrieunterricht<br />

erwerben.<br />

• Die Studierenden sollen darüber hinaus<br />

Ziele, Inhalte <strong>und</strong> Methoden des Geometrieunterrichts<br />

sowie Lernprozesse <strong>im</strong> Geometrieunterricht<br />

reflektieren <strong>und</strong> letztlich<br />

ein adäquates Bild von Geometrie <strong>und</strong><br />

Geometrieunterricht erwerben.<br />

Speziell hinter der zweiten Kategorie steht<br />

der Gedanke, dass das Lehramtsstudium<br />

nicht nur "statisches" Wissen anhäufen, sondern<br />

die Basis für ein lebenslanges <strong>Lernen</strong><br />

der zukünftigen Lehrer(innen) legen soll<br />

(DMV & GDM 2001, Krauthausen 1998). Hinzu<br />

kommen allgemeine Ziele eines Lehramtsstudiums<br />

(z.B. Medienkompetenz, Diskussionsfähigkeit).<br />

3 Evaluation: Methoden<br />

<strong>und</strong> Durchführung<br />

Die <strong>im</strong> Folgenden beschriebenen Evaluationsmaßnahmen<br />

fanden bereits kurz nach<br />

der Hälfte der Laufzeit des Projekts statt, also<br />

zu einem sehr frühen Zeitpunkt; ferner<br />

wurde eine Version der Lehr-Lern-Umgebung<br />

eingesetzt, deren Entwicklung noch nicht<br />

vollständig abgeschlossen ist. Die Evaluation<br />

wurde als Selbstevaluation von denselben<br />

Projektmitarbeitern durchgeführt, die auch an<br />

der Entwicklung beteiligt waren. Es handelt<br />

sich um eine formative Evaluation, die mit<br />

dem Ziel der Qualitätssicherung <strong>und</strong> der Entwicklung<br />

entsprechender Lehrveranstaltungskonzepte<br />

parallel zur Weiterentwicklung<br />

von MaDiN stattfindet (für eine weiter gehende<br />

Einordnung s. Wittmann 2003).<br />

Die Evaluation der Lehrveranstaltung, in der<br />

mit MaDiN gearbeitet wird, muss bei den Zielen<br />

der Veranstaltung ansetzen. Die Problematik<br />

liegt nun gerade darin, dass diese nur<br />

193


Gerald Wittmann<br />

teilweise einfach abzuprüfende "Wissensziele"<br />

sind. Insbesondere diejenigen Ziele, die in<br />

besonderer Weise mit dem Einsatz der mult<strong>im</strong>edialen<br />

Wissensbasis <strong>und</strong> des Diskussionsforums<br />

verknüpft sind, beziehen sich auf<br />

überwiegend langfristige Prozesse; <strong>—</strong> hier<br />

kann <strong>im</strong> Rahmen der Evaluation lediglich erfasst<br />

werden, ob diese Prozesse angestoßen<br />

werden. Für die Evaluation waren deshalb<br />

folgende Leitfragen maßgeblich:<br />

• Welche Lernangebote von MaDiN nehmen<br />

die Studierenden an, <strong>und</strong> wie nutzen<br />

sie diese?<br />

• Wie beschreiben Studierende ihr Lern<strong>und</strong><br />

Arbeitsverhalten <strong>im</strong> Rahmen einer internetgestützten<br />

Lehrveranstaltung?<br />

• Welche Veränderungen sehen sie <strong>im</strong> Unterschied<br />

zu einer traditionellen Lehrveranstaltung?<br />

Wesentliches Evaluationsinstrument waren<br />

zwei Staffeln offener Einzelinterviews,<br />

• zunächst mit sechs Studierenden der Universität<br />

Würzburg <strong>im</strong> Dezember 2002 <strong>und</strong><br />

• später mit neun Studierenden der PH<br />

Weingarten <strong>im</strong> Februar 2003.<br />

Aufgr<strong>und</strong> des zeitlichen Abstands beider<br />

Staffeln konnten die Ergebnisse der ersten<br />

sechs Interviews in die Planung der neun folgenden<br />

Interviews einfließen. Alle Interviews<br />

wurden als Fremdinterviews <strong>—</strong> der Interviewer<br />

war den Studierenden bis dato nicht bekannt<br />

<strong>—</strong> durchgeführt <strong>und</strong> waren als Leitfadeninterviews<br />

konzipiert (Bortz & Döring<br />

2002, 308ff, Lamnek 1995, 35ff): Die anzusprechenden<br />

Themen waren durch den Leitfaden<br />

vorgegeben, die Reihenfolge <strong>und</strong> die<br />

exakte Formulierung der Fragen verblieb jedoch<br />

be<strong>im</strong> Interviewer. Da für die Beantwortung<br />

keine Antwortkategorien vorgegeben<br />

wurden, konnten die Studierenden auch Aspekte<br />

ansprechen, die der Interviewer nicht<br />

antizipiert hatte. Bei Bedarf hatte der Interviewer<br />

die Möglichkeit, gezielt nachzufragen,<br />

um einzelne Aspekte zu vertiefen oder eine<br />

dialogische Validierung herbeizuführen, d.h.<br />

mehrdeutige Äußerungen bereits <strong>im</strong> Interview<br />

zu klären. Der Interviewer hielt zusätzliche<br />

Eindrücke schriftlich fest. Die Interviews<br />

wurden per Mikrofon <strong>und</strong> So<strong>und</strong>karte eines<br />

Notebooks digital aufgezeichnet, sie dauerten<br />

zwischen 11 <strong>und</strong> 27 Minuten. Ihre Transkription<br />

erfolgte in zwei Durchgängen gemäß<br />

den üblichen Regeln. Das Transkript<br />

besitzt die Struktur eines Dialogs, versehen<br />

mit Zeitangaben <strong>und</strong> zusätzlichen Anmerkungen<br />

(beispielweise über nonverbale Kommunikation).<br />

194<br />

Die Auswertung der Interviews geschah auf<br />

dem Wege einer qualitativen Inhaltsanalyse<br />

(Bortz & Döring 2002, 329ff; Lamnek 1995,<br />

172ff; Mayring 2002, 82ff). Mit diesem Arbeitsgang<br />

wurden zwei Ziele verfolgt:<br />

• Strukturierung: Die Äußerungen der Studierenden<br />

wurden nach Kategorien sortiert:<br />

Technik <strong>und</strong> Nutzung, Usability <strong>und</strong><br />

Navigation, Inhalte von MaDiN, Vorlesung,<br />

Übung, Diskussionsforum, Klausur.<br />

• Paraphrasierung: Die Äußerungen der<br />

Studierenden wurden "bereinigt", sprachlich<br />

"geglättet", verkürzt <strong>und</strong> verdichtet sowie<br />

zusammenfassend paraphrasiert; es<br />

verblieben nur noch wenige Zitate, sofern<br />

diese prägnanter waren als mögliche Paraphrasierungen.<br />

Als Resultat der qualitativen Inhaltsanalyse<br />

erhielt man für alle Studierenden die strukturierten<br />

<strong>und</strong> paraphrasierten Selbstauskünfte<br />

<strong>im</strong> Interview. Diese Texte sind deutlich kürzer<br />

als die Transkripte, ihr Umfang reduzierte<br />

sich auf 10 bis 20 %. Sie sind nach wie vor in<br />

der "Ich-Form" gehalten, um deutlich zu machen,<br />

dass es sich dabei um Selbstauskünfte<br />

der Studierenden handelt. Sie sind rein personenbezogen<br />

<strong>und</strong> enthalten noch keine darüber<br />

hinaus gehenden Wertungen oder Hypothesen.<br />

Die Ergebnisse der qualitativen<br />

Analysen wurden abschließend nochmals mit<br />

dem Transkript verglichen <strong>und</strong> eventuell korrigiert.<br />

Dieser "Basistext" lässt sich in zweifacher<br />

Hinsicht auswerten:<br />

• Personenzentrierte Analyse: Die Erstellung<br />

einer kleinen Fallstudie für jeden der<br />

Studierenden liefert ein "Profil" seiner individuellen<br />

Lern- <strong>und</strong> Arbeitsweisen.<br />

• Personenvergleichende Analyse: Ein Inbeziehungsetzen<br />

gleicher Kategorien über<br />

verschiedene Studierende hinweg zeigt<br />

das Spektrum auftretender Lern- <strong>und</strong> Arbeitsweisen<br />

sowie mögliche Zusammenhänge<br />

<strong>und</strong> Wirkungsmechanismen zwischen<br />

verschiedenen Ausprägungen derselben<br />

Kategorien auf.<br />

Weitere qualitative Daten lieferten die Beiträge<br />

der Studierenden <strong>im</strong> Diskussionsforum<br />

sowie ihre Klausuren: Sie wurden <strong>im</strong> Hinblick<br />

auf die Argumentationsstruktur (eind<strong>im</strong>ensional<br />

versus komplex) <strong>und</strong> den Reflexionsgrad<br />

der Beiträge (naiv versus reflektiert) ausgewertet.<br />

Diese Informationen können die Ergebnisse<br />

der Interviews ergänzen <strong>und</strong> validieren.


4 Evaluation: Ergebnisse<br />

Da sich die Studierenden freiwillig für die Interviews<br />

zur Verfügung gestellt hatten, gaben<br />

sie bereitwillig Auskunft. Einige bereiteten<br />

sich sogar auf das Interview vor <strong>—</strong> sie hatten<br />

einen Zettel mit Notizen dabei <strong>—</strong>, um über<br />

"Bugs" in MaDiN zu berichten. Nicht zuletzt<br />

hierin bestätigte sich das Konzept des<br />

Fremdinterviewers: Die Studierenden fassten<br />

die Interviews so auf, dass sie mit externen<br />

Evaluatoren zusammenarbeiten sollten, um<br />

MaDiN zu verbessern.<br />

Gemäß den Forschungsfragen beinhalten die<br />

Transkripte drei verschiedene Ebenen:<br />

• eine sachbezogene Beschreibung des<br />

Lern- <strong>und</strong> Arbeitsverhaltens der Studierenden<br />

<strong>im</strong> Rahmen der betreffenden<br />

Lehrveranstaltung,<br />

• eine Schilderung von Gefühlen der Studierenden<br />

während <strong>und</strong> <strong>im</strong> Umfeld der<br />

Lehrveranstaltung,<br />

• die rückblickende Reflexion dieser Erfahrungen.<br />

Es handelt sich hierbei stets um Selbstauskünfte<br />

der Studierenden, also um deren Einschätzungen,<br />

nicht um objektive Angaben.<br />

Im Folgenden werden diese Selbstauskünfte<br />

nach den Kategorien der qualitativen Inhaltanalyse<br />

gegliedert vorgestellt <strong>und</strong> anschließend<br />

jeweils diskutiert.<br />

4.1 Technik <strong>und</strong> Nutzung<br />

Alle befragten Studierenden geben an, mit<br />

MaDin gearbeitet zu haben. Ob sie MaDiN zu<br />

Hause oder in den Computerräumen der<br />

Hochschule nutzten, hängt von mehreren<br />

Faktoren ab:<br />

• den Lebensumständen (Kinder, Entfernung<br />

der Wohnung zur Hochschule, …),<br />

• den bei der <strong>Internet</strong>nutzung anfallenden<br />

Kosten,<br />

• der technischen Ausstattung des eigenen<br />

Arbeitsplatzes.<br />

Mit einer Ausnahme verfügen alle Studierenden<br />

über einen eigenen Computer. Differenzen<br />

ergeben sich allerdings bei den Peripheriegeräten<br />

(manchmal fehlt ein Drucker oder<br />

ein <strong>Internet</strong>zugang). Weit verbreitet ist ein <strong>Internet</strong>zugang<br />

per Modem, aber auch ISDN,<br />

DSL <strong>und</strong> eine Datenleitung <strong>im</strong> Studentenwohnhe<strong>im</strong><br />

sind zu finden. Die Ladezeiten<br />

werden generell als sehr lang empf<strong>und</strong>en,<br />

bei der Nutzung eines Modems fast <strong>im</strong>mer,<br />

vereinzelt auch bei einem DSL-Anschluss.<br />

Wie lernen Studierende in internetgestützten Lehrveranstaltungen?<br />

Beklagt wird außerdem, dass Videos oder<br />

An<strong>im</strong>ationen <strong>und</strong> Videos auf dem privaten<br />

Computer nicht laufen oder dieser dabei "abstürzt".<br />

In den Computerräumen scheint es<br />

diesbezüglich weniger Probleme zu geben.<br />

Die Computer-Ausstattung der Studierenden<br />

entspricht den Erwartungen: Auch wenn die<br />

Anzahl von fünfzehn befragten Studierenden<br />

für statistische Auswertungen zu gering ist,<br />

werden hier die Ergebnisse anderweitiger<br />

Erhebungen bestätigt (Klatt u.a. 2001, 99ff,<br />

Middendorf 2002, 12ff).<br />

Die geschilderten technischen Probleme sind<br />

auf verschiedene Ursachen zurückzuführen:<br />

Einerseits ist die Ausstattung der privaten<br />

Computer höchst unterschiedlich <strong>und</strong> streut<br />

über mehrere Generationen von Betriebssystemen<br />

<strong>und</strong> Browsern; <strong>—</strong> dieses Handicap ist<br />

wohl kaum zu überwinden. Andererseits gibt<br />

es zahlreiche Indikatoren für unzureichende<br />

Kenntnisse <strong>und</strong> Arbeitstechniken der Studierenden:<br />

• Viele der Studierenden können ihr System<br />

nicht genauer spezifizieren, weder in Bezug<br />

auf die Hard- noch auf die Software.<br />

Falsche Einstellungen könnten deshalb<br />

eine Ursache mancher Probleme sein (für<br />

die elektronischen Arbeitsblätter beispielsweise<br />

muss <strong>im</strong> Browser Java aktiviert<br />

werden).<br />

• Studierende, die beklagen, dass sie sich<br />

jedes Mal mühsam über die Seiten der<br />

Hochschule bis zur MaDiN-Startseite<br />

"durchklicken" mussten, verfügen offenbar<br />

nicht über wichtige Fertigkeiten <strong>im</strong> Umgang<br />

mit dem <strong>Internet</strong> wie das Setzen von<br />

Bookmarks oder das offline-verfügbar-<br />

Machen von Seiten.<br />

Für manche Studierenden scheint aufgr<strong>und</strong><br />

der genannten Ursachen der Aufwand, sich<br />

sowohl die Arbeitsaufträge, als auch zugehörige<br />

Informationen per <strong>Internet</strong> zu beschaffen,<br />

sehr hoch zu sein. Für diese Gruppe<br />

kehrt sich das Versprechen einer "unbegrenzten<br />

Verfügbarkeit" von Inhalten <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

ins Gegenteil um.<br />

4.2 Navigation <strong>und</strong> Usability<br />

Die Navigation in MaDiN bereitete den Studierenden<br />

<strong>—</strong> abgesehen von einer anfänglichen<br />

Eingewöhnungsphase <strong>und</strong> einigen<br />

rasch behobenen "Bugs" in MaDiN <strong>—</strong> keine<br />

ernsthaften Probleme. Der gefürchtete Effekt<br />

"lost in hyperspace" (Tergan 2002) wurde<br />

nicht berichtet. Von der reinen Navigation zu<br />

unterscheiden ist allerdings die inhaltliche<br />

Orientierung, die manchen Studierenden <strong>—</strong><br />

195


Gerald Wittmann<br />

z.B. bei der Klausurvorbereitung <strong>—</strong> wohl weniger<br />

leicht fiel (vgl. 4.7).<br />

Nur wenige Studierende lasen längere Texte<br />

am Bildschirm; die meisten Studierenden<br />

druckten weite Teile von MaDiN aus. An der<br />

PH Weingarten druckten Mitglieder der Fachschaft<br />

sogar sämtliche Seiten zur Didaktik<br />

der Geometrie von MaDiN aus <strong>und</strong> verkauften<br />

sie als kopiertes <strong>und</strong> geb<strong>und</strong>enes Skript<br />

an die Studierenden. HTML-Dokumente eignen<br />

sich jedoch prinzipiell nicht für einen<br />

qualitativ anspruchsvollen Ausdruck; <strong>—</strong> <strong>im</strong><br />

Wesentlichen bestehen drei Problemfelder:<br />

• Der Formelsatz in HTML ist unbefriedigend<br />

<strong>und</strong> nur mit technischen Aufsätzen<br />

wie MathML zu verbessern.<br />

• Die bildschirm-gerechte Auflösung von<br />

Abbildungen (72 dpi) ist für den Ausdruck<br />

zu grob, während höher aufgelöste Abbildungen<br />

(zu) lange Ladezeiten erfordern.<br />

• Es gibt kein fest definiertes Seitenlayout,<br />

da der endgültige Umbruch von HTML-<br />

Dokumenten erst <strong>im</strong> Browser stattfindet<br />

<strong>und</strong> damit in hohem Maße vom System<br />

des Benutzers abhängt. Be<strong>im</strong> Ausdruck<br />

werden daher nicht selten Seiten "rechts<br />

abgeschnitten".<br />

4.3 Inhalte<br />

Die Inhalte in MaDiN werden insgesamt sehr<br />

positiv beurteilt <strong>und</strong> finden eine breite Resonanz.<br />

Dies betrifft zunächst die Texte (Verständlichkeit<br />

<strong>und</strong> Informationsgehalt), darüber<br />

hinaus aber auch alle anderen mult<strong>im</strong>edialen<br />

Elemente (Bilder, Videos, An<strong>im</strong>ationen,<br />

…, Materialien zum Download). Sie<br />

übernehmen <strong>im</strong> Einzelfall verschiedene<br />

Funktionen <strong>im</strong> Lernprozess: Sie<br />

• spielen die Rolle eines "Aufhängers" <strong>—</strong><br />

also einer Merkhilfe <strong>—</strong> für Fachwissen,<br />

• können die Motivation zum Weiterarbeiten<br />

fördern <strong>und</strong> das Interesse an der <strong>Mathematik</strong>(didaktik)<br />

wecken; <strong>—</strong> hier bleibt jedoch<br />

abzuwarten, ob dies auch über den<br />

Neuigkeitseffekt hinaus gilt ("Hawthorne-<br />

Effekt"; Schulmeister 2002, 397ff),<br />

• liefern Veranschaulichungen <strong>und</strong> können<br />

wichtige Hilfestellungen sein,<br />

• schaffen häufig einen Praxisbezug.<br />

Besonders das letzte Argument verdient eine<br />

genauere Betrachtung: Bilder <strong>und</strong> Videos<br />

von Lehr- <strong>und</strong> Lernmitteln, Anleitungen <strong>und</strong><br />

Kopiervorlagen für den Unterricht (etwa zu<br />

Lernspielen), Texte <strong>und</strong> Zeichnungen von<br />

Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern entstammen un-<br />

196<br />

mittelbar der Schulpraxis. In den Interviews<br />

erzählen Studierende mehrfach, wo <strong>und</strong> wie<br />

sie diese Elemente ausprobiert haben (mit<br />

den eigenen Kindern, <strong>im</strong> Schulpraktikum, …).<br />

Es scheint, als ob über derartige Elemente<br />

für zahlreiche Studierende ein Einstieg in die<br />

<strong>Mathematik</strong>didaktik geschaffen werden kann.<br />

Noch deutlicher wird dies angesichts zweier<br />

weiterer Detailnennungen:<br />

• Wiederholt positiv erwähnt wird ein Artikel<br />

über "Einstiege <strong>im</strong> Geometrieunterricht"<br />

(Vollrath 1980), zu dem die Studierenden<br />

<strong>im</strong> Diskussionsforum Stellung nehmen<br />

mussten. Dieser Text greift ein zentrales<br />

Problem der Unterrichtsplanung auf, ist<br />

leicht zu lesen <strong>und</strong> setzt keinerlei Fachwissen<br />

voraus.<br />

• Umgekehrt werden die MaDiN-Seiten zur<br />

Thematik "Argumentieren <strong>und</strong> Beweisen"<br />

mehrfach als sehr "fachwissenschaftlich"<br />

eingestuft: Diese Studierenden verstehen<br />

nicht, warum sie zunächst selbst Beweise<br />

führen sollen, wo ihr Interesse doch dem<br />

Beweisen <strong>im</strong> <strong>Mathematik</strong>unterricht gilt.<br />

Insbesondere das letzte Beispiel weist darauf<br />

hin, dass ein Teil der Zielgruppe der evaluierten<br />

Lehrveranstaltungen <strong>—</strong> Studierende des<br />

Lehramts an Haupt- <strong>und</strong> Realschulen <strong>—</strong> offenbar<br />

eine sehr enge Vorstellung von "Praxisbezug"<br />

hat.<br />

4.4 Vorlesung<br />

Die Vorlesung wird sowohl an der Uni Würzburg<br />

als auch an der PH Weingarten als "gut"<br />

eingeschätzt. Der Einsatz von MaDiN scheint<br />

allerdings kein prägendes Element der Vorlesung<br />

gewesen zu sein, viel stärker werden<br />

offenbar die Inhalte, das Engagement <strong>und</strong><br />

die Person der beiden Dozenten gewichtet.<br />

Eine Reihe von Studierenden beider Hochschulen<br />

besitzt auch einschlägige Vorerfahrungen:<br />

• mit dem Erstellen von <strong>Internet</strong>seiten <strong>im</strong><br />

Rahmen von Lehrveranstaltungen,<br />

• mit dem Schreiben von Beiträgen für ein<br />

Diskussionsforum,<br />

• mit dem "Holen" von Übungsaufgaben per<br />

<strong>Internet</strong>,<br />

• mit dem Einsatz von BSCW.<br />

Insgesamt ist der Einsatz neuer Medien in<br />

Lehrveranstaltungen für die Studierenden<br />

mittlerweile Alltag; er ist jedenfalls kein Thema<br />

(mehr), das polarisiert.


Auffallend ist, dass fast alle Studierenden in<br />

der Vorlesung wie gewohnt mitschreiben. Als<br />

Gründe hierfür nennen sie zwei Argumente:<br />

• Was man selbst mitgeschrieben hat,<br />

bleibt besser <strong>im</strong> Gedächtnis.<br />

• Wenn man selbst mitschreibt, "hat man<br />

etwas in der Hand".<br />

Als Gegenargument wird angeführt, dass ein<br />

Mitschreiben angesichts von MaDiN überflüssig<br />

ist, so dass man sich besser auf die Inhalte<br />

der Vorlesung konzentrieren kann. Die<br />

Begründungen der Studierenden <strong>—</strong> egal wie<br />

sie lauten <strong>—</strong> wirken allerdings meist oberflächlich<br />

<strong>und</strong> basieren wohl eher auf Gefühlen<br />

als auf einer Reflexion des eigenen Arbeitsverhaltens.<br />

Ein Problem besteht jedoch wirklich: Die<br />

Studierenden erkannten in beiden Vorlesungen<br />

nicht <strong>im</strong>mer einen Zusammenhang zwischen<br />

dem Medium, mit dem ein Lerninhalt<br />

präsentiert wird, <strong>und</strong> der Bedeutung, die diesem<br />

Inhalt für das eigene <strong>Lernen</strong> zukommt.<br />

4.5 Übungen<br />

Während regelmäßig abzugebende Übungen<br />

den Studierenden der Uni Würzburg vertraut<br />

sind, scheint dies für Studierende der PH<br />

Weingarten weit gehend neu zu sein: Mehrere<br />

Studierenden dort geben an, dass sie aufgr<strong>und</strong><br />

der Übungen mehr für die Lehrveranstaltung<br />

getan <strong>und</strong> kontinuierlicher mitgearbeitet<br />

<strong>und</strong> -gelernt hätten als sonst. Sie stufen<br />

die evaluierte Lehrveranstaltung als aufwändiger,<br />

aber auch deutlich effektiver als<br />

andere ein. Die wöchentlichen Arbeitsaufträge<br />

<strong>und</strong> die "soziale Kontrolle" des Diskussionsforums<br />

scheinen sich diesbezüglich positiv<br />

auszuwirken.<br />

Wenn die Studierenden die Übungsaufgaben<br />

lösen, so stützen sie sich <strong>—</strong> je nach Verfügbarkeit<br />

<strong>und</strong> Arbeitsauftrag in unterschiedlicher<br />

Reihenfolge <strong>und</strong> Gewichtung <strong>—</strong> <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

auf drei Quellen:<br />

• die eigene Mitschrift aus der Vorlesung,<br />

• die entsprechenden Seiten in MaDiN <strong>und</strong><br />

• die Suche <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> per Suchmaschine<br />

(meist wird Google genannt).<br />

Hinzu kommen noch vereinzelt Schulbücher<br />

oder andere Materialien. Kein einziger der<br />

Studierenden nutzte die Literaturangaben in<br />

MaDiN <strong>und</strong> besuchte aus Anlass der Lehrveranstaltung<br />

die Hochschulbibliothek.<br />

Bei der Informationsbeschaffung <strong>im</strong> <strong>WWW</strong><br />

offenbaren die Interviews zwei Problemfelder:<br />

Wie lernen Studierende in internetgestützten Lehrveranstaltungen?<br />

• Das übliche Verfahren ist das Eintippen<br />

von Schlagworten in eine Suchmaschine.<br />

Die Studierenden verfügen auch hier nicht<br />

über adäquate Arbeitstechniken (vgl. 4.1):<br />

Sie nutzen weder eine gezielte Verknüpfung<br />

von Suchbegriffen, noch andere Recherchemöglichkeiten<br />

wie spezielle <strong>Internet</strong>portale.<br />

• Das Problem der Qualitätskontrolle haben<br />

einige der Studierenden bislang noch<br />

nicht reflektiert, andere glauben, es durch<br />

ein Vergleichen mehrerer gef<strong>und</strong>ener Dokumente<br />

bewältigen zu können.<br />

4.6 Diskussionsforum<br />

In den evaluierten Lehrveranstaltungen wurde<br />

noch mit einem Prototypen des Diskussionsforums<br />

gearbeitet: Es besaß nur eine lineare<br />

Struktur, alle Beiträge erschienen in<br />

chronologisch Reihenfolge, was dazu führte,<br />

dass es eine einzige, lange Seite war. Dadurch<br />

war es auch nicht möglich, gezielt auf<br />

einzelne Beiträge zu antworten. Das Diskussionsforum<br />

hatte also eher die Funktion einer<br />

Pinnwand, an die jeder ein Statement heften<br />

kann.<br />

Kaum ein anderes Element der Lehrveranstaltung<br />

spaltet die Gemüter so sehr wie das<br />

Diskussionsforum:<br />

• Ein Teil der Studierenden wertet das<br />

Schreiben von Beiträgen positiv: Die Antwort<br />

auf eine <strong>im</strong> ersten Augenblick einfach<br />

erscheinende Frage schriftlich ausformulieren<br />

zu müssen, wird als eine<br />

wertvolle Erfahrung beschrieben.<br />

• Für andere Studierende scheint das Verfassen<br />

von Beiträgen nur eine Pflichtübung<br />

zu sein. Dies äußert sich in verschiedenen<br />

typischen Verhaltensweisen:<br />

Der eigene Beitrag wird auf der Gr<strong>und</strong>lage<br />

der schon <strong>im</strong> Diskussionsforum stehenden<br />

Beiträge verfasst, er wird diesen<br />

<strong>im</strong> Umfang, in der Zahl der Argumente<br />

<strong>und</strong> <strong>im</strong> Inhalt angeglichen. Das "Abschreiben"<br />

von Beiträgen führt letztlich dazu,<br />

dass sich zahlreiche Beiträge ähneln oder<br />

gar gleichen. Es wird ferner darauf geachtet,<br />

dass der Beitrag die <strong>—</strong> vermutete <strong>—</strong><br />

Meinung des Dozenten wiedergibt <strong>und</strong><br />

nicht die eigene.<br />

Die Analyse der Beiträge zeigt dementsprechend<br />

ein breites Spektrum von Beiträgen,<br />

das von kurzen, naiv wirkenden <strong>und</strong> emotional<br />

geprägten Äußerungen bis hin zu umfangreicheren<br />

Beiträgen mit einer ausdifferenzierten<br />

<strong>und</strong> abwägenden Argumentationsstruktur<br />

reicht.<br />

197


Gerald Wittmann<br />

Ähnlich vielfältig wie die Meinungen zum<br />

Schreiben von Beiträgen sind auch diejenigen<br />

zum Lesen von Beiträgen anderer Studierender:<br />

• Ein Teil der Studierenden stuft es als interessant<br />

<strong>und</strong> bereichernd ein.<br />

• Andere Studierende geben an, dass sie<br />

fremde Beiträge kaum gelesen haben.<br />

Von nahezu allen Studierenden wird jedoch<br />

negativ angemerkt, dass wiederholt Beiträge<br />

inhaltsgleich sind: Der Zwang, einen Beitrag<br />

verfassen zu müssen, wirkt sich <strong>—</strong> in Verbindung<br />

mit der oben geschilderten Arbeitsweise<br />

mancher Studierender <strong>—</strong> wohl dahingehend<br />

aus. Nicht zuletzt deshalb ist der<br />

"Schreibzwang" auch unter den Studierenden<br />

umstritten.<br />

Gleichzeitig kommt hier auch ein wesentlicher<br />

Aspekt des Studierverhaltens mancher<br />

Studierender zum Ausdruck: Die Impulse für<br />

die Beiträge <strong>im</strong> Diskussionsforum sind <strong>—</strong> in<br />

mehrfacher Hinsicht <strong>—</strong> offene Arbeitsaufträge;<br />

die Studierenden entscheiden selbst, wie<br />

sie diese inhaltlich <strong>und</strong> in Bezug auf den Umfang<br />

bearbeiten. Manche Studierende kommen<br />

hiermit offenbar nicht zurecht, sie erwarteten<br />

diesbezüglich eindeutige Vorgaben.<br />

Ähnlich verhält es sich mit dem Wunsch von<br />

Studierenden nach einer klaren Rückmeldung<br />

zu ihren Beiträgen: Er ist einerseits verständlich<br />

<strong>und</strong> sinnvoll, stößt aber auch an<br />

Grenzen; <strong>—</strong> nicht jede Meinungsäußerung<br />

lässt sich als "richtig" oder "falsch" einordnen.<br />

Ob tatsächlich ein Bedarf nach einer Öffnung<br />

des Diskussionsforums besteht, so dass darin<br />

Fragen zur Vorlesung bzw. Übung gestellt<br />

<strong>und</strong> beantwortet werden können, wie von<br />

manchen Studierenden gefordert, bleibt unklar:<br />

Denn alle Studierenden geben an, dass<br />

sie sich regelmäßig <strong>im</strong> Umfeld der Lehrveranstaltungen<br />

treffen <strong>und</strong> kaum Kontakte per<br />

<strong>Internet</strong> hergestellt oder gepflegt wurden; <strong>—</strong><br />

dies war nur vereinzelt der Fall (so bei einer<br />

Studentin, die Kinder hat).<br />

4.7 Klausur<br />

Den Studierenden beider Hochschulen stand<br />

in der abschließenden Klausur nicht nur Ma-<br />

DiN, sondern darüber hinaus das gesamte<br />

<strong>Internet</strong> zur Verfügung. Aufgr<strong>und</strong> der Interviewtermine<br />

bezieht sich das Folgende ausschließlich<br />

auf die Studierenden der PH<br />

Weingarten. Es steht die Frage <strong>im</strong> Mittelpunkt,<br />

was durch die Verfügbarkeit von Ma-<br />

DiN anders als gewohnt war.<br />

198<br />

Die Vorbereitung der Klausur änderte sich für<br />

die meisten Studierenden dahin, dass sie<br />

weniger in einem Auswendiglernen bestand,<br />

sondern vielmehr in einem "Sichten" von Inhalten<br />

in MaDiN <strong>und</strong> <strong>im</strong> <strong>WWW</strong>, um sicherzustellen,<br />

wo best<strong>im</strong>mte Inhalte zu finden ist.<br />

In diesem Kontext wurden mehrfach Vergleiche<br />

zwischen einer internetgestützten Wissensbasis<br />

wie MaDiN <strong>und</strong> einem herkömmlichen,<br />

gedruckten Skript gezogen: Letzteres<br />

• gibt <strong>—</strong> anders als MaDiN <strong>—</strong> bereits eine<br />

sinnvolle Reihenfolge <strong>und</strong> Gliederung für<br />

das <strong>Lernen</strong> vor,<br />

• garantiert, dass bei einem vollständigen<br />

Durcharbeiten auch alle klausurrelevanten<br />

Inhalte erfasst werden,<br />

• erlaubt es den Studierenden, eigene Anmerkungen<br />

<strong>und</strong> Ergänzungen handschriftlich<br />

anzubringen,<br />

• ist auch ohne Computer stets verfügbar,<br />

insbesondere in "Freist<strong>und</strong>en" an der<br />

Hochschule.<br />

Mehrere Studierende der PH Weingarten gaben<br />

an, dass ihre Klausurvorbereitung zumindest<br />

teilweise auch in Gruppen ablief <strong>und</strong><br />

sie dabei die zahlreichen Arbeitsaufträge in<br />

MaDiN nutzten: Sie arbeiteten die Lösungen<br />

dazu aus <strong>und</strong> diskutierten diese; <strong>—</strong> ein Indikator<br />

dafür, dass Studierende bei entsprechender<br />

Motivation die reichhaltigen Angebote<br />

in MaDiN auch wahrnehmen <strong>und</strong> selbstständig<br />

damit arbeiten.<br />

Fast alle Studierende berichten, dass die<br />

Möglichkeit, während der Klausur MaDiN <strong>und</strong><br />

darüber hinaus das gesamte <strong>Internet</strong> zu nutzen,<br />

auch Gefahren in sich birgt: Sie suchten<br />

zu lange in diesen Quellen <strong>und</strong> verließen<br />

sich zu wenig auf ihr eigenes Wissen. Hieraus<br />

resultierte dann ein Zeitproblem gegen<br />

Ende der Klausur. Auffallend ist wiederum,<br />

dass auch hier Studierende <strong>—</strong> analog zur<br />

Schilderung ihres Verhaltens be<strong>im</strong> Bearbeiten<br />

der Übungsaufgaben (vgl. 4.5) <strong>—</strong> angeben,<br />

eher <strong>im</strong> <strong>WWW</strong> zu suchen als in MaDiN.<br />

5 Rück- <strong>und</strong> Ausblick<br />

Die Evaluation liefert nicht nur Rückmeldungen<br />

über das Lern- <strong>und</strong> Arbeitsverhalten von<br />

Studierenden <strong>im</strong> Rahmen internetgestützter<br />

Lehrveranstaltungen, sie erlaubt darüber hinaus<br />

wertvolle Erkenntnisse über die Einstellung<br />

von Studierenden des Lehramts an<br />

Haupt- <strong>und</strong> Realschulen zu ihrem Studium<br />

<strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Erwartungen an<br />

das Studium. Während ein Teil der Studie-


enden <strong>—</strong> speziell der PH Weingarten <strong>—</strong><br />

motiviert ist, besitzt ein anderer Teil eine vergleichsweise<br />

geringe fachspezifische Motivation,<br />

verb<strong>und</strong>en mit einer sehr engen Vorstellung<br />

von <strong>Mathematik</strong>didaktik, die beinahe alles<br />

als praxisfern ablehnt, was nicht eine<br />

unmittelbare Anleitung zum Unterrichten darstellt.<br />

Insgesamt offenbart die Evaluation eine<br />

deutliche Differenz zwischen den in der<br />

Literatur geforderten Zielen der <strong>Mathematik</strong>lehrerausbildung<br />

(vgl. 2) <strong>und</strong> den Erwartungen,<br />

die ein Teil der Studierenden an das<br />

Lehramtsstudium richtet.<br />

5.1 Chancen<br />

Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> bestätigt die Evaluation,<br />

dass zahlreiche Studierende die vielfältigen<br />

Möglichkeiten von MaDiN wirklich nutzen.<br />

Es ist wichtig, dass insbesondere auch<br />

den motivierten Studierenden, die aktiv werden<br />

wollen, entsprechende Angebote <strong>—</strong> beispielsweise<br />

Aufträge zum selbstständigen<br />

Weiterarbeiten <strong>—</strong> zur Verfügung stehen.<br />

Umgekehrt kann MaDiN auch weniger motivierten<br />

Studierenden den Einstieg in die Didaktik<br />

der Geometrie erleichtern. Weite Bereiche<br />

der didaktischen Literatur, auch der<br />

Lehrbücher, werden von vielen Studierenden<br />

des Lehramts an Haupt- <strong>und</strong> Realschulen als<br />

zu schwer <strong>und</strong> zu abstrakt empf<strong>und</strong>en oder<br />

entsprechen nicht ihren Vorstellungen von<br />

Didaktik. Hier liegt eine große Bedeutung von<br />

Hypertext-Systemen mit ihren mult<strong>im</strong>edialen<br />

Möglichkeiten: Angebote, die schon auf den<br />

ersten Blick einen Bezug zur Schulpraxis erkennen<br />

lassen (z.B. Kopiervorlagen für Arbeitsblätter,<br />

Abbildungen von Lernmitteln <strong>und</strong><br />

Anleitungen zu deren Herstellung <strong>und</strong> Einsatz,<br />

Schülerzeichnungen <strong>und</strong> -texte) werden<br />

von Studierenden mit einer engen Vorstellung<br />

von <strong>Mathematik</strong>didaktik hingegen eher<br />

akzeptiert <strong>und</strong> können sie an die <strong>Mathematik</strong>didaktik<br />

<strong>und</strong> entsprechende tiefer gehende<br />

Überlegungen heranführen. Die Verfügbarkeit<br />

einzelner Artikel per Download, die auch<br />

ohne Vorkenntnisse gut verständlich sind<br />

<strong>und</strong> deren Erschließung durch Arbeitsaufträge<br />

mit gestuften Fragen angeleitet wird, können<br />

ein zusätzlicher Schritt in diese Richtung<br />

sein.<br />

Generell können internetbasierte Lehr-Lern-<br />

Umgebungen wie MaDiN übliche Präsenzlehrveranstaltungen<br />

ergänzen <strong>und</strong> anreichern<br />

<strong>und</strong> damit effektiver gestalten. Insbesondere<br />

für Veranstaltungen zur Didaktik der<br />

<strong>Mathematik</strong>, die häufig nur 2-stündig sind, ist<br />

dies von großer Bedeutung. MaDiN bietet<br />

hier nicht nur die Möglichkeit, einzelne Lern-<br />

Wie lernen Studierende in internetgestützten Lehrveranstaltungen?<br />

inhalte in das Selbststudium "auszulagern",<br />

was Freiräume in den Lehrveranstaltungen<br />

schafft, sondern eröffnet zusätzliche neue<br />

Übungsformen. Die Aussagen der Studierenden<br />

bestätigen, dass Übungen ein wichtiges<br />

Element für einen sinnvoll verlaufenden Lernprozess<br />

sind <strong>und</strong> wesentlich zum Lernerfolg<br />

in einer Lehrveranstaltung beitragen. Eine<br />

solche Übungsform ist das Schreiben von<br />

Beiträgen für das Diskussionsforum: Das<br />

schriftliche Ausformulieren qualifizierter (nicht<br />

spontan-emotionaler) Äußerungen über <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

ist eine wertvolle <strong>und</strong> viel<br />

zu selten praktizierte Tätigkeit.<br />

Der Vorteil der Virtualität liegt für die Studierenden<br />

darin, dass sie die Übungen dann erledigen<br />

können, wenn sie Zeit haben <strong>—</strong> das<br />

Studium kann dichter gestaltet werden, ohne<br />

den St<strong>und</strong>enplan der Studierenden weiter<br />

aufzublähen. Dies gilt<br />

• sowohl für die Ergänzung von Präsenzveranstaltungen<br />

durch zusätzliche virtuelle<br />

Phasen (wie <strong>im</strong> vorliegenden Projekt),<br />

• als auch für die Ergänzung des Standardprogramms<br />

<strong>im</strong> Lehramtsstudium durch<br />

zusätzliche freiwillige Veranstaltungen<br />

(Bruder 2003).<br />

5.2 Zukünftige Aufgaben<br />

Wie von einer formativen Evaluation zu erwarten<br />

ist, ergibt sich eine Reihe zukünftiger<br />

Aufgaben für die Weiterentwicklung der internetgestützten<br />

Lehr-Lern-Umgebung. Diese<br />

sind zunächst technischer Art:<br />

• Das Problem, dass die private Computerausstattung<br />

der Studierenden höchst unterschiedlich<br />

ist <strong>und</strong> insbesondere über<br />

mehrere Generationen von Betriebssystemen<br />

<strong>und</strong> Browsern streut, ist wohl nicht<br />

in den Griff zu bekommen. Abhilfe könnten<br />

zumindest teilweise klare technische<br />

Standards sowohl für die Entwickler als<br />

auch für die Studierenden schaffen.<br />

• Die Qualität des Ausdrucks könnte durch<br />

datenbankbasierte Systeme entsprechend<br />

den XML-Standards verbessert werden;<br />

diese schränken aber möglicherweise<br />

auch den Freiraum der Entwickler bei der<br />

Gestaltung einzelner Seiten ein.<br />

• MaDiN könnte auch offline verfügbar sein:<br />

Die Studierenden erhalten ein sehr knappes<br />

Skript mit zugehöriger CD-ROM oder<br />

DVD-ROM. Diese enthält die Bilder, Videos<br />

<strong>und</strong> An<strong>im</strong>ationen sowie weiter führende<br />

Links sowohl zu einzelnen Elementen<br />

von MaDiN (wie Graphen mit WebMathe-<br />

199


Gerald Wittmann<br />

matica), als auch ins <strong>WWW</strong>. Dem Vorteil<br />

der offline-Verfügbarkeit stehen die bekannten<br />

Argumente für ein ausschließlich<br />

auf einem Server liegendes System gegenüber<br />

(etwa die permanente Aktualisierbarkeit).<br />

Auch in Bezug auf die Entwicklung entsprechender<br />

Lehrveranstaltungskonzepte liefert<br />

die Evaluation wichtige Anstöße:<br />

• Zu klären bleibt noch das genaue Zusammenspiel<br />

der verschiedenen Medien<br />

innerhalb der Lehrveranstaltungen; <strong>—</strong> zu<br />

beantworten sind Fragen wie: Welche Inhalte<br />

schreibt der Dozent an die Tafel?<br />

Finden sich diese auch in MaDiN? Langfristig<br />

könnte das Vorhandensein einer<br />

Wissensbasis wie MaDiN Wege eröffnen,<br />

um die Lehrveranstaltungen zumindest<br />

teilweise von der Wissensvermittlung zu<br />

entlasten <strong>und</strong> Freiräume für exper<strong>im</strong>entelle,<br />

kommunikative <strong>und</strong> reflektierende Aktivitäten<br />

zu schaffen.<br />

• Die Arbeitsaufträge in MaDiN sind weiter<br />

auszudifferenzieren, abhängig davon, wie<br />

sie bearbeitet werden sollen: kurze Fragen<br />

zur Selbstkontrolle, exakte Anweisungen<br />

für schriftlich abzugebende Übungen,<br />

offene Impulse für Beiträge für das Diskussionsforum,<br />

Anregungen für über die<br />

eigentliche Lehrveranstaltung hinaus führende<br />

Projekte.<br />

• Das Problem einer Vielzahl inhaltsgleicher<br />

Beiträge <strong>im</strong> Diskussionsforum ist zu lösen,<br />

damit die neue Baumstruktur des<br />

Diskussionsforums auch wirklich mit Leben<br />

gefüllt wird. Möglich wäre beispielsweise<br />

eine Moderation des Diskussionsforums<br />

durch den Dozenten, die den Studierenden<br />

Rückmeldungen zu ihren Antworten<br />

gibt <strong>und</strong> damit Impulse zum Weiterdenken<br />

<strong>—</strong> ähnlich wie dies bei der<br />

"Korrektur" eines Lerntagebuchs durch<br />

die Lehrkraft geschieht. Derartige Vorgehensweisen<br />

sind allerdings sehr personalintensiv<br />

(Weigand 2001).<br />

• Es müssen Lösungen gesucht werden,<br />

um die nicht adäquaten Arbeitstechniken<br />

der Studierenden <strong>im</strong> Umgang mit dem <strong>Internet</strong><br />

zu verbessern. Da alle Studierende<br />

zumindest über gr<strong>und</strong>legende Arbeitstechniken<br />

verfügen, könnte eine derartige<br />

Weiterqualifizierung auch sukzessive erfolgen.<br />

200<br />

Literatur<br />

Bortz, Jürgen & Nicola Döring (2002): Forschungsmethoden<br />

<strong>und</strong> Evaluation für Human-<br />

<strong>und</strong> Sozialwissenschaftler. Berlin, Heidelberg<br />

& New York: Springer, 3. Auflage<br />

Bruder, Regina (2003): <strong>Internet</strong>gestützte Lernumgebungen<br />

für die Lehramtsausbildung. In: Beiträge<br />

zum <strong>Mathematik</strong>unterricht 2003, 157–<br />

160<br />

DMV & GDM (2001): Vorschläge zur Ausbildung<br />

von <strong>Mathematik</strong>lehrerinnen <strong>und</strong> -lehrern für<br />

das Lehramt an Gymnasien in Deutschland.<br />

DMV/GDM-Denkschrift zur Lehrerausbildung.<br />

In: Mitteilungen der GDM 72, 34–42<br />

Döring, Nicola (2002): Online-<strong>Lernen</strong>. In: Issing &<br />

Kl<strong>im</strong>sa (2002), 247–264<br />

Issing, Ludwig J. & Paul Kl<strong>im</strong>sa (Hrsg.) (2002): Information<br />

<strong>und</strong> <strong>Lernen</strong> mit Mult<strong>im</strong>edia <strong>und</strong> <strong>Internet</strong>.<br />

Weinhe<strong>im</strong>: Beltz PVU, 3. Auflage<br />

Klatt, Rüdiger u.a. (Hrsg.) (2001): Elektronische<br />

Information in der Hochschulausbildung. Innovative<br />

Mediennutzung <strong>im</strong> Lernalltag der Hochschulen.<br />

Opladen: Leske + Budrich<br />

Krauthausen, Günter (1998): <strong>Lernen</strong> – <strong>Lehren</strong> –<br />

<strong>Lehren</strong> lernen. Stuttgart: Klett<br />

Lamnek, Siegfried (1995): Qualitative Sozialforschung.<br />

Band 2. Methoden <strong>und</strong> Techniken.<br />

Weinhe<strong>im</strong>: Beltz PVU, 3. Auflage<br />

Ludwig, Matthias & Gerald Wittmann (2001): Eine<br />

internetgestützte Wissensbasis zur Didaktik<br />

der Geometrie. Entwicklung <strong>und</strong> Pilotstudie. In:<br />

mathematica didactica 24, Heft 1, 82–92<br />

Mayring, Philipp (2002): Qualitative Inhaltsanalyse.<br />

Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Techniken. Weinhe<strong>im</strong> &<br />

Basel: Beltz, 8. Auflage<br />

Middendorf, Elke (2002): Computernutzung <strong>und</strong><br />

Neue Medien <strong>im</strong> Studium. Ergebnisse der 16.<br />

Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes.<br />

Bonn: B<strong>und</strong>esministerium für Bildung<br />

<strong>und</strong> Forschung<br />

Schulmeister, Rolf (2002): Gr<strong>und</strong>lagen hypermedialer<br />

Lernsysteme. Theorie – Didaktik – Design.<br />

München: Oldenbourg,3. Auflage<br />

Tergan, Sigmar-Olaf (2002): Hypertext <strong>und</strong> Hypermedia:<br />

Konzeption, Lernmöglichkeiten,<br />

Lernprobleme <strong>und</strong> Perspektiven. In: Issing &<br />

Kl<strong>im</strong>sa (2002), 99–112<br />

Vollrath, Hans-Joach<strong>im</strong> (1980): Einstiege <strong>im</strong> Geometrieunterricht.<br />

In: mathematica didactica 3,<br />

Heft 1, 59–67<br />

Weth, Thomas (2003): MaDiN – <strong>Mathematik</strong>didaktik<br />

<strong>im</strong> Netz. In diesem Band<br />

Weigand, Hans-Georg (2001): <strong>Internet</strong>-gestützte<br />

Kommunikation in der Lehramtsausbildung. In:<br />

Journal für <strong>Mathematik</strong>-Didaktik 22, 99–122<br />

Wittmann, Gerald (2003): Gr<strong>und</strong>fragen der Evaluation<br />

mult<strong>im</strong>edialen <strong>Lernen</strong>s. In: Peter Bender<br />

u.a. (Hrsg.) (2003): Lehr- <strong>und</strong> Lernprogramme<br />

für den <strong>Mathematik</strong>unterricht. Bericht über die<br />

20. Arbeitstagung des AK "<strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

<strong>und</strong> Informatik" 2002. Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker,<br />

155–161


� Über die didaktische Gestaltung mult<strong>im</strong>edialer<br />

Lehrmaterialien<br />

Bert Xylander, Halle a.d. Saale<br />

Der Artikel beschreibt mit der Blickrichtung auf die Gruppentheorie ein Konzept, bestehend<br />

aus didaktischen Prinzipien <strong>und</strong> Ideen, nach dem mult<strong>im</strong>ediale Lehrmaterialien bereits<br />

gestaltet wurden. Von großer Bedeutung ist dabei eine durchdachte didaktische<br />

Gestaltung der Lehrmaterialien. Mult<strong>im</strong>ediale Lehrmaterialien lassen sich oftmals nur<br />

eingeschränkt mit herkömmlichen vergleichen. Begründet liegt dies darin, dass sie inhaltlich,<br />

medial <strong>und</strong> didaktisch hauptsächlich auf das <strong>Lernen</strong> mit dem Medium Computer<br />

ausgerichtet <strong>und</strong> dafür konzipiert werden.<br />

1 Einleitung<br />

<strong>Lernen</strong> mit neuen Medien <strong>—</strong> da schwingt die<br />

Erwartung mit, dass das <strong>Lernen</strong> mit Hilfe der<br />

modernen Technik eigentlich ein ganz besonderes<br />

<strong>Lernen</strong> ist. Nach einigen Jahren<br />

des euphorischen Probierens <strong>und</strong> Entwickelns<br />

von Lehrmaterialien für die neuen<br />

Medien Computer <strong>und</strong> <strong>Internet</strong> lässt sich mit<br />

einigem Recht auch behaupten, dass das<br />

<strong>Lernen</strong> mit dem Medium Computer durchaus<br />

besonders <strong>und</strong> hochwertig sein kann. Es ist<br />

aber zugleich unbestritten, dass das Medium<br />

Computer in vielen Lernsituationen wenig<br />

hilfreich <strong>und</strong> gelegentlich sogar sehr hinderlich<br />

wirkt <strong>und</strong> viele Lerninhalte besser auf<br />

"herkömmliche Weise" mit Hilfe "herkömmlicher<br />

Medien" gelernt werden sollten. Damit<br />

stellen sich zwei Fragen: In welchem Lehr<strong>und</strong><br />

Lernkontext entfaltet das Medium Computer<br />

seine spezifischen Möglichkeiten, sowohl<br />

Lehre als auch <strong>Lernen</strong> zu unterstützen,<br />

zu bereichern <strong>und</strong> zu neuer Qualität <strong>und</strong> Intensität<br />

zu führen? Wie können die Lehrinhalte<br />

als Lehrmaterial gestaltet werden, damit<br />

sich das Lehrmedium Computer als besonders<br />

geeignet erweist?<br />

Gerade dieser zweiten Fragestellung wird<br />

sich der Artikel zuwenden. Exemplarisch <strong>und</strong><br />

zugleich phänotypisch mit dem inhaltlichen<br />

Schwerpunkt Gruppentheorie wird hier die<br />

Diskussion über die didaktische Gestaltung<br />

mult<strong>im</strong>edialer Lehrmaterialien geführt. Dies<br />

beginnt mit der Analyse bereits existierender<br />

Computer- <strong>und</strong> <strong>Internet</strong>-Lehrmaterialien zur<br />

Gruppentheorie; anschließend wird die besondere<br />

Wirkungsweise des Lehrmediums<br />

Computer untersucht. Die Diskussion<br />

schließt mit der Beschreibung eines didaktischen<br />

Konzepts <strong>und</strong> eines Konzepts zur<br />

Lernkontrolle für ein mult<strong>im</strong>ediales gruppentheoretisches<br />

Lehrmaterial. Dieses Lehrma-<br />

terial wurde vom Autor <strong>im</strong> Rahmen des<br />

BMBF-Leitprojektes "Vernetztes Studium –<br />

Chemie" (www.vs-c.de) in einem Zeitraum<br />

von 3 Jahren entwickelt <strong>und</strong> bereits mit Studierenden<br />

getestet (vgl. auch Z<strong>im</strong>mer et al.<br />

2002 <strong>und</strong> 2003).<br />

2 Gruppentheorie mit dem<br />

<strong>Internet</strong>: Eine Bestandsaufnahme<br />

<strong>Internet</strong>-Lehrmaterialien lassen sich nach<br />

dem Umfang ihrer inhaltlichen, medialen <strong>und</strong><br />

didaktischen Neukonzeption beurteilen. Folgt<br />

man diesem Klassifizierungsansatz, so werden<br />

aus der Analyse der derzeit (September<br />

2003) <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> verfügbaren Lehrmaterialien<br />

zu gruppentheoretischen Inhalten drei<br />

wesentliche Realisierungsstufen deutlich.<br />

Der ersten Realisierungsstufe lassen sich all<br />

jene Lehrmaterialien zuordnen, die sich lediglich<br />

durch die technische Verbreitung von<br />

herkömmlichen Lehrmaterialien unterscheiden:<br />

Der Computerbildschirm ersetzt das<br />

Papier, es findet keine inhaltliche, mediale<br />

<strong>und</strong> didaktische Neukonzeption statt. Solche<br />

Lehrmaterialien sind z.B. die gebräuchlichen<br />

Vorlesungsskripte <strong>und</strong> Übungsserien in PDF-<br />

Form. Die Lehrmaterialien dieser Realisierungsstufe<br />

verlieren durch ein Ausdrucken<br />

nicht an Information <strong>und</strong> Funktionalität.<br />

Es handelt sich also um eigentlich herkömmliche<br />

Lehrmaterialien, die durch das <strong>Internet</strong><br />

eine kostengünstige Verbreitung erfahren. Im<br />

Vergleich zu den Materialien der beiden anderen<br />

Stufen ist ihre Erstellung mit einem geringeren<br />

technischen Aufwand <strong>und</strong> somit<br />

auch mit einem geringeren Aufwand für die<br />

<strong>Lehren</strong>den verb<strong>und</strong>en. Im Allgemeinen werden<br />

die <strong>Lernen</strong>den diese Lehrmaterialien<br />

201


Bert Xylander<br />

ausdrucken <strong>und</strong> in der herkömmlichen Form<br />

<strong>im</strong> Lernprozess einsetzen.<br />

Der zweiten Realisierungsstufe werden die<br />

Lehrmaterialien in Hypertext-Form zugeordnet.<br />

Diese Lehrmaterialien entstehen zumeist<br />

dadurch, dass herkömmliche Lehrmaterialien<br />

in weniger umfängliche <strong>und</strong> geringere Ladezeit<br />

beanspruchende HTML-Formate umgesetzt<br />

<strong>und</strong> mit einer Hypertext-Funktionalität<br />

versehen werden. Die Lehrmaterialien erfahren<br />

dabei, <strong>im</strong> Vergleich zu herkömmlichen<br />

Lehrmaterialien, eine inhaltliche <strong>und</strong> auch didaktische<br />

Neukonzeption; die mediale Funktionalitätserweiterung<br />

beschränkt sich zumeist<br />

auf die Vernetzung der Inhalte durch<br />

Hypertext. Das Ausdrucken dieser Lehrmaterialien<br />

führt zu dem Verlust der Verlinkungsfunktionalität,<br />

nicht jedoch zu einem Informationsverlust.<br />

Dass sich der mit der Entwicklung solcher<br />

Hypertext-Materialien verb<strong>und</strong>ene hohe Aufwand<br />

sehr wohl lohnen kann, lässt sich am<br />

einfachsten mit einem Beispiel belegen. Genannt<br />

sei stellvertretend die Freiberger Web-<br />

Vorlesung über Klassische Algebra (Hebisch<br />

2002). Hier werden algebraische Inhalte zusammenfassend<br />

geordnet <strong>und</strong> mit Hilfe von<br />

Hyperlinks miteinander vernetzt. Es entsteht<br />

ein Gefüge übersichtlicher Wissenseinheiten,<br />

die sich <strong>im</strong> Vergleich zu herkömmlichen<br />

Lehrmaterialien als besonders geeignet zeigen<br />

für ein wiederholendes <strong>und</strong> systematisierendes,<br />

aber auch ergänzendes <strong>und</strong> vertiefendes<br />

<strong>Lernen</strong>.<br />

Erfahrungen zeigen, dass der Wert der Lehrmaterialien<br />

dieser zweiten Realisierungsstufe<br />

hauptsächlich in der neuartigen <strong>und</strong> zumeist<br />

systematisierenden Darstellung von Lehrinhalten<br />

liegt. Diese Erfahrungen spiegeln sich<br />

zum einen in der facettenreichen Diskussion<br />

über die Eignung des Computerbildschirms<br />

zum Textlernen (Schulmeister 2002, 279ff),<br />

aber auch in den vom Autor durchgeführten<br />

Studien über <strong>Internet</strong>lehrmaterialien (Z<strong>im</strong>mer<br />

et al. 2002).<br />

In der dritten Realisierungsstufe lassen sich<br />

all jene Lehrmaterialien ansiedeln, die auf<br />

das <strong>Lernen</strong> mit dem Computer ausgerichtet<br />

sind <strong>und</strong> die in ihrer medialen Funktionalität<br />

über Hypertexte hinausgehen. Die Lehrmaterialien<br />

werden in ihrer inhaltlichen Struktur für<br />

das <strong>Lernen</strong> am Computer neu konzipiert, die<br />

didaktische <strong>und</strong> mediale Neuorganisation der<br />

Lehrmaterialien basiert auf dem vollen Funktionalitätsumfang<br />

des Lehrmediums. So werden<br />

zumeist Medienformen entwickelt, die<br />

die medialen Möglichkeiten des Computers<br />

nutzen (z.B. S<strong>im</strong>ulationen <strong>und</strong> An<strong>im</strong>ationen)<br />

<strong>und</strong> die sich durch eine bidirektionale Interak-<br />

202<br />

tion zwischen den <strong>Lernen</strong>den <strong>und</strong> den Lehrmaterialien<br />

auszeichnen (z.B. Trainingsaufgaben<br />

mit kontextabhängigem Feedback).<br />

Die inhaltliche, mediale <strong>und</strong> didaktische Orientierung<br />

der Materialien auf das Lehrmedium<br />

Computer führt dazu, dass mit dem Ausdrucken<br />

der Lehrmaterialien zumeist Informationsverluste,<br />

insbesondere aber Funktionalitätseinschränkungen<br />

verb<strong>und</strong>en sind.<br />

Ein Beispiel für ein gruppentheoretisches<br />

Lehrmaterial der dritten Realisierungsstufe ist<br />

das Lehrmaterial "Symmetrie molekularer<br />

Strukturen", das vom Autor entwickelt <strong>und</strong><br />

auf das in der Einleitung bereits hingewiesen<br />

wurde.<br />

Die Lehrmaterialien der dritten Realisierungsstufe<br />

ermöglichen den <strong>Lernen</strong>den mit<br />

ihren gegenüber herkömmlichen Lehrmedien<br />

neuartigen Darstellungsformen eine andere<br />

Sichtweise auf die Inhalte, wodurch der<br />

Lernprozess sehr bereichert werden kann.<br />

Des Weiteren kann auf der Gr<strong>und</strong>lage der<br />

bidirektionalen Interaktion zwischen den <strong>Lernen</strong>den<br />

<strong>und</strong> dem Lehrmaterial eine gegenüber<br />

herkömmlichen Lehrmedien stärkere<br />

Einbindung <strong>und</strong> Aktivierung der <strong>Lernen</strong>den<br />

erfolgen. Kritisch ist mit Blick auf die bereits<br />

erwähnte Diskussion über die Eignung des<br />

Computers als Lehrmedium festzuhalten,<br />

dass <strong>im</strong> Unterschied zu den beiden anderen<br />

Realisierungsstufen der <strong>Lernen</strong>de mit seinem<br />

Lernprozess zwangsläufig an das Medium<br />

Computer geb<strong>und</strong>en ist. Als ein weiterer Hinderungsgr<strong>und</strong><br />

für die Schaffung derartiger<br />

Lehrmaterialien kann der <strong>im</strong> Vergleich zu<br />

Hypertexten noch einmal höhere Entwicklungsaufwand<br />

angesehen werden.<br />

Mit dem Blick auf die didaktische Gestaltung<br />

von mult<strong>im</strong>edialen Lehrmaterialien, also gerade<br />

von Lehrmaterialien der dritten Realisierungsstufe,<br />

stellt sich gleich zu Beginn die<br />

Frage: Worin liegt eigentlich die Besonderheit<br />

des Lehrmediums Computer <strong>im</strong> Vergleich<br />

zu herkömmlichen Lehrmedien begründet?<br />

Der folgende Abschnitt wird sich mit dieser<br />

Frage auseinandersetzen.<br />

3 Die besondere Wirkungsweise<br />

des Computers <strong>im</strong><br />

Lernprozess<br />

Das Medium Computer zeichnet sich gegenüber<br />

herkömmlichen Medien (z.B. Büchern<br />

<strong>und</strong> Realmodellen) hauptsächlich durch eine<br />

Erweiterung der technischen Funktionalität


aus. Der Computer wirkt als ein Moderator<br />

herkömmlicher Darstellungsformen <strong>—</strong> Schulmeister<br />

(2002, 22) spricht vom "mediieren<br />

durch den Computer" <strong>—</strong> <strong>und</strong> kann somit das<br />

<strong>Lernen</strong> auf eine Art <strong>und</strong> Weise bereichern,<br />

die den herkömmlichen Medien fremd ist.<br />

Andererseits lassen sich mit dem Computer<br />

nicht alle wesentliche Bestandteile des Lehr<strong>und</strong><br />

Lernprozesses abdecken; <strong>—</strong> so ist das<br />

haptische Begreifen von mathematischen<br />

Zusammenhängen durch die Arbeit mit realen<br />

Modellen zumindest derzeit mit dem Medium<br />

Computer nicht realisierbar.<br />

Begründet nun aber der Computer eine qualitativ<br />

neue Darstellungsform? Natürlich nicht!<br />

Das Medium Computer ist hauptsächlich<br />

durch eine vernetzende Organisation herkömmlicher<br />

Darstellungsformen gekennzeichnet,<br />

wobei die Vernetzung nicht nur auf<br />

die Präsentation beschränkt bleibt, sondern<br />

auch die <strong>Lernen</strong>den (in Bezug auf die Lernmedien)<br />

integriert. Diese vernetzende Organisation<br />

herkömmlicher Medien unter Einbeziehung<br />

des menschlichen Individuums führt<br />

zu der erweiterten Wirkungsweise des Lehrmediums<br />

Computer (eine Wirkungsweise, die<br />

häufig als Multicodalität, Mult<strong>im</strong>odalität <strong>und</strong><br />

Interaktivität beschrieben wird). Die nachfolgende<br />

Abbildung 1 charakterisiert diese erweiterte<br />

Wirkungsweise.<br />

Der Lernprozess mit herkömmlichen Medien<br />

besitzt überwiegend monodirektionalen Charakter:<br />

Die <strong>Lernen</strong>den integrieren die vorgegebene<br />

mediale Darstellung in ihren Lernprozess,<br />

können jedoch nur wenig auf das<br />

Medium selbst zurückwirken (ein Modell<br />

Herkömmliche Medien<br />

Darstellungsangebot<br />

(vom <strong>Lehren</strong>den vorgegeben)<br />

Subjektiver<br />

Aneignungsprozess<br />

Lernprozess<br />

Eingeschränkte Rückwirkung<br />

Über die didaktische Gestaltung mult<strong>im</strong>edialer Lehrmaterialien<br />

kann von verschiedenen Seiten betrachtet,<br />

ein Bild kann ausgemalt, ein Text kann laut<br />

<strong>und</strong> leise, einmal oder mehrmals gelesen<br />

werden). Ähnliches tritt auch bei der Kombination<br />

mehrerer Darstellungsformen mit herkömmlichen<br />

Medien <strong>—</strong> Schulmeister (2002,<br />

21) spricht diesbezüglich von der "Sequenzialität<br />

der verschiedenen Medien" <strong>—</strong> zu Tage:<br />

Die <strong>Lernen</strong>den können zwar verschiedene<br />

Darstellungsangebote in ihren Lernprozess<br />

integrieren (entweder ein Bild <strong>im</strong> Buch betrachten<br />

oder den beschreibenden Text verinnerlichen<br />

oder beides nacheinander), dennoch<br />

überwiegt die monodirektionale Wirkung<br />

der herkömmlichen Medienkombination<br />

auf den Lernprozess (Abb. 1, links).<br />

Der Computer ermöglicht dagegen einen (idealerweise)<br />

wirklich bidirektionalen Charakter:<br />

Die <strong>Lernen</strong>den integrieren das Darstellungsangebot<br />

in ihren Lernprozess; zugleich<br />

aber können die <strong>Lernen</strong>den auf die Darstellung<br />

einwirken <strong>und</strong> sie ihren individuellen<br />

Vorstellungen entsprechend anpassen. Zudem<br />

ermöglicht die technische Funktionalität<br />

des Computers, mehrere verschiedene Darstellungsangebote<br />

den <strong>Lernen</strong>den zur Auswahl<br />

zu stellen. Demzufolge erstreckt sich<br />

die Rückwirkungsmöglichkeit ebenfalls auf<br />

die Auswahl eines für die <strong>Lernen</strong>den individuell<br />

geeigneten Darstellungsangebots. Zusätzlich<br />

ermöglichen die neuen Medien eine<br />

individuelle Neuorganisation des der Darstellung<br />

zugr<strong>und</strong>e liegenden Mediennetzes in<br />

Abhängigkeit von der jeweiligen Lernsituation<br />

(Abb. 1, rechts).<br />

Computer<br />

Darstellungsangebote<br />

Darstellungsangebot<br />

(individuell ausgewählt)<br />

Subjektiver<br />

Aneignungsprozess<br />

Lernprozess<br />

Individuelle Auswahl<br />

eines Angebots<br />

Individuelle Anpassung<br />

des Angebotes<br />

Individuelle Neuorganisation<br />

des Mediennetzes<br />

Abb. 1: Die Wirkungsweise der herkömmlichen Lehrmaterialien <strong>und</strong> des Computers <strong>im</strong> Vergleich. Mit herkömmlichen<br />

Medien findet hauptsächlich ein monodirektionaler Lernprozess statt (Abb. links), wohingegen mit dem Lehrmedium<br />

Computer der Lernprozess interaktiv (bidirektional) gestaltet werden kann (Abb. rechts).<br />

203


Bert Xylander<br />

Bedeutsam für einen Erfolg dieser erweiterten<br />

Wirkungsweise des Lehrmediums Computer<br />

<strong>im</strong> Lernprozess ist in jedem Fall die aktive<br />

Teilnahme der <strong>Lernen</strong>den <strong>und</strong> das Nutzen<br />

der erweiterten Angebote: Wird durch die<br />

<strong>Lernen</strong>den nicht aktiv-kreativ von der Wirkungsweise<br />

des Computers Gebrauch gemacht,<br />

reduziert sich der Darstellungseffekt<br />

des Computers auf das Niveau der herkömmlichen<br />

Medien.<br />

Natürlich ist es notwendig, überhaupt erst<br />

einmal solche, die erweiterte Wirkungsweise<br />

des Computers realisierende Lehrmaterialien<br />

zu entwickeln <strong>und</strong> anschließend den <strong>Lernen</strong>den<br />

anzubieten. Derartige Lehrmaterialien<br />

zeichnen sich durch mult<strong>im</strong>ediale Darstellungsformen<br />

aus, vor allem aber auch dadurch,<br />

dass ihre inhaltliche Struktur <strong>und</strong> ihre<br />

didaktische Organisation dem Medium Computer<br />

angepasst werden.<br />

Im folgenden Abschnitt wird nun <strong>—</strong> fortsetzend<br />

mit der inhaltlichen Fokussierung auf<br />

die Gruppentheorie <strong>—</strong> diskutiert, wie eine<br />

solche didaktische Konzeption mult<strong>im</strong>edialer<br />

Lehrmaterialien gestaltet werden kann. Aus<br />

der Betrachtung des Beispiellehrmaterials<br />

"Symmetrie molekularer Strukturen" werden<br />

didaktische Leitlinien <strong>und</strong> Ideen speziell für<br />

das Lehrmedium Computer entwickelt <strong>und</strong><br />

formuliert. Die Leitlinien <strong>und</strong> Ideen basieren<br />

dabei auf gr<strong>und</strong>legenden Konzepten, die für<br />

die neue Situation des <strong>Lernen</strong>s mit mult<strong>im</strong>edialen<br />

Lehrmaterialien präzisiert <strong>und</strong> weiter<br />

entwickelt werden. Es wird sich insbesondere<br />

zeigen, dass die didaktischen Gestaltungsprinzipien<br />

das verbindende Gr<strong>und</strong>gerüst darstellen,<br />

mit dem die inhaltliche <strong>und</strong> mediale<br />

Struktur eines mult<strong>im</strong>edialen Lehrmaterials<br />

zu einem funktionierenden Ganzen erfolgreich<br />

zusammengeführt werden kann.<br />

4 Mult<strong>im</strong>ediale Gruppentheorie:<br />

Ein didaktisches<br />

Konzept<br />

Die didaktische Konzeption eines mult<strong>im</strong>edialen<br />

Lehrmaterials in Ausrichtung auf das<br />

Lehrmedium Computer muss eine andere<br />

sein als die didaktische Konzeption in Ausrichtung<br />

auf herkömmliche Lehrmedien: Allein<br />

schon der Anspruch, die Wirkungsweise<br />

des Computers in die inhaltliche <strong>und</strong> mediale<br />

Gestaltung zu integrieren, erfordert ein Überdenken<br />

<strong>und</strong> Anpassen herkömmlicher Darstellungsstrategien,<br />

womit nahezu zwangsläufig<br />

ein Aufbrechen herkömmlicher Lehrkonzepte<br />

verb<strong>und</strong>en sein wird.<br />

204<br />

Im Folgenden werden die didaktischen Prinzipien<br />

erörtert, die sich für die Gestaltung des<br />

mult<strong>im</strong>edialen gruppentheoretischen Lehrmaterials<br />

"Symmetrie molekularer Strukturen"<br />

als gr<strong>und</strong>legend <strong>und</strong> wirkungsvoll herausgestellt<br />

haben. Die Diskussion wird dabei zeigen,<br />

dass auch inhaltliche <strong>und</strong> mediale Betrachtungen<br />

mit herangezogen werden müssen.<br />

Es sei dazu auf die ausführliche Beschreibung<br />

der Inhaltsstruktur des Lehrmaterials<br />

sowie auf die Beschreibung der <strong>im</strong><br />

Lehrmaterial verwendeten medialen Darstellungsformen<br />

in (Z<strong>im</strong>mer et al. 2003) verwiesen.<br />

Ein didaktisches Konzept realisiert verschiedene<br />

Formen didaktischer Ideen <strong>und</strong> Prinzipien,<br />

die nach dem Allgemeinheitsgrad ihrer<br />

Wirkung <strong>und</strong> nach dem Grad ihres inhaltlichen<br />

<strong>und</strong> ihres medialen Bezuges charakterisiert<br />

werden können. Es zeigt sich jedoch<br />

auch, dass die didaktischen Prinzipien einander<br />

durchdringen <strong>und</strong> aufeinander einwirken.<br />

4.1 Inhaltsstrukturierung <strong>und</strong> systematisierende<br />

Darstellung<br />

Eine das gesamte Lehrmaterial umfassende<br />

Leitidee offenbart sich in einer strukturierten<br />

Organisation der Lehrinhalte. Im Lehrmaterial<br />

"Symmetrie molekularer Strukturen" spiegelt<br />

sich dies z.B. in einer kapitelübergreifenden,<br />

gleichartigen Inhaltsstruktur. Alle Kapitel sind<br />

jeweils inhaltlich gegliedert in Voraussetzungen<br />

<strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>begriffe, in einen Hauptteil<br />

(der eigentliche Inhaltsgegenstand), in eine<br />

Zusammenfassung <strong>und</strong> in eine Aufgaben<strong>und</strong><br />

Antwortsammlung. Diese strukturierte Inhaltsorganisation<br />

wird unterstützt durch die<br />

physisch-technische Gliederungshierarchie<br />

der Lehrinhalte in Kapitel, Abschnitte <strong>und</strong><br />

Lehreinheiten.<br />

Das Konzept der Inhaltsstrukturierung beschreibt<br />

die inhaltliche Grobstruktur <strong>und</strong> ihre<br />

konkrete physisch-technische Realisierung.<br />

Wird die Betrachtung noch weiter herunter<br />

gebrochen auf die inhaltliche Strukturbetrachtung<br />

der Lehreinheiten, so wird eine<br />

systematisierende Inhaltsdarstellung deutlich.<br />

In der Entwicklung des Lehrmaterials<br />

stellt sich nämlich für verschiedene Lehrinhalte<br />

eine systematisierende Darstellungsweise<br />

als überaus geeignet heraus, diese Inhalte<br />

zu vermitteln. Die Systematisierung erfolgt<br />

dabei sowohl übergreifend über mehrere<br />

Lehreinheiten als auch innerhalb einzelner<br />

Lehreinheiten. Die <strong>Lernen</strong>den können somit<br />

die Inhalte vergleichend studieren, Gemeinsamkeiten<br />

<strong>und</strong> Unterschiede erkennen <strong>und</strong>


auf diese Weise aktiv ihr eigenes, systematisierendes<br />

Wissensnetz konstruieren. Diese<br />

didaktisch motivierte Form der selbst vollzogenen<br />

Inhaltsstrukturierung wird als das<br />

Prinzip der systematisierenden Darstellung<br />

bezeichnet.<br />

4.2 Didaktische Differenzierung<br />

<strong>und</strong> inhaltliche Ergänzungen<br />

Eine andere didaktisch begründete Form der<br />

Inhaltsstrukturierung beschreibt das vertraute<br />

Prinzip der didaktischen Differenzierung.<br />

Dieses Prinzip findet <strong>im</strong> Lehrmaterial seinen<br />

Niederschlag dadurch, dass Inhalte als vertiefende<br />

Inhalte zusätzlich zu den <strong>im</strong> Regelfall<br />

nicht-vertiefenden Inhalten organisiert<br />

werden, um somit den Studierenden verschiedene<br />

Schwierigkeitsgrade <strong>und</strong> Anforderungsniveaus<br />

zu bieten.<br />

Die didaktische Differenzierung erfolgt dabei<br />

auf zwei unterschiedlichen Wegen. Zum einen<br />

werden vertiefende Lehreinheiten in das<br />

Lehrmaterial integriert, die prinzipiell ein höheres<br />

inhaltliches Niveau realisieren. Diese<br />

Vertiefungen stellen eigenständige inhaltliche<br />

Komplexe dar, in denen umfangreiche Inhaltsbezüge<br />

behandelt werden.<br />

Eine zweite Form der didaktischen Differenzierung<br />

drückt sich mit dem Konzept der inhaltlichen<br />

Ergänzungen aus. Das Konzept<br />

realisiert innerhalb der Lehreinheiten (sowohl<br />

innerhalb der nicht-vertiefenden, als auch innerhalb<br />

der vertiefenden Lehreinheiten) zusätzliche<br />

Wissensangebote in Form von<br />

Fußnoten, Vertiefungen oder Aufgaben. Die<br />

Studierenden können diese kontextabhängigen<br />

Angebote nutzen, sind dazu jedoch nicht<br />

verpflichtet. Die zusätzlichen Angebote ergänzen<br />

das Lehrmaterial in der Form von<br />

Popup-Fenstern.<br />

4.3 Inhaltliche Konsistenz <strong>und</strong><br />

inhaltliche Vorwegnahme<br />

Mit dem Prinzip der inhaltlichen Konsistenz<br />

wird ein spezielles, ebenfalls inhaltsorientiertes<br />

didaktisches Prinzip vorgestellt. Die Wirkung<br />

dieses Prinzips geht mit der Realisierung<br />

von inhaltlichen Leitlinien <strong>im</strong> Lehrmaterial<br />

einher. Solche Leitlinien bestehen darin,<br />

dass z. B. verschiedene Inhalte <strong>im</strong>mer wieder<br />

am gleichen Beispiel exemplarisch erklärt<br />

<strong>und</strong> veranschaulicht werden oder dass die<br />

Lehrinhalte pyramidal aufeinander aufbauen.<br />

Ausdruck des Prinzips der inhaltlichen Konsistenz<br />

ist neben den inhaltlichen Leitlinien<br />

Über die didaktische Gestaltung mult<strong>im</strong>edialer Lehrmaterialien<br />

aber auch der Aspekt der inhaltlichen Vorwegnahme.<br />

Diese erfasst Begriffsinhalte <strong>und</strong><br />

inhaltliche Zusammenhänge anschaulich <strong>und</strong><br />

intuitiv; erst zu einem viel späteren Zeitpunkt<br />

<strong>—</strong> nach entsprechend ausgebildeter theoretischer<br />

Gr<strong>und</strong>legung <strong>—</strong> werden die Begriffe<br />

<strong>und</strong> Zusammenhänge in einer mathematischen<br />

Terminologie exakt erfasst.<br />

4.4 Abgeschlossene Lehreinheiten<br />

Ein weiteres didaktisches Prinzip, das hauptsächlich<br />

inhaltsorientiert wirksam wird, findet<br />

sich in dem Prinzip der abgeschlossenen<br />

Lehreinheiten. Nach diesem Prinzip werden<br />

inhaltliche Zusammenhänge derart organisiert,<br />

dass sie innerhalb einer Lehreinheit zusammenhängend<br />

darstellbar sind. Erforderlich<br />

ist also die Konzentration auf das Wesentliche,<br />

auf kurze <strong>und</strong> überschaubare elementare<br />

Lehreinheiten. In herkömmlichen<br />

Lehrmedien können sich zusammenhängende<br />

Inhalte über mehrere physische Einheiten<br />

verteilen. Im Gegensatz dazu kapselt das<br />

Prinzip der abgeschlossenen Lehreinheiten<br />

zusammenhängende Lehrinhalte innerhalb<br />

einer physischen Einheit (der Lehreinheit).<br />

Die bisher beschriebenen didaktischen Prinzipien<br />

sind durch ihre inhaltliche Orientierung<br />

geprägt. Mit dem Konzept der darstellungsorientierten<br />

Veranschaulichung durch mult<strong>im</strong>ediale<br />

Elemente wird nun ein allgemeines<br />

mediales Konzept betrachtet.<br />

4.5 Veranschaulichung <strong>und</strong><br />

Anschaulichkeit<br />

Das Konzept der darstellungsorientierten<br />

Veranschaulichung wird <strong>im</strong> Lehrmaterial<br />

"Symmetrie molekularer Strukturen" wesentlich<br />

durch virtuell-dreid<strong>im</strong>ensionale Modelle<br />

<strong>und</strong> durch dynamische Medien-Korrelationen<br />

geprägt (zu den Bezeichnungen vgl. Z<strong>im</strong>mer<br />

2003). Mit ihrer hervorragenden Eignung,<br />

abstrakt-mathematische Begriffe <strong>und</strong> Zusammenhänge<br />

dynamisch veranschaulichen<br />

zu können (s. Abb. 2), besitzen diese beiden<br />

Darstellungsformen mult<strong>im</strong>edialer Elemente<br />

einen besonderen Stellenwert für das Gesamtkonzept<br />

des Lehrmaterials.<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage des Konzepts der darstellungsorientierten<br />

Veranschaulichung lassen<br />

sich spezielle didaktische Prinzipien formulieren,<br />

die sowohl inhaltsorientiert als auch medial<br />

orientiert wirken: Das Prinzip der Anschaulichkeit<br />

ergänzt das Prinzip der abgeschlossenen<br />

Lehreinheiten insofern, als zusätzlich<br />

zur zusammenhängenden Inhalts-<br />

205


Bert Xylander<br />

darstellung eine anschauliche Inhaltsorganisation<br />

eingefordert wird. Realisiert wird dieses<br />

Prinzip hauptsächlich durch die Kombination<br />

inhaltlicher Textdarstellung mit darstellungsorientierten<br />

Veranschaulichungen (z.B.<br />

in Form virtuell-dreid<strong>im</strong>ensionaler Modelle<br />

oder dynamischer Medien-Korrelationen).<br />

4.6 Aktivitätsförderung<br />

Ebenfalls als inhaltsorientiertes, aber auch<br />

medial orientiertes Prinzip wirkt das Prinzip<br />

der Aktivitätsförderung. Dieses Prinzip beschreibt<br />

die Gestaltung der Lehreinheiten als<br />

eine ausgewogene Mischung textueller Inhaltsdarstellung<br />

mit interaktiven mult<strong>im</strong>edialen<br />

Elementen, die sich wechselseitig sinnunterstützend<br />

durchdringen. Didaktischer Hintergr<strong>und</strong><br />

ist die Mischung instruktiver Texte<br />

mit aktivitätsfördernden Elementen, um verschiedene<br />

Lerntypen anzusprechen. Als<br />

zweiter Aspekt des Prinzips der Aktivitätsförderung<br />

soll das Handeln der Studierenden<br />

betont werden. Nur durch ein selbst best<strong>im</strong>mtes,<br />

aktives Erarbeiten sind die Studierenden<br />

in der Lage, sich die <strong>—</strong> vielfach abstrakten<br />

<strong>—</strong> Inhalte eigenständig anzueignen.<br />

Bedeutung kommt hierbei auch dem motivationalen<br />

Aspekt der Auseinandersetzung mit<br />

den Lehrinhalten bei: Aktivitätsfördernde<br />

(mult<strong>im</strong>ediale) Komponenten sind in der Lage,<br />

eine <strong>—</strong> für einen Lernerfolg notwendige<br />

<strong>—</strong> intrinsische Motivationslage extrinsisch<br />

aufzuwerten.<br />

4.7 Aktive Lernkontrolle<br />

Ein wesentlicher Bestandteil jedes mult<strong>im</strong>edialen<br />

Lehrmaterials sind die Formen der<br />

Lernkontrolle. Die Gestaltung der Lernkontrolle<br />

wird durch fünf verschiedene didaktische<br />

Aspekte geprägt: durch die inhaltliche<br />

206<br />

Drehung um 90°<br />

Drehachse<br />

Drehung um 45°<br />

Transparenz<br />

Drehung um 90°<br />

Drehachse<br />

Drehung um 45°<br />

Transparenz<br />

Abb. 2: Drehoperationen an einem virtuell-dreid<strong>im</strong>ensionalen Würfelmodell: Mit Hilfe des miniaturisierten Vergleichmodells<br />

in Ausgangslage (in der linken oberen Ecke) ist leicht nachzuvollziehen, dass eine Drehung um einen Winkel von 90° um<br />

die dargestellte Drehachse eine Symmetrieoperation <strong>—</strong> bzw. Deckabbildung <strong>—</strong> ist (linke Seite; nach der Drehung); die<br />

Drehung um einen Winkel von 45° dagegen nicht (rechte Seite; nach der Drehung).<br />

<strong>und</strong> durch die mediale Organisation der<br />

Lernkontrolle, durch den Aspekt der Aktivitätsförderung,<br />

durch die individuell determinierten<br />

Aspekte der Eigenverantwortlichkeit<br />

<strong>und</strong> der Lernbereitschaft der Studierenden.<br />

Das damit charakterisierte Spannungsfeld<br />

begründet das didaktische Prinzip der aktiven<br />

Lernkontrolle.<br />

Im Lehrmaterial "Symmetrie molekularer<br />

Strukturen" werden fünf Aufgabentypen zur<br />

Lernkontrolle eingesetzt: Wissensaufgaben,<br />

Lernaufgaben, Anwendungsaufgaben, Formalaufgaben<br />

<strong>und</strong> Handlungsaufgaben:<br />

Wissensaufgaben: Nennen Sie 3 Unterschiede<br />

zwischen Drehspiegelachsen Sn mit<br />

geradem n <strong>und</strong> ungeradem n.<br />

Lernaufgaben: Warum ist die S2-Symmetrie<br />

äquivalent zur Inversionssymmetrie?<br />

Anwendungsaufgaben: Kann es eine Symmetrieachse<br />

geben, bei der die Symmetrieoperation<br />

mit dem kleinsten Drehwinkel eine<br />

Drehung um 35° ist?<br />

Formalaufgaben: Beurteilen Sie die folgenden<br />

Aussagen nach ihrer Richtigkeit:<br />

• Die Menge {1, -1} bildet eine Gruppe.<br />

• Die Menge {1, -1} bildet mit der Addition<br />

eine Gruppe.<br />

• Die Menge {1, -1} bildet mit der Multiplikation<br />

eine Gruppe.<br />

Handlungsaufgaben: Ermitteln Sie aus den<br />

Drehsymmetrieoperationen der drei senkrecht<br />

aufeinander stehenden C2-Achsen des<br />

Tetraeders die zugehörige Gruppentafel (s.a.<br />

Abb. 3).<br />

Tab. 1: Beispiele für die fünf Formen der Lernkontrolle<br />

<strong>im</strong> Lehrmaterial "Symmetrie molekularer Strukturen"<br />

Unterscheidungskriterien sind neben dem<br />

Grad der Aktivitätsförderung die didaktische<br />

Intention, die inhaltliche Organisation <strong>und</strong> die<br />

mediale Präsentation der Lernkontrolle.


Die Einteilung der Aufgabenformen reicht<br />

dabei über die oft verwendete, nahezu klassische<br />

Eingruppierung in Reproduktionsaufgaben,<br />

Anwendungsaufgaben <strong>und</strong> Transferaufgaben<br />

hinaus. Diese Erweiterung ist sowohl<br />

inhaltlich (Aufgaben zur Gruppentheorie)<br />

als auch medial (besonders handlungsfördernde<br />

Aufgaben) begründet.<br />

Über die mediale Organisation der Aufgaben<br />

<strong>im</strong> Lehrmaterial als eine Form der inhaltlichen<br />

Ergänzung wurde bereits in (Z<strong>im</strong>mer et<br />

al. 2003) berichtet. Die Analyse der medialen<br />

Gestaltung der Lernkontrolle selbst führt zu<br />

einer Unterscheidung der Aufgabenformen<br />

nach dem Grad der Aktivitätsförderung. Anzutreffen<br />

sind Aufgabentypen in einer eher<br />

konventionellen Ausprägung bis hin zur Aufgabentypen,<br />

die sich durch eine hohe Handlungsorientierung<br />

auszeichnen.<br />

Unter Wissensaufgaben werden solche Aufgaben<br />

verstanden, deren Beantwortung<br />

durch das alleinige Studium zusammenhängender<br />

Lerneinheiten erfolgen kann.<br />

Bevorzugte mediale Gestaltungsmittel sind<br />

dabei Textelemente <strong>und</strong> einfache virtuelldreid<strong>im</strong>ensionale<br />

Modelle.<br />

Bei Lernaufgaben erfahren die Studierenden<br />

<strong>im</strong> Sinne der inhaltlichen Ergänzung neue inhaltliche<br />

Zusammenhänge, die in Beantwortung<br />

der Aufgabe selbstständig aus bereits<br />

vorhandenem Wissen konstruiert werden<br />

können <strong>und</strong> sollen. Diese Aufgabenform ist<br />

zum überwiegenden Teil durch Textdarstellungen<br />

best<strong>im</strong>mt.<br />

Anwendungsaufgaben treten sehr häufig <strong>im</strong><br />

Über die didaktische Gestaltung mult<strong>im</strong>edialer Lehrmaterialien<br />

Abb. 3: Die Entwicklung der Gruppentafel der Kleinschen Vierergruppe als eine Handlungsaufgabe:<br />

In dem virtuell-dreid<strong>im</strong>ensionalen Handlungsmodell können in der Eingangszeile<br />

<strong>und</strong> in der Eingangsspalte der Gruppentafel die Symmetrieoperationen der<br />

zweizähligen Achsen des rechten Tetraedermodells ausgewählt <strong>und</strong> als (an<strong>im</strong>ierte) Drehung<br />

an der entsprechenden Achse dargestellt werden. Im Anschluss daran muss die<br />

aus den beiden gewählten Symmetrieoperationen resultierende Operation <strong>—</strong> durch die<br />

farbig markierten Eckpunkte unterstützt <strong>—</strong> best<strong>im</strong>mt werden. Diese wird <strong>im</strong> linken Tetraedermodell<br />

(an<strong>im</strong>iert) dargestellt. Bei richtiger Best<strong>im</strong>mung wird das Symbol in der Verknüpfungstafel<br />

eingetragen, oder es erfolgt ein erneuter Lösungsversuch.<br />

Lehrmaterial auf. Als Anwendungsaufgaben<br />

werden alle die Aufgaben verstanden, die<br />

durch das Anwenden oder auch Kombinieren<br />

der bereits erworbenen Kenntnisse beantwortet<br />

werden können. Im Unterschied zu<br />

den Lernaufgaben handelt es sich zumeist<br />

um die konkrete (beispielhafte) Anwendung<br />

allgemeinen Wissens. Die mediale Gestaltung<br />

kann sehr vielseitig sein, überwiegend<br />

treten Textdarstellungen in Kombination mit<br />

einfachen mult<strong>im</strong>edialen Elementen auf.<br />

Formalaufgaben sind Aufgaben zu formalmathematischen<br />

Inhalten. Hier geht es um<br />

gr<strong>und</strong>legende Formalien der Bezeichnungen<br />

<strong>und</strong> der Nomenklatur <strong>und</strong> um gr<strong>und</strong>legende<br />

Prinzipien gruppentheoretischer Methoden<br />

<strong>und</strong> Verfahren. Die mediale Darstellung ist<br />

überwiegend symbol- <strong>und</strong> textorientiert.<br />

Handlungsaufgaben als fünfte Form der<br />

Lernkontrolle sind gr<strong>und</strong>sätzlich handlungsorientiert<br />

ausgerichtet. Sie sind hauptsächlich<br />

anhand virtuell-dreid<strong>im</strong>ensionaler Handlungsmodelle<br />

zu erarbeiten. Dabei ist der aktivitätsfördernde<br />

Aspekt <strong>im</strong> Vergleich zu den<br />

anderen Aufgabentypen in besonderem Maße<br />

entwickelt (vgl. Abb. 3).<br />

4.8 Das didaktische Gr<strong>und</strong>gerüst<br />

mult<strong>im</strong>edialer Lehrmaterialien<br />

In Zusammenfassung der vorangehenden<br />

Abschnitte entsteht die Gesamtheit der didaktischen<br />

Leitlinien <strong>und</strong> Prinzipien als ein<br />

didaktisches Gr<strong>und</strong>gerüst für das Lehrkonzept<br />

eines mult<strong>im</strong>edialen Lehrmaterials (s.<br />

Abb. 4). Formuliert<br />

wurden inhaltlich<br />

<strong>und</strong> medial orientierte<br />

Konzepte, Leitideen<br />

<strong>und</strong> didaktische<br />

Prinzipien. Einige<br />

der didaktischen<br />

Prinzipien<br />

sind in ihrer Umsetzung<br />

von den herkömmlichen<br />

Medien<br />

her bereits bekannt,<br />

so das Prinzip der<br />

didaktischen Differenzierung<br />

oder das<br />

Prinzip der inhaltli-<br />

chen Konsistenz. Einige<br />

Prinzipien richten<br />

ihre Wirkungsweise<br />

aber auch<br />

speziell auf das<br />

Lehrmedium Computer<br />

aus. Zu nennen<br />

sind hier das<br />

207


Bert Xylander<br />

Prinzip der abgeschlossenen Lehreinheiten,<br />

die mediale Funktionalität des Konzepts der<br />

inhaltlichen Ergänzungen, das Konzept der<br />

darstellungsorientierten Veranschaulichung<br />

mit mult<strong>im</strong>edialen Elementen, das<br />

Prinzip der Aktivitätsförderung <strong>und</strong> das Prinzip<br />

der aktiven Lernkontrolle.<br />

5 Zum Abschluss<br />

Bei aller Begeisterung für das <strong>Lernen</strong> mit<br />

neuen Medien kann dem Computer keine<br />

herausragende Stellung <strong>im</strong> Hinblick auf den<br />

Einsatz als Lehrmedium zugeschrieben werden:<br />

Der Computer sollte vielmehr als eine<br />

wichtige Ergänzung in dem breiten Spektrum<br />

der bereits existierenden Lehrmedien angesehen<br />

<strong>und</strong> eingesetzt werden.<br />

Dennoch erscheint es <strong>—</strong> gerade mit Sicht auf<br />

die Darstellungs- <strong>und</strong> Vermittlungsmöglichkeiten<br />

des Lehrmediums Computer <strong>—</strong> lohnenswert,<br />

die Entwicklung von speziellenmult<strong>im</strong>edialen<br />

Lehrmaterialien voranzutreiben<br />

208<br />

Inhaltsstrukturierung<br />

Systematisierende Darstellung<br />

Didaktische Differenzierung<br />

Inhaltliche Ergänzungen<br />

Inhaltliche Konsistenz<br />

Inhaltliche Vorwegnahme<br />

Anschaulichkeit<br />

Darstellungsorientierte Veranschaulichung<br />

Aktivitätsförderung<br />

Abgeschlossene Lehreinheiten<br />

Aktive Lernkontrolle<br />

Abb. 4: Ein didaktisches Gr<strong>und</strong>gerüst für das Lehrkonzept eines mult<strong>im</strong>edialen<br />

Lehrmaterials.<br />

Literatur<br />

<strong>und</strong> zu vertiefen. Mit den<br />

medialen Darstellungsformen<br />

des Computers eröffnen sich<br />

vielversprechende Ansätze<br />

zur Darstellung mathematischer<br />

Inhalte, die sich in dieser<br />

Form nicht mit herkömmlichen<br />

Lehrmaterialien realisieren<br />

lassen. Zudem können<br />

<strong>—</strong> basierend auf der<br />

Wirkungsweise des Computers<br />

<strong>—</strong> die <strong>Lernen</strong>den die<br />

mult<strong>im</strong>edialen Lehrmaterialien<br />

sehr intensiv in ihren<br />

selbstständigen Lernprozess<br />

integrieren: Sie können auf<br />

verschiedene Weise auf das<br />

Medium einwirken <strong>und</strong> damit<br />

das Lehrmaterial ihren Bedürfnissen<br />

<strong>und</strong> Vorstellungen<br />

individuell anpassen.<br />

Hebisch, Udo (2002): Freiberger Web-Vorlesung<br />

über Klassische Algebra. www.mathe.tufreiberg.de/~hebisch/cafe/algebra/<br />

Schulmeister, Rolf (2002): Gr<strong>und</strong>lagen hypermedialer<br />

Lernsysteme: Theorie – Didaktik – Design.<br />

München, Wien: Oldenbourg, 2002<br />

Z<strong>im</strong>mer, Bert; Clemens Bruhn & Dirk Steinborn<br />

(2002): <strong>Lernen</strong> mit dem <strong>Internet</strong> <strong>im</strong> Selbststudium:<br />

Symmetrie molekularer Strukturen <strong>—</strong> eine<br />

Lerneinheit <strong>und</strong> Erfahrungen. In: Wilfried<br />

Herget et al. (Hrsg.) (2002): Medien verbreiten<br />

<strong>Mathematik</strong>. Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker, 62–71<br />

Z<strong>im</strong>mer, Bert (2003): Veranschaulichung in der<br />

Gruppentheorie. In: Beiträge zum <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

2003. Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker,<br />

673–676<br />

Z<strong>im</strong>mer, Bert; Karin Richter & Wilfried Herget<br />

(2003): Gruppentheorie <strong>—</strong> anschaulich mit<br />

dem Computer. In: Peter Bender et al. (Hrsg.)<br />

(2003): Lehr- <strong>und</strong> Lernprogramme für den <strong>Mathematik</strong>unterricht.<br />

Hildeshe<strong>im</strong>: Franzbecker,<br />

162–173


� Die Apfelsinenkiste <strong>im</strong> Hyde-Park <strong>—</strong><br />

Lernplattformen für den ersten Auftritt<br />

Siegfried Zseby, Berlin<br />

H<strong>und</strong>erte von Lernplattformen wurden bereits von Evaluationen erfasst. "Stabilität der<br />

Kiste" ist nicht nur <strong>im</strong> Hyde-Park ein wichtiges Entscheidungskriterium. Sie beeinflusst<br />

bei Webservern die Entscheidung zwischen Windows <strong>und</strong> Linux wie bei Autos zwischen<br />

A-Klasse <strong>und</strong> Ferrari.<br />

Doch Vorsicht: Michael Schumacher braucht mehr PS als Lehrer Lämpel, <strong>und</strong> ob die<br />

<strong>Lernen</strong>den als Zuschauer oder als Akteure geworben werden sollen, macht einen Unterschied,<br />

nicht zuletzt wegen der Kosten.<br />

In diesem Beitrag geht es um das Zusammenspiel von Lernplattform, Content <strong>und</strong> E-<br />

Moderating. Dabei wird E-Moderating als "E-Motivating" eine Schlüsselfunktion erhalten<br />

<strong>und</strong> die Anforderungen an die "Lernplattform für den ersten Auftritt" etwas relativieren.<br />

1 Einleitung<br />

Seit Dezember vorigen Jahres gibt es an der<br />

Fachhochschule für Wirtschaft (FHW) Berlin<br />

die InitiativGruppe E-Learning, kurz IGEL<br />

genannt. Anfangs war es eine Gruppe von<br />

fünf Aktivisten, die mit dem bisherigen bloßen<br />

Zuschauen be<strong>im</strong> E-Learning nicht zufrieden<br />

waren: Wäre es nicht möglich, eine<br />

Lernplattform für den ersten Auftritt zu finden,<br />

die unserer Initiative einen angemessenen<br />

Rahmen geben könnte?<br />

Die Anzahl der angebotenen Lernplattformen<br />

ist inzwischen so groß, dass man nicht einmal<br />

die Literatur darüber <strong>—</strong> Neuentwicklungen,<br />

Erfahrungsberichte, vergleichende Evaluationen<br />

<strong>—</strong> zu überblicken vermag. Unser<br />

Beauftragter für Mult<strong>im</strong>edia, Professor für<br />

Marketing, <strong>und</strong> ich hatten einige Veranstaltungen<br />

besucht, in denen namhafte Lernplattformen<br />

wie WebCT <strong>und</strong> Blackboard vorgestellt<br />

wurden. Ich hatte eine zweitägige<br />

Schulung mit Clix Campus besucht. Kurzum:<br />

wir waren hinreichend verwirrt.<br />

2 Lernplattformen<br />

Als Lernplattform oder Learning Management<br />

System (LMS) werden nach Schulmeister<br />

(2003) <strong>—</strong> <strong>im</strong> Unterschied zu bloßen Kollektionen<br />

von Lehrskripten oder Hypertext-<br />

Sammlungen auf Web-Servern <strong>—</strong> Software-<br />

Systeme bezeichnet, die über folgende Funktionen<br />

verfügen:<br />

- Benutzerverwaltung (Anmeldung mit Verschlüsselung)<br />

- Kursverwaltung (Kurse, Verwaltung der<br />

Inhalte, Dateiverwaltung)<br />

- Rollen- <strong>und</strong> Rechtevergabe mit differenzierten<br />

Rechten<br />

- Kommunikationsmethoden (Chat, Foren)<br />

<strong>und</strong> Werkzeuge für das <strong>Lernen</strong> (Whiteboard,<br />

Notizbuch, Annotationen, Kalender<br />

etc.)<br />

- Darstellung der Kursinhalte, Lernobjekte<br />

<strong>und</strong> Medien in einem netzwerkfähigen<br />

Browser<br />

Häufig verwendet man hierfür auch den Begriff<br />

"Virtual Learning Environment" (VLE).<br />

Für den ersten Auftritt eignen sich insbesondere<br />

Lernplattformen, bei denen sich das Investitionsrisiko<br />

in Grenzen hält. Hierbei sind<br />

einerseits die direkten Kosten der Plattform<br />

zu bedenken, andererseits aber auch Kosten<br />

für Einarbeitung, Schulung, Erstellung von<br />

Inhalten <strong>und</strong> die Abhängigkeit einer Institution<br />

von einem Produkt.<br />

Zum Ausprobieren kann man durchaus daran<br />

denken, den freien Service eines großen Anbieters<br />

zu nutzen, z. B. "MSN Groups" oder<br />

"Yahoo! Groups". Als "Groupware" lässt sich<br />

auch "BSCW" (Basic Support for Cooperative<br />

Work) verwenden.<br />

Bei der Auswahl kam mir zugute, was ich<br />

selbst vor fünf Jahren von einem sehr engagierten<br />

Studenten gelernt hatte: Er hatte<br />

mich motiviert, mit dem Betriebssystem Linux<br />

zu arbeiten. Damals noch etwas für Leute,<br />

die etwas "daneben" waren (jedenfalls neben<br />

dem "mainstream"), hat es heute bereits die<br />

Server <strong>im</strong> B<strong>und</strong>estag erobert <strong>und</strong> ist wegen<br />

seiner Stabilität als Basis für Webserver erste<br />

Wahl. "Open Source" bedeutet, dass die<br />

209


Siegfried Zseby<br />

Programmierquellen offengelegt, von zahlreichen<br />

Experten weiterentwickelt <strong>und</strong> kostenlos<br />

zur Verfügung gestellt werden.<br />

Da ich also bereits seit 1998 Erfahrungen mit<br />

dem LAMP-System (Linux, Apache-Webserver,<br />

MySQL-Datenbank, PHP-Skriptsprache)<br />

hatte, war ich insbesondere an einer Open-<br />

Source-Lernplattform interessiert.<br />

Die Lernplattform "ILIAS Open Source" mit<br />

eben diesen Charakteristika hat in mehreren<br />

Vergleichsstudien recht gut abgeschnitten.<br />

Deshalb schien sie mir eine realistische Alternative<br />

zu international etablierten kommerziellen<br />

Plattformen wie WebCT <strong>und</strong> Blackboard<br />

zu sein.<br />

ILIAS wurde an der Universität zu Köln entwickelt<br />

<strong>und</strong> steht für "Integriertes Lern-, Informations-<br />

<strong>und</strong> ArbeitskooperationsSystem".<br />

Für die Installation auf einem Testserver benötigte<br />

ein erfahrener IT-Mitarbeiter, der sich<br />

auch mit der LAMP-Architektur gut auskennt,<br />

etwa eine Woche <strong>—</strong> neben seiner laufenden<br />

Arbeit. Bereits zu diesem Zeitpunkt begegneten<br />

wir dieser Plattform mit einiger Sympathie,<br />

da der offen liegende Quellcode einen<br />

recht übersichtlichen Eindruck machte <strong>und</strong><br />

auch der Support durch bereitwillige Unterstützung<br />

der Entwickler <strong>und</strong> zahlreicher User<br />

in Diskussionsforen gewährleistet schien.<br />

Im Januar organisierte ich eine einwöchige<br />

Inhouse-Schulung durch zwei erfahrene E-<br />

Trainer, die aus dem Umfeld der Kölner Entwickler<br />

kamen. Die Schulung richtete sich an<br />

Hochschullehrer <strong>und</strong> Kollegen aus dem Bereich<br />

"Information <strong>und</strong> Kommunikation" mit<br />

dem Ziel, Lehrveranstaltungen durch interaktive<br />

Online-Angebote attraktiver <strong>und</strong> zeitgemäßer<br />

aufzubereiten. Dieses Angebot wurde<br />

sehr gut aufgenommen. Insgesamt nahmen<br />

21 Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen an der Schulung<br />

teil.<br />

Zu Beginn des Sommersemesters (April<br />

2003) haben wir neben dem Testserver einen<br />

wesentlich leistungsfähigeren Server in<br />

Betrieb genommen <strong>und</strong> darauf eine neuere<br />

ILIAS-Version installiert, die insbesondere<br />

auch die Möglichkeit des HTML-Imports bietet.<br />

Das System lief von Beginn an sehr stabil.<br />

Wir haben bisher keinerlei Probleme auf<br />

der Linux-Ebene zu beklagen.<br />

Abgesehen von der Schulung machte ich<br />

mich etwa zwei Monate lang mit den verschiedenen<br />

Rollen (Lerner, Autor, Administrator)<br />

innerhalb von ILIAS vertraut <strong>und</strong> sah<br />

mich danach in der Lage, mit Unterstützung<br />

durch einen studentischen Mitarbeiter E-<br />

Learning als Ergänzung zu meinen Präsenz-<br />

210<br />

veranstaltungen in einem bis dahin noch unklarem<br />

Umfang anzubieten.<br />

Wie man weiß, hat ILIAS auch etwas mit<br />

"Odyssee" zu tun. Mein Igel "Odysseus", der<br />

Listenreiche, war <strong>im</strong>mer mit <strong>im</strong> Boot. Einige<br />

Schwierigkeiten haben wir inzwischen kennen<br />

gelernt, <strong>und</strong> Widrigkeiten wird es sicher<br />

auch weiterhin geben. Bereits bei der Einführung<br />

der Schulung hatte ich darauf hingewiesen,<br />

dass es be<strong>im</strong> E-Learning um ein Jonglieren<br />

mit drei Bällen geht: Neben den Lerninhalten<br />

sind die didaktische Aufbereitung<br />

<strong>und</strong> die durch Medien unterstützte Präsentation<br />

<strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Auge zu behalten. ILIAS dient<br />

als Medium <strong>und</strong> als Container. Wie man den<br />

Content hineinbringt, haben wir in der Schulung<br />

ein wenig geübt. Die Frage, welchen<br />

Content man anbietet <strong>und</strong> wie man ihn nutzt,<br />

wird uns sehr intensiv zu beschäftigen haben,<br />

wenn wir die Lernplattform ernsthaft nutzen<br />

wollen.<br />

3 Lerninhalte (Content)<br />

Da mit der Installation einer Lernplattform sofort<br />

der "horror vacui" (Schrecken der Leere)<br />

offensichtlich wird, ist es naheliegend,<br />

schnellstens Inhalte zu produzieren oder einzukaufen.<br />

Für <strong>Lehren</strong>de besteht eine gewisse Versuchung<br />

darin, selbst produzierte Schriften als<br />

"Skripte" an die Studierenden zu verteilen,<br />

auch wenn sie ursprünglich nicht unmittelbar<br />

als Unterlagen für eine Lehrveranstaltung<br />

vorgesehen waren. Hat man einen eigenen<br />

Webserver oder zumindest Webspace zur<br />

Verfügung, so besteht die nächste Stufe darin,<br />

seine Skripten "ins Netz zu stellen". Mit<br />

einer Lernplattform wird man schließlich diese<br />

Produkte auf die Plattform bringen <strong>und</strong> sie<br />

als "Content" bezeichnen.<br />

In allen drei Phasen sind es die technischen<br />

Möglichkeiten, die sich gegenüber den didaktischen<br />

Gesichtspunkten behaupten: der Kopierer,<br />

der Webserver, die Lernplattform. Das<br />

Ergebnis sind zunächst abgeheftete Skripten,<br />

heruntergeladene Dateien <strong>und</strong> eine Sammlung<br />

von Lesezeichen (Bookmarks).<br />

Quantität <strong>und</strong> Qualität stehen nicht selten in<br />

einem unausgewogenen Verhältnis. "Bleiwüsten"<br />

textlastiger Inhalte, unzumutbare<br />

Formatierungen, gut gemeinte Illustrationen<br />

erzielen bei den <strong>Lernen</strong>den nicht den erhofften<br />

Erfolg. Frustration auf beiden Seiten setzt<br />

eine Abwärtsspirale in Gang, die sich möglicherweise<br />

auf einem unteren Niveau stabilisiert.


Welcher Art sollten die Inhalte einer Lernplattform<br />

sein?<br />

Als wesentliches Kriterium gilt die Interaktivität,<br />

also die Forderung, dass das Material<br />

be<strong>im</strong> <strong>Lernen</strong>den eine Aktivität auslöst. Als<br />

Mindestforderung für einen Text wird man<br />

voraussetzen, dass er gelesen wird. Schulmeister<br />

(2002) beschreibt eine Taxonomie<br />

der Interaktivität, bei der deutlich wird, dass<br />

das Anklicken von Links noch nicht der Gipfel<br />

ist.<br />

Ich verwende gern die Unterscheidung zwischen<br />

Anschauungsmaterial <strong>und</strong> Rohmaterial.<br />

Wenn die Studierenden die Leistungen<br />

des Professors bew<strong>und</strong>ern <strong>und</strong> von den erstellten<br />

Materialien begeistert sind, so heißt<br />

dies noch längst nicht, dass sie daraus etwas<br />

lernen. Provozierende Aufgabenstellungen,<br />

unvollkommene Entwürfe können durchaus<br />

für den Lernprozess wertvoller sein als vollendete<br />

Formulierungen <strong>und</strong> mult<strong>im</strong>ediale<br />

Kabinettstücke.<br />

Beispiel 1:<br />

Ziel ist es, alle 25 Lichter einzuschalten.<br />

Klickt man auf ein Quadrat, wird das Licht<br />

des Feldes <strong>und</strong> aller horizontal <strong>und</strong> vertikal<br />

daneben liegenden Felder umgeschaltet<br />

(aus-ein bzw. ein-aus).<br />

Abb. 1: Alle Lichter einschalten<br />

Beispiel 2:<br />

Gesucht ist die schnellste Verbindung von A<br />

nach B, wobei die Geschwindigkeit über den<br />

A<br />

C<br />

D = ?<br />

Abb. 2: Schnellste Verbindung<br />

Die Apfelsinenkiste <strong>im</strong> Hydepark <strong>—</strong> Lernplattformen für den ersten Auftritt<br />

B<br />

Acker (AD) geringer ist als die auf der Straße<br />

(DB). Im Zahlenbeispiel sind die Strecken AC<br />

= 100 m <strong>und</strong> CB = 200 m <strong>und</strong> die Geschwindigkeiten<br />

6 km/h bzw. 12 km/h gewählt.<br />

Auch von Studierenden selbst erzeugte <strong>und</strong><br />

präsentierte Materialien mit "intelligenten"<br />

Fehlern, über die Produzenten <strong>und</strong> Konsumenten<br />

diskutieren, sollten als Inhalte einer<br />

Lernplattform nicht tabu sein.<br />

Lerninhalte <strong>und</strong> Anzahl der Nutzer sind bisher<br />

noch recht gut überschaubar. Wie in Präsenzveranstaltungen<br />

hat dies den Vorteil,<br />

dass eine intensive Betreuung möglich ist<br />

<strong>und</strong> Erfahrungen unter Laborbedingungen<br />

gemacht werden können. Die ersten Monate<br />

haben meine Erwartungen an die Studierenden<br />

übertroffen: Die Akzeptanz war überaus<br />

positiv, die Diskussion von Fachproblemen<br />

der Finanzmathematik <strong>und</strong> der Analysis <strong>im</strong><br />

Forum war sehr lebhaft, dagegen wurde das<br />

Forum für technische Probleme ignoriert. Unter<br />

den Hochschullehrern ist die Resonanz<br />

inzwischen <strong>im</strong>merhin so groß, dass wir ILIAS<br />

als "die Lernplattform der FHW" bezeichnen<br />

können.<br />

Welchen Mehrwert können nun die <strong>Lehren</strong>den<br />

<strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>den erwarten?<br />

<strong>Lehren</strong>de können mit einer Lernplattform<br />

- ihre Materialien an einem zentralen Ort<br />

zur Verfügung stellen,<br />

- Medien verschiedenster Art einsetzen,<br />

- per Mail <strong>und</strong> Diskussionsforum kommunizieren,<br />

- Einzel- <strong>und</strong> Gruppenarbeiten auf der<br />

Lernplattform erstellen lassen,<br />

- den Lernprozess mit geringem Aufwand<br />

protokollieren,<br />

- eine neue Form der Betreuung kennen<br />

lernen (E-Moderating).<br />

Ein noch größerer Impuls ist von Seiten der<br />

Studierenden zu erwarten. Sie können<br />

- unabhängig von Zeit <strong>und</strong> Raum (<strong>Internet</strong>-<br />

Anschluss vorausgesetzt) Materialien zur<br />

Verfügung haben,<br />

- Medien verschiedenster Art nutzen,<br />

- untereinander <strong>und</strong> mit dem Lehrer per<br />

Mail <strong>und</strong> <strong>im</strong> Diskussionsforum kommunizieren,<br />

- über die Plattform eine Gemeinschaft bilden,<br />

- die Ergebnisse ihres Lernprozesses auf<br />

der Lernplattform präsentieren.<br />

211


Siegfried Zseby<br />

4 Betreuung (E-Moderation)<br />

Inhalt (Content) ist eine notwendige Voraussetzung<br />

für die Arbeit mit einer Lernplattform.<br />

Dass die wichtigste Komponente noch fehlt,<br />

ahnt man, wenn man erfährt, dass das MIT,<br />

also eine der renommiertesten Forschungs<strong>und</strong><br />

Lehrstätten der Welt, sich bereits vor einigen<br />

Jahren entschlossen hat, seine Inhalte<br />

frei zur Verfügung zu stellen. Das Besondere<br />

an der dortigen Ausbildung ist offenbar nicht<br />

das Material selbst, sondern die Art, wie <strong>Lehren</strong>de<br />

<strong>und</strong> <strong>Lernen</strong>de damit einen Lernprozess<br />

gestalten.<br />

Ich habe selbst an zwei umfangreichen Online-Seminaren<br />

teilgenommen, die jeweils<br />

länger als drei Monate dauerten <strong>und</strong> intensive<br />

regelmäßige Mitarbeit erforderten.<br />

Das erste Beispiel wendete sich an Sprachdozenten<br />

Berliner Volkshochschulen, die zu<br />

Betreuern von Online-Unterricht ausgebildet<br />

wurden. Die zehn DozentInnen hatten reichhaltige<br />

Erfahrung <strong>im</strong> Sprachunterricht verschiedener<br />

Fremdsprachen: Englisch, Französisch,<br />

Spanisch <strong>und</strong> Italienisch. Ich nahm<br />

mit meinen bescheidenen Fremdsprachenkenntnissen<br />

als Gast teil. In der frei zugänglichen<br />

Lernplattform MSN Groups arbeiteten<br />

wir in der Gruppe "Polyglott" zunächst in der<br />

Rolle der Teilnehmer, später konnten wir<br />

auch jeweils eigene Gruppen gründen, in der<br />

jeder die Rolle des Managers mit entsprechend<br />

umfangreicheren Kompetenzen übernehmen<br />

konnte. Die technische <strong>und</strong> didaktische<br />

Betreuung der Teilnehmer erfolgte arbeitsteilig<br />

durch zwei Personen, <strong>und</strong> es gab<br />

etwa alle zwei Wochen ein halbtägiges persönliches<br />

Treffen.<br />

Das zweite Beispiel war ein von der Universität<br />

Saarbrücken organisiertes internationales<br />

Online-Seminar namens "IKARUS", bei<br />

dem kein persönlicher Kontakt (face to face)<br />

vorgesehen war. Dabei wurden ebenfalls die<br />

Möglichkeiten des E-Learning behandelt. Die<br />

Arbeit wurde in wechselnden Gruppen durchgeführt,<br />

individueller Beitrag war eine Abschlussarbeit<br />

mit einem selbst gewählten<br />

Thema aus dem Bereich E-Learning, außerdem<br />

mussten jede Woche nicht ganz einfache<br />

Quiz-Aufgaben bearbeitet werden, die<br />

Recherchen <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> erforderten <strong>und</strong> als<br />

Multiple-Choice-Aufgabe formuliert waren.<br />

Die Gruppenaufgaben wurden in Foren diskutiert,<br />

<strong>und</strong> die Ergebnisse wurden den Tutoren<br />

zugeschickt. Termine waren klar vorgegeben.<br />

In beiden Fällen hatte ich das Glück, von hervorragenden<br />

Betreuern angeleitet zu werden.<br />

212<br />

Dies hat mich ermutigt <strong>—</strong> <strong>und</strong> hoffentlich befähigt<br />

<strong>—</strong> mit unserer Lernplattform ILIAS <strong>und</strong><br />

den selbst erstellten Lerneinheiten die ersten<br />

Lehrveranstaltungen, die selbstverständlich<br />

<strong>im</strong> Präsenzstudium durchgeführt werden,<br />

durch E-Learning zu ergänzen. Neben den<br />

erwähnten praktischen Erfahrungen als Teilnehmer<br />

an Online-Seminaren möchte ich als<br />

theoretische Gr<strong>und</strong>lage der neuen Betreuungsform<br />

exemplarisch das Buch von Gilly<br />

Salmon (2000) über "E-Moderating" nennen.<br />

In diesem Buch nennt Gilly Salmon fünf Stufen,<br />

die ein E-Moderator durchlaufen sollte:<br />

1. Zugang <strong>und</strong> Motivation<br />

2. Online-Sozialisation<br />

3. Informationsaustausch<br />

4. Wissenserwerb<br />

5. Entwicklung<br />

Die fünf Stufen sind die Gr<strong>und</strong>lage ihrer Moderatoren-Schulung.<br />

Jede Stufe enthält einerseits<br />

die für die Teilnehmer beschriebenen<br />

Lernziele, andererseits die erwarteten<br />

Aktivitäten des Moderators.<br />

Stufe 1 erfordert in technischer Hinsicht von<br />

den Teilnehmern die Vorbereitung des eigenen<br />

PC-Systems für den Zugang, auf der<br />

anderen Seite eine Begrüßung <strong>und</strong> Ermutigung<br />

durch den Moderator.<br />

Stufe 2 sollte etwa auf der technischen Seite<br />

das Senden <strong>und</strong> Empfangen von Mitteilungen,<br />

auf der persönlichen Seite das Überbrücken<br />

kultureller <strong>und</strong> sozialer Unterschiede<br />

beinhalten.<br />

Stufe 3 könnte sich mit der Suche nach <strong>und</strong><br />

der Bereitstellung von Lernmaterial beschäftigen,<br />

Stufe 4 mit dem Zusammenfassen <strong>und</strong> Aufbereiten<br />

der bearbeiteten Informationen <strong>und</strong><br />

Stufe 5 mit der Emanzipation von der Betreuung<br />

zur selbständigen Arbeit.<br />

Meine eigenen Erfahrungen begannen mit<br />

der Betreuung einer Lehrveranstaltung zur<br />

<strong>Mathematik</strong> (Analysis), in der die ersten vier<br />

Wochen für Finanzmathematik reserviert<br />

sind. Da ich hierfür bereits umfangreiches<br />

Material online hatte, schien mir dies ein vertretbarer<br />

Einstieg zu sein. Dadurch konnte<br />

ich mich stärker auf die Betreuung innerhalb<br />

der Lernplattform konzentrieren. Etwa 50<br />

Studierende waren registriert, ca. 35 normalerweise<br />

in der vierstündigen Lehrveranstaltung<br />

anwesend.<br />

Als äußerst zweckmäßig erwies sich die Aufteilung<br />

in 6 Gruppen, die ich einfach auf<br />

Gr<strong>und</strong> der Matrikelnummern vornahm. In je-


der Gruppe wurden ein Gruppenmanager<br />

<strong>und</strong> einen Stellvertreter best<strong>im</strong>mt. Die erste<br />

Aufgabe bestand darin, drei Typen von<br />

Übungsaufgaben (einmalige, regelmäßige<br />

<strong>und</strong> gemischte Zahlungen) zu bearbeiten <strong>und</strong><br />

in jeder Gruppe selbst eine Aufgabe von jedem<br />

Typ mit Musterlösung zu produzieren.<br />

Meine Idee dabei war "<strong>Lernen</strong> durch eigenes<br />

<strong>Lehren</strong>" oder wenigstens durch Präsentieren,<br />

Formulieren eigener Aufgaben. Die Studierenden<br />

mussten also selbst Lernelemente<br />

formulieren <strong>und</strong> dabei an die Adressaten<br />

denken. Diese Idee ist nicht neu: "It is well<br />

known in the teaching profession that the<br />

best way to learn something is to teach it.<br />

Just as the Web turns everyone into a publisher,<br />

so online courses give everyone the<br />

opportunity to be the teacher." (Robin Mason<br />

1998)<br />

Die Zeitvorgaben waren sehr kurz für den<br />

ersten, einfachen Aufgabentyp (4 Tage), da<br />

ich unbedingt sofort eine erste Aktivität auf<br />

der Lernplattform sehen wollte, <strong>und</strong> etwas toleranter<br />

(11 Tage) für die weiteren Aufgabentypen.<br />

Die Studierenden mussten die<br />

Entwürfe in ihrem Forum diskutieren, <strong>und</strong> die<br />

Gruppenmanager mussten mir die Ergebnisse<br />

als Mail innerhalb der Lernplattform zusenden.<br />

Nach zögerlichem Beginn wurde das<br />

Forum sehr diszipliniert genutzt, <strong>und</strong> meine<br />

Erwartungen erfüllten sich weitgehend.<br />

Einige Aufgabenvorschläge habe ich in meine<br />

Lerneinheit als "Beiträge von Studierenden"<br />

integriert, nicht <strong>im</strong>mer die besten,<br />

sondern <strong>—</strong> wie bereits <strong>im</strong> vorigen Kapitel angedeutet<br />

<strong>—</strong> auch solche mit "intelligenten"<br />

Fehlern, die dann in der Präsenzveranstaltung<br />

diskutiert wurden.<br />

Ich habe auch nach den vier Wochen "Finanzmathematik"<br />

<strong>im</strong> weiteren Verlauf der<br />

<strong>Mathematik</strong>-Veranstaltung die Lernplattform<br />

genutzt. Da wir inzwischen eine neuere Version<br />

von ILIAS installiert hatten, die HTML-<br />

Import gestattet, konnte ich die weiteren Inhalte<br />

etwas komfortabler produzieren. Hierzu<br />

gehört auch die oben erwähnte Opt<strong>im</strong>ierungsaufgabe<br />

der schnellsten Verbindung.<br />

Sie wurde auf unterschiedlichem Niveau diskutiert.<br />

Das Fehlen eines Koordinatensystems<br />

hat für ein breiteres Spektrum von Lösungsansätzen<br />

gesorgt.<br />

In einer weiteren Lehrveranstaltung "Informationssysteme"<br />

habe ich den Studierenden<br />

(<strong>im</strong> Hauptstudium) sogar Autorenrechte eingeräumt,<br />

so dass sie ihre Präsentationen<br />

selbst auch als Teile der Lerneinheit auf der<br />

Lernplattform publizieren können. Dabei ist<br />

zu bedenken, ob man Studierenden die Rolle<br />

Die Apfelsinenkiste <strong>im</strong> Hydepark <strong>—</strong> Lernplattformen für den ersten Auftritt<br />

des Autors mit einem System zumuten soll,<br />

das sie voraussichtlich danach kaum noch<br />

einmal benutzen werden.<br />

Meine wichtigste Erkenntnis bei der Betreuung<br />

besteht darin, dass E-Moderating in erster<br />

Linie E-Motivating bedeutet. Das kann<br />

auch in der Vermeidung von Demotivation<br />

bestehen, wofür ich ein kleines Beispiel anführen<br />

möchte:<br />

Ein Forumsbeitrag bezieht sich auf die Untersuchung<br />

der Funktion<br />

y = ln(3+x) – 5x + 10<br />

Student A schrieb:<br />

Mit dem Sekantenverfahren komme ich auf<br />

die Nullstelle (2,33407|0).<br />

Student B fragt dazu:<br />

"Hi, kannst Du vielleicht den Rechenweg<br />

nochmal ausführlich hinschreiben.<br />

Wie hast du denn die Klammer mit ln(3+x)<br />

aufgelöst?"<br />

Nachdem keine Reaktion <strong>im</strong> Forum erfolgte,<br />

habe ich selbst geantwortet:<br />

"Die Klammer ln(3+x) kann man nicht auflösen,<br />

ebenso wie wurzel(3+x).<br />

Aber man kann sie für jedes x ( > -3) berechnen<br />

bzw. vom Taschenrechner ablesen."<br />

In der Präsenzveranstaltung hätte Student B<br />

gesehen, wie ich mir die Haare gerauft <strong>und</strong><br />

die Augen verdreht hätte. An meinem PC sitzend,<br />

konnte ich diese Frage ganz nüchtern<br />

beantworten <strong>und</strong> wurde prompt dadurch belohnt,<br />

dass am nächsten Tag von Student B<br />

ein korrekter Beitrag zur folgenden Aufgabe<br />

<strong>im</strong> Forum stand. Ich kann mich an Situationen<br />

erinnern, in denen etwas "einfältige" Fragen<br />

hart kommentiert wurden <strong>und</strong> daraufhin<br />

zum passiven Widerstand geführt haben.<br />

5 Fazit<br />

E-Learning, die Arbeit mit einer Lernplattform,<br />

erfordert die Aufmerksamkeit auf drei<br />

Komponenten:<br />

1. die Lernplattform<br />

2. die Inhalte<br />

3. die Betreuung<br />

Erst das Zusammenspiel entscheidet über<br />

den Erfolg des Gesamtkonzeptes. Bei jeder<br />

einzelnen Komponente können Unzulänglichkeiten<br />

den Lernerfolg behindern:<br />

Die Auswahl der Lernplattform gilt inzwischen<br />

als größeres Projekt. H<strong>und</strong>erte von<br />

213


Siegfried Zseby<br />

Lernplattformen wurden bereits von Evaluationen<br />

erfasst. Klagen hört man einerseits<br />

über die Kostenentwicklung <strong>und</strong> über die<br />

Überd<strong>im</strong>ensionierung einiger kommerzieller<br />

Plattformen, andererseits über Unzulänglichkeiten<br />

bei weniger aufwändigen Investitionen.<br />

Die Begeisterung der Beteiligten für einen<br />

zweiten Versuch ist verständlicherweise<br />

gering. Unsere Entscheidung für ILIAS Open<br />

Source hat sich bisher in den wenigen Monaten<br />

der Nutzung bestens bewährt. Wir hoffen,<br />

dass die Kölner Entwickler weiterhin gefördert<br />

werden <strong>und</strong> dass wir noch viele Kollegen<br />

<strong>und</strong> Studierende vom Nutzen der Plattform<br />

überzeugen können.<br />

Als Inhalt wünscht man sich mehr als nur illustrierte<br />

Textdateien zum Herunterladen. Interaktivität<br />

wird gewöhnlich als wünschenswert<br />

angesehen. Jedoch sollte man sich dabei<br />

nicht von effektvollen Demos blenden<br />

lassen. Auch unvollkommene Arbeitsmaterialien,<br />

herausfordernde Aufgabenstellungen<br />

<strong>und</strong> von den <strong>Lernen</strong>den selbst erarbeitete<br />

Inhalte können den Lernprozess fördern. Autorenwerkzeuge<br />

oder der Weg über HTML<br />

erfordern be<strong>im</strong> <strong>Lehren</strong>den eine Investition,<br />

die viele angesichts konservativer Alternativen<br />

(Word) scheuen.<br />

Die Betreuung der <strong>Lernen</strong>den bei der Arbeit<br />

mit einer Lernplattform ist wohl diejenige<br />

Komponente, die bisher am stärksten unterschätzt<br />

wurde. Ist schon die Content-Erstellung<br />

sehr personal-intensiv, so gilt dies in erheblich<br />

stärkerem Maß für die Betreuung.<br />

Kann man bei der Erstellung von Inhalten<br />

noch hoffen, sie mehrmals zu verwenden, so<br />

ist die Betreuung ein Prozess, der Live-Charakter<br />

hat, egal ob es sich dabei um synchrone<br />

(Chat) oder asynchrone Medien (Mail,<br />

Foren) handelt. Die Synergie von Präsenzveranstaltungen<br />

<strong>und</strong> Online-Phasen wird sich<br />

nur einstellen, wenn die personellen Voraussetzungen<br />

ernst genommen werden.<br />

Alle drei Komponenten müssen sich dem<br />

Pr<strong>im</strong>at der Didaktik unterordnen. Der Erfolg<br />

des Lernprozesses ist das Gesamtziel. Ob<br />

214<br />

eine Lernplattform, ein inhaltlicher Beitrag<br />

oder die Betreuung angemessen ist, muss<br />

sich an diesem Gesamtziel orientieren. Wir<br />

haben uns an unserer Hochschule bewusst<br />

für eine Open-Source-Lösung entschieden,<br />

kaufen bisher keinerlei Content ein, haben<br />

aber als erstes an die Schulung der <strong>Lehren</strong>den<br />

gedacht. Jetzt hoffen wir auf Impulse<br />

auch von den <strong>Lernen</strong>den, ebenso wie vor<br />

fast zehn Jahren unsere <strong>Internet</strong>-Nutzung<br />

mindestens ebenso von der Begeisterung<br />

unserer Studierenden wie von den Hochschullehrer-Kollegen<br />

gefördert wurde.<br />

Die Technik wird die Gestaltung des Lernprozesses<br />

nicht automatisieren. Didaktische<br />

Konzepte müssen die Richtung angeben.<br />

Literatur<br />

ILIAS an der FHW Berlin:<br />

http://www.fhw-berlin.de/ilias/ (26.08.2003, mit<br />

Link zum öffentlichen Bereich)<br />

Mason, Robin (1998): Models of Online Courses.<br />

Asynchronous Learning Networks (ALN) Magazine<br />

2, Heft 2.<br />

Online (26.08. 2003): http://www.aln.org/<br />

publications/magazine/v2n2/mason.asp<br />

Salmon, Gilly (2000): E-Moderating, The Key to<br />

Teaching and Learning Online. London: Taylor<br />

& Francis; Kogan Page<br />

Schulmeister, Rolf (2003): Lernplattformen für das<br />

virtuelle <strong>Lernen</strong>. Evaluation <strong>und</strong> Didaktik. München,<br />

Wien: Oldenbourg<br />

Wer nur mal schnuppern möchte, kann dies an<br />

der FHW oder unter folgenden Adressen:<br />

ILIAS, Uni Köln:<br />

http://www.ilias.uni-koeln.de/<br />

dortige Demo:<br />

http://www.ilias.uni-koeln.de/ios/demo.html<br />

ILIAS, Uni der B<strong>und</strong>eswehr Hamburg:<br />

http://ilias.unibw-hamburg.de/<br />

öffentlicher Bereich:<br />

http://ilias.unibw-hamburg.de/<br />

ilias/le_uebersicht.php


� <strong>Internet</strong>-Übungsaufgaben erstellen mit dem<br />

Formel-Applet *<br />

Rudolf Großmann, Stein<br />

Den Mitgliedern der Arbeitsgruppe wurde an einem Beispiel demonstriert, wie einfach es<br />

ist, mit dem Editor-Applet Algebra-Übungsaufgaben für das <strong>Internet</strong> oder eine lokal installierte<br />

Lernumgebung zu erstellen, falls vorher angemessene technische Voraussetzungen<br />

geschaffen wurden. Die AG-Mitglieder konnten danach mühelos eigene Aufgabenbeispiele<br />

entwickeln. Zum Abschluss entwickelte sich eine Diskussion über die Stärken<br />

<strong>und</strong> Schwächen des Formel-Applets, in deren Verlauf die AG-Mitglieder auch eigene<br />

Wünsche zur Fortentwicklung des Formel-Applets äußern konnten.<br />

1 Technische Voraussetzungen<br />

Der bereitgestellte Computerraum bot als<br />

Software-Gr<strong>und</strong>ausstattung <strong>im</strong> Wesentlichen<br />

die Standard-Office-Software von Microsoft.<br />

Wenn man von Hand Änderungen <strong>im</strong> HTML-<br />

Quellcode vornehmen muss, ist Frontpage<br />

als HTML-Editor nicht zu empfehlen. Der Autor<br />

stellte "Ulli Meybohm's HTML-Editor Phase<br />

5" (Freeware, [1]) als leicht zu bedienendes<br />

Werkzeug zur Verfügung. In diesem Editor<br />

ist ein freies Active-X-Control von Microsoft<br />

integriert, das es erlaubt, auf Knopfdruck<br />

Abb. 1a, b: Vorder- <strong>und</strong> Rückseite der Arbeitskarte<br />

von HTML-Quelltext auf Browser-Ansicht <strong>und</strong><br />

zurück zu wechseln.<br />

Meybohms Editor bietet die Möglichkeit, eine<br />

externe HTML-Dokumentation einzubinden.<br />

Dafür wurde die Dokumentation "Selfhtml"<br />

von Stefan Münz [2] gewählt. Sie liegt inzwischen<br />

auch in Buchform vor.<br />

Als Demonstrationsobjekt dienten die Aufgaben<br />

in Abb. 1a zur Algebra der 7. Jgst. Sie<br />

stammen aus dem Freiarbeits-Material auf<br />

der Begleit-CD zum Akademiebericht 330 der<br />

ALP Dillingen (Lippert et al. 1999).<br />

Die Arbeitskarten des Freiarbeits-Materials<br />

zeigen auf der Rückseite die Lösung an<br />

(Abb. 1b), teilweise auch<br />

mit Zwischenschritten (s.<br />

Aufgabe A405d)). Der<br />

Schüler kann so seine Aufgabenbearbeitung,<br />

die er<br />

mit Zwischenschritten in ein<br />

Übungsheft notiert hat, sofort<br />

überprüfen. Die gleiche<br />

Funktionalität bietet das<br />

Eingabe-Applet <strong>im</strong> gegenwärtigenEntwicklungszustand.<br />

Be<strong>im</strong> Testen der Arbeitsumgebung<br />

am Vortag<br />

mussten wir leider feststellen,<br />

dass das Editor-<br />

Formelapplet nicht funktionierte.<br />

Nach einer langwierigen<br />

Fehlersuche (Dank<br />

an den Systembetreuer<br />

<strong>und</strong> an Frau Claudia Hagan)<br />

wurde als "Schuldiger"<br />

die Java-VM von Microsoft<br />

identifiziert, die <strong>im</strong> <strong>Internet</strong>-<br />

Explorer integriert ist. Java<br />

* Teilnehmende der Arbeitsgruppe "<strong>Internet</strong>-Übungsaufgaben erstellen mit dem Formel-Applet" unter der Leitung von Rudolf Großmann: Christine<br />

Bescherer, Eike A. Detering, Andreas Filler, Andreas Meier<br />

215


Rudolf Großmann<br />

war zwar vorhanden, aber in einer für das<br />

Editor-Applet zu alten Version. Damit bewahrheitete<br />

sich der Punkt "Schwächen von<br />

Java" aus dem Vortrag des Autors am Vortag:<br />

Versions-Wirrwarr <strong>und</strong> fehlende Java-<br />

Unterstützung von Seiten Microsofts aus firmenpolitischen<br />

Gründen.<br />

Der Fehler verschwand sofort, als das aktuelle<br />

Java-Plugin von SUN [3] über das <strong>Internet</strong><br />

nachinstalliert wurde.<br />

2 Zeitlicher Ablauf der AG<br />

2.1 Installation des Java-Plugins<br />

der Firma SUN<br />

Das Java-Plugin von SUN<br />

wurde am Vortag mit Absicht<br />

nicht an allen Clients installiert,<br />

damit als erstes den Mitgliedern<br />

der Arbeitsgruppe das<br />

Procedere dieses Vorgangs<br />

demonstriert werden konnte,<br />

der ja eventuell auch in einer<br />

anderen Arbeitsumgebung notwendig<br />

ist. Bei einer schnellen<br />

<strong>Internet</strong>-Anbindung, wie <strong>im</strong><br />

Computerraum der ALP Dillingen,<br />

war die Installation des<br />

Java-Plugins innerhalb von<br />

wenigen Minuten erledigt.<br />

2.2 Überblick über<br />

jetzige <strong>und</strong><br />

zukünftige Einsatzfähigkeiten<br />

des Formel-Applets<br />

Da zufällig alle Mitglieder der Arbeitsgruppe<br />

keine Gelegenheit gehabt hatten, den Vortrag<br />

des Autors zum Formelapplet an Vortag<br />

zu hören, gab der Autor einen kurzen Abriss<br />

des jetzigen Entwicklungsstands <strong>und</strong> der geplanten<br />

Fortentwicklungen. Dabei erhielten<br />

die Mitglieder der AG die Gelegenheit, die<br />

präsentierten Beispiele selbst am eigenen<br />

Rechner nachzuvollziehen.<br />

2.3 Realisierung eines vorgegebenen<br />

Aufgabenbeispiels<br />

Schließlich demonstrierte der Autor, wie man<br />

die Formel, die man in das Editor-Applet eingibt,<br />

über die Zwischenablage als hexadez<strong>im</strong>al<br />

codierte Zeichenfolge (String) an die<br />

richtige Stelle in eine vorbereitete Vorlage<br />

(vorlage.html) einfügt.<br />

216<br />

Die <strong>im</strong> HTML-Editor von Meybohm eingebaute<br />

Java-VM erwies sich allerdings auch als<br />

zu alt für das Editor-Formelapplet. Man muss<br />

zur Benutzung ein zweites Fenster mit dem<br />

<strong>Internet</strong>-Explorer öffnen, in dem vorher, wie<br />

oben dargelegt, ein Java-Plugin der Version<br />

1.4.0 oder jünger installiert wurde. Man kann<br />

natürlich auch einen anderen Browser mit<br />

Java-Unterstützung, z.B. Mozilla oder Opera,<br />

verwenden.<br />

2.4 Realisierung eines selbst gewählten<br />

Aufgabenbeispiels<br />

Nachdem alle AG-Mitglieder keine nennenswerten<br />

Schwierigkeiten hatten, das vorgege-<br />

Abb. 2: Aufgabe A405e), realisiert mit dem Formel-Applet<br />

bene Beispiel nachzuvollziehen, begannen<br />

sie bald, mit selbst erf<strong>und</strong>enen Aufgaben die<br />

Möglichkeiten des Formel-Applets auszuprobieren.<br />

Besondere Aufmerksamkeit widmeten<br />

sie dem Test, ob das Eingabe-Applet<br />

auch die vorher gegebenen Versprechungen<br />

erfüllt <strong>und</strong>, wie beabsichtigt, äquivalente Lösungsterme<br />

als "richtig" akzeptiert (s.a.<br />

Abb. 2, rechte Seite der Gleichung). Bald<br />

darauf entwickelte sich eine Diskussion über<br />

mögliche Einsatzgebiete, Verbesserungsvorschläge<br />

etc. Die wesentlichen Gesichtspunkte<br />

der Diskussion sind <strong>im</strong> folgenden Abschnitt<br />

zusammengefasst.<br />

3 Stärken <strong>und</strong> Schwächen<br />

des Formel-Applets<br />

3.1 Die Stärken<br />

• Das Formeleingabe-Applet ermöglicht eine<br />

Darstellungsweise der Terme wie an


der Tafel. Einstiegshürden, wie z.B. bei<br />

manchen Computer-Algebra-Systemen,<br />

die eine Eingabe nur in einer Textzeile erlauben,<br />

noch dazu mit einer speziellen<br />

Syntax, fallen weg.<br />

• Wie oben erwähnt, werden auch zum Lösungsterm<br />

äquivalente Terme als "richtig"<br />

erkannt.<br />

• Die Applets sind, da auf der Java-Technologie<br />

basierend, betriebssystemunabhängig<br />

einsetzbar.<br />

• Die Einbindung in HTML ermöglicht die<br />

Schaffung einer nicht-linearen Arbeitsumgebung<br />

in Form eines Hypertextes mit<br />

Baum- oder Netz-Struktur.<br />

• Die Funktionalität aller drei Formel-Applets<br />

ist mit JavaScript erweiterbar. Z.B.<br />

sind die Hilfsknöpfe in Abb. 3 mit Java<br />

Script realisiert. Sie ermöglichen die Eingabe<br />

von Brüchen, Wurzeln <strong>und</strong> Exponenten<br />

ohne die Benutzung von (intuitiv<br />

nicht erschließbaren) Sonder-Tasten.<br />

Abb. 3: Hilfsknöpfe mit JavaScript<br />

3.2 Die Schwächen<br />

• Fehler bei der Eingabe sind bisher nur<br />

bedingt korrigierbar. Manchmal ist es am<br />

einfachsten, mit der Entf-Taste den ganzen<br />

Term zu löschen <strong>und</strong> von Neuem mit<br />

der Eingabe zu beginnen. Hier wird das<br />

Eingabe-Applet in naher Zukunft verbessert<br />

werden.<br />

• Eine differenzierte Reaktion auf die Eingabe<br />

wäre wünschenswert. Nur "richtig"<br />

oder "falsch" ist zu wenig. Geplant sind<br />

<strong>Internet</strong><br />

AG "<strong>Internet</strong>-Übungsaufgaben erstellen mit dem Formel-Applet"<br />

Reaktionen wie z.B. "richtig, aber noch zu<br />

vereinfachen".<br />

4 Weitere Wünsche<br />

An weiteren Wünschen wurden in der Arbeitsgruppe,<br />

nach dem Sektionsvortrag oder<br />

in Einzelgesprächen genannt:<br />

• Generierung "zufälliger" Aufgaben eines<br />

best<strong>im</strong>mten Typs.<br />

• Protokollierung der Schüler-Aktivitäten,<br />

nicht zur Überwachung oder Zensur, sondern,<br />

um typische Fehler erkennen <strong>und</strong><br />

besprechen zu können.<br />

• Möglichkeit, nicht nur Terme, sondern<br />

auch Gleichungen <strong>und</strong> Ungleichungen<br />

eingeben zu können.<br />

• Ausgabe des eingegebenen Terms in<br />

Baumform.<br />

Am einfachsten wird der letzte Wunsch zu erfüllen<br />

sein, da der Term <strong>im</strong> Speicher bereits<br />

durch eine Baumstruktur repräsentiert wird.<br />

Der Autor wird <strong>im</strong> <strong>Internet</strong> [4] über die weitere<br />

Entwicklung des Formel-Applets informieren.<br />

Bereits jetzt steht ein Archiv mit allen<br />

Beispielen des Sektionsvortrags <strong>und</strong> den drei<br />

Applets zur Verfügung. Ausgabe- <strong>und</strong> Eingabe-Applet<br />

sind mit "jedem" Java (getestet mit<br />

der alten Version 1.1.8) lauffähig, das Editor-<br />

Applet benötigt ein "neues" Java (ab Version<br />

1.4.0). Das Editor-Applet besitzt allerdings<br />

eingeschränkte Funktionalität, da eine kommerzielle<br />

Nutzung in einem späteren Entwicklungsstadium<br />

nicht ausgeschlossen ist.<br />

rudolf.grossmann@odn.de<br />

Literatur<br />

Lippert, Gerhard & Wolfram Thom (Hrsg.) (1999):<br />

Freies Arbeiten am Gymnasium, Band 2, Akademiebericht<br />

Nr. 330. Dillingen: Akademie für<br />

Lehrerfortbildung <strong>und</strong> Personalführung<br />

[1] Meybohm's HTML-Editor Phase 5 2 (FreeWare)<br />

www.meybohm.de<br />

[2] Anleitung zur eigenen Gestaltung von HTML-Seiten: "SELFHTML" von Stefan Münz<br />

selfhtml.teamone.de<br />

[3] Java-Plugin von SUN:<br />

java.sun.com<br />

[4] Testversion des Formel-Applets, alle Beispiele des Sektionsvortrags, Info über Fortentwicklung:<br />

www.fuemo.de/formelapplet<br />

217


� <strong>Mathematik</strong> in Notebook-Klassen der<br />

7. <strong>und</strong> 8. Jahrgangsstufe<br />

Notebook-Klassen am<br />

Gymnasium Veitshöchhe<strong>im</strong><br />

(Bayern)<br />

Organisatorisches; Administrations-<br />

<strong>und</strong> Wartungskonzept<br />

Im Schuljahr 2001/2002 begann am Gymnasium<br />

Veitshöchhe<strong>im</strong> eine 7. Jahrgangsstufe<br />

als Notebook-Klasse. Die Entscheidung, ob<br />

ein Schüler in diese Klasse geht, wird zum<br />

Halbjahr von Klasse 6 von den Eltern (in Absprache<br />

mit ihren Kindern) getroffen. Da sich<br />

der Einstieg in Klasse 7 bewährte, behalten<br />

wir diesen Modus in den folgenden Jahren<br />

bei. Wenn sich mehr als 30 Schüler für die<br />

Notebook-Klasse melden, wird eine Warteliste<br />

gebildet <strong>und</strong> gegebenenfalls gelost (dies<br />

war für die dritte Notebook-Klasse, die <strong>im</strong><br />

Herbst 2003 begann, erstmals nötig). In der<br />

Entscheidungsfindung finden jedoch viele offizielle<br />

<strong>und</strong> inoffizielle Einzelgespräche mit<br />

Eltern <strong>und</strong> Schülern statt; so kann man beispielsweise<br />

sehr chaotischen oder schwachen<br />

Schülern abraten, die Notebook-Klasse<br />

zu wählen, da der Mehrwert zwar ohne Zweifel<br />

da ist, jedoch <strong>im</strong> ersten Halbjahr der 7.<br />

218<br />

Claudia Hagan, Veitshöchhe<strong>im</strong><br />

Zuerst stellte ich zusammen mit der Schülerin Theresa Herbert <strong>und</strong> dem Schüler Peter<br />

Keß (beide <strong>im</strong> Schuljahr 2003/04 in Klasse 8c) an Hand einer Powerpoint-Präsentation<br />

das Notebook-Projekt am Gymnasium Veitshöchhe<strong>im</strong> vor. Es werden die Erfahrungen<br />

geschildert, die in der Organisation, Administration sowie <strong>im</strong> Fachunterricht <strong>Mathematik</strong><br />

in den letzten Schuljahren in drei Notebook-Klassen gewonnen wurden. Auch wenn die<br />

technischen <strong>und</strong> organisatorischen Herausforderungen an das Projekt <strong>im</strong> Workshop<br />

2002 in Soest von manchen Didaktikern als unwichtige "Nebenschauplätze" belächelt<br />

wurden, so zeigten aber bereits die diversen persönlichen Mailwechsel, Telefonate <strong>und</strong><br />

Treffen mit Lehrern, Schulleitern, pädagogischen Systembetreuern <strong>und</strong> auch Sachaufwandsträgern,<br />

dass genau diese oft viel stärker begrenzend wirken, als die methodischdidaktischen<br />

Herausforderungen, an die man sich auch schrittweise <strong>und</strong> auf mehrere<br />

Schultern verteilt heran machen kann.<br />

Es sollte deshalb ein Workshop für die Leute "an der Front" werden. Als besondere Bereicherung<br />

sahen wir es an, dass wir auch die Schülersicht bieten konnten. Spaß, Begeisterung<br />

<strong>und</strong> Herausforderung sowie realistische Absteckung der Rahmenbedingungen<br />

als "Message" herüber zu bringen, war uns wichtig.<br />

In der Arbeitsgruppe sollte der Diskussion offener Fragen sowie die Lösung Probleme<br />

fachlicher, methodischer <strong>und</strong> didaktischer Art genug Raum geboten werden.<br />

Um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, wird auf den Bericht (Soest 2002) einleitend<br />

verwiesen. Wo sinnvoll (z.B. be<strong>im</strong> Administrationskonzept), werden auch Erfahrungen<br />

dem Leser mitgegeben, die sich erst nach dem Workshop ergaben.<br />

Jahrgangsstufe erst einmal eine Mehrbelastung<br />

eintritt. Manchmal zögern Mütter von<br />

Mädchen, ob Arbeiten mit dem Computer<br />

nicht eher etwas für Jungs sei; hier gilt es<br />

diese zu ermuntern, den Mädchen eine<br />

Chance zu geben. Unsere Erfahrungen in<br />

den ersten drei Notebook-Generationen zeigen,<br />

dass die Jungen oft ihre Kenntnisse<br />

überschätzen, zwar mehr Erfahrungen mit<br />

dem Computer als Spielzeug haben, aber <strong>im</strong><br />

Allgemeinen <strong>im</strong> Laufe der 7. Jahrgangsstufe<br />

von den Mädchen überholt werden.<br />

In den ersten beiden Notebook-Jahren bestand<br />

noch viel Diskussionsbedarf bezüglich<br />

Finanzierung, Max<strong>im</strong>alkosten für das Gerät,<br />

Einsparen von 50€ durch eine externe statt<br />

einer integrierten Netzkarte (was noch <strong>im</strong>mer<br />

<strong>im</strong>mens hohe Wartungsst<strong>und</strong>en nach sich<br />

zieht, die extern nicht bezahlbar sind <strong>und</strong><br />

somit schulintern geschultert werden müssen);<br />

Kosten für Ersteinrichtung sowie Wartungs-<br />

<strong>und</strong> Administrationskonzept waren ein<br />

Tabu-Thema. Es war die Phase, die <strong>—</strong> trotz<br />

des KMS vom März 2000 zur Aufwertung der<br />

schulischen pädagogischen Systembetreuung<br />

zur Abgrenzung der Aufgaben von der<br />

technischen externen Administration <strong>—</strong> an<br />

fast allen Schulen Bayerns noch <strong>im</strong>mer vor-


handen ist, nämlich: der pädagogische Systembetreuer<br />

administriert das Netz bei zwei<br />

bis vier Entlastungsst<strong>und</strong>en nebenher in der<br />

Freizeit, in den Ferien … Hieraus resultiert<br />

die oft angetroffene Skepsis von Schulen,<br />

sich auf das Konzept der Notebook-Klassen<br />

einzulassen. In dieser Phase gab es oft verzagte<br />

Anfragen auf der bayerischen Systembetreuerliste<br />

an mich (scherzhaft, "die ungekrönte<br />

Notebook-Klon-Königin" genannt) die<br />

ich dann so beantwortete, dass ich meine<br />

Telefonnummer durchgab; alles andere war<br />

zu heikel, das technische Außenherum galt<br />

als Tabu. Solche Aspekte zu thematisieren,<br />

hätte das Projekt nicht nur für uns, sondern<br />

auch für andere sterben lassen.<br />

In nahezu allen Vorträgen, Fortbildungen, Interviews<br />

r<strong>und</strong> um Notebook-Klassen <strong>im</strong> Zeitraum<br />

Herbst 2001 bis Herbst 2003 wurde ich<br />

gefragt: "Würden Sie sich nochmals auf das<br />

Notebook-Projekt einlassen, wenn Sie schon<br />

wüssten, was auf Sie zukommt?" Meine Antwort<br />

war <strong>im</strong>mer: "Fragen Sie mich als <strong>Mathematik</strong>lehrerin<br />

oder als schulische Systembetreuerin?"<br />

Je nach Publikum war die Intention<br />

der Frage eine andere; da <strong>im</strong> Workshop<br />

beide Fragen interessierten, gehe ich hier auf<br />

beide ein.<br />

Als <strong>Mathematik</strong>lehrerin bin ich fasziniert von<br />

den Möglichkeiten, die mir das Unterrichten<br />

am Notebook bietet. Ich kann es mir nicht<br />

mehr vorstellen, ganz ohne Notebook in den<br />

Klassen 7 bis 9 zu unterrichten. Hier kann ich<br />

ergänzend anbringen <strong>—</strong> das späte Einreichen<br />

dieses Berichtes hat also auch positive<br />

Aspekte <strong>—</strong> dass ich <strong>im</strong> Schuljahr 2004/05<br />

erstmals seit drei Jahren in <strong>Mathematik</strong> auch<br />

in einer einer Nicht-Notebook-Klasse (Stufe<br />

11) eingesetzt wurde. In Klasse 11 wiederholt<br />

man in Bayern zwei Monate lang den<br />

Stoff aus der gesamten Mittelstufe (angereichert<br />

um einige weitere Aspekte). Es waren<br />

keine zwei Unterrichtsst<strong>und</strong>en vorbei, als ich<br />

schon merkte: mir fehlt etwas. Schnell 'mal<br />

eine alte Datei herholen, geschwind eine Visualisierung<br />

durchführen <strong>—</strong> dies alles war<br />

nicht möglich. Ein in drei Jahren als essentiell<br />

wahrgenommenes Werkzeug fehlte. Von<br />

einem mir sehr lieb gewonnenen Kollegen<br />

<strong>und</strong> langjährigen Fre<strong>und</strong> wurde ich belächelt:<br />

"Hast du in drei Jahren verlernt, ohne Notebook<br />

Mathe zu unterrichten?". Es lässt sich<br />

schwer in Worte fassen. Verlernt ist sicher<br />

das falsche Wort, es ist wie be<strong>im</strong> Abfassen<br />

dieses Berichts gerade <strong>im</strong> Urlaub auf dem<br />

Campingplatz, wo der Fortschritt durch das<br />

Laden des Notebooks <strong>im</strong> Waschmaschinenz<strong>im</strong>mer<br />

best<strong>im</strong>mt wird, wenn diese Steckdose<br />

gerade frei ist, oder das Salz für das Abkochen<br />

der Nudeln fehlt; <strong>—</strong> vertraute Werk-<br />

AG "<strong>Mathematik</strong> in Notebook-Klassen der 7. <strong>und</strong> 8. Jahrgangsstufe"<br />

zeuge sind plötzlich weg, <strong>und</strong> man muss einen<br />

Mehraufwand betreiben, um s<strong>im</strong>pelste<br />

Aufgaben zu erledigen, oder man muss einfache<br />

Dinge vorneweg planen, die sonst nebenher<br />

<strong>und</strong> spontan erfolgen können. Hier<br />

lässt sich ergänzend sagen, dass wir <strong>—</strong> gesponsert<br />

durch Casio <strong>—</strong> mit dem Classpad<br />

300 eine gewisse Spontaneität in Klasse 11<br />

zurück gewinnen konnten.<br />

Nun zur zweiten Antwort, als Systembetreuung:<br />

Ich habe erwartet, dass es unter den<br />

Rahmenbedingungen schwierig wird, Notebook-Klassen<br />

zu <strong>im</strong>plementieren, <strong>und</strong> habe<br />

mich in der Anfangsphase massiv gegen das<br />

Projekt gewehrt; nun sind wir erfolgreich genug,<br />

dass wir halbwegs adäquate Rahmenbedingungen<br />

sowohl be<strong>im</strong> Sachaufwandsträger<br />

als auch bei den Eltern als Auflage<br />

machen können. Ich empfehle allen schulischen<br />

Systembetreuern, deren Schulen sich<br />

auf ein derartiges Projekt einlassen, selbstbewusster<br />

aufzutreten sowohl bei den Eltern,<br />

als auch bei der Schulleitung, so dass von<br />

Anfang an gemeinsam an opt<strong>im</strong>ierten Rahmenbedingungen<br />

gearbeitet wird.<br />

In Kurzfassung unsere Notebook-Beschaffung<br />

sowie das Administrations- <strong>und</strong> Wartungskonzept<br />

(ergänzt um einige Punkte, die<br />

bis zum Verfassen des Artikels 2005 hinzukamen):<br />

Der Sachaufwandsträger finanziert bei nun<br />

zwei Computerräumen, vielen verstreuten<br />

Rechnern <strong>im</strong> Haus <strong>und</strong> vier (in der Planung<br />

ist gerade die fünfte) Notebook-Klassen 25<br />

St<strong>und</strong>en <strong>im</strong> Monat externe Netzadministration.<br />

Die Eltern bezahlen für die Ersteinrichtung<br />

der Geräte 80€ <strong>und</strong> monatlich 10€ für<br />

die Wartung. Bei uns ist inzwischen die positive<br />

Situation eingetreten, dass beide Verträge<br />

in einer Hand sind. Wichtig bei Notebook-<br />

Klassen ist die schnelle Reaktion; wenn der<br />

Drucker oder der Beamer <strong>im</strong> Notebook-Z<strong>im</strong>mer<br />

nicht funktioniert, muss innerhalb von ein<br />

paar Tagen reagiert werden; Dasselbe gilt<br />

bei "zerschossenen" Notebooks oder Hardware-Defekten.<br />

Bei der Auswahl der Notebooks sollten Markengeräte<br />

aus der Business-Class gewählt<br />

werden. Es ist eine ganz andere Situation, ob<br />

ein Notebook vormittags 6 St<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

nachmittags noch einmal mindestens 2 St<strong>und</strong>en<br />

läuft, oder ob es ein Gerät ist, mit dem<br />

gelegentlich, wenn man unterwegs ist, gearbeitet<br />

wird. Wir lassen uns zwei bis drei<br />

Testgeräte vorab kommen <strong>und</strong> prüfen auf<br />

Stabilität, Klonbarkeit … Inzwischen können<br />

wir den Eltern optional ein teures <strong>und</strong> ein<br />

günstigeres Modell anbieten. Dies bedeutet<br />

aber administrativ keinen Mehraufwand, da<br />

219


Claudia Hagan<br />

nur ein Master-Notebook aufzusetzen ist.<br />

Dies wirkt sich durchwegs positiv auf das gesamte<br />

Kl<strong>im</strong>a aus. Nun, wo Arbeitszeit etwas<br />

zählt, da ja die Kosten für die Ersteinrichtung<br />

<strong>und</strong> die Wartung auf die Eltern umgelegt<br />

werden, entfallen viele Diskussionen.<br />

Bei wachsender Zahl von Notebook-Klassen<br />

fällt für die pädagogische Systembetreuung<br />

wesentlich mehr Betreuungsaufwand an für<br />

die Schüler (<strong>und</strong> deren Notebooks), für Elterngespräche<br />

<strong>und</strong> für die Kollegen, die aktiv<br />

in den Notebook-Klassen arbeiten. Die Forderungen<br />

in einem jungen Kollegium an die<br />

Verfügbarkeit der Rechner <strong>und</strong> des Netzes<br />

wächst rapide an. Klassenarbeiten am Notebook<br />

bedeuten, dass das Netz stabil laufen<br />

muss, dass Protokollierungstools aktiv sind,<br />

die notfalls ausgewertet werden können.<br />

Wichtig ist es, dass die Schüler schnell einen<br />

Ansprechpartner haben, wenn ein Hardwareoder<br />

Software-Defekt auftritt; oft können sie<br />

das Problem auch nicht eingrenzen. Eine<br />

wesentliche Säule des Wartungskonzeptes<br />

ist, dass ich feste Admin-Sprechzeiten <strong>im</strong> Admin-Z<strong>im</strong>mer<br />

habe, jeden Tag in einer Pause<br />

oder in einer Mittagspause. Hier werden Fehlerbeschreibungen<br />

entgegen genommen,<br />

entschieden, ob ein Pickup eingeleitet wird,<br />

die E-Mail gemeinsam verfasst, Seriennummer,<br />

Kontaktdaten überprüft <strong>und</strong> übermittelt<br />

(hier wäre eine aktuelle Datenbank <strong>—</strong> online<br />

verwaltet <strong>—</strong> sicher effektiver, soweit sind wir<br />

aber bis heute noch nicht). Wenn ich einen<br />

Software-Fehler vermute oder unsicher bin,<br />

wird nach Eintrag der Fehlerbeschreibung in<br />

die Datenbank entschieden, welche Priorität<br />

der Vorfall hat (z.B. steht eine Prüfung am<br />

Notebook an), sowie der Terminkalender für<br />

den externen Admin geführt <strong>und</strong> entschieden,<br />

wann das Notebook da bleibt. Auch die<br />

Anfragen für die zweckgeb<strong>und</strong>enen Administrationsrechte<br />

(<strong>im</strong> Allgemeinen haben die<br />

Schüler in unserem Netz nur Benutzerrechte<br />

<strong>—</strong> auch hier so kommunziert, dass sonst der<br />

Wartungsetat nicht ausreichen würde) um<br />

beispielsweise dahe<strong>im</strong> einen Drucker oder<br />

Scanner zu installieren, laufen <strong>im</strong> Rahmen<br />

dieser Sprechzeiten.<br />

Jetzt <strong>im</strong> Jahr 2005 <strong>—</strong> rückblickend auf 5 Jahre<br />

Systembetreuung <strong>—</strong> kann ich ergänzend<br />

sagen, dass mein Aufgabenspektrum als pädagogische<br />

Systembetreuung sich massiv<br />

gewandelt hat. Bei mehr Notebook-Klassen<br />

fällt <strong>im</strong>mer mehr organisatorische <strong>und</strong> koordinierende<br />

Arbeit an. Infolge der Unterstützung<br />

seitens des Sachaufwandsträgers <strong>im</strong><br />

technischen Bereich fordert dieser bessere<br />

Dokumentation <strong>im</strong> Hardware- <strong>und</strong> <strong>im</strong> Softwarebereich.<br />

Hier ist viel aus der "Wald-<strong>und</strong>-<br />

220<br />

Wiesen-Admin-Ära" nachzureichen <strong>und</strong> in<br />

professionelle Strukturen zu bringen. Meistens<br />

ist es <strong>—</strong> um mit den vorhandenen Ressourcen<br />

für den externen Admin auszukommen<br />

<strong>—</strong> nötig, dass ich während der Admin-<br />

Termine kleinere Arbeiten übernehme oder,<br />

wenn ein schulischer Paralleltermin vorliegt,<br />

ich diese Termine zumindest gut vorbereite,<br />

z.B. durch genauere Fehlerbeschreibung, als<br />

die Schüler oder Kollegen diese liefern …<br />

Das Notebook wird <strong>im</strong> Alltagsunterricht, nicht<br />

nur für spezielle Projektst<strong>und</strong>en verwendet;<br />

<strong>—</strong> hier liegt wohl ein wesentlicher Unterschied<br />

zum sonst üblichen Computereinsatz<br />

in Schulen. Es darf (Pilotstatus) das Notebook<br />

in Klassenarbeiten genutzt werden,<br />

wodurch weitaus mehr Anforderungen an<br />

das Schulnetz <strong>und</strong> an die Verfügbarkeit der<br />

Geräte gestellt werden.<br />

<strong>Mathematik</strong>unterricht am Notebook<br />

Die Begeisterung von Theresa <strong>und</strong> Peter<br />

be<strong>im</strong> Vortrag über den <strong>Mathematik</strong>unterricht<br />

in ihrem zweiten Notebook-Jahr steckte auch<br />

die Teilnehmer an. Der Mehrwert des "Projektes"<br />

erklärte sich allein schon durch die<br />

Lebhaftigkeit der Schüler in ihrer Präsentation.<br />

Theresa ist eine engagierte Schülerin, die mit<br />

Spaß in Mathe dabei ist, der aber das Fach<br />

keineswegs leicht fällt; sie braucht viel<br />

Übung, manchmal verzweifelte sie fast, wenn<br />

sie nicht auf das angegebene Ergebnis bei<br />

Aufgaben kam.<br />

Mit Begeisterung erzählte sie, wie positiv sie<br />

in Algebra in der 7. Jahrgangstufe die Sequenz<br />

am Ende des Schuljahres fand. Wir<br />

wiederholten Ausmultiplizieren von Summen,<br />

Binome, Faktorisieren von Termen. Parallel<br />

übten wir den Umgang mit Derive, kontrollierten<br />

unsere Ergebnisse, lernten Methoden<br />

kennen, wie wir bei langen Aufgaben schrittweise<br />

mittels Derive unsere Rechenfehler lokalisieren<br />

können. Anschließend folgten<br />

Übungsphasen in Freiarbeit. Theresa war<br />

davon begeistert, dass sie in ihrem Tempo<br />

arbeiten konnte, dass sie, wenn sie ihren<br />

Rechenfehler nicht auf dem Papier finden<br />

konnte, mit Hilfe von Derive diesen lokalisierte<br />

<strong>und</strong> zwar sofort, <strong>im</strong> Unterricht oder bei den<br />

Hausaufgaben. Emotional gab ihr dies plötzlich<br />

Sicherheit, sie stand nicht mehr da "ich<br />

habe die ganze Aufgabe nicht gekonnt", sondern<br />

sagte "ich habe einen einzigen Vorzeichenfehler<br />

gehabt; als ich den schließlich gef<strong>und</strong>en<br />

habe, konnte ich die Aufgabe ganz<br />

pr<strong>im</strong>a lösen. Schrittweise konnte ich aus<br />

meinen Fehlern lernen."


Begeistert waren sowohl Peter, als auch<br />

Theresa, als sie über die Unterrichtseinheit<br />

"Lösen von Gleichungen <strong>und</strong> Ungleichungen"<br />

mittels Derive berichteten. Hier haben wir<br />

zum einen Derive als Ergebniskontrolle <strong>im</strong><br />

Rahmen von EVA (eigenverantwortlichem<br />

Arbeiten) genutzt, zum anderen haben wir<br />

die Äquivalenzumformungen, die auf dem<br />

Papier gemacht wurden, in Derive nachgebildet.<br />

Wir zeigten typische Fehler von Schülern,<br />

die beispielsweise auf dem Papier rechneten:<br />

5x=49, nun ziehe ich 5 auf beiden Seiten<br />

ab <strong>und</strong> erhalte x=44.<br />

In Derive sah das dann so aus:<br />

#1: 5x=49<br />

#2: #1-5 (eingegeben) liefert (5x=49)-5<br />

#3: 5x-5=44 (nach Vereinfachung)<br />

Theresa musste be<strong>im</strong> Testlauf des Vortrags<br />

(be<strong>im</strong> Vortrag war sie leider etwas stiller) lachen,<br />

als sie sich an die Gesichter der Mitschüler<br />

bei der Verkomplizierung der Gleichung<br />

erinnerte. Sie fragte sich, wie Schüler<br />

ohne diese direkte Rückmeldung durch das<br />

Notebook überhaupt ordentlich begreifen<br />

können, was Äquivalenzumformungen sind.<br />

Aus Lehrersicht kann ich bestätigen, dass<br />

diese Klasse auch in der Klassenarbeit, <strong>—</strong> in<br />

der dieser Teil völlig klassisch geprüft wurde,<br />

durch die intensive Auseinandersetzung mit<br />

dem Thema besser abschnitt als frühere<br />

Klassen. Es wurden zwar Rechenfehler gemacht,<br />

aber die typischen Fehler: statt zu dividieren<br />

zu subtrahieren, etc.; traten überhaupt<br />

nicht auf. Hier muss ich allerdings ergänzend<br />

erwähnen, dass in der Folgeklasse<br />

eine ganz andere Haltung herrschte: die<br />

Schüler nutzten die Möglichkeit des Rechners<br />

fast ausschließlich, um sich die gesamten<br />

Hausaufgaben zu sparen <strong>und</strong> trotzdem<br />

bei der Hausaufgabenkontrolle das richtige<br />

Ergebnis vorlesen zu können. In dem Zusammenhang<br />

sollte auch gleich erwähnt<br />

werden, dass in Lerngruppen mit geringer intrinsischen<br />

Motivation das Notebook die Gefahr<br />

erhöht, dass die Schüler noch weniger<br />

arbeiten: Man muss ja die Hausaufgaben<br />

noch nicht einmal bloß abschreiben; man<br />

kann sie sich gleich über den Austausch-<br />

Ordner kopieren.<br />

Begeistert hat die Schüler auch, dass in der<br />

Stegreifaufgabe über das Lösen von Textaufgaben<br />

mittels Gleichungen/Ungleichungen<br />

(vom Typ: Vergrößert man die Breite eines<br />

Rechtecks um 3 cm <strong>und</strong> verringert die<br />

Länge um 7 cm, so verringert sich der Flächeninhalt<br />

um 40 cm 2 ) am Ende von Klasse<br />

7 das Notebook fakultativ verwendet werden<br />

durfte. Im ersten Lernjahr mit dem Notebook<br />

AG "<strong>Mathematik</strong> in Notebook-Klassen der 7. <strong>und</strong> 8. Jahrgangsstufe"<br />

war <strong>im</strong>mer genau vorgeschrieben gewesen,<br />

welches Programm bei welcher Aufgabe<br />

verwendet werden durfte; jetzt bestand erstmals<br />

die Situation, dass die Schüler frei entscheiden<br />

konnten, ob <strong>und</strong> welches Werkzeugs<br />

sie nutzen. Einige Schüler versuchten,<br />

das Problem empirisch mittels Excel zu lösen,<br />

andere kontrollierten ihren Ansatz mittels<br />

Derive <strong>und</strong> stellten fest, dass ihre Lösung<br />

nie <strong>und</strong> n<strong>im</strong>mer st<strong>im</strong>men kann, weil<br />

sich eine negative Seitenlänge ergeben hatte.<br />

Einige berichteten hinterher, dass sie dadurch<br />

noch schnell einen Fehler entdeckt<br />

haben <strong>und</strong> auf Knopfdruck das Ergebnis erhielten.<br />

Eine Lösung bestand sogar in einer<br />

dynamischen Konstruktion in DynaGeo, bei<br />

der auch noch mit Termobjekten gearbeitet<br />

wurde. Da der Lösungsweg nicht vorgeschrieben<br />

war, wurden natürlich alle Lösungen,<br />

wenn sie richtig waren, gewertet. Es<br />

bleibt zu bemerken, dass die leistungsstärkeren<br />

Schüler bei dieser Aufgabe sich gar nicht<br />

die Mühe machten, ihr Notebook zu nutzen,<br />

denn die Aufgabe lässt sich ja auf dem Papier<br />

zügig lösen. Später habe ich derartige<br />

Aufgaben modifiziert in die Richtung "um wie<br />

viel, kann sich der Flächeninhalt max<strong>im</strong>al<br />

ändern, so dass noch eine sinnvolle Lösung<br />

möglich ist".<br />

In Geometrie ist <strong>im</strong> derzeitig gültigen Lehrplan<br />

neben dem Entdecken vieler Gesetzmäßigkeit<br />

ein wesentliches Lernziel das<br />

Konstruieren, d.h. das handwerkliche Umgehen<br />

mit Zirkel <strong>und</strong> Lineal. Hier geht es sowohl<br />

um den Konstruktionsbegriff <strong>im</strong> Sinne<br />

der alten Geometer als auch um die handwerkliche<br />

Praxis. Hier wurde mein Unterricht<br />

natürlich stark davon beeinflusst, was ich <strong>im</strong><br />

Workshop in Soest 2002 an Kritik aufnahm,<br />

<strong>im</strong> Laufe des Abends verarbeitete <strong>und</strong> verinnerlichen<br />

konnte (auf den damaligen Projektbericht<br />

wird verwiesen).<br />

Wir thematisierten <strong>im</strong> Unterricht den Konstruktionsbegriff<br />

<strong>und</strong> erweiterten diesen auf<br />

den dynamischen Konstruktionsbegriff. Es<br />

gab hierzu Aufgaben vom Typ "Ist dies eine<br />

Konstruktion <strong>im</strong> Sinne der alten Geometer?"<br />

D.h. ist auf dem Papier alles mit Zirkel <strong>und</strong><br />

Lineal konstruiert? Bzw.: Handelt es sich in<br />

DynaGeo um eine Konstruktion ohne Verwendung<br />

von Makros? "Ist dies eine dynamische<br />

Konstruktion?" Dies bedeutet, dass an<br />

Hand von Dateien untersucht werden muss,<br />

ob die Konstruktion zugfest ist (dies kann in<br />

DynaGeo sowohl durch Lesen des Konstruktionstextes,<br />

als auch durch Ziehen an freien<br />

Punkten geschehen). Hierzu sind <strong>im</strong> Anhang<br />

eine Stegreifaufgabe zum Thema Erweiterter<br />

Konstruktionsbegriff sowie zwei Dateien, die<br />

221


Claudia Hagan<br />

eine richtige Schülerlösung darstellen, zu finden.<br />

Sobald das Thema Konstruktionsbegriff <strong>—</strong><br />

mit dem wir uns meiner Meinung nach intensiver<br />

als eine konventionelle Klasse auseinandersetzten<br />

<strong>—</strong> "durch war", orientierten wir<br />

uns dann an dem Leitspruch "es wäre den<br />

Preis für ein Notebook nicht wert, würden wir<br />

die mächtigen Methoden, die uns dieses<br />

Werkzeug bietet, nicht nutzen <strong>und</strong> stattdessen<br />

in einsamen, langweiligen Konstruktionen<br />

versumpfen." (Zitat von Peter Keß in Abwandlung<br />

anderer Zitate). Natürlich übten wir<br />

hin <strong>und</strong> wieder elementare Konstruktionen<br />

auf dem Papier.<br />

Theresa, die inzwischen durch die Wahl des<br />

nicht-mathematischen Zweiges in <strong>Mathematik</strong><br />

in einer Nicht-Notebook-Umgebung gelandet<br />

ist, kann jetzt (Frühling 2005) rückblickend<br />

die Frage "Was passiert mit einem<br />

Schüler, der später in eine traditionelle Klasse<br />

wechselt?", die wir uns <strong>im</strong> Workshop stellten,<br />

beantworten. Sie meint, dass sie bei<br />

Konstruktionen auf dem Papier keinerlei Probleme<br />

hat; sie n<strong>im</strong>mt es mit jedem "Papieri"<br />

auf, <strong>—</strong> zumal ab der 9. Klasse sowieso weniger<br />

konstruiert wird <strong>und</strong> zum anderen <strong>im</strong>mer<br />

das Geodreieck als "Makro" benutzt<br />

werden kann. Ferner glaubt sie, dass die Betrachtungsweise<br />

von <strong>Mathematik</strong> auf verschiedenen<br />

Ebenen ihr auch jetzt noch <strong>—</strong><br />

auch wenn ohne Notebook gearbeitet wird <strong>—</strong><br />

zum Vorteil gereicht. Die Techniken kennt<br />

sie, <strong>und</strong> sie nutzt bei Übungen auch jetzt<br />

noch DynaGeo, Derive <strong>und</strong> vertieft so ihre<br />

Kenntnisse.<br />

Einer unserer weiteren Leitsprüche ist "wir<br />

sind halt dynamisch", manches können wir<br />

besser als die "Papieris". Der gesamte Geometrieunterricht<br />

der 7. Klasse fand bis auf die<br />

Anfangsphase am Notebook statt. Besonders<br />

hilfreich für uns waren die Materialen von<br />

Jürgen Roth von der Uni Würzburg, der seine<br />

Dissertation über bewegliches Denken<br />

schreibt. Wir durften als Pioniere seine Materialien<br />

erproben. Auf Lehrerebene gab es für<br />

die Testgruppe mehrere Treffen mit einer<br />

vertieften Erklärung seiner Materialien. Die<br />

besten dieser Materialien sind jetzt auf der<br />

Didaktikseite der Uni Würzburg erhältlich.<br />

Bis heute herrscht bei uns in der Schule die<br />

Meinung, dass das Abprüfen dynamischer<br />

Aufgaben am Notebook wesentlich einfacher<br />

ist als das Abprüfen derartiger Aufgaben ohne<br />

Notebook, wo die Dynamik vor dem "geistigen<br />

Auge" ablaufen muss. Hieraus resultiert<br />

meine hin <strong>und</strong> wieder gemachte Aussage<br />

"man kann nicht klassisch prüfen, wenn man<br />

mit modernen Medien unterrichtet". Nun <strong>im</strong><br />

222<br />

Jahr 2005 möchte ich diese Aussage relativieren;<br />

<strong>—</strong> der Mehrwert durch die dynamische<br />

Betrachtung ist trotzdem da; nur die Art<br />

der Prüfung muss dann auf einem anderen<br />

Level als in einer Notebook-Klasse erfolgen.<br />

Peter berichtete <strong>im</strong> Workshop wie wir uns in<br />

die schiefe Achsenspiegelung "verliebten",<br />

zu der wir einiges an Materialien von Herrn<br />

Roth zur Verfügung hatten. Über Wochen<br />

waren wir vierstündig dabei, hier neue Erkenntnisse<br />

zu gewinnen. Dazu löcherten wir<br />

Herrn Roth einige Male mit Fragen. Besonders<br />

faszinierte uns, dass die Dreiecke nach<br />

der schiefen Achsenspiegelung am Notebook<br />

deckungsgleich waren, sie wurden so konstruiert,<br />

dass sie zur Deckung kamen. Auf<br />

dem Papier hingegen würden sie nie zur Deckung<br />

kommen. Hierauf mussten wir <strong>im</strong> Laufe<br />

des Schuljahres mehrmals zurückkommen,<br />

<strong>im</strong>mer wieder den Begriff Kongruenzabbildung<br />

hinterfragen, der doch <strong>im</strong> Buch<br />

von deckungsgleichen Dreiecken ausging.<br />

Die "normalen" Kongruenzabbildungen wie<br />

Achsenspiegelung, Punktspiegelung, Drehung<br />

<strong>und</strong> Verschiebung nahmen wir dann als<br />

besonderen Spezialfall wahr. Bei der Darstellung<br />

dieses Themas schwappte die Begeisterung<br />

auf die Teilnehmer des Workshops<br />

über, <strong>und</strong> alle waren an Notebook-Klassen<br />

interessiert.<br />

Natürlich arbeiten wir in Notebook-Klassen<br />

auch mit den dynamischen Arbeitsblättern<br />

von Elschenbroich oder aus dem <strong>Internet</strong>; da<br />

dies jedoch eine Arbeitsform ist, die auch in<br />

Nicht-Notebook-Klassen genutzt wird, sind<br />

wir <strong>im</strong> Vortrag hierauf nicht weiter eingegangen.<br />

Dass der Austeil- <strong>und</strong> Einsammelvorgang;<br />

das Verteilen einzelner Musterlösungen<br />

in Notebook-Klassen einfacher als in<br />

konventionellen Klassen ist, liegt auf der<br />

Hand.<br />

Ein weiterer angesprochener Aspekt aus<br />

fachlicher Sicht sind Klassenarbeiten am Notebook.<br />

Netzspezifische Aspekte sind wie<br />

oben erwähnt: Protokollierungssoftware, um<br />

eventuellem Unterschleif nachzugehen, sowie<br />

stabiles Netz <strong>und</strong> Ersatzgeräte (letzteres<br />

inzwischen auch weitgehend ein Selbstläufer;<br />

die Schüler organisieren sich hier mit der<br />

darüber oder darunter liegenden Klasse ein<br />

Gerät, falls mehr als die drei verfügbaren Ersatzgeräte<br />

schon <strong>im</strong> Einsatz sind).<br />

Ein weiterer Punkt ist die rechtliche Situation.<br />

In Bayern sind CAS <strong>und</strong> DGS bis in die<br />

Oberstufe am Gymnasium tabu; unsere<br />

Schule ist eine Ausnahme, wir dürfen in der<br />

Mittelstufe (da gibt es reine Notebook-Klassen)<br />

am Notebook prüfen, sofern eine<br />

Gleichbehandlung mit Nicht-Notebook-Klas-


sen sicher gestellt ist. Wir versuchen dies<br />

durch die Aufgabenkultur sicherzustellen; wir<br />

wissen nicht, ob es schwerer oder leichter<br />

mit Notebook ist; <strong>—</strong> es ist einfach anders.<br />

Auch <strong>im</strong> Bereich der rechtlichen Begrenzung<br />

anzusiedeln ist der zeitliche Rahmen für<br />

Klassenarbeiten, in Bayern Schulaufgaben<br />

genannt. Laut GSO in Bayern sind für diese<br />

max<strong>im</strong>al 60 Minuten vorgesehen. Stellt man<br />

aber eine gemischte Arbeit (Papier, Notebook),<br />

so entsteht doppelter Einsammelvorgang<br />

<strong>und</strong> mitunter doppelter Austeilvorgang.<br />

Mit einer Schulst<strong>und</strong>e <strong>und</strong> der vorangehenden<br />

<strong>und</strong> anschließenden Pause ist es also<br />

nicht getan, es muss eine Doppelst<strong>und</strong>e organisiert<br />

werden. Die Erfahrung zeigt, dass<br />

man für die Aufgaben am Notebook genug<br />

Zeit einplanen muss, da sie meist umfassender<br />

sind. Will man zudem noch den Reproduktionsteil<br />

(stures Abarbeiten von Rechnungen)<br />

adäquat auf dem Papier mit dabei<br />

haben, so kann man keine Klassenarbeit zu<br />

30 Minuten basteln, dann wäre statt des<br />

"zeitlichen Ausreizens der GSO" die nicht<br />

gleichmäßige Verteilung auf die Lernzielebenen<br />

angreifbar. Als praktisch sinnvoll hat sich<br />

bewährt, nicht in einer Arbeit einen Austeil<strong>und</strong><br />

Einsammelvorgang digital belegbar zu<br />

haben; dies zu interpretieren ist Sache des<br />

Lesers.<br />

Für Lehrer muss erwähnt werden, dass das<br />

Korrigieren am Notebook zum einen einfacher<br />

ist (Konstruktionstext in DynaGeo; ordentliche<br />

Zeichnung), zum anderen aber sich<br />

auch schwieriger gestaltet. Manchmal hält<br />

die Konzentration nicht durch, oder man verteilt<br />

die Korrektur einer Aufgabe auf zwei Tage,<br />

<strong>und</strong> dann steht man vor der Situation<br />

"dieser Fehler ist mir doch schon einmal gegegnet;<br />

habe ich damals zwei oder drei<br />

Punkte gegeben?"; auf dem Papier blättere<br />

ich durch <strong>und</strong> sehe es auf einen Blick. Be<strong>im</strong><br />

Korrigieren am Rechner kostet es Zeit, in die<br />

einzelnen Ordner zu schauen <strong>und</strong> die jeweilige<br />

Datei zu öffnen. Als Lehrer sage ich, Korrigieren<br />

am Notebook ist interessanter, aber<br />

es ist zeitaufwändiger.<br />

Ein weiterer Aspekt ist <strong>—</strong> ich habe viel mit<br />

DynaGeo gearbeitet <strong>—</strong>, dass hin <strong>und</strong> wieder<br />

plötzlich eine Zeichnung, eine Konstruktion,<br />

ein Graph abhanden kommt. Manchmal liegt<br />

es am Benutzer (Zirkelbezüge, 15 Minuten<br />

lang nicht abgespeichert …), manchmal liegt<br />

es auch an irgendeiner Stelle <strong>im</strong> Programm.<br />

Hier habe ich Jürgen Elschenbroich schon<br />

öfters zu Rate gezogen <strong>und</strong> natürlich auch<br />

Rückmeldungen, wenn es DynaGeo betraf,<br />

an Roland Mechling gegeben <strong>und</strong> seinen Rat<br />

gesucht. Fast <strong>im</strong>mer konnte es durch eine<br />

Begründung meinerseits (Logfiles), dass die<br />

AG "<strong>Mathematik</strong> in Notebook-Klassen der 7. <strong>und</strong> 8. Jahrgangsstufe"<br />

Aufgabe nie gespeichert wurde oder durch<br />

kulantes Verhalten (eine Aufgabe ähnlicher<br />

Art nachschreiben) gelöst werden. In dubio<br />

pro reo, der Schüler bekommt eine Chance.<br />

Abschließend bleibt zu bemerken, dass wir,<br />

wenngleich es ein harter Weg war, für uns<br />

persönlich durch das Projekt viel erreicht haben<br />

(nicht nur in <strong>Mathematik</strong> sondern in allen<br />

Fächern). Wir hoffen auf die aktive Resonanz<br />

seitens KM <strong>und</strong> ISB in Bayern, so dass sich<br />

die gesamte Aufgaben- <strong>und</strong> Prüfungskultur in<br />

eine Richtung verändert, <strong>und</strong> wir <strong>im</strong> passenden<br />

Augenblick unsere in Insellösungen erworbenen<br />

Erfahrungen einfließen lassen<br />

können.<br />

Anhang:<br />

Stegreifaufgabe aus der<br />

<strong>Mathematik</strong> am 28. März 2003<br />

Klasse 7c<br />

Vorarbeiten<br />

1. Erstelle auf dem Desktop einen Ordner Nachname,<br />

wobei Nachname durch deinen eigenen<br />

Nachnamen zu ersetzen ist.<br />

2. Kopiere dir aus dem Ordner nb2_Prüfung den<br />

Ordner ex-m7-3-org <strong>und</strong> speichere diesen in<br />

Nachname.<br />

3. Erstelle in Nachname einen Ordner ex-m7-3lös.<br />

In diesen wirst du deine Lösungen speichern.<br />

4. Speichere während der Arbeit regelmäßig. Für<br />

verloren gegangene Dateien bist du selbst verantwortlich.<br />

Aufgabe 1:<br />

a) Lade dir Datei aufgabe-1a.geo aus Nachname\ex-m7-3-org<br />

<strong>und</strong> speichere diese unter demselben<br />

Namen in Nachname\ex-m7-3-lös.<br />

Untersuche, ob die durchgeführte „Konstruktion“<br />

dem Konstruktionsbegriff der alten Geometer<br />

standhalten würde! Begründe in einer Textbox<br />

oder auf dem Papier!<br />

b) Lade dir Datei aufgabe-1b.geo aus Nachname\ex-m7-3-org<br />

<strong>und</strong> speichere diese unter demselben<br />

Namen in Nachname\ex-m7-3-lös.<br />

Untersuche, ob die durchgeführte „Konstruktion“<br />

dynamisch ist! Begründe in einer Textbox oder<br />

auf dem Papier!<br />

223


Claudia Hagan<br />

Aufgabe 2:<br />

Zeichne eine Strecke [AB] <strong>und</strong> konstruiere zu<br />

dieser die Mittelsenkrechte (in DynaGeo dynamisch<br />

konstruiert). Speichere unter aufgabe-<br />

2.geo.<br />

Schülerlösung zu Aufg. 1a:<br />

Schülerlösung zu Aufg. 1b:<br />

224<br />

Aufgabe 3:<br />

Zeige an Hand einer Konstruktion (dabei sind<br />

Makros, Ortslinien etc erlaubt), dass bei einer<br />

„Klappung“ das Bild eines Kreises <strong>im</strong> allgemeinen<br />

keinen Kreis ergibt. Hinweis: Wähle den<br />

Kreisradius der Originalfigur fest, z.B. 3 cm.<br />

Speichere unter aufgabe-3.geo.


� DGS <strong>und</strong> Kommunikation *<br />

1 Einleitung<br />

Ausgangspunkt der Diskussionen waren die<br />

folgenden Leitfragen:<br />

• Wie können Schülerinnen DGS-Resultate<br />

kommunizieren?<br />

• Wie kann DGS mit externen Programmen<br />

kommunizieren?<br />

• Wie kann man Konstruktionen <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

publizieren <strong>und</strong> finden?<br />

• Wie kann man anhand von DGS-Resultaten<br />

kommunizieren?<br />

2 Import <strong>—</strong> Export<br />

Als Teil einer Computerumgebung, die neben<br />

einem DGS noch weitere Werkzeuge bereit<br />

hält <strong>und</strong> sich bis in die Weiten des <strong>Internet</strong><br />

erstreckt, müssen Geometrieprogramme mit<br />

anderen Programmen kommunizieren können.<br />

Welche Arten der Kommunikation gibt<br />

es, welche sind wünschenswert <strong>und</strong> was<br />

versprechen wir uns von ihnen?<br />

Es bietet sich an, die Kommunikation nach<br />

ihrer Richtung zu klassifizieren:<br />

Export<br />

Reinhard Oldenburg, Göttingen<br />

Dynamische Geometrieprogramme sollten in vielfältiger Weise Kommunikation unterstützen:<br />

Kommunikation zwischen Mensch <strong>und</strong> Mensch <strong>und</strong> Mensch, Mensch <strong>und</strong> Programm<br />

<strong>und</strong> Programm <strong>und</strong> Programm. Die Arbeitsgruppe hat einige der sich daraus ergebenden<br />

Fragen diskutiert.<br />

Export nach Computeralgebrasystemen kann<br />

bedeuten, dass die Koordinaten als Listen,<br />

<strong>und</strong> die Objektrelationen in symbolischer<br />

Form übergeben werden. Dabei können die<br />

Gleichungen, die die Konstruktion best<strong>im</strong>men,<br />

explizit mit übergeben werden, oder<br />

man kann sie <strong>im</strong> CAS aus der symbolischen<br />

Beschreibung der Konstruktion rekonstruieren.<br />

In der Computeralgebra-Umgebung können<br />

dann die Hilfsmittel der algebraischen<br />

Geometrie für die weitere Untersuchung ver-<br />

wendet werden. Unter Umständen bieten<br />

sich auch Mittel der Analysis an (Kurven).<br />

Ein Export der Konstruktion in symbolischer<br />

Form erlaubt z.B., mit Hilfe von Geometria<br />

die erstellte Konstruktion in <strong>Internet</strong>seiten<br />

oder Lernumgebungen einzubinden.<br />

Interessant wäre auch ein Export nach Tabellenkalkulationsprogrammen,<br />

um numerische<br />

Analysen der Koordinaten z.B. von<br />

Ortslinien durchzuführen.<br />

Die klassische Exportform als Konstruktionstext<br />

wird allgemein als sehr wichtig beurteilt.<br />

Es wurde kontrovers diskutiert, ob eine alternative<br />

Darstellung als Abhängigkeits-Baum<br />

sinnvoll ist.<br />

Be<strong>im</strong> Export ins <strong>WWW</strong> ist zu unterscheiden<br />

zwischen dem Export fertiger Konstruktionen<br />

(die aber nach Möglichkeit beweglich bleiben<br />

sollen) <strong>und</strong> dem Export von Beschreibungen<br />

eines Konstruktionsvorgangs, wie ihn die<br />

Weiterentwicklung Cinerella von Cinderella<br />

vorausichtlich bieten wird. Der Ansatz von Cinerella<br />

wurde als sehr interessant bewertet,<br />

da er eine DGS-Konstruktion als Prozess<br />

<strong>und</strong> nicht nur als Produkt erschließt.<br />

Import<br />

Ein DGS sollte eine Konstruktion nicht nur<br />

nach Maus-Befehlen, sondern auch nach einer<br />

sprachlichen Beschreibungsform ausführen<br />

können. Bei der Beschreibungssprache<br />

kann es sich um deutsche (Fach-)Sprache<br />

oder eine mehr computer-orientierte Mini-<br />

Programmiersprache handeln, wie dies bei<br />

Geolog der Fall ist.<br />

Der Import von Bildern ermöglicht, in diesen<br />

zu messen. Es kann die <strong>im</strong> Bild enthaltene<br />

Geometrie rekonstruiert werden. Beispiele<br />

sind die Untersuchung von Kirchenfenster<br />

oder Parabelbrücken.<br />

* Teilnehmende der AG "DGS <strong>und</strong> Kommunikation" unter der Leitung von Reinhard Oldenburg: Astrid Beckmann, Hans-Jürgen Elschenbroich,<br />

Thomas Gawlick, Gaby Heintz, Ingmar Lehmann, Roland Mechling, Heinz Schumann<br />

225


Reinhard Oldenburg<br />

Eine Form des Imports stelle es auch dar,<br />

wenn ein DGS externe Algorithmen aufrufen<br />

kann. Dies ermöglich eine flexible Erweiterung<br />

durch den Benutzer. Anwendungsgebiete<br />

gibt es z.B. in der S<strong>im</strong>ulation <strong>und</strong> der Visualisierung.<br />

Die praktische Arbeit mit DGS wird durch Import-Funktionen<br />

für Konstruktionen anderer<br />

DGS erleichtert. Der schnelle Wechsel von<br />

einem DGS zum nächsten ist wünschenswert,<br />

um die verschiedenen Zugstrategien<br />

<strong>und</strong> Methoden der Ortslinienberechnung vergleichen<br />

zu können.<br />

3 Unterstützung menschlicher<br />

Kommunikation<br />

Einen gänzlich anderen Aspekt stellt die Unterstützung<br />

der Mensch-Mensch-Kommunikation<br />

durch das DGS dar. Wenn Schüler mit<br />

einem DGS arbeiten, sollen sie miteinander<br />

kommunizieren, sie sollen ihre Ergebnisse<br />

<strong>und</strong> Probleme den Mitschülern <strong>und</strong> dem Lehrer<br />

oder der Lehrerin darstellen.<br />

In der Diskussion wurde diese Arbeitssituation<br />

<strong>im</strong> Klassenraum intensiv diskutiert. Die<br />

Bedeutung von Vorwissen (z.B. um die möglichen<br />

Konfigurationen von Geraden in der<br />

Ebene) für den Lernprozess wurde besonders<br />

hervorgehoben. Schüler müssen lernen,<br />

Besonderheiten zu erkennen, um die Übersetzungsarbeit<br />

von der Beobachtung der Dynamik<br />

zur Invarianz, also zum mathematischen<br />

Satz, leisten zu können.<br />

Um dies zu fördern, sollten schon die Arbeitsaufträge<br />

Kommunikation anregen. Über<br />

226<br />

die genaue Form, wie dies geschehen kann,<br />

wurde keine Einigkeit erzielt. Es wurde aber<br />

als günstig beurteilt, Schülern als Startpunkt<br />

elektronische Arbeitsblätter zu geben. Aus<br />

solchen, teilweise geschlossenen Aufgabenstellungen<br />

können nach aller Erfahrung auch<br />

offene Situationen entstehen. Dabei spielt die<br />

Kompetenz des Lehrers eine entscheidende<br />

Rolle ("farbenblinde Lehrer können nicht entscheiden,<br />

ob die Schülerinnen blaue oder<br />

graue Blumen gef<strong>und</strong>en haben"). Für diesen<br />

(oder diese) stellt sich aber das Problem,<br />

möglichst schnell zu erkennen, was die<br />

SchülerInnen gemacht haben. Dazu brauchen<br />

diese gute Dokumentationswerkzeuge.<br />

Die vom System generierte Konstruktionsbeschreibung<br />

<strong>und</strong> insbesondere die Funktion<br />

der Rückblende stellen eine wichtige Hilfe<br />

dar.<br />

Zur Dokumentation wurde vorgeschlagen,<br />

den Konstruktionstext mit eigenen Bemerkungen<br />

erläutern zu können. Hilfreich ist<br />

auch eine Anzeige der Eltern von Objekten.<br />

Es gibt eine Parallelität zu Tabellenkalkulationsprogrammen,<br />

wo der Anblick des Tabellenblattes<br />

ebenso viele Informationen <strong>im</strong> Verborgenen<br />

lässt wie ein DGS. Bei Tabellenkalkulationen<br />

gibt es aber in der Regel die<br />

Option, die Verlinkung der Zellen graphisch<br />

anzuzeigen. Ähnliches sollte es auch bei<br />

DGS geben.<br />

Die Aufzeichnung von Konstruktionen, wie<br />

sie Cinerella bietet, ist nur für die Dokumentation<br />

des Arbeitsergebnisses interessant.<br />

Dort allerdings öffnet sie neue Möglichkeiten.<br />

Interessant ist sie aber ohne Zweifel ebenso<br />

wie die Protokollfunktion mit Zeitfenstern<br />

(Cabri II+) für die didaktische Forschung.


� Didaktische Konzepte von e-Learning-Plattformen *<br />

Christina Völkl, Würzburg<br />

Die Arbeitsgruppe ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht eine opt<strong>im</strong>ale e-Learning-Plattform<br />

für ein opt<strong>im</strong>ales didaktisches Konzept gibt. Vielmehr muss die e-Learning-Plattform<br />

in der Lage sein, unterschiedliche didaktische Konzepte, abhängig von unterschiedlichen<br />

Zielgruppen <strong>und</strong> Lernsituationen, technisch abzubilden.<br />

1 Ausgangssituation<br />

Zunächst stellt sich die Frage, welche didaktischen<br />

Konzepte hinter e-Learning-Plattformen<br />

überhaupt stehen. Infolge der unterschiedlichen<br />

Erfahrungen der Teilnehmer in<br />

der Arbeitsgruppe hinsichtlich der Einsatzformen<br />

von e-Learning <strong>im</strong> Alltag wurden die unterschiedlichen<br />

Vorstellungen deutlich. Eine<br />

Klärung der Begriffe schien demnach äußerst<br />

gr<strong>und</strong>legend: Was versteht man unter e-<br />

Learning, online oder offline <strong>Lernen</strong>, Plattformen,<br />

etc.? <strong>—</strong> Durch die Diskussion der<br />

genannten Begriffe konnte eine gemeinsame<br />

Basis geschaffen werden, die für denweiteren<br />

Verlauf erforderlich war.<br />

Anhand der Darstellung von vier Praxis-Beispielen<br />

wurden die unterschiedlichen Ausgangssituationen<br />

der Teilnehmer deutlich.<br />

2 Vorstellen von Beispielen<br />

<strong>und</strong> Zusammentragen<br />

didaktischer Aspekte<br />

Die große Bandbreite von e-Learning wurde<br />

zunächst durch die Darstellung der vier unterschiedlichen<br />

Betrachtungen von e-Learning-Plattformen<br />

<strong>und</strong> den dahinterstehenden<br />

didaktischen Konzepten deutlich:<br />

2.1 MaDiN<br />

MaDiN (<strong>Mathematik</strong>didaktik <strong>im</strong> Netz) ist eine<br />

Informationsumgebung der Universität Münster<br />

<strong>und</strong> dreier weiterer Universitäten für Dozenten,<br />

die Inhalte der Plattform zur Darstellung<br />

während der Vorlesung nutzen wollen.<br />

Die Navigation von MaDin besteht aus einer<br />

so genannten Baumstruktur auf der linken<br />

Seite der Benutzeroberfläche, welche die Inhalte<br />

in die verschiedenen Kapitel gliedert.<br />

Wählt man hier ein Kapitel aus, erscheint in<br />

der Mitte der Benutzeroberfläche ein weiteres<br />

Navigationstool, das grafisch einer<br />

Schreibtisch-Oberfläche gleicht <strong>und</strong> die Benutzer<br />

durch den Inhalt eines Kapitels führt<br />

(z.B. Theorie, Übungen, Beispiele, etc.).<br />

Beispielsweise können Skizzen, Lehrbuchseiten,<br />

Pop-up-Ikonogramme, interaktive Cinderella-An<strong>im</strong>ationen<br />

<strong>und</strong> ähnliches in der<br />

Vorlesung eingesetzt werden.<br />

Die Kerninhalte finden sich bei MaDiN in der<br />

"Theorie-Schublade": Diese werden vor allem<br />

als Kurztexte mit Bildern; Applets,<br />

Flashs, etc. angeboten, die auch zum Druck<br />

für die Anwender aufbereitet werden können<br />

(vgl. auch die Beiträge von Wittmann <strong>und</strong><br />

Weth in diesem Tagungsband).<br />

MaDiN verfügt außerdem über eine "History",<br />

zu Deutsch "Lernpfad-Verfolgung", einen<br />

Navigations-Baum, einen "Recorder" zum<br />

Aufzeichnen best<strong>im</strong>mter Wege durch das<br />

System, <strong>und</strong> weitere Features, die hier nicht<br />

<strong>im</strong> Detail aufgezählt werden sollen.<br />

Für einige Anwendungen die in MaDiN integriert<br />

sind, gibt es bereits perfekte Systeme.<br />

Zum Beispiel ist das "Nachvollziehen von<br />

Vorgängen" <strong>im</strong> Recorder bereits in entsprechenden<br />

Systemen als Lernvorschlag fest integriert.<br />

(http://www.visum.ewf.uni-erlangen.de/)<br />

2.2 Vernetztes Studium <strong>—</strong><br />

Chemie (VSC)<br />

Nach der Vorstellung von MaDiN durch M.<br />

Hartmann lieferte B. Xylander mit einem<br />

Selbstlernmodul aus den Materialien des<br />

BMBF-Projektes Vernetztes Studium <strong>—</strong> Chemie<br />

(VSC) ein Beispiel für ein Web-Based-<br />

Training (WBT, online) bzw. Computer-<br />

Based-Training (CBT, offline). Be<strong>im</strong> VSC<br />

handelt es sich um Vorlesungen <strong>und</strong> Seminare<br />

begleitende, mult<strong>im</strong>ediale Lehrmateria-<br />

* Teilnehmende der AG "Didaktische Konzepte von e-Learning-Plattformen" unter der Leitung von Mutfried Hartmann: Heiko Baumann, Christine<br />

Bescherer, Wolfgang Fricke, Gerald Hoja, Karl-Heinz Keunecke, Thomas Schödel, Christina Völkl, Wolfgang Weigel, Bert Xylander, Siegfried<br />

Zseby<br />

227


Christina Völkl<br />

lien für Studierende der Fachrichtung Chemie<br />

mit Aufgaben <strong>und</strong> Lösungen.<br />

Zentraler Gedanke bei der Erstellung der<br />

Lehrmaterialien ist die inhaltliche, mediale<br />

<strong>und</strong> didaktische Neustrukturierung bei der<br />

Umsetzung der Lehrinhalte von herkömmlichen<br />

Medien (Tafel, Lehrbücher) auf das<br />

neue Medium Computer <strong>und</strong> <strong>Internet</strong>. Angestrebt<br />

wird eine ausgewogene Mischung aus<br />

instruktiven <strong>und</strong> aktiven Elementen. Die<br />

Lehrmaterialien werden in einer e-Learning-<br />

Plattform präsentiert, die in ihrer Funktionalität<br />

eine gewohnte Arbeitsumgebung be<strong>im</strong><br />

<strong>Lernen</strong> nachvollziehen soll. Dazu gehören<br />

Notizblock, Textmarker, Periodensystem,<br />

Suchfunktionen etc. (http://www.vs-c.de)<br />

2.3 Interwise<br />

Ein Beispiel für synchrones e-Learning mit<br />

Hilfe der Software "Interwise” führte K.-H.<br />

Keunecke anhand des bereits aktiv eingesetzten<br />

Workshops "<strong>Mathematik</strong> mit DERI-<br />

VE 5" vor.<br />

Der Workshop ist eine Echtzeit-Online-Fortbildung,<br />

an dem sich bis zu 15 Teilnehmer<br />

anmelden können. Dabei besteht eine Audioverbindung<br />

zwischen den Teilnehmern,<br />

<strong>und</strong> außerdem können Bildschirminhalte z.B.<br />

des Tutors allen sichtbar gemacht werden.<br />

Ziel ist es, Lehrkräften vorzuführen, wie neue<br />

Technologie (CAS, DGS, Handheld-Geräte<br />

mit CAS) in den <strong>Mathematik</strong>unterricht integriert<br />

werden können. Die Teilnehmer <strong>und</strong><br />

Teilnehmerinnen erhalten Arbeitsunterlagen,<br />

die sie direkt in ihrem Unterricht einsetzen<br />

können. Die Idee zu dieser Fortbildung ist<br />

entstanden, weil einerseits der Bedarf an<br />

Fortbildungen so groß wie nie zuvor ist <strong>und</strong><br />

andererseits die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen<br />

während der Schulzeit <strong>im</strong>mer<br />

weniger zugelassen wird. Die bisherigen 40<br />

Veranstaltungen in den letzten zwei Jahren<br />

sind in den Abendst<strong>und</strong>en ab 19 Uhr durchgeführt<br />

worden. Da die Teilnahme freiwillig<br />

ist, loggen sich die Lehrkräfte nur ein, wenn<br />

sie sich davon einen Nutzen versprechen.<br />

Steigende Teilnehmerzahlen zeigen, dass<br />

hier ein Weg gef<strong>und</strong>en wurde, um Lehrkräfte<br />

bei der Einführung neuer Technologie in der<br />

Schule zu unterstützen. Es zeigte sich auch,<br />

dass die Lehrkräfte dieses Forum intensiv<br />

nutzten, um sich mit anderen auszutauschen,<br />

die sich in ähnlichen Unterrichtssituationen<br />

befanden. Problematisch schien den Teilnehmern<br />

der Arbeitsgruppe in diesem Zusammenhang,<br />

dass unter den Teilnehmern<br />

des Kurses weitgehend dasselbe Arbeits-<br />

228<br />

tempo vorausgesetzt werden muss, da sonst<br />

Leerlauf während der Lernphasen entsteht.<br />

Mit dem Argument, dass be<strong>im</strong> e-Learning der<br />

User selbst wählt, wann, wo <strong>und</strong> wie er lernt,<br />

begründeten einige Teilnehmer, dass der Begriff<br />

e-Learning bei dieser Art von Workshop<br />

nicht treffend ist. Auf der anderen Seite stand<br />

der Aspekt, dass synchrones e-Learning ein<br />

Teilaspekt von e-Learning ist. Wieder wurden<br />

die unterschiedlichen Auffassungen deutlich.<br />

2.4 weLearn<br />

Die inhaltsoffene Plattform "weLearn" der<br />

Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt, vorgestellt<br />

von C. Völkl, ist ein erweitertes Content-Management-System,<br />

in das die verschiedenen<br />

Inhalte der Professoren <strong>und</strong> Dozenten<br />

eingepflegt werden können.<br />

Die Errichtung dieser e-Learning-, Kommunikations-<br />

<strong>und</strong> Informations-Plattform für die<br />

Studiengänge Informatik, Wirtschaftsinformatik<br />

<strong>und</strong> des Master-Studiengangs "Organizational<br />

Development with IT" der Fachhochschule<br />

Würzburg-Schweinfurt ist ein Projekt<br />

des gemeinsamen Programms von B<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />

Ländern zur Förderung der Weiterentwicklung<br />

von Hochschulen <strong>und</strong> Wissenschaft.<br />

Zielgruppe sind die Studierenden der genannten<br />

Studiengänge. Die vorlesungsbegleitende<br />

Lernumgebung bietet die Möglichkeit,<br />

bereits strukturierte Lehrmaterialien in<br />

Standardformaten (doc, ppt, html, xsl, xml,<br />

etc.) <strong>und</strong> interaktive Videosequenzen einzubinden.<br />

Überprüfungsmöglichkeiten, Tests<br />

(z.B. interaktive Fragebögen, Lernkontroll-<br />

Steps) sind integrierbar. Weiterhin stehen<br />

den Nutzern synchrone <strong>und</strong> asynchrone<br />

Kommunikationsmöglichkeiten wie Foren <strong>und</strong><br />

Chats zur Verfügung. Innerhalb eines kollaborativen<br />

Moduls können Arbeitsgruppen abgebildet<br />

werden, die eigene Foren <strong>und</strong> Dateiarchive<br />

verwalten. Mit Hilfe von Terminverwaltung<br />

<strong>und</strong> e-Mail-Push-Diensten wird die<br />

Unterstützung (nicht der Ersatz!) von größeren,<br />

regelmäßigen Veranstaltungen (z.B. <strong>im</strong><br />

Gr<strong>und</strong>studium) gewährleistet.<br />

(http://www.welearn.de)<br />

3 Eingrenzung<br />

Nach der Präsentation der Praxisbeispiele<br />

<strong>und</strong> der jeweiligen Diskussion zu den unterschiedlichen<br />

e-Learning-Möglichkeiten konnten<br />

wir festhalten, dass die Arbeitsgruppe<br />

nicht eine Plattform mit einem idealen didaktischen<br />

Konzept diskutieren kann, sondern<br />

zielgruppen- <strong>und</strong> lernsituationsabhängig vor-


gehen muss. Aus diesem Gr<strong>und</strong> entschieden<br />

wir uns, einen speziellen Fall zu formulieren.<br />

Unsere konkrete Situation stellte als Zielgruppe<br />

einen Studenten der Didaktik der <strong>Mathematik</strong><br />

<strong>im</strong> Hauptseminar dar.<br />

Hauptsächlich anhand dieses Szenarios<br />

sammelten wir mittels Brainstorming so viele<br />

Beiträge wie möglich.<br />

Die Begriffssammlung umfasste die unterschiedlichsten<br />

Punkte:<br />

- Unterstützung von Seminarbetrieb <strong>und</strong><br />

Gruppenbildung<br />

- Individuell versus kooperativ<br />

- Unterstützung aller Dateitypen<br />

- Dateisammlung (Up-/Download)<br />

- Neue Unterrichtskultur führt zu neuer Aufgabenkultur<br />

(neue Aufgabentypen)<br />

- Betriebssystem-unabhängig<br />

- Individuelle Anpassbarkeit der Oberfläche<br />

- Leichte Einstellung der Daten<br />

- Moderation<br />

- Motivationsdarstellung<br />

- (Virtuelle) Kommunikationsforen/Chat<br />

- Gleichzeitiger Zugriff von Allen auf Alles<br />

- Bewertung<br />

- FAQ<br />

- Volle didaktische Interaktivität<br />

- Offene Problemstellung<br />

- Lernzielkontrollen<br />

- User Tracking (Benutzerverfolgung) -><br />

Datenschutz??<br />

- Hilfe-Stop-Touren / gestufte Hilfe / Hilfeapparat<br />

/ Zeigefunktion<br />

- Reduzierte Präsenz<br />

- "History" / Lernpfad<br />

Abb. 1<br />

AG "Didaktische Konzepte von e-Learning-Plattformen"<br />

- Multilingualität<br />

- Tiefenstruktur: vorhandene Thementiefe<br />

muss darstellbar sein<br />

- Beteiligung der Studenten in der Aufgabenstellung<br />

- Anpassbare Rechte- <strong>und</strong> Rollenstruktur<br />

(Gruppenleiter etc.)<br />

- Nutzerfre<strong>und</strong>lichkeit<br />

Um eine bessere Basis <strong>und</strong> einen Leitfaden<br />

für eine konstruktive Diskussion zu schaffen<br />

entschieden wir uns für die Erstellung einer<br />

Mindmap, die die wesentlichen Punkte <strong>und</strong><br />

aufkommenden Fragen unserer Schluss-Diskussion<br />

widerspiegelt:<br />

Was braucht man <strong>im</strong> ersten Schritt? Ist das<br />

didaktische Konzept oder die technische<br />

Gr<strong>und</strong>lage in Form einer e-Learning-Plattform<br />

<strong>im</strong> ersten Schritt wichtig?<br />

Was liefert uns be<strong>im</strong> e-Learning den wirklichen<br />

Mehrwert?<br />

Wie soll der Content sinnigerweise aufgebaut<br />

sein?<br />

4 Ergebnis<br />

Die Mindmap (Abb. 1) ist das Ergebnis unserer<br />

Arbeitsgruppe: Daran werden die wesentlichen<br />

Aspekte wie etwa Berücksichtigung<br />

technischer Gegebenheiten, zugr<strong>und</strong>egelegtes<br />

didaktisches Konzept, Motivationselemente<br />

usw. deutlich, die bei der Konzeptionierung<br />

von Lernplattformen von Bedeutung<br />

sind. Zugleich zeigt die Mindmap die Vielfalt<br />

von Parametern, die in der Planung einer<br />

Lernplattform Einfluss nehmen <strong>und</strong> in ihre<br />

Konstruktion eingehen.<br />

229


Freitag, 26.09.2003<br />

bis<br />

13.30<br />

230<br />

Tagungsprogramm<br />

Anreise <strong>—</strong> Mittagessen ist nur <strong>im</strong> Ort möglich!<br />

14.00 Wilfried Herget & Thomas Weth Eröffnung, Einführung in das Tagungsthema<br />

14.15 –<br />

15.15<br />

15.15 –<br />

15.45<br />

15.45 –<br />

16.30<br />

16.35 –<br />

17.20<br />

17.25 –<br />

18.10<br />

Hauptvortrag<br />

Leuders, T<strong>im</strong>o<br />

Soest<br />

<strong>Mathematik</strong> <strong>Lernen</strong> <strong>und</strong> <strong>Lehren</strong> mit dem <strong>Internet</strong> –<br />

zwischen instruktivistischem <strong>und</strong> konstruktivistischem Paradigma<br />

Kaffee- bzw. Teepause<br />

Sektionsvorträge (30 Minuten Vortrag + 15 Minuten Diskussion)<br />

Raum ... Raum ... Raum ...<br />

Nestle, Fritz<br />

Vom 19. ins 21. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

<strong>—</strong> Ändert das <strong>Internet</strong><br />

Chancen für den Zugang<br />

zur <strong>Mathematik</strong>?<br />

Kortenkamp, Ulrich<br />

Exper<strong>im</strong>entieren <strong>und</strong> Publizieren<br />

Ernst, Astrid &<br />

Niehaus, Engelbert<br />

Konstruktiv arbeiten mit<br />

dem <strong>Internet</strong> in Schule <strong>und</strong><br />

Lehrerausbildung<br />

Elschenbroich, Hans-<br />

Jürgen<br />

Der Kosinussatz <strong>—</strong> wiederentdeckt<br />

als Flächensatz<br />

Filler, Andreas (Teil 1)<br />

Einbeziehung der 3D-Computergrafik<br />

in das Stoffgebiet<br />

Analytische Geometrie<br />

Gawlick, Thomas<br />

Über Konstruktion <strong>und</strong> Figur<br />

in der Dynamischen<br />

Geometrie<br />

18.15 Abendessen<br />

19.15 –<br />

20.00<br />

20.00 –<br />

...<br />

Sektionsvorträge (30 Minuten Vortrag + 15 Minuten Diskussion)<br />

Wittmann, Gerald<br />

Wie lernen Studierende in<br />

internetgestützten Lehrveranstaltungen?<br />

Filler, Andreas (Teil 2)<br />

Einbeziehung der 3D-Computergrafik<br />

in das Stoffgebiet<br />

Analytische Geometrie<br />

Lehmann, Ingmar<br />

Dynamische Visualisierung<br />

einer Aufgabe in Variationen<br />

Fergen, Olaf &<br />

Weitendorf, Jens<br />

Der neue Rechner von Casio<br />

– classpad 300<br />

Großmann, Rudolf<br />

Ein Java-Applet zur Eingabe<br />

<strong>und</strong> Überprüfung mathematischer<br />

Terme<br />

Orientieren, Kennenlernen, Gemütlicher Ausklang <strong>im</strong> Hotel Convikt in Dillingen


Samstag, 27.09.2005<br />

07.45 Frühstück<br />

08.30 –<br />

09.30<br />

09.45 –<br />

10.30<br />

10.30 –<br />

11.00<br />

11.00 –<br />

11.45<br />

11.50 –<br />

12.35<br />

Hauptvortrag<br />

Niederdrenk-Felgner, Cornelia<br />

Nürtingen<br />

Jungen, Mädchen, Mathe <strong>und</strong> Computer<br />

Sektionsvorträge (30 Minuten Vortrag + 15 Minuten Diskussion)<br />

Raum … Raum … Raum …<br />

Ludwig, Matthias &<br />

Schmidt-Thieme, Barbara<br />

Ein virtuelles Seminar <strong>—</strong><br />

Konzeption, Durchführung<br />

<strong>und</strong> Auswertung<br />

Weigel, Wolfgang<br />

Gestaltungsprinzipien <strong>und</strong><br />

Erfahrungen zum virtuellen<br />

Selbstlernkurs: Computer<br />

<strong>und</strong> <strong>Mathematik</strong><br />

Löthe, Herbert &<br />

Bescherer, Christine<br />

<strong>Mathematik</strong>lernen <strong>und</strong> Organisieren<br />

<strong>—</strong> Voraussetzung<br />

für die Nutzung der<br />

neuen Medien <strong>und</strong> des <strong>Internet</strong>s<br />

Zseby, Siegfried<br />

Die Apfelsinenkiste <strong>im</strong> Hyde-Park<br />

<strong>—</strong> Lernplattform<br />

für den ersten Auftritt<br />

Kaffee- bzw. Teepause<br />

Oldenburg, Reinhard<br />

<strong>Mathematik</strong> lernen <strong>im</strong> <strong>Internet</strong><br />

<strong>—</strong> vom Standpunkt<br />

moderner Erkenntnistheorie<br />

Lambert, Anselm<br />

Was wissen wir vom <strong>Internet</strong>?<br />

12.40 Mittagessen<br />

15.00<br />

Arbeitsgruppen (mit einer geeigneten Einführung)<br />

Thema Leitung<br />

Münchenbach, Carsten<br />

Von Pr<strong>im</strong>zahlen zur Verschlüsselung<br />

mit RSA <strong>—</strong><br />

Eine Unterrichtseinheit für<br />

eine 11. Klasse <strong>im</strong> <strong>WWW</strong><br />

Xylander, Bert<br />

Über das <strong>Lehren</strong> von Gruppentheorie<br />

mit dem <strong>Internet</strong><br />

<strong>—</strong> Bestandsaufnahmen<br />

<strong>und</strong> Ausblicke<br />

Pallack, Andreas<br />

Integration des <strong>Internet</strong>s<br />

am Beispiel der Behandlung<br />

von Korrelation <strong>und</strong><br />

Regression in Jahrgangsstufe<br />

11<br />

1 Der neue Rechner von Casio – classpad 300 Fergen, Olaf & Weitendorf,<br />

Jens<br />

2 <strong>Mathematik</strong>unterricht in Notebook-Klassen 7 <strong>und</strong> 8 Hagan, Claudia<br />

3 <strong>Internet</strong>-Übungsaufgaben erstellen mit dem Formel-Applet Großmann, Rudolf<br />

4 DGS <strong>und</strong> Kommunikation Oldenburg, Reinhard<br />

5 Didaktische Konzepte von e-Learning-Plattformen Völkl, Christina<br />

18.00 Abendessen<br />

19.00 –<br />

19.45<br />

20.00 –<br />

...<br />

Fortsetzung der Arbeitsgruppen<br />

Gemeinsames Abendprogramm <strong>im</strong> Hotel Convikt;<br />

danach Ausklang <strong>im</strong> Landesinstitut<br />

231


Sonntag, 28.09.2005<br />

07.45 Frühstück, Z<strong>im</strong>mer räumen<br />

08.30 –<br />

09.30<br />

09.45 –<br />

10.30<br />

10.30 –<br />

11.00<br />

11.00 –<br />

12.00<br />

232<br />

Hauptvortrag<br />

Weth, Thomas<br />

Nürnberg<br />

<strong>Mathematik</strong>unterricht <strong>und</strong> Neue Medien<br />

Sektionsvorträge (30 Minuten Vortrag + 15 Minuten Diskussion)<br />

Raum ... Raum ... Raum ...<br />

Oldenburg, Reinhard<br />

Das CAS-basierte DGS<br />

Feli-X zur Vernetzung von<br />

Algebra <strong>und</strong> Geometrie<br />

Tschacher, Karel<br />

"Da schauen Sie mal ins <strong>Internet</strong>"<br />

Kaffee- bzw. Teepause<br />

Keunecke, Karl-Heinz<br />

Echtzeit-Online-Fortbildungen<br />

für Lehrkräfte: <strong>Mathematik</strong><br />

mit GTR <strong>und</strong> CAS<br />

Ergebnisse der Arbeitsgruppen, Tagungsbilanz, Abschlussdiskussion<br />

12.15 Mittagessen, Kaffee bzw. Tee<br />

13.30 Tagungsende<br />

Teilnehmerinnen- <strong>und</strong> Teilnehmer-Liste<br />

(z.T. auf den Stand von Mai 2005 gebracht; ob es sich um den Privat- oder den Dienstort handelt, ergibt<br />

sich meistens aus der Mail-Adresse)<br />

Abel, Barbara, 72072 Tübingen abel@lehrerfortbildung-bw.de<br />

Ahrends, Gerd, 66111 Saarbrücken g.ahrends@web.de<br />

Baumann, Heiko, 97286 Sommerhausen baumann_heiko@web.de<br />

Beckmann, Astrid, 73525 Schwäbisch Gmünd astrid.beckmann@ph-gmuend.de<br />

Bender, Peter, 33098 Paderborn bender@upb.de<br />

Bescherer, Christine, 24943 Flensburg christine.bescherer@uni-flensburg.de<br />

Christmann, Norbert, 67653 Kaiserslautern christmann@mathematik.uni-kl.de<br />

Daubert, Kurt, 79117 Freiburg daubert@ph-freiburg.de<br />

Detering, Eike A., 14513 Teltow eadetering@aol.com<br />

Eckelt, Irmgard, 58332 Schwelm irmaeck@aol.com<br />

Elschenbroich, Hans-Jürgen, 41352 Korschenbroich elschenbroich@t-online.de<br />

Elschenbroich, Inge, 41352 Korschenbroich i.elschenbroich@t-online.de<br />

Ernst, Astrid, 48149 Münster ernsta@math.uni-muenster.de<br />

Fergen, Olaf, 22848 Norderstedt fergen@casio.de<br />

Fichtner, Richard, 89407 Dillingen r.fichtner@alp.dillingen.de<br />

Filler, Andreas, 10099 Berlin filler@mathematik.hu-berlin.de<br />

Friebe, Kristine, 55126 Mainz kfriebe@rheinzeitung.de<br />

Friebe, Wolfgang, 55126 Mainz friebe@ibi.tu-berlin.de<br />

Gawlick, Thomas, 76829 Landau gawlick@uni-landau.de<br />

Großmann, Rudolf, 90547 Stein rudolf.grossmann@odn.de<br />

Haftendorn, Dörte, 21335 Lüneburg haftendorn@uni-lueneburg.de<br />

Hagan, Claudia, 97209 Veitshöchhe<strong>im</strong> claudia.hagan@gmx.de<br />

Hartmann, Mutfried, 90478 Nürnberg mdhartma@ewf.uni-erlangen.de<br />

Harzbecker, Ulrich, 21332 Lüneburg ulrich.harzbecker@br-lg.niedersachsen.de


Heintz, Gaby, 41363 Jüchen gaby.heintz@t-online.de<br />

Helle, Eva-Maria, 91452 Wilhermsdorf evamaria.helle@gmx.de<br />

Hennecke, Martin, 31141 Hildeshe<strong>im</strong> hennecke@cs.uni-hildeshe<strong>im</strong>.de<br />

Herget, Wilfried, 06099 Halle herget@mathematik.uni-halle.de<br />

Hofer, Matthias, A-1150 Wien matthias.hofer@a1.net<br />

Hoja, Gerold, 90478 Nürnberg ghoja@web.de<br />

Keunecke, Karl-Heinz, 24159 Kiel kh.keunecke@t-online.de<br />

Kirsche, Peter, 86135 Augsburg peter.kirsche@math.uni-augsburg.de<br />

König, Gerhard, 76139 Karlsruhe gk@fiz-karlsruhe.de<br />

Kortenkamp, Ulrich, 10623 Berlin kortenkamp@math.tu-berlin.de<br />

Kronfellner, Manfred, A-1040 Wien m.kronfellner@tuwien.ac.at<br />

Kunze, Antje, 12203 Berlin antjekunze@compuserve.de<br />

Lambert, Anselm, 66041 Saarbrücken alambert@math.uni-sb.de<br />

Lehmann, Eberhard, 12209 Berlin mirza@snafu.de<br />

Lehmann, Ingmar, 10099 Berlin ilehmann@mathematik.hu-berlin.de<br />

Leuders, T<strong>im</strong>o, 79117 Freiburg t<strong>im</strong>o@leuders.net<br />

Löffler, Rainer, 97082 Würzburg admin@gymnasium-marktbreit.de<br />

Ludwig, Matthias, 88250 Weingarten ludwig@ph-weingarten.de<br />

Maaß, Katja, 79117 Freiburg katjamaass@aol.com<br />

Mann, Markus, 97074 Würzburg mmann@web.de<br />

Manthey, Hasso B., 14163 Berlin hasso.b.manthey@t-online.de<br />

Martignon, Laura, 71634 Ludwigsburg martignon_laura@ph-ludwigsburg.de<br />

Mechling, Roland, 77654 Offenburg roland@mechling.de<br />

Meier, Andreas, 92637 Weiden a.meier.wen@t-online.de<br />

Motzer, Renate, 86159 Augsburg renate.motzer@gmx.de<br />

Müller, Michael, 97074 Würzburg muellerm@cip.physik.uni-wuerzburg.de<br />

Münchenbach, Carsten, 79312 Emmendingen carsten@muenchenbach.de<br />

Nestle, Fritz, 89073 Ulm nestle1@t-online.de<br />

Neveling, Rolf, 42281 Wuppertal neveling.rg@wtal.de<br />

Niederdrenk-Felgner, Cornelia, 72622 Nürtingen niederdrenk@fh-nuertingen.de<br />

Oldenburg, Reinhard, 37085 Göttingen roldenburg@gmx.de<br />

Pallack, Andreas, 59494 Soest andreas.pallack@mail.lfs.nrw.de<br />

Pieper-Seier, Irene, 26111 Oldenburg irene.pieper.seier@uni-oldenburg.de<br />

Richter, Karin, 06120 Halle richter@mathematik.uni-halle.de<br />

Schmid, Fortunat, CH-8006 Zürich fschmid@hlm.unizh.ch<br />

Schmidt, Reinhard, 02828 Görlitz r.schmidt@sz-online.de<br />

Schmidt-Thieme, Barbara, 71634 Ludwigsburg schmidtthieme@ph-ludwigsburg.de<br />

Schödel, Thomas, 06667 Weißenfels tschoedel@t-online.de<br />

Schulz, Wolfgang, 10099 Berlin wschulz@mathematik.hu-berlin.de<br />

Schumann, Heinz, 88250 Weingarten schumann@ph-weingarten.de<br />

Steinweg, Anna Susanne, 96047 Bamberg anna.steinweg@ppp.uni-bamberg.de<br />

Thies, Silke, 65520 Bad Camberg thies.silke@t-online.de<br />

Thode, Reinhold, 24768 Rendsburg reinhold.thode@t-online.de<br />

Tschacher, Karel, 91054 Erlangen tschacher@mi.uni-erlangen.de<br />

Völkl, Christina, 97070 Würzburg mail@christinavoelkl.de<br />

Vogel, Rose, 71634 Ludwigsburg vogel_rose@ph-ludwigsburg.de<br />

Weigand, Hans-Georg, 97074 Würzburg weigand@mathematik.uni-wuerzburg.de<br />

Weigel, Wolfgang, 97074 Würzburg wgweigel@cip.physik.uni-wuerzburg.de<br />

Weissbach, Roland noten@roland-weissbach.de<br />

Weitendorf, Jens, 22850 Norderstedt jens.weitendorf@hansenet.de<br />

Weth, Thomas, 90478 Nürnberg tsweth@ewf.uni-erlangen.de<br />

Winter, Kathrin, 31141 Hildeshe<strong>im</strong> winter@cs.uni-hildeshe<strong>im</strong>.de<br />

Wittmann, Gerald, 73525 Schwäbisch Gmünd gerald.wittmann@ph-gmuend.de<br />

Wolff, Klaus-Peter, 76744 Wörth klaus.p.wolff@t-online.de<br />

Xylander, Bert, 06120 Halle bert.xylander@chemie.uni-halle.de<br />

Zseby, Siegfried, 10825 Berlin zseby@fhw-berlin.de<br />

233

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