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Lohrer_08-2023

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Bildquelle: Bol.de<br />

TIPPS<br />

Dota<br />

Dota trifft den Nerv ihrer Zeit<br />

oder gleich mehrere mit ihrer<br />

Musik, die hüpft und tanzt, innehält,<br />

vom Baggersee-Steg<br />

springt, schwimmt und taucht.<br />

Sie mixt Folk und Indietronica<br />

und lässt hier und da ihre Liebe<br />

In der Fernsten der Fernen-Mascha Kaleko 2<br />

zur brasilianischen Musik aufblitzen.<br />

Ihre Texte berühren<br />

durch Unmittelbarkeit, Dota<br />

spricht nicht vom Elfenbeinturm,<br />

sondern von den Leuten<br />

hier und jetzt und ihren kleinen<br />

Triumphen und großen<br />

Abgründen, ihren Unzulänglichkeiten,<br />

sich in Nähe zu<br />

versuchen und in Gesellschaft<br />

zu bewegen. Mascha Kaléko<br />

fängt in den Zwanzigern des<br />

vergangenen Jahrhunderts<br />

in Berlin an zu schreiben,<br />

die frühen Gedichte sind<br />

pointierte Alltagsskizzen auf<br />

Berlinerisch. Diese Schwester im<br />

Geiste eines Joachim Ringelnatz<br />

oder Erich Kästner schafft ihre<br />

innige, bisweilen ironische, oft<br />

herzblutig beseelte Großstadtlyrik<br />

in den 1920 und 30er Jahren<br />

in Berlin. Sie ist die Stimme der<br />

CD<br />

jungen Menschen, die sich in der<br />

Großstadt durchschlagen. Sie<br />

ist ebenso verliebt, müde und<br />

traurig und ebenso wenig auf<br />

den Mund gefallen wie sie. Ihr<br />

Erfolg als Literatin bricht mit der<br />

Machtübernahme der Nazis jäh<br />

ab. Sie darf als Jüdin nicht mehr<br />

veröffentlichen. 1938 verlässt<br />

sie Berlin, aber die Stadt bleibt<br />

ihr fester Bezugspunkt. In einem<br />

ihrer letzten Gedichte „Bleibtreu<br />

heißt die Straße“ schreibt sie<br />

„Vor 40 Jahren wohnte ich hier<br />

[...] Hier war mein Glück zuhause.<br />

Und meine Not. Hier kam<br />

mein Kind zur Welt. Und musste<br />

fort. Hier besuchten mich meine<br />

Freunde und die Gestapo“,<br />

sie schließt mit der Frage „Was<br />

blieb davon? [...] eine alte Wunde<br />

unvernarbt“.<br />

Ein Hof und elf Geschwister:<br />

BUCH<br />

Bildquelle: Buch.de<br />

Die stolze bäuerliche Landwirtschaft<br />

mit Viehmärkten,<br />

Selbstversorgung und harter<br />

Knochenarbeit ist im Laufe der<br />

Sechzigerjahre in rasantem<br />

Tempo und doch ganz leise verschwunden.<br />

Ewald Frie erzählt<br />

am Beispiel seiner Familie von<br />

der großen Zäsur. Mit wenigen<br />

Strichen, anhand von vielsagenden<br />

Szenen und Beispielen,<br />

zeigt er, wie die Welt der Eltern<br />

unterging, die Geschwister anderen<br />

Lebensentwürfen folgten<br />

und der allgemeine gesellschaftliche<br />

Wandel das Land erfasste.<br />

Zuchtbullen für die monatliche<br />

Auktion, Kühe und Schweine<br />

auf der Weide, Pferde vor dem<br />

Pflug, ein Garten für die Vorratshaltung<br />

– der Hof einträglich<br />

bewirtschaftet von Eltern, Kindern<br />

und Hilfskräften. Das bäuerliche<br />

Leben der Fünfzigerjahre<br />

scheint dem Mittelalter näher als<br />

unserer Zeit. Doch dann ändert<br />

sich alles: Einst wohlhabende<br />

und angesehene Bauern gelten<br />

trotz aller Modernisierung plötz-<br />

lich als ärmlich und rückständig,<br />

ihre Kinder riechen nach Stall<br />

und schämen sich. Wege aus<br />

der bäuerlichen Welt weist die<br />

katholische Kirche mit neuer Jugendarbeit.<br />

Der Sozialstaat hilft<br />

bei Ausbildung und Hofübergabe.<br />

Schon in den Siebzigerjahren<br />

ist die Welt auf dem Land eine<br />

völlig andere. Staunend blickt<br />

man zurück, so still war der<br />

Wandel: „Mein Gott, das hab ich<br />

noch erlebt, das kommt mir vor<br />

wie aus einem anderen Jahrhundert.“<br />

Ewald Frie hat seine zehn<br />

Geschwister, geboren zwischen<br />

1944 und 1969, gefragt, wie<br />

sie diese Zeit erlebt haben. Sein<br />

glänzend geschriebenes Buch<br />

lässt mit treffsicherer Lakonie<br />

den großen Umbruch lebendig<br />

werden.<br />

40<br />

der kleine lohrer /// august <strong>2023</strong>

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