Ronny muss zur Volksarmee« Die Garnisonstadt Rathenow ... - MGFA
Ronny muss zur Volksarmee« Die Garnisonstadt Rathenow ... - MGFA
Ronny muss zur Volksarmee« Die Garnisonstadt Rathenow ... - MGFA
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Heft 1/2007<br />
C 21234 ISSN 0940 - 4163<br />
����<br />
��������������� � �<br />
�����������������<br />
������������������������������������<br />
Militärgeschichte im Bild: »Operation Libelle«. <strong>Die</strong> Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Albanien am 14. März 1997<br />
»<strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong> <strong>zur</strong> <strong>Volksarmee«</strong><br />
<strong>Die</strong> <strong>Garnisonstadt</strong> <strong>Rathenow</strong><br />
1733 bis 1806<br />
Der Schlieffenplan<br />
Gernika, 26. April 1937<br />
������������������������������������<br />
��������<br />
Militärgeschichtliches<br />
Forschungsamt 1957–2007<br />
����
Impressum<br />
Militärgeschichte<br />
Zeitschrift für historische Bildung<br />
Herausgegeben<br />
vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt<br />
durch Oberst Dr. Hans Ehlert und<br />
Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.)<br />
Produktionsredakteur<br />
der aktuellen Ausgabe:<br />
Mag. phil. Michael Thomae<br />
Redaktion:<br />
Oberleutnant Julian-André Finke M.A. (jf)<br />
Hauptmann Matthias Nicklaus M.A. (mn)<br />
Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)<br />
Mag. phil. Michael Thomae (mt)<br />
Bildredaktion:<br />
Dipl.-Phil. Marina Sandig<br />
Redaktionsassistenz:<br />
Stefan Stahlberg, Cand. Phil. (StS)<br />
Lektorat:<br />
Dr. Aleksandar-S. Vuletić<br />
Layout/Grafik:<br />
Maurice Woynoski<br />
Karten:<br />
Bernd Nogli<br />
Anschrift der Redaktion:<br />
Redaktion »Militärgeschichte«<br />
Militärgeschichtliches Forschungsamt<br />
Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam<br />
E-Mail: <strong>MGFA</strong>RedaktionMilGeschichte@<br />
bundeswehr.org<br />
Telefax: 03 31 / 9 71 45 07<br />
Homepage: www.mgfa.de<br />
Manuskripte für die Militärgeschichte werden<br />
an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte<br />
Manuskripte wird nicht gehaftet.<br />
Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt<br />
der Herausgeber auch das Recht <strong>zur</strong> Veröffentlichung,<br />
Übersetzung usw. Honorarabrechnung<br />
erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. <strong>Die</strong> Redaktion<br />
behält sich Kürzungen eingereichter<br />
Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise,<br />
fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung<br />
sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung<br />
durch die Redaktion und mit Quellenangaben<br />
erlaubt. <strong>Die</strong>s gilt auch für die Aufnahme<br />
in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen<br />
auf CD-ROM. <strong>Die</strong> Redaktion hat keinerlei<br />
Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte<br />
derjenigen Seiten, auf die in dieser Zeitschrift<br />
durch Angabe eines Link verwiesen wird. Deshalb<br />
übernimmt die Redaktion keine Verantwortung<br />
für die Inhalte aller durch Angabe einer<br />
Linkadresse in dieser Zeitschrift genannten<br />
Seiten und deren Unterseiten. <strong>Die</strong>ses gilt für<br />
alle ausgewählten und angebotenen Links und<br />
für alle Seiteninhalte, zu denen Links oder Banner<br />
führen.<br />
© 2007 für alle Beiträge beim<br />
Militärgeschichtlichen Forschungsamt (<strong>MGFA</strong>)<br />
Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber<br />
ermittelt worden sein, bitten wir ggf. um Mitteilung.<br />
Druck:<br />
SKN Druck und Verlag GmbH & Co., Norden<br />
ISSN 0940-4163<br />
Editorial<br />
in Thomas Brussigs Roman »Am kürzeren Ende<br />
der Sonnenallee« fordert Mutter Kuppisch ihren<br />
Sohn Bernd auf, von der NVA zu erzählen. Bernd<br />
sagt unter anderem: »Wer putscht, kriegt Hütte<br />
weiß. Der E schaukelt sich die Eier, und wenn<br />
so’n Buffi kommt, so’n Tagesack, der ‘n ganzen<br />
Container mit sich rumschleppt und sich feiern<br />
läßt [...] dem zeigt der E sein Maß und läßt’n wegtreten«.<br />
Er beschreibt in einer unverständlichen,<br />
informellen Sprache Zustände in dieser Armee,<br />
die nicht unbedingt ihrer offiziellen Außendarstellung entsprachen. <strong>Die</strong><br />
Kenntnis und Verwendung dieser inoffiziellen Soldatensprache wie der offiziellen<br />
Militärsprache war aber gerade für die Wehrpflichtigen wichtig,<br />
die gezwungen waren, sich im Truppenalltag <strong>zur</strong>echtzufinden, der teilweise<br />
von massiven Einschränkungen geprägt war.<br />
Geschlossene Gesellschaften, zu der das Militär leicht werden kann, aber<br />
auch Herrschaftssysteme prinzipiell verwenden eigene Sprachen. In der<br />
NVA trafen ein Unrechtssystem und seine Sprache auf Drill und (Sprach-)<br />
Reglement des Militärs. Beide ließen einen informellen Sprachcode der Soldaten<br />
entstehen.<br />
Junge Männer gelangten jedoch keineswegs politisch unbeeinflusst zum<br />
Wehrdienst. <strong>Die</strong> Führung der DDR versuchte, ihre Soldaten ideologisch zu<br />
formen. <strong>Die</strong>s begann bereits im Kindes- und Jugendalter: So sangen Mädchen<br />
und Jungen im Kindergarten am 1. März, dem Tag der NVA, für die<br />
Soldaten Lieder. In der DDR-Kinderzeitschrift »Bummi« finden sich Beispiele<br />
dafür: »Wenn die Volksarmeesoldaten / in der Stadt marschieren / winken<br />
alle Kinder fröhlich / wollen‘s auch probieren [...]«. <strong>Die</strong> militärische Sozialisation<br />
setzte sich fort in der »Gesellschaft für Sport und Technik« und in<br />
der FDJ. Anhand einer fiktiven Biografie zeichnet Matthias Rogg das Leben<br />
eines jungen DDR-Bürgers nach, der nach all den Stationen »sozialistischer<br />
Wehrhaftmachung« in der NVA landet.<br />
Am 26. April 1937 wurde die baskische Stadt Gernika von deutschen und<br />
italienischen Flugzeugen bombardiert und fast vollständig zerstört. Gernika<br />
gilt – nicht zuletzt durch das berühmte Gemälde »Guernica« von Pablo<br />
Picasso – als Symbol des Luftterrors schlechthin. Klaus A. Maier beschäftigt<br />
sich seit Jahrzehnten mit allen Aspekten des Luftkrieges einschließlich Gernika.<br />
Er analysiert den Luftangriff aufgrund neuer Quellenfunde, beleuchtet<br />
dessen Hintergründe und Zielsetzungen und bezieht die einschlägigen Bestimmungen<br />
des Völkerrechtes in seine Überlegungen mit ein.<br />
War der von Alfred Graf von Schlieffen 1905/06 vorgelegte Plan, dem seine<br />
Ansprüche in Hinblick auf »höchste Führungskunst« zugrunde lagen (die<br />
doppelseitige Umfassung und anschließende Vernichtung des Gegners),<br />
Siegesrezept oder Notlösung? <strong>Die</strong>se Frage stellt in einem weiteren Beitrag<br />
Gerhard P. Groß. Anlass für seinen Beitrag bietet ein amerikanischer Historiker,<br />
der neuerdings die bisher allgemein anerkannte Deutung des Schlieffenplans<br />
radikal infrage gestellt hat.<br />
Schließlich widerlegt Carmen Winkel die lange Zeit vorherrschende wissenschaftliche<br />
Meinung vom sozial geächteten und geknechteten frühneuzeitlichen<br />
Soldaten am Beispiel einer kleinen brandenburgischen <strong>Garnisonstadt</strong>.<br />
Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünsche ich eine gewinnbringende Lektüre des<br />
aktuellen Heftes.<br />
Ihr Michael Thomae
Rechtevermerk Logo »Strategie« S. 14:<br />
Montage unter Verwendung eines Fotos<br />
von bpk/Antikensammlung/Fotograf:<br />
Jürgen Liepe<br />
»<strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong> <strong>zur</strong> <strong>Volksarmee«</strong><br />
Militär und Gesellschaft<br />
in der DDR<br />
Dr. Matthias Rogg,<br />
geboren 1963 in Wittmund, Oberstleutnant<br />
und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am <strong>MGFA</strong>,<br />
Potsdam<br />
Soldaten im Bürgerhaus:<br />
<strong>Die</strong> <strong>Garnisonstadt</strong><br />
<strong>Rathenow</strong> 1733 bis 1806<br />
Carmen Winkel M.A.,<br />
geboren 1979 in Brandenburg an der Havel,<br />
Historikerin<br />
Strategie<br />
Der Schlieffenplan:<br />
Siegesrezept oder Notlösung?<br />
Dr. Gerhard P. Groß,<br />
geboren 1958 in Mainz,<br />
Oberstleutnant und Wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter am <strong>MGFA</strong>, Potsdam<br />
<strong>Die</strong> Zerstörung Gernikas<br />
am 26. April 1937<br />
Dr. Klaus A. Maier,<br />
geboren 1940 in Friedrichshafen,<br />
Historiker<br />
4<br />
10<br />
14<br />
18<br />
Inhalt<br />
Service<br />
Das historische Stichwort:<br />
Wehrpflicht in Deutschland<br />
nach 1945<br />
Medien online/digital<br />
Lesetipp<br />
Ausstellungen<br />
Geschichte kompakt<br />
Militärgeschichte<br />
im Bild<br />
23<br />
24<br />
26<br />
28<br />
30<br />
»Operation Libelle«.<br />
<strong>Die</strong> Evakuierung deutscher<br />
Staatsangehöriger aus Albanien<br />
am 14. März 1997 31<br />
Im März 1997 war die staatliche Ordnung in<br />
Albanien zusammengebrochen, die Evakuierung<br />
der deutschen Staatsbürger durch Bundeswehrsoldaten<br />
war unumgänglich. Im Bild:<br />
Bundeswehrsoldaten und ein Transporthubschrauber<br />
CH 53 sichern am Nachmittag des<br />
14. März 1997 das Gelände auf einem Militärflugplatz<br />
in Tirana während eines Schusswechsels.<br />
<strong>Die</strong> Aufnahme der rund 100 nichtalbanischen<br />
Staatbürger in die Hubschrauber,<br />
darunter 21 Deutsche, ist nach knapp 30 Minuten<br />
abgeschlossen.<br />
Foto: AP<br />
Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />
Dr. Dorothee Hochstetter, Berlin,<br />
Historikerin;<br />
Hauptmann Dr. Thorsten Loch,<br />
Kompaniechef 8./Wachbataillon beim<br />
BMVg;<br />
Oberstleutnant d.R. Dr. Martin Rink,<br />
Potsdam, Historiker
Foto: Gerald Ramcke<br />
»<strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong> <strong>zur</strong> <strong>Volksarmee«</strong><br />
»<strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong> <strong>zur</strong> <strong>Volksarmee«</strong><br />
Militär und Gesellschaft in der DDR<br />
4 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
<strong>Die</strong> nachfolgende Geschichte hat sich so nie ereignet.<br />
<strong>Die</strong> Personen und Namen sind frei erfunden.<br />
Aber sie könnte so verlaufen sein, irgendwann<br />
in den 1980er Jahren, irgendwo in der DDR.<br />
<strong>Die</strong> hier beschriebenen Ereignisse und Erfahrungen<br />
sind verdichtete Lebenswirklichkeit, die sich in ungezählten<br />
Akten und Zeitzeugengesprächen niedergeschlagen<br />
hat. Viele DDR-Biografien sind ähnlich<br />
verlaufen. Alle beschriebenen Details würden einer<br />
wissenschaftlichen Überprüfung jederzeit standhalten.<br />
<strong>Die</strong> Rahmenhandlung spiegelt ein Stück deutscher<br />
Militärgeschichte, das noch gar nicht so weit<br />
<strong>zur</strong>ückliegt, für die meisten aber schon eine abgeschlossene<br />
Vergangenheit bildet. <strong>Die</strong> Rede ist von<br />
der fast vergessenen Armee der DDR, der Nationalen<br />
Volksarmee, und ihren Soldaten.<br />
� Jugendliche, ausgestattet mit<br />
Luftdruckgewehren, bei einer<br />
Exerzierübung der »Gesellschaft für<br />
Sport und Technik«, 1970er Jahre.
<strong>Die</strong> Hauptperson der folgenden<br />
Geschichte heißt <strong>Ronny</strong><br />
Karow, geboren 1967, aufgewachsen<br />
in Wolfen im damaligen<br />
Be zirk Halle, heute südliches Sachsen-Anhalt.<br />
Seine Heimatstadt war<br />
ein hässlicher Industriestandort im<br />
»Chemiedreieck« der DDR, in dessen<br />
Kombinat über 15 000 Menschen<br />
Arbeit fanden. <strong>Die</strong> hier hergestellten<br />
Filme der Filmfabrik »ORWO« (Original<br />
Wolfen) sollte <strong>Ronny</strong> kurz nach<br />
der Wende in einem westdeutschen<br />
Supermarkt wiederfinden.<br />
Sozialistische Wehrerziehung<br />
<strong>Ronny</strong> war ein ganz normaler, eher<br />
unauffälliger Schüler. Er interessierte<br />
sich früh für Motorsport und wurde so<br />
auf die Angebote der »Gesellschaft für<br />
Sport und Technik« (GST) aufmerksam.<br />
Hinter dem unverdäch tigen Namen<br />
verbarg sich die größte paramilitärische<br />
Organisation der DDR, die Ende der<br />
1980er Jahre knapp 640 000 Mitglieder<br />
zählte. Ihre Hauptaufgabe bestand in<br />
der »Sozialistischen Wehrerziehung«:<br />
der mentalen, physischen und praktischen<br />
Wehrhaftmachung. Mit attraktiven<br />
Angebo ten, die vom Motorradfahren<br />
bis zum Segelfliegen reichten,<br />
weckte die GST das Interesse der Jugendlichen.<br />
Da die Freizeitangebote in<br />
Wolfen beschränkt waren, hatte die<br />
GST großen Zulauf. <strong>Die</strong> meisten GST-<br />
Ausbilder waren ehemalige Zeit- und<br />
Berufssol daten der NVA. Ein Rahmenprogramm<br />
aus »Ordnungsübun gen«<br />
(die Formalaus bildung), Ge län de spielen<br />
und Schießausbildung sorgte dafür,<br />
dass der paramilitärische Anteil<br />
nicht zu kurz kam. <strong>Die</strong> äußeren Zwänge<br />
störten <strong>Ronny</strong> nicht. Er genoss die<br />
Zeit mit Gleichgesinnten seines Alters,<br />
hatte besondere Freude am Schießen<br />
und durfte schließlich die Fahrerlaubnis<br />
für PKW ablegen.<br />
Während seiner gesamten Kindheit<br />
war die Anwesenheit von Militärischem<br />
etwas Normales. Schon im Kindergarten<br />
kamen die Soldaten regelmäßig<br />
am 1. März, dem »Tag der NVA«, zu<br />
Besuch und wurden mit Kuchen und<br />
lustigen Liedern begrüßt: »Wenn ich<br />
groß bin, gehe ich <strong>zur</strong> Volksarmee.« In<br />
der Schule setzte sich dieses Verhältnis<br />
fort. Im Deutschunterricht lasen<br />
<strong>Ronny</strong> und seine Klassenkameraden<br />
zum Beispiel Geschichten von Solda-<br />
ten, die ihre Heimat schützten, und in<br />
Geometrie wurden Winkelfunktionen<br />
anhand von Geschossflugbahnen der<br />
Artillerie berechnet. Beim Schulsport<br />
unterschieden sich die Rituale beim<br />
Antreten und bei der Meldung kaum<br />
von denen der GST. An hohen sozialistischen<br />
Feiertagen bastelten die Kinder<br />
kleine Geschenke und malten Bilder<br />
als »Grußadressen« für die Soldaten.<br />
Das Militär war im Unterricht nicht<br />
ständig präsent, aber es gehörte wie<br />
selbstverständlich dazu.<br />
� Werbeplakat der »Gesellschaft für<br />
Sport und Technik«, 1982, auf dem<br />
verschiedene »Sportarten« der GST<br />
dargestellt sind.<br />
25 Jahre bei der NVA?<br />
Das änderte sich ab der 8. Klasse. Im<br />
Februar nahm <strong>Ronny</strong>, wie die meisten<br />
seiner Klassenkameraden, an den<br />
Hans-Beimler-Wettkämpfen teil, einem<br />
paramilitärischen Geländeparcours,<br />
der mit dem zehn Kilometer langen<br />
»Marsch der Bewährung« abschloss.<br />
In dieser Zeit sprach die Klassenlehrerin<br />
<strong>Ronny</strong> mehrmals an, ob er nicht<br />
Interesse daran hätte, später einmal<br />
Berufssoldat zu werden. Seine sportlichen<br />
Leistungen und sein Engagement<br />
in der GST empfahlen ihn dafür.<br />
Außerdem kam er aus einem »guten«<br />
Elternhaus, in dem beide Elternteile<br />
in der Produktion arbeiteten und sich<br />
gesellschaftlich engagierten: die Mutter<br />
beim Freien Deutschen Gewerkschaftsbund<br />
(FDGB) und der Vater<br />
SAPMO-BArch, PlakY 6/182<br />
bei den »Kampfgruppen der Arbeiterklasse«,<br />
einer bewaffneten Werksmiliz.<br />
<strong>Ronny</strong> träumte davon, später einmal<br />
Ingenieur zu werden und Motoren<br />
zu bauen. Aber er war kein herausragender<br />
Schüler. Vor allem die 3 in<br />
Deutsch gefährdete die Empfehlung<br />
für die Erweiterte Oberschule (EOS),<br />
die den Weg zum Abitur öffnete. <strong>Die</strong><br />
Lehrerin versprach <strong>Ronny</strong> Nachhilfe<br />
in der Schule und sogar individuelle<br />
Förderung, wenn er sich rasch für eine<br />
Karriere bei der Volksarmee entscheiden<br />
würde, aber er zögerte. In der<br />
9. und 10. Klasse nahm die Agitation zu.<br />
Im obligatorischen Schulfach »Wehrunterricht«<br />
und dem verpflichtenden<br />
»Wehrausbildungslager« der GST leistete<br />
<strong>Ronny</strong> insgesamt 130 Stunden ab.<br />
Am Ende der 9. Klasse besuchte ein<br />
Offizier vom benachbarten Wehrkreiskommando<br />
aus Bitterfeld <strong>Ronny</strong> zu<br />
Hause. Er sprach von den Vorteilen bei<br />
der Armee, der guten Bezahlung, einer<br />
interessanten Ausbildung und einer<br />
sinnvollen und notwendigen Tätigkeit.<br />
Obwohl er vorher nicht mit <strong>Ronny</strong><br />
gesprochen hatte, kannte er sein<br />
Notenbild, wusste von seinen Schwächen<br />
und seinen Interessen. Der Major<br />
wirkte sehr souverän und beeindruckte<br />
<strong>Ronny</strong>. Als der Offizier schließlich<br />
sagte: »Gerade jetzt, wo die Welt ständig<br />
am Rande eines Atomkriegs steht,<br />
gibt es nichts Wichtigeres als die Sicherung<br />
des Friedens«, willigte <strong>Ronny</strong><br />
ein. Am nächsten Tag unterschrieb er<br />
eine Verpflichtungserklärung für 25<br />
Jahre bei der NVA. <strong>Ronny</strong> war gerade<br />
15 geworden.<br />
In der Klasse machte seine Berufsentscheidung<br />
schnell die Runde. <strong>Die</strong><br />
Klassenlehrerin präsentierte ihn als<br />
ge sellschaftliches Vorbild, übertrug<br />
ihm kleine Ordnungsaufgaben im<br />
Klas senrahmen und appellierte nun<br />
immer öfter an seine Vorbildfunktion.<br />
Das war ihm oft peinlich und<br />
manche Klassenkameraden schnitten<br />
ihn deswegen. <strong>Die</strong> Nachhilfe machte<br />
sich bezahlt, und <strong>Ronny</strong> hatte das<br />
Gefühl, einige Male sogar besser bewertet<br />
zu werden, als es seinem wirklichen<br />
Leistungsbild entsprach. Am<br />
Ende der 10. Klasse gehörte er zu<br />
den zwei Glücklichen, die <strong>zur</strong> EOS<br />
delegiert wurden und damit den Weg<br />
zum Abitur einschlagen konnten. <strong>Die</strong><br />
gesellschaftlichen Verpflichtungen nahmen<br />
jetzt zu, denn <strong>Ronny</strong> war nun<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
5
»<strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong> <strong>zur</strong> <strong>Volksarmee«</strong><br />
� Werbeplakat der NVA, 1983.<br />
auch Mitglied im »Bewerberkollektiv<br />
für militärische Berufe«, einer Gruppe<br />
von 20 Gleichaltrigen der Freien<br />
Deutschen Jugend (FDJ). Neben militärpolitischen<br />
Agitationen veranstaltete<br />
das »Bewerberkollektiv« attraktive<br />
Ausflüge. <strong>Die</strong> Jugendlichen besuchten<br />
das Armeemuseum der DDR in Dresden<br />
und fuhren für zwei Tage nach<br />
Leipzig auf die »Messe der Meister<br />
von Morgen«.<br />
6 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
In dieser Zeit verliebte sich <strong>Ronny</strong>.<br />
Seine Freundin Mandy besuchte<br />
ebenfalls die EOS und wollte später<br />
Medizin studieren. Beide spürten, es<br />
war mehr als eine Jugendliebe. Nur<br />
vor <strong>Ronny</strong>s Berufsentscheidung hatte<br />
Mandy Angst. Durch ihren Freund<br />
wurde sie hellhörig für alles, was mit<br />
Militär zu tun hatte. Während ihr Vater<br />
nicht in der Nationalen Volksarmee<br />
gedient hatte, hörte sie von ihrem älte-<br />
ren Bruder nur wenig Gutes. Er sprach<br />
sehr abfällig über seine Zeit bei der<br />
NVA, die er vielsagend als »Asche«<br />
bezeichnete. Auch <strong>Ronny</strong> beschlich ein<br />
befremdliches Gefühl, ob seine frühe<br />
Berufsentscheidung richtig war. Bei<br />
einem Besuch seiner Schulklasse in<br />
der Filmfabrik Wolfen tauschte er sich<br />
in einer Pause mit ehemaligen Wehrpflichtigen<br />
aus. <strong>Die</strong> Reservisten bestätigten<br />
das negative Urteil über die Zeit<br />
SAPMO-BArch, PlakY 6/1362
ei der NVA. <strong>Die</strong> meisten berichteten,<br />
wie sie unter der langen Trennung von<br />
Freunden und Familie und der Willkür<br />
der Vorgesetzten gelitten hätten. Hier,<br />
im Kollektiv des Kombinats, hätten<br />
die Kollegen schon auf ihre Rückkehr<br />
gewartet. In der chemischen Industrie<br />
würden sie kaum weniger als bei der<br />
Armee verdienen. Manches von dem,<br />
was die Reservisten erzählten, klang<br />
übertrieben, aber vieles schien eben<br />
auch glaubwürdig.<br />
Soldaten von morgen?<br />
Kurz nach Vollendung des 18. Lebensjahrs<br />
erhielt <strong>Ronny</strong> vom Wehrkreiskommando<br />
Bitterfeld die Aufforderung,<br />
<strong>zur</strong> Musterung zu erscheinen.<br />
Als Zeichen seiner politischen Gesinnung<br />
kam er im blauen Hemd der<br />
FDJ. Alle Untersuchungen verliefen<br />
routinemäßig, bis er vor der Musterungskommission<br />
erschien und seine<br />
Bewerbung plötzlich <strong>zur</strong>ückzog. Der<br />
Vorsitzende der Musterungskommission<br />
versuchte es erst mit freundlichen<br />
Worten und redete lange auf ihn ein.<br />
Er appellierte an <strong>Ronny</strong>s Gewissen,<br />
seine Pflicht <strong>zur</strong> Dankbarkeit gegenüber<br />
dem Staat und drohte schließlich,<br />
dass sein Entschluss auch für die<br />
Eltern Konsequenzen haben könnte.<br />
Aber <strong>Ronny</strong>s Entscheidung stand fest.<br />
Er verwies auf das Datum seiner Verpflichtungserklärung:<br />
<strong>Die</strong> Unterschrift<br />
eines Fünfzehnjährigen war auch in<br />
der DDR nicht rechtskräftig. <strong>Ronny</strong><br />
äußerte noch den Wunsch, möglichst<br />
heimatnah eingesetzt zu werden, am<br />
besten als Kraftfahrer oder bei einer<br />
Instandsetzungseinheit.<br />
Der junge Mann war erleichtert und<br />
mit ihm seine Freundin. Er verließ das<br />
Bewerberkollektiv, genauso wie noch<br />
vier andere aus seiner Gruppe. Im Mai<br />
des darauffolgenden Jahres, unmittelbar<br />
vor Abschluss des Abiturs, erhielt<br />
<strong>Ronny</strong> ein Einschreiben mit Ort und<br />
Zeitpunkt für den Sammeltransport<br />
und der Adresse des neuen <strong>Die</strong>nstortes<br />
– Laufbahn: Mot.-Schützen, <strong>Die</strong>nstort:<br />
Drögeheide. <strong>Ronny</strong> hatte noch nie<br />
von diesem Ort gehört und war enttäuscht,<br />
dass sich seine Hoffnungen<br />
nicht erfüllt hatten. Ähnlich ging es<br />
vielen seiner Klassenkameraden. Um<br />
sicher einen Studienplatz zu bekommen,<br />
hatten sich viele für drei Jahre<br />
als Unteroffizier auf Zeit verpflichtet.<br />
<strong>Die</strong> Verwendungswünsche, die sie bei<br />
der Verpflichtung angegeben hatten,<br />
fanden aber nur bei den wenigsten<br />
Berücksichtigung. Ein guter Freund<br />
von <strong>Ronny</strong> hatte sich nur unter der<br />
Maßgabe verpflichtet, für drei Jahre<br />
<strong>zur</strong> Volksmarine gehen zu können.<br />
Jetzt war er bei den den Pionieren in<br />
Hagenow eingeplant. Für eine Eingabe<br />
war es zu spät, außerdem wussten<br />
die »Soldaten von morgen« gar nicht,<br />
an wen sie ihre Beschwerde hätten<br />
richten müssen. <strong>Die</strong> bunten Informationsmaterialen,<br />
die sie im Wehrunterricht<br />
und im Wehrkreiskommando<br />
erhalten hatten, gaben darüber keine<br />
Auskunft.<br />
»I see a bad moon rising,<br />
I see trouble on the way«<br />
Am Tag des <strong>Die</strong>nstantritts fuhr <strong>Ronny</strong><br />
früh morgens mit einem überfüllten<br />
Zug in den Norden der Republik. <strong>Die</strong><br />
Luft war alkoholgeschwängert, die<br />
Stimmung bei einigen aufgekratzt, bei<br />
den meisten gedrückt. Im Nachbarabteil<br />
wurden Lieder gegrölt: »I see<br />
a bad moon rising, I see trouble on<br />
the way« von Creedence Clearwater<br />
Revival ließ wenig Gutes erahnen.<br />
Am Bahnhof Pasewalk erwarteten sie<br />
bereits Offiziere, die <strong>zur</strong> Eile mahnten<br />
und die Wehrpflichtigen auf Lkw<br />
verfrachteten. <strong>Die</strong> Fahrt führte durch<br />
ein Waldgebiet, wo sich Fuchs und<br />
Hase gut‘ Nacht sagten. Als sich die<br />
Ladeluke öffnete, spürte <strong>Ronny</strong> sofort<br />
einen anderen Rhythmus und eine<br />
ungewohnte Lautstärke.<br />
Der Kommandeur der Ausbildungseinheit<br />
begrüßte sie im Mot.-Schützenregiment<br />
9 mit dem Ehrennamen<br />
»Max Renner«. <strong>Die</strong> Vorgesetzten waren<br />
energisch, barsch und erwarteten<br />
von den Neuen, dass sofort alles funktionierte.<br />
Kaum ein Satz kam ohne die<br />
Füllwörter »hier«, »dort« und »machen<br />
se« aus. <strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong>te sich schnell<br />
umstellen, denn jeder Schritt wurde<br />
hier befohlen. <strong>Die</strong> ersten Wochen waren<br />
körperlich sehr fordernd. Nicht<br />
der obligatorische 3000-m-Lauf jeden<br />
Morgen vor dem Frühstück, sondern<br />
die Gefechtsausbildung brachte selbst<br />
den guten Sportler an seine Grenzen.<br />
Vieles hatte sich <strong>Ronny</strong> ganz anders<br />
vorgestellt. <strong>Die</strong> Unterkünfte waren<br />
sauber, aber in einem heruntergekommenen<br />
Zustand. 100 Soldaten <strong>muss</strong>ten<br />
sich fünf Toiletten teilen. Noch schlimmer<br />
stand es bei den Duschen, die<br />
nur einmal in der Woche aufgesucht<br />
werden durften. Der strenge Geruch,<br />
den <strong>Ronny</strong> zu Anfang bei seinen Kameraden<br />
verspürte, fiel ihm nach einigen<br />
Wochen nicht mehr auf. Alle<br />
schimpften über die unbequeme Uniform<br />
und das wenig abwechslungsreiche<br />
und manchmal sogar unappetitlich<br />
zubereitete Essen. Während<br />
sich die Versorgung der Soldaten auf<br />
das Nötigste konzentrierte, standen<br />
die Gefechtsfahrzeuge in gepflegten<br />
und beheizten Hallen. <strong>Die</strong> intellektuellen<br />
Herausforderungen waren gering<br />
und die Regeln innerhalb des<br />
»Objekts«, wie die Kaserne genannt<br />
wurde, schnell zu lernen: Wer sich<br />
unterordnete, anpasste und funktionierte,<br />
brauchte von den Vorgesetzten<br />
nichts zu befürchten. Das galt auch für<br />
den langweiligen Politunterricht, von<br />
den Soldaten »Rotlichtbestrahlung«<br />
genannt, in dem nur Platz für ideologische<br />
Worthülsen, aber nicht für offene<br />
Diskussionen war.<br />
Geschlossene Gesellschaft<br />
Am meisten bedrückte <strong>Ronny</strong> das<br />
menschliche Miteinander. Der Umgang<br />
unter den Soldaten war schroff,<br />
und oft wurden die Wehrpflichtigen<br />
wegen Kleinigkeiten angebrüllt. Vor<br />
Überprüfungen spürten die Soldaten<br />
die Anspannung der Vorgesetzten. Um<br />
ein gutes Ergebnis zu erzielen, griffen<br />
sie zuweilen sogar zu unlauteren<br />
Mitteln. Während sich zu den jungen<br />
Unteroffizieren schnell ein kumpelhaftes<br />
Verhältnis entwickelte, blieben<br />
die Berufsunteroffiziere und Offiziere<br />
für die Wehrpflichtigen unnahbar. Vielen<br />
jüngeren Vorgesetzten fehlte es an<br />
persönlicher Autorität und praktischer<br />
Erfahrung, während die Älteren oft<br />
frustriert ihren <strong>Die</strong>nst versahen. Über<br />
das Gebaren der Berufsunteroffiziere<br />
und ihr Bildungsniveau machten sich<br />
vor allem die Soldaten mit höherem<br />
Bildungsabschluss lustig. Obwohl ein<br />
striktes Alkoholverbot innerhalb der<br />
Kaserne bestand, kam es immer wieder<br />
vor, dass die Vorgesetzten morgens<br />
angetrunken zum <strong>Die</strong>nst erschienen.<br />
Knapp die Hälfte der Berufskader in<br />
der Kompanie lebte ohne ihre Familie<br />
am Standort. <strong>Die</strong> meisten sahen Frau<br />
und Kinder nur im Abstand mehrerer<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
7
MHM, Dresden<br />
»<strong>Ronny</strong> <strong>muss</strong> <strong>zur</strong> <strong>Volksarmee«</strong><br />
Einsatz in der Volkswirtschaft<br />
<strong>Die</strong> NVA war nicht nur das größte bewaffnete Organ der DDR, sie bildete auch das wichtigste Personal- und<br />
Materialreservoir für »volkswirtschaftliche Einsätze«. In den 1950er und 1960er Jahren gehörten dazu vor allem<br />
Ernteeinsätze, bei denen bis zu 20 000 Armeeangehörige die uneffektiven Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften<br />
unterstützten. Seit den 1960er Jahren begann die NVA schrittweise mit dem Einsatz von Pionieren<br />
für zivile Bauvorhaben. Allein in der Hauptstadt Berlin-Ost arbeiteten etwa 1000 Angehörige der Volksarmee auf<br />
diversen Baustellen, zum Beispiel beim Bau des »Palastes der Republik« oder bei der Erweiterung des berühmten<br />
Krankenhauses »Charité«. In den 1970er Jahren kamen Einsätze in der industriellen Produktion hinzu. In den<br />
Pionierbaubataillonen in Bitterfeld und Merseburg gingen die Soldaten morgens nicht zum Ausbildungs- oder<br />
Gefechtsdienst, sondern im Blaumann an die Werkbank. Mitte der 1980er Jahre stellten NVA und Grenztruppen<br />
diversen Industriezweigen ständig rund 10 000 Arbeitskräfte <strong>zur</strong> Verfügung. Das Ministerium für Nationale Verteidigung<br />
verdiente gut daran, denn für jede Arbeitsstunde berechnete man den Kombinaten 15 Mark. Nach Abzug<br />
der Kosten kamen von dieser Summe knapp zwei Drittel dem Verteidigungshaushalt zugute. <strong>Die</strong> wenigsten<br />
Soldaten wussten etwas von diesem Handel mit ihrer Arbeitskraft. <strong>Die</strong> wehrpflichtigen Soldaten beklagten, vom<br />
lukrativen Prämiensystem ausgeschlossen zu sein, während sich die Berufssoldaten mit dem ungewöhnlichen Aufgabenprofil<br />
nur schwer anfreunden konnten. Angesichts dieses Umgangs mit der Arbeitskraft der Soldaten waren<br />
die Forderungen nach der »Ständigen Gefechtsbereitschaft« nicht mehr glaubwürdig zu vermitteln.<br />
� Immer wieder neu aufgelegt<br />
wurden die Erlasse, die den<br />
Alkoholmissbrauch in der NVA<br />
eindämmen sollten. Hier abgebildet<br />
ein entsprechendes Plakat<br />
aus dem Jahre 1984.<br />
Der Befehl des Ministers für<br />
Nationale Verteidigung »30/74«<br />
wurde umgangssprachlich »15/37«<br />
genannt, weil sich höchstens die<br />
Hälfte der Armeeangehörigen<br />
daran gehalten habe.<br />
8 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
Wochen. <strong>Die</strong> Ledigenwohnheime waren<br />
so überfüllt, dass sich Offiziere oft<br />
ein Zimmer teilten.<br />
Der <strong>Die</strong>nst war fordernd und dauerte<br />
meist bis in die Abendstunden. <strong>Die</strong><br />
durchschnittliche Wochenarbeitszeit<br />
be trug 65 Stunden, und das Wochenende<br />
begann erst am Samstag Mittag.<br />
Da ständig mindestens 85 Prozent des<br />
gesamten Personals und Materials einsatzbereit<br />
sein <strong>muss</strong>ten, durfte nur ein<br />
geringer Teil der Armeeangehörigen<br />
die Kaserne verlassen. Im Nachbarbataillon<br />
wurden dennoch zwei Kompanien<br />
von heute auf morgen für drei<br />
Monate verlegt – wie es hieß, »<strong>zur</strong> Erfüllung<br />
eines volkswirtschaftlich wichtigen<br />
Auftrags«. Mehrmals im Monat<br />
fanden Alarmierungen statt, bei denen<br />
das gesamte Regiment binnen 20 Minuten<br />
in voller Bewaffnung abmarschbereit<br />
sein <strong>muss</strong>te. Aus diesem Grund<br />
wohnten die am Standort lebenden<br />
Offiziere mit ihren Familien fast ausschließlich<br />
in der »Militärsiedlung«<br />
direkt neben dem »Objekt«.<br />
Das größte Problem war für <strong>Ronny</strong><br />
der Kontakt nach außen. <strong>Die</strong> Wehrpflichtigen<br />
hatten Anspruch auf 18<br />
Tage Urlaub während ihrer 18-monatigen<br />
<strong>Die</strong>nstzeit und konnten in der Regel<br />
nur alle sechs Wochen nach Hause<br />
fahren. Aus der Nachbarkompanie<br />
hörte <strong>Ronny</strong> von Fällen, in denen die<br />
Soldaten sechs Monate nicht nach<br />
Hause durften. Dazwischen konnte<br />
Ausgang bis zum Zapfenstreich oder<br />
ein Kur<strong>zur</strong>laub außer der Reihe gewährt<br />
werden. Aber das hing von der<br />
Laune der Vorgesetzten ab und funktionierte<br />
als ideales Druckmittel, um die<br />
Soldaten gefügig zu machen. Auch im<br />
Urlaub hatten die Soldaten Uniform<br />
zu tragen – nur die wenigsten hielten<br />
sich jedoch daran.<br />
Für mehr als 3000 Mann stand vor<br />
der Kaserne nur eine Telefonzelle <strong>zur</strong><br />
Verfügung, aber Mandys Eltern verfügten<br />
sowieso über kein Telefon. Wenn<br />
<strong>Ronny</strong> Ruhe fand, schrieb er Mandy<br />
und seinen Eltern Briefe. Aber er war<br />
vorsichtig bei dem was er dort mitteilte,<br />
denn Gerüchte besagten, Briefe<br />
würden immer wieder von Angehörigen<br />
der Militärabwehr geöffnet. Erst<br />
viel später erfuhr <strong>Ronny</strong>, dass die Stasi<br />
allein in seiner Kompanie zehn Spitzel<br />
hatte, einen davon in seiner Gruppe.<br />
Besonders heikel war auch das Abhören<br />
von »Feindsendern«. Am dienstlichen<br />
Fernsehgerät waren die Sender<br />
vorgerastet, damit sich die Soldaten<br />
bei der Senderwahl nicht im »Feindesland«<br />
verirrten. Als man einen Stubenkameraden<br />
beim Hören von NDR III<br />
erwischte, wurde dessen Radio eingezogen<br />
und es folgte eine disziplinare<br />
Bestrafung. Bei Vergehen fackelten die<br />
Vorgesetzten nicht lange. Sogar die<br />
Unteroffiziere konnten disziplinarisch<br />
tätig werden, und ständig befand sich<br />
ein Soldat aus seiner Kompanie in<br />
Arrest. Wenn die Vorgesetzten sich<br />
nicht mehr zu helfen wussten, drohten<br />
sie mit »Schwedt«, der berüchtigten<br />
Disziplinareinheit der NVA, von der<br />
man nur hinter vorgehaltener Hand<br />
die schlimmsten Dinge hörte.
Informelle Hierarchien<br />
Wenn endlich <strong>Die</strong>nstschluss befohlen<br />
wurde, verließen alle Vorgesetzten fast<br />
fluchtartig das »Objekt«, und die kasernierten<br />
Mannschaftssoldaten und<br />
Unteroffiziere auf Zeit blieben sich<br />
selbst überlassen. Trotz des strengen<br />
Verbotes gelang es immer wieder, größere<br />
Mengen Alkohol in die Unterkünfte<br />
zu schmuggeln. Untereinander<br />
redeten die Soldaten in einer für<br />
Fremde nur schwer verständlichen,<br />
mit zahlreichen militärisch verbrämten<br />
Redewendungen durchsetzten<br />
Sprache. <strong>Die</strong> innere Distanz gegenüber<br />
dem Militär und seinen Funktionären<br />
zeigte sich hier vielleicht am deutlichsten.<br />
Offiziere waren aufgrund ihrer<br />
langen Verpflichtungszeit »Tagesilos«,<br />
Unteroffiziere »Kapos«, und der Speisesaal<br />
mutierte zum »Fresswürfel«. Bei<br />
Abwesenheit der Vorgesetzten wurde<br />
die militärische durch eine informelle<br />
Hierarchie ersetzt. Nicht der <strong>Die</strong>nstgrad,<br />
sondern die Zahl der noch zu<br />
dienenden Tage bestimmte jetzt die<br />
Stellung. Auf der untersten Stufe standen<br />
die Soldaten des 1. <strong>Die</strong>nsthalbjahres,<br />
die »Spritzer« oder »Glatten«,<br />
dann kamen die des 2. <strong>Die</strong>nsthalbjahres,<br />
»Vize« oder »Zwischenpisser«<br />
genannt, und die Krönung bildeten<br />
schließlich Soldaten des 3. <strong>Die</strong>nsthalbjahres,<br />
die »Entlassungskandidaten«,<br />
kurz »EK«.<br />
Nach <strong>Die</strong>nstschluss führten die<br />
EKs das Regiment. Wenn es harmlos<br />
zuging, wie bei <strong>Ronny</strong>, <strong>muss</strong>ten die<br />
Jüngeren die Älteren nur bedienen,<br />
Sonderzahlungen in eine Kasse leisten<br />
und unangenehme Arbeiten, wie das<br />
Schwedt<br />
Revierreinigen, übernehmen. Aus der<br />
Nachbarkompanie waren schlimmere<br />
Dinge zu hören. Da wurden die jüngeren<br />
Soldaten, die sich den Ritualen<br />
widersetzten, von den Älteren gedemütigt,<br />
unter Zwang geduscht, und<br />
in einem Fall war sogar von sexuellen<br />
Übergriffen die Rede. <strong>Die</strong> drangsalierten<br />
Soldaten hatten Angst, solche Vorfälle<br />
zu melden, nicht nur weil sie die<br />
Rache ihrer »Kameraden« fürchteten.<br />
<strong>Die</strong> Vorgesetzten griffen in der Regel<br />
nicht durch und beließen es bei flauen<br />
Ermahnungen. Erst am Ende seiner<br />
<strong>Die</strong>nstzeit, als <strong>Ronny</strong> selbst zum »EK«<br />
aufgestiegen war, begriff er, wie nützlich<br />
diese informelle Hierarchie für<br />
die Vorgesetzten war. Sie funktionierte<br />
als Ordnungs- und Machtmittel durch<br />
Stellvertreter. Viele Vorgesetzten ließen<br />
die EKs gewähren, weil sie von<br />
<strong>Die</strong> Kleinstadt Schwedt an der Oder wurde seit Ende der 1960er Jahre<br />
zum Synonym für den gefürchteten militärischen Strafvollzug in<br />
der DDR. <strong>Die</strong> zu längerem Strafarrest und Freiheitsentzug bis zu zwei<br />
Jahren verurteilten Angehörigen von NVA, Grenztruppen und Volkspolizeibereitschaften<br />
wurden hier unter ein hartes Regime gestellt. Der<br />
Arbeitseinsatz im Petrochemischen Kombinat Schwedt und eine körperlich<br />
harte militärische Ausbildung sollten einen »durchgängigen Erziehungsprozess«<br />
der Häftlinge gewährleisten. Isolation, Demütigungen,<br />
physischer und vor allem psychischer Druck sollten die Insassen gefügig<br />
machen und, wenn es nicht anders ging, ihren Willen brechen. Über die<br />
Bedingungen im »Armeeknast« drang nur wenig nach außen, aber auch<br />
die Gerüchte wurden von den Betroffenen ernst genommen.<br />
� <strong>Die</strong> Soldaten des ersten <strong>Die</strong>nsthalbjahres stehen in langer Unterwäsche und<br />
mit Kerze auf dem Stahlhelm zum feierlichen Anschnitt des Maßbandes bereit.<br />
Sie bilden das Spalier für die Anschnittfeier der Entlassungskandidaten.<br />
der Erfahrung der älteren Soldaten<br />
abhängig waren. Ohne ihre Unterstützung<br />
war an Spitzenleistungen bei<br />
Inspektionen oder Gefechtsaufgaben<br />
nicht zu denken, und diese bildeten<br />
die Voraussetzungen für Förderungen<br />
und Beförderungen.<br />
Am Ende seiner <strong>Die</strong>nstzeit war <strong>Ronny</strong><br />
froh, sich nicht länger verpflichtet<br />
zu haben. Im Unterschied zu den<br />
meisten Kameraden hatte seine Beziehung<br />
zu Mandy gehalten. Er erhielt<br />
auch einen Studienplatz für Maschinenbau,<br />
schließlich benötigte die DDR<br />
dringend Ingenieure. Fragte man ihn<br />
später nach seiner Armeezeit, dann<br />
sprach er nicht mit Stolz von »des Volkes<br />
Soldaten«, sondern nur distanziert<br />
von der »Asche«.<br />
Literaturtipps:<br />
� Matthias Rogg<br />
Militär, Staat und Gesellschaft in der DDR.<br />
Forschungsfelder, Ergebnisse, Perspektiven. Im Auftrag<br />
des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von<br />
Hans Ehlert und Matthias Rogg, Berlin 2004<br />
(= Militärgeschichte der DDR, 8)<br />
Christian Th. Müller, Tausend Tage bei der »Asche«.<br />
Unteroffiziere in der NVA. Untersuchungen zu Alltag<br />
und Binnenstruktur einer »sozialistischen« Armee.<br />
Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt,<br />
Berlin 2003 (= Militärgeschichte der DDR, 6)<br />
Joerg Waehner, Einstrich - Keinstrich. NVA-Tagebuch,<br />
Köln 2006<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
Museum der Stadt Hagenow<br />
9
<strong>Garnisonstadt</strong> <strong>Rathenow</strong><br />
Soldaten im Bürgerhaus:<br />
<strong>Die</strong> <strong>Garnisonstadt</strong> <strong>Rathenow</strong><br />
1733 bis 1806<br />
Für die Historiker des 19. Jahr hun -<br />
derts stand fest, dass der früh neuzeitliche<br />
preußische Soldat ein bemitleidenswertes,<br />
ge knech tetes und<br />
vielfach kriminel les Subjekt war, das<br />
von den Bür gern ver achtet wurde<br />
und eine trauri ge Existenz fristete.<br />
Aus den Garnison städten, in denen<br />
Bür ger und Soldat auf engstem Raum<br />
zusammenleb ten, konnten die Historiker<br />
der Kaiserzeit vielfach Beispie le<br />
für ein Gegeneinander von Bürgern<br />
und Soldaten an führen. Exerzierende<br />
Soldaten in Rathäusern und auf<br />
Friedhöfen oder lärmende und streitsüchtige<br />
Raufbolde in Uniform versinnbildlichten<br />
das »Negativ-Image«,<br />
das die Historiker dem frühneuzeitlichem<br />
Militär »verpassten«. Das folgende<br />
Beispiel einer typischen brandenburgischen<br />
<strong>Garnisonstadt</strong> zeigt,<br />
dass die Beziehung zwischen Militär<br />
und Gesellschaft nicht nur von Konflikten<br />
geprägt war.<br />
<strong>Die</strong> Soldaten kommen:<br />
<strong>Rathenow</strong> wird <strong>Garnisonstadt</strong><br />
<strong>Die</strong> meisten brandenburgischen<br />
Städte beherbergten im 18. Jahrhundert<br />
eine Garnison in ihren<br />
Mauern. <strong>Rathenow</strong>, rund 70 km<br />
westlich von Berlin gelegen, war eine<br />
davon. Während in der Haupt- bzw.<br />
Residenzstadt Berlin und Potsdam die<br />
besonders prestigeträchtigen »Elitetruppen«<br />
und sonstige militärische Behörden<br />
untergebracht waren, <strong>muss</strong>ten<br />
die vielen kleinen, meist nur mehrere<br />
hundert Einwohner zählenden Städte<br />
die Soldaten einer Armee aufnehmen,<br />
deren Zahl sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts<br />
verdoppelte.<br />
Im Jahre 1733 erhielt die Stadt <strong>Rathenow</strong><br />
die erste nennenswerte Garnison.<br />
Insgesamt drei Kompanien sowie der<br />
10 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
� Der geringe Sold zwang alle Soldaten, insbesondere die verheirateten,<br />
sich als Handwerker, Lohndiener oder Hausierer zusätzliche Einkünfte zu<br />
verschaffen. Zeitgen. Kupferstich, um 1785, von J.C.W. Rosenberg.<br />
Regimentsstab des Kürassierregiments<br />
11, auch Leibkarabinierregiment genannt<br />
und eine der ältesten und prestigeträchtigsten<br />
Einheiten der preußischen<br />
Armee, wurden dorthin verlegt.<br />
Bis zum Ende des Jahrhunderts wurde<br />
die Garnison schrittweise vergrößert,<br />
sodass die Stadt mit einer Einwohnerzahl<br />
von 3800 Personen schließlich<br />
mehr als 400 Soldaten in ihren Mauern<br />
beherbergte. Allerdings waren die<br />
Soldaten nicht ständig in der Stadt stationiert.<br />
<strong>Die</strong> »Inländer«, d.h. alle Preußen,<br />
verbrachten den Großteil der Zeit<br />
in ihren Heimatorten. Sie rekrutierten<br />
sich aus festgelegten preußischen Bezirken,<br />
den sogenannten Kantonen, die<br />
jedem Regiment zugewiesen wurden.<br />
Ausgenommen vom Militärdienst waren<br />
bestimmte Berufsgruppen (etwa<br />
Handwerker oder generell Bürger, die<br />
Besitz in der Stadt hatten), darüber<br />
hinaus die Stadtbevölkerung u.a. von<br />
Berlin, Brandenburg, Breslau, Reichenstein<br />
und Silberberg sowie die Einwohner<br />
einzelner Provinzen wie Geldern,<br />
Cleve, Mörs und Ostfriesland.<br />
Nur die vielen im »Ausland«, also in<br />
nicht-preußischen Ländern geworbenen,<br />
dort oftmals auch »gepressten«<br />
Soldaten lebten dauerhaft in der Stadt<br />
und verdienten sich zum kargen Sold<br />
durch allerlei Tätigkeiten ein kleines<br />
Zubrot. <strong>Die</strong> gewerbliche Tätigkeit der<br />
Soldaten führte häufig zu Konflikten<br />
mit den städtischen Zünften, die sich
über die unliebsame Konkurrenz beschwerten,<br />
da die Soldaten an keinerlei<br />
Zunftzwang gebunden waren.<br />
Bevor die Soldaten untergebracht<br />
werden konnten, <strong>muss</strong>ten die Voraussetzungen<br />
dafür geschaffen werden:<br />
Straßen wurden gepflastert, Ställe und<br />
Wachhäuser gebaut – sehr <strong>zur</strong> Freude<br />
der einheimischen Handwerker – und<br />
schließlich seit der zweiten Hälfte des<br />
Jahrhunderts auch Kasernen errichtet.<br />
Allerdings stellte die Unterbringung<br />
der Soldaten in Kasernen eine Ausnahme<br />
dar. Besonders in Berlin und Potsdam,<br />
wo der Wohnraum aufgrund der<br />
großen Garnison äußerst knapp wurde,<br />
entstanden einzelne Kasernen. <strong>Die</strong><br />
meisten Soldaten <strong>muss</strong>ten jedoch in<br />
Bürgerhäusern untergebracht werden.<br />
<strong>Die</strong> Einquartierung<br />
Jeder Stadtbewohner war verpflichtet,<br />
einen Soldaten unter seinem Dach aufzunehmen.<br />
Von der Einquartierung befreit<br />
waren bestimmte Funktionsträger<br />
der Stadt, wie Bürgermeister, Ratsherren<br />
und anderes Verwaltungspersonal.<br />
Aber auch bestimmte Berufsgruppen,<br />
die von landesherrlicher Seite gestärkt<br />
werden sollten, waren davon ausgenommen.<br />
Grundsätzlich hatte jeder<br />
Stadtbürger die Pflicht, den Servis zu<br />
zahlen. <strong>Die</strong>se zusätzliche Steuer, festgeschrieben<br />
per Ordonnanz (von lat.<br />
ordo, Weisung), stellte die umfangreichste<br />
Abgabe für die steuerpflichtigen<br />
Bürger dar.<br />
Aus der Serviskasse wurden die Bürger,<br />
die einen oder mehrere Soldaten<br />
aufzunehmen hatten (deren Zahl richtete<br />
sich nach der Größe des Hauses),<br />
für die Einquartierung und die damit<br />
verbundenen Kosten entschädigt. <strong>Die</strong>ses<br />
Geld glich die tatsächlichen Kosten<br />
allerdings nicht aus, was die Bürger<br />
zu vielen Klagen veranlasste. <strong>Die</strong><br />
Karabiniers<br />
Einquartierung in »natura« hieß für<br />
den Wirt, dem einquartierten Soldaten<br />
freies Quartier, Holz und »Licht«<br />
<strong>zur</strong> Verfügung zu stellen. Der Servis<br />
konnte auch in bar ausgezahlt werden.<br />
Das erlaubte es dem Soldaten, sich in<br />
der Stadt selbstständig ein Quartier<br />
zu mieten. Der Servis war also eine<br />
Steuer, die in Geld- oder Sachbeträgen<br />
abgeleistet werden konnte.<br />
Der Geldbetrag wie auch die Sachleistungen<br />
der »Natural-Einquartierung«,<br />
welche die Soldaten erhielten,<br />
richteten sich nach ihrem <strong>Die</strong>nstgrad<br />
und dem Familienstand. Das Einquartierungsreglement<br />
für die Kavallerie<br />
aus dem Jahre 1721 schrieb vor, die<br />
Soldaten hätten von der Stadt »nichts<br />
weiter zu fordern als das freye Quartier,<br />
Feuer und Licht«. <strong>Die</strong> Unterkunft<br />
sollte nicht mehr sein als eine »Gelegenheit<br />
zu schlafen, mit einigen Bett<br />
Gerathe, so gut oder schlecht, als solches<br />
der Wirth zu geben vermag«. Dafür<br />
stand es dem Quartiernehmer aber<br />
zu, mit dem Wirt im Winter die beheizte<br />
Stube zu teilen; auf einen eigenen<br />
beheizten Raum hatten weder der<br />
gemeine Soldat noch der Unteroffizier<br />
ein Anrecht. Ausdrücklich wurde hier<br />
auch betont: »Frauen der verheyrateten<br />
Reuter und Dragoner gehören mit<br />
in die Quartiere ihrer Männer«. <strong>Die</strong><br />
Offiziere hatten zudem dafür Sorge<br />
zu tragen, dass »die Bürger von diesen<br />
Frauen nicht <strong>zur</strong> Ungebühr belästigt<br />
noch in ihrer Nahrung gestohret und<br />
gehindert werden mögen. Wie dann<br />
aus viele eingelaufene Klagen genug<br />
erhellet«. Zur Militärbevölkerung zählten<br />
im 18. Jahrhundert auch die Frauen<br />
und Kinder der Soldaten.<br />
<strong>Die</strong> Einquartierung von »beweibten«,<br />
also verheirateten Soldaten – in<br />
<strong>Rathenow</strong> waren dies immerhin 60<br />
Prozent der einfachen Soldaten – war<br />
bei den Bürgern besonders unbeliebt.<br />
Der Hausherr <strong>muss</strong>te Frau und Kinder<br />
des Soldaten aufnehmen und hatte keine<br />
Verfügungsgewalt über diesen autonomen<br />
Haushalt unter seinem Dach.<br />
So stellten die Stadtverordneten in<br />
<strong>Rathenow</strong> 1739 fest, dass die mit »beweibten«<br />
Karabiniers »bequartierten«<br />
Wirte »von diesen mehr Ungemach,<br />
als andere von unbeweibten Leuten<br />
erdulden müssen«. Zehn Jahre später<br />
� Ein Soldat des Kürassier- bzw.<br />
Leibkarabinierregiments 11. Abb. aus:<br />
<strong>Die</strong> Armee Friedrichs des Großen in<br />
ihrer Uniformierung. Gez. und erl.<br />
von Adolph Menzel. Eine Ausw. von<br />
100 Tafeln in mehrfarbiger Faksimile-<br />
Produktion, Augsburg: Battenberg<br />
Verlag 1998.<br />
Als Karabiniers wurden in den Armeen der Frühen Neuzeit Soldaten der Kavallerie bezeichnet. Sie waren ursprünglich<br />
mit einem Karabiner, einem leichten Gewehr mit verkürztem Lauf, ausgerüstet, woher sich auch ihr<br />
Name ableitet. In den europäischen Heeren galten sie als Elitetruppe der Kavallerie. Einzelne Karabiner-Eskadrons<br />
(Kompanien) entstanden häufig als Teile von Dragoner- und Kürassierregimentern. In der preußischen<br />
Armee wurde 1738 das Kürassierregiment 11 vom König zum Karabinierregiment ernannt. <strong>Die</strong>s war ein besonderer<br />
Gnadenbeweis des Königs. <strong>Die</strong> Karabiniers wurden häufig als berittene Infanterie eingesetzt.<br />
In Chile und Italien werden Gendarmen Carabineros bzw. Carabinieri genannt. Auch die britische Armee kennt<br />
Karabiniers, allerdings kämpfen sie heute mit Panzern auf den Schlachtfeldern des 21. Jahrhunderts.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
11
<strong>Garnisonstadt</strong> <strong>Rathenow</strong><br />
� Parade in Potsdam im Jahre 1779. Holzstich von Wilhelm Camphausen (1818–1885).<br />
wehrten sich die Stadtverordneten in<br />
einem Brief an die Kriegs- und Domänenkammer<br />
gegen die geplante Serviskürzung<br />
für die beweibten Soldaten<br />
und deren geplante Natural-Einquartierung<br />
bei den Bürgern. Wie in anderen<br />
brandenburgischen Städten war<br />
man in <strong>Rathenow</strong> dazu übergegangen,<br />
den verheirateten »Karabiniers« den<br />
Servis bar auszuzahlen, damit diese<br />
sich dann selbstständig eine Unterkunft<br />
in der Stadt mieten konnten. <strong>Die</strong><br />
Stadtverordneten argumentierten gegen<br />
die geplante Einquartierung, dass<br />
es in der Garnison an Raum für die<br />
Soldatenfamilien fehle und die Wirte in<br />
ihren Häusern nicht mehr ihrer »Hanthierung«<br />
nachgehen könnten, wenn<br />
die Soldatenfamilien »die Wärme in<br />
ihren Stuben« genössen. Des Weiteren<br />
ermangele es ihnen an Betten für die<br />
Soldatenfrauen, weswegen sie, »wann<br />
sie solche aushalten sollen, [...] selbst<br />
auf Stroh liegen« müssten.<br />
<strong>Die</strong> Stadtverordneten waren gewillt,<br />
den alten, also höheren Servissatz weiterzuzahlen,<br />
um so der Einquartierung<br />
der beweibten Soldaten in »natura« zu<br />
entgehen. So erklärten sie, die Bürger<br />
seien bereit, »den ihre bißhero zugeschriebene<br />
Servis alle Monath richtig<br />
abzuführen«. Um die ungeliebte<br />
Ein quartierung abzuwenden, würde<br />
die Bürgerschaft sogar weitere finanzielle<br />
Zugeständnisse in Kauf nehmen.<br />
Wenn die Kriegs- und Domänen-<br />
12 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
kammer den Serviszuschuss für die<br />
beweibten Karabiniers nicht zahlen<br />
wolle, dann »wollten die Verordneten<br />
dahin sich verbindlich machen, daß<br />
solcher Zuschuß« in Höhe von sechs<br />
Gulden je Soldatenfrau »aus der Bürger<br />
Holz-Rechung« geleistet werde.<br />
Exerzierzeit<br />
Einmal im Jahr exerzierte das gesamte<br />
Regiment – einschließlich der Kompanien<br />
die sonst in anderen Städten untergebracht<br />
waren – in der Stabsgarnison.<br />
<strong>Die</strong> »Exerzierzeit«, die immer im<br />
Frühjahr stattfand, dauerte seit 1743<br />
nur noch zwei statt drei Monate. Im<br />
Jahre 1786 wurde sie auf sechs Wochen<br />
verkürzt.<br />
<strong>Die</strong> Soll-Stärke eines Kavallerierregiments<br />
sollte nach dem Reglement von<br />
1743 insgesamt 774 Personen umfassen.<br />
Legt man die Bevölkerungszahl<br />
<strong>Rathenow</strong>s von 1740 zu Grunde, dann<br />
betrug während der Exerzierzeit der<br />
Anteil der Militär- an der Gesamtbevölkerung<br />
29,6 Prozent. <strong>Die</strong> Bürger<br />
<strong>muss</strong>ten also noch zusätzliche Soldaten<br />
und Pferde in ihren Häusern und<br />
Ställen aufnehmen, was wiederum zu<br />
vielen Klagen der Bürgerschaft führte.<br />
So heißt es in einer Beschwerdeschrift<br />
aus dem Jahr 1764, dass während<br />
der Exerzierzeit das Regiment<br />
für die vielen Pferde der Kürassiere<br />
die Stallplät ze der Pferde von Bürgern<br />
beanspruche, die Tiere folglich »bey<br />
Kälte, Regen und schlechtem Wetter<br />
unterm freyen Himmel liegen müssten,<br />
wodurch manches Stück verendet«.<br />
Dagegen könnten die Städte, die<br />
»solcher Zeit über von aller Einquartierung<br />
befreyet sind, ihre Stallung<br />
vor zuglich nutzen«.<br />
<strong>Die</strong> kurze Exerzierzeit war aber nicht<br />
nur für die Bürger mit Belastungen<br />
verbunden, auch von den Soldaten<br />
und Offizieren wurde viel abverlangt:<br />
In nur wenigen Wochen <strong>muss</strong>te das Regiment<br />
zusammen exerzieren können,<br />
um bei der jährlichen Revue oder bei<br />
Paraden vor den Augen des Königs zu<br />
bestehen. Insbesondere die Offiziere<br />
fürchteten die Heerschau; versagten<br />
sie hier, war der Fortgang ihrer Karriere<br />
ungewiss.<br />
Für ein Kavallerieregiment, wie es<br />
in <strong>Rathenow</strong> stationiert war, bedeutete<br />
das Exerzieren in erster Linie,<br />
die Soldaten in kurzer Zeit im Umgang<br />
mit den Pferden zu schulen, das<br />
hieß auch, in Formation zu reiten. Für<br />
das Exerzieren auf dem Pferderücken<br />
benötigten sie viel Platz. Angesichts<br />
der Tatsache, dass in <strong>Rathenow</strong> viele<br />
Bürger von der Landwirtschaft lebten,<br />
war die Bereitstellung einer so<br />
großen Fläche keine leichte Aufgabe.<br />
So gab die Frage des Exerzierplatzes<br />
beständig Anlass für Auseinandersetzungen<br />
zwischen Garnison und Stadt.<br />
<strong>Die</strong> schlechte Qualität des Platzes ver-<br />
akg-images
anlasste den Regimentschef Generalmajor<br />
Sebastian von Reppert 1787 zu<br />
folgender Klage beim König: »<strong>Die</strong>ser<br />
Exerzier Platz setzt mich aber außer<br />
Stande pflichtmäßig exerzieren zu<br />
können, um mich der Zufriedenheit<br />
Königlicher Majestät bei der Revue<br />
schmeicheln zu dürfen.« Aufgrund<br />
der ungünstigen Bodenbeschaffenheit,<br />
»unergründlichsten Sandschollen und<br />
tiefsten Sumpfflächen«, sei es gar dazu<br />
gekommen, dass »Menschen unglücklich<br />
gewesen und [...] die Füße gebrochen«.<br />
Reppert habe daher, so klagt er, »in<br />
größter Furcht und Ungewissheit mein<br />
hiesige Exerceir Zeiten verbracht«. Erschwerend<br />
für Mann und Pferd kam<br />
noch hinzu, dass der Übungsplatz außerhalb<br />
der Stadt gelegen war: »Bei<br />
einen 1¼ Meilen abgelegenen Exerceir<br />
Platz muß ich um 5 Uhr aufbrechen<br />
um 1¾ Stunden hin marschieren,<br />
wenn ich wenigstens 2 Stunden exerceirte<br />
und 1¾ Stunden wieder in der<br />
tiefsten Sand und Hitze zum Rückmarsch<br />
brauchte, so litten die Pferde<br />
außerordentlich, sobald ich mehr wie<br />
3 mahl die Woche Exerceire.«<br />
Heirat und Taufe<br />
Der Eheschließung von Soldaten und<br />
Offizieren war nicht wie heute eine<br />
rein private Angelegenheit, sondern<br />
wurde vom Monarchen geregelt. Offiziere<br />
<strong>muss</strong>ten vor der Eheschließung<br />
die Erlaubnis des Königs einholen.<br />
<strong>Die</strong>ser gab seine Zustimmung für eine<br />
Heirat meist nur, wenn die Eheschließung<br />
ein »sonderlich Glück«, sprich:<br />
einen finanziellen Vorteil, versprach.<br />
Der äußerst karge Sold der subalternen<br />
Offiziere, also der unteren Offizierränge,<br />
reichte in der Regel nicht aus, um<br />
eine Familie zu ernähren. Viele Offiziere<br />
<strong>muss</strong>ten daher lange von ihren<br />
Familien unterstützt werden. Erst die<br />
Übernahme einer Kompanie im Range<br />
eines Hauptmanns versprach ein entsprechendes<br />
Einkommen. Der König<br />
sah es lieber, »wann ein Officier unverheyrathet<br />
bleiben will«.<br />
Starb der Offizier in der »Campagne«,<br />
also während einer Schlacht bzw. eines<br />
Feldzuges, dann <strong>muss</strong>te der König für<br />
Offizierwitwen und Waisen aufkommen.<br />
Eine Heiratserlaubnis wurde erst<br />
gegeben, wenn der Offizier nachweisen<br />
konnte, dass er neben seinem Sold noch<br />
weitere Einkünfte besaß, die es ihm erlaubten,<br />
eine Familie zu ernähren.<br />
Im Kirchenbuch der <strong>Rathenow</strong>er<br />
Garnison finden wir einen Fall, der<br />
diese Praxis veranschaulicht: Im Jahre<br />
1783 nahm der in <strong>Rathenow</strong> stationierte<br />
Wilhelm von Kaphengst die älteste<br />
Tochter des hier lebenden Holzhändlers<br />
Joachim Bars <strong>zur</strong> Frau. <strong>Die</strong><br />
Familie Bars war durch den Holzhandel<br />
zu Vermögen gekommen und<br />
die wohlhabendste Familie der Stadt.<br />
Kaphengsts Kamerad, Leutnant Carl<br />
Friedrich Ludwig von Sparr, tat es<br />
ihm gleich und verlobte sich mit einer<br />
weiteren Tochter dieser Familie. Eine<br />
Heirat erwies sich aber als schwierig,<br />
da der König die erforderliche Heiratserlaubnis<br />
verweigerte. Ob der junge<br />
Graf von Sparr nicht über die notwendigen<br />
Mittel für die Heirat verfügte,<br />
konnte nicht in Erfahrung gebracht<br />
werden. Möglicherweise verweigerte<br />
Friedrich II. seine Zustimmung aus<br />
einem ganz anderen Grund: Das junge<br />
Fräulein Bars war bürgerlichen Standes.<br />
<strong>Die</strong> Heirat von adligen Offizieren<br />
mit bürgerlichen »Frauenzimmern«<br />
wurde zwar im Kavalleriereglement<br />
nicht explizit verboten, gern gesehen<br />
war sie jedoch nicht.<br />
Graf von Sparr ehelichte seine Auserwählte<br />
trotz aller Widerstände. <strong>Die</strong><br />
Trauung wurde, quasi heimlich, in<br />
nicht-preußischen Landen vollzogen.<br />
<strong>Die</strong> Heiratserlaubnis erhielt der Offizier<br />
erst nach dem Tode Friedrichs II.<br />
Wahrscheinlich hatte man seinem<br />
Schwager, Wilhelm von Kaphengst,<br />
die Heiratserlaubnis mit der bürgerlichen<br />
Braut nicht verweigert, weil er<br />
nachweisen konnte, dass er die finanziellen<br />
Mittel hatte, um eine Familie<br />
zu ernähren.<br />
Neben diesen beiden Beispielen finden<br />
sich in den Kirchenbüchern der<br />
Gemeinde viele weitere Soldaten, die<br />
eine Frau aus der Stadt heirateten und<br />
mit ihr eine Familie gründeten. <strong>Die</strong><br />
Wahl der Taufpaten dieser »Soldatenfamilien«<br />
zeigt, dass es zwischen der<br />
Zivil- und Militärbevölkerung enge<br />
Verbindungen gab. <strong>Die</strong> Taufe sowie<br />
die Wahl der Taufpaten waren wichtige<br />
gesellschaftliche Ereignisse. Bei der<br />
Taufe wurde Wohlstand repräsentiert<br />
und mit der Gewinnung von namhaften<br />
Paten auch ein gesellschaftliches<br />
Signal gesetzt. Dabei zeigt sich, dass<br />
die Ausgrenzung der Soldaten aus der<br />
Gesellschaft nicht so groß war wie von<br />
der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts<br />
behauptet. Nur eine Minderheit<br />
der Soldaten wählte ausschließlich<br />
Kameraden als Taufpaten, die Mehrheit<br />
hatte, unabhängig von ihrem militärischen<br />
Rang, zu allen gesellschaftlichen<br />
Schichten der Stadt Kontakt.<br />
Neben einfachen Arbeitern und Handwerkern<br />
finden sich unter den Paten<br />
auch Kammerherren, Apotheker und<br />
Angehörige des Stadtrates.<br />
Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein<br />
haben Historiker gebetsmühlenartig<br />
das Gegeneinander von Zivil- und<br />
Militärgesellschaft betont. Der Blick<br />
in die Akten gibt jedoch ein anderes,<br />
vielschichtigeres Bild wieder. <strong>Die</strong> vielen<br />
Heiraten von Soldaten in der Stadt<br />
und die häufige Wahl von »zivilen Paten«<br />
zeigen, dass man vielmehr miteinander<br />
gelebt hat. <strong>Die</strong> vielfältigen finanziellen<br />
Belastungen der Städte durch<br />
das Militär waren sicher ein Problem<br />
für die chronisch kränkelnden Stadtkassen,<br />
doch stellen sie nur eine Seite<br />
der Beziehung zwischen Militär und<br />
Gesellschaft dar. <strong>Die</strong> Stadt profitierte<br />
auch von der Anwesenheit der Soldaten.<br />
Mit ihrer Stationierung einher<br />
gingen infrastrukturelle Verbesserungen.<br />
Nicht zu vergessen ist auch die<br />
Rolle der uniformierten Stadtbewohner<br />
als Konsumenten auf der einen<br />
Seite, stellte der Sold doch ein zwar<br />
karges, aber regelmäßiges Einkommen<br />
dar. Andererseits waren die dauerhaft<br />
einquartierten Soldaten Bestandteil<br />
des städtischen Arbeitsmarktes;<br />
sie vermochten so zum wirtschaftlichen<br />
Gedeihen eines Gemeinwesens<br />
beizutragen.<br />
Schließlich war mit der Einquartierung<br />
in Bürgerhäusern noch ein wesentliches<br />
Element verbunden: <strong>Die</strong><br />
Soldaten unterlagen dadurch einer sozialen<br />
Kontrolle, die staatlicherseits<br />
vor allem im Hinblick auf die zum Teil<br />
»gepressten« ausländischen Soldaten<br />
bestanden haben mag.<br />
Literaturtipp:<br />
� Carmen Winkel<br />
Carmen Winkel, Militär und Gesellschaft im<br />
18. Jahrhundert. <strong>Die</strong> <strong>Garnisonstadt</strong> <strong>Rathenow</strong> 1733<br />
bis 1806. In: Jahrbuch für brandenburgische<br />
Landesgeschichte, 57 (2006), S. 84–108<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
13
Strategie<br />
Wohl kaum ein militärischer Operationsplan<br />
des 20. Jahr hunderts ist im<br />
kollektiven Gedächtnis der Europäer<br />
so tief verwurzelt wie der Schlieffenplan,<br />
benannt nach Generalfeldmarschall<br />
Alfred Graf von Schlieffen,<br />
1891 bis 1905 Chef des Großen Generalstabes.<br />
Genau genommen handelt<br />
es sich beim Schlieffenplan um<br />
eine Denkschrift mit der Überschrift<br />
»Krieg gegen Frankreich«, die deren<br />
Namensgeber 1905/06 verfasste und<br />
seinem Nachfolger im Februar 1906<br />
übergab.<br />
Nach der Niederlage im Ersten<br />
Weltkrieg erachteten viele<br />
Deut sche den Schlieffenplan<br />
als ein Siegesrezept, das lediglich wegen<br />
der durch Schlieffens Nachfolger<br />
Generaloberst Helmuth von Moltke<br />
dem Jüngeren vorgenommenen Verwäs<br />
serungen und der mangelhaften<br />
Aus führung im Sommer 1914 scheiterte.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
galt der Schlieffenplan als Beispiel für<br />
den aggressiven deutschen Militarismus,<br />
der die politische Staatsleitung<br />
in hilfloser Abhängigkeit hielt. <strong>Die</strong><br />
starren Angriffspläne kalkulierten<br />
die politisch und militärisch hochriskanten<br />
Neutralitätsverletzungen Belgiens,<br />
Luxemburgs und der Niederlande<br />
be wusst ein; sie gipfelten in<br />
der Um fassung von Paris und einer<br />
giganti schen Vernichtungsschlacht in<br />
Frank reich.<br />
�<br />
Alfred Graf von Schlieffen,<br />
28.2.1833 – 4.1.1913.<br />
Porträtaufnahme, um 1910.<br />
Der Schlieffenplan:<br />
Siegesrezept oder<br />
Notlösung?<br />
Schlieffens Vorgänger<br />
14 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
Seit der Reichseinigung von 1871 beschäftigte<br />
sich der Große Generalstab,<br />
ausgehend von der Mittellage des Reiches,<br />
mit der Frage: Ist ein Zweifrontenkrieg<br />
zu gewinnen? Und wenn ja: Wie<br />
ist er zu führen? Der langjährige Chef<br />
des Großen Generalstabs, Helmuth<br />
von Moltke der Ältere, und sein unmittelbarer<br />
Nachfolger, Generaloberst<br />
Alfred Graf von Waldersee, planten<br />
für den Fall eines Zweifrontenkrieges,<br />
die deutschen Streitkräfte zwischen<br />
Ost- und Westfront aufzuteilen. Französische<br />
Angriffe sollten sie zunächst<br />
nur abwehren und gegen Russland<br />
ge meinsam mit dem Verbündeten<br />
Österreich-Ungarn regional offensiv<br />
vorgehen. <strong>Die</strong>se auf begrenzte Offensivstöße<br />
angelegte Defensivstrategie<br />
akg-images<br />
beabsichtigte keinen Totalsieg, etwa<br />
durch eine Vernichtungsschlacht. Zu<br />
Zeiten Moltkes d.Ä. war die Beschäftigung<br />
mit einem Zweifrontenkrieg,<br />
mit Ausnahme der Krise von 1887/88,<br />
als der Generalstab einen Krieg gegen<br />
Russland forderte, noch eine fernliegende<br />
Angelegenheit, für Schlieffen<br />
und Moltke d.J. dagegen aufgrund der<br />
politischen und militärischen Entwicklungen<br />
eine zunehmend akute Frage.<br />
Im Gegensatz zu Moltke d.Ä., der seine<br />
Kriege immer mit personeller und<br />
materieller Überlegenheit sowie einer<br />
diplomatischen Absicherung durch<br />
den preußischen Ministerpräsidenten<br />
und späteren Reichskanzler Otto von<br />
Bismarck führen konnte, <strong>muss</strong>ten<br />
Schlieffen und Moltke d.J. jedoch einen<br />
Zweifrontenkrieg sowohl aus der Unterlegenheit<br />
als auch unter völlig veränderten<br />
politischen und militärischen<br />
Rahmenbedingungen planen.<br />
Kurze Zeit nach seinem <strong>Die</strong>nstantritt<br />
1891 löste sich Schlieffen aus dem<br />
Schatten seines übermächtigen Vorgängers<br />
und entwickelte ein eige nes<br />
operativ-strategisches Konzept für<br />
den Fall eines Zweifrontenkrieges.<br />
Für ihn kam <strong>zur</strong> Verhinderung eines<br />
seiner Ansicht nach nicht gewinnbaren<br />
langwierigen Abnutzungskrieges<br />
nur die Offensive in Frage. <strong>Die</strong>se hatte<br />
außer die rein militärischen Verhältnisse<br />
auch das politische Umfeld sowie<br />
Raum und Zeit zu berücksichtigen.<br />
� Helmuth von Moltke der Ältere,<br />
Porträtaufnahme, um 1885.<br />
akg-images
Offensive statt Defensive<br />
Im Jahre 1901, während der Schlussbesprechung<br />
der Generalstabsreise Ost,<br />
verkündete Schlieffen seinen auf diesen<br />
Determinanten fußenden strategischen<br />
und operativen Leitsatz:<br />
»Deutschland hat den Vorteil, dass es<br />
in der Mitte zwischen Frankreich und<br />
Russland liegt und diese Bundesgenossen<br />
voneinander trennt. Es würde sich aber<br />
dieses Vorteils begeben, sobald es sein Heer<br />
teilen und hierdurch jedem einzelnen seiner<br />
Gegner an Zahl unterlegen sein würde.<br />
Deutschland <strong>muss</strong> daher bestrebt sein,<br />
zuerst den einen niederzuwerfen, während<br />
der andere nur beschäftigt wird; dann<br />
aber, wenn der eine Gegner besiegt ist,<br />
<strong>muss</strong> es unter Ausnutzung der Eisenbahn<br />
auch auf dem anderen Kriegsschauplatze<br />
eine Überlegenheit an Zahl heranführen,<br />
die auch dem anderen Feinde verderblich<br />
wird. Der erste Schlag <strong>muss</strong> mit voller<br />
Kraft geführt werden, und es <strong>muss</strong> eine<br />
wirkliche Entscheidungsschlacht stattfinden.«<br />
Schlieffens operatives und strategisches<br />
Credo ließ keinen Raum für abweichende<br />
Gedanken, sondern es verkündete<br />
die nach seiner Überzeugung<br />
unantastbaren Grundannahmen <strong>zur</strong><br />
Führbarkeit eines Zweifrontenkrieges<br />
durch die deutsche Armee. Schlieffens<br />
Lösung für das strategische Dilemma<br />
des Kaiserreiches schien daher einfach<br />
und überzeugend zugleich: unter Ausnutzung<br />
der inneren Linie Auflösung<br />
des Zweifrontenkrieges in zwei nacheinander<br />
folgende Einfrontenkriege<br />
mit jeweiliger örtlicher Überlegenheit<br />
der eigenen Truppen.<br />
Der Erfolg dieser Strategie hing davon<br />
ab, dass einer der beiden Gegner<br />
vernichtend und vor allem sehr schnell<br />
geschlagen wurde. <strong>Die</strong>s konnte nur offensiv<br />
und nicht defensiv erreicht werden.<br />
Aufgrund der erwarteten schnellen<br />
französischen Mobilmachung und<br />
der mangelnden operativen Tiefe des<br />
französischen Verteidigungsraumes beabsichtigte<br />
Schlieffen im Kriegsfall zuerst<br />
Frankreich anzugreifen. <strong>Die</strong> geplante<br />
Operation stand von Anfang an<br />
unter einem gnadenlosen Zeitdruck.<br />
Waren die Franzosen nicht entscheidend<br />
geschlagen, bevor die russische<br />
Armee zum Angriff überging, drohte<br />
eine Katastrophe. So rückte für<br />
Schlieffen im Laufe der Jahre die<br />
schnelle Entscheidungsschlacht in das<br />
Zentrum seines operativen Denkens;<br />
ein Ausgleich mit einem der Hauptgegner,<br />
wenn möglich mit Russland,<br />
in das Zentrum seines strategischen<br />
Denkens. Was aber war zu tun, wenn<br />
der Ausgleich mit Russland nicht erreicht<br />
wurde, wenn die Franzosen in<br />
ihren Festungswerken verharrten und<br />
den Faktor Zeit spielen ließen? Was<br />
sollte man machen, wenn die Russen<br />
ihre Truppen schneller mobilisierten<br />
als von deutscher Seite angenommen?<br />
Ziel: Entscheidungs- und<br />
Vernichtungsschlacht<br />
Für Schlieffen gab es auf diese Fragen<br />
nur eine Antwort: Er <strong>muss</strong>te die<br />
französische Armee schnell <strong>zur</strong> Entscheidungsschlacht<br />
zwingen. Da er<br />
ein frontales Durchstoßen der französischen<br />
Festungswerke angesichts<br />
des Zeitfaktors und der Stärke der<br />
Festungen für undurchführbar hielt,<br />
plante er, diesen Festungsgürtel durch<br />
einen Vormarsch in Belgien, in den<br />
Niederlanden und in Luxemburg zu<br />
umgehen, um sodann die französische<br />
Armee durch einen starken rechten<br />
deutschen Angriffsflügel zu umfassen<br />
und schließlich zu vernichten. Der<br />
unbedingte Wille <strong>zur</strong> Umfassung mit<br />
dem Ziel, eine Vernichtungsschlacht<br />
herbeizuführen, war, daran kann kein<br />
Zweifel bestehen, der zweite Eckpfeiler<br />
seines operativen Denkens.<br />
Schlieffens Operationsplanungen waren<br />
jedoch bei weitem nicht so dogmatisch<br />
und ausschließlich militärisch<br />
angelegt, wie bisher angenommen. So<br />
flossen in seine Beurteilung der Lage<br />
sehr wohl politische Aspekte ein, zum<br />
Beispiel bei der Schwerpunktverlegung<br />
von Ost nach West Überlegungen und<br />
Entscheidungen der Reichsleitung hinsichtlich<br />
einer Annäherung an Russland<br />
oder Großbritannien. Schlieffen<br />
änderte seine Operationsplanungen<br />
sofort, wenn sich nach seinen Erkenntnissen<br />
die Feindlage veränderte. <strong>Die</strong>s<br />
zeigte unter anderem der Russisch-Japanische<br />
Krieg. Da sich zudem herausgestellt<br />
hatte, dass die französische Armee<br />
im Gegensatz zu den bisherigen<br />
Erkenntnissen nicht angreifen würde,<br />
beschloss der Generalstabschef, im<br />
Kriegsfall mit Frankreich das französische<br />
Festungssystem mit dem rechten<br />
deutschen Flügel – unter Verletzung<br />
der belgischen, holländischen und lu-<br />
� Helmuth von Moltke der Jüngere,<br />
Porträtaufnahme, um 1907.<br />
xemburgischen Neutralität – weiträumig<br />
zu umfassen und die französische<br />
Armee zu vernichten.<br />
Schlieffens Operationsziel blieb daher<br />
auch in einem Einfrontenkrieg<br />
die schnelle Vernichtung der französischen<br />
Armee, da er nie sicher sein<br />
konnte, ob und wann Russland oder<br />
Großbritannien zugunsten Frankreichs<br />
in einen Krieg eintreten würden. Auch<br />
im Verlauf der geplanten Umfassung<br />
wahrte Schlieffen ein hohes Maß an<br />
Flexibilität. Im Falle einer erfolgreichen<br />
Umfassung des französischen<br />
Festungssystems konnte er sich die<br />
Vernichtungsschlacht an verschiedenen<br />
Punkten in Westfrankreich vorstellen.<br />
<strong>Die</strong> westliche Umfassung von<br />
Paris hingegen, die heute in jedem<br />
Schulbuch als quasi dogmatischer<br />
Eckpfeiler des Schlieffenplans angeführt<br />
wird, war für den Generalstabschef<br />
der letzte Ausweg für den<br />
schlimmsten angenommenen Fall, den<br />
er sich wegen der zu geringen deutschen<br />
Truppenstärke sicherlich nicht<br />
wünschte, den er aber 1905 ebenso wie<br />
eine östliche Umgehung von Paris –<br />
gegen seine erfahrensten Offiziere – in<br />
einer sogenannten Generalstabsreise<br />
durchspielte, um sie gegebenenfalls<br />
anwenden zu können (siehe Karte und<br />
Kasten S.16). Den letzten von ihm bearbeiteten<br />
Aufmarschanweisungen des<br />
Mobilmachungsjahres 1906/07 lagen<br />
Schlieffens operative Überlegungen<br />
für den Aufmarsch I, den Krieg gegen<br />
Frankreich, zugrunde. <strong>Die</strong>se operativen<br />
Überlegungen hinterließ Schlieffen<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
akg-images<br />
15
<strong>Die</strong> Großen Generalstabsreisen dienten unter Schlieffen der Weiterbildung der Generalstabsoffiziere sowie<br />
der Pla nung und Überprüfung der Aufmarsch- und Operationspläne des Generalstabes. Für die Entwicklung<br />
des Schlieffenplanes ist vor allem die letzte von Schlieffen persönlich geleitete Große Generalstabsreise West<br />
1905 von herausragendem Interesse. <strong>Die</strong> Karten und Dokumente hierzu galten durch die Zerstörung des Heeresarchivs<br />
im April 1945 als verloren. Im Nachlass des Generals Friedrich von Boetticher (1881–1967) sind jedoch<br />
kürzlich Kopien von im Reichsarchiv ehemals vorhandenen Archivalien aufgefunden worden. Sie belegen, dass<br />
Schlieffen die Grundidee seiner Denkschrift »Krieg gegen Frankreich« von 1905 gegen ausgewählte Generalstabsoffiziere<br />
durchspielte. Im Vorfeld der Reise hatte er allen Oberquartiermeistern und Abteilungsleitern des<br />
Generalstabes befohlen, mögliche französische Gegenmaßnahmen gegen einen deutschen Angriff am linken<br />
französischen Flügel zu erarbeiten. Aus den Vorschlägen seiner Mitarbeiter wählte Schlieffen ihm plausibel erscheinende<br />
Reaktionen der Franzosen als Grundlage für die durchzuführenden Planübungen aus.<br />
<strong>Die</strong> in den 1920er und 1930er Jahren immer wieder kritisierte Entscheidung des Generals Alexander von Kluck,<br />
im August 1914 die 1. Armee östlich an Paris vorbeizuführen, war also nicht eine plötzliche Eingebung der<br />
Führung der 1. Armee und der Obersten Heeresleitung, die zu einer »Verwässerung« des Siegeskonzeptes<br />
������<br />
����������<br />
����������<br />
���������<br />
�������<br />
��������<br />
������<br />
�����<br />
�������<br />
�����<br />
�������<br />
���������<br />
�����<br />
�����<br />
Strategie<br />
���������������������������������<br />
����������������������������������������������������������<br />
������������<br />
������������<br />
�����������������<br />
���������������<br />
������������<br />
�����������������<br />
���������<br />
������<br />
��������<br />
����<br />
�����<br />
�����<br />
�����<br />
�����<br />
�������<br />
����������������<br />
�������<br />
����������������<br />
������<br />
�������������������<br />
���<br />
��������������<br />
���<br />
�����<br />
�����<br />
������<br />
����<br />
����<br />
�������<br />
�������<br />
����������������<br />
�����<br />
��������<br />
�����<br />
�����<br />
����<br />
����<br />
���������<br />
�������<br />
�������<br />
�������<br />
������<br />
��������<br />
����<br />
���������<br />
�������<br />
�����<br />
��������<br />
����<br />
����<br />
�������<br />
����������������<br />
�����<br />
�������<br />
16 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
�������<br />
�����<br />
����<br />
������<br />
�����<br />
�����������<br />
�����<br />
����<br />
�������<br />
�����<br />
��������<br />
� ����<br />
��������<br />
Schlieffens führte, sondern fußte auf<br />
des sen operativen Überlegungen.<br />
Klucks Chef des Stabes, Generalmajor<br />
Hermann von Kuhl, spielte 1905 den<br />
»Fall Kuhl II« gegen Schlieffen durch,<br />
nachdem dieser in einem ersten Durchlauf<br />
der »Reise« seine »Gegner« durch<br />
weiträumige Überflügelung und Umfassung<br />
seines starken rechten Flügels<br />
»besiegt« hatte.<br />
Im »Fall Kuhl II« (23. bis 38. Mobilmachungstag,<br />
siehe Karte) wichen die<br />
Franzosen (orange), nach dem deutschen<br />
Vorrücken auf französisches Territorium,<br />
Richtung Langres, die Aube und<br />
die Seine aus. Schlieffen umfasste daraufhin<br />
noch weiter rechts die feindlichen<br />
Truppen, marschierte nordwestlich an<br />
Paris vorbei und ging mit seiner 2. und<br />
3. Armee am 34. Mobilmachungstag<br />
bei Rouen über die Seine. Nach Scheitern<br />
aller französischen Gegenangriffe<br />
zerschlug er die Reste des linken fran -<br />
zösischen Flügels südlich von Paris.<br />
<strong>Die</strong> Karte zeigt des Weiteren die süd -<br />
östliche Umgehung von Paris, Schlieffens<br />
Reaktion auf die von Oberstleutnant<br />
Hugo Freiherr von Freytag-Loringhoven<br />
erarbeiteten französischen<br />
Gegenmaß nahmen (»Fall Freytag II«,<br />
32. bis 50. Mobilmachungstag). Hier<br />
verfolgte Schlieffen die sich <strong>zur</strong>ückziehenden<br />
Franzosen (rot) südöstlich von<br />
Paris, überschritt die Marne und schnitt<br />
das französische Heer von Paris ab. Zudem<br />
gelang es ihm, durch immer neue<br />
Umfassung mit seinem rechten Flügel<br />
die französischen Verbände zum Rückzug<br />
von der Seine zu zwingen und sie<br />
ab dem 56. Mobilmachungstag gegen<br />
die Schweizer Grenze zu drängen.
seinem Nachfolger in seiner Denkschrift<br />
von 1905 als künftige Richtschnur.<br />
Moltke d.J. war jedoch, wie<br />
sich zeigen sollte, in vielen operativen<br />
Fragen anderer Auffassung als sein<br />
Vorgänger.<br />
<strong>Die</strong> Denkschrift von 1905<br />
Warum wählte Schlieffen, der in seiner<br />
Amtszeit nur wenige Denkschriften<br />
verfasste, diesen Weg und überreichte<br />
Moltke d.J. nach seinem Ausscheiden<br />
eine solche Denkschrift, die seine<br />
operativen Grundgedanken zusammenfasste?<br />
Bis heute wird infolge der<br />
literarischen Tätigkeit der Schlieffenschule<br />
in den 1920er und 1930er Jahren<br />
der Große Generalstab unter Schlieffen<br />
gerne als Institution gesehen, deren<br />
Offiziere als geschlossene Einheit<br />
auftraten und sich ohne Diskussion<br />
dem Willen ihres Chefs fügten. <strong>Die</strong><br />
Schlussbesprechungen der Großen<br />
Generalstabsreise West 1904 zeigen<br />
jedoch, dass es in den letzten Amtsjahren<br />
Schlieffens sehr wohl Kritik an<br />
seinen operativen Planungen gab, die<br />
sich in den weiteren Übungen des Generalstabschefs<br />
niederschlugen. Wortführer<br />
der Kritiker war – zumindest<br />
aus Schlieffens subjektiver Sicht – der<br />
dem Generalstabschef aufgezwungene<br />
Nachfolger Moltke d.J. Um diesen<br />
könnte sich – ein bei bevorstehenden<br />
Amtswechseln nicht ungewöhnlicher<br />
Vorgang – eine Gruppe aufstrebender<br />
Generalstabsoffiziere geschart haben,<br />
die den Führungsanspruch des an seinem<br />
Stuhl »klebenden« Amtsinhabers<br />
zumindest indirekt in Frage stellten.<br />
Für viele junge Generalstabsoffiziere<br />
war der zweiundsiebzigjährige Generalstabschef<br />
mit der Bekanntgabe seines<br />
Nachfolgers nur noch eine »lahme<br />
Ente«. Schlieffen hat dies – wie viele<br />
von einem Amtsverlust Betroffene<br />
– sehr wohl wahrgenommen. Was also<br />
lag aus Sicht Schlieffens näher, als<br />
seinem Nachfolger die eigenen operativen<br />
Grundgedanken noch einmal<br />
in Erinnerung zu rufen, die eigene<br />
Position vor der Geschichte noch einmal<br />
unmissverständlich darzustellen<br />
und zu rechtfertigen – und somit sein<br />
Lebenswerk zu retten.<br />
Schlieffen hatte Recht mit seinen<br />
Befürchtungen. Zwar hielt Moltke in<br />
den folgenden Jahren an den Grundprinzipien<br />
der Operationsplanung sei-<br />
nes Vorgängers fest, doch schon seine<br />
Randbemerkungen <strong>zur</strong> Denkschrift<br />
zeigen, dass er von zwei Prämissen<br />
der geplanten weiträumigen Umfassung<br />
nicht überzeugt war. Zum einen<br />
zweifelte er an der von Schlieffen angenommenen<br />
defensiven Operationsführung<br />
der Franzosen, zum anderen<br />
schloss er einen langwierigen Krieg<br />
nicht aus.<br />
Modifikation des<br />
Schlieffenplans?<br />
Seit 1905 verschob sich zunehmend<br />
die strategische Lage zu Ungunsten<br />
des Kaiserreiches. Ging Schlieffen in<br />
seinen Planungen für 1905 noch von<br />
einem schnellen Einfrontenkrieg im<br />
Westen aus, bevor andere Mächte in<br />
den Krieg eintraten, so <strong>muss</strong>te sein<br />
Nachfolger am Vorabend des Ersten<br />
Weltkrieges mit der Gegnerschaft<br />
Frankreichs, Russlands und Großbritanniens<br />
rechnen. Vor diesem Hintergrund<br />
und angesichts aktueller Feindlagebeurteilungen<br />
des Generalstabes<br />
veränderte Moltke d.J. im Laufe der<br />
Jahre die deutschen Operationsplanungen.<br />
So unterschied sich sein Operationsplan<br />
gegen Frankreich in entscheidenden<br />
Punkten von dem seines<br />
Vorgängers: Er sah die Verstärkung<br />
des linken deutschen Flügels, den<br />
Verzicht auf den Durchmarsch durch<br />
die Niederlande und deswegen eine<br />
schnelle Eroberung Lüttichs vor. 1914<br />
rückten die deutschen Soldaten daher<br />
nicht mit einem Schlieffen-, sondern<br />
mit einem Moltkeplan ins Feld.<br />
Trotz dieser Änderungen hielt Moltke<br />
an den von Schlieffen <strong>zur</strong> Führung<br />
eines Zweifrontenkrieges entwickelten<br />
grundsätzlichen Prinzipien fest:<br />
� keine defensive und reagierende,<br />
sondern eine offensive, die Initiative<br />
ergreifende Kriegführung;<br />
� unter Nutzung der »inneren Linie«<br />
Auflösung des Zweifrontenkrieges<br />
in zwei Einfrontenkriege, die nacheinander<br />
durchgefochten werden<br />
sollten;<br />
� Schwerpunktbildung mit Offensive<br />
im Westen und hinhaltender Kriegführung<br />
im Osten;<br />
� schnelle Vernichtungsschlacht mit<br />
Hilfe eines starken rechten Flügels<br />
nach Umfassung des französischen<br />
Festungssystems und erfolgreichem<br />
Durchmarsch durch neutrales luxemburgisches<br />
und belgisches Territorium<br />
(Ausnahme: französischer<br />
Großangriff gegen Elsass-Lothringen);<br />
� nach dem Sieg im Westen unverzüglicher<br />
Eisenbahntransport des<br />
Großteils der siegreichen Verbände<br />
an die Ostfront, um dort den zwischenzeitlich<br />
nur verzögerten Gegner<br />
zu schlagen.<br />
Unabdingbare Voraussetzung dieser<br />
strategischen Doktrin war jedoch,<br />
dass der erste Gegner in einer »wirklichen«<br />
Entscheidungsschlacht schnell<br />
und vernichtend geschlagen werden<br />
würde. Wie ein Damoklesschwert<br />
schwebte daher der Zeitfaktor über<br />
den operativen Planungen und drohte<br />
sie jederzeit zunichte zu machen. Sie<br />
bargen daher ein sehr hohes Risiko<br />
und waren beileibe kein Siegesrezept,<br />
sondern eher eine Notlösung. <strong>Die</strong> Alternative<br />
wäre gewesen, die politische<br />
Führung über die Aussichtslosigkeit<br />
eines Zweifrontenkrieges zu informieren<br />
und damit <strong>zur</strong> Änderung ihrer<br />
Außenpolitik zu bewegen. Doch dies<br />
entsprach nicht dem Selbstverständnis<br />
deutscher Generalstabsoffiziere und<br />
hätte zudem die Position der Armee<br />
im Kaiserreich in Frage gestellt. Da<br />
weder Schlieffen noch Moltke bereit<br />
waren, gegenüber ihrem Obersten<br />
Kriegsherren, dem Kaiser, einen militärischen<br />
Offenbarungseid zu leisten,<br />
entschlossen sie sich, dem Zeitgeist<br />
entsprechend den gordischen Knoten<br />
des Zweifrontenkrieges nicht defensiv<br />
zu lösen, sondern ihn offensiv zu<br />
durchschlagen.<br />
An der von Schlieffen entwickelten<br />
grundlegenden operativ-strategischen<br />
Doktrin – dem Schlieffenplan – hielt<br />
also auch sein Nachfolger trotz einiger<br />
operativer Modifizierungen unbeirrt<br />
fest. In abgewandelter Form fand sie<br />
auch noch im Zweiten Weltkrieg durch<br />
die Wehrmacht Anwendung.<br />
Literaturtipp:<br />
� Gerhard P. Groß<br />
Der Schlieffenplan. Analysen und Dokumente. Im Auftrag<br />
des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes und<br />
der Otto-von-Bismarck-Stiftung hrsg. von Hans Ehlert,<br />
Michael Epkenhans und Gerhard P. Groß, 2. Aufl., Paderborn<br />
u.a. 2007 (= Zeitalter der Weltkriege, Bd 2)<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
17
Gernika<br />
<strong>Die</strong> Zerstörung Gernikas<br />
am 26. April 1937<br />
Am 26. April 1937 wurde die baskische Stadt Gernika während der franquistischen Offensive gegen das Baskenland<br />
durch deutsche und italienische Bomber nahezu vollständig zerstört. Den Opfern unter der Zivilbevölkerung, deren<br />
Zahl heute mehrheitlich mit etwa 300 Toten angegeben wird, setzte Pablo Picasso mit seinem Monumentalgemälde<br />
»Guernica« ein vielbeachtetes Denkmal. Für den spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung 1937 gemalt, verkündete<br />
es die Wahrheit über Gernika und griff mit seiner verzweifelten Klage und Anklage »auf aggressive Weise<br />
die ›Appeasement [Beschwichtigungspolitik]-Ästhetik‹ an, die die demokratischen Staaten in ihrem Umgang mit<br />
dem Totalitarismus predigten« (Werner Spies).<br />
� Das Ruinenfeld der baskischen Stadt Gernika,<br />
August 1937.<br />
<strong>Die</strong> kriegspropagandistischen<br />
Kontroversen über die Umstände<br />
der Zerstörung Gernikas<br />
– das Spektrum reicht vom ersten<br />
Terrorluftangriff der Geschichte bis<br />
<strong>zur</strong> Brandschatzung durch die Basken<br />
selbst – haben unter den innerspanischen<br />
Verhältnissen während der Ära<br />
des spanischen Diktators Francisco<br />
Franco und unter den Bedingungen der<br />
ideologischen Konfrontation im Kalten<br />
Krieg lange Zeit überlebt; sie bestimmen<br />
bisweilen noch heute die Diskussion.<br />
Es erscheint daher nützlich, den<br />
durch Quellen gesicherten Forschungsstand<br />
zu rekapitulieren. Ohne die breit<br />
dokumentierten Zeugenaussagen der<br />
Einwohner Gernikas gering zu schätzen,<br />
beschränken sich die nachfolgenden<br />
Feststellungen ausschließlich auf<br />
Zeugnisse der Täterseite.<br />
Richthofens Befehl<br />
18 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
bpk 30018101-p ullstein bild / VG Bild-Kunst, Bonn 2007<br />
� Pablo Picasso, Studie zu dem 1937 fertiggestellten<br />
Gemälde »Guernica«.<br />
<strong>Die</strong> verfügbaren Quellen weisen zweifelsfrei<br />
aus, dass Gernika am Nachmittag<br />
des 26. April 1937 von etwa<br />
30 deutschen und drei italienischen<br />
Bombern angegriffen wurde. Als Angriffsziele<br />
waren vom damaligen Chef<br />
des Stabes der Legion Condor, Oberstleutnant<br />
Wolfram Freiherr von Richthofen<br />
– folgt man seinem privaten<br />
Tagebuch –, nach Beratung mit dem<br />
Chef des Stabes der Navarra-Brigaden,<br />
Oberst Juan Vigon, »Straßen und<br />
Brücke (einschließlich Vorstadt) hart<br />
ostwärts Guernica« befohlen worden.<br />
Besagter Vorort, Renteria, liegt unmittelbar<br />
am nordöstlichen Stadtrand<br />
und beherbergte damals ca. 400 Einwohner.<br />
Richthofens Absicht war es,<br />
durch die Sperrung Gernikas an dieser<br />
verkehrswichtigen Stelle den Rückzug<br />
der baskischen Verbände nach Westen,<br />
hinter die Befestigungen des sogenannten<br />
Eisernen Gürtels um Bilbao, zu verhindern<br />
und den Gegner im Raum zwischen<br />
Gernika und Marquina (15 km<br />
südöstlich Gernika) einzuschließen:<br />
»Dort <strong>muss</strong> zugemacht werden, soll<br />
endlich ein Erfolg gegen Personal und<br />
Material des Gegners herausspringen.<br />
Vigon sagt zu, seine Truppen so vorzudrücken,<br />
dass alle Straßen südl[ich]<br />
Guernica gesperrt sind. Gelingt das,<br />
haben wir den Gegner um Marquina<br />
im Sack.«<br />
Über die Wirkung des Angriffs, den<br />
die Brücke unversehrt überstand, notierte<br />
Richthofen am 30. April in sein<br />
Tagebuch:
»Guernica, Stadt von 5000 Einwohnern,<br />
buchstäblich dem Erdboden<br />
gleichgemacht. Angriff erfolgte mit<br />
250-kg- und Brandbomben, letztere<br />
etwa 1/3. Als die 1. Jus [Junkers Ju 52<br />
Behelfskampfflugzeuge] kamen, war<br />
überall schon Qualm von VB [Versuchsbomberabteilung],<br />
die mit 3 Flugzeugen<br />
angriffen, keiner konnte mehr<br />
Straßen-, Brücken- und Vorstadtziel<br />
erkennen und warf nun mitten hinein.<br />
<strong>Die</strong> 250er warfen eine Anzahl Häuser<br />
um und zerstörten die Wasserleitung.<br />
<strong>Die</strong> Brandbomben hatten nun<br />
Zeit sich zu entfalten und zu wirken.<br />
<strong>Die</strong> Bauart der Häuser: Ziegeldächer,<br />
Holzgalerie und Holzfachwerkhäuser,<br />
führte <strong>zur</strong> völligen Vernichtung [...]<br />
Bombenlöcher auf Straßen noch zu<br />
sehen, einfach toll. – Stadt war völlig<br />
gesperrt für mindestens 24 Stunden, es<br />
war die geschaffene Voraussetzung für<br />
einen großen Erfolg, wenn Truppen nur<br />
nachgerückt wären. So nur ein voller<br />
technischer Erfolg unserer 250er u[nd]<br />
EC.B. 1 [1-kg-Brandbombe B1E].«<br />
Auch ein der Legion Condor angegliedertes<br />
Versuchskommando analysierte<br />
am 28. Mai 1937 das Ergebnis<br />
des Luftangriffs, ohne auf das Angriffsmotiv<br />
einzugehen:<br />
»<strong>Die</strong> Zerstörung der Stadt ist in der<br />
Weise vor sich gegangen, dass bei den<br />
ersten Angriffen vor allem Brandbomben<br />
zum Abwurf gelangten, die viele<br />
Dachstuhlbrände anregten und dadurch<br />
eine Auflockerung des einzelnen<br />
Hausverbandes erzielten. Bei den kurz<br />
darauf folgenden Angriffen mit 250-kg-<br />
Sprengbomben wurden die Wasserlei-<br />
tungen zerstört, was Löschversuche vereitelte.«<br />
In seinem zusammenfassenden Befund<br />
bilanzierte das Versuchskommando<br />
»einen Zerstörungsumfang<br />
von 75 % der Stadt bei 31 000 kg Gesamtabwurfmenge<br />
aus 600 bis 800 m<br />
Höhe«. Nach dem Einsatztagebuch<br />
des Staffelkapitäns der 1. Staffel, Oberleutnant<br />
Karl von Knauer, erfolgte der<br />
Angriff aus 1500 m Höhe mit »guter<br />
Wirkung«. Zuvor hatten um 16:30 Uhr<br />
drei italienische Bomber des Typs Savoia<br />
Marchetti 79 mit insgesamt sechsunddreißig<br />
50-kg-Bomben aus 3600 m<br />
Höhe bei »perfekter Sicht« angegriffen.<br />
� Der zerstörte Ort einige Tage nach dem Angriff, Ende April 1937.<br />
<strong>Die</strong> geographischen Gegebenheiten<br />
und die für beide Kriegsparteien<br />
gut dokumentierte militärische Lage<br />
am 25./26. April 1937 lassen das von<br />
Richthofen angeführte taktische Motiv<br />
der Sperrung Gernikas plausibel<br />
erscheinen. Der verwendete Bombenmix<br />
war bei der Legion Condor als<br />
»Generalstabsmischung« bekannt. Bei<br />
Einsätzen gegen Städte und Ortschaften,<br />
in denen feindliche Führungsstäbe<br />
vermutet wurden, hatte er sich als<br />
besonders wirkungsvoll erwiesen. Da<br />
Richthofen eine mindestens 24-stündige<br />
Unterbrechung der Verkehrsverbindung<br />
durch Gernika für den Gegner<br />
nicht nur durch die Zerstörung<br />
der Straßenbrücke über den Rio Oca,<br />
sondern auch mit dem Trümmerschutt<br />
Renterias erreichen wollte, hielt er offenbar<br />
die Verwendung dieser Bombenmischung<br />
für zweckmäßig.<br />
Der Bericht des Versuchskommandos<br />
nährt den Verdacht, dass die Bomberbesatzungen<br />
von Anfang an keine<br />
halben Sachen machen wollten. Auf<br />
jeden Fall legen aber die der Zerstörung<br />
Gernikas vorausgegangenen und<br />
nachfolgenden Luftangriffe der Legion<br />
Condor auf Städte und Ortschaften<br />
den Schluss nahe, dass die Bomberbesatzungen<br />
über Gernika keine Hemmungen<br />
hatten, einfach »mitten hinein<br />
zu werfen«, als sie für gezielte Würfe<br />
� Heinkel-Kampfflugzeuge der deutschen Legion Condor auf einem spanischen<br />
Luftwaffenstützpunkt, Foto um 1936.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
19<br />
ullstein bild<br />
akg-images
Gernika<br />
Der Spanische Bürgerkrieg (1936–1939)<br />
Am 18. Juli 1936 putschte eine rechtsgerichtete Militärjunta unter<br />
Führung von Generalmajor Francisco Franco gegen die »Volksfrontregierung«<br />
aus Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten in Madrid.<br />
<strong>Die</strong>s war der Beginn eines verheerenden Bürgerkrieges zwischen<br />
regierungstreuen Republikanern und rechten Nationalisten, der sich<br />
zu einem internationalen Konflikt auf spanischem Boden ausweitete,<br />
in dem ideologische Gegensätze militärisch ausgetragen wurden.<br />
<strong>Die</strong> UdSSR unterstützte bis 1938 offen die republikanische Seite. Viele<br />
Freiwillige aus der ganzen Welt, Interbrigadisten genannt, schlossen<br />
sich den republikanischen Kämpfern an.<br />
<strong>Die</strong> liberalen Demokratien Frankreich und Großbritannien verfolgten<br />
offiziell eine Nichteinmischungspolitik. Das autoritär regierte<br />
Portugal, das faschistische Italien und das nationalsozialistische<br />
Deutschland leisteten Franco Hilfe. <strong>Die</strong> Wehrmacht hatte hierfür<br />
ein spezielles Expeditionskorps aufgestellt: die »Legion Condor«.<br />
Sie verfügte über bis zu 140 ständig einsatzbereite Flugzeuge (von<br />
insgesamt 600 bis 700), über Panzer sowie einige Schiffe. <strong>Die</strong> Mannschaften<br />
lösten sich nach kurzer Zeit ab, so dass rund 19 000 Soldaten<br />
»praktische Kriegserfahrungen« sammeln konnten. Eingesetzt<br />
als »fliegende Artillerie«, unterstützten die Luftstreitkräfte das nationalspanische<br />
Heer. <strong>Die</strong> deutsche Intervention in Spanien trug zum<br />
Sieg Francos bei. Ende März 1939 marschierten Francos Trupppen<br />
schließlich in Madrid ein.<br />
Mehr als 300 000 Menschen hatten bei Kampfhandlungen ihr Leben<br />
verloren, über 200 000 wurden zwischen 1936 und 1944 Opfer<br />
politischer Gewalt. General Franco errichtete ein diktatorisches Regime,<br />
das bis zu seinem Tod 1975 andauerte und rund 250 000 republiktreue<br />
Anhänger ins Exil trieb. Erst nach dem Tod des Diktators<br />
konnte sich Spanien zu einer Demokratie entwickeln.<br />
Dorothee Hochstetter<br />
gegen Renteria und die Brücke angeblich<br />
zu ungünstige Sicht- und Windverhältnisse<br />
antrafen.<br />
Erprobung des »operativen<br />
Luftkrieges« durch die Legion<br />
Condor<br />
Seit der Teilnahme der Legion Condor<br />
an Luftangriffen auf Madrid im<br />
November und Dezember 1936 lagen<br />
rücksichtslose Luftangriffe und sogar<br />
Terrorangriffe gegen die Zivilbevölkerung<br />
buchstäblich »in der Luft«. Allein<br />
in der Nacht vom 4. auf den 5. Dezember<br />
warf die Legion Condor 36 t Bomben<br />
auf die Stadt. Auch Erprobungsangriffe<br />
mit 500-kg-Bomben durch das<br />
Sturzkampfflugzeugmuster Ju 87 wurden<br />
gegen Madrid durchgeführt.<br />
Am 3. und 5. Dezember 1936 unterbreitete<br />
das deutsche Versuchskommando<br />
Vorschläge für den Einsatz von<br />
Spreng- und Brandbomben gegen spa-<br />
20 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
nische Städte, die Richthofen für »gut«<br />
befand. Während der Dezember-Offensive<br />
der franquistischen Südarmee<br />
unter General Gonzalo Queipo de Llano<br />
im Raum östlich und südöstlich<br />
Cordoba war sich die Legionsführung<br />
darin einig, »dass es zu begrüßen sei,<br />
wenn endlich einmal von spanischer<br />
Seite der Angriff auf Ortschaften ausdrücklich<br />
gewünscht werde und dass<br />
die Möglichkeit schnell ausgenützt<br />
werden müsse, die eigene Bombenwirkung<br />
in Städten festzustellen, die<br />
dicht hinter den Trennungslinien liegend,<br />
mit großer Wahrscheinlichkeit<br />
bald genommen würden«. Erst nach<br />
wiederholtem Drängen bei der Armeeführung<br />
erreichten die Deutschen,<br />
dass im schriftlichen Angriffsbefehl<br />
Luftangriffe auf El Carpio, Montoro<br />
und Bujalance freigegeben wurden.<br />
»Grundgedanke« dieser Angriffe war<br />
die »Erschütterung der Moral der<br />
Feindkräfte«. Bei dem Luftangriff auf<br />
� Plakat der »Volksfront« im Spanischen<br />
Bürgerkrieg mit dem Aufruf:<br />
»Kion vi faras por eviti tion?«<br />
(Was tust Du, um das zu verhindern?).<br />
In den Zeilen darunter wird der<br />
Hoffnung Ausdruck gegeben, die<br />
ganz Welt möge ihre Energie im<br />
Kampf gegen den internationalen<br />
Faschismus einsetzen.<br />
akg-images<br />
Bujalance am 14. Dezember 1936 wurden<br />
insgesamt 120 50-kg-Bomben aus<br />
ca. 600 m Höhe abgeworfen.<br />
Das Trefferergebnis dieses Luftangriffs,<br />
der 120 Tote und zahlreiche<br />
Verletzte forderte, befand das Versuchskommando<br />
als »sehr gut«. <strong>Die</strong><br />
Treffer lagen gleichmäßig verteilt im<br />
mittleren Teil des Ortes. Nur ein verhältnismäßig<br />
schmaler Randstreifen<br />
der Ortschaft lag außerhalb des Trefferbildes.<br />
Richthofen, der in einer der<br />
am Angriff beteiligten Maschinen mitflog,<br />
beschlich ein »[e]igenartiges Gefühl<br />
zum 1. Mal scharfe Bomben auf<br />
Menschen und richtige Ziele fallen zu<br />
sehen. Langsam taumelnd, ganz friedlich,<br />
beinahe spielend verlassen sie<br />
den Vogel und man weiß, dass da unten<br />
bald der Friede aufhört. Und wen<br />
treffen sie hier? Irgendwelche kleinen<br />
Leute, die von Weiß und Rot nichts<br />
wissen und wissen wollen.«
<strong>Die</strong> Legion Condor war bemüht, bei<br />
der franquistischen Führung das in<br />
Deutschland entwickelte Konzept eines<br />
von den Heeresoperationen relativ<br />
unabhängigen »operativen Luftkrieges«<br />
durchzusetzen. Richthofen vertrat deshalb<br />
gegenüber dem franquistischen<br />
Luftwaffengeneralstab in erster Linie<br />
den Kampf gegen die feindliche Luftwaffe<br />
und wollte nach Erringen der<br />
Angriffsfreiheit Nachtangriffe auf Verkehrswege<br />
und eventuell gegen die<br />
Industrie fliegen. Im Hinblick auf die<br />
regierungstreuen Nordprovinzen, Baskenland,<br />
Santander und Asturien, plante<br />
die Legion Condor Ende Dezember<br />
1936 einen operativen Einsatz gegen<br />
»Waffen- und Munitionsfabriken, Hafenanlagen,<br />
Lebensmitteldepots und<br />
evtl. Terrorangriffe, um Verhandlungen<br />
Nachdruck zu verleihen«.<br />
Gegen die Republik:<br />
Spanisch-deutsch-italienische<br />
Kooperation<br />
Nach der Niederlage der italienischen<br />
Interventionstruppen bei Guadalajara,<br />
rund 50 km nördlich Madrid, begann<br />
am 31. März 1937 die Offensive im<br />
Norden <strong>zur</strong> Entlastung der Front vor<br />
Madrid. <strong>Die</strong> Legion Condor fügte sich,<br />
unbeschadet ihrer ausschließlichen<br />
Unterstellung unter Generalissimus<br />
Franco, den Wünschen der Nordarmee<br />
unter General Emilio Mola nach<br />
unmittelbarer Unterstützung seiner<br />
artilleristisch unterversorgten Navarra-Brigaden.<br />
Hierfür wurde die Legion<br />
Condor erstmals als geschlossener<br />
Verband eingesetzt und – ohne förmliche<br />
Unterstellung – um eine spanische<br />
Staffel und je eine italienische Jagd-<br />
und Bombergruppe verstärkt. <strong>Die</strong> eigene<br />
Luftaufklärung lieferte der Legionsführung<br />
ein schnelles und genaues<br />
Lagebild, wodurch sie über ihre Fernmeldeverbindungen<br />
zu den deutschen<br />
Verbindungsoffizieren bei den einzelnen<br />
Brigaden »meist rechtzeitig ihren<br />
Einfluss entscheidend geltend machen«<br />
konnte. <strong>Die</strong> Operationen wurden von<br />
Richthofen und Vigon gemeinsam von<br />
einem Gefechtsstand aus geleitet, von<br />
dem aus die baskischen Verteidigungslinien<br />
und die eigenen Bereitstellungen<br />
eingesehen werden konnten.<br />
Wegen der Abhängigkeit der Operationen<br />
von der Luftunterstützung<br />
konnte sich Richthofen als »effektiv<br />
omnipotenter Feldherr« fühlen: »Praktisch<br />
führen wir den ganzen Laden,<br />
ohne eigentliche Verantwortung«. Er<br />
plante, mit den schweren deutschen<br />
und italienischen Bomberkräften »ohne<br />
Rücksicht auf die Zivilbevölkerung«<br />
die baskischen Reserven bis <strong>zur</strong> Linie<br />
der Divisionsstäbe und mit den mittleren<br />
Bombern, einschließlich der spanischen<br />
Staffeln, die feindlichen Stellungen<br />
anzugreifen. Im Verlauf der<br />
Offensive setzte Richthofen die italienischen<br />
Bomber ausschließlich auf<br />
die Städte und Dörfer im Hinterland<br />
an, nachdem diese zu oft in die eigenen<br />
Stellungen geworfen hatten. Aber<br />
auch die Legion Condor bombardierte<br />
regelmäßig Ortschaften, wenn sie<br />
ihre Truppenziele nicht finden konnte.<br />
Das Interesse am Bürgerkriegsschicksal<br />
dieser Siedlungen steht leider bis<br />
heute im Schatten der Beschäftigung<br />
mit Gernika.<br />
Schon kurz nach Angriffsbeginn stellte<br />
sich heraus, dass der in Form von<br />
Tageszielen aufgestellte Zeitplan der<br />
Offensive wegen des schwierigen Geländes<br />
und der tapferen Verteidigung<br />
der Basken nicht eingehalten werden<br />
konnte. So kam es am 2. April zu einer<br />
heftigen Auseinandersetzung zwischen<br />
Richthofen und Mola. Richthofen hielt<br />
dem General lasche Truppenführung<br />
vor und drohte mit der Einstellung<br />
der Luftunterstützung. Mola schlug<br />
vor, dass die Legion Condor in den<br />
nächsten Tagen die Industrie in Bilbao<br />
vernichten solle. Spanien werde,<br />
so die anachronistischen Gesellschaftsvorstellungen<br />
des Generals, durch die<br />
Industriezentren Bilbao und Barcelona<br />
beherrscht, und ihre Zerstörung werde<br />
die »Gesundung« Spaniens nach dem<br />
Bürgerkrieg erleichtern. Richthofen widersetzte<br />
sich zwar diesem Ansinnen<br />
aus militärischen und kriegswirtschaftlichen<br />
Gründen. Als aber am 23. April<br />
die Operationen wiederum ins Stocken<br />
gerieten, traten auch bei der Legionsführung<br />
Überlegungen auf, »nun doch<br />
Bilbao selbst in Schutt und Asche zu<br />
legen«. Tags darauf bombardierte die<br />
Legion Condor auf schriftlichen Befehl<br />
Molas Galdacano und den Hafen<br />
von Bilbao. Zum Vergleich: Allein im<br />
Monat April 1937 warf die Legion Condor<br />
600 t Bomben auf Bilbao, fünf mal<br />
mehr, als die Deutschen im Verlauf des<br />
gesamten Ersten Weltkrieges auf England<br />
abgeworfen hatten.<br />
Als sich am 24. April fluchtartige<br />
Rückzugsbewegungen der baskischen<br />
Verbände abzeichneten, wurde die Legion<br />
Condor sofort wieder <strong>zur</strong> unmittelbaren<br />
Heeresunterstützung und<br />
<strong>zur</strong> Abriegelung des Gefechtsfeldes<br />
eingesetzt: Am 25. April warfen die<br />
Ju 52 laut Richthofen »schön mit großen<br />
Bomben auf Ermua«, während<br />
die Italiener statt Ermua versehentlich<br />
Eibar bombardierten. Zu Eibar hält<br />
der Bericht des Versuchskommandos<br />
Folgendes fest:<br />
»<strong>Die</strong> mehrfachen Angriffe mit Abwurfhöhen<br />
von nur 600 bis 800 m, die durch<br />
das Fehlen jeglicher Luft- und Erdabwehr<br />
ermöglicht wurden, wiesen<br />
auch hier gute Trefferlage auf. Begünstigt<br />
durch die italienische Abwurfmethode<br />
(Koppelwurf [gleichzeitige<br />
Auslösung von drei nebeneinander<br />
aufgehängten Bomben]), konnte ein<br />
Zerstörungsumfang von 60 % erzielt<br />
werden [...] <strong>Die</strong> Anzahl der Getöteten<br />
beträgt rund 200 Zivilisten; ob und<br />
wieviel rote Truppen ums Leben kamen,<br />
konnte nicht ermittelt werden.«<br />
Italienische Bomber hatten zwei<br />
Tage zuvor schon Elgueta »voll erfasst«,<br />
und nach zwei Luftangriffen<br />
der Italiener auf Durango fand Richthofen<br />
die Stadt »toll aussehend«. Ihm<br />
schien, »als ob die Bomben die Kirchen<br />
geradezu gesucht hätten«. Am Vormittag<br />
des 26. April, wenige Stunden<br />
vor dem Luftangriff auf Gernika, ließen<br />
die deutschen Ju 52 in Guerricaiz<br />
(8 km südöstlich Gernika) »kein Haus<br />
mehr ganz« und hatten dadurch, trotz<br />
nur weniger Straßentreffer, den baskischen<br />
Rückzugsverkehr »wesentlich<br />
verzögert«.<br />
Ungeachtet der weltweiten Empörung<br />
über die Zerstörung Gernikas<br />
bombardierte die Legion Condor weiter<br />
Städte und Ortschaften. Gegen<br />
Ende der Kämpfe in Asturien entschloss<br />
sich die Legionsführung, »die<br />
Staffeln nunmehr rücksichtslos gegen<br />
sämtliche Ortschaften und Verkehrsmittel<br />
in dem eng gewordenen roten<br />
Lebensraum einzusetzen«. Am 3. November<br />
1937 beklagte sich Franco bei<br />
Richthofen über diese »ohne Willen<br />
der Spanier« unter anderem auf die<br />
Städte Colunga, Villaviciosa de Asturias<br />
und Ganges de Onis durchgeführten<br />
Luftangriffe.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
21
Gernika<br />
� Abschiedsparade der deutschen Legion Condor vor General Francisco Franco<br />
(Mitte) in Leon am 24. Mai 1939; rechts im Bild der Befehlshaber der Legion,<br />
Wolfram Freiherr von Richthofen.<br />
Trotz der von der Legion Condor in<br />
Spanien eingeübten Bombardierung<br />
von Städten – ein Erfahrungsbericht<br />
der Legion Condor vom 12. Juni 1938<br />
erwähnt unter den angegriffenen Zielgruppen<br />
ausdrücklich »Regierung und<br />
Bevölkerung (Städte)« – spricht vieles<br />
dagegen, dass Gernika einem geplanten<br />
Terrorangriff zum Opfer fiel, wenn<br />
man unter einem Terrorangriff eine<br />
Kriegshandlung versteht, die hauptsächlich<br />
die Terrorisierung der Zivilbevölkerung<br />
zum Ziel hat. Aus der<br />
Opferperspektive ist die Frage nach<br />
einem taktischen oder terroristischen<br />
Angriffsmotiv freilich irrelevant.<br />
Gernika und das Völkerrecht<br />
Der Luftangriff auf Gernika war aber<br />
auch bei Fehlen eines terroristischen<br />
Motivs ein Verstoß gegen damals geltendes<br />
Völkerrecht. Art. 25 der Haager<br />
Landkriegsordnung (HLKO) von 1907<br />
verbietet, »unverteidigte Städte, Dörfer,<br />
Wohnungen oder Gebäude, mit<br />
welchen Mitteln es auch sei, anzugreifen<br />
oder zu beschießen«. <strong>Die</strong> Präambel<br />
<strong>zur</strong> HLKO hält fest:<br />
»Solange, bis ein vollständiges Kriegsgesetzbuch<br />
festgestellt werden kann,<br />
halten es die hohen vertragsschließenden<br />
Teile für zweckmäßig, festzustellen,<br />
dass in den Fällen, die in den Be stimmungen<br />
der von ihnen angenom menen<br />
22 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
akg-images<br />
Ordnungen nicht einbegriffen sind, die<br />
Bevölkerung und die Kriegführenden<br />
unter dem Schutze und der Herrschaft<br />
der Grundsätze des Völkerrechts bleiben,<br />
wie sie sich ergeben aus den unter<br />
gesitteten Völkern feststehenden<br />
Ge bräuchen, aus den Gesetzen der<br />
Menschlichkeit und den Forderungen<br />
des öffentlichen Gewissens.«<br />
Gegen Geist und Wortlaut dieser<br />
Bestimmungen hat Richthofen allein<br />
schon dadurch verstoßen, dass er mit<br />
der Einbeziehung des Vororts Renteria<br />
in die befohlenen Angriffsziele<br />
den Tod von Nichtkombattanten und<br />
wegen der offensichtlichen Nähe des<br />
Vororts und der Brücke zum Stadtkern<br />
nahezu unvermeidliche Fehlwürfe<br />
und damit Opfer in der Stadt billigend<br />
in Kauf genommen hat. Ein<br />
zynischer Kommentar Richthofens in<br />
einem Schreiben vom 25. Mai 1937 zu<br />
dem internationalen Aufschrei über<br />
die Zerstörung Gernikas lässt bestenfalls<br />
einen Hauch schlechten Gewissens<br />
erkennen: »<strong>Die</strong> Aufregung über<br />
deutsche Bomber ist natürlich insofern<br />
durchaus unberechtigt, als es hier nur<br />
spanische Verbände gibt!! Ich hatte<br />
mich aber bei Guernica wohl etwas<br />
rüpelhaft benommen!« <strong>Die</strong>se Einsicht<br />
hielt Richthofen jedoch nicht davon<br />
ab, in einem Schreiben an Francos<br />
Luftwaffen-Generalstabschef, General<br />
Alfredo Kindelan, vom 9. August 1937<br />
sich wider besseren Wissens der seit<br />
dem 29. April vom franquistischen<br />
Hauptquartier verbreiteten propagandistischen<br />
Sprachregelung anzuschließen:<br />
»<strong>Die</strong> Zerstörung Guernicas lässt<br />
sich nicht anders als durch absichtliche<br />
Sprengung und Brandstiftung<br />
erklären.«<br />
Gernika war nicht der erste und<br />
nicht der letzte Meilenstein auf dem<br />
Weg zum totalen Luftkrieg, der keinen<br />
Unterschied zwischen Kombattanten<br />
und Nichtkombattanten macht und im<br />
Zweiten Weltkrieg seinen vorläufigen<br />
Höhepunkt erreichte. Im Jahre 1949<br />
resümierte Brigadegeneral Telford<br />
Taylor, Hauptankläger bei den zwölf<br />
Nürnberger Nachfolgeprozessen:<br />
»Zahlreiche Bestimmungen der Haager<br />
Abkommen von 1907 bezüglich rechtswidriger<br />
Mittel des Kampfes [...] waren<br />
antiquiert. Andere waren während<br />
des Ersten Weltkrieges nur teilweise<br />
eingehalten und während des Zweiten<br />
Weltkrieges fast völlig außer Acht<br />
gelassen worden [...]. Auch wenn die<br />
ersten Städte, die schweren Bombardements<br />
zum Opfer fielen – Warschau,<br />
Rotterdam, Belgrad und London – von<br />
den Deutschen und nicht den Alliierten<br />
in Trümmer gelegt wurden, waren<br />
die Ruinen deutscher und japanischer<br />
Städte dennoch nicht das Ergebnis von<br />
Vergeltungsmaßnahmen, sondern einer<br />
gezielten Politik und ein Beleg dafür,<br />
dass die Bombardierung von Städten<br />
und Fabriken aus der Luft inzwischen<br />
ein anerkannter Bestandteil moderner<br />
Kriegführung geworden war, wie sie<br />
von allen Ländern praktiziert wird.«<br />
<strong>Die</strong>ser Entwicklung lagen strukturelle<br />
Ursachen des technisierten Krieges<br />
im Industriezeitalter zugrunde, es<br />
waren aber immer auch intentionales<br />
Handeln und persönliche Entscheidungen,<br />
wie die Richthofens gegen<br />
Gernika, die diese Eskalation der Barbarei<br />
vorantrieben.<br />
Literaturtipps:<br />
� Klaus A. Maier<br />
Walther L. Bernecker, Krieg in Spanien 1936 bis 1939,<br />
2., vollst. überarb. und erw. Aufl., Darmstadt 2005
Im Juli 1956 beschloss der Deutsche<br />
Bundestag die Einführung der Allgemeinen<br />
Wehrpflicht. Angesichts<br />
der katastrophalen Folgen des Zweiten<br />
Weltkrieges und der Tatsache, dass<br />
das NS-Regime in Deutschland den<br />
Zwang zum Wehrdienst schließlich auf<br />
fast alle Altersgruppen der männlichen<br />
Bevölkerung ausgedehnt hatte, waren<br />
Wehrpflicht und Wiederbewaffnung<br />
in der Bundesrepublik anfangs heftig<br />
umstritten. Schon 1949 wurde daher<br />
im Grundgesetz das Recht auf Kriegsdienstverweigerung<br />
festgeschrieben.<br />
Der Ausbruch des Koreakrieges ein<br />
Jahr später, der die endgültige Spaltung<br />
der ehemaligen Alliierten des<br />
Zweiten Weltkrieges zeigte, brachte<br />
jedoch die Wende, als die konventionelle<br />
Schwäche des Westens klar zu<br />
Tage trat. Sollte die Verteidigung Westeuropas<br />
nicht erst an den Pyrenäen<br />
begonnen werden, wie zunächst von<br />
den USA beabsichtigt, <strong>muss</strong>te auch ein<br />
westdeutscher Verteidigungsbeitrag<br />
erfolgen. So schrieb die Himmeroder<br />
Tagung deutscher Militärexperten im<br />
Oktober 1950 das Ziel von zwölf deutschen<br />
Panzerdivisionen bei einer Gesamtstärke<br />
von 500°000 Soldaten fest.<br />
<strong>Die</strong>ses Ziel war nur mit einer Wehrpflicht<br />
erreichbar, und so rückten ab<br />
April 1957 die ersten Wehrpflichtigen<br />
der Bundeswehr ein. Jedoch erst 1965<br />
waren alle zwölf Heeresdivisionen<br />
aufgestellt, und zwanzig Jahre später<br />
erreichte die Bundeswehr endlich ihren<br />
Soll-Umfang von 495 000 Mann.<br />
Insgesamt diente die Allgemeine<br />
Wehrpflicht in der Zeit des Kalten<br />
Das historische Stichwort Service<br />
MHM, Dresden<br />
Krie ges dazu, die konventionelle Stärke<br />
der NATO anzuheben und die Gefahr<br />
eines Schlages mit Atomwaffen<br />
möglichst einzudämmen. <strong>Die</strong> sicherheitspolitische<br />
Gesamtlage bestimmte<br />
die Dauer der <strong>Die</strong>nstpflicht. Zunächst<br />
lag diese bei 15 Monaten, was Bundeskanzler<br />
Adenauer aus innenpolitischen<br />
Erwägungen gegen den Rat seiner<br />
Militärexperten durchsetzte. Nach<br />
dem Mauerbau 1962 wurde sie auf<br />
18 Monate erhöht, im Zuge der Entspannungspolitik<br />
zehn Jahre später<br />
auf 15 Monate verringert. Im Rahmen<br />
des Tauwetters zwischen Ost und<br />
West wurde die Wehrdienstdauer 1989<br />
nicht, wie anfänglich geplant, wieder<br />
erhöht, sondern ziemlich unvermittelt<br />
auf zwölf Monate herabgesetzt, um<br />
1998 auf zehn, 2002 gar auf neun Monate<br />
zu sinken.<br />
Bei Gründung der Nationalen Volksarmee<br />
(NVA) der DDR im Jahr 1956<br />
existierte zunächst keine Wehrpflicht<br />
– in bewusster Abgrenzung <strong>zur</strong> »imperialistischen<br />
Wehrpflicht« im Westen.<br />
Vielmehr wurde zunächst eine<br />
Kaderarmee aufgestellt, die sich aus<br />
den regimetreuesten Personen zusammensetzen<br />
sollte. <strong>Die</strong> Sollstärke der<br />
NVA konnte dadurch jedoch nicht erreicht<br />
werden. Zudem verließen gerade<br />
Männer im wehrfähigen Alter die<br />
DDR zu Tausenden. Ab Januar 1962,<br />
kein halbes Jahr nach dem Mauerbau,<br />
galt schließlich auch im »anderen«<br />
Deutschland die Wehrpflicht;<br />
das Recht auf Kriegsdienstverweigerung<br />
existierte nicht. So kann man für<br />
die DDR von einer »allgemeineren«<br />
Wehrpflicht<br />
in Deutschland<br />
nach 1945<br />
� Am 1. April 1957 wurden die ersten<br />
Wehrpflichtigen der Bundeswehr<br />
eingezogen. Hier im Bild:<br />
Empfang der Wehrpässe beim<br />
Kreiswehrersatzamt Hamburg-Nord,<br />
1950er Jahre.<br />
Durchführung der <strong>Die</strong>nstpflicht sprechen<br />
als im Westen. Auch war hier der<br />
»Wehrcharakter« der <strong>Die</strong>nstverpflichtung<br />
ausgeprägter, was sich etwa an<br />
der paramilitärischen »Gesellschaft<br />
für Sport und Technik« (GST) oder<br />
den bewaffneten Betriebskampfgruppen<br />
zeigte.<br />
Der Westen dagegen zog die Lehre<br />
aus der Totalisierung von Krieg und<br />
Zwangsverpflichtung: Dem Allgemeinheitsgrad,<br />
dem Wehrcharak ter<br />
und dem Verpflichtungsgrad militärischer<br />
<strong>Die</strong>nstpflicht wurden – gegen<br />
konservative Kritik – auf verschiedene<br />
Weise Grenzen gesetzt. So erwuchs<br />
aus dem Recht <strong>zur</strong> Kriegsdienstverweigerung<br />
eine seit Ende der 1960er<br />
Jahre in zunehmendem Maße wahrgenommene<br />
Wahlmöglichkeit. Dazu<br />
kam die massive Truppenreduzierung<br />
seit 1990, die eine totale Ausschöpfung<br />
der Geburtsjahrgänge nicht mehr<br />
notwendig erscheinen ließ. <strong>Die</strong> selektive<br />
Geltung der Wehrpflicht ist indessen<br />
keine historische Ausnahme.<br />
Nur während der beiden Weltkriege<br />
erreichte die Wehrplicht einen derart<br />
absoluten Allgemeinheitsgrad.<br />
<strong>Die</strong> Geschichte der Bundeswehr ist<br />
die Geschichte einer Wehrpflichtarmee.<br />
Ihr eigentlicher Charakter hingegen<br />
besteht in der Mischung aus<br />
Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit,<br />
Wehrpflichtigen und Reservisten. Um<br />
die Jahrtausendwende ist mit der Einrichtung<br />
der Freiwillig (längerdienenden)<br />
Wehrdienstleistenden ein weiterer<br />
Baustein entstanden.<br />
Martin Rink<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
23
Service<br />
Ulrich Lampen und Peter Steinbach (Hrsg.),<br />
<strong>Die</strong> NS-Führung im Verhör.<br />
Original-Tondokumente aus den Nürnberger Prozessen,<br />
8 Audio-CDs, 440 Min., Berlin: Der ›Audio‹ Verlag 2006.<br />
ISBN 3-89813530-6; 29,99 Euro<br />
<strong>Die</strong> europäische Nachkriegsgeschichte<br />
wurde mit einem völkerrechtlichen<br />
Novum eingeleitet, das<br />
so bisher niemand für möglich gehalten<br />
hatte. Eine ganze Staatsregierung<br />
mitsamt den führenden Spitzen aus<br />
Militär und Wirtschaft wurde in einem<br />
umfangreichen Prozess angeklagt,<br />
schul dig des »Verbotenen Angriffskrieges«,<br />
der »Kriegsverbrechen« und<br />
der »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«<br />
zu sein. Am 1. Oktober 1946<br />
ergingen die ersten Urteile: zwölf Todesurteile,<br />
sieben Haftstrafen und drei<br />
Freisprüche.<br />
Geschichtsinteressierte können sich<br />
nun auf acht Audio-CDs gesammelte<br />
Original-Tondokumente – nach Schlüsselthemen<br />
sortiert – anhören, die bei<br />
den Nürnberger Prozessen mitgeschnitten<br />
wurden und die Kälte und<br />
Grauen mit den Worten der Angeklagten<br />
in die Gegenwart tragen.<br />
Gerade die drei letzten CD‘s mit<br />
den Themen »Menschenversuche«,<br />
»Zwangs arbeit« und »Endlösung«<br />
ver mitteln dem Zuhörer, wie kaltschnäuzig<br />
die verantwortlichen Delinquen<br />
ten auch über den Holocaust<br />
berichteten.<br />
Versehen mit einem historischen<br />
Kom mentar, wurden die Mitschnitte<br />
zum besseren Verständnis teils<br />
aus dem Englischen übersetzt. Eine<br />
Medien online/digital<br />
24 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
gewinnbringende Ergänzung zu den<br />
O-Tönen sind des Weiteren die kurzen<br />
biografischen Einführungen zu den<br />
jeweiligen Angeklagten.<br />
sts<br />
Riverbend, Bagdad Burning. Gesprochen von<br />
Sophie Rois, 2 CDs, 150 Minuten, München:<br />
Der Hörverlag 2006. ISBN 3-899-40928-0; 19,95 Euro<br />
E ine<br />
Geschichte »von unten« über<br />
den Kriegsalltag im Irak ist seit<br />
2003 in der Weblog der Irakerin »Riverbend«<br />
nachzulesen:<br />
http://riverbendblog.blogspot.com<br />
Riverbend (ein Pseudonym) ist fast täglich<br />
im Internet präsent. Sie schreibt,<br />
aus der Sicht einer jungen Frau, über<br />
das Leben im Irak unter US-amerikanischer<br />
»Besatzung«. Nichts wird ausgespart:<br />
Dinge des täglichen (Über-)<br />
Lebens wie das »Herausfinden, wann<br />
der Strom wohl ausfallen wird«; Kommentare<br />
und Analysen zu US-amerikanischer<br />
»Besatzungs«-Politik und<br />
innerirakischen Verhältnissen; Gefühle<br />
über das Frausein in solcher (Un-)<br />
Zeit sowie das Selbstverständnis und<br />
die Stellung von Frauen unter dem<br />
Regime von Saddam Hussein, die sich<br />
heute, so die Anonyma, kaum noch<br />
allein auf die Straße wagen können;<br />
das Mitgefühl für die fremden jungen<br />
Männer, die als Soldaten »im Einsatz«<br />
sind. Eindringlich ist die Darstellung,<br />
wie sich »Riverbend« das westliche<br />
oder vielmehr: US-amerikanische Bild<br />
des Iraks und seiner Bevölkerung vermittelt:<br />
»Wisst Ihr, was mich [...] in den<br />
Chatrooms und Foren wirklich nervt?<br />
<strong>Die</strong> erste Reaktion, meistens von Ame-<br />
rikanern, ist, du lügst, du bist keine<br />
Irakerin. Und warum bin ich keine Irakerin?<br />
Ganz einfach, erstens, ich habe<br />
Zugang zum Internet, Iraker haben<br />
kein Internet; zweitens, ich kann damit<br />
umgehen, Iraker wissen nicht, was ein<br />
Computer ist; drittens, Iraker sprechen<br />
kein Englisch [...] Ich sehe die Armee<br />
und denke, so ein Bild hatten die von<br />
uns, bevor sie unser Land besetzt haben,<br />
und vielleicht haben sie es immer<br />
noch? Wie kommt es, dass man uns für<br />
ein zweites Afghanistan hält?«<br />
Allein das Buch, erschienen 2006 in<br />
deutscher Übersetzung, besticht beim<br />
Lesen durch Detailreichtum und<br />
scharfe Analyse; doch hört man den<br />
Text auf CD, vorgetragen von Sophie<br />
Rois, so vermittelt sich noch bewegender<br />
das Leben dieser jungen Frau.<br />
mt<br />
Saša Stanišić,<br />
Wie der Soldat das Grammofon repariert.<br />
Audio-CD, 78 Min., Random House Audio 2006.<br />
ISBN 978-3-86604-275-9; 19,95 Euro<br />
»W<br />
ie der Soldat das Grammofon<br />
repariert« ist ein Hörbuch<br />
mit tragikomischen Geschichten,<br />
die Aleksandar, Hauptfigur des Romans,<br />
als Kind und Jugendlicher selbst<br />
erlebt und phantasievoll erfindet.<br />
Aleksandar wird Ende der 70er Jahre<br />
geboren. Er lebt mit seiner Familie<br />
in Višegrad, einer Stadt in Nordostbosnien.<br />
Ein besonders inniges Verhältnis<br />
hat Aleksandar zu seinem Opa<br />
Slavko, einem ehemaligen Partisanen.<br />
Sein Großvater ist es auch, der ihm<br />
vor seinem Tod Zauberhut und Zauberstab<br />
schenkt, und dabei folgenden<br />
Rat gibt: »Trägst Du den Hut und<br />
schwingst Du den Stab,<br />
wirst Du der<br />
mächtigste FFähigkeitenzauberer<br />
der blockfreien Staaten sein.<br />
Vieles wirst Du<br />
revolutio-<br />
nieren können, k so lange<br />
es mit den Ideen<br />
von<br />
Tito konform geht und<br />
in Übereinstimmung<br />
mit den Statuten<br />
des<br />
Bundes der Kommunisten<br />
Jugoslawiens steht<br />
[...] <strong>Die</strong> wertvollste Gabe<br />
ist die Erfindung, der größte gr<br />
<strong>Die</strong> erste Reaktion, meistens von Ame- Rat gibt: »Tr gst Du den Hut und
Reichtum die Fantasie. Merk dir das<br />
[...] und denk dir die Welt schöner<br />
aus.«<br />
Nachdenklich nimmt Aleksandar die<br />
Veränderungen in seiner Heimat wahr,<br />
bevor der Bürgerkrieg in Jugoslawien<br />
ausbricht. Da wird eines Tages das<br />
Porträt Titos aus dem Klassenzimmer<br />
entfernt, sein Lehrer will nicht mehr<br />
mit Genosse, sondern als Herr angeredet<br />
werden. Eine Familienfeier findet<br />
statt, weil ein Onkel Aleksandars<br />
<strong>zur</strong> Armee eingezogen wird; einer der<br />
betrunkenen Gäste bedroht mit einer<br />
geladenen Pistole die Musikergruppe.<br />
Er lasse sich nicht länger von »Zigeunern<br />
Ustaschalieder und Türkengeheule«<br />
vorsetzen. Man solle serbische<br />
Heldenlieder spielen. Obwohl Aleksandar<br />
und seine Familie selbst Serben<br />
sind, unterbinden sie entschlossen<br />
diesen Versuch. Sie können jedoch<br />
später nicht verhindern, dass serbische<br />
Soldaten Višgegrad erobern; sie müssen<br />
fliehen, zunächst nach Belgrad<br />
und dann als Asylbewerber nach Essen.<br />
Erst Jahre später kehrt Aleksandar<br />
als jugendlicher Erwachsener in seine<br />
Heimatstadt <strong>zur</strong>ück.<br />
Wer gute Geschichten hören und<br />
»nebenbei« erfahren will, was Krieg<br />
und Verlust der Heimat bedeuten,<br />
welche Folgen das Tragen eines »falschen«<br />
Namens haben und was Phantasie<br />
erreichen kann, dem vermag das<br />
Hörbuch von Saša Stanišić vieles zu<br />
bieten.<br />
Aleksandar-S. Vuletić<br />
Das gleichnamige Buch ist erschienen bei Luchterhand<br />
Literaturverlag, München 2006,<br />
ISBN 978-3-630-87242-1; 328 S.,<br />
19,95 Euro<br />
digital<br />
www.geschichte-online.at<br />
W er<br />
einen Einblick in die Werkstatt<br />
des Historikers gewinnen<br />
will, der kann eines der vielen Bücher<br />
<strong>zur</strong> Einführung in die Geschichtswissenschaft<br />
in die Hand nehmen oder<br />
aber auf das Webangebot »Geschichte<br />
Online« <strong>zur</strong>ückgreifen. <strong>Die</strong>ser Internetauftritt<br />
bietet im Rahmen des sogenannten<br />
E-Learning (engl.: electronic<br />
learning/elektronisch unterstütztes<br />
Lernen) webbasierte Trainingsanwendungen<br />
zum wissenschaftlichen Arbeiten,<br />
<strong>zur</strong> Literatur- und Informationsrecherche<br />
sowie <strong>zur</strong> Geschichtsdidaktik<br />
an. Darüber hinaus umfasst er ein Redaktions-<br />
und Datenbanksystem für die<br />
Erstellung von Online-Präsentationen,<br />
den sogenannten »Hypertextcreator«.<br />
Bei dieser österreichischen Website<br />
handelt es sich um ein Projekt des<br />
Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte<br />
sowie des Instituts für<br />
Geschichte der Universität Wien in<br />
Kooperation mit historischen Instituten<br />
an den Universitäten Basel, Graz,<br />
Innsbruck, Linz, München, Salzburg<br />
und Wien. Das Angebot richtet sich in<br />
erster Linie an Studierende des Fachs<br />
Geschichte an deutschsprachigen Universitäten<br />
und dient der Unterstützung<br />
traditioneller Bildungsmethoden<br />
in Lehre und Studium durch digitale<br />
Medien. Aber auch für den historisch<br />
interessierten Laien bietet die Website<br />
eine Vielfalt an Informationen und<br />
Lernangeboten zum Fach Geschichte.<br />
So wird man anhand von Feldpostbriefen<br />
in die Geheimnisse der Kurrentschrift<br />
eingeführt und erlernt<br />
Schritt für Schritt das für die Transkription<br />
alter Schriften notwendige<br />
Handwerkszeug. Nach der Absolvierung<br />
aller interaktiven Übungen – die<br />
Gesamtdauer der Lerneinheit »Erste<br />
Schritte im Kurrent-Lesen« wird mit<br />
ca. 10 Stunden angegeben – kann man<br />
zum Abschluss seine neuerworbenen<br />
Fähigkeiten mit Hilfe des »Kurrent-<br />
Game« auf spielerische Weise testen.<br />
Insgesamt stehen dem Nutzer vier<br />
E-Learning-Module mit einer unterschiedlichen<br />
Anzahl von Lerneinheiten<br />
<strong>zur</strong> Verfügung. Alle diese Lerneinheiten<br />
lassen sich auch als PDF-Datei<br />
herunterladen und ausdrucken.<br />
Modul 1, zu dem unter anderem die<br />
Lerneinheit »Erste Schritte im Kurrent-<br />
Lesen« gehört, vermittelt Grundkenntnisse<br />
des geschichtswissenschaftlichen<br />
Arbeitens: Der Benutzer lernt, wie man<br />
Fragestellungen und Thesen entwickelt,<br />
wie man wissenschaftliche Texte<br />
verfasst, wie man Gelesenes festhält<br />
und richtig zitiert und wie man mündliche<br />
Präsentationen gestaltet.<br />
Modul 2 unterteilt sich in zwei Submodule;<br />
das eine mit dem Titel »Literaturrecherche«,<br />
das andere mit dem<br />
Titel »Informationsrecherche«. Im Submodul<br />
»Literaturrecherche« erhält man<br />
eine Einführung in die Suche nach<br />
Literatur und erlernt den Umgang mit<br />
Bibliotheken sowie die Verwendung<br />
von Bibliothekskatalogen und bibliographischen<br />
Datenbanken. Da rü ber hinaus<br />
beinhaltet es eine Übersicht über<br />
die Geschichte der Katalogisierung<br />
von Büchern sowie eine Einführung<br />
in die Verwendung von Dokumentenlieferdiensten<br />
und Volltextangeboten.<br />
Das Submodul »Informationsrecherche«<br />
bietet einen Überblick über die<br />
Vielzahl unterschiedlicher Quellen<br />
wie auch In formationsmedien und unterrichtet<br />
über den wissenschaftlichen<br />
Umgang mit Quellen.<br />
Modul 3 ist den aktuellen Themenfeldern<br />
der Geschichtsdidaktik gewid met<br />
und bietet Informationen <strong>zur</strong> Theorie<br />
der Geschichtsdidaktik, <strong>zur</strong> Unterrichtsplanung,<br />
<strong>zur</strong> Mediendidak tik, zu Netzwerken<br />
der Geschichtsdidaktik und <strong>zur</strong><br />
Geschichtslehrerausbil dung in Europa.<br />
Modul 4 besteht aus dem »Hypertextcreator«,<br />
einer datenbankbasierten<br />
Lehr- und Lernsoftware, mit deren Hilfe<br />
historische Inhalte digital aufgearbeitet<br />
und vermittelt werden können.<br />
Insgesamt betrachtet stellt die Website<br />
»Geschichte Online« eine Pionierleistung<br />
bei der Einbindung Neuer Medien<br />
in das Fach Geschichte dar und<br />
bietet durch ihre interaktiven Übungen<br />
innovative Möglichkeiten für das historische<br />
Lernen.<br />
Wer auch beim E-Learning nicht auf<br />
Printmedien verzichten möchte, dem<br />
sei unten genanntes Buch empfohlen!<br />
mn<br />
Franz X. Eder, Heinrich Berger, Julia Casutt-Schneeberger<br />
und Anton Tantner, Geschichte Online. Einführung in<br />
das wissen schaftliche Arbeiten – Informations- und<br />
Literaturrecherche, Wien 2006.<br />
ISBN 978-3-8252-2822-4; 328 S., 19,90 Euro<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
25
Service<br />
Lesetipp<br />
Krieg und Medien<br />
Mit den seit 1990 im Nahen Osten<br />
geführten Auseinandersetzungen,<br />
den Terroranschlägen von 9/11<br />
und nicht zuletzt seit der Postulierung<br />
der »Neuen Kriege« rückt ein besonderes<br />
Phänomen in den Blickwinkel<br />
der politischen und der wissenschaftlichen<br />
Öffentlichkeit. Es speist sich<br />
aus einer Quelle: den Medien. <strong>Die</strong> Ereignisse<br />
auf den irakischen Schlachtfeldern,<br />
aber auch die in Somalia und<br />
im ehemaligen Jugoslawien wurden<br />
uns Dank modernster Medientechnik<br />
und des Einsatzes von mehr oder weniger<br />
»eingebetteten« Journalisten am<br />
Bildschirm präsentiert. Auch die neuen,<br />
die »asymmetrischen« Kriege sind<br />
dadurch gekennzeichnet, dass lokal<br />
begrenzte Terroranschläge erst durch<br />
die weltweite mediale Verbreitung<br />
entsprechende Wirkung erreichen.<br />
Ute Daniel (Hrsg.),<br />
Augenzeugen.<br />
Kriegsberichterstattung vom<br />
18. zum 21. Jahrhundert.<br />
Göttingen 2006.<br />
ISBN 978-3-525-36737-7;<br />
264 S., 24,90 €<br />
<strong>Die</strong> Sozial- und Geisteswissenschaften<br />
stellen sich seit einigen wenigen<br />
Jahren den Fragen nach dem Verhältnis<br />
von Krieg und Medien. <strong>Die</strong> renommierte<br />
Braunschweiger Professorin<br />
Ute Daniel hat in diesem Kontext<br />
einen Sammelband vorgelegt, der sich<br />
der Kriegsberichterstattung in der Geschichte<br />
widmet. <strong>Die</strong> insgesamt neun<br />
Beiträge schlagen einen Bogen vom<br />
Siebenjährigen Krieg über das Zeitalter<br />
der Weltkriege bis hinein in die<br />
Gegenwart. Kenntnisreich und auch<br />
für den interessierten Laien gewinnbringend<br />
werden journalistische und<br />
militärische Praktiken bei der Kriegsberichterstattung<br />
vermittelt sowie Kon -<br />
tinuitäten und Wandel aufgezeigt. Darüber<br />
hinaus gewinnt der Leser einen<br />
Einblick in die Zweckgebundenheit<br />
von Kriegsberichterstattung und somit<br />
auch in das Wechselspiel von Militär<br />
und Medien(-gesellschaft).<br />
Thorsten Loch<br />
Deutsche Soldaten<br />
A m<br />
26 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
25. Januar 2006 erklärte der<br />
amtierende Bundesminister der<br />
Verteidigung in einer Rede an der<br />
Führungsakademie der Bundeswehr in<br />
Hamburg, dass die Bundeswehr »mehr<br />
als jemals zuvor in ihrer Geschichte<br />
geprägt ist durch ihre Einsatzorientierung<br />
und ihre Rolle als wichtiges<br />
Instrument einer deutschen Außenpolitik<br />
im <strong>Die</strong>nste des Friedens, der<br />
Freiheit und der Sicherheit Deutschlands«.<br />
<strong>Die</strong>se Rahmenbedingungen<br />
Martin Kutz, Deutsche Soldaten. Eine Kultur-<br />
und Mentalitätsgeschichte, Darmstadt 2006.<br />
ISBN 13 978-3-534-20013-9;<br />
410 S., 49,90 €<br />
haben die Anforderungen und das<br />
Selbstverständnis des Soldatenberufs<br />
verändert. Aber wie sieht es denn überhaupt<br />
aus, das heutige deutsche soldatische<br />
Selbstverständnis? Wie sehr<br />
wird es durch die politische Aufgabenstellung<br />
bestimmt?<br />
Martin Kutz, selbst ehemaliger Mitarbeiter<br />
im Fachbereich Sozialwissenschaften<br />
der Führungsakademie der<br />
Bun deswehr, hat erstmals den Versuch<br />
unternommen, die Denkweise<br />
und das Selbstverständnis deutscher<br />
Soldaten epochenübergreifend darzustellen.<br />
Der Autor geht dabei von einer<br />
Kontinuität in der Beziehung von Politik<br />
und Militär aus, sich abwechselnden<br />
Phasen von Gewaltentgrenzung<br />
und Gewalteinhegung, die sich auf die<br />
Mentalität der Soldaten auswirkten.<br />
Schwerpunkt der Studie ist eine Untersuchung<br />
der totalen Entgrenzung von<br />
Gewalt im Zweiten Weltkrieg sowie<br />
der folgenden relativen Einhegung<br />
in der Bundesrepublik Deutschland.<br />
Kritisch werden auch die aktuellen<br />
Entwicklungen vor dem Hintergrund<br />
der aktuellen Einsatzorientierung der<br />
Bundeswehr analysiert sowie Handlungsoptionen<br />
vorgestellt. <strong>Die</strong> Thesen<br />
des Autors werden sicher positive wie<br />
negative Reaktionen hervorrufen. Versehen<br />
mit einem ausführ lichen Literaturverzeichnis,<br />
ist das Buch aber in je-<br />
dem Fall lesenswert, und das nicht nur<br />
für »Staatsbürger in Uniform«.<br />
jf<br />
Kolonialkriege<br />
<strong>Die</strong> »deutsche« Erinnerung an Krieg(e)<br />
wurde und wird durch die<br />
Daten geprägt, die auf jedem Kriegerdenkmal<br />
stehen: 1870/71, 1914/1918<br />
und 1939/1945. <strong>Die</strong> aktuellen Einsätze<br />
hingegen konfrontieren die Bundeswehr<br />
mit dem Erbe von »Kolonialkriegen«.<br />
Thoralf Klein und Frank Schumacher (Hrsg.),<br />
Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen<br />
des Imperialismus, Hamburg 2006.<br />
ISBN 978-3-936096-70-5;<br />
369 S., 35,00 €<br />
Der Sammelband von Thoralf Klein<br />
und Frank Schumacher vereint zehn<br />
Fallstudien. Er beginnt im 19. Jahrhundert<br />
mit den Indianerkriegen der<br />
USA (1840–1890), setzt sich über den<br />
Kampf der deutschen Schutztruppe in<br />
Ostafrika gegen die Hehe (1890–1898)<br />
bis zum Krieg der USA auf den Philippinen<br />
(1899–1913) fort. Es folgen<br />
der Boxerkrieg in China (1900–1901),<br />
der Burenkrieg (1899–1902) sowie die<br />
deutschen Kolonialkriege in Südwest-<br />
(1904–1907) und Ostafrika (1905–1908).<br />
Spaniens Krieg in Marokko (1921–<br />
1927), die italienische Armee in Ostafrika<br />
(1935/36), Japans Krieg in China<br />
(1931–1945) und der Algerienkrieg<br />
(1954–1962) runden das Bild ab.<br />
An alle Kriege wird ein immer folgendes<br />
Frageraster herangetragen:<br />
1. Bedingungen und Verlauf des<br />
Krieges<br />
2. Das Gesicht des Krieges<br />
3. Der Diskurs über den Krieg<br />
4. <strong>Die</strong> Erinnerung an den Krieg<br />
<strong>Die</strong>ses Vorgehen macht die Fallstudien<br />
im Sinne der Komparatistik vergleichbar,<br />
Handlungs muster und Diskurse<br />
können vom Leser bewertet werden.<br />
hp
Ordnung durch Terror<br />
Das Phänomen »Imperium« wird<br />
derzeit in der historischen Fachwelt<br />
wie auch in den Medien intensiv<br />
diskutiert. Nicht ohne Grund stellte<br />
das ZDF kürzlich drei Diktatoren solcher<br />
Imperien des 20. Jahrhunderts vor:<br />
Hitler, Stalin und Mao.<br />
Jörg Baberowski und<br />
Anselm Doering-Manteuffel,<br />
Ordnung durch Terror.<br />
Gewaltexzesse und<br />
Vernichtung im<br />
nationalsozialistischen<br />
und im stalinistischen<br />
Imperium, Bonn 2006.<br />
ISBN 978-3-8012-0368-9;<br />
116 S., 16,80 €<br />
Jörg Baberowski und Anselm Doering-<br />
Manteuffel unternehmen auf 75 Textseiten<br />
den essayistischen Versuch, das<br />
nationalsozialistische und das stalinistische<br />
Imperium unter den Kriterien<br />
»Gewaltexzesse« und »Vernichtung«<br />
zu betrachten. Gemeinsamkeiten wie<br />
die »Ordnung durch Terror« werden<br />
ebenso herausgearbeitet wie manche<br />
Unterschiede. <strong>Die</strong> Gefahr ist die einer<br />
simplen Gleichsetzung beider Imperien<br />
als »totalitär«. Das mit einem Vorwort<br />
von Hans Mommsen versehene<br />
Buch beginnt mit dem Kapitel »Utopie<br />
der Eindeutigkeit«: »Was aber das Verlangen<br />
der modernen Diktaturen nach<br />
Ordnung von den vormodernen Ordnungspraktiken<br />
unterscheidet, das ist<br />
nicht nur ihr Anspruch auf Eindeutigkeit<br />
und Ausschließlichkeit, sondern<br />
ihr Vernichtungswille. Unordnung erzeugte<br />
jetzt nicht mehr nur Ambivalenz.<br />
Sie brachte jetzt Abfall hervor,<br />
der entfernt werden mußte« (S. 15).<br />
Der historische Bogen des Buches<br />
spannt sich vom Ersten Weltkrieg über<br />
Revolution, Bürgerkrieg und Zwischenkriegszeit<br />
bis zum Tode Stalins 1953.<br />
Der Zweite Weltkrieg wird für beide<br />
Imperien in drei Abschnitten behandelt:<br />
»Terror und Besatzung in Polen<br />
1939–1941«, »Vernichtungskrieg 1941–<br />
1945« und »Kollaps der Utopien und<br />
das Ende der Eindeutigkeit 1942–1953«.<br />
Alles in allem handelt es sich um<br />
ein preiswertes, sehr dichtes, aber<br />
dennoch verständlich geschriebenes<br />
Bändchen, das sowohl dem in der historisch-politischen<br />
Bildung Tätigen als<br />
auch dem interessierten »Laienhistoriker«<br />
viele neue Einblicke bietet.<br />
hp<br />
Bundeswehr und Traditon<br />
Streitkräfte werden in besonderer<br />
Weise von der Tradition, d.h. durch<br />
die ausgewählte Überlieferung von<br />
Werten, Normen und Vorbildern, geprägt.<br />
Für die Bundeswehr stellte Tradition<br />
von Beginn an ein besonderes<br />
Problem dar. Im Gegensatz zu<br />
Reichswehr und Wehrmacht sollten<br />
die Streitkräfte der Bundesrepublik<br />
Deutschland integraler Bestandteil einer<br />
demokratischen Gesellschaft, die<br />
Soldaten »Staatsbürger in Uniform«<br />
werden. Andererseits hatten viele ihrer<br />
Soldaten in der Wehrmacht gedient.<br />
Und es herrschte, wie in manchen<br />
Kreisen heute noch, die Meinung<br />
von einer »sauberen« Wehrmacht vor.<br />
Vor diesem Hintergrund war es keineswegs<br />
überraschend, dass man sich<br />
zunächst offiziell kaum von der Wehrmacht<br />
distanzierte.<br />
Loretana de Libero beschreibt und<br />
analysiert den allmählichen Wandel<br />
des Traditionsverständnisses in Militär<br />
und Gesellschaft und die damit verbundenen<br />
Auseinandersetzungen. Sie<br />
beschränkt sich nicht nur auf die Zeit<br />
der Transformation, wie der Titel des<br />
Buches suggeriert. Ihr gelingt es, die<br />
grundsätzlichen Probleme aufzeigen,<br />
welche die Bundeswehr mit ihrer Tradition<br />
hatte und mitunter noch immer<br />
hat. Außerdem gibt sie einen aktuellen<br />
Überblick der Namensträger von Kasernen<br />
und militärischen Verbänden<br />
und unterbreitet Vorschläge für die<br />
Auswahl von weiteren Persönlichkeiten,<br />
die als Vorbilder für die Soldaten<br />
und Soldatinnen der Bundeswehr dienen<br />
könnten. Angesichts der Auslandseinsätze<br />
warnt die Autorin aber auch<br />
vor dem Versuch, für die Soldaten der<br />
Bundeswehr »Wehrmachtkämpfer« als<br />
Loretana de Libero,<br />
Tradition in Zeiten der<br />
Transformation:<br />
Zum Traditionsverständnis<br />
der Bundeswehr im frühen<br />
21. Jahrhundert,<br />
Paderborn u.a:<br />
Ferdinand Schöningh 2006.<br />
ISBN 978-3-506-76315-0;<br />
237 S., 19,90 €<br />
Vorbilder zu reaktivieren. Ein umfangreicher<br />
Anhang mit ausgewählten<br />
Dokumenten und Literaturhinweisen<br />
zum Thema rundet das lesenswerte<br />
Buch ab.<br />
Aleksandar-S. Vuletić<br />
Uniformen und Abzeichen<br />
Einem wenig beachteten Kapitel<br />
deutscher Militärgeschichte widmet<br />
sich der von Walter Kunstwadl<br />
verfasste Text- und Bildband über die<br />
Geschichte der Bundeswehr im Spiegel<br />
ihrer Uniformen und Abzeichen. Von<br />
der Uniform der ersten Stunde bis zum<br />
Multifunktionshelm des Rüstungsprojektes<br />
»Infanterist der Zukunft« wird<br />
Walter Kunstwadl,<br />
Von der Affenjacke zum<br />
Tropenanzug. <strong>Die</strong> Geschichte<br />
der Bundeswehr im Spiegel<br />
ihrer Uniformen und Abzeichen,<br />
Bonn 2006.<br />
ISBN 978-: 3-932385-24-7;<br />
232 S., 36,00 €<br />
der Leser in drei großen Abschnitten<br />
über Uniformen, Abzeichen und Kopfbedeckungen<br />
in den Wandel und die<br />
Entwicklung des Erscheinungsbildes<br />
des bundesrepublikanischen Soldaten<br />
eingeführt. Dem Autor gelingt es, ein<br />
lebendiges Bild von den Uniformen<br />
und ihren Trägern zu entwerfen, so<br />
dass dieses Buch weit mehr bietet als<br />
nur ein historisches Referat über die<br />
Anzugsordnung des Soldaten. Man<br />
hat das Gefühl, der Autor plaudert<br />
aus dem Nähkästchen, wenn er die<br />
mitunter heftigen Auseinandersetzungen<br />
zwischen »Gefechtsformaldienst-<br />
Jüngern« und den »Ausrüstungsfetischisten«<br />
ins Visier nimmt oder in<br />
farbig unterlegten Kästen Zeitzeugenberichte<br />
und Anekdoten beifügt. <strong>Die</strong>ses<br />
Buch kann als ein Standardwerk<br />
<strong>zur</strong> Uniformierung der Bundeswehr<br />
dienen, das neben der Darstellung der<br />
gängigen Bekleidungsstücke und Abzeichen<br />
auch einige uniformkundliche<br />
Kuriositäten bereit hält und dabei die<br />
politischen wie gesellschaftlichen Aspekte<br />
nie aus dem Auge verliert.<br />
mn<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
27
� Appen<br />
Service<br />
Deutsche jüdische Soldaten<br />
Unteroffizierschule der<br />
Luftwaffe<br />
Marseille-Kaserne<br />
Hauptstr. 141<br />
25482 Appen<br />
Telefon: 0 41 22 / 9 86 23 35<br />
Telefax: 0 41 22 / 9 86 23 38<br />
e-Mail:<br />
PaulReschka@bundeswehr.org<br />
Besichtigung nur nach<br />
Absprache mit Feldwebel<br />
Paul Reschka<br />
5. März bis 31. August 2007<br />
� Berlin<br />
50 Jahre Luftwaffe<br />
der Bundeswehr.<br />
1956–2006<br />
Luftwaffenmuseum<br />
der Bundeswehr<br />
Kladower Damm 182<br />
14089 Berlin-Gatow<br />
Telefon: 0 30 / 36 87 26 01<br />
Telefax: 0 30 / 36 87 26 10<br />
e-Mail:<br />
LwMuseumBwEingang@<br />
Bundeswehr.org<br />
Internet:<br />
www.Luftwaffenmuseum.com<br />
15. September 2006 bis<br />
31. August 2007<br />
<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />
9.00 bis 17.00 Uhr<br />
(letzter Einlass 16.30 Uhr)<br />
Eintritt frei<br />
Verkehrsanbindung: Eintritt<br />
zum Museum: Ritterfelddamm/Am<br />
Flugfeld Gatow.<br />
Sonderausstellung <strong>zur</strong><br />
Geschichte der deutschen<br />
Verkehrsflugzeuge<br />
Luftwaffenmuseum der<br />
Bundeswehr<br />
(siehe oben)<br />
24. Mai bis 23. Sept. 2007<br />
<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />
9.00 bis 17.00 Uhr<br />
(letzter Einlass 16.30 Uhr)<br />
Eintritt frei<br />
Kunst und Propaganda<br />
im Streit der Nationen<br />
1930–1945<br />
Deutsches Historisches<br />
Museum, PEI-Bau<br />
Ausstellungen<br />
Hinter dem Gießhaus 3<br />
10117 Berlin<br />
Telefon: 0 30 / 20 30 40<br />
Telefax: 0 30 / 20 30 45 43<br />
Internet: www.dhm.de<br />
bis 29. April 2007<br />
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />
Verkehrsanbindung:<br />
S-Bahn: Stationen<br />
»Hackescher Markt« und<br />
»Friedrichstraße«; U-Bahn:<br />
Stationen »Französische<br />
Straße«, »Hausvogteiplatz«<br />
und »Friedrichstraße«;<br />
Bus 100, 157, 200 und 348,<br />
Haltestellen: »Staatsoper»<br />
oder »Lustgarten«.<br />
� Brandenburg<br />
Preußische Garnisonen in<br />
Brandenburg<br />
Brandenburg-Preußen-<br />
Museum<br />
Eichenallee 7A<br />
16818 Wustrau<br />
Telefon: 03 39 25 / 7 07 98<br />
Telefax: 03 39 25 / 7 07 99<br />
e-Mail:<br />
wustrau@brandenburgpreussen-museum.de<br />
Internet: www.brandenburgpreussen-museum.de<br />
24. Februar bis<br />
30. September 2007<br />
April bis Oktober:<br />
<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />
10.00 bis 18.00 Uhr<br />
November bis März:<br />
<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />
10.00 bis 16.00 Uhr<br />
Eintritt: 2,50 Euro<br />
Verkehrsanbindung:<br />
Pkw: Eine Anfahrtskizze gibt<br />
es unter http://www.wustrau.<br />
28 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
de/anfahrt.htm. Bahn: Von<br />
Berlin Hennigsdorf mit dem<br />
RE 38656 (Abfahrtszeiten<br />
unter http://bahn.hafas.de/bin/<br />
query.exe/dn) nach Wustrau-<br />
Radensleben. Von dort aus mit<br />
dem Bus L 766 nach Wustrau.<br />
� Ingolstadt<br />
Garnison Ingolstadt.<br />
Gemeinsame Ausstellung<br />
mit Stadtmuseum und<br />
Stadtarchiv anlässlich<br />
des Stadtjubiläums.<br />
Bayerisches Armeemuseum<br />
Ingolstadt, Reduit Tilly<br />
Neues Schloss,<br />
Paradeplatz 4<br />
85049 Ingolstadt<br />
verlängert bis<br />
23. September 2007<br />
Telefon: 08 41 / 9 37 70<br />
Telefax: 08 41 / 9 37 72 00<br />
e-Mail:<br />
sekretariat@bayerischesarmeemuseum.de<br />
<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />
8.45 bis 17.00 Uhr<br />
Sonderausstellungen:<br />
<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />
8.45 bis 12.00 Uhr und<br />
13.00 bis 17.00 Uhr<br />
Eintritt 3,50 Euro<br />
(Normalpreis)<br />
Verkehrsanbindung:<br />
Das Neue Schloss liegt sehr<br />
zentral, es ist vom Reduit<br />
Tilly nur durch die Donau<br />
getrennt. Besucher, die alle<br />
Abteilungen sehen möchten,<br />
sollten im Neuen Schloss<br />
beginnen. Von dort ist das<br />
Reduit Tilly über den<br />
Donausteg in wenigen<br />
Minuten zu erreichen.<br />
Autobahn: zum Besuch des<br />
Neuen Schlosses die Autobahn<br />
bei »Ingolstadt Nord« und<br />
von Reduit Tilly bei<br />
»Ingolstadt Süd« verlassen.<br />
Ganz gleich, ob auf der<br />
Autobahn oder auf der B13<br />
oder B16 angereist wird, sollte<br />
zunächst der Weg Richtung<br />
Stadtmitte eingeschlagen<br />
werden. Man stößt dann auf<br />
große Tafeln, welche über das<br />
Ingolstädter Parkleitsystem<br />
informieren. Vom Hauptbahn-<br />
hof sollte für beide Ausstellungsgebäude<br />
ein Bus Richtung<br />
Rathausplatz gewählt<br />
werden bis »Brückenkopf«<br />
(Reduit Tilly) und »Rathausplatz/Paradeplatz«<br />
(Neues<br />
Schloss). Bahn:<br />
Falls der Zug am Bahnhof<br />
»Ingolstadt Nord« hält, ist das<br />
Neue Schloss von dort aus in<br />
ca. 10 Minuten zu erreichen.<br />
� Innsbruck<br />
Weltkrieg 1914–1918.<br />
Vom Isonzo <strong>zur</strong> Piave<br />
Kaiserjägermuseum<br />
Innsbruck<br />
Tiroler Kaiserjägermuseum<br />
& Andreas-Hofer-Galerie<br />
Bergisel 1<br />
6020 Innsbruck<br />
Österreich<br />
Telefon: +00 43 / 5 12 58 23 12<br />
Telefax: +00 43 / 5 12 58 86 75<br />
e-Mail:<br />
info@kaiserjaegermuseum.org<br />
Internet: www.kaiserjaegermuseum.org<br />
1. April bis 31. Oktober 2007<br />
täglich 9.00 bis 17.00 Uhr<br />
Eintritt: 3,50 Euro<br />
ermäßigt: ab 2,00 Euro<br />
Verkehrsanbindung:<br />
Einen Lageplan gibt es unter<br />
www.kaiserjägermuseum.org,<br />
dann »Kaiserjägermuseum«,<br />
dann »Lageplan«.<br />
Straßenbahn: Linie 1 bis<br />
Endstation »Bergisel«.
� Koblenz<br />
<strong>Die</strong> Maschinenpistole.<br />
Entwicklung und<br />
Geschichte einer Waffe<br />
unter besonderer Berücksichtigung<br />
der MP2-UZI<br />
Wehrtechnische<br />
Studiensammlung<br />
Mayener Straße 85-87<br />
56070 Koblenz<br />
Telefon: 02 61 / 4 00 14 23<br />
Telefax: 02 61 / 4 00 14 24<br />
e-Mail: WTS@bwb.org<br />
Internet: www.bwb.org/wts<br />
24. August 2006 bis<br />
9. September 2007<br />
täglich 9.30 bis 16.30 Uhr<br />
Eintritt: 1,50 Euro<br />
(für Soldaten und<br />
Bw-Verwaltung frei)<br />
Verkehrsanbindung:<br />
Pkw: Eine Anfahrtsskizze<br />
gibt es unter http://www.bwb.<br />
org/01DB022000000001/<br />
CurrentBaseLink/<br />
W26EJCH3034INFODE;<br />
Bahn/Bus: Ab Bahnhof<br />
Koblenz (Busbahnhof gegenüber)<br />
Linien 5 oder 15 bis<br />
»Langemarckplatz«.<br />
� Königstein<br />
Radschlosswaffen aus der<br />
Rüstkammer Emden<br />
Festung Königstein gGmbH<br />
01824 Königstein<br />
Telefon: 03 50 21 / 6 46 07<br />
Telefax: 03 50 21 / 6 46 09<br />
e-Mail:<br />
info@festung-koenigstein.de<br />
Internet:<br />
www.festung-koenigstein.de<br />
10. Februar 2007 bis<br />
1. Januar 2008<br />
Oktober bis März:<br />
täglich 9.00 bis 17.00 Uhr<br />
April bis September:<br />
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />
Eintritt: 5,00 Euro<br />
ermäßigt: ab 2,00 Euro<br />
Verkehrsanbindung:<br />
Pkw: A 17 Dresden – Prag<br />
(Abfahrt Pirna), weiter auf B<br />
172 Dresden – Bad Schandau;<br />
S-Bahn: Linie 241.1: Dresden<br />
– Königstein – Schöna; Bus:<br />
Linie 241: Pirna – Königstein,<br />
Haltestelle »Abzweig Festung«.<br />
� Minden<br />
Napoleon. Trikolore und<br />
Kaiseradler über Rhein<br />
und Weser<br />
Preußen-Museum NRW<br />
Simeonsplatz 12<br />
32427 Minden<br />
Telefon: 0571 / 83 72 80<br />
Telefax: 0571 / 8 37 28 30<br />
e-Mail:<br />
minden@preussenmuseum.de<br />
Internet:<br />
www.preussenmuseum.de/<br />
minden.htm<br />
6. Mai bis 1. Juli 2007<br />
<strong>Die</strong>nstag bis Donnerstag<br />
und Sonnabend bis Sonntag<br />
11.00 bis 17.00 Uhr<br />
Eintritt: 4,50 Euro<br />
ermäßigt: ab 2,25 Euro<br />
Verkehrsanbindung:<br />
Einen Lageplan gibt es auf der<br />
Internetseite unter »Lageplan«.<br />
� Moers<br />
Lili Marleen –<br />
Ein Schlager macht<br />
Geschichte<br />
Grafschafter Museum<br />
Kastell 9<br />
47441 Moers<br />
Telefon: 0 28 41 / 2 80 94<br />
Telefax: 0 28 41 / 28<br />
e-Mail: grafschaftermuseum@moers.de<br />
Internet: www.grafschaftermuseum.de<br />
11. März bis<br />
10. Juni 2007<br />
<strong>Die</strong>nstag bis Freitag<br />
9.00 bis 18.00 Uhr<br />
Samstag, Sonn- und<br />
Feiertag<br />
11.00 bis 18.00 Uhr<br />
Eintritt: 2,00 Euro<br />
ermäßigt: 0,50 Euro<br />
� Lüdenscheid<br />
Schützen-Welten. Bewegte<br />
Tradition im Sauerland<br />
Museen der Stadt<br />
Lüdenscheid<br />
Sauerfelder Straße 14–20<br />
58511 Lüdenscheid<br />
Telefon: 0 23 51 / 17 14 96<br />
und 17 14 86<br />
Telefax: 0 23 51 / 17 17 09<br />
e-Mail:<br />
museen@luedenscheid.de<br />
Internet:<br />
www.schuetzenweltenluedenscheid.de,<br />
www.museum-luedenscheid.de<br />
bis 20. Mai 2007<br />
<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />
11.00 bis 18.00 Uhr<br />
Einzeleintritt: 3,00 Euro<br />
ermäßigt: 1,50 Euro<br />
Familienkarte: 6,00 Euro<br />
(Eltern mit Kindern bis zu<br />
16 Jahren)<br />
� Rastatt<br />
Désastres de la Guerra.<br />
Von Francisco de Goya<br />
Wehrgeschichtliches<br />
Museum Rastatt<br />
Schloß Rastatt<br />
Herrenstraße 18<br />
76437 Rastatt<br />
Telefon: 0 72 22 / 3 42 44<br />
Telefax: 0 72 22 / 3 07 12<br />
e-Mail:<br />
information@wgm-rastatt.de<br />
Internet:<br />
www.wgm-rastatt.de<br />
12. Mai bis 5. August 2007<br />
<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />
10.00 bis 17.00 Uhr<br />
Eintritt: 5,00 Euro<br />
ermäßigt: 3,00 Euro<br />
� Röthenbach/Pegnitz<br />
Heeres-Munitionsanstalt<br />
Feucht<br />
Museum für historische<br />
Wehrtechnik e.V.<br />
Heinrich-<strong>Die</strong>hl-Straße<br />
90552 Röthenbach/Pegnitz<br />
Telefon: 0 91 58 / 92 88 51<br />
e-Mail:<br />
info@wehrtechnikmuseum.de<br />
Internet:<br />
www.wehrtechnikmuseum.de<br />
bis Anfang Juni 2007<br />
jeden 1. und 2. Sonnabend<br />
im Monat 14.00 bis 17.00 Uhr<br />
und nach Absprache<br />
Eintritt: 4,00 Euro<br />
(Kinder unter 12 Jahren frei)<br />
Verkehrsanbindung:<br />
Pkw: Autobahnausfahrt<br />
»Mögeldorf/Schwaig/Röthenbach«<br />
(letzte Ausfahrt vor<br />
dem Autobahnkreuz Nürnberg<br />
aus Richtung Frankfurt),<br />
nach etwa 2 km, noch vor dem<br />
Ortsschild Röthenbach/<br />
Pegnitz, rechts abbiegen Richtung<br />
Firma DIEHL-METALL,<br />
nach der Unterführung links<br />
zum Museumsgelände;<br />
S-Bahn: Linie S1 ab Hauptbahnhof<br />
Nürnberg bis Bahnhof<br />
»Röthenbach«, dann zu Fuß<br />
ca. 500 m Richtung Schwaig.<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
29
pa / Ludwig Wegmann<br />
Service<br />
Militärgeschichte kompakt<br />
16. Februar 1957 Aufstellung des Wachbataillons beim<br />
Bundesminister der Verteidigung<br />
� Fahnenübergabe am<br />
7. Januar 1965 an das<br />
Wachbataillon durch<br />
Bundespräsident<br />
Heinrich Lübke.<br />
Mit dem Aufstellungsbefehl Nr. 40 erging am 16. Februar<br />
1957 die Weisung zum Aufbau des »Wachbataillons<br />
beim Bundesminister für Verteidigung«. Im Verteidigungsfall<br />
hatte dieser Verband einen Sonderwachdienst<br />
im Bereich des Bundesverteidigungsministeriums zu<br />
leisten, tatsächlich nahm er den protokollarischen Ehrendienst<br />
für die Bundesrepublik Deutschland in Friedenszeiten<br />
wahr.<br />
<strong>Die</strong> junge Bundeswehr sollte sich im Inneren, aber<br />
auch äußerlich von der Wehrmacht unterscheiden. Folglich<br />
stellte die Aufstellung eines militärischen Verbandes<br />
für ausschließlich protokollarische Aufgaben keine<br />
Selbstverständlichkeit dar. Zeitgenossen äußerten sich<br />
deshalb kritisch in Hinblick auf rein protokollarische<br />
und militärische Zeremonielle. <strong>Die</strong> Bundesregierung<br />
<strong>muss</strong>te für repräsentative Zwecke bis <strong>zur</strong> Gründung der<br />
Bundeswehr zunächst jedoch ohnehin auf eine Ehrenkompanie des Bundesgrenzschutzes<br />
<strong>zur</strong>ückgreifen.<br />
Gleichwohl fiel noch im Januar 1956, unmittelbar nach der Gründung der Bundeswehr,<br />
der protokollarische Ehrendienst gemäß internationalen Gepflogenheiten<br />
dem Militär zu. Zunächst versahen Soldaten der Andernacher Lehrkompanie diese<br />
Aufgabe. Seinen ersten protokollarischen Einsatz absolvierte das Wachbataillon<br />
schließlich am 8. Mai 1957 anlässlich des Staatsbesuchs des britischen Premierministers<br />
Harold Macmillan. Zunächst bestand das Bataillon aus zwei Heereskompanien.<br />
Um dem internationalen Protokoll Rechnung tragen zu können, wurde es<br />
1959 und 1973 um eine Marine- bzw. eine Luftwaffeneinheit erweitert.<br />
Das Wachbataillon ist der einzige Verband der Bundeswehr, in dem Einheiten aller<br />
Teilstreitkräfte vertreten sind. Am 7. Januar 1965 wurde ihm als erstem Bataillon<br />
der Bundeswehr durch Bundespräsident Heinrich Lübke in Bonn eine Truppenfahne<br />
verliehen. Thorsten Loch<br />
2. April 1957 Hans Speidel wird Oberbefehlshaber der<br />
NATO-Landstreitkräfte Mitteleuropa<br />
Am 2. April 1957 übernahm im französischen Fontainebleau mit Generalleutnant<br />
Hans Speidel der erste Bundeswehrgeneral ein höheres NATO-Kommando. Als<br />
COMLANDCENT (Commander Allied Land Forces Central Europe) unterstanden<br />
ihm alle französischen, amerikanischen, britischen, belgischen und niederländischen<br />
Divisionen zwischen der Schweizer Grenze und Dänemark. Das spiegelte die<br />
Bedeutung der Bundesrepublik als gleichberechtigtes NATO-Mitglied wider: Sie<br />
sollte künftig einen wichtigen konventionellen Verteidigungsbeitrag für das Bündnis<br />
leisten; freilich waren Speidel bei seiner Amtsübernahme kaum nennenswerte<br />
(west-)deutsche Heeresverbände unterstellt, da sich die Bundeswehr noch in der<br />
Aufbauphase befand.<br />
Der 1897 geborene Schwabe hatte zunächst im württembergischen Heer, dann als<br />
Generalstabsoffizier in Reichswehr und Wehrmacht gedient. Im Zweiten Weltkrieg<br />
war er zuletzt als Chef des Stabes der Heeresgruppe B in Paris eingesetzt. Seine<br />
Nähe zum militärischen Widerstand brachte ihn um die Jahreswende 1944/45 in<br />
Gestapo-Haft.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Speidel treibende Kraft in jenen Kreisen, die<br />
Vorüberlegungen für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag anstellten. Von<br />
1951 bis 1954 nahm er als militärischer Chefdelegierter an den Verhandlungen zum<br />
deutschen Beitrag für eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft teil.<br />
In Speidels Zeit als COMLANDCENT erfolgte der Aufbau der Bundeswehr, aber<br />
auch die Entscheidung der westlichen Verbündeten, die Verteidigung Westeuropas<br />
bereits an der innerdeutschen Grenze statt am Rhein aufzunehmen. <strong>Die</strong> Gegnerschaft<br />
von Charles de Gaulle zu Speidel führte am 29. August 1963 zu dessen Ablösung<br />
als COMLANDCENT. Martin Rink<br />
30 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
Heft 2/2007<br />
Militärgeschichte<br />
Zeitschrift für historische Bildung<br />
� Vorschau<br />
Das Heft 2 der Militärgeschichte steht im Zeichen<br />
eines zweifachen Jubiläums: Im Jahre 1957 wurde<br />
das Militärgeschichtliche Forschungsamt (<strong>MGFA</strong>),<br />
heute mit Sitz in Potsdam, gegründet. Es ist die<br />
größte außeruniversitäre historische Forschungseinrichtung<br />
des Bundes und Kompetenzpartner<br />
für die Bundeswehr in Sachen Militärgeschichte.<br />
Außerdem besteht eine enge Kooperation zwischen<br />
dem <strong>MGFA</strong> und dem Lehrstuhl für Militärgeschichte<br />
an der Universität Potsdam. Im<br />
Rahmen des ab Wintersemester 2007/08 in Potsdam<br />
angebotenen Masterstudienganges »Military<br />
Studies« werden auch Wissenschaftler des <strong>MGFA</strong><br />
Lehrveranstaltungen für die Studierenden anbieten.<br />
� Villa Ingenheim in Potsdam,<br />
Sitz des <strong>MGFA</strong> seit 1994.<br />
<strong>Die</strong>sem runden Geburtstag sind zwei Großbeiträge<br />
gewidmet. Zum einen wird die Geschichte<br />
des <strong>MGFA</strong>, in der sich auch die Entwicklung<br />
der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945<br />
widerspiegelt, in ihren Grundzügen vorgestellt.<br />
Fragestellungen, Methoden und Zugang <strong>zur</strong> Militärgeschichte<br />
haben sich in diesen 50 Jahren zum<br />
Teil stark verändert. Neben der Grundlagenforschung<br />
ist das zweite Standbein des <strong>MGFA</strong> die<br />
Historische Bildung für Angehörige der Bundeswehr.<br />
Ein wichtiges Medium hierfür ist die Zeitschrift<br />
Militärgeschichte. Der Leiter der Abteilung<br />
»Ausbildung Information Fachstudien« und Mitherausgeber<br />
unserer Zeitschrift, Hans-Hubertus<br />
Mack, wird die Entwicklung der Historischen<br />
Bildung in der Bundeswehr aufzeigen.<br />
Im September 1982, also vor 25 Jahren, wurden<br />
die »Richtlinien zum Traditionsverständnis und<br />
<strong>zur</strong> Traditionspflege in der Bundeswehr« in Kraft<br />
gesetzt. Sie sind bis heute gültig. Loretana de<br />
Libero und Harald Potempa beleuchten die geschichtliche<br />
Entwicklung von Bundeswehr und<br />
Tradition bis in die unmittelbare Gegenwart.<br />
Marcus v. Salisch schließlich wird anhand des<br />
Fallbeispieles der Sächsischen Armee im Siebenjährigen<br />
Krieg das grundsätzliche Problem von<br />
Motivation und Desertion für die Stehenden Armeen<br />
des 18. Jahrhunderts sowie deren Ursachen<br />
untersuchen. hp<br />
<strong>MGFA</strong> / Tessmer
Operation Libelle:<br />
Erst allmählich, gegen politische<br />
und verfassungsrechtliche Bedenken,<br />
hatte sich der seit 1995<br />
laufende Bundeswehreinsatz auf dem<br />
Balkan von der Sanitäts- und Logistikunterstützung<br />
zum unmittelbaren<br />
Stabilisierungsauftrag erweitert. Am<br />
13. März 1997 erwuchs hieraus jedoch<br />
über Nacht ein Auftrag von rein nationaler<br />
Dimension: Es galt deutsche<br />
Staatsbürger zu evakuieren. Der Grund<br />
war der Zusammenbruch der öffentlichen<br />
Ordnung in Albanien. Tausende<br />
von Albanern waren in spekulativen<br />
Pyramidenspielen um ihre Ersparnisse<br />
gebracht worden, was zum sogenannten<br />
Lotterieaufstand führte. In diesem<br />
Zusammenhang wurde der erste nachkommunistische<br />
Regierungschef Sali<br />
Ram Berisha gestürzt. Waffen- und<br />
Munitionslager von Armee und Polizei<br />
wurden aufgebrochen, so dass sich<br />
Waffen aller Art im Umlauf befanden.<br />
<strong>Die</strong> Unruhen eskalierten, und am 11.<br />
März forderte das Auswärtige Amt die<br />
deutschen Staatsbürger auf, das Land<br />
zu verlassen. Doch schon am Folgetag<br />
wurde deutlich, dass alle geordneten<br />
Ausreisemöglichkeiten ausschieden.<br />
Am Abend des 13. März 1997 traf Bundeskanzler<br />
Helmut Kohl nach Rücksprache<br />
mit den Fraktionschefs der<br />
Parteien die Entscheidung <strong>zur</strong> Evakuierung<br />
der in Tirana Festsitzenden.<br />
Militärgeschichte im Bild<br />
<strong>Die</strong> Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Albanien am 14. März 1997<br />
Am 14. März 1997 erfolgte mit der »Operation Libelle« der erste »Kampf einsatz« der Bundeswehr seit 1945. Seit<br />
Januar 1997 befand sich ein Kontingent deutscher Soldaten als Teil der internationalen Truppen der SFOR (Stabilization<br />
Force) in Railovac (Kroatien).<br />
Für das Zusammenstellen<br />
von Personal und Material<br />
sowie für die logistischen<br />
Vorbereitungen verblieb im<br />
deutschen Feldlager Railovac<br />
lediglich die Nacht. Am<br />
Morgen des 14. März um 7:30<br />
Uhr starteten sechs mittlere<br />
Transporthubschrauber CH<br />
53 nach Dubrovnik. <strong>Die</strong> 89<br />
deutschen Soldaten bestanden aus<br />
einer Führungsgruppe, einem Sicherungszug,<br />
technischem Unterstützungspersonal<br />
und einem Dutzend<br />
Sanitätsoffizieren und -unteroffizieren.<br />
Kommandoführer war der damalige<br />
Oberst und Chef des Stabes<br />
beim deutschen Kontingent, Henning<br />
Glawatz. Von Dubrovnik flogen die<br />
deut schen Maschinen weiter nach<br />
Podgorica in Montenegro. Dort war angesichts<br />
der politischen Situation eine<br />
Unterstützung für deutsche Soldaten<br />
keineswegs mit Selbstverständlichkeit<br />
zu erwarten. Hier wurde das Auftanken<br />
erheblich durch das mitgeführte<br />
Bargeld beschleunigt; es verlief freilich<br />
nicht ohne technische Schwierigkeiten.<br />
Gegen drei Uhr nachmittags flogen<br />
die Hubschrauber nach Tirana weiter.<br />
Noch während dieses Fluges war die<br />
Entscheidung zu treffen, die Operation<br />
fortzuführen oder abzubrechen; denn<br />
zwischenzeitlich trafen Berichte ein,<br />
dass US-Flugzeuge beschossen wurden<br />
und diese ihre Evakuierungsoperationen<br />
abbrachen. In der Tat wurde<br />
der Hubschrauber der deutschen Führungsgruppe<br />
beim steilen Landeanflug<br />
durch ein Panzerfaustgeschoss<br />
getroffen, er blieb jedoch intakt. Da<br />
der geplante Landeplatz bei der US-<br />
Botschaft aufgrund der Lageentwicklung<br />
nicht mehr anzufliegen war, hatte<br />
AP<br />
� Bundeswehrsoldaten auf dem Militärflugplatz in Tirana,<br />
14. März 1997.<br />
kurz vor dem Abflug ein albanischer<br />
Militärflugplatz als Aufnahmepunkt<br />
der zu Evakuierenden gewählt werden<br />
müssen. Hier landeten ab 15:40 Uhr<br />
fünf CH 53, während der Großraumsanitätshubschrauber<br />
für Eventualitäten<br />
in der Luft blieb.<br />
Das Verlassen der Maschinen wurde<br />
begleitet von Gewehrfeuer irregulärer<br />
Kräfte. Entsprechend griffen die luftgelandeten<br />
Sicherungssoldaten zu gezieltem<br />
Gegenfeuer, wobei zwei ge panzerte<br />
Radfahrzeuge, die sich feuernd<br />
und in schneller Zufahrt näherten, getroffen<br />
und zum Abdrehen gezwungen<br />
wurden. In der folgenden halben<br />
Stunde wurden die zu evakuierenden<br />
Personen in die Hubschrauber aufgenommen.<br />
Allerdings <strong>muss</strong>ten diese<br />
zuerst von 300 bis 400 Albanern<br />
getrennt werden, die ebenfalls die<br />
Stadt verlassen wollten. Um 16:09 Uhr<br />
verließ der letzte Hubschrauber Tirana<br />
mit dem Zwischenziel Podgorica.<br />
Insgesamt wurden 98 Evakuierte aus<br />
22 Nationen aus Tirana evakuiert, darunter<br />
21 Deutsche. Sie verließen gegen<br />
sechs Uhr abends in drei deutschen<br />
Transall-Maschinen Montenegro in<br />
Richtung Köln/Bonn. Einige Albaner,<br />
denen es gelungen war, ebenfalls in<br />
die Hubschrauber zu gelangen, wurden<br />
von Podgorica aus wieder auf<br />
dem Landweg <strong>zur</strong>ückgeschickt.<br />
<strong>Die</strong> Soldaten des Einsatzkommandos<br />
kehrten nach Railovac <strong>zur</strong>ück, wo<br />
sie der SFOR wieder rückunterstellt<br />
wurden. Somit war die Operation binnen<br />
20 Stunden abgeschlossen. <strong>Die</strong><br />
Bild-Zeitung jubelte auf der Titelseite<br />
von »Helden« – eine Wahrnehmung,<br />
die einige Jahre zuvor wenig wahrscheinlich<br />
gewesen wäre.<br />
Martin Rink<br />
Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 1/2007<br />
31
NEUE PUBLIKATIONEN DES <strong>MGFA</strong><br />
Grundkurs deutsche Militärgeschichte. Das Zeitalter der Weltkriege 1914 bis 1945:<br />
Völker in Waffen. Mit Beiträgen von Ernst Willi Hansen und Karl-Volker Neugebauer sowie<br />
Gerhard P. Groß, Harald Potempa und Werner Rahn, München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag<br />
2007, XIV, 449 S. (= Grundkurs deutsche Militärgeschichte. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen<br />
Forschungsamtes hrsg. von Karl-Volker Neugebauer, 2), 16,80 Euro,<br />
ISBN 978-3-486-58099-0<br />
Karl Feldmeyer und Georg Meyer, Johann Adolf Graf von Kielmansegg 1906–2006.<br />
Deutscher Patriot - Europäer - Atlantiker. Mit einer Bild- und Dokumentenauswahl von<br />
Helmut R. Hammerich. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Hamburg, Berlin,<br />
Bonn: Verlag E.S. Mittler & Sohn 2007, 246 S., 19,90 Euro,<br />
ISBN 978-3-8132-0876-4<br />
Jürgen Förster, <strong>Die</strong> Wehrmacht im NS-Staat. Eine strukturgeschichtliche Analyse,<br />
München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2007, VIII, 223 S.<br />
(= Beiträge <strong>zur</strong> Militärgeschichte. Militärgeschichte kompakt, 2), 19,90 Euro,<br />
ISBN 978-3-486-58098-3<br />
Wegweiser <strong>zur</strong> Geschichte: Bosnien-Herzegowina.<br />
Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Agilolf Keßelring,<br />
2., durchges. und erw. Aufl., Paderborn: Ferdinand Schöningh 2007,<br />
(= Wegweiser <strong>zur</strong> Geschichte, 1), 216 S., 12,90 Euro,<br />
ISBN 978-3-506-76428-7<br />
Militärische Reformer in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert.<br />
Mit Beiträgen von Walter Mühlhausen, Frank Nägler, Michael Sikora und <strong>Die</strong>rk Walter.<br />
Im Auftrag der Deutschen Kommission für Militärgeschichte und des Militärgeschichtlichen<br />
Forschungsamtes hrsg. von Hans Ehlert und Michael Epkenhans, Potsdam: Militärgeschichtliches<br />
Forschungsamt 2007 (= Potsdamer Schriften <strong>zur</strong> Militärgeschichte, 2), 80 S.,<br />
ISBN 978-3-9808882-3-3<br />
(zu beziehen über das Militärgeschichtliche Forschungsamt für eine Schutzgebühr von 5 Euro incl. Porto)