Von der Illusion zur Kollision: Der Russland-Schock
Mit dem Ukraine-Krieg hat das Verhältnis Russlands zum Westen einen neuerlichen Tiefpunkt erreicht. Knapp unterhalb der Schwelle des eigenen Kriegseintritts haben sich die Regierungen der NATO- und EU-Staaten unisono auf die Seite der Ukraine gestellt. Mit scharfen Worten, schweren Waffen und großen Krediten. Die Lautstärke und Geschlossenheit, mit der im Westen die russische Invasion verurteilt wird, lässt Wesentliches außen vor: erstens die tieferen Konfliktursachen, zweitens die geopolitischen Eigenschaften der russischen Großmacht und drittens die Notwendigkeit einer europäischen Sicherheitsordnung unter Einschluss Russland. Ohne tieferes Verständnis des langen Weges in den Krieg und der Versäumnisse, einer solchen Eskalation entgegenzuwirken, verharrt der Westen bei der unrealistischen Vorstellung eines Siegfriedens für die Ukraine. Gleichermaßen wirklichkeitsfremd war und ist es, dass Russland die geopolitischen Traditionen seiner Großmachtrolle in Osteuropa ablegt. Seit dem Zarenreich haben sich alle russischen Regierungen - bis auf die schwächsten unter ihnen - darum bemüht, die äußere Sicherheit des Riesenreiches über die Kontrolle größerer, den eigenen Grenzen vorgelagerter Räume zu erreichen. Diesen Anspruch kann man Russland bestreiten. Er bleibt aber als geopolitische Tatsache bestehen, solange Russland, zumal als Nuklearmacht existiert. Bevor der amtierende russische Präsident auf Konfrontation umschaltete, hat es bis in die 2010er Jahre hinein an Angeboten des Kreml zur europäischen Zusammenarbeit nicht gefehlt. Handelspolitisch ist die EU darauf nie eingegangen, bündnispolitisch hat die NATO ihr Vertragsgebiet mit militärischer Infrastruktur immer dichter an die russischen Grenzen herangeschoben. Bis zu der von Moskau als Bedrohung wahrgenommenen Bereitschaft, auch die Ukraine in die US-geführte Allianz aufzunehmen. Neben beiderseitigen ukrainisch-russischen Provokationen hat mit der fortgesetzten Ausdehnung der NATO der eigentliche Bruch Russlands mit dem Westen stattgefunden. Einstweilen mit Unvereinbarkeiten, die ohne irgendeine Berücksichtigung russischer Sicherheitsbedürfnisse weder die Ukraine befrieden noch Europa vor anhaltenden Spannungen bewahren werden.
Mit dem Ukraine-Krieg hat das Verhältnis Russlands zum Westen einen neuerlichen Tiefpunkt erreicht. Knapp unterhalb der Schwelle des eigenen Kriegseintritts haben sich die Regierungen der NATO- und EU-Staaten unisono auf die Seite der Ukraine gestellt. Mit scharfen Worten, schweren Waffen und großen Krediten. Die Lautstärke und Geschlossenheit, mit der im Westen die russische Invasion verurteilt wird, lässt Wesentliches außen vor: erstens die tieferen Konfliktursachen, zweitens die geopolitischen Eigenschaften der russischen Großmacht und drittens die Notwendigkeit einer europäischen Sicherheitsordnung unter Einschluss Russland. Ohne tieferes Verständnis des langen Weges in den Krieg und der Versäumnisse, einer solchen Eskalation entgegenzuwirken, verharrt der Westen bei der unrealistischen Vorstellung eines Siegfriedens für die Ukraine. Gleichermaßen wirklichkeitsfremd war und ist es, dass Russland die geopolitischen Traditionen seiner Großmachtrolle in Osteuropa ablegt. Seit dem Zarenreich haben sich alle russischen Regierungen - bis auf die schwächsten unter ihnen - darum bemüht, die äußere Sicherheit des Riesenreiches über die Kontrolle größerer, den eigenen Grenzen vorgelagerter Räume zu erreichen. Diesen Anspruch kann man Russland bestreiten. Er bleibt aber als geopolitische Tatsache bestehen, solange Russland, zumal als Nuklearmacht existiert. Bevor der amtierende russische Präsident auf Konfrontation umschaltete, hat es bis in die 2010er Jahre hinein an Angeboten des Kreml zur europäischen Zusammenarbeit nicht gefehlt. Handelspolitisch ist die EU darauf nie eingegangen, bündnispolitisch hat die NATO ihr Vertragsgebiet mit militärischer Infrastruktur immer dichter an die russischen Grenzen herangeschoben. Bis zu der von Moskau als Bedrohung wahrgenommenen Bereitschaft, auch die Ukraine in die US-geführte Allianz aufzunehmen. Neben beiderseitigen ukrainisch-russischen Provokationen hat mit der fortgesetzten Ausdehnung der NATO der eigentliche Bruch Russlands mit dem Westen stattgefunden. Einstweilen mit Unvereinbarkeiten, die ohne irgendeine Berücksichtigung russischer Sicherheitsbedürfnisse weder die Ukraine befrieden noch Europa vor anhaltenden Spannungen bewahren werden.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
14
Minsk I und II waren insofern nur Durchgangsstationen für die
große Auseinandersetzung. Und in der prallen die Standpunkte der
beiden Konfliktparteien unvereinbar aufeinander. Für den russischen
Präsidenten waren die Verhandlungen im belarussischen Minsk vom
September 2014 und Februar 2015 eine Nagelprobe. Dafür, wie weit
die beiden NATO-Staaten Deutschland und Frankreich die Ukraine
zu Zugeständnissen an Russland veranlassen, mithin Moskau
entgegenkommen. Dazu demonstrierte Putin seine Entschlossenheit,
es ernst zu meinen und sich mit weniger als der Autonomie der abtrünnigen
Republiken unter russischem Schutz kaum zufrieden zu geben. Dabei
dürften Merkel und Hollande eines klar geworden sein: Putin lotete
aus, inwieweit der Westen dulden und nachgeben würde, wenn
Moskau dazu schritte, die Abtrennung der Teilrepubliken und der Krim
lediglich als pars pro toto dafür zu betrachten, die gesamte Ukraine als
Pufferzone zu neutralisieren. Notfalls mit Gewalt.
Der damalige ukrainische Präsident Poroschenko zielte auf das
genaue, unvermittelbare Gegenteil: Rückzug Russlands aus dem
Donezbecken, Rückgewinnung der Krim, NATO- und EU-Mitgliedschaft
der Ukraine mit uneingeschränkter Beistandsgarantie so bald wie möglich.
An diesen Maximalforderungen haben auch alle nachfolgenden
Regierungen Kiews festgehalten. In Minsk hielten Deutschland und
Frankreich dazu noch Abstand, wollten sich nicht vollständig in die
Opferrolle der Ukraine einwickeln lassen. Mit dem berechtigten Unbehagen,
was ansonsten als Totalschaden der europäischen Beziehungen zu
Russland eintreten würde.
Zumindest ließ sich der Ukraine die Bereitschaft abringen, Abstimmungen
für mehr Unabhängigkeit in den beiden Republiken
mit überwiegend russischstämmiger Bevölkerung abzuhalten. Allerdings
so unverbindlich, dass Russland die vereinbarte Waffenruhe nicht
konsequent umsetzte bzw. gegen Verstöße nicht einschritt. Danach