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Andreas Müller: Bonifatius' Mission (Leseprobe)

Frühling des Jahres 716. Ein Segelschiff fährt von der englischen Insel hinüber zum Festland des Kontinents. Zwölf Männer sind an Bord, unter ihnen der Mönch Wynfred. Vier Jahrzehnte hatte er in seiner englischen Heimat als Priester, Gelehrter und Abt gewirkt, nun bricht er auf zu neuen Ufern: Das Frankenreich seiner Zeit war ein von Bürgerkriegen gezeichnetes Land und die Kirche war in einem desolaten Zustand. Viele Getaufte hingen im Herzen noch den heidnischen Göttern an – und Rom war weit weg. Wynfred pilgerte nach Rom, ließ sich vom Papst als Missionar bevollmächtigen und zog fortan als Bonifatius durch Germanien, v.a. durch die Gebiete des heutigen Hessens, Thüringens und Bayerns. Er taufte, organisierte Pfarreien, gründete Klöster, stiftete Bistümer – und reformierte die Kirche des Frankenreichs innerhalb kürzester Zeit in unvorstellbarem Ausmaß. Als »Apostel der Deutschen« wird er daher bis heute verehrt. Doch was war er für ein Mann? Welche Ängste und Hoffnungen hatte er? Was bewegte ihn? Lebendig erzählt das Buch von den Reisen des Bonifatius durch Germanien. Ein Brückenschlag in eine Zeit, die uns heute so weit entfernt scheint und ohne die doch heute unser Land nicht das wäre, was es ist.

Frühling des Jahres 716. Ein Segelschiff fährt von der englischen Insel hinüber zum Festland des Kontinents. Zwölf Männer sind an Bord, unter ihnen der Mönch Wynfred. Vier Jahrzehnte hatte er in seiner englischen Heimat als Priester, Gelehrter und Abt gewirkt, nun bricht er auf zu neuen Ufern: Das Frankenreich seiner Zeit war ein von Bürgerkriegen gezeichnetes Land und die Kirche war in einem desolaten Zustand. Viele Getaufte hingen im Herzen noch den heidnischen Göttern an – und Rom war weit weg. Wynfred pilgerte nach Rom, ließ sich vom Papst als Missionar bevollmächtigen und zog fortan als Bonifatius durch Germanien, v.a. durch die Gebiete des heutigen Hessens, Thüringens und Bayerns. Er taufte, organisierte Pfarreien, gründete Klöster, stiftete Bistümer – und reformierte die Kirche des Frankenreichs innerhalb kürzester Zeit in unvorstellbarem Ausmaß. Als »Apostel der Deutschen« wird er daher bis heute verehrt. Doch was war er für ein Mann? Welche Ängste und Hoffnungen hatte er? Was bewegte ihn? Lebendig erzählt das Buch von den Reisen des Bonifatius durch Germanien. Ein Brückenschlag in eine Zeit, die uns heute so weit entfernt scheint und ohne die doch heute unser Land nicht das wäre, was es ist.

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Für meine Familie


„Wo Hochmut ist, da ist auch Schande;<br />

aber Weisheit ist bei den Demütigen.“<br />

DIE BIBEL, SPRÜCHE 11,2<br />

„… Winfred war von vornehmer Abkunft,<br />

dazu persönlich durch das Machtgefühl<br />

eines überragenden Geistes und<br />

unbeugsamen Charakters gehoben.“<br />

RICARDA HUCH: DEUTSCHE GESCHICHTE,<br />

BAND 1<br />

„So gewiss ich meinen Fuß<br />

in den Stein drücke, so gewiss will ich<br />

die Heiden bekehren.“<br />

JAKOB UND WILHELM GRIMM:<br />

DER HEILIGE WINFRIED,<br />

AUS: DEUTSCHE SAGEN


1.<br />

Eine vergebliche Fahrt<br />

über das Meer – 716<br />

Im späten Frühling des Jahres 716 fuhr ein einmastiges Segelschiff<br />

von der englischen Insel hinüber zum Festland des<br />

Kontinents, immer nordöstlich, über das Meer. Zwölf Männer<br />

waren an Bord. Neben der Besatzung und dem Eigner<br />

des Schiffes waren es drei Mönche und fünf Händler. Die saßen<br />

auf den schwankenden Planken und ließen die Säcke mit<br />

ihren Waren nicht aus den Augen. Die Händler aus England<br />

unternahmen die Reise alle paar Monate. Der Wind stand<br />

gut, die Fahrt ging voran. Die Männer wollten heil ankommen.<br />

Und sie wollten ihre Ruhe.<br />

Der Schiffseigner hingegen, ein kleiner wendiger Mensch<br />

von der Küste Frieslands, liebte das Reden. Deshalb hielt sich<br />

der Seemann an die drei Passagiere, die, in ihre Mönchskutten<br />

gehüllt, an der Bordwand hockten. Mönche trugen fast<br />

immer Neuigkeiten durch die Welt. Mit ihrem Christenglauben<br />

hatte der Eigner nicht viel zu schaffen. Er opferte vor jeder<br />

Reise aus seinem Krug Gott Thor einen guten Schluck<br />

Met und war damit stets gut gefahren. Nur seine Frau zu<br />

Hause betete manchmal zu Jesus und Maria. Das kümmerte<br />

ihn aber wenig. Er war viel unterwegs und sah seine Ehefrau<br />

selten.<br />

Der Seemann hatte nichts gegen Christen und Mönche.<br />

Sie wurden immer mehr, auf beiden Seiten des Meeres, und<br />

viele der hohen Herren waren längst schon getauft. Um den<br />

7


Preis für die Überfahrt feilschten alle mit ihm, egal ob Christ<br />

oder Heide.<br />

Seine Schiffsmannschaft hatte Spaß an den drei Mönchen<br />

in den braunen, fleckigen Kutten. Zweifellos befuhren<br />

diese „Heiligen“ zum ersten Mal den Kanal. Das seltsame<br />

„Gottvertrauen“, von dem Christenpriester gerne und oft redeten,<br />

war in ihren grünlichen Gesichtern heute nicht zu<br />

finden. Die Kuttenträger beteten verbissen oder erbrachen<br />

sich über die Bordwand. Trotz der Jahreszeit war es kalt<br />

zwischen den Küsten und der Wind ließ das Schiff hart auf<br />

und ab tanzen. Es hatte die Mitte des Kanals erreicht. Im<br />

Westen sah man die weiße Steilküste. Im Osten konnte man<br />

das Festland hinter den Nebeln erahnen.<br />

Der Eigner streckte sich auf dem Schiffsboden aus, gab<br />

seinen Leuten ein paar Befehle und sah neugierig nach den<br />

Mönchen, denen das Wellenreiten nicht gut bekam. Einer<br />

von ihnen überragte auch sitzend seine Brüder und jeden<br />

an Bord um Haupteslänge. Blass war auch dieser Mann.<br />

Dennoch gab er seine Würde beim Erbrechen nicht auf.<br />

Sein Magen tat, was er musste. Sein Haupt blieb erhoben.<br />

Dieser große, nicht mehr junge Mönch hatte das Interesse<br />

des Eigners geweckt. Mit ihm wollte er reden, um sich die<br />

Zeit zu vertreiben.<br />

„Glaubt mir, das wird noch schlimmer“, sagte er gutmütig.<br />

„So bequem wie in meinem Schiff, werdet ihr es so<br />

bald nicht wieder haben. Der Weg nach Rom ist weit, steil<br />

und gefährlich. Ich habe schon einige heilige Leute über das<br />

Wasser gebracht. Aber euer Herr Jesus wird euch schützen<br />

und bewahren!“<br />

Der Mann meinte es gut. Er wollte seine Fahrgäste nicht<br />

vergrämen. Und dass sie auf einer Pilgerreise nach Rom<br />

8


unterwegs waren, daran gab es keinen Zweifel. Auch für die<br />

Rückfahrt würden sie wieder gut bezahlen. Geschäfts tüchtig<br />

lobte er stets den Herrn Jesus, wenn Christen im Schiff saßen,<br />

und pries Odin, wenn er nur Heiden fuhr.<br />

Der große Mönch mochte das Gerede trotzdem nicht. Er<br />

streifte sich die Kapuze vom Kopf und sah zornig auf den<br />

Schwätzer hinab. Kein Zweifel, der Eigner hatte seinen Gesprächspartner<br />

gefunden.<br />

„Wir pilgern nicht nach Rom“, sagte der Mönch herablassend.<br />

„Wir werden unseren Friesenbrüdern und allen<br />

Germanen das Evangelium predigen, um sie zu retten.“<br />

Jetzt grinste der Schiffseigner doch. Er konnte nicht anders.<br />

Er wandte sich zuerst von dem Mönch ab, schimpfte<br />

mit seiner Mannschaft, weil irgendein Seil nicht da lag, wo<br />

es hingehörte, und setzte dann den großen Worten des<br />

Mönchs seine eigenen entgegen, denn offenbar musste dem<br />

selbstherrlichen Heiligen die Welt erst erklärt werden.<br />

„Bei allen Göttern eurer Dreieinigkeit, ihr macht Witze,<br />

guter Mann!“ Der Eigner schob seine Kappe ins Genick und<br />

hockte sich dem Mönch direkt gegenüber. „Du weißt schon,<br />

dass Friesenherzog Radbod alle Christenpriester erschlagen<br />

lässt oder zum Land hinausjagt? Seit Pippin, der Hausmeier<br />

der Franken, tot ist, macht Radbod, was er will. Er<br />

tanzt den Franken auf der Nase herum und eure ,Friesenbrüderʻ<br />

ziehen ihm jubelnd nach mit ihren Götzen.“<br />

Der Seemann holte kurz Atem und genoss das nervöse<br />

Zucken im Gesicht seines Gegenübers. „Sie opfern Odin<br />

wieder Stiere und Sklaven und träumen vom Krieg und<br />

fetter Beute. – Das weißt du nicht?“<br />

„Was?“, fragten die zwei anderen Mönche entsetzt. Der<br />

große aber blickte selbstvergessen übers Meer. Das machte<br />

9


den Eigner wütend. Auf seinem Schiff überhörte ihn niemand!<br />

„Ihr Christen seid wirklich weit weg von allem. Ihr versteckt<br />

euch in Klöstern oder tappt wie dumme Kinder durch<br />

die Welt.“<br />

Jetzt lachten alle an Bord. Lange genug hatte man es sich<br />

verkniffen.<br />

„Seid froh, dass ihr mit meinem Schiff fahrt. Das wird<br />

euch den Kopf retten. Alles, was sich die Leute erzählen, ist<br />

wahr. Selbst auf eurer Insel müsstet ihr die Neuigkeiten<br />

längst erfahren haben. Ich habe auch schon einige von euch<br />

Christen aus Friesland zurück in Sicherheit gebracht und<br />

dafür nicht mehr Geld verlangt als sonst.“<br />

Der stolze Mönch schwieg noch immer.<br />

„Hausmeier Pippin, der Herr der Franken, ist tot. Ihr<br />

Christen habt in Friesland keine Freunde mehr. Niemand,<br />

der den Frankensoldaten befiehlt, euch zu beschützen.<br />

Niemand, der die Friesen davon abhält, euch zu erschlagen.<br />

Das ist die Wahrheit. Jeder weiß das, sogar meine fromme<br />

christliche Frau. Die hat ihr Holzkreuz schon vor ein paar<br />

Wochen im Stroh unter unserm Schlafplatz versteckt. Dabei<br />

will ihr kein Mensch etwas tun. Radbod hasst nur Fremde,<br />

nicht unsere einfältigen Frauen.“<br />

Der Eigner genoss die Verwirrung, die seine Worte anrichteten.<br />

Er konnte gar nicht mehr aufhören, die Wahrheit<br />

zu sagen.<br />

„In Friesland sind die alten Götter wieder mächtig und<br />

das Volk jubelt, egal ob schon mal getauft oder nicht. Unser<br />

neuer Held ist Radbod, der Herzog. Die Kirchen hat er verbrannt.<br />

Kein fränkisches Schwert weit und breit! Radbod<br />

vertreibt die Fremden – und dafür lieben ihn seine Friesen.<br />

10


Jetzt wollen sie Beute machen. Man sagt, Radbod will dieses<br />

Frühjahr auf Raubzug bis nach Köln ziehen. Glaub mir<br />

Mönch, in Friesland will niemand euer Evangelium hören.“<br />

Die Botschaft war angekommen. Auch der schweigende,<br />

stolze Mönch konnte den Schrecken kaum noch verbergen.<br />

„Und wenn ihr klug seid“, jetzt wollte der Seemann nur<br />

noch für ein gutes Geschäft sorgen, „wenn ihr klug seid,<br />

dann bleibt gleich an Bord und versteckt euch unter euren<br />

Decken, damit euch in Dorestad niemand entdeckt. Ich<br />

nehme euch dann wieder mit auf eure sichere Insel. Bezahlt<br />

die Rückfahrt am besten sofort!“<br />

Wynfreth, das war der Name des Mönchs, war nicht<br />

gewohnt, dass man ihm widersprach oder es besser wusste<br />

als er. Dabei hätte er christliche Demut längst gelernt haben<br />

müssen. Als Kind schon war er von seinen adligen Eltern in<br />

ein Kloster gegeben worden. Und was lernte man in einem<br />

Kloster sonst als christliche Demut und Gehorsam?<br />

Mehr als dreißig Jahre war das her. Mehr als dreißig<br />

Jahre hing Wynfreth seinen Lebensweg an die sich kreuzenden<br />

Gänge der Klöster Südenglands. Seinen angestammten<br />

Adel aber hatte er über die Jahre nie vergessen. Niemand<br />

schwieg so stolz und herablassend wie er. Niemand lehrte<br />

und belehrte die Brüder und Schwestern so allwissend wie<br />

Bruder Wynfreth.<br />

Und es gab bis heute in Wynfreths Leben auch wirklich<br />

wenig Anlass, um kleinmütig zu sein. In den Klöstern von<br />

England war er für seine Klugheit berühmt. Auf seiner Insel<br />

wurde er allseits als Mönch, Lehrer, Dichter und Prediger<br />

bewundert. Im Kloster von Nursling war er neben dem Abt<br />

der wichtigste Mann und fast schon sein Nachfolger. Was<br />

wollte er mehr?<br />

11


Vor wenigen Tagen erst war Wynfreth mit Bruder Dodd<br />

und Bruder Beda, die ihm wie treue Hunde folgten, vom Kloster<br />

Nursling im Süden der englischen Insel nach dem Kontinent<br />

aufgebrochen. Sie waren fest davon überzeugt, dass Gott<br />

sie losschickte, die Friesen zu missionieren, denn alle Friesen<br />

waren mit den Engländern verwandt und sie konnten es nicht<br />

mehr ertragen, dass Friesen als ungetaufte Heiden nach ihrem<br />

Tod in die Hölle kamen. Es war höchste Zeit, sie zu retten.<br />

Die <strong>Mission</strong>ierung der heidnischen und irrgläubigen Verwandten<br />

auf dem Festland sollte die letzte große Aufgabe in<br />

Wynfreths Leben werden. Niemand durfte ihn aufhalten.<br />

Als Wynfreth in London das Schiff bestieg, war er dreiundvierzig<br />

Jahre alt. Warum begab sich der Mann auf solch<br />

eine Reise, wo er in England doch alles hatte, was er sich<br />

wünschen konnte? Jenseits der Vierzig war der Tod schon<br />

recht nah. Mit dreiundvierzig fuhr man nicht mehr hinaus<br />

auf <strong>Mission</strong>! Bruder Wynfreth aber hatte sich weder belehren<br />

noch halten lassen.<br />

„Wynfreth geht auf Flucht, nicht auf <strong>Mission</strong>“, so redete<br />

man hinter den Klostertüren. „Er flieht vor der Verantwortung<br />

als Abt, vor dem Altsein und vor der Langeweile.“<br />

Das Gerede war Wynfreth egal. Nach einem leichten<br />

Leben suchte er nicht. Bald schon würde er sich mehr Verantwortung<br />

aufladen, als ein Mensch tragen kann. Auch alt<br />

und schwach war Wynfreth noch lange nicht. Er hatte Pläne<br />

im Kopf, die reichten über seinen Tod weit hinaus.<br />

Wynfreth blieb selbst den Menschen, die ihn bewunderten,<br />

ein wundersames Rätsel.<br />

Gott schickte ihn los. Eine bessere Erklärung für alles,<br />

was kam, wusste eigentlich niemand. Und selbst seine Irrtümer<br />

konnten Wynfed nicht beirren.<br />

12


Er hatte weder nach links noch nach rechts gesehen, war<br />

losgejagt wie ein junger Stier. Natürlich wussten sie auch in<br />

Nursling, dass in Friesland das alte Heidentum wieder aufbrach.<br />

Für Wynfreth aber war das nicht mehr als ein Ansporn.<br />

Dass Herzog Radbod die Christen verfolgte, wollte er<br />

nicht glauben. Solch einen Rückfall ließ Gott doch nicht zu!<br />

Er kannte andere Geschichten. Radbod war ein Schwager<br />

des fränkischen Hausmeiers. War der Friesenherzog deshalb<br />

nicht lange schon getauft? Nein, Wynfreth hatte sich<br />

durch dumme Gerüchte keine Angst machen lassen. Er war<br />

der Lehrer. Er wusste es besser. Und irrte sich doch.<br />

Jetzt, auf dem Kanal zwischen England und dem Kontinent,<br />

war es zu spät. Wynfreth begriff es, als die Mannschaft<br />

und alle Händler laut und respektlos über seine Dummheit<br />

lachten. Er saß mitten auf dem Meer in einem schwankenden<br />

Schiff und schämte sich vor Gott seiner Einfalt.<br />

„Aber Herzog Radbod ist getauft!“, rief Wynfreth trotzig<br />

und klang dabei, als würde er es selbst nicht mehr glauben.<br />

Radbods Taufe war der Strohhalm, an dem er sich gerade<br />

noch aufrechthielt.<br />

Der Schiffseigner lachte noch lauter.<br />

„Die Götter mögen es verzeihen, aber ihr in England seid<br />

nicht auf dem letzten Stand. An allen Küsten auf und ab<br />

erzählt man sich die Geschichte von Radbods Taufe. Nur<br />

ihr kennt sie nicht? Wollte man euch Mönche damit verschonen?“<br />

Selbst das Geschrei der Möwen am Himmel war Spott.<br />

Wynfreth und seine Brüder mussten es sich gefallen lassen.<br />

„Na gut, ich erzähle sie euch. Wer sie schon kennt, kann<br />

ja ein Schläfchen halten. Das war damals so: Sie standen<br />

schon alle am Taufbecken in der Kirche von Utrecht.<br />

13


Alle hohen fränkischen Herren und Radbod und Radbods<br />

Christenfrau, die Priester – alle eben.<br />

Wulfram hieß der Bischof, der den Friesenherzog endlich<br />

taufen sollte. Radbods Frau war fromm. Und sein Schwager,<br />

der Hausmeier Pippin, war zwar nicht fromm, aber getaufter<br />

Christ. Und nun sollte Radbod ins Wasser. Der Plan der<br />

Franken war gut. Wenn Radbod getauft war, würde bald<br />

auch ganz Friesland fränkisch und christlich.<br />

Herzog Radbod aber dachte sich seinen eigenen Teil.<br />

Große Lust darauf, sich den Franken und eurem Herrgott zu<br />

beugen, hatte er nie. Fragt Radbod also Bischof Wulfram am<br />

Taufstein und hat dabei ein Bein schon im Becken: ,Treff ich,<br />

wenn ich tot bin, im Himmel meine Sippschaft oder sitze ich<br />

mit der Christenfrau alleine am Himmlischen Tisch?‘<br />

Ich kann den Mann schon verstehen. Wer will eine Ewigkeit<br />

lang ganz ohne Verwandtschaft sein? Mit wem soll man<br />

da ordentlich essen und trinken? Ihr Christen fastet ja das<br />

halbe Jahr!<br />

Der Bischof denkt nach, will nicht lügen und antwortet<br />

,Nein‘. Denn die Sippschaft von Radbod ist so wenig getauft<br />

wie Odins wildes Heer. Da zieht Herzog Radbod ganz schnell<br />

sein feuchtes Bein wieder ein, haut ab und lässt die Franken<br />

in der Kirche alleine stehen. Ganz Friesland hat gelacht und<br />

Radbod blieb der gute Heide, der er immer schon war. Herzog<br />

Radbod hatte dem Christengott nie etwas zugetraut. Was für<br />

ein Gott soll das auch sein, der sich ans Kreuz nageln lässt?“<br />

Lautes Johlen brach aus. Außer den Mönchen im Schiff<br />

hatten alle viel Spaß. Dass es nicht nur Radbods Zweifel waren,<br />

von denen der Seemann sprach, war offensichtlich.<br />

Der Vorschlag des Schiffseigners, die Mönche so bald wie<br />

möglich lebendig zurück nach Hause zu bringen, war ernst<br />

14


gemeint. Spätestens jetzt, nachdem Wynfreth die Wahrheit<br />

über Radbods Taufe wusste, hätte jeder andere das Angebot<br />

der direkten Rückfahrt angenommen. Auch Wynfreth überlegte<br />

und schwankte. Er fragte Dodd und Beda, denen es die<br />

Sprache verschlagen hatte: „Wollen wir uns verkriechen oder<br />

wollen wir uns dem Widersacher stellen?“<br />

Die Mönche schüttelten stumm die Köpfe.<br />

„Vielleicht hat sich Radbods Sinn wieder geändert?<br />

Zweifeln wir an Gottes Allmacht? Unser Herr lässt die Seinen<br />

nicht im Stich.“<br />

Die Mönche nickten.<br />

„Und wenn Gott uns würdigt, seine Märtyrer zu werden,<br />

dürfen wir dann vor seinem Ratschluss fliehen?“<br />

Die Mönche blickten hinab auf die Planken des Schiffes.<br />

Wynfreth hatte sich entschieden. Die Brüder folgten mit<br />

zitternden Herzen. „Wir wandern nach Utrecht und verlangen<br />

vom Herzog die Erlaubnis, sein Volk vor der Hölle zu retten.<br />

Das kann uns Radbod nicht verweigern! Gott will, dass<br />

allen Menschen geholfen wird. Nicht lange und die ganze<br />

Welt gehört zur Heiligen Kirche und Rom ist ihre Mitte. Ein<br />

Heide wie Radbod kann an Gottes Plan nichts ändern. Gott<br />

steht uns bei!“<br />

Wynfreths Entschluss war mehr als Trotz oder Schwärmerei.<br />

Zwar wusste er über den letzten Stand der Dinge in<br />

Friesland wirklich nicht viel. Den Fehler musste er eingestehen.<br />

Und doch: Mit dem Heidentum war es vorbei! Der<br />

Heiligen Kirche gehörte die Zukunft! Daran gab es keinen<br />

Zweifel.<br />

Seit zweihundert Jahren, seit sich der fränkische Merowingerkönig<br />

Chlodwig hatte taufen lassen, um seine Kriege<br />

zu gewinnen, war der Christengott der Gott des Franken-<br />

15


stamms. Mit Kreuzen auf den Fahnen besiegten seitdem<br />

fränkische Heere fast jeden Feind.<br />

Die Könige und Hausmeier, die Mächtigen im Reich und<br />

ihre Adligen, die Garden und Soldaten, sie alle wurden getauft.<br />

Fränkische Adlige wurden zu fränkischen Bischöfen.<br />

<strong>Mission</strong>are aus Irland und Schottland zogen durch das Land<br />

und lehrten die heidnischen Stämme das Beten. Waren deshalb<br />

alle Franken christlich? Sie waren es nicht. Und Wynfreth<br />

wusste das. Die Stammesherren waren zwar getauft,<br />

unter der nassen Haut aber blieben sie Heiden. Und die Besiegten,<br />

die mit Gewalt ins Taufwasser getrieben wurden,<br />

hassten danach den Christengott mehr als zuvor. Christliche<br />

Ordnung und Sitte gab es nur in den Klöstern.<br />

Wenn die <strong>Mission</strong>are mit Menschen sprachen, die nichts<br />

von Christus wussten, hatten sie leichtere Arbeit, als wenn<br />

sie zu solchen predigten, die ihnen nur aus Angst vor den<br />

fränkischen Besatzern zuhörten. Richtige Heiden staunten<br />

über die Botschaft von der Liebe Gottes. Die Zwangschristen<br />

dagegen wussten, dass diese Liebe im Frankenreich rar war.<br />

Auch unter den Friesen im Norden hatten sich viele taufen<br />

lassen. Warum und wozu wussten aber nicht alle. Das lag<br />

an den schlechten <strong>Mission</strong>aren, die durchs Land zogen. Der<br />

Engländer Wynfreth wusste es genau. Die <strong>Mission</strong>are aus Irland<br />

und Schottland taugten nicht viel. Kein Engländer traute<br />

Iren und Schotten über den Weg. Ein adliger Mönch wie<br />

Wynfreth schon gar nicht! Er hielt die <strong>Mission</strong>are, die aus<br />

Irland und Schottland über den Kanal gefahren waren, für<br />

einfältig und lau. Diese Leute wohnten in Wäldern und bauten<br />

dort Kapellen, beteten, predigten, feierten Messen für<br />

sich und warteten, bis die Heiden von selbst zu ihnen kamen.<br />

Sie scherten sich wenig um Bischöfe und schon gar nicht um<br />

16


die Ordnung der Kirche. Wynfreth grauste, so oft er an diese<br />

falschen Brüder dachte. Nicht Fisch, nicht Fleisch. Nicht<br />

Feuer, nicht Wasser. Nicht vom Himmel und nicht aus der<br />

Hölle. In den Hainen der Heiden beteten sie zu Christus und<br />

opferten abergläubisch den Ahnen, um es möglichst jedem<br />

recht zu machen. Das Evangelium des Heilands erzählten sie<br />

den Heiden wie die Geschichten von Göttern, und ihr falsches<br />

Latein war nur Hokuspokus.<br />

Vom Schlimmsten das Allerschlimmste aber war das:<br />

Der Papst in Rom, der Nachfolger des Heiligen Petrus und<br />

Herr der Christen in aller Welt, war ihnen so egal wie das<br />

Gegrunz ihrer Schweine im Stall. Nein, getroffen hatte<br />

Wynfreth noch keinen von den verhassten Schweinepriestern.<br />

Dass sie aber schlechter als Heiden waren, daran gab<br />

es für ihn keinen Zweifel. Den falschen Christen durfte<br />

Wynfreth die Rettung der Friesen nicht überlassen!<br />

Also antwortete er schließlich dem Seemann entschlosen:<br />

„Fahrt uns nach Dorestad. Dafür seid ihr bezahlt.“<br />

Die Brüder Dodd und Beda hockten dabei auf dem Boden<br />

und hielten zitternd ihre Kreuze zwischen den Fingern.<br />

Vielleicht zitterte auch Wynfreth unter seiner Kutte. Wenn<br />

das so war, sah ihm das niemand an.<br />

Nun hatten sie nichts mehr zu spotten an Bord. Die Seeleute<br />

taten ihre Arbeit, die Küste war nah und die Händler<br />

im Schiff bestaunten den tollkühnen, frommen Mut der<br />

Mönche aus England. Es wurde Abend, als das Schiff auf<br />

den Strand stieß. Das Festland war erreicht. Nun war es<br />

nicht mehr weit bis Dorestad. Stoßgebete stiegen zum Himmel<br />

hinauf, um Geistern, Göttern und Gott für die sichere<br />

Überfahrt zu danken. Die vielen Worte glichen sich sehr.<br />

Auch die Mönche hielten ihr Abendgebet.<br />

17


„Wer unter dem Schirm des Höchsten wohnt und im<br />

Schatten des Allmächtigen nächtigt, spricht zu dem Herrgott:<br />

Meine Burg, meine Zuflucht …“ Die Schiffer und Händler<br />

verstanden nichts, stimmten aber laut in das „Amen“ der<br />

Mönche mit ein, denn schaden konnte das nicht.<br />

Noch bevor der nächste Tag anbrach, wurden die frierenden<br />

Mönche wach. Die Seeleute hatten sich besser eingerichtet<br />

als sie. Eingepackt in dicke Friesenmäntel trotzten<br />

sie der nassen Kälte und schliefen tief bis zum Morgenrot.<br />

Mit dem neuen Tag kam Wind auf. Schon war das Segel gesetzt.<br />

Die Fahrt nach Dorestad ging weiter entlang der Küste<br />

bis zum Delta des Rheins.<br />

„Herr tue meine Lippen auf, dass mein Mund deinen<br />

Ruhm verkünde ...“ Das Morgenlob der Mönche kam ihnen<br />

wieder trotzig von den Lippen. „Amen“ riefen am Ende alle.<br />

Nicht lange, und das Flussdelta war erreicht. Sie fuhren<br />

durch dichtes Schilf. Irgendwo hinter der unabsehbaren<br />

Landschaft aus Wasser und Rohr lag ihr Ziel, der Handelsplatz<br />

Dorestad.<br />

Die Schiffsleute kannten den Weg. Das Dickicht gab den<br />

Blick endlich frei. Dorestad lag vor ihnen. Orte wie Dorestad<br />

hatten die Mönche schon gesehen. London, wo sie das Schiff<br />

bestiegen hatten, war größer als dieser.<br />

Dennoch beeindruckte sie der Blick auf das geschäftige<br />

Treiben. Wenigstens tausend Schritte weit standen am Ufer<br />

die Langhäuser. Das Schiff fuhr ihre Reihe ab und man sah<br />

vor den offenen Toren ausgestellte Waren. Da lagen Stapel<br />

mit Fellen von Rindern, Wölfen und Hirschen, ganze Ballen<br />

wertvollen Segeltuchs und tönerne Töpfe und Schalen, blau,<br />

grau und rot bemalt. Bauholz war aufgeschichtet, mannshoch.<br />

Schmieden stellten Schwerter, Äxte und silbernen<br />

18


Schmuck zur Schau. Sogar eine Werft war zu sehen. Ein aufgebockter<br />

neuer Schiffsrumpf strahlte hell in der Sonne.<br />

Und dazwischen überall Menschen.<br />

Vielleicht gafften Dodd und Beda zu gierig auf all die<br />

Pracht. Wynfreth holte sie auf den Boden zurück. „Die Güter<br />

der Welt sind nur ein schwacher Abglanz der Herrlichkeit<br />

Gottes“, sagte er streng.<br />

„Amen“, antworteten Dodd und Beda und hielten ihre<br />

Augen wieder im Zaum.<br />

Beim Aussteigen fragte der Schiffseigner Wynfreth ein<br />

letztes Mal, ob er sie zurückfahren soll. Morgen schon stäche<br />

er wieder in See. Wynfreth dankte und lehnte ab.<br />

Jetzt standen die Mönche auf Land – wie vom Himmel<br />

gefallen mitten unter Heiden. Zu Hause in Nursling grüßte<br />

man Mönche mit Achtung. „Grüß Gott!“, sagte jeder. Mütter<br />

erbaten den Segen der Mönche für ihre Kinder. Kranke<br />

drängten sich an sie heran, nur um ihre Kutten zu berühren.<br />

Hier dagegen sah man sie an wie Feinde.<br />

Die drei Männer mussten ein Quartier finden. Nach Utrecht<br />

zu Radbod konnten sie erst am nächsten Tag aufbrechen.<br />

Also gingen sie an die Stände und in die Häuser und<br />

fragten jeden, der sich nicht gleich abwandte, nach einem<br />

Nachtquartier. Schlafplätze für Mönche hatte keiner. Die<br />

Leute aus Dorestad wollten mit Christen nichts zu tun haben.<br />

„Gottloses Volk“, dachte Wynfreth. Vor wenigen Monaten<br />

noch hatten sie in Dorestad Gottesdienste gefeiert, Messen<br />

gelesen und ihre Kinder zur Taufe getragen. Jetzt wehte ein<br />

anderer Wind.<br />

Am Stand eines Silberschmiedes sah Wynfreth ein<br />

Amulett, dass ihm Hoffnung machte. Wer Kreuze schmiedet,<br />

kann Gott noch nicht vergessen haben. Wynfreth griff<br />

19


nach dem vermeintlichen Kreuz, warf es aber sofort zurück,<br />

als hätte er in glühende Kohle gegriffen. Das war kein Kreuz!<br />

Das war ein Thorshammer! Auf dem blinkenden Götzenzeichen<br />

hatte der Schmied wie zur Sicherheit noch zusätzlich<br />

das Kreuz Christi eingeschlagen. Thor und Christus auf<br />

einem Stück Silber. Das war Dorestad, ein Ort, wo der Teufel<br />

so stark war wie Gott.<br />

Die Mönche wussten nicht weiter. Hätten die Heiden sie<br />

bespuckt oder geschlagen, wäre es leichter gewesen. Sie hätten<br />

sich dann laut zu Gott bekannt und alles ausgehalten.<br />

Die Leute hier aber taten ihnen nichts, sie hielten nur Abstand,<br />

arbeiteten, lachten und handelten, so als wären die<br />

Mönche nicht da. <strong>Mission</strong>iert und gerettet wollte hier keiner<br />

werden. Nicht einmal streiten wollte man mit den Fremden.<br />

Endlich, die Sonne war untergegangen, wies ihnen eine<br />

Wirtin einen Platz im äußersten Winkel ihrer Scheune zu.<br />

Bis zum nächsten Tag durften sie bleiben und sich nicht<br />

rühren. Sie brachte Hirsebrei und Bier, nahm Geld und<br />

schob die Scheunentür hinter ihnen fest zu. Nun waren die<br />

Mönche allein. Ziegen blökten. Ratten liefen ihrer Wege.<br />

Draußen hörte man lärmende Trinker und kichernde, käufliche<br />

Frauen.<br />

Wynfreth spürte die stille Verzweiflung seiner Brüder.<br />

Sie steckte auch in ihm.<br />

„Wir werden jetzt beten!“ Das war ein Befehl. Wynfreth<br />

befahl das Gebet nicht nur seinen Brüdern, er befahl es auch<br />

sich selbst. Jeder Mönch besitzt eine Waffe, die ihn vor dem<br />

Chaos der Welt retten kann. Sie heißt Ordnung. Ordnung<br />

für jeden Tag, für das Jahr, für das ganze Leben. Ohne<br />

Ordnung wäre er verloren. Als die Mönche im Ziegenstall<br />

Nachtgebet hielten, wurden ihnen die vorgeschriebenen<br />

20


Verse des Psalters zur wärmenden, schützenden Decke, mit<br />

der sie die Nacht überstanden.<br />

Eines der Wunder im Leben ist, dass der Mensch jeden<br />

Morgen neu hofft. Als die Wirtin ihm den Weg nach Utrecht<br />

beschrieb, war Wynfreth zuversichtlich, sein Ziel zu erreichen<br />

und die Frau froh, die „Heiligen“ loszuwerden. Sogar<br />

Brot und Bier gab sie ihnen noch mit auf den Weg. Die Mönche<br />

schlugen sich die Demütigungen von Dorestad wie<br />

Staub von den Kutten und wanderten nordwärts.<br />

Auf den Wegen nach Utrecht war viel Leben. Halb Friesland<br />

war unterwegs. Bewaffnete Männer und Boten ritten<br />

vorbei, Händler und Bauern führten hoch beladene Ochsenkarren<br />

nach dem Herzogssitz Radbods. Die Mönche begriffen<br />

schnell, was hier geschah. Der Friesenherzog rüstete<br />

zum Krieg gegen die Franken und die friesischen Männer<br />

wollten den Krieg nicht verpassen. Die Gier stand allen in<br />

den Augen. Jedes Wort, dass er Schiffseigner gesagt hatte,<br />

war also wahr.<br />

Man ließ die wandernden Mönche in Ruhe. Nur ein<br />

Händler, sein Esel schleppte zwei schwere Körbe mit Pfeilspitzen,<br />

sagte, als er sie sah, sein gewohntes „Grüß Gott!“,<br />

erschrak, blickte sich um und war froh, dass ihn niemand<br />

gehört hatte, denn seine neue Kundschaft grüßte nicht den<br />

Herrgott, sondern nur Odin.<br />

„Sie sind wie die Luchse“, entschuldigte er sich für seine<br />

Vorsicht. „Für die sind alle Christen gleich Frankenfreunde.<br />

Ihr versteht, ich will mit Radbod Geschäfte machen. Es sind<br />

gute Zeiten für eiserne Pfeilspitzen.“<br />

Wynfreth nickte und schlug über dem Kopf des Mannes<br />

schnell ein segnendes Kreuz. Dem Mann ging das Herz<br />

davon auf und er zeigte Wynfreth sein Silberkreuz, das ihn<br />

21


auf seinen Wegen beschützte. Dieses Kreuz war christlich<br />

und gut. Wynfreth sah es sofort.<br />

„Sag mir, wo sind alle Christen hin? Sind sie tot? Sind sie<br />

vertrieben?“<br />

„Ein Mönch wie du muss das doch wissen“, antwortete der<br />

Waffenhändler und streichelte dabei das graue Fell seines<br />

Esels. „Die Menschen sind wandelbar. Sie folgen jedem Wind,<br />

ja manchmal auch Windhauch. Radbod sät sogar Sturm. Nur<br />

Frauen beten noch zu Gott. Ihren Männern dagegen fehlt der<br />

Herr Jesus nicht. Die haben ihre Freude an den alten Geschichten<br />

und opfern den Göttern, damit sie sie stark<br />

machen. Euch Fremde will keiner im Land. Für die Friesen<br />

seid ihr alle Franken, selbst wenn ihr aus England kommt.“<br />

Auch das hatte Wynfreth inzwischen verstanden.<br />

„Und da ist keiner im Land, der Herzog Radbod widerspricht?“,<br />

fragte der Mönch.<br />

„Keiner. Sie huldigen ihm. Solange Radbod siegt, ist er<br />

der größte aller Friesen. Und er siegt. Die Franken sind fort.<br />

Radbod kann tun, was er will. Er will König werden und mit<br />

meinen Pfeilen kann er das sogar schaffen.“<br />

Die Mönche gelangten unversehrt bis nach Utrecht und<br />

stellten sich vor Radbods Hof mitten in die Menge der Bewaffneten<br />

und Geschäftemacher, die darauf warteten, dass<br />

der Herzog seinen Beutezug begann.<br />

Jeder hier hatte mit sich zu tun, musste befehlen oder gehorchen.<br />

Deshalb scherte sich um die drei Mönche vorerst<br />

kein Mensch. Dreimal versuchte Wynfreth an den Wachen<br />

vorbei bis zu Radbod zu dringen. Beim letzten Versuch sah<br />

er ihn wirklich.<br />

Als Wynfreth Radbods Hof wieder verließ, war es finster.<br />

Er suchte seine Brüder und machte sich mit ihnen auf und<br />

22


davon. Am nächsten Morgen, waren sie Dorestad schon<br />

w ieder na h .<br />

Die nackte Angst hatte den Männern Flügel verliehen.<br />

Es war ein anderes Schiff, auf dem die Mönche von Dorestad<br />

zurück nach London fuhren. Diesmal fielen sie unter<br />

den Fahrgästen nicht auf. Da hockten noch einige Mönche<br />

und Priester im Schiff, um ihr Leben zu retten.<br />

„Gottes Wege führen ans Ziel, auch wenn wir auf ihnen<br />

taumeln.“ Der altersschwache Klosterabt von Nursling hatte<br />

die Rückkehr Wynfreths fest erwartet. Da stand nun sein<br />

Nachfolger vor ihm wie der verlorene Sohn.<br />

„Die Brüder werden dich trotz allem zu ihrem neuen Abt<br />

wählen. Und unser Bischof wird dir den Fehler vergeben<br />

und deine Wahl bestätigen. Bruder Wynfreth, du wolltest<br />

etwas erzwingen, was Gottes Wille nicht war. Danke dem<br />

Herrn, dass ihr heil und gesund nach Haus fandet!“<br />

Selbst ein Heiliger Mann wie der todkranke Abt des<br />

Klosters von Nursling, freut sich im Stillen, wenn ihm das<br />

Leben Recht gibt. Wer will es ihm übelnehmen? Wynfreth<br />

sollte sein Nachfolger werden – kein <strong>Mission</strong>ar bei den Friesen.<br />

Der sterbende Abt dachte, er hätte sein Feld gut bestellt.<br />

Er irrte sich sehr.<br />

23


Inhaltsverzeichnis<br />

7 1. Eine vergebliche Fahrt über das Meer – 716<br />

24 2. Mit neuem Namen – Rom 719<br />

33 3. Bonifatius predigt in den Wind –<br />

Spätsommer 719 in Thüringen<br />

39 4. Die Gunst der Stunde – Utrecht 719–721<br />

46 5. Fein und grob – Bonifatius missioniert<br />

Hessen – 722<br />

56 6. Bündnisse – 722<br />

60 7. Bonifatius fällt eine Eiche – 723<br />

66 8. Kloster Ohrdruf – um 725<br />

75 9. Legenden und Wahrheiten – Rom 737<br />

85 10. Feldzug gegen die Sachsen – 737<br />

90 11. Bonifatius macht Geschichte –<br />

nach Karl Martells Tod 741<br />

95 12. Die großen Synoden – 743/744<br />

101 13. Ein guter Mensch an einem guten Ort –<br />

Kloster Fulda 744<br />

107 14. Alles ist eitel, alles ist nichts – 745–754<br />

115 15. Opfer und Mörder: Bonifatius’ Martyrium –<br />

Dokkum 754<br />

123 16. Der Leichnam und die Lebendigen


132<br />

Nachwort<br />

136 Hinweise zu Personen & Orten<br />

139 Quellenverzeichnis<br />

139 Literatur


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation<br />

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische<br />

Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />

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ISBN 978-3-86160-592-8<br />

eISBN (PDF) 978-3-86160-593-5<br />

eISBN (E-Pub) 978-3-86160-594-2 ISBN 978-3-98790-031-0<br />

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