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Ronny muss zur Volksarmee« Die Garnisonstadt Rathenow ... - MGFA

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Heft 1/2007<br />

C 21234 ISSN 0940 - 4163<br />

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Militärgeschichte im Bild: »Operation Libelle«. <strong>Die</strong> Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Albanien am 14. März 1997<br />

»<strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong> <strong>zur</strong> <strong>Volksarmee«</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Garnisonstadt</strong> <strong>Rathenow</strong><br />

1733 bis 1806<br />

Der Schlieffenplan<br />

Gernika, 26. April 1937<br />

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Militärgeschichtliches<br />

Forschungsamt 1957–2007<br />

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Impressum<br />

Militärgeschichte<br />

Zeitschrift für historische Bildung<br />

Herausgegeben<br />

vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt<br />

durch Oberst Dr. Hans Ehlert und<br />

Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.)<br />

Produktionsredakteur<br />

der aktuellen Ausgabe:<br />

Mag. phil. Michael Thomae<br />

Redaktion:<br />

Oberleutnant Julian-André Finke M.A. (jf)<br />

Hauptmann Matthias Nicklaus M.A. (mn)<br />

Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)<br />

Mag. phil. Michael Thomae (mt)<br />

Bildredaktion:<br />

Dipl.-Phil. Marina Sandig<br />

Redaktionsassistenz:<br />

Stefan Stahlberg, Cand. Phil. (StS)<br />

Lektorat:<br />

Dr. Aleksandar-S. Vuletić<br />

Layout/Grafik:<br />

Maurice Woynoski<br />

Karten:<br />

Bernd Nogli<br />

Anschrift der Redaktion:<br />

Redaktion »Militärgeschichte«<br />

Militärgeschichtliches Forschungsamt<br />

Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam<br />

E-Mail: <strong>MGFA</strong>RedaktionMilGeschichte@<br />

bundeswehr.org<br />

Telefax: 03 31 / 9 71 45 07<br />

Homepage: www.mgfa.de<br />

Manuskripte für die Militärgeschichte werden<br />

an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte wird nicht gehaftet.<br />

Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt<br />

der Herausgeber auch das Recht <strong>zur</strong> Veröffentlichung,<br />

Übersetzung usw. Honorarabrechnung<br />

erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. <strong>Die</strong> Redaktion<br />

behält sich Kürzungen eingereichter<br />

Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise,<br />

fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung<br />

sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung<br />

durch die Redaktion und mit Quellenangaben<br />

erlaubt. <strong>Die</strong>s gilt auch für die Aufnahme<br />

in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen<br />

auf CD-ROM. <strong>Die</strong> Redaktion hat keinerlei<br />

Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte<br />

derjenigen Seiten, auf die in dieser Zeitschrift<br />

durch Angabe eines Link verwiesen wird. Deshalb<br />

übernimmt die Redaktion keine Verantwortung<br />

für die Inhalte aller durch Angabe einer<br />

Linkadresse in dieser Zeitschrift genannten<br />

Seiten und deren Unterseiten. <strong>Die</strong>ses gilt für<br />

alle ausgewählten und angebotenen Links und<br />

für alle Seiteninhalte, zu denen Links oder Banner<br />

führen.<br />

© 2007 für alle Beiträge beim<br />

Militärgeschichtlichen Forschungsamt (<strong>MGFA</strong>)<br />

Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber<br />

ermittelt worden sein, bitten wir ggf. um Mitteilung.<br />

Druck:<br />

SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden<br />

ISSN 0940-4163<br />

Editorial<br />

in Thomas Brussigs Roman »Am kürzeren Ende<br />

der Sonnenallee« fordert Mutter Kuppisch ihren<br />

Sohn Bernd auf, von der NVA zu erzählen. Bernd<br />

sagt unter anderem: »Wer putscht, kriegt Hütte<br />

weiß. Der E schaukelt sich die Eier, und wenn<br />

so’n Buffi kommt, so’n Tagesack, der ‘n ganzen<br />

Container mit sich rumschleppt und sich feiern<br />

läßt [...] dem zeigt der E sein Maß und läßt’n wegtreten«.<br />

Er beschreibt in einer unverständlichen,<br />

informellen Sprache Zustände in dieser Armee,<br />

die nicht unbedingt ihrer offiziellen Außendarstellung entsprachen. <strong>Die</strong><br />

Kenntnis und Verwendung dieser inoffiziellen Soldatensprache wie der offiziellen<br />

Militärsprache war aber gerade für die Wehrpflichtigen wichtig,<br />

die gezwungen waren, sich im Truppenalltag <strong>zur</strong>echtzufinden, der teilweise<br />

von massiven Einschränkungen geprägt war.<br />

Geschlossene Gesellschaften, zu der das Militär leicht werden kann, aber<br />

auch Herrschaftssysteme prinzipiell verwenden eigene Sprachen. In der<br />

NVA trafen ein Unrechtssystem und seine Sprache auf Drill und (Sprach-)<br />

Reglement des Militärs. Beide ließen einen informellen Sprachcode der Soldaten<br />

entstehen.<br />

Junge Männer gelangten jedoch keineswegs politisch unbeeinflusst zum<br />

Wehrdienst. <strong>Die</strong> Führung der DDR versuchte, ihre Soldaten ideologisch zu<br />

formen. <strong>Die</strong>s begann bereits im Kindes- und Jugendalter: So sangen Mädchen<br />

und Jungen im Kindergarten am 1. März, dem Tag der NVA, für die<br />

Soldaten Lieder. In der DDR-Kinderzeitschrift »Bummi« finden sich Beispiele<br />

dafür: »Wenn die Volksarmeesoldaten / in der Stadt marschieren / winken<br />

alle Kinder fröhlich / wollen‘s auch probieren [...]«. <strong>Die</strong> militärische Sozialisation<br />

setzte sich fort in der »Gesellschaft für Sport und Technik« und in<br />

der FDJ. Anhand einer fiktiven Biografie zeichnet Matthias Rogg das Leben<br />

eines jungen DDR-Bürgers nach, der nach all den Stationen »sozialistischer<br />

Wehrhaftmachung« in der NVA landet.<br />

Am 26. April 1937 wurde die baskische Stadt Gernika von deutschen und<br />

italienischen Flugzeugen bombardiert und fast vollständig zerstört. Gernika<br />

gilt – nicht zuletzt durch das berühmte Gemälde »Guernica« von Pablo<br />

Picasso – als Symbol des Luftterrors schlechthin. Klaus A. Maier beschäftigt<br />

sich seit Jahrzehnten mit allen Aspekten des Luftkrieges einschließlich Gernika.<br />

Er analysiert den Luftangriff aufgrund neuer Quellenfunde, beleuchtet<br />

dessen Hintergründe und Zielsetzungen und bezieht die einschlägigen Bestimmungen<br />

des Völkerrechtes in seine Überlegungen mit ein.<br />

War der von Alfred Graf von Schlieffen 1905/06 vorgelegte Plan, dem seine<br />

Ansprüche in Hinblick auf »höchste Führungskunst« zugrunde lagen (die<br />

doppelseitige Umfassung und anschließende Vernichtung des Gegners),<br />

Siegesrezept oder Notlösung? <strong>Die</strong>se Frage stellt in einem weiteren Beitrag<br />

Gerhard P. Groß. Anlass für seinen Beitrag bietet ein amerikanischer Historiker,<br />

der neuerdings die bisher allgemein anerkannte Deutung des Schlieffenplans<br />

radikal infrage gestellt hat.<br />

Schließlich widerlegt Carmen Winkel die lange Zeit vorherrschende wissenschaftliche<br />

Meinung vom sozial geächteten und geknechteten frühneuzeitlichen<br />

Soldaten am Beispiel einer kleinen brandenburgischen <strong>Garnisonstadt</strong>.<br />

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich eine gewinnbringende Lektüre des<br />

aktuellen Heftes.<br />

Ihr Michael Thomae


Rechtevermerk Logo »Strategie« S. 14:<br />

Montage unter Verwendung eines Fotos<br />

von bpk/Antikensammlung/Fotograf:<br />

Jürgen Liepe<br />

»<strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong> <strong>zur</strong> <strong>Volksarmee«</strong><br />

Militär und Gesellschaft<br />

in der DDR<br />

Dr. Matthias Rogg,<br />

geboren 1963 in Wittmund, Oberstleutnant<br />

und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am <strong>MGFA</strong>,<br />

Potsdam<br />

Soldaten im Bürgerhaus:<br />

<strong>Die</strong> <strong>Garnisonstadt</strong><br />

<strong>Rathenow</strong> 1733 bis 1806<br />

Carmen Winkel M.A.,<br />

geboren 1979 in Brandenburg an der Havel,<br />

Historikerin<br />

Strategie<br />

Der Schlieffenplan:<br />

Siegesrezept oder Notlösung?<br />

Dr. Gerhard P. Groß,<br />

geboren 1958 in Mainz,<br />

Oberstleutnant und Wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter am <strong>MGFA</strong>, Potsdam<br />

<strong>Die</strong> Zerstörung Gernikas<br />

am 26. April 1937<br />

Dr. Klaus A. Maier,<br />

geboren 1940 in Friedrichshafen,<br />

Historiker<br />

4<br />

10<br />

14<br />

18<br />

Inhalt<br />

Service<br />

Das historische Stichwort:<br />

Wehrpflicht in Deutschland<br />

nach 1945<br />

Medien online/digital<br />

Lesetipp<br />

Ausstellungen<br />

Geschichte kompakt<br />

Militärgeschichte<br />

im Bild<br />

23<br />

24<br />

26<br />

28<br />

30<br />

»Operation Libelle«.<br />

<strong>Die</strong> Evakuierung deutscher<br />

Staatsangehöriger aus Albanien<br />

am 14. März 1997 31<br />

Im März 1997 war die staatliche Ordnung in<br />

Albanien zusammengebrochen, die Evakuierung<br />

der deutschen Staatsbürger durch Bundeswehrsoldaten<br />

war unumgänglich. Im Bild:<br />

Bundeswehrsoldaten und ein Transporthubschrauber<br />

CH 53 sichern am Nachmittag des<br />

14. März 1997 das Gelände auf einem Militärflugplatz<br />

in Tirana während eines Schusswechsels.<br />

<strong>Die</strong> Aufnahme der rund 100 nichtalbanischen<br />

Staatbürger in die Hubschrauber,<br />

darunter 21 Deutsche, ist nach knapp 30 Minuten<br />

abgeschlossen.<br />

Foto: AP<br />

Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />

Dr. Dorothee Hochstetter, Berlin,<br />

Historikerin;<br />

Hauptmann Dr. Thorsten Loch,<br />

Kompaniechef 8./Wachbataillon beim<br />

BMVg;<br />

Oberstleutnant d.R. Dr. Martin Rink,<br />

Potsdam, Historiker


Foto: Gerald Ramcke<br />

»<strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong> <strong>zur</strong> <strong>Volksarmee«</strong><br />

»<strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong> <strong>zur</strong> <strong>Volksarmee«</strong><br />

Militär und Gesellschaft in der DDR<br />

4 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

<strong>Die</strong> nachfolgende Geschichte hat sich so nie ereignet.<br />

<strong>Die</strong> Personen und Namen sind frei erfunden.<br />

Aber sie könnte so verlaufen sein, irgendwann<br />

in den 1980er Jahren, irgendwo in der DDR.<br />

<strong>Die</strong> hier beschriebenen Ereignisse und Erfahrungen<br />

sind verdichtete Lebenswirklichkeit, die sich in ungezählten<br />

Akten und Zeitzeugengesprächen niedergeschlagen<br />

hat. Viele DDR-Biografien sind ähnlich<br />

verlaufen. Alle beschriebenen Details würden einer<br />

wissenschaftlichen Überprüfung jederzeit standhalten.<br />

<strong>Die</strong> Rahmenhandlung spiegelt ein Stück deutscher<br />

Militärgeschichte, das noch gar nicht so weit<br />

<strong>zur</strong>ückliegt, für die meisten aber schon eine abgeschlossene<br />

Vergangenheit bildet. <strong>Die</strong> Rede ist von<br />

der fast vergessenen Armee der DDR, der Nationalen<br />

Volksarmee, und ihren Soldaten.<br />

� Jugendliche, ausgestattet mit<br />

Luftdruckgewehren, bei einer<br />

Exerzierübung der »Gesellschaft für<br />

Sport und Technik«, 1970er Jahre.


<strong>Die</strong> Hauptperson der folgenden<br />

Geschichte heißt <strong>Ronny</strong><br />

Karow, geboren 1967, aufgewachsen<br />

in Wolfen im damaligen<br />

Be zirk Halle, heute südliches Sachsen-Anhalt.<br />

Seine Heimatstadt war<br />

ein hässlicher Industriestandort im<br />

»Chemiedreieck« der DDR, in dessen<br />

Kombinat über 15 000 Menschen<br />

Arbeit fanden. <strong>Die</strong> hier hergestellten<br />

Filme der Filmfabrik »ORWO« (Original<br />

Wolfen) sollte <strong>Ronny</strong> kurz nach<br />

der Wende in einem westdeutschen<br />

Supermarkt wiederfinden.<br />

Sozialistische Wehrerziehung<br />

<strong>Ronny</strong> war ein ganz normaler, eher<br />

unauffälliger Schüler. Er interessierte<br />

sich früh für Motorsport und wurde so<br />

auf die Angebote der »Gesellschaft für<br />

Sport und Technik« (GST) aufmerksam.<br />

Hinter dem unverdäch tigen Namen<br />

verbarg sich die größte paramilitärische<br />

Organisation der DDR, die Ende der<br />

1980er Jahre knapp 640 000 Mitglieder<br />

zählte. Ihre Hauptaufgabe bestand in<br />

der »Sozialistischen Wehrerziehung«:<br />

der mentalen, physischen und praktischen<br />

Wehrhaftmachung. Mit attraktiven<br />

Angebo ten, die vom Motorradfahren<br />

bis zum Segelfliegen reichten,<br />

weckte die GST das Interesse der Jugendlichen.<br />

Da die Freizeitangebote in<br />

Wolfen beschränkt waren, hatte die<br />

GST großen Zulauf. <strong>Die</strong> meisten GST-<br />

Ausbilder waren ehemalige Zeit- und<br />

Berufssol daten der NVA. Ein Rahmenprogramm<br />

aus »Ordnungsübun gen«<br />

(die Formalaus bildung), Ge län de spielen<br />

und Schießausbildung sorgte dafür,<br />

dass der paramilitärische Anteil<br />

nicht zu kurz kam. <strong>Die</strong> äußeren Zwänge<br />

störten <strong>Ronny</strong> nicht. Er genoss die<br />

Zeit mit Gleichgesinnten seines Alters,<br />

hatte besondere Freude am Schießen<br />

und durfte schließlich die Fahrerlaubnis<br />

für PKW ablegen.<br />

Während seiner gesamten Kindheit<br />

war die Anwesenheit von Militärischem<br />

etwas Normales. Schon im Kindergarten<br />

kamen die Soldaten regelmäßig<br />

am 1. März, dem »Tag der NVA«, zu<br />

Besuch und wurden mit Kuchen und<br />

lustigen Liedern begrüßt: »Wenn ich<br />

groß bin, gehe ich <strong>zur</strong> Volksarmee.« In<br />

der Schule setzte sich dieses Verhältnis<br />

fort. Im Deutschunterricht lasen<br />

<strong>Ronny</strong> und seine Klassenkameraden<br />

zum Beispiel Geschichten von Solda-<br />

ten, die ihre Heimat schützten, und in<br />

Geometrie wurden Winkelfunktionen<br />

anhand von Geschossflugbahnen der<br />

Artillerie berechnet. Beim Schulsport<br />

unterschieden sich die Rituale beim<br />

Antreten und bei der Meldung kaum<br />

von denen der GST. An hohen sozialistischen<br />

Feiertagen bastelten die Kinder<br />

kleine Geschenke und malten Bilder<br />

als »Grußadressen« für die Soldaten.<br />

Das Militär war im Unterricht nicht<br />

ständig präsent, aber es gehörte wie<br />

selbstverständlich dazu.<br />

� Werbeplakat der »Gesellschaft für<br />

Sport und Technik«, 1982, auf dem<br />

verschiedene »Sportarten« der GST<br />

dargestellt sind.<br />

25 Jahre bei der NVA?<br />

Das änderte sich ab der 8. Klasse. Im<br />

Februar nahm <strong>Ronny</strong>, wie die meisten<br />

seiner Klassenkameraden, an den<br />

Hans-Beimler-Wettkämpfen teil, einem<br />

paramilitärischen Geländeparcours,<br />

der mit dem zehn Kilometer langen<br />

»Marsch der Bewährung« abschloss.<br />

In dieser Zeit sprach die Klassenlehrerin<br />

<strong>Ronny</strong> mehrmals an, ob er nicht<br />

Interesse daran hätte, später einmal<br />

Berufssoldat zu werden. Seine sportlichen<br />

Leistungen und sein Engagement<br />

in der GST empfahlen ihn dafür.<br />

Außerdem kam er aus einem »guten«<br />

Elternhaus, in dem beide Elternteile<br />

in der Produktion arbeiteten und sich<br />

gesellschaftlich engagierten: die Mutter<br />

beim Freien Deutschen Gewerkschaftsbund<br />

(FDGB) und der Vater<br />

SAPMO-BArch, PlakY 6/182<br />

bei den »Kampfgruppen der Arbeiterklasse«,<br />

einer bewaffneten Werksmiliz.<br />

<strong>Ronny</strong> träumte davon, später einmal<br />

Ingenieur zu werden und Motoren<br />

zu bauen. Aber er war kein herausragender<br />

Schüler. Vor allem die 3 in<br />

Deutsch gefährdete die Empfehlung<br />

für die Erweiterte Oberschule (EOS),<br />

die den Weg zum Abitur öffnete. <strong>Die</strong><br />

Lehrerin versprach <strong>Ronny</strong> Nachhilfe<br />

in der Schule und sogar individuelle<br />

Förderung, wenn er sich rasch für eine<br />

Karriere bei der Volksarmee entscheiden<br />

würde, aber er zögerte. In der<br />

9. und 10. Klasse nahm die Agitation zu.<br />

Im obligatorischen Schulfach »Wehrunterricht«<br />

und dem verpflichtenden<br />

»Wehrausbildungslager« der GST leistete<br />

<strong>Ronny</strong> insgesamt 130 Stunden ab.<br />

Am Ende der 9. Klasse besuchte ein<br />

Offizier vom benachbarten Wehrkreiskommando<br />

aus Bitterfeld <strong>Ronny</strong> zu<br />

Hause. Er sprach von den Vorteilen bei<br />

der Armee, der guten Bezahlung, einer<br />

interessanten Ausbildung und einer<br />

sinnvollen und notwendigen Tätigkeit.<br />

Obwohl er vorher nicht mit <strong>Ronny</strong><br />

gesprochen hatte, kannte er sein<br />

Notenbild, wusste von seinen Schwächen<br />

und seinen Interessen. Der Major<br />

wirkte sehr souverän und beeindruckte<br />

<strong>Ronny</strong>. Als der Offizier schließlich<br />

sagte: »Gerade jetzt, wo die Welt ständig<br />

am Rande eines Atomkriegs steht,<br />

gibt es nichts Wichtigeres als die Sicherung<br />

des Friedens«, willigte <strong>Ronny</strong><br />

ein. Am nächsten Tag unterschrieb er<br />

eine Verpflichtungserklärung für 25<br />

Jahre bei der NVA. <strong>Ronny</strong> war gerade<br />

15 geworden.<br />

In der Klasse machte seine Berufsentscheidung<br />

schnell die Runde. <strong>Die</strong><br />

Klassenlehrerin präsentierte ihn als<br />

ge sellschaftliches Vorbild, übertrug<br />

ihm kleine Ordnungsaufgaben im<br />

Klas senrahmen und appellierte nun<br />

immer öfter an seine Vorbildfunktion.<br />

Das war ihm oft peinlich und<br />

manche Klassenkameraden schnitten<br />

ihn deswegen. <strong>Die</strong> Nachhilfe machte<br />

sich bezahlt, und <strong>Ronny</strong> hatte das<br />

Gefühl, einige Male sogar besser bewertet<br />

zu werden, als es seinem wirklichen<br />

Leistungsbild entsprach. Am<br />

Ende der 10. Klasse gehörte er zu<br />

den zwei Glücklichen, die <strong>zur</strong> EOS<br />

delegiert wurden und damit den Weg<br />

zum Abitur einschlagen konnten. <strong>Die</strong><br />

gesellschaftlichen Verpflichtungen nahmen<br />

jetzt zu, denn <strong>Ronny</strong> war nun<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

5


»<strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong> <strong>zur</strong> <strong>Volksarmee«</strong><br />

� Werbeplakat der NVA, 1983.<br />

auch Mitglied im »Bewerberkollektiv<br />

für militärische Berufe«, einer Gruppe<br />

von 20 Gleichaltrigen der Freien<br />

Deutschen Jugend (FDJ). Neben militärpolitischen<br />

Agitationen veranstaltete<br />

das »Bewerberkollektiv« attraktive<br />

Ausflüge. <strong>Die</strong> Jugendlichen besuchten<br />

das Armeemuseum der DDR in Dresden<br />

und fuhren für zwei Tage nach<br />

Leipzig auf die »Messe der Meister<br />

von Morgen«.<br />

6 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

In dieser Zeit verliebte sich <strong>Ronny</strong>.<br />

Seine Freundin Mandy besuchte<br />

ebenfalls die EOS und wollte später<br />

Medizin studieren. Beide spürten, es<br />

war mehr als eine Jugendliebe. Nur<br />

vor <strong>Ronny</strong>s Berufsentscheidung hatte<br />

Mandy Angst. Durch ihren Freund<br />

wurde sie hellhörig für alles, was mit<br />

Militär zu tun hatte. Während ihr Vater<br />

nicht in der Nationalen Volksarmee<br />

gedient hatte, hörte sie von ihrem älte-<br />

ren Bruder nur wenig Gutes. Er sprach<br />

sehr abfällig über seine Zeit bei der<br />

NVA, die er vielsagend als »Asche«<br />

bezeichnete. Auch <strong>Ronny</strong> beschlich ein<br />

befremdliches Gefühl, ob seine frühe<br />

Berufsentscheidung richtig war. Bei<br />

einem Besuch seiner Schulklasse in<br />

der Filmfabrik Wolfen tauschte er sich<br />

in einer Pause mit ehemaligen Wehrpflichtigen<br />

aus. <strong>Die</strong> Reservisten bestätigten<br />

das negative Urteil über die Zeit<br />

SAPMO-BArch, PlakY 6/1362


ei der NVA. <strong>Die</strong> meisten berichteten,<br />

wie sie unter der langen Trennung von<br />

Freunden und Familie und der Willkür<br />

der Vorgesetzten gelitten hätten. Hier,<br />

im Kollektiv des Kombinats, hätten<br />

die Kollegen schon auf ihre Rückkehr<br />

gewartet. In der chemischen Industrie<br />

würden sie kaum weniger als bei der<br />

Armee verdienen. Manches von dem,<br />

was die Reservisten erzählten, klang<br />

übertrieben, aber vieles schien eben<br />

auch glaubwürdig.<br />

Soldaten von morgen?<br />

Kurz nach Vollendung des 18. Lebensjahrs<br />

erhielt <strong>Ronny</strong> vom Wehrkreiskommando<br />

Bitterfeld die Aufforderung,<br />

<strong>zur</strong> Musterung zu erscheinen.<br />

Als Zeichen seiner politischen Gesinnung<br />

kam er im blauen Hemd der<br />

FDJ. Alle Untersuchungen verliefen<br />

routinemäßig, bis er vor der Musterungskommission<br />

erschien und seine<br />

Bewerbung plötzlich <strong>zur</strong>ückzog. Der<br />

Vorsitzende der Musterungskommission<br />

versuchte es erst mit freundlichen<br />

Worten und redete lange auf ihn ein.<br />

Er appellierte an <strong>Ronny</strong>s Gewissen,<br />

seine Pflicht <strong>zur</strong> Dankbarkeit gegenüber<br />

dem Staat und drohte schließlich,<br />

dass sein Entschluss auch für die<br />

Eltern Konsequenzen haben könnte.<br />

Aber <strong>Ronny</strong>s Entscheidung stand fest.<br />

Er verwies auf das Datum seiner Verpflichtungserklärung:<br />

<strong>Die</strong> Unterschrift<br />

eines Fünfzehnjährigen war auch in<br />

der DDR nicht rechtskräftig. <strong>Ronny</strong><br />

äußerte noch den Wunsch, möglichst<br />

heimatnah eingesetzt zu werden, am<br />

besten als Kraftfahrer oder bei einer<br />

Instandsetzungseinheit.<br />

Der junge Mann war erleichtert und<br />

mit ihm seine Freundin. Er verließ das<br />

Bewerberkollektiv, genauso wie noch<br />

vier andere aus seiner Gruppe. Im Mai<br />

des darauffolgenden Jahres, unmittelbar<br />

vor Abschluss des Abiturs, erhielt<br />

<strong>Ronny</strong> ein Einschreiben mit Ort und<br />

Zeitpunkt für den Sammeltransport<br />

und der Adresse des neuen <strong>Die</strong>nstortes<br />

– Laufbahn: Mot.-Schützen, <strong>Die</strong>nstort:<br />

Drögeheide. <strong>Ronny</strong> hatte noch nie<br />

von diesem Ort gehört und war enttäuscht,<br />

dass sich seine Hoffnungen<br />

nicht erfüllt hatten. Ähnlich ging es<br />

vielen seiner Klassenkameraden. Um<br />

sicher einen Studienplatz zu bekommen,<br />

hatten sich viele für drei Jahre<br />

als Unteroffizier auf Zeit verpflichtet.<br />

<strong>Die</strong> Verwendungswünsche, die sie bei<br />

der Verpflichtung angegeben hatten,<br />

fanden aber nur bei den wenigsten<br />

Berücksichtigung. Ein guter Freund<br />

von <strong>Ronny</strong> hatte sich nur unter der<br />

Maßgabe verpflichtet, für drei Jahre<br />

<strong>zur</strong> Volksmarine gehen zu können.<br />

Jetzt war er bei den den Pionieren in<br />

Hagenow eingeplant. Für eine Eingabe<br />

war es zu spät, außerdem wussten<br />

die »Soldaten von morgen« gar nicht,<br />

an wen sie ihre Beschwerde hätten<br />

richten müssen. <strong>Die</strong> bunten Informationsmaterialen,<br />

die sie im Wehrunterricht<br />

und im Wehrkreiskommando<br />

erhalten hatten, gaben darüber keine<br />

Auskunft.<br />

»I see a bad moon rising,<br />

I see trouble on the way«<br />

Am Tag des <strong>Die</strong>nstantritts fuhr <strong>Ronny</strong><br />

früh morgens mit einem überfüllten<br />

Zug in den Norden der Republik. <strong>Die</strong><br />

Luft war alkoholgeschwängert, die<br />

Stimmung bei einigen aufgekratzt, bei<br />

den meisten gedrückt. Im Nachbarabteil<br />

wurden Lieder gegrölt: »I see<br />

a bad moon rising, I see trouble on<br />

the way« von Creedence Clearwater<br />

Revival ließ wenig Gutes erahnen.<br />

Am Bahnhof Pasewalk erwarteten sie<br />

bereits Offiziere, die <strong>zur</strong> Eile mahnten<br />

und die Wehrpflichtigen auf Lkw<br />

verfrachteten. <strong>Die</strong> Fahrt führte durch<br />

ein Waldgebiet, wo sich Fuchs und<br />

Hase gut‘ Nacht sagten. Als sich die<br />

Ladeluke öffnete, spürte <strong>Ronny</strong> sofort<br />

einen anderen Rhythmus und eine<br />

ungewohnte Lautstärke.<br />

Der Kommandeur der Ausbildungseinheit<br />

begrüßte sie im Mot.-Schützenregiment<br />

9 mit dem Ehrennamen<br />

»Max Renner«. <strong>Die</strong> Vorgesetzten waren<br />

energisch, barsch und erwarteten<br />

von den Neuen, dass sofort alles funktionierte.<br />

Kaum ein Satz kam ohne die<br />

Füllwörter »hier«, »dort« und »machen<br />

se« aus. <strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong>te sich schnell<br />

umstellen, denn jeder Schritt wurde<br />

hier befohlen. <strong>Die</strong> ersten Wochen waren<br />

körperlich sehr fordernd. Nicht<br />

der obligatorische 3000-m-Lauf jeden<br />

Morgen vor dem Frühstück, sondern<br />

die Gefechtsausbildung brachte selbst<br />

den guten Sportler an seine Grenzen.<br />

Vieles hatte sich <strong>Ronny</strong> ganz anders<br />

vorgestellt. <strong>Die</strong> Unterkünfte waren<br />

sauber, aber in einem heruntergekommenen<br />

Zustand. 100 Soldaten <strong>muss</strong>ten<br />

sich fünf Toiletten teilen. Noch schlimmer<br />

stand es bei den Duschen, die<br />

nur einmal in der Woche aufgesucht<br />

werden durften. Der strenge Geruch,<br />

den <strong>Ronny</strong> zu Anfang bei seinen Kameraden<br />

verspürte, fiel ihm nach einigen<br />

Wochen nicht mehr auf. Alle<br />

schimpften über die unbequeme Uniform<br />

und das wenig abwechslungsreiche<br />

und manchmal sogar unappetitlich<br />

zubereitete Essen. Während<br />

sich die Versorgung der Soldaten auf<br />

das Nötigste konzentrierte, standen<br />

die Gefechtsfahrzeuge in gepflegten<br />

und beheizten Hallen. <strong>Die</strong> intellektuellen<br />

Herausforderungen waren gering<br />

und die Regeln innerhalb des<br />

»Objekts«, wie die Kaserne genannt<br />

wurde, schnell zu lernen: Wer sich<br />

unterordnete, anpasste und funktionierte,<br />

brauchte von den Vorgesetzten<br />

nichts zu befürchten. Das galt auch für<br />

den langweiligen Politunterricht, von<br />

den Soldaten »Rotlichtbestrahlung«<br />

genannt, in dem nur Platz für ideologische<br />

Worthülsen, aber nicht für offene<br />

Diskussionen war.<br />

Geschlossene Gesellschaft<br />

Am meisten bedrückte <strong>Ronny</strong> das<br />

menschliche Miteinander. Der Umgang<br />

unter den Soldaten war schroff,<br />

und oft wurden die Wehrpflichtigen<br />

wegen Kleinigkeiten angebrüllt. Vor<br />

Überprüfungen spürten die Soldaten<br />

die Anspannung der Vorgesetzten. Um<br />

ein gutes Ergebnis zu erzielen, griffen<br />

sie zuweilen sogar zu unlauteren<br />

Mitteln. Während sich zu den jungen<br />

Unteroffizieren schnell ein kumpelhaftes<br />

Verhältnis entwickelte, blieben<br />

die Berufsunteroffiziere und Offiziere<br />

für die Wehrpflichtigen unnahbar. Vielen<br />

jüngeren Vorgesetzten fehlte es an<br />

persönlicher Autorität und praktischer<br />

Erfahrung, während die Älteren oft<br />

frustriert ihren <strong>Die</strong>nst versahen. Über<br />

das Gebaren der Berufsunteroffiziere<br />

und ihr Bildungsniveau machten sich<br />

vor allem die Soldaten mit höherem<br />

Bildungsabschluss lustig. Obwohl ein<br />

striktes Alkoholverbot innerhalb der<br />

Kaserne bestand, kam es immer wieder<br />

vor, dass die Vorgesetzten morgens<br />

angetrunken zum <strong>Die</strong>nst erschienen.<br />

Knapp die Hälfte der Berufskader in<br />

der Kompanie lebte ohne ihre Familie<br />

am Standort. <strong>Die</strong> meisten sahen Frau<br />

und Kinder nur im Abstand mehrerer<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

7


MHM, Dresden<br />

»<strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong> <strong>zur</strong> <strong>Volksarmee«</strong><br />

Einsatz in der Volkswirtschaft<br />

<strong>Die</strong> NVA war nicht nur das größte bewaffnete Organ der DDR, sie bildete auch das wichtigste Personal- und<br />

Materialreservoir für »volkswirtschaftliche Einsätze«. In den 1950er und 1960er Jahren gehörten dazu vor allem<br />

Ernteeinsätze, bei denen bis zu 20 000 Armeeangehörige die uneffektiven Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften<br />

unterstützten. Seit den 1960er Jahren begann die NVA schrittweise mit dem Einsatz von Pionieren<br />

für zivile Bauvorhaben. Allein in der Hauptstadt Berlin-Ost arbeiteten etwa 1000 Angehörige der Volksarmee auf<br />

diversen Baustellen, zum Beispiel beim Bau des »Palastes der Republik« oder bei der Erweiterung des berühmten<br />

Krankenhauses »Charité«. In den 1970er Jahren kamen Einsätze in der industriellen Produktion hinzu. In den<br />

Pionierbaubataillonen in Bitterfeld und Merseburg gingen die Soldaten morgens nicht zum Ausbildungs- oder<br />

Gefechtsdienst, sondern im Blaumann an die Werkbank. Mitte der 1980er Jahre stellten NVA und Grenztruppen<br />

diversen Industriezweigen ständig rund 10 000 Arbeitskräfte <strong>zur</strong> Verfügung. Das Ministerium für Nationale Verteidigung<br />

verdiente gut daran, denn für jede Arbeitsstunde berechnete man den Kombinaten 15 Mark. Nach Abzug<br />

der Kosten kamen von dieser Summe knapp zwei Drittel dem Verteidigungshaushalt zugute. <strong>Die</strong> wenigsten<br />

Soldaten wussten etwas von diesem Handel mit ihrer Arbeitskraft. <strong>Die</strong> wehrpflichtigen Soldaten beklagten, vom<br />

lukrativen Prämiensystem ausgeschlossen zu sein, während sich die Berufssoldaten mit dem ungewöhnlichen Aufgabenprofil<br />

nur schwer anfreunden konnten. Angesichts dieses Umgangs mit der Arbeitskraft der Soldaten waren<br />

die Forderungen nach der »Ständigen Gefechtsbereitschaft« nicht mehr glaubwürdig zu vermitteln.<br />

� Immer wieder neu aufgelegt<br />

wurden die Erlasse, die den<br />

Alkoholmissbrauch in der NVA<br />

eindämmen sollten. Hier abgebildet<br />

ein entsprechendes Plakat<br />

aus dem Jahre 1984.<br />

Der Befehl des Ministers für<br />

Nationale Verteidigung »30/74«<br />

wurde umgangssprachlich »15/37«<br />

genannt, weil sich höchstens die<br />

Hälfte der Armeeangehörigen<br />

daran gehalten habe.<br />

8 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

Wochen. <strong>Die</strong> Ledigenwohnheime waren<br />

so überfüllt, dass sich Offiziere oft<br />

ein Zimmer teilten.<br />

Der <strong>Die</strong>nst war fordernd und dauerte<br />

meist bis in die Abendstunden. <strong>Die</strong><br />

durchschnittliche Wochenarbeitszeit<br />

be trug 65 Stunden, und das Wochenende<br />

begann erst am Samstag Mittag.<br />

Da ständig mindestens 85 Prozent des<br />

gesamten Personals und Materials einsatzbereit<br />

sein <strong>muss</strong>ten, durfte nur ein<br />

geringer Teil der Armeeangehörigen<br />

die Kaserne verlassen. Im Nachbarbataillon<br />

wurden dennoch zwei Kompanien<br />

von heute auf morgen für drei<br />

Monate verlegt – wie es hieß, »<strong>zur</strong> Erfüllung<br />

eines volkswirtschaftlich wichtigen<br />

Auftrags«. Mehrmals im Monat<br />

fanden Alarmierungen statt, bei denen<br />

das gesamte Regiment binnen 20 Minuten<br />

in voller Bewaffnung abmarschbereit<br />

sein <strong>muss</strong>te. Aus diesem Grund<br />

wohnten die am Standort lebenden<br />

Offiziere mit ihren Familien fast ausschließlich<br />

in der »Militärsiedlung«<br />

direkt neben dem »Objekt«.<br />

Das größte Problem war für <strong>Ronny</strong><br />

der Kontakt nach außen. <strong>Die</strong> Wehrpflichtigen<br />

hatten Anspruch auf 18<br />

Tage Urlaub während ihrer 18-monatigen<br />

<strong>Die</strong>nstzeit und konnten in der Regel<br />

nur alle sechs Wochen nach Hause<br />

fahren. Aus der Nachbarkompanie<br />

hörte <strong>Ronny</strong> von Fällen, in denen die<br />

Soldaten sechs Monate nicht nach<br />

Hause durften. Dazwischen konnte<br />

Ausgang bis zum Zapfenstreich oder<br />

ein Kur<strong>zur</strong>laub außer der Reihe gewährt<br />

werden. Aber das hing von der<br />

Laune der Vorgesetzten ab und funktionierte<br />

als ideales Druckmittel, um die<br />

Soldaten gefügig zu machen. Auch im<br />

Urlaub hatten die Soldaten Uniform<br />

zu tragen – nur die wenigsten hielten<br />

sich jedoch daran.<br />

Für mehr als 3000 Mann stand vor<br />

der Kaserne nur eine Telefonzelle <strong>zur</strong><br />

Verfügung, aber Mandys Eltern verfügten<br />

sowieso über kein Telefon. Wenn<br />

<strong>Ronny</strong> Ruhe fand, schrieb er Mandy<br />

und seinen Eltern Briefe. Aber er war<br />

vorsichtig bei dem was er dort mitteilte,<br />

denn Gerüchte besagten, Briefe<br />

würden immer wieder von Angehörigen<br />

der Militärabwehr geöffnet. Erst<br />

viel später erfuhr <strong>Ronny</strong>, dass die Stasi<br />

allein in seiner Kompanie zehn Spitzel<br />

hatte, einen davon in seiner Gruppe.<br />

Besonders heikel war auch das Abhören<br />

von »Feindsendern«. Am dienstlichen<br />

Fernsehgerät waren die Sender<br />

vorgerastet, damit sich die Soldaten<br />

bei der Senderwahl nicht im »Feindesland«<br />

verirrten. Als man einen Stubenkameraden<br />

beim Hören von NDR III<br />

erwischte, wurde dessen Radio eingezogen<br />

und es folgte eine disziplinare<br />

Bestrafung. Bei Vergehen fackelten die<br />

Vorgesetzten nicht lange. Sogar die<br />

Unteroffiziere konnten disziplinarisch<br />

tätig werden, und ständig befand sich<br />

ein Soldat aus seiner Kompanie in<br />

Arrest. Wenn die Vorgesetzten sich<br />

nicht mehr zu helfen wussten, drohten<br />

sie mit »Schwedt«, der berüchtigten<br />

Disziplinareinheit der NVA, von der<br />

man nur hinter vorgehaltener Hand<br />

die schlimmsten Dinge hörte.


Informelle Hierarchien<br />

Wenn endlich <strong>Die</strong>nstschluss befohlen<br />

wurde, verließen alle Vorgesetzten fast<br />

fluchtartig das »Objekt«, und die kasernierten<br />

Mannschaftssoldaten und<br />

Unteroffiziere auf Zeit blieben sich<br />

selbst überlassen. Trotz des strengen<br />

Verbotes gelang es immer wieder, größere<br />

Mengen Alkohol in die Unterkünfte<br />

zu schmuggeln. Untereinander<br />

redeten die Soldaten in einer für<br />

Fremde nur schwer verständlichen,<br />

mit zahlreichen militärisch verbrämten<br />

Redewendungen durchsetzten<br />

Sprache. <strong>Die</strong> innere Distanz gegenüber<br />

dem Militär und seinen Funktionären<br />

zeigte sich hier vielleicht am deutlichsten.<br />

Offiziere waren aufgrund ihrer<br />

langen Verpflichtungszeit »Tagesilos«,<br />

Unteroffiziere »Kapos«, und der Speisesaal<br />

mutierte zum »Fresswürfel«. Bei<br />

Abwesenheit der Vorgesetzten wurde<br />

die militärische durch eine informelle<br />

Hierarchie ersetzt. Nicht der <strong>Die</strong>nstgrad,<br />

sondern die Zahl der noch zu<br />

dienenden Tage bestimmte jetzt die<br />

Stellung. Auf der untersten Stufe standen<br />

die Soldaten des 1. <strong>Die</strong>nsthalbjahres,<br />

die »Spritzer« oder »Glatten«,<br />

dann kamen die des 2. <strong>Die</strong>nsthalbjahres,<br />

»Vize« oder »Zwischenpisser«<br />

genannt, und die Krönung bildeten<br />

schließlich Soldaten des 3. <strong>Die</strong>nsthalbjahres,<br />

die »Entlassungskandidaten«,<br />

kurz »EK«.<br />

Nach <strong>Die</strong>nstschluss führten die<br />

EKs das Regiment. Wenn es harmlos<br />

zuging, wie bei <strong>Ronny</strong>, <strong>muss</strong>ten die<br />

Jüngeren die Älteren nur bedienen,<br />

Sonderzahlungen in eine Kasse leisten<br />

und unangenehme Arbeiten, wie das<br />

Schwedt<br />

Revierreinigen, übernehmen. Aus der<br />

Nachbarkompanie waren schlimmere<br />

Dinge zu hören. Da wurden die jüngeren<br />

Soldaten, die sich den Ritualen<br />

widersetzten, von den Älteren gedemütigt,<br />

unter Zwang geduscht, und<br />

in einem Fall war sogar von sexuellen<br />

Übergriffen die Rede. <strong>Die</strong> drangsalierten<br />

Soldaten hatten Angst, solche Vorfälle<br />

zu melden, nicht nur weil sie die<br />

Rache ihrer »Kameraden« fürchteten.<br />

<strong>Die</strong> Vorgesetzten griffen in der Regel<br />

nicht durch und beließen es bei flauen<br />

Ermahnungen. Erst am Ende seiner<br />

<strong>Die</strong>nstzeit, als <strong>Ronny</strong> selbst zum »EK«<br />

aufgestiegen war, begriff er, wie nützlich<br />

diese informelle Hierarchie für<br />

die Vorgesetzten war. Sie funktionierte<br />

als Ordnungs- und Machtmittel durch<br />

Stellvertreter. Viele Vorgesetzten ließen<br />

die EKs gewähren, weil sie von<br />

<strong>Die</strong> Kleinstadt Schwedt an der Oder wurde seit Ende der 1960er Jahre<br />

zum Synonym für den gefürchteten militärischen Strafvollzug in<br />

der DDR. <strong>Die</strong> zu längerem Strafarrest und Freiheitsentzug bis zu zwei<br />

Jahren verurteilten Angehörigen von NVA, Grenztruppen und Volkspolizeibereitschaften<br />

wurden hier unter ein hartes Regime gestellt. Der<br />

Arbeitseinsatz im Petrochemischen Kombinat Schwedt und eine körperlich<br />

harte militärische Ausbildung sollten einen »durchgängigen Erziehungsprozess«<br />

der Häftlinge gewährleisten. Isolation, Demütigungen,<br />

physischer und vor allem psychischer Druck sollten die Insassen gefügig<br />

machen und, wenn es nicht anders ging, ihren Willen brechen. Über die<br />

Bedingungen im »Armeeknast« drang nur wenig nach außen, aber auch<br />

die Gerüchte wurden von den Betroffenen ernst genommen.<br />

� <strong>Die</strong> Soldaten des ersten <strong>Die</strong>nsthalbjahres stehen in langer Unterwäsche und<br />

mit Kerze auf dem Stahlhelm zum feierlichen Anschnitt des Maßbandes bereit.<br />

Sie bilden das Spalier für die Anschnittfeier der Entlassungskandidaten.<br />

der Erfahrung der älteren Soldaten<br />

abhängig waren. Ohne ihre Unterstützung<br />

war an Spitzenleistungen bei<br />

Inspektionen oder Gefechtsaufgaben<br />

nicht zu denken, und diese bildeten<br />

die Voraussetzungen für Förderungen<br />

und Beförderungen.<br />

Am Ende seiner <strong>Die</strong>nstzeit war <strong>Ronny</strong><br />

froh, sich nicht länger verpflichtet<br />

zu haben. Im Unterschied zu den<br />

meisten Kameraden hatte seine Beziehung<br />

zu Mandy gehalten. Er erhielt<br />

auch einen Studienplatz für Maschinenbau,<br />

schließlich benötigte die DDR<br />

dringend Ingenieure. Fragte man ihn<br />

später nach seiner Armeezeit, dann<br />

sprach er nicht mit Stolz von »des Volkes<br />

Soldaten«, sondern nur distanziert<br />

von der »Asche«.<br />

Literaturtipps:<br />

� Matthias Rogg<br />

Militär, Staat und Gesellschaft in der DDR.<br />

Forschungsfelder, Ergebnisse, Perspektiven. Im Auftrag<br />

des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von<br />

Hans Ehlert und Matthias Rogg, Berlin 2004<br />

(= Militärgeschichte der DDR, 8)<br />

Christian Th. Müller, Tausend Tage bei der »Asche«.<br />

Unteroffiziere in der NVA. Untersuchungen zu Alltag<br />

und Binnenstruktur einer »sozialistischen« Armee.<br />

Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt,<br />

Berlin 2003 (= Militärgeschichte der DDR, 6)<br />

Joerg Waehner, Einstrich - Keinstrich. NVA-Tagebuch,<br />

Köln 2006<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

Museum der Stadt Hagenow<br />

9


<strong>Garnisonstadt</strong> <strong>Rathenow</strong><br />

Soldaten im Bürgerhaus:<br />

<strong>Die</strong> <strong>Garnisonstadt</strong> <strong>Rathenow</strong><br />

1733 bis 1806<br />

Für die Historiker des 19. Jahr hun -<br />

derts stand fest, dass der früh neuzeitliche<br />

preußische Soldat ein bemitleidenswertes,<br />

ge knech tetes und<br />

vielfach kriminel les Subjekt war, das<br />

von den Bür gern ver achtet wurde<br />

und eine trauri ge Existenz fristete.<br />

Aus den Garnison städten, in denen<br />

Bür ger und Soldat auf engstem Raum<br />

zusammenleb ten, konnten die Historiker<br />

der Kaiserzeit vielfach Beispie le<br />

für ein Gegeneinander von Bürgern<br />

und Soldaten an führen. Exerzierende<br />

Soldaten in Rathäusern und auf<br />

Friedhöfen oder lärmende und streitsüchtige<br />

Raufbolde in Uniform versinnbildlichten<br />

das »Negativ-Image«,<br />

das die Historiker dem frühneuzeitlichem<br />

Militär »verpassten«. Das folgende<br />

Beispiel einer typischen brandenburgischen<br />

<strong>Garnisonstadt</strong> zeigt,<br />

dass die Beziehung zwischen Militär<br />

und Gesellschaft nicht nur von Konflikten<br />

geprägt war.<br />

<strong>Die</strong> Soldaten kommen:<br />

<strong>Rathenow</strong> wird <strong>Garnisonstadt</strong><br />

<strong>Die</strong> meisten brandenburgischen<br />

Städte beherbergten im 18. Jahrhundert<br />

eine Garnison in ihren<br />

Mauern. <strong>Rathenow</strong>, rund 70 km<br />

westlich von Berlin gelegen, war eine<br />

davon. Während in der Haupt- bzw.<br />

Residenzstadt Berlin und Potsdam die<br />

besonders prestigeträchtigen »Elitetruppen«<br />

und sonstige militärische Behörden<br />

untergebracht waren, <strong>muss</strong>ten<br />

die vielen kleinen, meist nur mehrere<br />

hundert Einwohner zählenden Städte<br />

die Soldaten einer Armee aufnehmen,<br />

deren Zahl sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts<br />

verdoppelte.<br />

Im Jahre 1733 erhielt die Stadt <strong>Rathenow</strong><br />

die erste nennenswerte Garnison.<br />

Insgesamt drei Kompanien sowie der<br />

10 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

� Der geringe Sold zwang alle Soldaten, insbesondere die verheirateten,<br />

sich als Handwerker, Lohndiener oder Hausierer zusätzliche Einkünfte zu<br />

verschaffen. Zeitgen. Kupferstich, um 1785, von J.C.W. Rosenberg.<br />

Regimentsstab des Kürassierregiments<br />

11, auch Leibkarabinierregiment genannt<br />

und eine der ältesten und prestigeträchtigsten<br />

Einheiten der preußischen<br />

Armee, wurden dorthin verlegt.<br />

Bis zum Ende des Jahrhunderts wurde<br />

die Garnison schrittweise vergrößert,<br />

sodass die Stadt mit einer Einwohnerzahl<br />

von 3800 Personen schließlich<br />

mehr als 400 Soldaten in ihren Mauern<br />

beherbergte. Allerdings waren die<br />

Soldaten nicht ständig in der Stadt stationiert.<br />

<strong>Die</strong> »Inländer«, d.h. alle Preußen,<br />

verbrachten den Großteil der Zeit<br />

in ihren Heimatorten. Sie rekrutierten<br />

sich aus festgelegten preußischen Bezirken,<br />

den sogenannten Kantonen, die<br />

jedem Regiment zugewiesen wurden.<br />

Ausgenommen vom Militärdienst waren<br />

bestimmte Berufsgruppen (etwa<br />

Handwerker oder generell Bürger, die<br />

Besitz in der Stadt hatten), darüber<br />

hinaus die Stadtbevölkerung u.a. von<br />

Berlin, Brandenburg, Breslau, Reichenstein<br />

und Silberberg sowie die Einwohner<br />

einzelner Provinzen wie Geldern,<br />

Cleve, Mörs und Ostfriesland.<br />

Nur die vielen im »Ausland«, also in<br />

nicht-preußischen Ländern geworbenen,<br />

dort oftmals auch »gepressten«<br />

Soldaten lebten dauerhaft in der Stadt<br />

und verdienten sich zum kargen Sold<br />

durch allerlei Tätigkeiten ein kleines<br />

Zubrot. <strong>Die</strong> gewerbliche Tätigkeit der<br />

Soldaten führte häufig zu Konflikten<br />

mit den städtischen Zünften, die sich


über die unliebsame Konkurrenz beschwerten,<br />

da die Soldaten an keinerlei<br />

Zunftzwang gebunden waren.<br />

Bevor die Soldaten untergebracht<br />

werden konnten, <strong>muss</strong>ten die Voraussetzungen<br />

dafür geschaffen werden:<br />

Straßen wurden gepflastert, Ställe und<br />

Wachhäuser gebaut – sehr <strong>zur</strong> Freude<br />

der einheimischen Handwerker – und<br />

schließlich seit der zweiten Hälfte des<br />

Jahrhunderts auch Kasernen errichtet.<br />

Allerdings stellte die Unterbringung<br />

der Soldaten in Kasernen eine Ausnahme<br />

dar. Besonders in Berlin und Potsdam,<br />

wo der Wohnraum aufgrund der<br />

großen Garnison äußerst knapp wurde,<br />

entstanden einzelne Kasernen. <strong>Die</strong><br />

meisten Soldaten <strong>muss</strong>ten jedoch in<br />

Bürgerhäusern untergebracht werden.<br />

<strong>Die</strong> Einquartierung<br />

Jeder Stadtbewohner war verpflichtet,<br />

einen Soldaten unter seinem Dach aufzunehmen.<br />

Von der Einquartierung befreit<br />

waren bestimmte Funktionsträger<br />

der Stadt, wie Bürgermeister, Ratsherren<br />

und anderes Verwaltungspersonal.<br />

Aber auch bestimmte Berufsgruppen,<br />

die von landesherrlicher Seite gestärkt<br />

werden sollten, waren davon ausgenommen.<br />

Grundsätzlich hatte jeder<br />

Stadtbürger die Pflicht, den Servis zu<br />

zahlen. <strong>Die</strong>se zusätzliche Steuer, festgeschrieben<br />

per Ordonnanz (von lat.<br />

ordo, Weisung), stellte die umfangreichste<br />

Abgabe für die steuerpflichtigen<br />

Bürger dar.<br />

Aus der Serviskasse wurden die Bürger,<br />

die einen oder mehrere Soldaten<br />

aufzunehmen hatten (deren Zahl richtete<br />

sich nach der Größe des Hauses),<br />

für die Einquartierung und die damit<br />

verbundenen Kosten entschädigt. <strong>Die</strong>ses<br />

Geld glich die tatsächlichen Kosten<br />

allerdings nicht aus, was die Bürger<br />

zu vielen Klagen veranlasste. <strong>Die</strong><br />

Karabiniers<br />

Einquartierung in »natura« hieß für<br />

den Wirt, dem einquartierten Soldaten<br />

freies Quartier, Holz und »Licht«<br />

<strong>zur</strong> Verfügung zu stellen. Der Servis<br />

konnte auch in bar ausgezahlt werden.<br />

Das erlaubte es dem Soldaten, sich in<br />

der Stadt selbstständig ein Quartier<br />

zu mieten. Der Servis war also eine<br />

Steuer, die in Geld- oder Sachbeträgen<br />

abgeleistet werden konnte.<br />

Der Geldbetrag wie auch die Sachleistungen<br />

der »Natural-Einquartierung«,<br />

welche die Soldaten erhielten,<br />

richteten sich nach ihrem <strong>Die</strong>nstgrad<br />

und dem Familienstand. Das Einquartierungsreglement<br />

für die Kavallerie<br />

aus dem Jahre 1721 schrieb vor, die<br />

Soldaten hätten von der Stadt »nichts<br />

weiter zu fordern als das freye Quartier,<br />

Feuer und Licht«. <strong>Die</strong> Unterkunft<br />

sollte nicht mehr sein als eine »Gelegenheit<br />

zu schlafen, mit einigen Bett<br />

Gerathe, so gut oder schlecht, als solches<br />

der Wirth zu geben vermag«. Dafür<br />

stand es dem Quartiernehmer aber<br />

zu, mit dem Wirt im Winter die beheizte<br />

Stube zu teilen; auf einen eigenen<br />

beheizten Raum hatten weder der<br />

gemeine Soldat noch der Unteroffizier<br />

ein Anrecht. Ausdrücklich wurde hier<br />

auch betont: »Frauen der verheyrateten<br />

Reuter und Dragoner gehören mit<br />

in die Quartiere ihrer Männer«. <strong>Die</strong><br />

Offiziere hatten zudem dafür Sorge<br />

zu tragen, dass »die Bürger von diesen<br />

Frauen nicht <strong>zur</strong> Ungebühr belästigt<br />

noch in ihrer Nahrung gestohret und<br />

gehindert werden mögen. Wie dann<br />

aus viele eingelaufene Klagen genug<br />

erhellet«. Zur Militärbevölkerung zählten<br />

im 18. Jahrhundert auch die Frauen<br />

und Kinder der Soldaten.<br />

<strong>Die</strong> Einquartierung von »beweibten«,<br />

also verheirateten Soldaten – in<br />

<strong>Rathenow</strong> waren dies immerhin 60<br />

Prozent der einfachen Soldaten – war<br />

bei den Bürgern besonders unbeliebt.<br />

Der Hausherr <strong>muss</strong>te Frau und Kinder<br />

des Soldaten aufnehmen und hatte keine<br />

Verfügungsgewalt über diesen autonomen<br />

Haushalt unter seinem Dach.<br />

So stellten die Stadtverordneten in<br />

<strong>Rathenow</strong> 1739 fest, dass die mit »beweibten«<br />

Karabiniers »bequartierten«<br />

Wirte »von diesen mehr Ungemach,<br />

als andere von unbeweibten Leuten<br />

erdulden müssen«. Zehn Jahre später<br />

� Ein Soldat des Kürassier- bzw.<br />

Leibkarabinierregiments 11. Abb. aus:<br />

<strong>Die</strong> Armee Friedrichs des Großen in<br />

ihrer Uniformierung. Gez. und erl.<br />

von Adolph Menzel. Eine Ausw. von<br />

100 Tafeln in mehrfarbiger Faksimile-<br />

Produktion, Augsburg: Battenberg<br />

Verlag 1998.<br />

Als Karabiniers wurden in den Armeen der Frühen Neuzeit Soldaten der Kavallerie bezeichnet. Sie waren ursprünglich<br />

mit einem Karabiner, einem leichten Gewehr mit verkürztem Lauf, ausgerüstet, woher sich auch ihr<br />

Name ableitet. In den europäischen Heeren galten sie als Elitetruppe der Kavallerie. Einzelne Karabiner-Eskadrons<br />

(Kompanien) entstanden häufig als Teile von Dragoner- und Kürassierregimentern. In der preußischen<br />

Armee wurde 1738 das Kürassierregiment 11 vom König zum Karabinierregiment ernannt. <strong>Die</strong>s war ein besonderer<br />

Gnadenbeweis des Königs. <strong>Die</strong> Karabiniers wurden häufig als berittene Infanterie eingesetzt.<br />

In Chile und Italien werden Gendarmen Carabineros bzw. Carabinieri genannt. Auch die britische Armee kennt<br />

Karabiniers, allerdings kämpfen sie heute mit Panzern auf den Schlachtfeldern des 21. Jahrhunderts.<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

11


<strong>Garnisonstadt</strong> <strong>Rathenow</strong><br />

� Parade in Potsdam im Jahre 1779. Holzstich von Wilhelm Camphausen (1818–1885).<br />

wehrten sich die Stadtverordneten in<br />

einem Brief an die Kriegs- und Domänenkammer<br />

gegen die geplante Serviskürzung<br />

für die beweibten Soldaten<br />

und deren geplante Natural-Einquartierung<br />

bei den Bürgern. Wie in anderen<br />

brandenburgischen Städten war<br />

man in <strong>Rathenow</strong> dazu übergegangen,<br />

den verheirateten »Karabiniers« den<br />

Servis bar auszuzahlen, damit diese<br />

sich dann selbstständig eine Unterkunft<br />

in der Stadt mieten konnten. <strong>Die</strong><br />

Stadtverordneten argumentierten gegen<br />

die geplante Einquartierung, dass<br />

es in der Garnison an Raum für die<br />

Soldatenfamilien fehle und die Wirte in<br />

ihren Häusern nicht mehr ihrer »Hanthierung«<br />

nachgehen könnten, wenn<br />

die Soldatenfamilien »die Wärme in<br />

ihren Stuben« genössen. Des Weiteren<br />

ermangele es ihnen an Betten für die<br />

Soldatenfrauen, weswegen sie, »wann<br />

sie solche aushalten sollen, [...] selbst<br />

auf Stroh liegen« müssten.<br />

<strong>Die</strong> Stadtverordneten waren gewillt,<br />

den alten, also höheren Servissatz weiterzuzahlen,<br />

um so der Einquartierung<br />

der beweibten Soldaten in »natura« zu<br />

entgehen. So erklärten sie, die Bürger<br />

seien bereit, »den ihre bißhero zugeschriebene<br />

Servis alle Monath richtig<br />

abzuführen«. Um die ungeliebte<br />

Ein quartierung abzuwenden, würde<br />

die Bürgerschaft sogar weitere finanzielle<br />

Zugeständnisse in Kauf nehmen.<br />

Wenn die Kriegs- und Domänen-<br />

12 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

kammer den Serviszuschuss für die<br />

beweibten Karabiniers nicht zahlen<br />

wolle, dann »wollten die Verordneten<br />

dahin sich verbindlich machen, daß<br />

solcher Zuschuß« in Höhe von sechs<br />

Gulden je Soldatenfrau »aus der Bürger<br />

Holz-Rechung« geleistet werde.<br />

Exerzierzeit<br />

Einmal im Jahr exerzierte das gesamte<br />

Regiment – einschließlich der Kompanien<br />

die sonst in anderen Städten untergebracht<br />

waren – in der Stabsgarnison.<br />

<strong>Die</strong> »Exerzierzeit«, die immer im<br />

Frühjahr stattfand, dauerte seit 1743<br />

nur noch zwei statt drei Monate. Im<br />

Jahre 1786 wurde sie auf sechs Wochen<br />

verkürzt.<br />

<strong>Die</strong> Soll-Stärke eines Kavallerierregiments<br />

sollte nach dem Reglement von<br />

1743 insgesamt 774 Personen umfassen.<br />

Legt man die Bevölkerungszahl<br />

<strong>Rathenow</strong>s von 1740 zu Grunde, dann<br />

betrug während der Exerzierzeit der<br />

Anteil der Militär- an der Gesamtbevölkerung<br />

29,6 Prozent. <strong>Die</strong> Bürger<br />

<strong>muss</strong>ten also noch zusätzliche Soldaten<br />

und Pferde in ihren Häusern und<br />

Ställen aufnehmen, was wiederum zu<br />

vielen Klagen der Bürgerschaft führte.<br />

So heißt es in einer Beschwerdeschrift<br />

aus dem Jahr 1764, dass während<br />

der Exerzierzeit das Regiment<br />

für die vielen Pferde der Kürassiere<br />

die Stallplät ze der Pferde von Bürgern<br />

beanspruche, die Tiere folglich »bey<br />

Kälte, Regen und schlechtem Wetter<br />

unterm freyen Himmel liegen müssten,<br />

wodurch manches Stück verendet«.<br />

Dagegen könnten die Städte, die<br />

»solcher Zeit über von aller Einquartierung<br />

befreyet sind, ihre Stallung<br />

vor zuglich nutzen«.<br />

<strong>Die</strong> kurze Exerzierzeit war aber nicht<br />

nur für die Bürger mit Belastungen<br />

verbunden, auch von den Soldaten<br />

und Offizieren wurde viel abverlangt:<br />

In nur wenigen Wochen <strong>muss</strong>te das Regiment<br />

zusammen exerzieren können,<br />

um bei der jährlichen Revue oder bei<br />

Paraden vor den Augen des Königs zu<br />

bestehen. Insbesondere die Offiziere<br />

fürchteten die Heerschau; versagten<br />

sie hier, war der Fortgang ihrer Karriere<br />

ungewiss.<br />

Für ein Kavallerieregiment, wie es<br />

in <strong>Rathenow</strong> stationiert war, bedeutete<br />

das Exerzieren in erster Linie,<br />

die Soldaten in kurzer Zeit im Umgang<br />

mit den Pferden zu schulen, das<br />

hieß auch, in Formation zu reiten. Für<br />

das Exerzieren auf dem Pferderücken<br />

benötigten sie viel Platz. Angesichts<br />

der Tatsache, dass in <strong>Rathenow</strong> viele<br />

Bürger von der Landwirtschaft lebten,<br />

war die Bereitstellung einer so<br />

großen Fläche keine leichte Aufgabe.<br />

So gab die Frage des Exerzierplatzes<br />

beständig Anlass für Auseinandersetzungen<br />

zwischen Garnison und Stadt.<br />

<strong>Die</strong> schlechte Qualität des Platzes ver-<br />

akg-images


anlasste den Regimentschef Generalmajor<br />

Sebastian von Reppert 1787 zu<br />

folgender Klage beim König: »<strong>Die</strong>ser<br />

Exerzier Platz setzt mich aber außer<br />

Stande pflichtmäßig exerzieren zu<br />

können, um mich der Zufriedenheit<br />

Königlicher Majestät bei der Revue<br />

schmeicheln zu dürfen.« Aufgrund<br />

der ungünstigen Bodenbeschaffenheit,<br />

»unergründlichsten Sandschollen und<br />

tiefsten Sumpfflächen«, sei es gar dazu<br />

gekommen, dass »Menschen unglücklich<br />

gewesen und [...] die Füße gebrochen«.<br />

Reppert habe daher, so klagt er, »in<br />

größter Furcht und Ungewissheit mein<br />

hiesige Exerceir Zeiten verbracht«. Erschwerend<br />

für Mann und Pferd kam<br />

noch hinzu, dass der Übungsplatz außerhalb<br />

der Stadt gelegen war: »Bei<br />

einen 1¼ Meilen abgelegenen Exerceir<br />

Platz muß ich um 5 Uhr aufbrechen<br />

um 1¾ Stunden hin marschieren,<br />

wenn ich wenigstens 2 Stunden exerceirte<br />

und 1¾ Stunden wieder in der<br />

tiefsten Sand und Hitze zum Rückmarsch<br />

brauchte, so litten die Pferde<br />

außerordentlich, sobald ich mehr wie<br />

3 mahl die Woche Exerceire.«<br />

Heirat und Taufe<br />

Der Eheschließung von Soldaten und<br />

Offizieren war nicht wie heute eine<br />

rein private Angelegenheit, sondern<br />

wurde vom Monarchen geregelt. Offiziere<br />

<strong>muss</strong>ten vor der Eheschließung<br />

die Erlaubnis des Königs einholen.<br />

<strong>Die</strong>ser gab seine Zustimmung für eine<br />

Heirat meist nur, wenn die Eheschließung<br />

ein »sonderlich Glück«, sprich:<br />

einen finanziellen Vorteil, versprach.<br />

Der äußerst karge Sold der subalternen<br />

Offiziere, also der unteren Offizierränge,<br />

reichte in der Regel nicht aus, um<br />

eine Familie zu ernähren. Viele Offiziere<br />

<strong>muss</strong>ten daher lange von ihren<br />

Familien unterstützt werden. Erst die<br />

Übernahme einer Kompanie im Range<br />

eines Hauptmanns versprach ein entsprechendes<br />

Einkommen. Der König<br />

sah es lieber, »wann ein Officier unverheyrathet<br />

bleiben will«.<br />

Starb der Offizier in der »Campagne«,<br />

also während einer Schlacht bzw. eines<br />

Feldzuges, dann <strong>muss</strong>te der König für<br />

Offizierwitwen und Waisen aufkommen.<br />

Eine Heiratserlaubnis wurde erst<br />

gegeben, wenn der Offizier nachweisen<br />

konnte, dass er neben seinem Sold noch<br />

weitere Einkünfte besaß, die es ihm erlaubten,<br />

eine Familie zu ernähren.<br />

Im Kirchenbuch der <strong>Rathenow</strong>er<br />

Garnison finden wir einen Fall, der<br />

diese Praxis veranschaulicht: Im Jahre<br />

1783 nahm der in <strong>Rathenow</strong> stationierte<br />

Wilhelm von Kaphengst die älteste<br />

Tochter des hier lebenden Holzhändlers<br />

Joachim Bars <strong>zur</strong> Frau. <strong>Die</strong><br />

Familie Bars war durch den Holzhandel<br />

zu Vermögen gekommen und<br />

die wohlhabendste Familie der Stadt.<br />

Kaphengsts Kamerad, Leutnant Carl<br />

Friedrich Ludwig von Sparr, tat es<br />

ihm gleich und verlobte sich mit einer<br />

weiteren Tochter dieser Familie. Eine<br />

Heirat erwies sich aber als schwierig,<br />

da der König die erforderliche Heiratserlaubnis<br />

verweigerte. Ob der junge<br />

Graf von Sparr nicht über die notwendigen<br />

Mittel für die Heirat verfügte,<br />

konnte nicht in Erfahrung gebracht<br />

werden. Möglicherweise verweigerte<br />

Friedrich II. seine Zustimmung aus<br />

einem ganz anderen Grund: Das junge<br />

Fräulein Bars war bürgerlichen Standes.<br />

<strong>Die</strong> Heirat von adligen Offizieren<br />

mit bürgerlichen »Frauenzimmern«<br />

wurde zwar im Kavalleriereglement<br />

nicht explizit verboten, gern gesehen<br />

war sie jedoch nicht.<br />

Graf von Sparr ehelichte seine Auserwählte<br />

trotz aller Widerstände. <strong>Die</strong><br />

Trauung wurde, quasi heimlich, in<br />

nicht-preußischen Landen vollzogen.<br />

<strong>Die</strong> Heiratserlaubnis erhielt der Offizier<br />

erst nach dem Tode Friedrichs II.<br />

Wahrscheinlich hatte man seinem<br />

Schwager, Wilhelm von Kaphengst,<br />

die Heiratserlaubnis mit der bürgerlichen<br />

Braut nicht verweigert, weil er<br />

nachweisen konnte, dass er die finanziellen<br />

Mittel hatte, um eine Familie<br />

zu ernähren.<br />

Neben diesen beiden Beispielen finden<br />

sich in den Kirchenbüchern der<br />

Gemeinde viele weitere Soldaten, die<br />

eine Frau aus der Stadt heirateten und<br />

mit ihr eine Familie gründeten. <strong>Die</strong><br />

Wahl der Taufpaten dieser »Soldatenfamilien«<br />

zeigt, dass es zwischen der<br />

Zivil- und Militärbevölkerung enge<br />

Verbindungen gab. <strong>Die</strong> Taufe sowie<br />

die Wahl der Taufpaten waren wichtige<br />

gesellschaftliche Ereignisse. Bei der<br />

Taufe wurde Wohlstand repräsentiert<br />

und mit der Gewinnung von namhaften<br />

Paten auch ein gesellschaftliches<br />

Signal gesetzt. Dabei zeigt sich, dass<br />

die Ausgrenzung der Soldaten aus der<br />

Gesellschaft nicht so groß war wie von<br />

der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts<br />

behauptet. Nur eine Minderheit<br />

der Soldaten wählte ausschließlich<br />

Kameraden als Taufpaten, die Mehrheit<br />

hatte, unabhängig von ihrem militärischen<br />

Rang, zu allen gesellschaftlichen<br />

Schichten der Stadt Kontakt.<br />

Neben einfachen Arbeitern und Handwerkern<br />

finden sich unter den Paten<br />

auch Kammerherren, Apotheker und<br />

Angehörige des Stadtrates.<br />

Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein<br />

haben Historiker gebetsmühlenartig<br />

das Gegeneinander von Zivil- und<br />

Militärgesellschaft betont. Der Blick<br />

in die Akten gibt jedoch ein anderes,<br />

vielschichtigeres Bild wieder. <strong>Die</strong> vielen<br />

Heiraten von Soldaten in der Stadt<br />

und die häufige Wahl von »zivilen Paten«<br />

zeigen, dass man vielmehr miteinander<br />

gelebt hat. <strong>Die</strong> vielfältigen finanziellen<br />

Belastungen der Städte durch<br />

das Militär waren sicher ein Problem<br />

für die chronisch kränkelnden Stadtkassen,<br />

doch stellen sie nur eine Seite<br />

der Beziehung zwischen Militär und<br />

Gesellschaft dar. <strong>Die</strong> Stadt profitierte<br />

auch von der Anwesenheit der Soldaten.<br />

Mit ihrer Stationierung einher<br />

gingen infrastrukturelle Verbesserungen.<br />

Nicht zu vergessen ist auch die<br />

Rolle der uniformierten Stadtbewohner<br />

als Konsumenten auf der einen<br />

Seite, stellte der Sold doch ein zwar<br />

karges, aber regelmäßiges Einkommen<br />

dar. Andererseits waren die dauerhaft<br />

einquartierten Soldaten Bestandteil<br />

des städtischen Arbeitsmarktes;<br />

sie vermochten so zum wirtschaftlichen<br />

Gedeihen eines Gemeinwesens<br />

beizutragen.<br />

Schließlich war mit der Einquartierung<br />

in Bürgerhäusern noch ein wesentliches<br />

Element verbunden: <strong>Die</strong><br />

Soldaten unterlagen dadurch einer sozialen<br />

Kontrolle, die staatlicherseits<br />

vor allem im Hinblick auf die zum Teil<br />

»gepressten« ausländischen Soldaten<br />

bestanden haben mag.<br />

Literaturtipp:<br />

� Carmen Winkel<br />

Carmen Winkel, Militär und Gesellschaft im<br />

18. Jahrhundert. <strong>Die</strong> <strong>Garnisonstadt</strong> <strong>Rathenow</strong> 1733<br />

bis 1806. In: Jahrbuch für brandenburgische<br />

Landesgeschichte, 57 (2006), S. 84–108<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

13


Strategie<br />

Wohl kaum ein militärischer Operationsplan<br />

des 20. Jahr hunderts ist im<br />

kollektiven Gedächtnis der Europäer<br />

so tief verwurzelt wie der Schlieffenplan,<br />

benannt nach Generalfeldmarschall<br />

Alfred Graf von Schlieffen,<br />

1891 bis 1905 Chef des Großen Generalstabes.<br />

Genau genommen handelt<br />

es sich beim Schlieffenplan um<br />

eine Denkschrift mit der Überschrift<br />

»Krieg gegen Frankreich«, die deren<br />

Namensgeber 1905/06 verfasste und<br />

seinem Nachfolger im Februar 1906<br />

übergab.<br />

Nach der Niederlage im Ersten<br />

Weltkrieg erachteten viele<br />

Deut sche den Schlieffenplan<br />

als ein Siegesrezept, das lediglich wegen<br />

der durch Schlieffens Nachfolger<br />

Generaloberst Helmuth von Moltke<br />

dem Jüngeren vorgenommenen Verwäs<br />

serungen und der mangelhaften<br />

Aus führung im Sommer 1914 scheiterte.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

galt der Schlieffenplan als Beispiel für<br />

den aggressiven deutschen Militarismus,<br />

der die politische Staatsleitung<br />

in hilfloser Abhängigkeit hielt. <strong>Die</strong><br />

starren Angriffspläne kalkulierten<br />

die politisch und militärisch hochriskanten<br />

Neutralitätsverletzungen Belgiens,<br />

Luxemburgs und der Niederlande<br />

be wusst ein; sie gipfelten in<br />

der Um fassung von Paris und einer<br />

giganti schen Vernichtungsschlacht in<br />

Frank reich.<br />

�<br />

Alfred Graf von Schlieffen,<br />

28.2.1833 – 4.1.1913.<br />

Porträtaufnahme, um 1910.<br />

Der Schlieffenplan:<br />

Siegesrezept oder<br />

Notlösung?<br />

Schlieffens Vorgänger<br />

14 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

Seit der Reichseinigung von 1871 beschäftigte<br />

sich der Große Generalstab,<br />

ausgehend von der Mittellage des Reiches,<br />

mit der Frage: Ist ein Zweifrontenkrieg<br />

zu gewinnen? Und wenn ja: Wie<br />

ist er zu führen? Der langjährige Chef<br />

des Großen Generalstabs, Helmuth<br />

von Moltke der Ältere, und sein unmittelbarer<br />

Nachfolger, Generaloberst<br />

Alfred Graf von Waldersee, planten<br />

für den Fall eines Zweifrontenkrieges,<br />

die deutschen Streitkräfte zwischen<br />

Ost- und Westfront aufzuteilen. Französische<br />

Angriffe sollten sie zunächst<br />

nur abwehren und gegen Russland<br />

ge meinsam mit dem Verbündeten<br />

Österreich-Ungarn regional offensiv<br />

vorgehen. <strong>Die</strong>se auf begrenzte Offensivstöße<br />

angelegte Defensivstrategie<br />

akg-images<br />

beabsichtigte keinen Totalsieg, etwa<br />

durch eine Vernichtungsschlacht. Zu<br />

Zeiten Moltkes d.Ä. war die Beschäftigung<br />

mit einem Zweifrontenkrieg,<br />

mit Ausnahme der Krise von 1887/88,<br />

als der Generalstab einen Krieg gegen<br />

Russland forderte, noch eine fernliegende<br />

Angelegenheit, für Schlieffen<br />

und Moltke d.J. dagegen aufgrund der<br />

politischen und militärischen Entwicklungen<br />

eine zunehmend akute Frage.<br />

Im Gegensatz zu Moltke d.Ä., der seine<br />

Kriege immer mit personeller und<br />

materieller Überlegenheit sowie einer<br />

diplomatischen Absicherung durch<br />

den preußischen Ministerpräsidenten<br />

und späteren Reichskanzler Otto von<br />

Bismarck führen konnte, <strong>muss</strong>ten<br />

Schlieffen und Moltke d.J. jedoch einen<br />

Zweifrontenkrieg sowohl aus der Unterlegenheit<br />

als auch unter völlig veränderten<br />

politischen und militärischen<br />

Rahmenbedingungen planen.<br />

Kurze Zeit nach seinem <strong>Die</strong>nstantritt<br />

1891 löste sich Schlieffen aus dem<br />

Schatten seines übermächtigen Vorgängers<br />

und entwickelte ein eige nes<br />

operativ-strategisches Konzept für<br />

den Fall eines Zweifrontenkrieges.<br />

Für ihn kam <strong>zur</strong> Verhinderung eines<br />

seiner Ansicht nach nicht gewinnbaren<br />

langwierigen Abnutzungskrieges<br />

nur die Offensive in Frage. <strong>Die</strong>se hatte<br />

außer die rein militärischen Verhältnisse<br />

auch das politische Umfeld sowie<br />

Raum und Zeit zu berücksichtigen.<br />

� Helmuth von Moltke der Ältere,<br />

Porträtaufnahme, um 1885.<br />

akg-images


Offensive statt Defensive<br />

Im Jahre 1901, während der Schlussbesprechung<br />

der Generalstabsreise Ost,<br />

verkündete Schlieffen seinen auf diesen<br />

Determinanten fußenden strategischen<br />

und operativen Leitsatz:<br />

»Deutschland hat den Vorteil, dass es<br />

in der Mitte zwischen Frankreich und<br />

Russland liegt und diese Bundesgenossen<br />

voneinander trennt. Es würde sich aber<br />

dieses Vorteils begeben, sobald es sein Heer<br />

teilen und hierdurch jedem einzelnen seiner<br />

Gegner an Zahl unterlegen sein würde.<br />

Deutschland <strong>muss</strong> daher bestrebt sein,<br />

zuerst den einen niederzuwerfen, während<br />

der andere nur beschäftigt wird; dann<br />

aber, wenn der eine Gegner besiegt ist,<br />

<strong>muss</strong> es unter Ausnutzung der Eisenbahn<br />

auch auf dem anderen Kriegsschauplatze<br />

eine Überlegenheit an Zahl heranführen,<br />

die auch dem anderen Feinde verderblich<br />

wird. Der erste Schlag <strong>muss</strong> mit voller<br />

Kraft geführt werden, und es <strong>muss</strong> eine<br />

wirkliche Entscheidungsschlacht stattfinden.«<br />

Schlieffens operatives und strategisches<br />

Credo ließ keinen Raum für abweichende<br />

Gedanken, sondern es verkündete<br />

die nach seiner Überzeugung<br />

unantastbaren Grundannahmen <strong>zur</strong><br />

Führbarkeit eines Zweifrontenkrieges<br />

durch die deutsche Armee. Schlieffens<br />

Lösung für das strategische Dilemma<br />

des Kaiserreiches schien daher einfach<br />

und überzeugend zugleich: unter Ausnutzung<br />

der inneren Linie Auflösung<br />

des Zweifrontenkrieges in zwei nacheinander<br />

folgende Einfrontenkriege<br />

mit jeweiliger örtlicher Überlegenheit<br />

der eigenen Truppen.<br />

Der Erfolg dieser Strategie hing davon<br />

ab, dass einer der beiden Gegner<br />

vernichtend und vor allem sehr schnell<br />

geschlagen wurde. <strong>Die</strong>s konnte nur offensiv<br />

und nicht defensiv erreicht werden.<br />

Aufgrund der erwarteten schnellen<br />

französischen Mobilmachung und<br />

der mangelnden operativen Tiefe des<br />

französischen Verteidigungsraumes beabsichtigte<br />

Schlieffen im Kriegsfall zuerst<br />

Frankreich anzugreifen. <strong>Die</strong> geplante<br />

Operation stand von Anfang an<br />

unter einem gnadenlosen Zeitdruck.<br />

Waren die Franzosen nicht entscheidend<br />

geschlagen, bevor die russische<br />

Armee zum Angriff überging, drohte<br />

eine Katastrophe. So rückte für<br />

Schlieffen im Laufe der Jahre die<br />

schnelle Entscheidungsschlacht in das<br />

Zentrum seines operativen Denkens;<br />

ein Ausgleich mit einem der Hauptgegner,<br />

wenn möglich mit Russland,<br />

in das Zentrum seines strategischen<br />

Denkens. Was aber war zu tun, wenn<br />

der Ausgleich mit Russland nicht erreicht<br />

wurde, wenn die Franzosen in<br />

ihren Festungswerken verharrten und<br />

den Faktor Zeit spielen ließen? Was<br />

sollte man machen, wenn die Russen<br />

ihre Truppen schneller mobilisierten<br />

als von deutscher Seite angenommen?<br />

Ziel: Entscheidungs- und<br />

Vernichtungsschlacht<br />

Für Schlieffen gab es auf diese Fragen<br />

nur eine Antwort: Er <strong>muss</strong>te die<br />

französische Armee schnell <strong>zur</strong> Entscheidungsschlacht<br />

zwingen. Da er<br />

ein frontales Durchstoßen der französischen<br />

Festungswerke angesichts<br />

des Zeitfaktors und der Stärke der<br />

Festungen für undurchführbar hielt,<br />

plante er, diesen Festungsgürtel durch<br />

einen Vormarsch in Belgien, in den<br />

Niederlanden und in Luxemburg zu<br />

umgehen, um sodann die französische<br />

Armee durch einen starken rechten<br />

deutschen Angriffsflügel zu umfassen<br />

und schließlich zu vernichten. Der<br />

unbedingte Wille <strong>zur</strong> Umfassung mit<br />

dem Ziel, eine Vernichtungsschlacht<br />

herbeizuführen, war, daran kann kein<br />

Zweifel bestehen, der zweite Eckpfeiler<br />

seines operativen Denkens.<br />

Schlieffens Operationsplanungen waren<br />

jedoch bei weitem nicht so dogmatisch<br />

und ausschließlich militärisch<br />

angelegt, wie bisher angenommen. So<br />

flossen in seine Beurteilung der Lage<br />

sehr wohl politische Aspekte ein, zum<br />

Beispiel bei der Schwerpunktverlegung<br />

von Ost nach West Überlegungen und<br />

Entscheidungen der Reichsleitung hinsichtlich<br />

einer Annäherung an Russland<br />

oder Großbritannien. Schlieffen<br />

änderte seine Operationsplanungen<br />

sofort, wenn sich nach seinen Erkenntnissen<br />

die Feindlage veränderte. <strong>Die</strong>s<br />

zeigte unter anderem der Russisch-Japanische<br />

Krieg. Da sich zudem herausgestellt<br />

hatte, dass die französische Armee<br />

im Gegensatz zu den bisherigen<br />

Erkenntnissen nicht angreifen würde,<br />

beschloss der Generalstabschef, im<br />

Kriegsfall mit Frankreich das französische<br />

Festungssystem mit dem rechten<br />

deutschen Flügel – unter Verletzung<br />

der belgischen, holländischen und lu-<br />

� Helmuth von Moltke der Jüngere,<br />

Porträtaufnahme, um 1907.<br />

xemburgischen Neutralität – weiträumig<br />

zu umfassen und die französische<br />

Armee zu vernichten.<br />

Schlieffens Operationsziel blieb daher<br />

auch in einem Einfrontenkrieg<br />

die schnelle Vernichtung der französischen<br />

Armee, da er nie sicher sein<br />

konnte, ob und wann Russland oder<br />

Großbritannien zugunsten Frankreichs<br />

in einen Krieg eintreten würden. Auch<br />

im Verlauf der geplanten Umfassung<br />

wahrte Schlieffen ein hohes Maß an<br />

Flexibilität. Im Falle einer erfolgreichen<br />

Umfassung des französischen<br />

Festungssystems konnte er sich die<br />

Vernichtungsschlacht an verschiedenen<br />

Punkten in Westfrankreich vorstellen.<br />

<strong>Die</strong> westliche Umfassung von<br />

Paris hingegen, die heute in jedem<br />

Schulbuch als quasi dogmatischer<br />

Eckpfeiler des Schlieffenplans angeführt<br />

wird, war für den Generalstabschef<br />

der letzte Ausweg für den<br />

schlimmsten angenommenen Fall, den<br />

er sich wegen der zu geringen deutschen<br />

Truppenstärke sicherlich nicht<br />

wünschte, den er aber 1905 ebenso wie<br />

eine östliche Umgehung von Paris –<br />

gegen seine erfahrensten Offiziere – in<br />

einer sogenannten Generalstabsreise<br />

durchspielte, um sie gegebenenfalls<br />

anwenden zu können (siehe Karte und<br />

Kasten S.16). Den letzten von ihm bearbeiteten<br />

Aufmarschanweisungen des<br />

Mobilmachungsjahres 1906/07 lagen<br />

Schlieffens operative Überlegungen<br />

für den Aufmarsch I, den Krieg gegen<br />

Frankreich, zugrunde. <strong>Die</strong>se operativen<br />

Überlegungen hinterließ Schlieffen<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

akg-images<br />

15


<strong>Die</strong> Großen Generalstabsreisen dienten unter Schlieffen der Weiterbildung der Generalstabsoffiziere sowie<br />

der Pla nung und Überprüfung der Aufmarsch- und Operationspläne des Generalstabes. Für die Entwicklung<br />

des Schlieffenplanes ist vor allem die letzte von Schlieffen persönlich geleitete Große Generalstabsreise West<br />

1905 von herausragendem Interesse. <strong>Die</strong> Karten und Dokumente hierzu galten durch die Zerstörung des Heeresarchivs<br />

im April 1945 als verloren. Im Nachlass des Generals Friedrich von Boetticher (1881–1967) sind jedoch<br />

kürzlich Kopien von im Reichsarchiv ehemals vorhandenen Archivalien aufgefunden worden. Sie belegen, dass<br />

Schlieffen die Grundidee seiner Denkschrift »Krieg gegen Frankreich« von 1905 gegen ausgewählte Generalstabsoffiziere<br />

durchspielte. Im Vorfeld der Reise hatte er allen Oberquartiermeistern und Abteilungsleitern des<br />

Generalstabes befohlen, mögliche französische Gegenmaßnahmen gegen einen deutschen Angriff am linken<br />

französischen Flügel zu erarbeiten. Aus den Vorschlägen seiner Mitarbeiter wählte Schlieffen ihm plausibel erscheinende<br />

Reaktionen der Franzosen als Grundlage für die durchzuführenden Planübungen aus.<br />

<strong>Die</strong> in den 1920er und 1930er Jahren immer wieder kritisierte Entscheidung des Generals Alexander von Kluck,<br />

im August 1914 die 1. Armee östlich an Paris vorbeizuführen, war also nicht eine plötzliche Eingebung der<br />

Führung der 1. Armee und der Obersten Heeresleitung, die zu einer »Verwässerung« des Siegeskonzeptes<br />

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Strategie<br />

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16 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

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Schlieffens führte, sondern fußte auf<br />

des sen operativen Überlegungen.<br />

Klucks Chef des Stabes, Generalmajor<br />

Hermann von Kuhl, spielte 1905 den<br />

»Fall Kuhl II« gegen Schlieffen durch,<br />

nachdem dieser in einem ersten Durchlauf<br />

der »Reise« seine »Gegner« durch<br />

weiträumige Überflügelung und Umfassung<br />

seines starken rechten Flügels<br />

»besiegt« hatte.<br />

Im »Fall Kuhl II« (23. bis 38. Mobilmachungstag,<br />

siehe Karte) wichen die<br />

Franzosen (orange), nach dem deutschen<br />

Vorrücken auf französisches Territorium,<br />

Richtung Langres, die Aube und<br />

die Seine aus. Schlieffen umfasste daraufhin<br />

noch weiter rechts die feindlichen<br />

Truppen, marschierte nordwestlich an<br />

Paris vorbei und ging mit seiner 2. und<br />

3. Armee am 34. Mobilmachungstag<br />

bei Rouen über die Seine. Nach Scheitern<br />

aller französischen Gegenangriffe<br />

zerschlug er die Reste des linken fran -<br />

zösischen Flügels südlich von Paris.<br />

<strong>Die</strong> Karte zeigt des Weiteren die süd -<br />

östliche Umgehung von Paris, Schlieffens<br />

Reaktion auf die von Oberstleutnant<br />

Hugo Freiherr von Freytag-Loringhoven<br />

erarbeiteten französischen<br />

Gegenmaß nahmen (»Fall Freytag II«,<br />

32. bis 50. Mobilmachungstag). Hier<br />

verfolgte Schlieffen die sich <strong>zur</strong>ückziehenden<br />

Franzosen (rot) südöstlich von<br />

Paris, überschritt die Marne und schnitt<br />

das französische Heer von Paris ab. Zudem<br />

gelang es ihm, durch immer neue<br />

Umfassung mit seinem rechten Flügel<br />

die französischen Verbände zum Rückzug<br />

von der Seine zu zwingen und sie<br />

ab dem 56. Mobilmachungstag gegen<br />

die Schweizer Grenze zu drängen.


seinem Nachfolger in seiner Denkschrift<br />

von 1905 als künftige Richtschnur.<br />

Moltke d.J. war jedoch, wie<br />

sich zeigen sollte, in vielen operativen<br />

Fragen anderer Auffassung als sein<br />

Vorgänger.<br />

<strong>Die</strong> Denkschrift von 1905<br />

Warum wählte Schlieffen, der in seiner<br />

Amtszeit nur wenige Denkschriften<br />

verfasste, diesen Weg und überreichte<br />

Moltke d.J. nach seinem Ausscheiden<br />

eine solche Denkschrift, die seine<br />

operativen Grundgedanken zusammenfasste?<br />

Bis heute wird infolge der<br />

literarischen Tätigkeit der Schlieffenschule<br />

in den 1920er und 1930er Jahren<br />

der Große Generalstab unter Schlieffen<br />

gerne als Institution gesehen, deren<br />

Offiziere als geschlossene Einheit<br />

auftraten und sich ohne Diskussion<br />

dem Willen ihres Chefs fügten. <strong>Die</strong><br />

Schlussbesprechungen der Großen<br />

Generalstabsreise West 1904 zeigen<br />

jedoch, dass es in den letzten Amtsjahren<br />

Schlieffens sehr wohl Kritik an<br />

seinen operativen Planungen gab, die<br />

sich in den weiteren Übungen des Generalstabschefs<br />

niederschlugen. Wortführer<br />

der Kritiker war – zumindest<br />

aus Schlieffens subjektiver Sicht – der<br />

dem Generalstabschef aufgezwungene<br />

Nachfolger Moltke d.J. Um diesen<br />

könnte sich – ein bei bevorstehenden<br />

Amtswechseln nicht ungewöhnlicher<br />

Vorgang – eine Gruppe aufstrebender<br />

Generalstabsoffiziere geschart haben,<br />

die den Führungsanspruch des an seinem<br />

Stuhl »klebenden« Amtsinhabers<br />

zumindest indirekt in Frage stellten.<br />

Für viele junge Generalstabsoffiziere<br />

war der zweiundsiebzigjährige Generalstabschef<br />

mit der Bekanntgabe seines<br />

Nachfolgers nur noch eine »lahme<br />

Ente«. Schlieffen hat dies – wie viele<br />

von einem Amtsverlust Betroffene<br />

– sehr wohl wahrgenommen. Was also<br />

lag aus Sicht Schlieffens näher, als<br />

seinem Nachfolger die eigenen operativen<br />

Grundgedanken noch einmal<br />

in Erinnerung zu rufen, die eigene<br />

Position vor der Geschichte noch einmal<br />

unmissverständlich darzustellen<br />

und zu rechtfertigen – und somit sein<br />

Lebenswerk zu retten.<br />

Schlieffen hatte Recht mit seinen<br />

Befürchtungen. Zwar hielt Moltke in<br />

den folgenden Jahren an den Grundprinzipien<br />

der Operationsplanung sei-<br />

nes Vorgängers fest, doch schon seine<br />

Randbemerkungen <strong>zur</strong> Denkschrift<br />

zeigen, dass er von zwei Prämissen<br />

der geplanten weiträumigen Umfassung<br />

nicht überzeugt war. Zum einen<br />

zweifelte er an der von Schlieffen angenommenen<br />

defensiven Operationsführung<br />

der Franzosen, zum anderen<br />

schloss er einen langwierigen Krieg<br />

nicht aus.<br />

Modifikation des<br />

Schlieffenplans?<br />

Seit 1905 verschob sich zunehmend<br />

die strategische Lage zu Ungunsten<br />

des Kaiserreiches. Ging Schlieffen in<br />

seinen Planungen für 1905 noch von<br />

einem schnellen Einfrontenkrieg im<br />

Westen aus, bevor andere Mächte in<br />

den Krieg eintraten, so <strong>muss</strong>te sein<br />

Nachfolger am Vorabend des Ersten<br />

Weltkrieges mit der Gegnerschaft<br />

Frankreichs, Russlands und Großbritanniens<br />

rechnen. Vor diesem Hintergrund<br />

und angesichts aktueller Feindlagebeurteilungen<br />

des Generalstabes<br />

veränderte Moltke d.J. im Laufe der<br />

Jahre die deutschen Operationsplanungen.<br />

So unterschied sich sein Operationsplan<br />

gegen Frankreich in entscheidenden<br />

Punkten von dem seines<br />

Vorgängers: Er sah die Verstärkung<br />

des linken deutschen Flügels, den<br />

Verzicht auf den Durchmarsch durch<br />

die Niederlande und deswegen eine<br />

schnelle Eroberung Lüttichs vor. 1914<br />

rückten die deutschen Soldaten daher<br />

nicht mit einem Schlieffen-, sondern<br />

mit einem Moltkeplan ins Feld.<br />

Trotz dieser Änderungen hielt Moltke<br />

an den von Schlieffen <strong>zur</strong> Führung<br />

eines Zweifrontenkrieges entwickelten<br />

grundsätzlichen Prinzipien fest:<br />

� keine defensive und reagierende,<br />

sondern eine offensive, die Initiative<br />

ergreifende Kriegführung;<br />

� unter Nutzung der »inneren Linie«<br />

Auflösung des Zweifrontenkrieges<br />

in zwei Einfrontenkriege, die nacheinander<br />

durchgefochten werden<br />

sollten;<br />

� Schwerpunktbildung mit Offensive<br />

im Westen und hinhaltender Kriegführung<br />

im Osten;<br />

� schnelle Vernichtungsschlacht mit<br />

Hilfe eines starken rechten Flügels<br />

nach Umfassung des französischen<br />

Festungssystems und erfolgreichem<br />

Durchmarsch durch neutrales luxemburgisches<br />

und belgisches Territorium<br />

(Ausnahme: französischer<br />

Großangriff gegen Elsass-Lothringen);<br />

� nach dem Sieg im Westen unverzüglicher<br />

Eisenbahntransport des<br />

Großteils der siegreichen Verbände<br />

an die Ostfront, um dort den zwischenzeitlich<br />

nur verzögerten Gegner<br />

zu schlagen.<br />

Unabdingbare Voraussetzung dieser<br />

strategischen Doktrin war jedoch,<br />

dass der erste Gegner in einer »wirklichen«<br />

Entscheidungsschlacht schnell<br />

und vernichtend geschlagen werden<br />

würde. Wie ein Damoklesschwert<br />

schwebte daher der Zeitfaktor über<br />

den operativen Planungen und drohte<br />

sie jederzeit zunichte zu machen. Sie<br />

bargen daher ein sehr hohes Risiko<br />

und waren beileibe kein Siegesrezept,<br />

sondern eher eine Notlösung. <strong>Die</strong> Alternative<br />

wäre gewesen, die politische<br />

Führung über die Aussichtslosigkeit<br />

eines Zweifrontenkrieges zu informieren<br />

und damit <strong>zur</strong> Änderung ihrer<br />

Außenpolitik zu bewegen. Doch dies<br />

entsprach nicht dem Selbstverständnis<br />

deutscher Generalstabsoffiziere und<br />

hätte zudem die Position der Armee<br />

im Kaiserreich in Frage gestellt. Da<br />

weder Schlieffen noch Moltke bereit<br />

waren, gegenüber ihrem Obersten<br />

Kriegsherren, dem Kaiser, einen militärischen<br />

Offenbarungseid zu leisten,<br />

entschlossen sie sich, dem Zeitgeist<br />

entsprechend den gordischen Knoten<br />

des Zweifrontenkrieges nicht defensiv<br />

zu lösen, sondern ihn offensiv zu<br />

durchschlagen.<br />

An der von Schlieffen entwickelten<br />

grundlegenden operativ-strategischen<br />

Doktrin – dem Schlieffenplan – hielt<br />

also auch sein Nachfolger trotz einiger<br />

operativer Modifizierungen unbeirrt<br />

fest. In abgewandelter Form fand sie<br />

auch noch im Zweiten Weltkrieg durch<br />

die Wehrmacht Anwendung.<br />

Literaturtipp:<br />

� Gerhard P. Groß<br />

Der Schlieffenplan. Analysen und Dokumente. Im Auftrag<br />

des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes und<br />

der Otto-von-Bismarck-Stiftung hrsg. von Hans Ehlert,<br />

Michael Epkenhans und Gerhard P. Groß, 2. Aufl., Paderborn<br />

u.a. 2007 (= Zeitalter der Weltkriege, Bd 2)<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

17


Gernika<br />

<strong>Die</strong> Zerstörung Gernikas<br />

am 26. April 1937<br />

Am 26. April 1937 wurde die baskische Stadt Gernika während der franquistischen Offensive gegen das Baskenland<br />

durch deutsche und italienische Bomber nahezu vollständig zerstört. Den Opfern unter der Zivilbevölkerung, deren<br />

Zahl heute mehrheitlich mit etwa 300 Toten angegeben wird, setzte Pablo Picasso mit seinem Monumentalgemälde<br />

»Guernica« ein vielbeachtetes Denkmal. Für den spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung 1937 gemalt, verkündete<br />

es die Wahrheit über Gernika und griff mit seiner verzweifelten Klage und Anklage »auf aggressive Weise<br />

die ›Appeasement [Beschwichtigungspolitik]-Ästhetik‹ an, die die demokratischen Staaten in ihrem Umgang mit<br />

dem Totalitarismus predigten« (Werner Spies).<br />

� Das Ruinenfeld der baskischen Stadt Gernika,<br />

August 1937.<br />

<strong>Die</strong> kriegspropagandistischen<br />

Kontroversen über die Umstände<br />

der Zerstörung Gernikas<br />

– das Spektrum reicht vom ersten<br />

Terrorluftangriff der Geschichte bis<br />

<strong>zur</strong> Brandschatzung durch die Basken<br />

selbst – haben unter den innerspanischen<br />

Verhältnissen während der Ära<br />

des spanischen Diktators Francisco<br />

Franco und unter den Bedingungen der<br />

ideologischen Konfrontation im Kalten<br />

Krieg lange Zeit überlebt; sie bestimmen<br />

bisweilen noch heute die Diskussion.<br />

Es erscheint daher nützlich, den<br />

durch Quellen gesicherten Forschungsstand<br />

zu rekapitulieren. Ohne die breit<br />

dokumentierten Zeugenaussagen der<br />

Einwohner Gernikas gering zu schätzen,<br />

beschränken sich die nachfolgenden<br />

Feststellungen ausschließlich auf<br />

Zeugnisse der Täterseite.<br />

Richthofens Befehl<br />

18 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

bpk 30018101-p ullstein bild / VG Bild-Kunst, Bonn 2007<br />

� Pablo Picasso, Studie zu dem 1937 fertiggestellten<br />

Gemälde »Guernica«.<br />

<strong>Die</strong> verfügbaren Quellen weisen zweifelsfrei<br />

aus, dass Gernika am Nachmittag<br />

des 26. April 1937 von etwa<br />

30 deutschen und drei italienischen<br />

Bombern angegriffen wurde. Als Angriffsziele<br />

waren vom damaligen Chef<br />

des Stabes der Legion Condor, Oberstleutnant<br />

Wolfram Freiherr von Richthofen<br />

– folgt man seinem privaten<br />

Tagebuch –, nach Beratung mit dem<br />

Chef des Stabes der Navarra-Brigaden,<br />

Oberst Juan Vigon, »Straßen und<br />

Brücke (einschließlich Vorstadt) hart<br />

ostwärts Guernica« befohlen worden.<br />

Besagter Vorort, Renteria, liegt unmittelbar<br />

am nordöstlichen Stadtrand<br />

und beherbergte damals ca. 400 Einwohner.<br />

Richthofens Absicht war es,<br />

durch die Sperrung Gernikas an dieser<br />

verkehrswichtigen Stelle den Rückzug<br />

der baskischen Verbände nach Westen,<br />

hinter die Befestigungen des sogenannten<br />

Eisernen Gürtels um Bilbao, zu verhindern<br />

und den Gegner im Raum zwischen<br />

Gernika und Marquina (15 km<br />

südöstlich Gernika) einzuschließen:<br />

»Dort <strong>muss</strong> zugemacht werden, soll<br />

endlich ein Erfolg gegen Personal und<br />

Material des Gegners herausspringen.<br />

Vigon sagt zu, seine Truppen so vorzudrücken,<br />

dass alle Straßen südl[ich]<br />

Guernica gesperrt sind. Gelingt das,<br />

haben wir den Gegner um Marquina<br />

im Sack.«<br />

Über die Wirkung des Angriffs, den<br />

die Brücke unversehrt überstand, notierte<br />

Richthofen am 30. April in sein<br />

Tagebuch:


»Guernica, Stadt von 5000 Einwohnern,<br />

buchstäblich dem Erdboden<br />

gleichgemacht. Angriff erfolgte mit<br />

250-kg- und Brandbomben, letztere<br />

etwa 1/3. Als die 1. Jus [Junkers Ju 52<br />

Behelfskampfflugzeuge] kamen, war<br />

überall schon Qualm von VB [Versuchsbomberabteilung],<br />

die mit 3 Flugzeugen<br />

angriffen, keiner konnte mehr<br />

Straßen-, Brücken- und Vorstadtziel<br />

erkennen und warf nun mitten hinein.<br />

<strong>Die</strong> 250er warfen eine Anzahl Häuser<br />

um und zerstörten die Wasserleitung.<br />

<strong>Die</strong> Brandbomben hatten nun<br />

Zeit sich zu entfalten und zu wirken.<br />

<strong>Die</strong> Bauart der Häuser: Ziegeldächer,<br />

Holzgalerie und Holzfachwerkhäuser,<br />

führte <strong>zur</strong> völligen Vernichtung [...]<br />

Bombenlöcher auf Straßen noch zu<br />

sehen, einfach toll. – Stadt war völlig<br />

gesperrt für mindestens 24 Stunden, es<br />

war die geschaffene Voraussetzung für<br />

einen großen Erfolg, wenn Truppen nur<br />

nachgerückt wären. So nur ein voller<br />

technischer Erfolg unserer 250er u[nd]<br />

EC.B. 1 [1-kg-Brandbombe B1E].«<br />

Auch ein der Legion Condor angegliedertes<br />

Versuchskommando analysierte<br />

am 28. Mai 1937 das Ergebnis<br />

des Luftangriffs, ohne auf das Angriffsmotiv<br />

einzugehen:<br />

»<strong>Die</strong> Zerstörung der Stadt ist in der<br />

Weise vor sich gegangen, dass bei den<br />

ersten Angriffen vor allem Brandbomben<br />

zum Abwurf gelangten, die viele<br />

Dachstuhlbrände anregten und dadurch<br />

eine Auflockerung des einzelnen<br />

Hausverbandes erzielten. Bei den kurz<br />

darauf folgenden Angriffen mit 250-kg-<br />

Sprengbomben wurden die Wasserlei-<br />

tungen zerstört, was Löschversuche vereitelte.«<br />

In seinem zusammenfassenden Befund<br />

bilanzierte das Versuchskommando<br />

»einen Zerstörungsumfang<br />

von 75 % der Stadt bei 31 000 kg Gesamtabwurfmenge<br />

aus 600 bis 800 m<br />

Höhe«. Nach dem Einsatztagebuch<br />

des Staffelkapitäns der 1. Staffel, Oberleutnant<br />

Karl von Knauer, erfolgte der<br />

Angriff aus 1500 m Höhe mit »guter<br />

Wirkung«. Zuvor hatten um 16:30 Uhr<br />

drei italienische Bomber des Typs Savoia<br />

Marchetti 79 mit insgesamt sechsunddreißig<br />

50-kg-Bomben aus 3600 m<br />

Höhe bei »perfekter Sicht« angegriffen.<br />

� Der zerstörte Ort einige Tage nach dem Angriff, Ende April 1937.<br />

<strong>Die</strong> geographischen Gegebenheiten<br />

und die für beide Kriegsparteien<br />

gut dokumentierte militärische Lage<br />

am 25./26. April 1937 lassen das von<br />

Richthofen angeführte taktische Motiv<br />

der Sperrung Gernikas plausibel<br />

erscheinen. Der verwendete Bombenmix<br />

war bei der Legion Condor als<br />

»Generalstabsmischung« bekannt. Bei<br />

Einsätzen gegen Städte und Ortschaften,<br />

in denen feindliche Führungsstäbe<br />

vermutet wurden, hatte er sich als<br />

besonders wirkungsvoll erwiesen. Da<br />

Richthofen eine mindestens 24-stündige<br />

Unterbrechung der Verkehrsverbindung<br />

durch Gernika für den Gegner<br />

nicht nur durch die Zerstörung<br />

der Straßenbrücke über den Rio Oca,<br />

sondern auch mit dem Trümmerschutt<br />

Renterias erreichen wollte, hielt er offenbar<br />

die Verwendung dieser Bombenmischung<br />

für zweckmäßig.<br />

Der Bericht des Versuchskommandos<br />

nährt den Verdacht, dass die Bomberbesatzungen<br />

von Anfang an keine<br />

halben Sachen machen wollten. Auf<br />

jeden Fall legen aber die der Zerstörung<br />

Gernikas vorausgegangenen und<br />

nachfolgenden Luftangriffe der Legion<br />

Condor auf Städte und Ortschaften<br />

den Schluss nahe, dass die Bomberbesatzungen<br />

über Gernika keine Hemmungen<br />

hatten, einfach »mitten hinein<br />

zu werfen«, als sie für gezielte Würfe<br />

� Heinkel-Kampfflugzeuge der deutschen Legion Condor auf einem spanischen<br />

Luftwaffenstützpunkt, Foto um 1936.<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

19<br />

ullstein bild<br />

akg-images


Gernika<br />

Der Spanische Bürgerkrieg (1936–1939)<br />

Am 18. Juli 1936 putschte eine rechtsgerichtete Militärjunta unter<br />

Führung von Generalmajor Francisco Franco gegen die »Volksfrontregierung«<br />

aus Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten in Madrid.<br />

<strong>Die</strong>s war der Beginn eines verheerenden Bürgerkrieges zwischen<br />

regierungstreuen Republikanern und rechten Nationalisten, der sich<br />

zu einem internationalen Konflikt auf spanischem Boden ausweitete,<br />

in dem ideologische Gegensätze militärisch ausgetragen wurden.<br />

<strong>Die</strong> UdSSR unterstützte bis 1938 offen die republikanische Seite. Viele<br />

Freiwillige aus der ganzen Welt, Interbrigadisten genannt, schlossen<br />

sich den republikanischen Kämpfern an.<br />

<strong>Die</strong> liberalen Demokratien Frankreich und Großbritannien verfolgten<br />

offiziell eine Nichteinmischungspolitik. Das autoritär regierte<br />

Portugal, das faschistische Italien und das nationalsozialistische<br />

Deutschland leisteten Franco Hilfe. <strong>Die</strong> Wehrmacht hatte hierfür<br />

ein spezielles Expeditionskorps aufgestellt: die »Legion Condor«.<br />

Sie verfügte über bis zu 140 ständig einsatzbereite Flugzeuge (von<br />

insgesamt 600 bis 700), über Panzer sowie einige Schiffe. <strong>Die</strong> Mannschaften<br />

lösten sich nach kurzer Zeit ab, so dass rund 19 000 Soldaten<br />

»praktische Kriegserfahrungen« sammeln konnten. Eingesetzt<br />

als »fliegende Artillerie«, unterstützten die Luftstreitkräfte das nationalspanische<br />

Heer. <strong>Die</strong> deutsche Intervention in Spanien trug zum<br />

Sieg Francos bei. Ende März 1939 marschierten Francos Trupppen<br />

schließlich in Madrid ein.<br />

Mehr als 300 000 Menschen hatten bei Kampfhandlungen ihr Leben<br />

verloren, über 200 000 wurden zwischen 1936 und 1944 Opfer<br />

politischer Gewalt. General Franco errichtete ein diktatorisches Regime,<br />

das bis zu seinem Tod 1975 andauerte und rund 250 000 republiktreue<br />

Anhänger ins Exil trieb. Erst nach dem Tod des Diktators<br />

konnte sich Spanien zu einer Demokratie entwickeln.<br />

Dorothee Hochstetter<br />

gegen Renteria und die Brücke angeblich<br />

zu ungünstige Sicht- und Windverhältnisse<br />

antrafen.<br />

Erprobung des »operativen<br />

Luftkrieges« durch die Legion<br />

Condor<br />

Seit der Teilnahme der Legion Condor<br />

an Luftangriffen auf Madrid im<br />

November und Dezember 1936 lagen<br />

rücksichtslose Luftangriffe und sogar<br />

Terrorangriffe gegen die Zivilbevölkerung<br />

buchstäblich »in der Luft«. Allein<br />

in der Nacht vom 4. auf den 5. Dezember<br />

warf die Legion Condor 36 t Bomben<br />

auf die Stadt. Auch Erprobungsangriffe<br />

mit 500-kg-Bomben durch das<br />

Sturzkampfflugzeugmuster Ju 87 wurden<br />

gegen Madrid durchgeführt.<br />

Am 3. und 5. Dezember 1936 unterbreitete<br />

das deutsche Versuchskommando<br />

Vorschläge für den Einsatz von<br />

Spreng- und Brandbomben gegen spa-<br />

20 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

nische Städte, die Richthofen für »gut«<br />

befand. Während der Dezember-Offensive<br />

der franquistischen Südarmee<br />

unter General Gonzalo Queipo de Llano<br />

im Raum östlich und südöstlich<br />

Cordoba war sich die Legionsführung<br />

darin einig, »dass es zu begrüßen sei,<br />

wenn endlich einmal von spanischer<br />

Seite der Angriff auf Ortschaften ausdrücklich<br />

gewünscht werde und dass<br />

die Möglichkeit schnell ausgenützt<br />

werden müsse, die eigene Bombenwirkung<br />

in Städten festzustellen, die<br />

dicht hinter den Trennungslinien liegend,<br />

mit großer Wahrscheinlichkeit<br />

bald genommen würden«. Erst nach<br />

wiederholtem Drängen bei der Armeeführung<br />

erreichten die Deutschen,<br />

dass im schriftlichen Angriffsbefehl<br />

Luftangriffe auf El Carpio, Montoro<br />

und Bujalance freigegeben wurden.<br />

»Grundgedanke« dieser Angriffe war<br />

die »Erschütterung der Moral der<br />

Feindkräfte«. Bei dem Luftangriff auf<br />

� Plakat der »Volksfront« im Spanischen<br />

Bürgerkrieg mit dem Aufruf:<br />

»Kion vi faras por eviti tion?«<br />

(Was tust Du, um das zu verhindern?).<br />

In den Zeilen darunter wird der<br />

Hoffnung Ausdruck gegeben, die<br />

ganz Welt möge ihre Energie im<br />

Kampf gegen den internationalen<br />

Faschismus einsetzen.<br />

akg-images<br />

Bujalance am 14. Dezember 1936 wurden<br />

insgesamt 120 50-kg-Bomben aus<br />

ca. 600 m Höhe abgeworfen.<br />

Das Trefferergebnis dieses Luftangriffs,<br />

der 120 Tote und zahlreiche<br />

Verletzte forderte, befand das Versuchskommando<br />

als »sehr gut«. <strong>Die</strong><br />

Treffer lagen gleichmäßig verteilt im<br />

mittleren Teil des Ortes. Nur ein verhältnismäßig<br />

schmaler Randstreifen<br />

der Ortschaft lag außerhalb des Trefferbildes.<br />

Richthofen, der in einer der<br />

am Angriff beteiligten Maschinen mitflog,<br />

beschlich ein »[e]igenartiges Gefühl<br />

zum 1. Mal scharfe Bomben auf<br />

Menschen und richtige Ziele fallen zu<br />

sehen. Langsam taumelnd, ganz friedlich,<br />

beinahe spielend verlassen sie<br />

den Vogel und man weiß, dass da unten<br />

bald der Friede aufhört. Und wen<br />

treffen sie hier? Irgendwelche kleinen<br />

Leute, die von Weiß und Rot nichts<br />

wissen und wissen wollen.«


<strong>Die</strong> Legion Condor war bemüht, bei<br />

der franquistischen Führung das in<br />

Deutschland entwickelte Konzept eines<br />

von den Heeresoperationen relativ<br />

unabhängigen »operativen Luftkrieges«<br />

durchzusetzen. Richthofen vertrat deshalb<br />

gegenüber dem franquistischen<br />

Luftwaffengeneralstab in erster Linie<br />

den Kampf gegen die feindliche Luftwaffe<br />

und wollte nach Erringen der<br />

Angriffsfreiheit Nachtangriffe auf Verkehrswege<br />

und eventuell gegen die<br />

Industrie fliegen. Im Hinblick auf die<br />

regierungstreuen Nordprovinzen, Baskenland,<br />

Santander und Asturien, plante<br />

die Legion Condor Ende Dezember<br />

1936 einen operativen Einsatz gegen<br />

»Waffen- und Munitionsfabriken, Hafenanlagen,<br />

Lebensmitteldepots und<br />

evtl. Terrorangriffe, um Verhandlungen<br />

Nachdruck zu verleihen«.<br />

Gegen die Republik:<br />

Spanisch-deutsch-italienische<br />

Kooperation<br />

Nach der Niederlage der italienischen<br />

Interventionstruppen bei Guadalajara,<br />

rund 50 km nördlich Madrid, begann<br />

am 31. März 1937 die Offensive im<br />

Norden <strong>zur</strong> Entlastung der Front vor<br />

Madrid. <strong>Die</strong> Legion Condor fügte sich,<br />

unbeschadet ihrer ausschließlichen<br />

Unterstellung unter Generalissimus<br />

Franco, den Wünschen der Nordarmee<br />

unter General Emilio Mola nach<br />

unmittelbarer Unterstützung seiner<br />

artilleristisch unterversorgten Navarra-Brigaden.<br />

Hierfür wurde die Legion<br />

Condor erstmals als geschlossener<br />

Verband eingesetzt und – ohne förmliche<br />

Unterstellung – um eine spanische<br />

Staffel und je eine italienische Jagd-<br />

und Bombergruppe verstärkt. <strong>Die</strong> eigene<br />

Luftaufklärung lieferte der Legionsführung<br />

ein schnelles und genaues<br />

Lagebild, wodurch sie über ihre Fernmeldeverbindungen<br />

zu den deutschen<br />

Verbindungsoffizieren bei den einzelnen<br />

Brigaden »meist rechtzeitig ihren<br />

Einfluss entscheidend geltend machen«<br />

konnte. <strong>Die</strong> Operationen wurden von<br />

Richthofen und Vigon gemeinsam von<br />

einem Gefechtsstand aus geleitet, von<br />

dem aus die baskischen Verteidigungslinien<br />

und die eigenen Bereitstellungen<br />

eingesehen werden konnten.<br />

Wegen der Abhängigkeit der Operationen<br />

von der Luftunterstützung<br />

konnte sich Richthofen als »effektiv<br />

omnipotenter Feldherr« fühlen: »Praktisch<br />

führen wir den ganzen Laden,<br />

ohne eigentliche Verantwortung«. Er<br />

plante, mit den schweren deutschen<br />

und italienischen Bomberkräften »ohne<br />

Rücksicht auf die Zivilbevölkerung«<br />

die baskischen Reserven bis <strong>zur</strong> Linie<br />

der Divisionsstäbe und mit den mittleren<br />

Bombern, einschließlich der spanischen<br />

Staffeln, die feindlichen Stellungen<br />

anzugreifen. Im Verlauf der<br />

Offensive setzte Richthofen die italienischen<br />

Bomber ausschließlich auf<br />

die Städte und Dörfer im Hinterland<br />

an, nachdem diese zu oft in die eigenen<br />

Stellungen geworfen hatten. Aber<br />

auch die Legion Condor bombardierte<br />

regelmäßig Ortschaften, wenn sie<br />

ihre Truppenziele nicht finden konnte.<br />

Das Interesse am Bürgerkriegsschicksal<br />

dieser Siedlungen steht leider bis<br />

heute im Schatten der Beschäftigung<br />

mit Gernika.<br />

Schon kurz nach Angriffsbeginn stellte<br />

sich heraus, dass der in Form von<br />

Tageszielen aufgestellte Zeitplan der<br />

Offensive wegen des schwierigen Geländes<br />

und der tapferen Verteidigung<br />

der Basken nicht eingehalten werden<br />

konnte. So kam es am 2. April zu einer<br />

heftigen Auseinandersetzung zwischen<br />

Richthofen und Mola. Richthofen hielt<br />

dem General lasche Truppenführung<br />

vor und drohte mit der Einstellung<br />

der Luftunterstützung. Mola schlug<br />

vor, dass die Legion Condor in den<br />

nächsten Tagen die Industrie in Bilbao<br />

vernichten solle. Spanien werde,<br />

so die anachronistischen Gesellschaftsvorstellungen<br />

des Generals, durch die<br />

Industriezentren Bilbao und Barcelona<br />

beherrscht, und ihre Zerstörung werde<br />

die »Gesundung« Spaniens nach dem<br />

Bürgerkrieg erleichtern. Richthofen widersetzte<br />

sich zwar diesem Ansinnen<br />

aus militärischen und kriegswirtschaftlichen<br />

Gründen. Als aber am 23. April<br />

die Operationen wiederum ins Stocken<br />

gerieten, traten auch bei der Legionsführung<br />

Überlegungen auf, »nun doch<br />

Bilbao selbst in Schutt und Asche zu<br />

legen«. Tags darauf bombardierte die<br />

Legion Condor auf schriftlichen Befehl<br />

Molas Galdacano und den Hafen<br />

von Bilbao. Zum Vergleich: Allein im<br />

Monat April 1937 warf die Legion Condor<br />

600 t Bomben auf Bilbao, fünf mal<br />

mehr, als die Deutschen im Verlauf des<br />

gesamten Ersten Weltkrieges auf England<br />

abgeworfen hatten.<br />

Als sich am 24. April fluchtartige<br />

Rückzugsbewegungen der baskischen<br />

Verbände abzeichneten, wurde die Legion<br />

Condor sofort wieder <strong>zur</strong> unmittelbaren<br />

Heeresunterstützung und<br />

<strong>zur</strong> Abriegelung des Gefechtsfeldes<br />

eingesetzt: Am 25. April warfen die<br />

Ju 52 laut Richthofen »schön mit großen<br />

Bomben auf Ermua«, während<br />

die Italiener statt Ermua versehentlich<br />

Eibar bombardierten. Zu Eibar hält<br />

der Bericht des Versuchskommandos<br />

Folgendes fest:<br />

»<strong>Die</strong> mehrfachen Angriffe mit Abwurfhöhen<br />

von nur 600 bis 800 m, die durch<br />

das Fehlen jeglicher Luft- und Erdabwehr<br />

ermöglicht wurden, wiesen<br />

auch hier gute Trefferlage auf. Begünstigt<br />

durch die italienische Abwurfmethode<br />

(Koppelwurf [gleichzeitige<br />

Auslösung von drei nebeneinander<br />

aufgehängten Bomben]), konnte ein<br />

Zerstörungsumfang von 60 % erzielt<br />

werden [...] <strong>Die</strong> Anzahl der Getöteten<br />

beträgt rund 200 Zivilisten; ob und<br />

wieviel rote Truppen ums Leben kamen,<br />

konnte nicht ermittelt werden.«<br />

Italienische Bomber hatten zwei<br />

Tage zuvor schon Elgueta »voll erfasst«,<br />

und nach zwei Luftangriffen<br />

der Italiener auf Durango fand Richthofen<br />

die Stadt »toll aussehend«. Ihm<br />

schien, »als ob die Bomben die Kirchen<br />

geradezu gesucht hätten«. Am Vormittag<br />

des 26. April, wenige Stunden<br />

vor dem Luftangriff auf Gernika, ließen<br />

die deutschen Ju 52 in Guerricaiz<br />

(8 km südöstlich Gernika) »kein Haus<br />

mehr ganz« und hatten dadurch, trotz<br />

nur weniger Straßentreffer, den baskischen<br />

Rückzugsverkehr »wesentlich<br />

verzögert«.<br />

Ungeachtet der weltweiten Empörung<br />

über die Zerstörung Gernikas<br />

bombardierte die Legion Condor weiter<br />

Städte und Ortschaften. Gegen<br />

Ende der Kämpfe in Asturien entschloss<br />

sich die Legionsführung, »die<br />

Staffeln nunmehr rücksichtslos gegen<br />

sämtliche Ortschaften und Verkehrsmittel<br />

in dem eng gewordenen roten<br />

Lebensraum einzusetzen«. Am 3. November<br />

1937 beklagte sich Franco bei<br />

Richthofen über diese »ohne Willen<br />

der Spanier« unter anderem auf die<br />

Städte Colunga, Villaviciosa de Asturias<br />

und Ganges de Onis durchgeführten<br />

Luftangriffe.<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

21


Gernika<br />

� Abschiedsparade der deutschen Legion Condor vor General Francisco Franco<br />

(Mitte) in Leon am 24. Mai 1939; rechts im Bild der Befehlshaber der Legion,<br />

Wolfram Freiherr von Richthofen.<br />

Trotz der von der Legion Condor in<br />

Spanien eingeübten Bombardierung<br />

von Städten – ein Erfahrungsbericht<br />

der Legion Condor vom 12. Juni 1938<br />

erwähnt unter den angegriffenen Zielgruppen<br />

ausdrücklich »Regierung und<br />

Bevölkerung (Städte)« – spricht vieles<br />

dagegen, dass Gernika einem geplanten<br />

Terrorangriff zum Opfer fiel, wenn<br />

man unter einem Terrorangriff eine<br />

Kriegshandlung versteht, die hauptsächlich<br />

die Terrorisierung der Zivilbevölkerung<br />

zum Ziel hat. Aus der<br />

Opferperspektive ist die Frage nach<br />

einem taktischen oder terroristischen<br />

Angriffsmotiv freilich irrelevant.<br />

Gernika und das Völkerrecht<br />

Der Luftangriff auf Gernika war aber<br />

auch bei Fehlen eines terroristischen<br />

Motivs ein Verstoß gegen damals geltendes<br />

Völkerrecht. Art. 25 der Haager<br />

Landkriegsordnung (HLKO) von 1907<br />

verbietet, »unverteidigte Städte, Dörfer,<br />

Wohnungen oder Gebäude, mit<br />

welchen Mitteln es auch sei, anzugreifen<br />

oder zu beschießen«. <strong>Die</strong> Präambel<br />

<strong>zur</strong> HLKO hält fest:<br />

»Solange, bis ein vollständiges Kriegsgesetzbuch<br />

festgestellt werden kann,<br />

halten es die hohen vertragsschließenden<br />

Teile für zweckmäßig, festzustellen,<br />

dass in den Fällen, die in den Be stimmungen<br />

der von ihnen angenom menen<br />

22 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

akg-images<br />

Ordnungen nicht einbegriffen sind, die<br />

Bevölkerung und die Kriegführenden<br />

unter dem Schutze und der Herrschaft<br />

der Grundsätze des Völkerrechts bleiben,<br />

wie sie sich ergeben aus den unter<br />

gesitteten Völkern feststehenden<br />

Ge bräuchen, aus den Gesetzen der<br />

Menschlichkeit und den Forderungen<br />

des öffentlichen Gewissens.«<br />

Gegen Geist und Wortlaut dieser<br />

Bestimmungen hat Richthofen allein<br />

schon dadurch verstoßen, dass er mit<br />

der Einbeziehung des Vororts Renteria<br />

in die befohlenen Angriffsziele<br />

den Tod von Nichtkombattanten und<br />

wegen der offensichtlichen Nähe des<br />

Vororts und der Brücke zum Stadtkern<br />

nahezu unvermeidliche Fehlwürfe<br />

und damit Opfer in der Stadt billigend<br />

in Kauf genommen hat. Ein<br />

zynischer Kommentar Richthofens in<br />

einem Schreiben vom 25. Mai 1937 zu<br />

dem internationalen Aufschrei über<br />

die Zerstörung Gernikas lässt bestenfalls<br />

einen Hauch schlechten Gewissens<br />

erkennen: »<strong>Die</strong> Aufregung über<br />

deutsche Bomber ist natürlich insofern<br />

durchaus unberechtigt, als es hier nur<br />

spanische Verbände gibt!! Ich hatte<br />

mich aber bei Guernica wohl etwas<br />

rüpelhaft benommen!« <strong>Die</strong>se Einsicht<br />

hielt Richthofen jedoch nicht davon<br />

ab, in einem Schreiben an Francos<br />

Luftwaffen-Generalstabschef, General<br />

Alfredo Kindelan, vom 9. August 1937<br />

sich wider besseren Wissens der seit<br />

dem 29. April vom franquistischen<br />

Hauptquartier verbreiteten propagandistischen<br />

Sprachregelung anzuschließen:<br />

»<strong>Die</strong> Zerstörung Guernicas lässt<br />

sich nicht anders als durch absichtliche<br />

Sprengung und Brandstiftung<br />

erklären.«<br />

Gernika war nicht der erste und<br />

nicht der letzte Meilenstein auf dem<br />

Weg zum totalen Luftkrieg, der keinen<br />

Unterschied zwischen Kombattanten<br />

und Nichtkombattanten macht und im<br />

Zweiten Weltkrieg seinen vorläufigen<br />

Höhepunkt erreichte. Im Jahre 1949<br />

resümierte Brigadegeneral Telford<br />

Taylor, Hauptankläger bei den zwölf<br />

Nürnberger Nachfolgeprozessen:<br />

»Zahlreiche Bestimmungen der Haager<br />

Abkommen von 1907 bezüglich rechtswidriger<br />

Mittel des Kampfes [...] waren<br />

antiquiert. Andere waren während<br />

des Ersten Weltkrieges nur teilweise<br />

eingehalten und während des Zweiten<br />

Weltkrieges fast völlig außer Acht<br />

gelassen worden [...]. Auch wenn die<br />

ersten Städte, die schweren Bombardements<br />

zum Opfer fielen – Warschau,<br />

Rotterdam, Belgrad und London – von<br />

den Deutschen und nicht den Alliierten<br />

in Trümmer gelegt wurden, waren<br />

die Ruinen deutscher und japanischer<br />

Städte dennoch nicht das Ergebnis von<br />

Vergeltungsmaßnahmen, sondern einer<br />

gezielten Politik und ein Beleg dafür,<br />

dass die Bombardierung von Städten<br />

und Fabriken aus der Luft inzwischen<br />

ein anerkannter Bestandteil moderner<br />

Kriegführung geworden war, wie sie<br />

von allen Ländern praktiziert wird.«<br />

<strong>Die</strong>ser Entwicklung lagen strukturelle<br />

Ursachen des technisierten Krieges<br />

im Industriezeitalter zugrunde, es<br />

waren aber immer auch intentionales<br />

Handeln und persönliche Entscheidungen,<br />

wie die Richthofens gegen<br />

Gernika, die diese Eskalation der Barbarei<br />

vorantrieben.<br />

Literaturtipps:<br />

� Klaus A. Maier<br />

Walther L. Bernecker, Krieg in Spanien 1936 bis 1939,<br />

2., vollst. überarb. und erw. Aufl., Darmstadt 2005


Im Juli 1956 beschloss der Deutsche<br />

Bundestag die Einführung der Allgemeinen<br />

Wehrpflicht. Angesichts<br />

der katastrophalen Folgen des Zweiten<br />

Weltkrieges und der Tatsache, dass<br />

das NS-Regime in Deutschland den<br />

Zwang zum Wehrdienst schließlich auf<br />

fast alle Altersgruppen der männlichen<br />

Bevölkerung ausgedehnt hatte, waren<br />

Wehrpflicht und Wiederbewaffnung<br />

in der Bundesrepublik anfangs heftig<br />

umstritten. Schon 1949 wurde daher<br />

im Grundgesetz das Recht auf Kriegsdienstverweigerung<br />

festgeschrieben.<br />

Der Ausbruch des Koreakrieges ein<br />

Jahr später, der die endgültige Spaltung<br />

der ehemaligen Alliierten des<br />

Zweiten Weltkrieges zeigte, brachte<br />

jedoch die Wende, als die konventionelle<br />

Schwäche des Westens klar zu<br />

Tage trat. Sollte die Verteidigung Westeuropas<br />

nicht erst an den Pyrenäen<br />

begonnen werden, wie zunächst von<br />

den USA beabsichtigt, <strong>muss</strong>te auch ein<br />

westdeutscher Verteidigungsbeitrag<br />

erfolgen. So schrieb die Himmeroder<br />

Tagung deutscher Militärexperten im<br />

Oktober 1950 das Ziel von zwölf deutschen<br />

Panzerdivisionen bei einer Gesamtstärke<br />

von 500°000 Soldaten fest.<br />

<strong>Die</strong>ses Ziel war nur mit einer Wehrpflicht<br />

erreichbar, und so rückten ab<br />

April 1957 die ersten Wehrpflichtigen<br />

der Bundeswehr ein. Jedoch erst 1965<br />

waren alle zwölf Heeresdivisionen<br />

aufgestellt, und zwanzig Jahre später<br />

erreichte die Bundeswehr endlich ihren<br />

Soll-Umfang von 495 000 Mann.<br />

Insgesamt diente die Allgemeine<br />

Wehrpflicht in der Zeit des Kalten<br />

Das historische Stichwort Service<br />

MHM, Dresden<br />

Krie ges dazu, die konventionelle Stärke<br />

der NATO anzuheben und die Gefahr<br />

eines Schlages mit Atomwaffen<br />

möglichst einzudämmen. <strong>Die</strong> sicherheitspolitische<br />

Gesamtlage bestimmte<br />

die Dauer der <strong>Die</strong>nstpflicht. Zunächst<br />

lag diese bei 15 Monaten, was Bundeskanzler<br />

Adenauer aus innenpolitischen<br />

Erwägungen gegen den Rat seiner<br />

Militärexperten durchsetzte. Nach<br />

dem Mauerbau 1962 wurde sie auf<br />

18 Monate erhöht, im Zuge der Entspannungspolitik<br />

zehn Jahre später<br />

auf 15 Monate verringert. Im Rahmen<br />

des Tauwetters zwischen Ost und<br />

West wurde die Wehrdienstdauer 1989<br />

nicht, wie anfänglich geplant, wieder<br />

erhöht, sondern ziemlich unvermittelt<br />

auf zwölf Monate herabgesetzt, um<br />

1998 auf zehn, 2002 gar auf neun Monate<br />

zu sinken.<br />

Bei Gründung der Nationalen Volksarmee<br />

(NVA) der DDR im Jahr 1956<br />

existierte zunächst keine Wehrpflicht<br />

– in bewusster Abgrenzung <strong>zur</strong> »imperialistischen<br />

Wehrpflicht« im Westen.<br />

Vielmehr wurde zunächst eine<br />

Kaderarmee aufgestellt, die sich aus<br />

den regimetreuesten Personen zusammensetzen<br />

sollte. <strong>Die</strong> Sollstärke der<br />

NVA konnte dadurch jedoch nicht erreicht<br />

werden. Zudem verließen gerade<br />

Männer im wehrfähigen Alter die<br />

DDR zu Tausenden. Ab Januar 1962,<br />

kein halbes Jahr nach dem Mauerbau,<br />

galt schließlich auch im »anderen«<br />

Deutschland die Wehrpflicht;<br />

das Recht auf Kriegsdienstverweigerung<br />

existierte nicht. So kann man für<br />

die DDR von einer »allgemeineren«<br />

Wehrpflicht<br />

in Deutschland<br />

nach 1945<br />

� Am 1. April 1957 wurden die ersten<br />

Wehrpflichtigen der Bundeswehr<br />

eingezogen. Hier im Bild:<br />

Empfang der Wehrpässe beim<br />

Kreiswehrersatzamt Hamburg-Nord,<br />

1950er Jahre.<br />

Durchführung der <strong>Die</strong>nstpflicht sprechen<br />

als im Westen. Auch war hier der<br />

»Wehrcharakter« der <strong>Die</strong>nstverpflichtung<br />

ausgeprägter, was sich etwa an<br />

der paramilitärischen »Gesellschaft<br />

für Sport und Technik« (GST) oder<br />

den bewaffneten Betriebskampfgruppen<br />

zeigte.<br />

Der Westen dagegen zog die Lehre<br />

aus der Totalisierung von Krieg und<br />

Zwangsverpflichtung: Dem Allgemeinheitsgrad,<br />

dem Wehrcharak ter<br />

und dem Verpflichtungsgrad militärischer<br />

<strong>Die</strong>nstpflicht wurden – gegen<br />

konservative Kritik – auf verschiedene<br />

Weise Grenzen gesetzt. So erwuchs<br />

aus dem Recht <strong>zur</strong> Kriegsdienstverweigerung<br />

eine seit Ende der 1960er<br />

Jahre in zunehmendem Maße wahrgenommene<br />

Wahlmöglichkeit. Dazu<br />

kam die massive Truppenreduzierung<br />

seit 1990, die eine totale Ausschöpfung<br />

der Geburtsjahrgänge nicht mehr<br />

notwendig erscheinen ließ. <strong>Die</strong> selektive<br />

Geltung der Wehrpflicht ist indessen<br />

keine historische Ausnahme.<br />

Nur während der beiden Weltkriege<br />

erreichte die Wehrplicht einen derart<br />

absoluten Allgemeinheitsgrad.<br />

<strong>Die</strong> Geschichte der Bundeswehr ist<br />

die Geschichte einer Wehrpflichtarmee.<br />

Ihr eigentlicher Charakter hingegen<br />

besteht in der Mischung aus<br />

Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit,<br />

Wehrpflichtigen und Reservisten. Um<br />

die Jahrtausendwende ist mit der Einrichtung<br />

der Freiwillig (längerdienenden)<br />

Wehrdienstleistenden ein weiterer<br />

Baustein entstanden.<br />

Martin Rink<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

23


Service<br />

Ulrich Lampen und Peter Steinbach (Hrsg.),<br />

<strong>Die</strong> NS-Führung im Verhör.<br />

Original-Tondokumente aus den Nürnberger Prozessen,<br />

8 Audio-CDs, 440 Min., Berlin: Der ›Audio‹ Verlag 2006.<br />

ISBN 3-89813530-6; 29,99 Euro<br />

<strong>Die</strong> europäische Nachkriegsgeschichte<br />

wurde mit einem völkerrechtlichen<br />

Novum eingeleitet, das<br />

so bisher niemand für möglich gehalten<br />

hatte. Eine ganze Staatsregierung<br />

mitsamt den führenden Spitzen aus<br />

Militär und Wirtschaft wurde in einem<br />

umfangreichen Prozess angeklagt,<br />

schul dig des »Verbotenen Angriffskrieges«,<br />

der »Kriegsverbrechen« und<br />

der »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«<br />

zu sein. Am 1. Oktober 1946<br />

ergingen die ersten Urteile: zwölf Todesurteile,<br />

sieben Haftstrafen und drei<br />

Freisprüche.<br />

Geschichtsinteressierte können sich<br />

nun auf acht Audio-CDs gesammelte<br />

Original-Tondokumente – nach Schlüsselthemen<br />

sortiert – anhören, die bei<br />

den Nürnberger Prozessen mitgeschnitten<br />

wurden und die Kälte und<br />

Grauen mit den Worten der Angeklagten<br />

in die Gegenwart tragen.<br />

Gerade die drei letzten CD‘s mit<br />

den Themen »Menschenversuche«,<br />

»Zwangs arbeit« und »Endlösung«<br />

ver mitteln dem Zuhörer, wie kaltschnäuzig<br />

die verantwortlichen Delinquen<br />

ten auch über den Holocaust<br />

berichteten.<br />

Versehen mit einem historischen<br />

Kom mentar, wurden die Mitschnitte<br />

zum besseren Verständnis teils<br />

aus dem Englischen übersetzt. Eine<br />

Medien online/digital<br />

24 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

gewinnbringende Ergänzung zu den<br />

O-Tönen sind des Weiteren die kurzen<br />

biografischen Einführungen zu den<br />

jeweiligen Angeklagten.<br />

sts<br />

Riverbend, Bagdad Burning. Gesprochen von<br />

Sophie Rois, 2 CDs, 150 Minuten, München:<br />

Der Hörverlag 2006. ISBN 3-899-40928-0; 19,95 Euro<br />

E ine<br />

Geschichte »von unten« über<br />

den Kriegsalltag im Irak ist seit<br />

2003 in der Weblog der Irakerin »Riverbend«<br />

nachzulesen:<br />

http://riverbendblog.blogspot.com<br />

Riverbend (ein Pseudonym) ist fast täglich<br />

im Internet präsent. Sie schreibt,<br />

aus der Sicht einer jungen Frau, über<br />

das Leben im Irak unter US-amerikanischer<br />

»Besatzung«. Nichts wird ausgespart:<br />

Dinge des täglichen (Über-)<br />

Lebens wie das »Herausfinden, wann<br />

der Strom wohl ausfallen wird«; Kommentare<br />

und Analysen zu US-amerikanischer<br />

»Besatzungs«-Politik und<br />

innerirakischen Verhältnissen; Gefühle<br />

über das Frausein in solcher (Un-)<br />

Zeit sowie das Selbstverständnis und<br />

die Stellung von Frauen unter dem<br />

Regime von Saddam Hussein, die sich<br />

heute, so die Anonyma, kaum noch<br />

allein auf die Straße wagen können;<br />

das Mitgefühl für die fremden jungen<br />

Männer, die als Soldaten »im Einsatz«<br />

sind. Eindringlich ist die Darstellung,<br />

wie sich »Riverbend« das westliche<br />

oder vielmehr: US-amerikanische Bild<br />

des Iraks und seiner Bevölkerung vermittelt:<br />

»Wisst Ihr, was mich [...] in den<br />

Chatrooms und Foren wirklich nervt?<br />

<strong>Die</strong> erste Reaktion, meistens von Ame-<br />

rikanern, ist, du lügst, du bist keine<br />

Irakerin. Und warum bin ich keine Irakerin?<br />

Ganz einfach, erstens, ich habe<br />

Zugang zum Internet, Iraker haben<br />

kein Internet; zweitens, ich kann damit<br />

umgehen, Iraker wissen nicht, was ein<br />

Computer ist; drittens, Iraker sprechen<br />

kein Englisch [...] Ich sehe die Armee<br />

und denke, so ein Bild hatten die von<br />

uns, bevor sie unser Land besetzt haben,<br />

und vielleicht haben sie es immer<br />

noch? Wie kommt es, dass man uns für<br />

ein zweites Afghanistan hält?«<br />

Allein das Buch, erschienen 2006 in<br />

deutscher Übersetzung, besticht beim<br />

Lesen durch Detailreichtum und<br />

scharfe Analyse; doch hört man den<br />

Text auf CD, vorgetragen von Sophie<br />

Rois, so vermittelt sich noch bewegender<br />

das Leben dieser jungen Frau.<br />

mt<br />

Saša Stanišić,<br />

Wie der Soldat das Grammofon repariert.<br />

Audio-CD, 78 Min., Random House Audio 2006.<br />

ISBN 978-3-86604-275-9; 19,95 Euro<br />

»W<br />

ie der Soldat das Grammofon<br />

repariert« ist ein Hörbuch<br />

mit tragikomischen Geschichten,<br />

die Aleksandar, Hauptfigur des Romans,<br />

als Kind und Jugendlicher selbst<br />

erlebt und phantasievoll erfindet.<br />

Aleksandar wird Ende der 70er Jahre<br />

geboren. Er lebt mit seiner Familie<br />

in Višegrad, einer Stadt in Nordostbosnien.<br />

Ein besonders inniges Verhältnis<br />

hat Aleksandar zu seinem Opa<br />

Slavko, einem ehemaligen Partisanen.<br />

Sein Großvater ist es auch, der ihm<br />

vor seinem Tod Zauberhut und Zauberstab<br />

schenkt, und dabei folgenden<br />

Rat gibt: »Trägst Du den Hut und<br />

schwingst Du den Stab,<br />

wirst Du der<br />

mächtigste FFähigkeitenzauberer<br />

der blockfreien Staaten sein.<br />

Vieles wirst Du<br />

revolutio-<br />

nieren können, k so lange<br />

es mit den Ideen<br />

von<br />

Tito konform geht und<br />

in Übereinstimmung<br />

mit den Statuten<br />

des<br />

Bundes der Kommunisten<br />

Jugoslawiens steht<br />

[...] <strong>Die</strong> wertvollste Gabe<br />

ist die Erfindung, der größte gr<br />

<strong>Die</strong> erste Reaktion, meistens von Ame- Rat gibt: »Tr gst Du den Hut und


Reichtum die Fantasie. Merk dir das<br />

[...] und denk dir die Welt schöner<br />

aus.«<br />

Nachdenklich nimmt Aleksandar die<br />

Veränderungen in seiner Heimat wahr,<br />

bevor der Bürgerkrieg in Jugoslawien<br />

ausbricht. Da wird eines Tages das<br />

Porträt Titos aus dem Klassenzimmer<br />

entfernt, sein Lehrer will nicht mehr<br />

mit Genosse, sondern als Herr angeredet<br />

werden. Eine Familienfeier findet<br />

statt, weil ein Onkel Aleksandars<br />

<strong>zur</strong> Armee eingezogen wird; einer der<br />

betrunkenen Gäste bedroht mit einer<br />

geladenen Pistole die Musikergruppe.<br />

Er lasse sich nicht länger von »Zigeunern<br />

Ustaschalieder und Türkengeheule«<br />

vorsetzen. Man solle serbische<br />

Heldenlieder spielen. Obwohl Aleksandar<br />

und seine Familie selbst Serben<br />

sind, unterbinden sie entschlossen<br />

diesen Versuch. Sie können jedoch<br />

später nicht verhindern, dass serbische<br />

Soldaten Višgegrad erobern; sie müssen<br />

fliehen, zunächst nach Belgrad<br />

und dann als Asylbewerber nach Essen.<br />

Erst Jahre später kehrt Aleksandar<br />

als jugendlicher Erwachsener in seine<br />

Heimatstadt <strong>zur</strong>ück.<br />

Wer gute Geschichten hören und<br />

»nebenbei« erfahren will, was Krieg<br />

und Verlust der Heimat bedeuten,<br />

welche Folgen das Tragen eines »falschen«<br />

Namens haben und was Phantasie<br />

erreichen kann, dem vermag das<br />

Hörbuch von Saša Stanišić vieles zu<br />

bieten.<br />

Aleksandar-S. Vuletić<br />

Das gleichnamige Buch ist erschienen bei Luchterhand<br />

Literaturverlag, München 2006,<br />

ISBN 978-3-630-87242-1; 328 S.,<br />

19,95 Euro<br />

digital<br />

www.geschichte-online.at<br />

W er<br />

einen Einblick in die Werkstatt<br />

des Historikers gewinnen<br />

will, der kann eines der vielen Bücher<br />

<strong>zur</strong> Einführung in die Geschichtswissenschaft<br />

in die Hand nehmen oder<br />

aber auf das Webangebot »Geschichte<br />

Online« <strong>zur</strong>ückgreifen. <strong>Die</strong>ser Internetauftritt<br />

bietet im Rahmen des sogenannten<br />

E-Learning (engl.: electronic<br />

learning/elektronisch unterstütztes<br />

Lernen) webbasierte Trainingsanwendungen<br />

zum wissenschaftlichen Arbeiten,<br />

<strong>zur</strong> Literatur- und Informationsrecherche<br />

sowie <strong>zur</strong> Geschichtsdidaktik<br />

an. Darüber hinaus umfasst er ein Redaktions-<br />

und Datenbanksystem für die<br />

Erstellung von Online-Präsentationen,<br />

den sogenannten »Hypertextcreator«.<br />

Bei dieser österreichischen Website<br />

handelt es sich um ein Projekt des<br />

Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />

sowie des Instituts für<br />

Geschichte der Universität Wien in<br />

Kooperation mit historischen Instituten<br />

an den Universitäten Basel, Graz,<br />

Innsbruck, Linz, München, Salzburg<br />

und Wien. Das Angebot richtet sich in<br />

erster Linie an Studierende des Fachs<br />

Geschichte an deutschsprachigen Universitäten<br />

und dient der Unterstützung<br />

traditioneller Bildungsmethoden<br />

in Lehre und Studium durch digitale<br />

Medien. Aber auch für den historisch<br />

interessierten Laien bietet die Website<br />

eine Vielfalt an Informationen und<br />

Lernangeboten zum Fach Geschichte.<br />

So wird man anhand von Feldpostbriefen<br />

in die Geheimnisse der Kurrentschrift<br />

eingeführt und erlernt<br />

Schritt für Schritt das für die Transkription<br />

alter Schriften notwendige<br />

Handwerkszeug. Nach der Absolvierung<br />

aller interaktiven Übungen – die<br />

Gesamtdauer der Lerneinheit »Erste<br />

Schritte im Kurrent-Lesen« wird mit<br />

ca. 10 Stunden angegeben – kann man<br />

zum Abschluss seine neuerworbenen<br />

Fähigkeiten mit Hilfe des »Kurrent-<br />

Game« auf spielerische Weise testen.<br />

Insgesamt stehen dem Nutzer vier<br />

E-Learning-Module mit einer unterschiedlichen<br />

Anzahl von Lerneinheiten<br />

<strong>zur</strong> Verfügung. Alle diese Lerneinheiten<br />

lassen sich auch als PDF-Datei<br />

herunterladen und ausdrucken.<br />

Modul 1, zu dem unter anderem die<br />

Lerneinheit »Erste Schritte im Kurrent-<br />

Lesen« gehört, vermittelt Grundkenntnisse<br />

des geschichtswissenschaftlichen<br />

Arbeitens: Der Benutzer lernt, wie man<br />

Fragestellungen und Thesen entwickelt,<br />

wie man wissenschaftliche Texte<br />

verfasst, wie man Gelesenes festhält<br />

und richtig zitiert und wie man mündliche<br />

Präsentationen gestaltet.<br />

Modul 2 unterteilt sich in zwei Submodule;<br />

das eine mit dem Titel »Literaturrecherche«,<br />

das andere mit dem<br />

Titel »Informationsrecherche«. Im Submodul<br />

»Literaturrecherche« erhält man<br />

eine Einführung in die Suche nach<br />

Literatur und erlernt den Umgang mit<br />

Bibliotheken sowie die Verwendung<br />

von Bibliothekskatalogen und bibliographischen<br />

Datenbanken. Da rü ber hinaus<br />

beinhaltet es eine Übersicht über<br />

die Geschichte der Katalogisierung<br />

von Büchern sowie eine Einführung<br />

in die Verwendung von Dokumentenlieferdiensten<br />

und Volltextangeboten.<br />

Das Submodul »Informationsrecherche«<br />

bietet einen Überblick über die<br />

Vielzahl unterschiedlicher Quellen<br />

wie auch In formationsmedien und unterrichtet<br />

über den wissenschaftlichen<br />

Umgang mit Quellen.<br />

Modul 3 ist den aktuellen Themenfeldern<br />

der Geschichtsdidaktik gewid met<br />

und bietet Informationen <strong>zur</strong> Theorie<br />

der Geschichtsdidaktik, <strong>zur</strong> Unterrichtsplanung,<br />

<strong>zur</strong> Mediendidak tik, zu Netzwerken<br />

der Geschichtsdidaktik und <strong>zur</strong><br />

Geschichtslehrerausbil dung in Europa.<br />

Modul 4 besteht aus dem »Hypertextcreator«,<br />

einer datenbankbasierten<br />

Lehr- und Lernsoftware, mit deren Hilfe<br />

historische Inhalte digital aufgearbeitet<br />

und vermittelt werden können.<br />

Insgesamt betrachtet stellt die Website<br />

»Geschichte Online« eine Pionierleistung<br />

bei der Einbindung Neuer Medien<br />

in das Fach Geschichte dar und<br />

bietet durch ihre interaktiven Übungen<br />

innovative Möglichkeiten für das historische<br />

Lernen.<br />

Wer auch beim E-Learning nicht auf<br />

Printmedien verzichten möchte, dem<br />

sei unten genanntes Buch empfohlen!<br />

mn<br />

Franz X. Eder, Heinrich Berger, Julia Casutt-Schneeberger<br />

und Anton Tantner, Geschichte Online. Einführung in<br />

das wissen schaftliche Arbeiten – Informations- und<br />

Literaturrecherche, Wien 2006.<br />

ISBN 978-3-8252-2822-4; 328 S., 19,90 Euro<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

25


Service<br />

Lesetipp<br />

Krieg und Medien<br />

Mit den seit 1990 im Nahen Osten<br />

geführten Auseinandersetzungen,<br />

den Terroranschlägen von 9/11<br />

und nicht zuletzt seit der Postulierung<br />

der »Neuen Kriege« rückt ein besonderes<br />

Phänomen in den Blickwinkel<br />

der politischen und der wissenschaftlichen<br />

Öffentlichkeit. Es speist sich<br />

aus einer Quelle: den Medien. <strong>Die</strong> Ereignisse<br />

auf den irakischen Schlachtfeldern,<br />

aber auch die in Somalia und<br />

im ehemaligen Jugoslawien wurden<br />

uns Dank modernster Medientechnik<br />

und des Einsatzes von mehr oder weniger<br />

»eingebetteten« Journalisten am<br />

Bildschirm präsentiert. Auch die neuen,<br />

die »asymmetrischen« Kriege sind<br />

dadurch gekennzeichnet, dass lokal<br />

begrenzte Terroranschläge erst durch<br />

die weltweite mediale Verbreitung<br />

entsprechende Wirkung erreichen.<br />

Ute Daniel (Hrsg.),<br />

Augenzeugen.<br />

Kriegsberichterstattung vom<br />

18. zum 21. Jahrhundert.<br />

Göttingen 2006.<br />

ISBN 978-3-525-36737-7;<br />

264 S., 24,90 €<br />

<strong>Die</strong> Sozial- und Geisteswissenschaften<br />

stellen sich seit einigen wenigen<br />

Jahren den Fragen nach dem Verhältnis<br />

von Krieg und Medien. <strong>Die</strong> renommierte<br />

Braunschweiger Professorin<br />

Ute Daniel hat in diesem Kontext<br />

einen Sammelband vorgelegt, der sich<br />

der Kriegsberichterstattung in der Geschichte<br />

widmet. <strong>Die</strong> insgesamt neun<br />

Beiträge schlagen einen Bogen vom<br />

Siebenjährigen Krieg über das Zeitalter<br />

der Weltkriege bis hinein in die<br />

Gegenwart. Kenntnisreich und auch<br />

für den interessierten Laien gewinnbringend<br />

werden journalistische und<br />

militärische Praktiken bei der Kriegsberichterstattung<br />

vermittelt sowie Kon -<br />

tinuitäten und Wandel aufgezeigt. Darüber<br />

hinaus gewinnt der Leser einen<br />

Einblick in die Zweckgebundenheit<br />

von Kriegsberichterstattung und somit<br />

auch in das Wechselspiel von Militär<br />

und Medien(-gesellschaft).<br />

Thorsten Loch<br />

Deutsche Soldaten<br />

A m<br />

26 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

25. Januar 2006 erklärte der<br />

amtierende Bundesminister der<br />

Verteidigung in einer Rede an der<br />

Führungsakademie der Bundeswehr in<br />

Hamburg, dass die Bundeswehr »mehr<br />

als jemals zuvor in ihrer Geschichte<br />

geprägt ist durch ihre Einsatzorientierung<br />

und ihre Rolle als wichtiges<br />

Instrument einer deutschen Außenpolitik<br />

im <strong>Die</strong>nste des Friedens, der<br />

Freiheit und der Sicherheit Deutschlands«.<br />

<strong>Die</strong>se Rahmenbedingungen<br />

Martin Kutz, Deutsche Soldaten. Eine Kultur-<br />

und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt 2006.<br />

ISBN 13 978-3-534-20013-9;<br />

410 S., 49,90 €<br />

haben die Anforderungen und das<br />

Selbstverständnis des Soldatenberufs<br />

verändert. Aber wie sieht es denn überhaupt<br />

aus, das heutige deutsche soldatische<br />

Selbstverständnis? Wie sehr<br />

wird es durch die politische Aufgabenstellung<br />

bestimmt?<br />

Martin Kutz, selbst ehemaliger Mitarbeiter<br />

im Fachbereich Sozialwissenschaften<br />

der Führungsakademie der<br />

Bun deswehr, hat erstmals den Versuch<br />

unternommen, die Denkweise<br />

und das Selbstverständnis deutscher<br />

Soldaten epochenübergreifend darzustellen.<br />

Der Autor geht dabei von einer<br />

Kontinuität in der Beziehung von Politik<br />

und Militär aus, sich abwechselnden<br />

Phasen von Gewaltentgrenzung<br />

und Gewalteinhegung, die sich auf die<br />

Mentalität der Soldaten auswirkten.<br />

Schwerpunkt der Studie ist eine Untersuchung<br />

der totalen Entgrenzung von<br />

Gewalt im Zweiten Weltkrieg sowie<br />

der folgenden relativen Einhegung<br />

in der Bundesrepublik Deutschland.<br />

Kritisch werden auch die aktuellen<br />

Entwicklungen vor dem Hintergrund<br />

der aktuellen Einsatzorientierung der<br />

Bundeswehr analysiert sowie Handlungsoptionen<br />

vorgestellt. <strong>Die</strong> Thesen<br />

des Autors werden sicher positive wie<br />

negative Reaktionen hervorrufen. Versehen<br />

mit einem ausführ lichen Literaturverzeichnis,<br />

ist das Buch aber in je-<br />

dem Fall lesenswert, und das nicht nur<br />

für »Staatsbürger in Uniform«.<br />

jf<br />

Kolonialkriege<br />

<strong>Die</strong> »deutsche« Erinnerung an Krieg(e)<br />

wurde und wird durch die<br />

Daten geprägt, die auf jedem Kriegerdenkmal<br />

stehen: 1870/71, 1914/1918<br />

und 1939/1945. <strong>Die</strong> aktuellen Einsätze<br />

hingegen konfrontieren die Bundeswehr<br />

mit dem Erbe von »Kolonialkriegen«.<br />

Thoralf Klein und Frank Schumacher (Hrsg.),<br />

Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen<br />

des Imperialismus, Hamburg 2006.<br />

ISBN 978-3-936096-70-5;<br />

369 S., 35,00 €<br />

Der Sammelband von Thoralf Klein<br />

und Frank Schumacher vereint zehn<br />

Fallstudien. Er beginnt im 19. Jahrhundert<br />

mit den Indianerkriegen der<br />

USA (1840–1890), setzt sich über den<br />

Kampf der deutschen Schutztruppe in<br />

Ostafrika gegen die Hehe (1890–1898)<br />

bis zum Krieg der USA auf den Philippinen<br />

(1899–1913) fort. Es folgen<br />

der Boxerkrieg in China (1900–1901),<br />

der Burenkrieg (1899–1902) sowie die<br />

deutschen Kolonialkriege in Südwest-<br />

(1904–1907) und Ostafrika (1905–1908).<br />

Spaniens Krieg in Marokko (1921–<br />

1927), die italienische Armee in Ostafrika<br />

(1935/36), Japans Krieg in China<br />

(1931–1945) und der Algerienkrieg<br />

(1954–1962) runden das Bild ab.<br />

An alle Kriege wird ein immer folgendes<br />

Frageraster herangetragen:<br />

1. Bedingungen und Verlauf des<br />

Krieges<br />

2. Das Gesicht des Krieges<br />

3. Der Diskurs über den Krieg<br />

4. <strong>Die</strong> Erinnerung an den Krieg<br />

<strong>Die</strong>ses Vorgehen macht die Fallstudien<br />

im Sinne der Komparatistik vergleichbar,<br />

Handlungs muster und Diskurse<br />

können vom Leser bewertet werden.<br />

hp


Ordnung durch Terror<br />

Das Phänomen »Imperium« wird<br />

derzeit in der historischen Fachwelt<br />

wie auch in den Medien intensiv<br />

diskutiert. Nicht ohne Grund stellte<br />

das ZDF kürzlich drei Diktatoren solcher<br />

Imperien des 20. Jahrhunderts vor:<br />

Hitler, Stalin und Mao.<br />

Jörg Baberowski und<br />

Anselm Doering-Manteuffel,<br />

Ordnung durch Terror.<br />

Gewaltexzesse und<br />

Vernichtung im<br />

nationalsozialistischen<br />

und im stalinistischen<br />

Imperium, Bonn 2006.<br />

ISBN 978-3-8012-0368-9;<br />

116 S., 16,80 €<br />

Jörg Baberowski und Anselm Doering-<br />

Manteuffel unternehmen auf 75 Textseiten<br />

den essayistischen Versuch, das<br />

nationalsozialistische und das stalinistische<br />

Imperium unter den Kriterien<br />

»Gewaltexzesse« und »Vernichtung«<br />

zu betrachten. Gemeinsamkeiten wie<br />

die »Ordnung durch Terror« werden<br />

ebenso herausgearbeitet wie manche<br />

Unterschiede. <strong>Die</strong> Gefahr ist die einer<br />

simplen Gleichsetzung beider Imperien<br />

als »totalitär«. Das mit einem Vorwort<br />

von Hans Mommsen versehene<br />

Buch beginnt mit dem Kapitel »Utopie<br />

der Eindeutigkeit«: »Was aber das Verlangen<br />

der modernen Diktaturen nach<br />

Ordnung von den vormodernen Ordnungspraktiken<br />

unterscheidet, das ist<br />

nicht nur ihr Anspruch auf Eindeutigkeit<br />

und Ausschließlichkeit, sondern<br />

ihr Vernichtungswille. Unordnung erzeugte<br />

jetzt nicht mehr nur Ambivalenz.<br />

Sie brachte jetzt Abfall hervor,<br />

der entfernt werden mußte« (S. 15).<br />

Der historische Bogen des Buches<br />

spannt sich vom Ersten Weltkrieg über<br />

Revolution, Bürgerkrieg und Zwischenkriegszeit<br />

bis zum Tode Stalins 1953.<br />

Der Zweite Weltkrieg wird für beide<br />

Imperien in drei Abschnitten behandelt:<br />

»Terror und Besatzung in Polen<br />

1939–1941«, »Vernichtungskrieg 1941–<br />

1945« und »Kollaps der Utopien und<br />

das Ende der Eindeutigkeit 1942–1953«.<br />

Alles in allem handelt es sich um<br />

ein preiswertes, sehr dichtes, aber<br />

dennoch verständlich geschriebenes<br />

Bändchen, das sowohl dem in der historisch-politischen<br />

Bildung Tätigen als<br />

auch dem interessierten »Laienhistoriker«<br />

viele neue Einblicke bietet.<br />

hp<br />

Bundeswehr und Traditon<br />

Streitkräfte werden in besonderer<br />

Weise von der Tradition, d.h. durch<br />

die ausgewählte Überlieferung von<br />

Werten, Normen und Vorbildern, geprägt.<br />

Für die Bundeswehr stellte Tradition<br />

von Beginn an ein besonderes<br />

Problem dar. Im Gegensatz zu<br />

Reichswehr und Wehrmacht sollten<br />

die Streitkräfte der Bundesrepublik<br />

Deutschland integraler Bestandteil einer<br />

demokratischen Gesellschaft, die<br />

Soldaten »Staatsbürger in Uniform«<br />

werden. Andererseits hatten viele ihrer<br />

Soldaten in der Wehrmacht gedient.<br />

Und es herrschte, wie in manchen<br />

Kreisen heute noch, die Meinung<br />

von einer »sauberen« Wehrmacht vor.<br />

Vor diesem Hintergrund war es keineswegs<br />

überraschend, dass man sich<br />

zunächst offiziell kaum von der Wehrmacht<br />

distanzierte.<br />

Loretana de Libero beschreibt und<br />

analysiert den allmählichen Wandel<br />

des Traditionsverständnisses in Militär<br />

und Gesellschaft und die damit verbundenen<br />

Auseinandersetzungen. Sie<br />

beschränkt sich nicht nur auf die Zeit<br />

der Transformation, wie der Titel des<br />

Buches suggeriert. Ihr gelingt es, die<br />

grundsätzlichen Probleme aufzeigen,<br />

welche die Bundeswehr mit ihrer Tradition<br />

hatte und mitunter noch immer<br />

hat. Außerdem gibt sie einen aktuellen<br />

Überblick der Namensträger von Kasernen<br />

und militärischen Verbänden<br />

und unterbreitet Vorschläge für die<br />

Auswahl von weiteren Persönlichkeiten,<br />

die als Vorbilder für die Soldaten<br />

und Soldatinnen der Bundeswehr dienen<br />

könnten. Angesichts der Auslandseinsätze<br />

warnt die Autorin aber auch<br />

vor dem Versuch, für die Soldaten der<br />

Bundeswehr »Wehrmachtkämpfer« als<br />

Loretana de Libero,<br />

Tradition in Zeiten der<br />

Transformation:<br />

Zum Traditionsverständnis<br />

der Bundeswehr im frühen<br />

21. Jahrhundert,<br />

Paderborn u.a:<br />

Ferdinand Schöningh 2006.<br />

ISBN 978-3-506-76315-0;<br />

237 S., 19,90 €<br />

Vorbilder zu reaktivieren. Ein umfangreicher<br />

Anhang mit ausgewählten<br />

Dokumenten und Literaturhinweisen<br />

zum Thema rundet das lesenswerte<br />

Buch ab.<br />

Aleksandar-S. Vuletić<br />

Uniformen und Abzeichen<br />

Einem wenig beachteten Kapitel<br />

deutscher Militärgeschichte widmet<br />

sich der von Walter Kunstwadl<br />

verfasste Text- und Bildband über die<br />

Geschichte der Bundeswehr im Spiegel<br />

ihrer Uniformen und Abzeichen. Von<br />

der Uniform der ersten Stunde bis zum<br />

Multifunktionshelm des Rüstungsprojektes<br />

»Infanterist der Zukunft« wird<br />

Walter Kunstwadl,<br />

Von der Affenjacke zum<br />

Tropenanzug. <strong>Die</strong> Geschichte<br />

der Bundeswehr im Spiegel<br />

ihrer Uniformen und Abzeichen,<br />

Bonn 2006.<br />

ISBN 978-: 3-932385-24-7;<br />

232 S., 36,00 €<br />

der Leser in drei großen Abschnitten<br />

über Uniformen, Abzeichen und Kopfbedeckungen<br />

in den Wandel und die<br />

Entwicklung des Erscheinungsbildes<br />

des bundesrepublikanischen Soldaten<br />

eingeführt. Dem Autor gelingt es, ein<br />

lebendiges Bild von den Uniformen<br />

und ihren Trägern zu entwerfen, so<br />

dass dieses Buch weit mehr bietet als<br />

nur ein historisches Referat über die<br />

Anzugsordnung des Soldaten. Man<br />

hat das Gefühl, der Autor plaudert<br />

aus dem Nähkästchen, wenn er die<br />

mitunter heftigen Auseinandersetzungen<br />

zwischen »Gefechtsformaldienst-<br />

Jüngern« und den »Ausrüstungsfetischisten«<br />

ins Visier nimmt oder in<br />

farbig unterlegten Kästen Zeitzeugenberichte<br />

und Anekdoten beifügt. <strong>Die</strong>ses<br />

Buch kann als ein Standardwerk<br />

<strong>zur</strong> Uniformierung der Bundeswehr<br />

dienen, das neben der Darstellung der<br />

gängigen Bekleidungsstücke und Abzeichen<br />

auch einige uniformkundliche<br />

Kuriositäten bereit hält und dabei die<br />

politischen wie gesellschaftlichen Aspekte<br />

nie aus dem Auge verliert.<br />

mn<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

27


� Appen<br />

Service<br />

Deutsche jüdische Soldaten<br />

Unteroffizierschule der<br />

Luftwaffe<br />

Marseille-Kaserne<br />

Hauptstr. 141<br />

25482 Appen<br />

Telefon: 0 41 22 / 9 86 23 35<br />

Telefax: 0 41 22 / 9 86 23 38<br />

e-Mail:<br />

PaulReschka@bundeswehr.org<br />

Besichtigung nur nach<br />

Absprache mit Feldwebel<br />

Paul Reschka<br />

5. März bis 31. August 2007<br />

� Berlin<br />

50 Jahre Luftwaffe<br />

der Bundeswehr.<br />

1956–2006<br />

Luftwaffenmuseum<br />

der Bundeswehr<br />

Kladower Damm 182<br />

14089 Berlin-Gatow<br />

Telefon: 0 30 / 36 87 26 01<br />

Telefax: 0 30 / 36 87 26 10<br />

e-Mail:<br />

LwMuseumBwEingang@<br />

Bundeswehr.org<br />

Internet:<br />

www.Luftwaffenmuseum.com<br />

15. September 2006 bis<br />

31. August 2007<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

9.00 bis 17.00 Uhr<br />

(letzter Einlass 16.30 Uhr)<br />

Eintritt frei<br />

Verkehrsanbindung: Eintritt<br />

zum Museum: Ritterfelddamm/Am<br />

Flugfeld Gatow.<br />

Sonderausstellung <strong>zur</strong><br />

Geschichte der deutschen<br />

Verkehrsflugzeuge<br />

Luftwaffenmuseum der<br />

Bundeswehr<br />

(siehe oben)<br />

24. Mai bis 23. Sept. 2007<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

9.00 bis 17.00 Uhr<br />

(letzter Einlass 16.30 Uhr)<br />

Eintritt frei<br />

Kunst und Propaganda<br />

im Streit der Nationen<br />

1930–1945<br />

Deutsches Historisches<br />

Museum, PEI-Bau<br />

Ausstellungen<br />

Hinter dem Gießhaus 3<br />

10117 Berlin<br />

Telefon: 0 30 / 20 30 40<br />

Telefax: 0 30 / 20 30 45 43<br />

Internet: www.dhm.de<br />

bis 29. April 2007<br />

täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Verkehrsanbindung:<br />

S-Bahn: Stationen<br />

»Hackescher Markt« und<br />

»Friedrichstraße«; U-Bahn:<br />

Stationen »Französische<br />

Straße«, »Hausvogteiplatz«<br />

und »Friedrichstraße«;<br />

Bus 100, 157, 200 und 348,<br />

Haltestellen: »Staatsoper»<br />

oder »Lustgarten«.<br />

� Brandenburg<br />

Preußische Garnisonen in<br />

Brandenburg<br />

Brandenburg-Preußen-<br />

Museum<br />

Eichenallee 7A<br />

16818 Wustrau<br />

Telefon: 03 39 25 / 7 07 98<br />

Telefax: 03 39 25 / 7 07 99<br />

e-Mail:<br />

wustrau@brandenburgpreussen-museum.de<br />

Internet: www.brandenburgpreussen-museum.de<br />

24. Februar bis<br />

30. September 2007<br />

April bis Oktober:<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 18.00 Uhr<br />

November bis März:<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 16.00 Uhr<br />

Eintritt: 2,50 Euro<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Pkw: Eine Anfahrtskizze gibt<br />

es unter http://www.wustrau.<br />

28 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

de/anfahrt.htm. Bahn: Von<br />

Berlin Hennigsdorf mit dem<br />

RE 38656 (Abfahrtszeiten<br />

unter http://bahn.hafas.de/bin/<br />

query.exe/dn) nach Wustrau-<br />

Radensleben. Von dort aus mit<br />

dem Bus L 766 nach Wustrau.<br />

� Ingolstadt<br />

Garnison Ingolstadt.<br />

Gemeinsame Ausstellung<br />

mit Stadtmuseum und<br />

Stadtarchiv anlässlich<br />

des Stadtjubiläums.<br />

Bayerisches Armeemuseum<br />

Ingolstadt, Reduit Tilly<br />

Neues Schloss,<br />

Paradeplatz 4<br />

85049 Ingolstadt<br />

verlängert bis<br />

23. September 2007<br />

Telefon: 08 41 / 9 37 70<br />

Telefax: 08 41 / 9 37 72 00<br />

e-Mail:<br />

sekretariat@bayerischesarmeemuseum.de<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

8.45 bis 17.00 Uhr<br />

Sonderausstellungen:<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

8.45 bis 12.00 Uhr und<br />

13.00 bis 17.00 Uhr<br />

Eintritt 3,50 Euro<br />

(Normalpreis)<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Das Neue Schloss liegt sehr<br />

zentral, es ist vom Reduit<br />

Tilly nur durch die Donau<br />

getrennt. Besucher, die alle<br />

Abteilungen sehen möchten,<br />

sollten im Neuen Schloss<br />

beginnen. Von dort ist das<br />

Reduit Tilly über den<br />

Donausteg in wenigen<br />

Minuten zu erreichen.<br />

Autobahn: zum Besuch des<br />

Neuen Schlosses die Autobahn<br />

bei »Ingolstadt Nord« und<br />

von Reduit Tilly bei<br />

»Ingolstadt Süd« verlassen.<br />

Ganz gleich, ob auf der<br />

Autobahn oder auf der B13<br />

oder B16 angereist wird, sollte<br />

zunächst der Weg Richtung<br />

Stadtmitte eingeschlagen<br />

werden. Man stößt dann auf<br />

große Tafeln, welche über das<br />

Ingolstädter Parkleitsystem<br />

informieren. Vom Hauptbahn-<br />

hof sollte für beide Ausstellungsgebäude<br />

ein Bus Richtung<br />

Rathausplatz gewählt<br />

werden bis »Brückenkopf«<br />

(Reduit Tilly) und »Rathausplatz/Paradeplatz«<br />

(Neues<br />

Schloss). Bahn:<br />

Falls der Zug am Bahnhof<br />

»Ingolstadt Nord« hält, ist das<br />

Neue Schloss von dort aus in<br />

ca. 10 Minuten zu erreichen.<br />

� Innsbruck<br />

Weltkrieg 1914–1918.<br />

Vom Isonzo <strong>zur</strong> Piave<br />

Kaiserjägermuseum<br />

Innsbruck<br />

Tiroler Kaiserjägermuseum<br />

& Andreas-Hofer-Galerie<br />

Bergisel 1<br />

6020 Innsbruck<br />

Österreich<br />

Telefon: +00 43 / 5 12 58 23 12<br />

Telefax: +00 43 / 5 12 58 86 75<br />

e-Mail:<br />

info@kaiserjaegermuseum.org<br />

Internet: www.kaiserjaegermuseum.org<br />

1. April bis 31. Oktober 2007<br />

täglich 9.00 bis 17.00 Uhr<br />

Eintritt: 3,50 Euro<br />

ermäßigt: ab 2,00 Euro<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Einen Lageplan gibt es unter<br />

www.kaiserjägermuseum.org,<br />

dann »Kaiserjägermuseum«,<br />

dann »Lageplan«.<br />

Straßenbahn: Linie 1 bis<br />

Endstation »Bergisel«.


� Koblenz<br />

<strong>Die</strong> Maschinenpistole.<br />

Entwicklung und<br />

Geschichte einer Waffe<br />

unter besonderer Berücksichtigung<br />

der MP2-UZI<br />

Wehrtechnische<br />

Studiensammlung<br />

Mayener Straße 85-87<br />

56070 Koblenz<br />

Telefon: 02 61 / 4 00 14 23<br />

Telefax: 02 61 / 4 00 14 24<br />

e-Mail: WTS@bwb.org<br />

Internet: www.bwb.org/wts<br />

24. August 2006 bis<br />

9. September 2007<br />

täglich 9.30 bis 16.30 Uhr<br />

Eintritt: 1,50 Euro<br />

(für Soldaten und<br />

Bw-Verwaltung frei)<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Pkw: Eine Anfahrtsskizze<br />

gibt es unter http://www.bwb.<br />

org/01DB022000000001/<br />

CurrentBaseLink/<br />

W26EJCH3034INFODE;<br />

Bahn/Bus: Ab Bahnhof<br />

Koblenz (Busbahnhof gegenüber)<br />

Linien 5 oder 15 bis<br />

»Langemarckplatz«.<br />

� Königstein<br />

Radschlosswaffen aus der<br />

Rüstkammer Emden<br />

Festung Königstein gGmbH<br />

01824 Königstein<br />

Telefon: 03 50 21 / 6 46 07<br />

Telefax: 03 50 21 / 6 46 09<br />

e-Mail:<br />

info@festung-koenigstein.de<br />

Internet:<br />

www.festung-koenigstein.de<br />

10. Februar 2007 bis<br />

1. Januar 2008<br />

Oktober bis März:<br />

täglich 9.00 bis 17.00 Uhr<br />

April bis September:<br />

täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt: 5,00 Euro<br />

ermäßigt: ab 2,00 Euro<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Pkw: A 17 Dresden – Prag<br />

(Abfahrt Pirna), weiter auf B<br />

172 Dresden – Bad Schandau;<br />

S-Bahn: Linie 241.1: Dresden<br />

– Königstein – Schöna; Bus:<br />

Linie 241: Pirna – Königstein,<br />

Haltestelle »Abzweig Festung«.<br />

� Minden<br />

Napoleon. Trikolore und<br />

Kaiseradler über Rhein<br />

und Weser<br />

Preußen-Museum NRW<br />

Simeonsplatz 12<br />

32427 Minden<br />

Telefon: 0571 / 83 72 80<br />

Telefax: 0571 / 8 37 28 30<br />

e-Mail:<br />

minden@preussenmuseum.de<br />

Internet:<br />

www.preussenmuseum.de/<br />

minden.htm<br />

6. Mai bis 1. Juli 2007<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Donnerstag<br />

und Sonnabend bis Sonntag<br />

11.00 bis 17.00 Uhr<br />

Eintritt: 4,50 Euro<br />

ermäßigt: ab 2,25 Euro<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Einen Lageplan gibt es auf der<br />

Internetseite unter »Lageplan«.<br />

� Moers<br />

Lili Marleen –<br />

Ein Schlager macht<br />

Geschichte<br />

Grafschafter Museum<br />

Kastell 9<br />

47441 Moers<br />

Telefon: 0 28 41 / 2 80 94<br />

Telefax: 0 28 41 / 28<br />

e-Mail: grafschaftermuseum@moers.de<br />

Internet: www.grafschaftermuseum.de<br />

11. März bis<br />

10. Juni 2007<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Freitag<br />

9.00 bis 18.00 Uhr<br />

Samstag, Sonn- und<br />

Feiertag<br />

11.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt: 2,00 Euro<br />

ermäßigt: 0,50 Euro<br />

� Lüdenscheid<br />

Schützen-Welten. Bewegte<br />

Tradition im Sauerland<br />

Museen der Stadt<br />

Lüdenscheid<br />

Sauerfelder Straße 14–20<br />

58511 Lüdenscheid<br />

Telefon: 0 23 51 / 17 14 96<br />

und 17 14 86<br />

Telefax: 0 23 51 / 17 17 09<br />

e-Mail:<br />

museen@luedenscheid.de<br />

Internet:<br />

www.schuetzenweltenluedenscheid.de,<br />

www.museum-luedenscheid.de<br />

bis 20. Mai 2007<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

11.00 bis 18.00 Uhr<br />

Einzeleintritt: 3,00 Euro<br />

ermäßigt: 1,50 Euro<br />

Familienkarte: 6,00 Euro<br />

(Eltern mit Kindern bis zu<br />

16 Jahren)<br />

� Rastatt<br />

Désastres de la Guerra.<br />

Von Francisco de Goya<br />

Wehrgeschichtliches<br />

Museum Rastatt<br />

Schloß Rastatt<br />

Herrenstraße 18<br />

76437 Rastatt<br />

Telefon: 0 72 22 / 3 42 44<br />

Telefax: 0 72 22 / 3 07 12<br />

e-Mail:<br />

information@wgm-rastatt.de<br />

Internet:<br />

www.wgm-rastatt.de<br />

12. Mai bis 5. August 2007<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 17.00 Uhr<br />

Eintritt: 5,00 Euro<br />

ermäßigt: 3,00 Euro<br />

� Röthenbach/Pegnitz<br />

Heeres-Munitionsanstalt<br />

Feucht<br />

Museum für historische<br />

Wehrtechnik e.V.<br />

Heinrich-<strong>Die</strong>hl-Straße<br />

90552 Röthenbach/Pegnitz<br />

Telefon: 0 91 58 / 92 88 51<br />

e-Mail:<br />

info@wehrtechnikmuseum.de<br />

Internet:<br />

www.wehrtechnikmuseum.de<br />

bis Anfang Juni 2007<br />

jeden 1. und 2. Sonnabend<br />

im Monat 14.00 bis 17.00 Uhr<br />

und nach Absprache<br />

Eintritt: 4,00 Euro<br />

(Kinder unter 12 Jahren frei)<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Pkw: Autobahnausfahrt<br />

»Mögeldorf/Schwaig/Röthenbach«<br />

(letzte Ausfahrt vor<br />

dem Autobahnkreuz Nürnberg<br />

aus Richtung Frankfurt),<br />

nach etwa 2 km, noch vor dem<br />

Ortsschild Röthenbach/<br />

Pegnitz, rechts abbiegen Richtung<br />

Firma DIEHL-METALL,<br />

nach der Unterführung links<br />

zum Museumsgelände;<br />

S-Bahn: Linie S1 ab Hauptbahnhof<br />

Nürnberg bis Bahnhof<br />

»Röthenbach«, dann zu Fuß<br />

ca. 500 m Richtung Schwaig.<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

29


pa / Ludwig Wegmann<br />

Service<br />

Militärgeschichte kompakt<br />

16. Februar 1957 Aufstellung des Wachbataillons beim<br />

Bundesminister der Verteidigung<br />

� Fahnenübergabe am<br />

7. Januar 1965 an das<br />

Wachbataillon durch<br />

Bundespräsident<br />

Heinrich Lübke.<br />

Mit dem Aufstellungsbefehl Nr. 40 erging am 16. Februar<br />

1957 die Weisung zum Aufbau des »Wachbataillons<br />

beim Bundesminister für Verteidigung«. Im Verteidigungsfall<br />

hatte dieser Verband einen Sonderwachdienst<br />

im Bereich des Bundesverteidigungsministeriums zu<br />

leisten, tatsächlich nahm er den protokollarischen Ehrendienst<br />

für die Bundesrepublik Deutschland in Friedenszeiten<br />

wahr.<br />

<strong>Die</strong> junge Bundeswehr sollte sich im Inneren, aber<br />

auch äußerlich von der Wehrmacht unterscheiden. Folglich<br />

stellte die Aufstellung eines militärischen Verbandes<br />

für ausschließlich protokollarische Aufgaben keine<br />

Selbstverständlichkeit dar. Zeitgenossen äußerten sich<br />

deshalb kritisch in Hinblick auf rein protokollarische<br />

und militärische Zeremonielle. <strong>Die</strong> Bundesregierung<br />

<strong>muss</strong>te für repräsentative Zwecke bis <strong>zur</strong> Gründung der<br />

Bundeswehr zunächst jedoch ohnehin auf eine Ehrenkompanie des Bundesgrenzschutzes<br />

<strong>zur</strong>ückgreifen.<br />

Gleichwohl fiel noch im Januar 1956, unmittelbar nach der Gründung der Bundeswehr,<br />

der protokollarische Ehrendienst gemäß internationalen Gepflogenheiten<br />

dem Militär zu. Zunächst versahen Soldaten der Andernacher Lehrkompanie diese<br />

Aufgabe. Seinen ersten protokollarischen Einsatz absolvierte das Wachbataillon<br />

schließlich am 8. Mai 1957 anlässlich des Staatsbesuchs des britischen Premierministers<br />

Harold Macmillan. Zunächst bestand das Bataillon aus zwei Heereskompanien.<br />

Um dem internationalen Protokoll Rechnung tragen zu können, wurde es<br />

1959 und 1973 um eine Marine- bzw. eine Luftwaffeneinheit erweitert.<br />

Das Wachbataillon ist der einzige Verband der Bundeswehr, in dem Einheiten aller<br />

Teilstreitkräfte vertreten sind. Am 7. Januar 1965 wurde ihm als erstem Bataillon<br />

der Bundeswehr durch Bundespräsident Heinrich Lübke in Bonn eine Truppenfahne<br />

verliehen. Thorsten Loch<br />

2. April 1957 Hans Speidel wird Oberbefehlshaber der<br />

NATO-Landstreitkräfte Mitteleuropa<br />

Am 2. April 1957 übernahm im französischen Fontainebleau mit Generalleutnant<br />

Hans Speidel der erste Bundeswehrgeneral ein höheres NATO-Kommando. Als<br />

COMLANDCENT (Commander Allied Land Forces Central Europe) unterstanden<br />

ihm alle französischen, amerikanischen, britischen, belgischen und niederländischen<br />

Divisionen zwischen der Schweizer Grenze und Dänemark. Das spiegelte die<br />

Bedeutung der Bundesrepublik als gleichberechtigtes NATO-Mitglied wider: Sie<br />

sollte künftig einen wichtigen konventionellen Verteidigungsbeitrag für das Bündnis<br />

leisten; freilich waren Speidel bei seiner Amtsübernahme kaum nennenswerte<br />

(west-)deutsche Heeresverbände unterstellt, da sich die Bundeswehr noch in der<br />

Aufbauphase befand.<br />

Der 1897 geborene Schwabe hatte zunächst im württembergischen Heer, dann als<br />

Generalstabsoffizier in Reichswehr und Wehrmacht gedient. Im Zweiten Weltkrieg<br />

war er zuletzt als Chef des Stabes der Heeresgruppe B in Paris eingesetzt. Seine<br />

Nähe zum militärischen Widerstand brachte ihn um die Jahreswende 1944/45 in<br />

Gestapo-Haft.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Speidel treibende Kraft in jenen Kreisen, die<br />

Vorüberlegungen für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag anstellten. Von<br />

1951 bis 1954 nahm er als militärischer Chefdelegierter an den Verhandlungen zum<br />

deutschen Beitrag für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft teil.<br />

In Speidels Zeit als COMLANDCENT erfolgte der Aufbau der Bundeswehr, aber<br />

auch die Entscheidung der westlichen Verbündeten, die Verteidigung Westeuropas<br />

bereits an der innerdeutschen Grenze statt am Rhein aufzunehmen. <strong>Die</strong> Gegnerschaft<br />

von Charles de Gaulle zu Speidel führte am 29. August 1963 zu dessen Ablösung<br />

als COMLANDCENT. Martin Rink<br />

30 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

Heft 2/2007<br />

Militärgeschichte<br />

Zeitschrift für historische Bildung<br />

� Vorschau<br />

Das Heft 2 der Militärgeschichte steht im Zeichen<br />

eines zweifachen Jubiläums: Im Jahre 1957 wurde<br />

das Militärgeschichtliche Forschungsamt (<strong>MGFA</strong>),<br />

heute mit Sitz in Potsdam, gegründet. Es ist die<br />

größte außeruniversitäre historische Forschungseinrichtung<br />

des Bundes und Kompetenzpartner<br />

für die Bundeswehr in Sachen Militärgeschichte.<br />

Außerdem besteht eine enge Kooperation zwischen<br />

dem <strong>MGFA</strong> und dem Lehrstuhl für Militärgeschichte<br />

an der Universität Potsdam. Im<br />

Rahmen des ab Wintersemester 2007/08 in Potsdam<br />

angebotenen Masterstudienganges »Military<br />

Studies« werden auch Wissenschaftler des <strong>MGFA</strong><br />

Lehrveranstaltungen für die Studierenden anbieten.<br />

� Villa Ingenheim in Potsdam,<br />

Sitz des <strong>MGFA</strong> seit 1994.<br />

<strong>Die</strong>sem runden Geburtstag sind zwei Großbeiträge<br />

gewidmet. Zum einen wird die Geschichte<br />

des <strong>MGFA</strong>, in der sich auch die Entwicklung<br />

der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945<br />

widerspiegelt, in ihren Grundzügen vorgestellt.<br />

Fragestellungen, Methoden und Zugang <strong>zur</strong> Militärgeschichte<br />

haben sich in diesen 50 Jahren zum<br />

Teil stark verändert. Neben der Grundlagenforschung<br />

ist das zweite Standbein des <strong>MGFA</strong> die<br />

Historische Bildung für Angehörige der Bundeswehr.<br />

Ein wichtiges Medium hierfür ist die Zeitschrift<br />

Militärgeschichte. Der Leiter der Abteilung<br />

»Ausbildung Information Fachstudien« und Mitherausgeber<br />

unserer Zeitschrift, Hans-Hubertus<br />

Mack, wird die Entwicklung der Historischen<br />

Bildung in der Bundeswehr aufzeigen.<br />

Im September 1982, also vor 25 Jahren, wurden<br />

die »Richtlinien zum Traditionsverständnis und<br />

<strong>zur</strong> Traditionspflege in der Bundeswehr« in Kraft<br />

gesetzt. Sie sind bis heute gültig. Loretana de<br />

Libero und Harald Potempa beleuchten die geschichtliche<br />

Entwicklung von Bundeswehr und<br />

Tradition bis in die unmittelbare Gegenwart.<br />

Marcus v. Salisch schließlich wird anhand des<br />

Fallbeispieles der Sächsischen Armee im Siebenjährigen<br />

Krieg das grundsätzliche Problem von<br />

Motivation und Desertion für die Stehenden Armeen<br />

des 18. Jahrhunderts sowie deren Ursachen<br />

untersuchen. hp<br />

<strong>MGFA</strong> / Tessmer


Operation Libelle:<br />

Erst allmählich, gegen politische<br />

und verfassungsrechtliche Bedenken,<br />

hatte sich der seit 1995<br />

laufende Bundeswehreinsatz auf dem<br />

Balkan von der Sanitäts- und Logistikunterstützung<br />

zum unmittelbaren<br />

Stabilisierungsauftrag erweitert. Am<br />

13. März 1997 erwuchs hieraus jedoch<br />

über Nacht ein Auftrag von rein nationaler<br />

Dimension: Es galt deutsche<br />

Staatsbürger zu evakuieren. Der Grund<br />

war der Zusammenbruch der öffentlichen<br />

Ordnung in Albanien. Tausende<br />

von Albanern waren in spekulativen<br />

Pyramidenspielen um ihre Ersparnisse<br />

gebracht worden, was zum sogenannten<br />

Lotterieaufstand führte. In diesem<br />

Zusammenhang wurde der erste nachkommunistische<br />

Regierungschef Sali<br />

Ram Berisha gestürzt. Waffen- und<br />

Munitionslager von Armee und Polizei<br />

wurden aufgebrochen, so dass sich<br />

Waffen aller Art im Umlauf befanden.<br />

<strong>Die</strong> Unruhen eskalierten, und am 11.<br />

März forderte das Auswärtige Amt die<br />

deutschen Staatsbürger auf, das Land<br />

zu verlassen. Doch schon am Folgetag<br />

wurde deutlich, dass alle geordneten<br />

Ausreisemöglichkeiten ausschieden.<br />

Am Abend des 13. März 1997 traf Bundeskanzler<br />

Helmut Kohl nach Rücksprache<br />

mit den Fraktionschefs der<br />

Parteien die Entscheidung <strong>zur</strong> Evakuierung<br />

der in Tirana Festsitzenden.<br />

Militärgeschichte im Bild<br />

<strong>Die</strong> Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Albanien am 14. März 1997<br />

Am 14. März 1997 erfolgte mit der »Operation Libelle« der erste »Kampf einsatz« der Bundeswehr seit 1945. Seit<br />

Januar 1997 befand sich ein Kontingent deutscher Soldaten als Teil der internationalen Truppen der SFOR (Stabilization<br />

Force) in Railovac (Kroatien).<br />

Für das Zusammenstellen<br />

von Personal und Material<br />

sowie für die logistischen<br />

Vorbereitungen verblieb im<br />

deutschen Feldlager Railovac<br />

lediglich die Nacht. Am<br />

Morgen des 14. März um 7:30<br />

Uhr starteten sechs mittlere<br />

Transporthubschrauber CH<br />

53 nach Dubrovnik. <strong>Die</strong> 89<br />

deutschen Soldaten bestanden aus<br />

einer Führungsgruppe, einem Sicherungszug,<br />

technischem Unterstützungspersonal<br />

und einem Dutzend<br />

Sanitätsoffizieren und -unteroffizieren.<br />

Kommandoführer war der damalige<br />

Oberst und Chef des Stabes<br />

beim deutschen Kontingent, Henning<br />

Glawatz. Von Dubrovnik flogen die<br />

deut schen Maschinen weiter nach<br />

Podgorica in Montenegro. Dort war angesichts<br />

der politischen Situation eine<br />

Unterstützung für deutsche Soldaten<br />

keineswegs mit Selbstverständlichkeit<br />

zu erwarten. Hier wurde das Auftanken<br />

erheblich durch das mitgeführte<br />

Bargeld beschleunigt; es verlief freilich<br />

nicht ohne technische Schwierigkeiten.<br />

Gegen drei Uhr nachmittags flogen<br />

die Hubschrauber nach Tirana weiter.<br />

Noch während dieses Fluges war die<br />

Entscheidung zu treffen, die Operation<br />

fortzuführen oder abzubrechen; denn<br />

zwischenzeitlich trafen Berichte ein,<br />

dass US-Flugzeuge beschossen wurden<br />

und diese ihre Evakuierungsoperationen<br />

abbrachen. In der Tat wurde<br />

der Hubschrauber der deutschen Führungsgruppe<br />

beim steilen Landeanflug<br />

durch ein Panzerfaustgeschoss<br />

getroffen, er blieb jedoch intakt. Da<br />

der geplante Landeplatz bei der US-<br />

Botschaft aufgrund der Lageentwicklung<br />

nicht mehr anzufliegen war, hatte<br />

AP<br />

� Bundeswehrsoldaten auf dem Militärflugplatz in Tirana,<br />

14. März 1997.<br />

kurz vor dem Abflug ein albanischer<br />

Militärflugplatz als Aufnahmepunkt<br />

der zu Evakuierenden gewählt werden<br />

müssen. Hier landeten ab 15:40 Uhr<br />

fünf CH 53, während der Großraumsanitätshubschrauber<br />

für Eventualitäten<br />

in der Luft blieb.<br />

Das Verlassen der Maschinen wurde<br />

begleitet von Gewehrfeuer irregulärer<br />

Kräfte. Entsprechend griffen die luftgelandeten<br />

Sicherungssoldaten zu gezieltem<br />

Gegenfeuer, wobei zwei ge panzerte<br />

Radfahrzeuge, die sich feuernd<br />

und in schneller Zufahrt näherten, getroffen<br />

und zum Abdrehen gezwungen<br />

wurden. In der folgenden halben<br />

Stunde wurden die zu evakuierenden<br />

Personen in die Hubschrauber aufgenommen.<br />

Allerdings <strong>muss</strong>ten diese<br />

zuerst von 300 bis 400 Albanern<br />

getrennt werden, die ebenfalls die<br />

Stadt verlassen wollten. Um 16:09 Uhr<br />

verließ der letzte Hubschrauber Tirana<br />

mit dem Zwischenziel Podgorica.<br />

Insgesamt wurden 98 Evakuierte aus<br />

22 Nationen aus Tirana evakuiert, darunter<br />

21 Deutsche. Sie verließen gegen<br />

sechs Uhr abends in drei deutschen<br />

Transall-Maschinen Montenegro in<br />

Richtung Köln/Bonn. Einige Albaner,<br />

denen es gelungen war, ebenfalls in<br />

die Hubschrauber zu gelangen, wurden<br />

von Podgorica aus wieder auf<br />

dem Landweg <strong>zur</strong>ückgeschickt.<br />

<strong>Die</strong> Soldaten des Einsatzkommandos<br />

kehrten nach Railovac <strong>zur</strong>ück, wo<br />

sie der SFOR wieder rückunterstellt<br />

wurden. Somit war die Operation binnen<br />

20 Stunden abgeschlossen. <strong>Die</strong><br />

Bild-Zeitung jubelte auf der Titelseite<br />

von »Helden« – eine Wahrnehmung,<br />

die einige Jahre zuvor wenig wahrscheinlich<br />

gewesen wäre.<br />

Martin Rink<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />

31


NEUE PUBLIKATIONEN DES <strong>MGFA</strong><br />

Grundkurs deutsche Militärgeschichte. Das Zeitalter der Weltkriege 1914 bis 1945:<br />

Völker in Waffen. Mit Beiträgen von Ernst Willi Hansen und Karl-Volker Neugebauer sowie<br />

Gerhard P. Groß, Harald Potempa und Werner Rahn, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag<br />

2007, XIV, 449 S. (= Grundkurs deutsche Militärgeschichte. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen<br />

Forschungsamtes hrsg. von Karl-Volker Neugebauer, 2), 16,80 Euro,<br />

ISBN 978-3-486-58099-0<br />

Karl Feldmeyer und Georg Meyer, Johann Adolf Graf von Kielmansegg 1906–2006.<br />

Deutscher Patriot - Europäer - Atlantiker. Mit einer Bild- und Dokumentenauswahl von<br />

Helmut R. Hammerich. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Hamburg, Berlin,<br />

Bonn: Verlag E.S. Mittler & Sohn 2007, 246 S., 19,90 Euro,<br />

ISBN 978-3-8132-0876-4<br />

Jürgen Förster, <strong>Die</strong> Wehrmacht im NS-Staat. Eine strukturgeschichtliche Analyse,<br />

München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2007, VIII, 223 S.<br />

(= Beiträge <strong>zur</strong> Militärgeschichte. Militärgeschichte kompakt, 2), 19,90 Euro,<br />

ISBN 978-3-486-58098-3<br />

Wegweiser <strong>zur</strong> Geschichte: Bosnien-Herzegowina.<br />

Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Agilolf Keßelring,<br />

2., durchges. und erw. Aufl., Paderborn: Ferdinand Schöningh 2007,<br />

(= Wegweiser <strong>zur</strong> Geschichte, 1), 216 S., 12,90 Euro,<br />

ISBN 978-3-506-76428-7<br />

Militärische Reformer in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert.<br />

Mit Beiträgen von Walter Mühlhausen, Frank Nägler, Michael Sikora und <strong>Die</strong>rk Walter.<br />

Im Auftrag der Deutschen Kommission für Militärgeschichte und des Militärgeschichtlichen<br />

Forschungsamtes hrsg. von Hans Ehlert und Michael Epkenhans, Potsdam: Militärgeschichtliches<br />

Forschungsamt 2007 (= Potsdamer Schriften <strong>zur</strong> Militärgeschichte, 2), 80 S.,<br />

ISBN 978-3-9808882-3-3<br />

(zu beziehen über das Militärgeschichtliche Forschungsamt für eine Schutzgebühr von 5 Euro incl. Porto)

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