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Jürgen van Oorschot | Andreas Wagner (Hrsg.): Biografie und Lebensalter (Leseprobe)

Anthropologie wird manifest, wenn es um Biografie und Lebensalter geht. So verwundert es nicht, wenn Fragen konkreter Lebensführung, ihrer materialen und sozialen Grundlagen sowie die Biografie neben dem Alten Testament auch in der Altorientalistik und der Ägyptologie intensiv diskutiert werden. Der vorliegende Band versammelt neben je einem ägyptologischen und hethitologischen Exempel alttestamentliche Beiträge zur Rechtsanthropologie, zur Ethik sowie ausgewählten Literaturbereichen des Alten Testaments inkl. Ben Sirach, in denen Aspekte von Biografie und Lebensalter mit ihren Hinweisen auf die materiale, soziale und theologische Verfasstheit des Menschen dargestellt werden.

Anthropologie wird manifest, wenn es um Biografie und Lebensalter geht. So verwundert es nicht, wenn Fragen konkreter Lebensführung, ihrer materialen und sozialen Grundlagen sowie die Biografie neben dem Alten Testament auch in der Altorientalistik und der Ägyptologie intensiv diskutiert werden. Der vorliegende Band versammelt neben je einem ägyptologischen und hethitologischen Exempel alttestamentliche Beiträge zur Rechtsanthropologie, zur Ethik sowie ausgewählten Literaturbereichen des Alten Testaments inkl. Ben Sirach, in denen Aspekte von Biografie und Lebensalter mit ihren Hinweisen auf die materiale, soziale und theologische Verfasstheit des Menschen dargestellt werden.

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Biographische Schilderungen bei den Hethitern 63<br />

häufiger auf persönliche <strong>und</strong> familiäre Erfahrungen <strong>und</strong> Ereignisse wie Krankheit,<br />

Tod, Konflikte mit Familienmitgliedern oder Anfeindungen durch politische<br />

Gegner Bezug. Bisweilen finden sich auch Schilderungen, die in der Retrospektive<br />

wichtige Stationen der eigenen Lebensgeschichte in ihrer Abfolge<br />

beschreiben <strong>und</strong> interpretieren.<br />

Der Terminus ‚autobiographisch‘ impliziert hier natürlich nicht unbedingt,<br />

dass diese Schilderungen tatsächlich von der Person stammen, die im Text als<br />

Ich-Erzähler <strong>und</strong> Protagonist auftritt. Sie werden zwar als wörtliche Rede der<br />

jeweiligen Person, bei der es sich zumeist um den Herrscher handelt, ausgegeben.<br />

Die Texte wurden aber ebenso wie in Mesopotamien <strong>und</strong> anderen Kulturen<br />

des Altertums von Schreibern niedergeschrieben <strong>und</strong> häufig unter Rückgriff<br />

von Standardformen <strong>und</strong> auf der Gr<strong>und</strong>lage früherer Texte komponiert. Es handelt<br />

sich damit also zumeist um eine ‚autobiographische Fiktion‘. Allerdings sei<br />

daran erinnert, dass dies auch bei modernen Autobiographien der Fall ist. So<br />

bedienen sich heute zahlreiche mehr oder weniger prominente Personen eines<br />

Ghostwriters oder zumindest professioneller Unterstützung wie Lektoren <strong>und</strong><br />

anderen Beratern.<br />

Und ebenso wie autobiographische Schilderungen des Altertums sind autobiographische<br />

Texte jüngerer Zeit stets subjektiv <strong>und</strong> werden meist mit dem<br />

Ziel geschrieben, das eigene Handeln in ein positives Licht zu rücken <strong>und</strong> zu<br />

rechtfertigen. Negative Ereignisse, Schwierigkeiten, Rückschläge <strong>und</strong> bisweilen<br />

auch eigenes Fehlverhalten werden zwar oft erwähnt. Sie dienen aber zumeist<br />

als Kontrastfolie, die die Schilderung interessanter machen <strong>und</strong> die Erfolge<br />

umso stärker hervorheben. Außerdem wird damit erreicht, dass die Leser<br />

die Erzählung stärker mit ihrer eigenen Lebensgeschichte verknüpfen können<br />

<strong>und</strong> somit stärker emotional beteiligt werden. Doch auch dann, wenn eine Person<br />

versucht, schonungslos <strong>und</strong> ungeschönt von ihrem Lebensweg zu berichten,<br />

muss sie unter der Vielzahl von Ereignissen eine Auswahl treffen. Ein umfassender<br />

<strong>und</strong> neutraler Bericht über das eigene Leben ist also schlechterdings<br />

nicht möglich. Und Ähnliches gilt auch für Biographien. Diese mögen zwar das<br />

Leben der anderen Person aus einer größeren Distanz <strong>und</strong> kritischer betrachten<br />

als eine Autobiographie. Doch auch sie sind keine objektive oder neutrale Schilderung<br />

der Vita der betreffenden Person, weil der Verfasser des Textes nur das<br />

berichten kann, was ihm zugänglich ist <strong>und</strong> eine subjektive Auswahl aus den<br />

Lebensereignissen trifft. Was <strong>und</strong> wie berichtet wird, hängt zudem stark von<br />

der Beziehung zu der Person <strong>und</strong> der Einstellung ihr gegenüber ab.<br />

Dies alles gilt es bei der Betrachtung antiker Texte zu berücksichtigen. Sie<br />

unterscheiden sich zwar von heutigen Texten unter anderem dadurch, dass die<br />

heutigen Standards der Textproduktion <strong>und</strong> Vervielfältigung den damaligen<br />

Menschen unbekannt waren. So wurden beispielsweise Elemente aus älteren<br />

Texten übernommen bzw. zitiert, ohne dass dies kenntlich gemacht wurde. Und<br />

auch die Autorenschaft bleibt oft unklar. Einem Text den autobiographischen<br />

Charakter abzusprechen, nur weil er bewusst oder unbewusst mit dem Ziel verfasst<br />

wurde, das eigene Handeln in der Vergangenheit vor sich <strong>und</strong> anderen zu

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