Rheinische Hebammengeschichte im Kontext
Rheinische Hebammengeschichte im Kontext
Rheinische Hebammengeschichte im Kontext
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
208<br />
Ralf Forsbach<br />
nur das vage Resümee erlauben, dass neben der skizzierten Hauptströmung<br />
der Ablehnung von Hebammen-Tätigkeit es schon während des Kaiserreichs<br />
<strong>im</strong>mer wieder St<strong>im</strong>men gab, den Orden größere Handlungsmöglichkeiten<br />
zu eröffnen, auch in Ordens- und Bischofskreisen.<br />
Während man sich in vielen der Orden gegen Ansinnen wie denen zur<br />
Ausweitung der Tätigkeit oder auch nur zur Bereitstellung von Informationen<br />
verwahrte, war in anderen katholischen Milieus eine liberalere Debattenkultur<br />
längst üblich geworden. 31 Katholische Studenten und Akademiker<br />
übernahmen nach der Jahrhundertwende „die Fin de Siècle-Debatten<br />
über Sexualität“. 32 Sie sprachen nicht mehr scheu von Moral und<br />
Sitte, sondern befassten sich nun mit einem „niederen Triebe“ wie dem<br />
Sexualtrieb, der zum „Sichverzehren in geschlechtlichen Vorstellungen und<br />
Begehrungen“ führen könne. 33 Zwar schwang die moralische Wertung nicht<br />
nur <strong>im</strong> Subtext mit. Neu aber war eine pr<strong>im</strong>är in der Medizin zu verortende<br />
Argumentation, wenn über Nervenschäden – als Folge von Masturbation –<br />
und Geschlechtskrankheiten – als Folge von vorehelichem Geschlechtsverkehr<br />
– die Rede war. 34 Gleichwohl wurde die Geschlechtertrennung auch<br />
in der nachwachsenden akademischen Generation sozial engagierter<br />
Katholiken und Katholikinnen praktiziert: Studenten engagierten sich in den<br />
Vinzenzkonferenzen, die wachsende Zahl katholischer Studentinnen (1911<br />
um 330; 1913 um 700) in den Elisabethvereinen. 35<br />
_________________________<br />
31 Hier wird bewusst <strong>im</strong> Plural von „Milieus“ gesprochen. Die höchst unterschiedlichen<br />
Lebenswelten katholischer Studenten und Bildungsbürger einerseits und die von Ordensschwestern<br />
andererseits erlauben kaum, den sozial determinierten Milieubegriff <strong>im</strong> Singular<br />
anzuwenden. Vgl. ausführlich unter Bezugnahme auf Dieter Langewiesche Dowe 2006, 15ff.,<br />
wo es heißt (16): „Alle in der Geschichtswissenschaft verwendeten Milieuansätze betonen die<br />
Grenzen gegenüber anderen Milieus und laufen damit Gefahr, schon vom Ansatz her ihren<br />
Untersuchungsgegenstand (sehr weitgehend) aus der sich wandelnden Gesellschaft<br />
herauszulösen.“ Vgl. aus dem den Milieubegriff vielfach als hilfreich ansehenden Schwerter<br />
Arbeitskreis Katholizismusforschung u.a. Christoph Kösters/Antonius Liedhegener 2001;<br />
Loth 2001.<br />
32 Dowe, Bildungsbürger, 112.<br />
33 So in den (katholischen) Akademischen Monatsblättern 1906 zit. n. Dowe 2006, 112.<br />
34 Vgl. Dowe 2006, 112f.<br />
35 Vgl. Dowe 2006, 145, 307.