Schriftenreihe Oldenburger Forschungsnetz Wirtschaft – Recht ...
Schriftenreihe Oldenburger Forschungsnetz Wirtschaft – Recht ...
Schriftenreihe Oldenburger Forschungsnetz Wirtschaft – Recht ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Schriftenreihe</strong> <strong>Oldenburger</strong> <strong>Forschungsnetz</strong><br />
<strong>Wirtschaft</strong> <strong>–</strong> <strong>Recht</strong> <strong>–</strong> Bildung<br />
Band 4<br />
Bettina Graue<br />
Britta Alexandra Mester<br />
Günter Siehlmann<br />
Magnus Westhaus<br />
(Hrsg.)<br />
International <strong>–</strong> Europäisch <strong>–</strong> Regional<br />
BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
BIS-Verlag, Oldenburg, 2007<br />
Verlag / Druck / Vertrieb<br />
BIS-Verlag<br />
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg<br />
Postfach 25 41<br />
26015 Oldenburg<br />
Tel.: 0441/798 2261, Telefax: 0441/798 4040<br />
E-mail: bisverlag@uni-oldenburg.de<br />
Internet: www.ibit.uni-oldenburg.de<br />
ISBN 978-3-8142-2052-9
Vorwort der Herausgeber 7<br />
Thomas Heinicke<br />
Verfassungsrechtlicher Umweltschutz in Deutschland und<br />
Südafrika <strong>–</strong> von der jungen Demokratie lernen 15<br />
Magnus Westhaus<br />
Supply Chain Controlling-Publikationen <strong>–</strong> Eine Analyse<br />
internationaler Referenzen 35<br />
Andreas Eiselt/Inge Wulf<br />
Wesentliche Bilanzierungsunterschiede bei Rechnungslegung<br />
nach International Financial Reporting Standards (IFRS) und<br />
US-Generally Accepted Accounting Principles (US-GAAP) 65<br />
Martin Duensing<br />
Wie machen es die Nachbarn?- Familienpolitik im Vergleich 97<br />
Dirk Höner<br />
Institutionalisierung qua Internationalisierung <strong>–</strong> Die Entwicklung<br />
der Unternehmensberatung aus neo-institutionalistischer<br />
Perspektive 119<br />
Herbert Schulze/Peter Wengelowski<br />
Transkulturelle Kompetenz <strong>–</strong> eine akteursorientierte<br />
Perspektive 143<br />
Tobias Menz<br />
Demographischer Wandel und Umweltqualität 177<br />
Bettina Reich<br />
Die Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS 199<br />
Udo Bonn<br />
Theorie Optimaler Währungsräume und ökonomische<br />
Konvergenz 227
Sarah Müller<br />
Epistemologische Überzeugungen zu Wissen und Wissenserwerb<br />
im europäischen Vergleich 247<br />
Chege, Victoria<br />
The Interaction of Race and Gender in EU Equality Law 267<br />
Romy Morana, Judy Libra<br />
Internationalisierung regionaler Produktkreisläufe 289<br />
Anne Rubens-Laarmann<br />
Tageszeitungen im Umbruch <strong>–</strong> Implikationen für das regionale<br />
Anzeigenmarketing 305<br />
Jörg Hammermeister<br />
All business is local - Möglichkeiten der strategischen<br />
Differenzierung durch regionale Markenführung <strong>–</strong> Am Beispiel<br />
von Marken der Unternehmen EWE, InBev und Rügenwalder 329
Vorwort der Herausgeber<br />
Inzwischen liegt der vierte Band des <strong>Forschungsnetz</strong>werkes <strong>Wirtschaft</strong> /<br />
<strong>Recht</strong> / Bildung an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg vor. Bereits<br />
im Jahre 2003 startete der erste Band mit dem Titel „Umwelt / Arbeit /<br />
Bildung“. Hierauf folgte der zweite Band mit dem Titel „Information / Wissen<br />
/ Kompetenz“ und der dritte zu den Themenkomplexen „Beratung -<br />
Evaluation - Transfer“. In Fortsetzung dieser Reihe wendet sich der vierte<br />
Mittelbauband einer „internationalen, europäischen und regionalen“ Themenstellung<br />
zu. Die Wissenschaftlerinnern und Wissenschaftler des Mittelbaus<br />
der Fakultät II präsentieren unter dieser Thematik ihre wirtschaftspädagogischen,<br />
rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsfelder.<br />
In Analogie zu den ersten drei Bänden bedient sich auch der vierte eines<br />
Dreiklangs und will die vielfältigen Forschungsschwerpunkte innerhalb des<br />
Mittelbaus in ihrer gesamten Bandbreite aufgreifen. Der gewählte Dreiklang<br />
steht für unterschiedliche aktuelle politische und gesellschaftliche Ebenen<br />
der Veränderung, die von der Wissenschaft aufgegriffen werden. Zu nennen<br />
sind die vielfach diskutierte Internationalisierung der <strong>Wirtschaft</strong>, der europäische<br />
Einigungsprozess und die Wechselwirkungen der beiden erstgenannten<br />
Bereiche mit der regionalen Entwicklung. Der Titel „international,<br />
europäisch, regional“ stellt nicht drei Begriffe isoliert nebeneinander, sondern<br />
betont vielmehr deren Potentiale einer integrativen Verflechtung.<br />
Die Gliederung des Sammelbandes orientiert sich an der gewählten Thematik.<br />
Es beginnt mit Beiträgen zu internationalen Forschungsfragen. Daran<br />
schließen sich Beiträge an, die den Fokus auf europäische Aspekte des wissenschaftlichen<br />
Diskurses legen. Den Schluss des Dreiklangs bilden Beiträge,<br />
die sich einer regionalen Ausrichtung verpflichtet sehen.<br />
Im Folgenden werden die verschiedenen Beiträge entsprechend dem Gliederungsschema<br />
zugeordnet und kurz inhaltlich eingeführt.
8<br />
International<br />
Den Beginn zu diesem ersten Themenblock macht der Autor Thomas Heinicke.<br />
Er vergleicht in seinem Beitrag „Verfassungsrechtlicher Umweltschutz<br />
in Deutschland und Südafrika <strong>–</strong> von der jungen Demokratie lernen“ die<br />
Verfassungen Deutschlands und Südafrikas im Hinblick auf das hier und<br />
dort verankerte Umweltgrundrecht miteinander. Während Art. 20a GG als<br />
bloße Staatszielverpflichtung nur den Staat zur Gewährleistung und Sicherung<br />
der natürlichen Ressourcen auffordert, stellt sich Sec. 24 (a) der Verfassung<br />
Südafrikas (SAC) als weit reichendes und einklagbares Grundrecht auf<br />
eine Umwelt dar, die weder die Gesundheit noch das Wohlbefinden des<br />
Einzelnen beeinträchtigen darf. Darüber hinaus wird über Sec. 24 (b) SAC<br />
ein Anforderungskatalog entwickelt, der u.a. das umweltrechtliche Vorsorgeprinzip<br />
beinhaltet. Der Autor kommt zu dem Schluss, dass Art. 20a GG<br />
auf der Basis der aus der südafrikanischen Verfassung gewonnenen Erkenntnisse<br />
erhebliche Schwächen insbesondere mit Blick auf die fehlende Verbindlichkeit<br />
des Nachhaltigkeitsprinzips zeigt.<br />
Der Beitrag von Magnus Westhaus trägt den Titel „Supply Chain Controlling<br />
<strong>–</strong> Eine Analyse internationaler Referenzen“. Die Diskussion um ein<br />
Supply Chain Controlling wird vornehmlich im deutschsprachigen Raum<br />
geführt. Hiervon unabhängig fließen dennoch internationale Erkenntnisse in<br />
Form von Referenzen in die Veröffentlichungen zum Supply Chain Controlling<br />
ein. Das Anliegen des Beitrages ist die Analyse der enthaltenen angloamerikanischen<br />
Referenzen mittels einer Zitatenanalyse. Ausgehend von<br />
einer Darstellung der Grundlagen des Supply Chain Managements, des Controllings<br />
und des Supply Chain Controllings wird die Forschungsmethodik<br />
der Zitatenanalyse dargestellt. Daran schließt sich die Darbietung der Analyseergebnisse<br />
an. Es werden interessante Einblicke in den Einfluss internationaler<br />
Publikationen auf die deutschsprachige Diskussion bezüglich des<br />
Supply Chain Controlling gegeben, so dass die Untersuchung einen weiteren<br />
interessanten Baustein zur Forschung zum Supply Chain Controlling darstellt.<br />
Der Aufsatz von Andreas Eiselt und Inge Wulf wendet sich der Thematik<br />
„Wesentliche Bilanzierungsunterschiede bei Rechnungslegung nach International<br />
Financial Reporting Standards (IFRS) und US-Generally Accepted<br />
Accounting Principles (US-GAAP)“ zu. IFRS und US-GAAP stellen für<br />
international tätige Unternehmen bzw. Konzerne die gegebenenfalls anzuwendenden<br />
<strong>Recht</strong>svorschriften dar. Zwischen beiden Standards bestehen
jedoch Unterschiede. Der Artikel wendet sich daher den wesentlichen Differenzen<br />
in den Ausweis-, Ansatz- und Bewertungsvorschriften der beiden<br />
Rechnungslegungsvorschriften zu, wobei der Fokus auf börsennotierte Handels-<br />
und Industrieunternehmen gelegt wird. Hierzu wird zunächst auf Unterschiede<br />
in den Rahmenbedingungen eingegangen. Im Anschluss daran<br />
folgt eine Gegenüberstellung der Differenzen in den Zielen und Grundsätzen<br />
der jeweiligen Rechnungslegung. Daran schließen sich Ausführung zu den<br />
Unterschieden in der formalen Ausgestaltung der Abschlussbestandteile und<br />
der bilanzorientierten Darstellung der wesentlichen Bilanzierungsunterschiede<br />
an. Als Resümee lässt sich festhalten, dass der Prozess der Angleichung<br />
der beiden Rechnungslegungssysteme als noch nicht abgeschlossen<br />
angesehen werden muss.<br />
Der Beitrag von Martin Duensing trägt den Titel „Wie machen es die Nachbarn?<br />
<strong>–</strong> Familienpolitik im Vergleich“. Hier wird unter Familienpolitik der<br />
Eingriff des Staates durch direkte und indirekte monetäre Maßnahmen in<br />
einzelwirtschaftliche Kalküle verstanden, der das Ziel verfolgt, die Geburtenrate<br />
zu beeinflussen. Zunächst werden Ausführungen geboten, wann eine<br />
Familienpolitik aus ökonomischer Sicht gerechtfertigt ist. Daran anschließend<br />
wird anhand von statistischem Datenmaterial aus verschiedenen westlichen<br />
Industriestaaten aufgezeigt, auf welche Bedingungen Familienpolitik<br />
zu reagieren hat und was Familienpolitik zu leisten im Stande ist. Die international<br />
gewonnenen Erkenntnisse werden abschließend zu möglichen Empfehlungen<br />
für eine deutsche Familienpolitik zusammengefasst.<br />
Dirk Höner greift in seinem Beitrag die Thematik „Institutionalisierung qua<br />
Internationalisierung <strong>–</strong> Die Entwicklung der Unternehmensberatung aus<br />
neo-institutionalistischer Perspektive“. Hier wird untersucht, mit welcher<br />
Berechtigung von einer Institution Unternehmensberatung gesprochen werden<br />
kann und wie ein derartiger Status entsteht. Für eine diesbezügliche<br />
Erklärung wird im Rahmen der Arbeit auf den Theorie-Ansatz des Neo-Institutionalismus<br />
zurückgegriffen. Um die Zielsetzung der Arbeit zu erreichen,<br />
wird zunächst auf die Institutionalisierungsprozesse im Rahmen des<br />
neo-institutionalistischen Theorieansatzes eingegangen. Danach folgt eine<br />
eingehende Auseinandersetzung mit der Institutionalisierung der Unternehmensberatung,<br />
bevor auf die Bedeutung des Institutionen-Status für die Unternehmensberatung<br />
eingegangen wird. Abschließend wird resümiert, dass<br />
die Unternehmensberatung zum gegenwärtigen Zeitpunkt aufgrund ihrer<br />
Institutionalisierung über ein Legitimationskapital verfügt. Daran anknüp-<br />
9
10<br />
fend wird ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungslinien der Unternehmensberatung<br />
gegeben.<br />
Herbert Schulze und Peter Wengelowski thematisieren „Transkulturelle<br />
Kompetenz <strong>–</strong> eine akteursorientierte Perspektive“. Zunächst wird hierzu in<br />
globale und interkulturelle Aspekte des Managements eingeführt. Im zweiten<br />
Kapitel wird kritisch auf die traditionelle Sichtweise eingegangen, dass eine<br />
effiziente Gestaltung von Strategie, Strukturen und System den Unternehmenserfolg<br />
garantiert. Das dritte Kapitel zeigt auf, dass dieser Ansatz im<br />
internationalen Kontext nicht mehr haltbar ist und es zu einer Berücksichtigung<br />
von Strategie, Kultur und Unternehmen kommen muss. Das vierte<br />
Kapitel diskutiert abschließend, ob die transkulturelle Kompetenz als ein<br />
weiterführender Ansatz begriffen werden kann.<br />
Der Artikel von Tobias Menz zum Demographischen Wandel und Umweltqualität“<br />
stellt den Einfluss der demographischen Veränderungen der kommenden<br />
Jahrzehnte auf den Umweltverbrauch bzw. die Umweltverschmutzung<br />
vor. Er konstatiert dabei weltweit regionale Unterschiede am Beispiel<br />
der Luftverschmutzung durch Kohlendioxid (typisch globale Umweltemission),<br />
Schwefeldioxid (typisch regionale Umweltemission) und Kohlenmonoxid<br />
(typisch lokale Umweltemission). Die vorgenommene Differenzierung<br />
nach High Income Countries (HIC), Middle Income Countries (MIC) und<br />
Low Income Countries (LIC) macht deutlich, dass Kohlendioxid vornehmlich<br />
in den HIC, Schwefeldioxid in den MIC und Kohlenmonoxid tatsächlich<br />
am stärksten in den LIC ausgestoßen wird. Der Autor räumt ein, dass seine<br />
Untersuchung lediglich erste Anhaltspunkte liefern kann, jedoch weitere<br />
wertvolle Erkenntnisse aus einer feineren Gliederung der regionalen Aufteilung<br />
der Länder mit ähnlicher Demographie und Wohlstandsniveau gezogen<br />
werden können. Abschließend sieht er im demographischen Wandel auch<br />
Einflüsse auf die Umweltpräferenzen und Konsummuster der Bevölkerung<br />
begründet, die seiner Ansicht nach näherer Untersuchung bedürfen.<br />
Bettina Reich behandelt in ihrem Beitrag die „Bilanzierung immateriellen<br />
Vermögens nach IFRS“. Der Wandel der Industriegesellschaft hin zu einer<br />
Dienstleistungs-, Hochtechnologie- und Informationsgesellschaft geht einher<br />
mit einem zunehmenden Bedeutungsverlust materieller Unternehmenswerte.<br />
Demgegenüber steigen immaterielle Vermögenswerte kontinuierlich an und<br />
stellen sich als zukünftiger Garant für Unternehmenserfolge und <strong>–</strong>werte dar.<br />
Im deutschen Bilanzrecht sind diese immateriellen Werte aber nur dann<br />
auszuweisen, wenn sie entgeltlich erworben wurden, so dass die Autorin der
Frage nachgeht, wie über die International Financial Reporting Standards<br />
(IFRS) neben der Bilanzierung der entgeltlichen immateriellen Vermögenswerte<br />
nach HGB auch selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte aktiviert<br />
werden können. Sie wirft dabei auch einen Blick auf die EU-Verordnung<br />
Nr. 1606/2002 und kommt zu dem Ergebnis, dass sich über die IFRS<br />
entscheidungsrelevante und dem True-and-Fair-View entsprechende Informationen<br />
ergeben. Darüber hinaus fordert sie für immaterielles Vermögen<br />
eine qualitative Offenlegung i.S.v. Intellectual-Capital-Berichten sowie eine<br />
quantitative Standardisierung.<br />
Europäisch<br />
Der Artikel von Udo Bonn trägt den Titel „Theorie Optimaler Währungsräume<br />
und ökonomischer Konvergenz“. Der Autor untersucht, ob die in<br />
Artikel 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft angestrebte<br />
ökonomische Konvergenz durch eine monetäre Integration gefördert<br />
wird. Hierzu werden zunächst die Ansätze der Monetaristen und Ökonomisten<br />
der klassischen Theorie zu Optimalen Währungsräumen betrachtet<br />
und deren Einfluss auf die ökonomische Konvergenz abgewogen. Es folgen<br />
Ausführungen zu neueren Entwicklungen der OCA-Theorie. Hier wird zwischen<br />
der Haltung der Europäischen Kommission, die eine gemeinsame<br />
Währung als einen Beschleuniger des Konvergenzprozesses sieht, und der<br />
Auffassung, dass die monetäre Integration zu Spezialisierungstendenzen und<br />
somit zu divergenten Entwicklung führt, unterschieden. Abschließend werden<br />
gängige empirische Methoden bezüglich der Bewertung Optimaler Währungsräume<br />
erläutert, bevor als Resultat die Sichtweise der Katalysatortheorie<br />
eine Bestätigung findet.<br />
Die Arbeit von Sarah Müller behandelt die Themenstellung „Epistemologische<br />
Überzeugungen und Wissenserwerb im europäischen Vergleich“. Menschen<br />
besitzen individuelle Überzeugungen beziehungsweise Systeme zu<br />
Wissen und Wissenserwerb, die unmittelbaren Einfluss auf Verstehen, Problemlösen<br />
und Handeln haben und selbst einem Entwicklungsprozess unterliegen.<br />
Nach Begriffsklärungen gibt die Autorin eine Einführung in Theorien<br />
und Modelle zu epistemologischen Überzeugungen. Im Anschluss daran<br />
wird der empirische Part der Arbeit dargeboten, der sich mit dem Wissen<br />
und Wissenserwerb von Lehrerinnen und Lehrern aus Deutschland und Österreich<br />
auseinandersetzt. Die Untersuchung zu deren epistemologischen<br />
Überzeugungen wird mit Hilfe eines Fragebogens durchgeführt. Abschlie-<br />
11
12<br />
ßend wird festgestellt, dass hinsichtlich der Auswirkungen der epistemologischen<br />
Überzeugungen auf das unterrichtliche Handeln noch ein erheblicher<br />
Forschungsbedarf besteht.<br />
Victoria Chege beschäftigt sich in ihrem Artikel mit der „Wechselwirkung<br />
von Rasse und Geschlecht im europäischen Gleichstellungsrecht“ (The Interaction<br />
of Race and Gender in EU Equality Law). Es geht darum, dass<br />
Diskriminierungen u.a. aufgrund des Geschlechts und der Rasse häufig nicht<br />
isoliert voneinander stattfinden, sondern miteinander korrespondieren. In<br />
diesem Zusammenhang wird auch von der Mehrfachdiskriminierung gesprochen.<br />
Die Autorin verdeutlicht, dass zwischen geschlechts- und rassisch<br />
bedingten Diskriminierungen Zusammenhänge bestehen, die zwar einen<br />
europarechtlichen Rahmen durch Art. 13 EG-Vertrag und die Antidiskriminierungsrichtlinien<br />
erhalten haben, jedoch nach wie vor Schwierigkeiten bei<br />
der Erfassung der sich überschneidenden Tatbestände bieten. Sie folgert aus<br />
dem Gender-Mainstreaming-Instrument der EU, dass es die Einbeziehung<br />
von Mehrfachdiskriminierungen in Bezug auf das Geschlecht erst ermöglicht,<br />
allerdings auch die Problematik der Hierarchisierung von Diskriminierungstatbeständen<br />
birgt.<br />
Regional<br />
Der Beitrag von Romy Morana und Judy Libra behandelt die „Internationalisierung<br />
regionaler Produktkreisläufe“. Wie im Titel erkennbar wird,<br />
zeichnet sich der Artikel dadurch aus, dass er sowohl internationale als auch<br />
regionale Aspekte aufgreift, wobei letztgenannte dominieren und die Zuordnung<br />
in die regionale Rubrik unterstreichen. Die Textilkette zeichnet sich<br />
durch vielfältige soziale und ökologische Probleme aus. Um die mit ihr verbundenen<br />
Umweltprobleme zu verringern, bietet sich die Einführung von<br />
Produktkreisläufen an. In der Arbeit werden zwei regionale Kreisläufe thematisiert<br />
und deren internationale Ausweitung diskutiert. Hierzu wird einleitend<br />
die globale Textilkette mit ihren sozialen und ökologischen Auswirkungen<br />
skizziert, bevor sich dem Kernanliegen der Arbeit <strong>–</strong> den Produktkreisläufen<br />
„ECOLOG“ und „GETEX“ zugewandt wird. Insbesondere für<br />
letztgenanntes wird eine internationale Ausweitung nahe gelegt. „ECOLOG“<br />
hingegen muss seine Probleme zunächst noch auf regionaler Ebene lösen.<br />
Anne Rubens-Laarmann setzt sich in ihrem Artikel mit dem Thema „Tageszeitungen<br />
im Umbruch <strong>–</strong> Implikationen für das regionale Anzeigenmarke-
ting“ auseinander. Tageszeitungen sind traditionell ein Medium mit hoher<br />
Bedeutung sowohl auf dem Rezipienten- als auch Werbemarkt. In Deutschland<br />
ist insbesondere ein hoher Anteil an lokalen und regionalen Zeitungen<br />
festzustellen. Insbesondere für Werbetreibende, die in deren Einzugsgebiet<br />
tätig sind, stellen sie ein Basismedium dar. Allerdings ist für den regionalen<br />
Anzeigenmarkt zu beobachten, dass dieser zunehmend an Bedeutung verliert<br />
und somit die Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft für die Verlage verloren<br />
gehen. Vor diesem Hintergrund setzt sich der vorliegende Artikel mit<br />
den aktuellen Entwicklungslinien im Anzeigengeschäft regionaler Tageszeitungen<br />
auseinander und untersucht die Konsequenzen für das Marketing<br />
im regionalen und lokalen Raum. Mit Hilfe des Dienstleistungsmarketing als<br />
ein Rahmenkonzept soll ein auf die Bedürfnisse regionaler Kunden abgestimmtes<br />
Anzeigenmarketing im Rahmen dieses Beitrages entworfen werden.<br />
Jörg Hammermeister behandelt unter dem Titel „All business is local <strong>–</strong><br />
Möglichkeiten der strategischen Differenzierung durch regionale Markenführung<br />
<strong>–</strong> Am Beispiel von Marken wie EWE, InBev und Rügenwalder“ die<br />
wachsende Bedeutung regionaler Marken als Identitätsstifterinnen in der<br />
Lebenswirklichkeit der Menschen innerhalb Europas, welches auch das<br />
zukünftige Konsumverhalten entscheidend mitprägen wird. An Beispielen<br />
aus der Metropolregion Bremen <strong>–</strong> Oldenburg wie Haake Beck Bier oder<br />
Rügenwalder Teewurst werden identitätsstiftende Gefühle wie „Frische des<br />
Nordens“ oder kleindörfliche Idylle nachgezeichnet, die der jeweiligen Marke<br />
ihr positives und unverwechselbares Image verleihen und die den Transfer<br />
zwischen der Region und der Marke herstellen. Er kommt zu dem<br />
Schluss, dass ein zielgerichtetes identitätsbasiertes Markenmanagement den<br />
Aufbau starker Marken fördert. Will eine Marke allerdings den Sprung über<br />
die Region hinaus schaffen und weitere Konsumenten erreichen, ist neben<br />
der regionalen Verankerung auch die Perspektive auf das Land bzw. die<br />
Welt erforderlich. Ein markenstrategische „Königtum“, so das engagierte<br />
Plädoyer des Verfassers, ist aber nur dort möglich, wo der Kunde als König<br />
begriffen wird <strong>–</strong> damit steht und fällt der Unternehmenserfolg gerade auch<br />
beim Vertrieb regionaler Marken, die den Käufern gleichzeitig Orientierungsmuster<br />
zur Verfügung stellen.<br />
13
14<br />
Wir bedanken uns bei allen Autorinnen und Autoren, die an diesem Mittelbauband<br />
mitgewirkt haben. Jeder Beitrag für sich eröffnet Möglichkeiten<br />
weiterführender Diskussionen.<br />
Wir danken darüber hinaus der Fakultät II der Carl von Ossietzky Universität<br />
Oldenburg für die finanzielle Unterstützung bei der Publikation.<br />
Diese <strong>Schriftenreihe</strong> wird 2007 fortgesetzt und behandelt im fünften Band<br />
die Thematik „Kapital / Kompetenz / Konflikte“.<br />
Oldenburg, Dezember 2006<br />
Bettina Graue, Britta Alexandra Mester, Günter Siehlmann, Magnus Westhaus
Thomas Heinicke<br />
Verfassungsrechtlicher Umweltschutz in Deutschland und<br />
Südafrika <strong>–</strong> von der jungen Demokratie lernen<br />
1 Einführung <strong>–</strong> Umweltschutz und Verfassungsrecht<br />
Breuer stellte schon vor 25 Jahren fest, dass der Umweltschutz „die Schicksalsaufgabe<br />
des modernen Staates” darstelle 1 . Angesichts des drastisch gestiegenen<br />
Verbrauchs natürlicher Ressourcen seit dieser Zeit sowie neu hinzugetretener<br />
Umweltgefahren 2 trifft diese Einschätzung zu Beginn des neuen<br />
Jahrtausends verschärft zu. Wird der Umweltschutz in wirtschaftlich weniger<br />
prosperierenden Zeiten auch gerne als Luxusgut abgetan, entspricht dies<br />
nicht der Bedeutung des Umweltschutzes für das Leben der heutigen und die<br />
Möglichkeiten der künftigen Generationen. Ein auf den Menschen bezogenes<br />
Umweltschutzverständnis ist darauf gerichtet, die Grundlagen des menschlichen<br />
Lebens dauerhaft zu sichern. Daher erscheint die Einordnung des Umweltschutzes<br />
als Schicksalsaufgabe nicht vermessen, wenn auch neben dem<br />
Umweltschutz eine Vielzahl anderer, ebenfalls bedeutsamer Staatsaufgaben<br />
anzuerkennen sind, die teilweise in Widerspruch zum Umweltschutz stehen 3 .<br />
1 Breuer, Der Staat 20 (1981), 393 (393).<br />
2 Eingehend Steinberg, Verfassungsstaat, S. 21 ff.<br />
3 Vgl. z.B. das Staatsziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts in Art. 109 Abs. 2 GG
16<br />
2 Das Prinzip nachhaltiger Entwicklung als Leitlinie der<br />
Umweltpolitik<br />
Der Umweltschutz bewegt sich im Spannungsfeld unterschiedlichster<br />
Staatsaufgaben. Neben dem Umweltschutz ist es auch Aufgabe eines Staates,<br />
lenkend in den <strong>Wirtschaft</strong>sprozess einzugreifen und eine Infrastruktur zu<br />
schaffen und zu erhalten.<br />
Das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung („sustainable development4 ) zeigt<br />
einen kompromissfähigen Mittelweg zwischen widerstreitenden Interessen<br />
auf und bricht mit dem Absolutheitsanspruch des Umweltschutzes5 . Der<br />
Begriff beinhaltet ein ausdrückliches Bekenntnis zu einer wirtschaftlichen<br />
Entwicklung, solange diese nachhaltig ist und damit Belange des Umweltschutzes,<br />
der Ressourcenschonung und Interessen der künftigen Generationen<br />
im Rahmen von wirtschaftlichen und entwicklungspolitischen Entscheidungsprozessen<br />
berücksichtigt6 .<br />
2.1 Die Verfassung als Grundlage einer Entscheidung zwischen<br />
konfligierenden Staatsaufgaben<br />
Auf nationalstaatlicher Ebene kann Umweltschutz nur in der Verfassung als<br />
rechtlicher Grundordnung eines Staates sinnvoll verankert werden. Die Verfassung<br />
legitimiert staatliches Handeln auf dem Gebiet des Umweltschutzes,<br />
sowohl unter dem Aspekt der finanziellen Aufwendungen für Forschung und<br />
Förderung7 , als auch im Hinblick auf die mit Umweltschutz verbundenen<br />
z.T. erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigungen für Umweltnutzer8 . Angesichts<br />
der Bedeutung des Umweltschutzes für das Leben und die Gesundheit<br />
4 Vgl. hierzu den Bericht der sog. Brundlandkomission aus dem Jahre 1987, in welchem<br />
sustainable development wie folgt definiert wurde: .„... development that meets the need of<br />
the present without comprising the ability of future generations to meet their own needs”,<br />
World Commission on Environment and Development, Our common future, 1987, S. 43.<br />
5 Wolf in AK-GG, Art. 20a Rn. 24; Sieben, NvwZ 2003, 1173 (1175).<br />
6 Glazewski, Environmental Law, S. 15.<br />
7 Beispielsweise auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien, insbesondere der Windkraft.<br />
8 Beispielsweise mit Blick auf die Betreiber von Kernkraftwerken und den Atomausstieg.
der Menschen stellt sich die Frage nach der angemessenen verfassungsrechtlichen<br />
Absicherung staatlichen Umweltschutzes als einer Schicksalsaufgabe<br />
des modernen Staates. Hierbei sind die deutsche und die südafrikanische<br />
<strong>Recht</strong>sordnung gegenüberzustellen.<br />
2.2 Schnittmenge und Unterschiedlichkeiten zwischen deutschem und<br />
südafrikanischem Verfassungsrecht<br />
Ein Vergleich zwischen dem Grundgesetz und der südafrikanischen Verfassung9<br />
mutet zunächst merkwürdig an, da beide Länder faktisch in vielfacher<br />
Hinsicht unterschiedlich sind und keine besonderen Bezüge der <strong>Recht</strong>sordnungen<br />
untereinander zu bestehen scheinen.<br />
Allerdings weisen beide Verfassungen bei näherer Betrachtung weitgehende<br />
Parallelen auf, die einen Vergleich erst vernünftigerweise möglich machen.<br />
Diese Parallelen treten insbesondere auf der Ebene der eine Verfassung<br />
kennzeichnenden Staatsstrukturprinzipien10 , aber auch anhand der grundsätzlichen<br />
Ausrichtung auf den Schutz der Menschenwürde als oberstem<br />
Verfassungswert11 sowie in einem in weiten Teilen vergleichbaren bzw.<br />
identischen Grundrechtskatalog12 zutage. Die erstaunlichen Parallelen zwischen<br />
beiden Verfassungen rühren zum einen daher, dass das Grundgesetz<br />
neben anderen Verfassungen als explizites Vorbild der südafrikanischen<br />
Verfassung diente und zum anderen überproportional viele deutsche Staatsrechtler<br />
in den Prozess der Verfassungsberatung involviert waren.<br />
Im Unterschied zu den ursprünglichen historischen Motiven des deutschen<br />
Verfassunggebers aus dem Jahre 1949, der das Grundgesetz in der Erwartung<br />
der kurzfristigen Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands<br />
lediglich als Übergangsstatut sah, stellt die südafrikanische Verfassung aus<br />
dem Jahre 1996 einen Dauerhaftigkeitsanspruch auf und ist darauf gerichtet,<br />
9 Constitution of the Republic of South Africa, Act 108 of 1996, hiernach SAC.<br />
10 So finden sich die im Grundgesetz verankerten Republik-, Demokratie- und Aspekte des<br />
<strong>Recht</strong>sstaatsprinzipien auch in Sec. 1 SAC wieder, während die südafrikanische Verfassung<br />
das Bundesstaatsprinzip nicht kennt und Elemente des Sozialstaatsprinzips an mehreren<br />
Stellen der Verfassung zum Ausdruck kommen, Vorschrift abgedruckt bei Grupp, Südafrikas<br />
neue Verfassung, Anhang.<br />
11 Vgl. Sec. 1 SAC.<br />
12 Vgl. Sec. 9-26 SAC.<br />
17
18<br />
die Transformation der ehemals geteilten Gesellschaft Südafrikas zu einem<br />
an Freiheit, Gleichheit und gemeinsamen Wohlstand ausgerichteten Staatswesen<br />
voranzutreiben. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich der südafrikanische<br />
Verfassungsgeber dazu entschieden, die Grundrechte <strong>–</strong> anders als in<br />
klassischen Verfassungsordnungen wie dem Grundgesetz <strong>–</strong> auch für das<br />
Verhältnis unter Privaten für verbindlich zu erklären.<br />
Im Grundsatz sowie im Detail bestehen daher auch zahlreiche Unterschiede<br />
zwischen beiden Staatsordnungen, was insbesondere auch im konkreten<br />
Vergleichspunkt, der Frage nach der angemessenen verfassungsrechtlichen<br />
Anerkennung des Umweltschutzes, der Fall ist.<br />
3 Umweltgrundrecht oder Staatszielbestimmung als<br />
Ausgestaltungsmöglichkeiten verfassungsrechtlichen<br />
Umweltschutzes<br />
Der Frage nach der angemessenen Absicherung des Umweltschutzes ist auf<br />
zwei Ebenen nachzugehen. Zum einen ist zu untersuchen, in welcher verfassungsrechtlichen<br />
Form der Umweltschutz gewährleistet wird, zum anderen,<br />
welchen Inhalt die Absicherung hat. Im Rahmen dieser Darstellung kann in<br />
formeller Hinsicht nur auf die Ausgestaltungsformen Staatszielbestimmung<br />
und Grundrecht und in materieller Hinsicht auf die Verkörperung des Nachhaltigkeitsprinzips<br />
eingegangen werden 13 . Es werden zunächst die Unterschiede<br />
zwischen Staatszielbestimmung und Grundrecht aufgezeigt.<br />
3.1 Begriff der Staatszielbestimmung<br />
Staatszielbestimmungen weisen dem Staat normativ verbindlich eine Sachaufgabe<br />
zu, aus der eine <strong>Recht</strong>spflicht zur Befolgung des Inhalts für den<br />
Staat und seine Organe folgt. Nach gängiger Definition sind Staatszielbestimmungen<br />
„Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der<br />
Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Auf-<br />
13 Eine nähere Untersuchung erfolgt im Rahmen der Dissertation des Verfassers, „Verfassungsrechtlicher<br />
Umweltschutz in Deutschland und in der Verfassung der Republik Südafrika<br />
<strong>–</strong> eine vergleichende Betrachtung“ (Universität zu Köln), die 2006 abgeschlossen<br />
wurde.
gaben <strong>–</strong> sachlich umschriebener Ziele <strong>–</strong> vorschreiben“ 14 . Ein praktisch relevanter<br />
Unterschied insbesondere zum Grundrecht ist ihr objektiv-rechtlicher<br />
Charakter, der die Staatszielbestimmung zu einer lediglich staatsintern wirkenden<br />
Norm werden lässt. Weder ist der Einzelne durch eine Staatszielbestimmung<br />
adressiert, noch kann er aus ihr einen Anspruch auf Befolgung der<br />
<strong>Recht</strong>spflicht ableiten 15 .<br />
3.2 Begriff des Grundrechts<br />
Im Unterschied zu Staatszielbestimmungen definieren sich Grundrechte<br />
dadurch, dass sie durchsetzbare und damit einklagbare16 Ansprüche auf<br />
Unterlassen oder positives Tun gewähren und die Verfassungspflicht damit<br />
zumindest auch subjektive <strong>Recht</strong>e gewährleistet17 . Es werden zwei Ausformungen<br />
von Grundrechten unterschieden. Zum einen stellen Grundrechte in<br />
ihrem klassischen, liberalen Verständnis als Beschränkungsform staatlicher<br />
Macht Abwehrrechte gegen staatliche Eingriffe dar18 . Jedoch vermag alleine<br />
die Freiheit von staatlichem Zwang den Anforderungen an die Grundrechtsverwirklichung<br />
im modernen Verfassungsleben, in welchem der Staat maßgeblichen<br />
Einfluss auf vielerlei Umstände der Grundrechtsverwirklichung<br />
ausübt, nicht auszureichen. Daher gewährt die Verfassung neben den klassischen,<br />
liberalen Abwehrrechten in begrenztem Umfang Leistungs- und Teilhaberechte,<br />
die dem Einzelnen einen Anspruch auf positives staatliches<br />
Handeln gewähren, der über das bloße Unterlassen einer Handlung hinausgeht19<br />
.<br />
Neben der subjektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte beinhalten diese<br />
ebenso wie die Staatszielbestimmungen eine objektiv-rechtliche Ebene. Sie<br />
besitzen als Wertentscheidungen der Verfassung Ausstrahlungswirkung auf<br />
14 Bericht der Sachverständigenkommission Gesetzgebungsaufträge/Staatszielbestimmungen,<br />
Rn. 7.<br />
15 Murswiek in Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 12.<br />
16 Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S. 28.<br />
17 Dreier in ders. (Hrsg.), GG, vor Art. 1 Rn. 30.<br />
18 Z.B. das <strong>Recht</strong> auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.<br />
19 Z.B. das <strong>Recht</strong> auf Berufs-, Ausbildungs- und Studierfreiheit in Art. 12 Abs. 1 GG in<br />
Bezug auf die Einrichtung von Studienplätzen<br />
19
20<br />
die gesamte <strong>Recht</strong>sordnung20 . Auch wenn Private im deutschen Verständnis<br />
nicht grundrechtsgebunden sind, werden die in den Grundrechten zum Ausdruck<br />
kommenden Schutzgüter des Einzelnen auch gegen Beeinträchtigungen<br />
von privater Seite im Rahmen der staatlichen Schutzpflichten geschützt.<br />
Hieraus resultiert jedoch kein direkter Abwehranspruch des Geschädigten<br />
gegen den Schädiger, sondern in von der <strong>Recht</strong>sprechung in einzelnen Fallgruppen<br />
näher bestimmten Grenzen kann der Geschädigte gegen den Staat<br />
einen Anspruch auf Einschreiten gegen den Schädiger geltend machen.<br />
Im folgenden sind die umweltspezifischen Bestimmungen von Grundgesetz<br />
und südafrikanischer Verfassung gegenüberzustellen.<br />
4 Die Entwicklung des Umweltschutzgedankens im<br />
Grundgesetz<br />
Die ökologische Herausforderung an den Staat war noch nicht absehbar, als<br />
das Grundgesetz nach dem zweiten Weltkrieg beraten und geschaffen wurde21<br />
. Entsprechend hatte das Grundgesetz in seiner ursprünglichen Fassung<br />
den natürlichen Lebensgrundlagen weder durch die Grundrechte, noch durch<br />
objektiv-rechtliche Prinzipien hinreichenden Schutz gewährt22 .<br />
Im Zuge des Erwachens eines allgemeinen Umweltbewusstseins ab Ende der<br />
sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts23 stellte sich die Frage nach<br />
der verfassungsrechtlichen Antwort auf die drängenden Umweltprobleme der<br />
Zeit. Im Anschluss an eine Regierungserklärung von Bundeskanzler Brandt<br />
aus dem Jahre 1972, in welcher er als Ziel seiner Regierung die Einfügung<br />
eines Umweltgrundrechts in das Grundgesetz ausgab, entbrannte eine langjährige<br />
Diskussion über Möglichkeiten und Risiken eines Umweltgrund-<br />
20 Ständige <strong>Recht</strong>sprechung des BVerfG seit BVerfGE 7, 198 (208 f.).<br />
21 So auch Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission Staatszielbestimmungen /<br />
Gesetzgebungsaufträge, BT 12/6000, S. 65, hiernach Verfassungskommission; Bock, Umweltschutz,<br />
S. 112 f; Scholz in Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20a (Stand: Oktober 1996)<br />
Rn. 19.<br />
22 Verfassungskommission, S. 65. Alleine in den Kompetenzbestimmungen thematisierte die<br />
Ursprungsfassung Aspekte des Umweltschutzes.<br />
23 Bock, Umweltschutz, S. 53 f.; Kloepfer, Umweltrecht, § 2 Rn. 82 ff.
echts, die jedoch zunehmend auf eine Ablehnung subjektiv-rechtlicher<br />
Umweltschutzgewährleistungen hinauslief 24 . Begründet wurde diese ablehnende<br />
Auffassung insbesondere mit Hinweis auf die Gefahr, dass die <strong>Recht</strong>sprechung,<br />
die bei einer grundrechtlichen Ausgestaltung des Umweltschutzes<br />
zur Konkretisierung des notwendigerweise abstrakt gehaltenen <strong>Recht</strong>s<br />
aufgerufen wäre, an Stelle des Gesetzgebers und an diesem vorbei Umweltrecht<br />
gestalten könnte. Wohl auch unter dem Eindruck der ablehnenden<br />
Literaturauffassung erklärte Bundeskanzler Schmidt 1976 die Abkehr von<br />
der subjektiv-rechtlichen Lösung hin zur Prüfung der Aufnahme einer objektiv-rechtlichen<br />
Umweltschutzbestimmung in das Grundgesetz. Auch an<br />
diese Entscheidung knüpfte sich eine längere Diskussion an, die in den achtziger<br />
Jahren des vergangenen Jahrhunderts annähernd verstummte und erst<br />
durch die Verfassungsreformen im Zuge der deutschen Wiedervereinigung<br />
wieder aktuell wurde 25 .<br />
5 Die Staatszielbestimmung Umweltschutz - Art. 20a GG<br />
als Grundnorm verfassungsrechtlichen Umweltschutzes<br />
im Grundgesetz<br />
Während zahlreiche ausländische Staaten bereits ab den siebziger Jahren des<br />
vergangenen Jahrhunderts subjektiv-rechtliche Umweltschutzgewährleistungen<br />
in ihre Verfassungen aufnahmen 26 , entschied sich der deutsche verfassungsändernde<br />
Gesetzgeber für die Aufnahme einer objektiv-rechtlichen<br />
Staatszielbestimmung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Art.<br />
20a GG in das Grundgesetz. Am 27.10.1994 wurde mit dem 42. Änderungsgesetz<br />
zum Grundgesetz 27 der Umweltschutz in Art. 20a a.F. GG eine expli-<br />
24 Zusammengefasst bei Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, S. 1 ff.<br />
25 Ausführliche Diskussionsdarstellung bei Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S. 37 ff.<br />
26 Vgl. Art. 21 der niederländischen Verfassung vom 17.02.1983 Art. 66 Abs. 1, 3 der Verfassung<br />
Portugals vom 02.04.1976 Art. 56 Abs. 1, 2 der Verfassung der Türkei vom<br />
07.11.1982<br />
27 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994, BGBl. I, 3146.<br />
21
22<br />
ziten Umweltschutzklausel verankert und durch die Grundgesetzänderung<br />
vom 26.07.200228 um den Aspekt des Tierschutzes ergänzt:<br />
„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die<br />
natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen<br />
Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und<br />
<strong>Recht</strong> durch die vollziehende Gewalt und die <strong>Recht</strong>sprechung”.<br />
Bei Art. 20a GG handelt es sich nach dem Wortlaut der Norm und der Intention<br />
des verfassungsändernden Gesetzgebers um eine Staatszielbestimmung29<br />
. Im Folgenden ist der Inhalt der Umweltschutzklausel zu untersuchen.<br />
5.1 Der Bezug auf das Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit<br />
Art. 20a GG bekennt sich nicht ausdrücklich zum Prinzip nachhaltiger Entwicklung,<br />
fordert jedoch den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen<br />
„auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“. Hiermit bezieht<br />
sich die Norm inhaltlich30 auf das völkergewohnheitsrechtlich anerkannte31 Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit (principle of intergenerational<br />
equity) 32 , welches ein Unterprinzip des umfassenderen Nachhaltigkeitsprinzips<br />
darstellt33 . Das Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit hält jede<br />
Generation dazu an, ihre natürlichen Ressourcen und das kulturelle Erbe in<br />
einer Art und Weise zu entwickeln und zu benutzen, dass sie an künftige<br />
Generationen in einem Zustand weitergegeben werden können, der nicht<br />
schlechter ist als der Zustand, in dem die Güter empfangen wurden34 .<br />
Fraglich ist, welche <strong>Recht</strong>sfolgen sich an die verfassungsrechtliche Anerkennung<br />
des Prinzips intergenerationeller Gerechtigkeit knüpfen.<br />
28 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26.07.2002, BGBl. I, 2862.<br />
29 Verfassungskommission, S. 67 f.<br />
30 So auch Schulze-Fielitz in Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 34.<br />
31 So Weeramantry in Advisory opinion on the legality of the threat or use of nuclear weapons,<br />
ICJ Rep. 1996, 266; Birnie/Boyle, International Environmental Law, S. 90 f.<br />
32 Vgl. Hierzu die Darstellung bei Birnie/Boyle, International Environmental Law, S. 89.<br />
33 Birnie/Boyle, International Environmental Law, S. 89.<br />
34 Birnie/Boyle, International Environmental Law, S. 89.
5.2 Folgen der Bezugnahme auf das Prinzip intergenerationeller<br />
Gerechtigkeit<br />
Die Bestimmung erweitert die Perspektive der von der Bestimmung adressierten<br />
Staatsorgane, in dem unkonkretisierte, künftige Generationen in den<br />
staatlichen Schutzauftrag einbezogen werden35 . Die perspektivische Erweiterung<br />
hat zum einen Einfluss auf die Auslegung des Schutzgegenstandes der<br />
natürlichen Lebensgrundlagen und zum anderen auf das durch die Verfassung<br />
gebotene Maß an Umweltschutz.<br />
Hinsichtlich des Schutzgegenstandes herrscht in der Literatur Einigkeit darüber,<br />
dass die natürlichen Lebensgrundlagen nicht völlig unberührte Natur<br />
beschreiben36 , da diese in Deutschland praktisch nicht mehr vorzufinden<br />
ist37 . Die Einbeziehung künftiger Generationen in den Schutzauftrag erlaubt<br />
darüber hinausgehend, den Schutzumfang um Elemente einer zukünftig<br />
immer weiter urban geprägten Lebenswirklichkeit zu erweitern38 . Dies bewirkt<br />
entgegen der Auffassung von weiten Teilen der Literatur39 eine Annäherung<br />
von soziologischem und natürlichem Umweltbegriff. Diese Auslegung<br />
steht auch im Einklang mit der Einschätzung des verfassungsändernden<br />
Gesetzgebers, wonach Art. 20a GG als Staatsziel einen „dynamisch(en), auf<br />
die künftige Gestaltung sozialer Lebensverhältnisse zielend(en) Gehalt“<br />
aufweist40 .<br />
35 Tsai, Staatliche Umweltschutzpflichten, S. 86; kritisch Schulze-Fielitz, der eine Überforderung<br />
der heutigen Generation befürchtet,. in Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 31.<br />
36 Scholz in Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 36; Calliess, <strong>Recht</strong>sstaat und Umweltstaat,<br />
S. 108; Kloepfer in BK-GG, Art. 20a Rn. 52.<br />
37 Kloepfer in BK-GG, Art. 20a Rn. 52; Calliess, <strong>Recht</strong>sstaat und Umweltstaat, S. 108, Wolf<br />
in AK-GG, Art. 20a Rn. 19.<br />
38 Demnach besitzen auch nicht originär umweltspezifische Fragestellungen wie das Begrünungsschema<br />
einer Großstadt, Belüftungskorridore, Lichteinfallswinkel etc. des modernen<br />
Stadtlebens eine umwelterhebliche Dimension.<br />
39 Steiger in Salzwedel (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, S. 4; Murswiek in Sachs<br />
(Hrsg.), GG, Art, 20a Rn. 27; Kloepfer in BK-GG, Art. 20a Rn. 52.; ders., Umweltrecht, §<br />
1 Rn. 15; Tsai, Staatliche Schutzpflichten, S 19 ff.<br />
40 Verfassungskommission, S. 67; auch Scholz geht von einem „weithin <strong>–</strong> gerade auch in die<br />
Zukunft hinein <strong>–</strong> gestaltungsoffenen Begriff auf“, ders. in Maunz/Dürig (Hrsg.), GG, Art.<br />
20a; Rn. 36; ähnlich Epiney in von Mangold/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 17b;<br />
Bernsdorff, NuR 1997, 328 (332).<br />
23
24<br />
Des Weiteren bewirkt die durch Art. 20a GG unterstrichene Langzeitverantwortung<br />
eine Veränderung der Beurteilung von aktuellen Umweltrisiken.<br />
Die perspektivische Einbeziehung von unbestimmten künftigen Generationen<br />
erweitert den Schutzauftrag des Staates weit über die heute lebende<br />
Bevölkerung hinaus. Entsprechend sind heutige Risiken auch im Hinblick<br />
auf Langzeitfolgen oder die Gefahr der Akkumulation zu untersuchen und<br />
im Rahmen der Verpflichtung auszuschließen41 .<br />
Ebenfalls als Ausprägung der Langzeitverantwortlichkeit und im Hinblick<br />
auf die Bedürfnisse künftiger Generationen ergibt sich die staatliche Verpflichtung,<br />
bei nicht erneuerbaren Ressourcen das Prinzip der Sparsamkeit42 anzuwenden und bei erneuerbaren Ressourcen das Nachhaltigkeitsprinzip43 zu beachten. Begründen lässt sich dies mit der Verpflichtung des Staates,<br />
gleiche Möglichkeiten der Ressourcennutzung für künftige Generationen zu<br />
wahren44 oder aber gleichwertige Alternativen z.B. auf dem Gebiet der erneuerbaren<br />
Energien zur Verfügung zu stellen.<br />
5.3 Art. 20a GG als gehaltvolle Anforderung an die deutsche<br />
Umweltpolitik<br />
Art. 20a GG stellt bereits unter dem Aspekt der Generationenverantwortlichkeit<br />
eine tragfähige Vorgabe für nachhaltigen Umweltschutz dar. Der Norm<br />
liegt ein weites Verständnis des Schutzobjekts der natürlichen Lebensgrundlagen<br />
zugrunde, und sie erklärt das Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit<br />
zur Grundlage der Umweltpolitik.<br />
Diesem Befund ist die südafrikanische <strong>Recht</strong>slage gegenüberzustellen.<br />
41 Petersen, Umweltrecht, Rn. 150, 153; Schulze-Fielitz in Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn.<br />
36; Epiney in von Mangold/Klein/Starck (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 31.<br />
42 Petersen, Umweltrecht, Rn. 151; Schulze-Fielitz in Dreier (Hrsg.), GG, Art. 20a Rn. 36.<br />
43 Hier verstanden im ursprünglichen, im deutschen Forstrecht entwickelten Sinne, vgl.<br />
Petersen, Umweltrecht, Rn. 152., der letztlich aber doch die Berücksichtigung des weitergehenden<br />
Principle of sustainable development als maßgeblich erachtet.<br />
44 Birnie/Boyle, International Environmental Law, S. 89.
6 Der südafrikanische Ansatz: Gewährung eines<br />
einklagbaren Umweltgrundrechts<br />
Die südafrikanische Verfassung gewährt in Sec. 24 SAC ein aus zwei Elementen<br />
bestehendes Umweltgrundrecht.<br />
Zum einen garantiert Sec. 24 (a) SAC jedermann eine Umwelt, die sich nicht<br />
schädlich auf die Gesundheit oder das Wohlbefinden auswirkt, während Sec.<br />
24 (b) SAC ein <strong>Recht</strong> auf positiven Umweltschutz gewährt45 .<br />
Der Text von Sec. 24 SAC lautet:<br />
„[Sec. 24 SAC] Environment<br />
Everyone has the right <strong>–</strong><br />
(a) to an environment that is not harmful to their health or well-being;<br />
and<br />
(b) to have the environment protected, for the benefit of present and future<br />
generations, through reasonable legislative and other measures<br />
that <strong>–</strong><br />
(i) prevent pollution and ecological degradation;<br />
(ii) promote conservation; and<br />
(iii) secure ecologically sustainable development and use of<br />
natural resources while promoting justifiable economic and<br />
social development.”<br />
Im südafrikanischen Schrifttum wurde die Aufnahme der Umweltschutzklausel<br />
begrüßt46 .<br />
45 Loots, SAJELP 1997, 57 (57); Devenish, Bill of Rights, S. 331.<br />
46 Glazewski betont sogar, dass Sec. 24 SAC den wichtigsten Schritt zur Entwicklung des<br />
südafrikanischen Umweltrechts darstellt, ders., Environmental Law, S. 77.<br />
25
26<br />
6.1 Sec. 24 (a) SAC als Grundnorm individualschützenden Umweltrechts<br />
in der Verfassung der Republik Südafrika<br />
Sec. 24 (a) SAC konstituiert ein Grundrecht mit zwei Schutzrichtungen. Die<br />
Norm beinhaltet einen Abwehranspruch gegen eine die Gesundheit<br />
(„health“) oder das Wohlbefinden („well-being“) beeinträchtigende Umwelt.<br />
Der Begriff der Gesundheit in Sec. 24 (a) SAC umfasst primär die physische<br />
Integrität des Menschen47 , während die Bedeutung von „well-being“ umstritten<br />
ist. Zum Teil wird angenommen, dass „well-being“ die psychische<br />
Gesundheit des Menschen umfasse48 . Andere Literaturvertreter lösen den<br />
Begriff des „well-being“ von der Gesundheit und sehen hierin ein Abwehrrecht<br />
gegen durch Umweltbelastungen vermitteltes emotionales und ästhetisches<br />
Unwohlsein49 oder schlicht eine Beeinträchtigung der umweltrechtlichen<br />
Interessen des Einzelnen50 .<br />
Das Grundrecht findet Anwendung gegenüber jeder Form von privater oder<br />
öffentlicher Umweltbeeinträchtigung51 und hat sich in der südafrikanischen<br />
<strong>Recht</strong>spraxis zu einer bedeutenden Vorschrift zur Erzwingung umweltrechtlicher<br />
Standards entwickelt52 .<br />
6.2 Sec. 24 (b) SAC<br />
Trotz der schwerlich überschaubaren Weite eines solchen Anspruchs gewährt<br />
Sec. 24 (b) SAC jedermann unabhängig von der Betroffenheit in Gesundheit<br />
oder Wohlbefinden oder sonstigen <strong>Recht</strong>en53 ein <strong>Recht</strong> auf einen an<br />
den in Sec, 24 (b) (i) bis (iii) genannten Faktoren ausgerichteten Umweltschutz.<br />
Der Anspruch aus Sec. 24 (b) SAC ist angesichts der aufgezählten<br />
47 Vgl. du Bois/Glazewski, The Environment and the Bill of Rights, 2 B 18.<br />
48 Winstanley, SAJELP 1995, 85 (94).<br />
49 Liebenberg in Fundamental Rights in the Constitution, S. 260.<br />
50 Glazewski, Environmental Law, S. 86.<br />
51 Glazewski, Environmental Law, S. 89; De Waal/Currie/Erasmus, The Bill of Rights Handbook,<br />
S. 405; Loots, SAJELP 1997, 57 (59).<br />
52 Glazewski, Environmental Law, S. 77.<br />
53 Devenish, South African Constitution, S. 334; Liebenberg in Fundamental Rights in the<br />
Constitution, S. 260.
Faktoren auf ein positives Handeln des Grundrechtsverpflichteten gerichtet54<br />
.<br />
In inhaltlicher Hinsicht ähnelt die Norm einer Staatszielbestimmung55 , da sie<br />
die Verpflichtung des Staates ausdrückt, eine adäquate Umweltgesetzgebung,<br />
-verwaltung und -rechtsprechung zu schaffen56 .<br />
Die Norm zählt in Sec. 24 (b) (i)-(iii) SAC Anforderungen an den zu verlangenden<br />
Umweltschutz auf, die das umweltrechtliche Vorsorgeprinzip57 umfassen<br />
(Sec. 24 (b) (i)-(ii) SAC) und eine Ausrichtung des Umweltschutzes<br />
anhand des Prinzips nachhaltiger Entwicklung58 erfordern (Sec. 24 (b) (iii)<br />
SAC) 59 . Im Hinblick auf die letztgenannte Verpflichtung muss der alleine<br />
grundrechtsverpflichtete Staat nachhaltige Entwicklung sicherstellen und<br />
zugleich eine vertretbare wirtschaftliche und soziale Entwicklung fördern.<br />
Hiermit wird dem Grundrechtsverpflichteten eine schwierige Abwägungsaufgabe<br />
übertragen, da die verschiedenen Vorgaben, die an anderer<br />
Stelle in der Verfassung konkretisiert werden60 , miteinander in Konflikt<br />
stehen61 .<br />
54 Du Bois/Glazewski, The Environment and the Bill of Rights, 2B-28; de Waal/ Currie/<br />
Erasmus, The Bill of Rights Handbook, S. 406; Glazewski, Environmental Law, S. 87;<br />
Winstanley SAJELP 1997, 135 (138).<br />
55 Glazewski, Environmental Law, S. 85.<br />
56 De Waal/Currie/Erasmus, The Bill of Rights Handbook, S. 406.<br />
57 Du Bois/Glazewski, The Environment and the Bill of Rights, 2B-29.<br />
58 Liebenberg in Fundamental Rights in the Constitution, S. 261; Devenish, South African<br />
Bill of Rights, S. 334 f.<br />
59 Du Bois/Glazewski erkennen in Sec. 24 (b) eine Vielzahl umweltrechtlicher Prinzipien<br />
verankert, u.a. das Verursacherprinzip sowie das Prinzip geteilter, aber differenzierter Verantwortung,<br />
dies., The Environment and the Bill of Rights, 2B-29 f.; Devenish sieht die<br />
Anforderungen des Sec. 24 (b) SAC auf das Nachhaltigkeitsprinzip reduziert, ders., South<br />
African Bill of Rights, S. 335.<br />
60 Vgl. z.B. das Grundrecht auf angemessenen Wohnraum in Sec. 26 SAC.<br />
61 Liebenberg in Fundamental Rights in the Constitution, S. 261; Grupp spricht von “Gegenpol”,<br />
ders., Südafrikas neue Verfassung, S. 71.<br />
27
28<br />
Weiterhin verlangt Sec. 24 (b) SAC ausdrücklich ein Handeln im Interesse<br />
heutiger und künftiger Generationen. Hiermit bezieht sich die Norm nochmals<br />
inhaltlich auf das Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit62 .<br />
Die in der Norm aufgezählten Anforderungen an den Umweltschutz sind,<br />
wie die Prinzipien, die sie verkörpern, nicht isoliert voneinander, sondern im<br />
Zusammenhang zu betrachten63 .<br />
6.3 Gerichtliche Durchsetzbarkeit von Sec. 24 (a) und Sec. 24 (b) SAC<br />
Fraglich ist, ob die Grundrechte auch gerichtlich für den Einzelnen durchsetzbar<br />
sind, was insbesondere in der deutschen Diskussion um die Möglichkeiten<br />
eines Umweltgrundrechts aus Gründen der Gewaltenteilung abgelehnt<br />
wurde. Gegen die gerichtliche Durchsetzbarkeit der südafrikanischen Umweltgrundrechte<br />
werden im Wesentlichen die gleichen Argumente wie bei<br />
der parallelen deutschen Diskussion um die Aufnahme eines Umweltgrundrechts<br />
in das Grundgesetz vertreten.<br />
So bestehen Bedenken zunächst im Hinblick auf die politische Umstrittenheit<br />
angemessenen Umweltschutzes. Es existiere in modernen Gesellschaften<br />
zu wenig Konsens über die Gültigkeit oder die Weite von umweltschützenden<br />
Leitprinzipien oder deren konkreter Umsetzung, als dass die Gerichte<br />
konstruktiv tätig werden dürften. Soweit eine Umsetzung durch die Gerichte<br />
erfolge, bestehe die Gefahr, dass die Gerichte an Stelle des Gesetzgebers<br />
konstruktive und politische Entscheidungen treffen64 , die überdies den<br />
Staatshaushalt belasten.<br />
Des Weiteren sei die Fassung des Umweltgrundrechts so vage, dass die konkrete<br />
Normanwendung die Gerichte vor schwer lösbare Aufgaben stellt, die<br />
eine Aushöhlung des Umweltgrundrechts zum symbolischen Umweltschutz<br />
befürchten lassen65 .<br />
62 De Wall/Currie/Erasmus, The Bill of Rights Handbook, S. 406; Winstanley SAJELP 1997,<br />
135 (138).<br />
63 Devenish, Commentary on the South African Bill of Rights, S. 335; Vgl. auch Winstanley,<br />
SAJELP 1997, 135 (138), die den abschließenden Charakter der Aufzählung und das Fehlen<br />
einer Auffangbestimmung kritisiert.<br />
64 Du Bois in Human Rights Approaches to Environmental Protection, 157.<br />
65 Gutto, SAJELP 1995, 1 (6).
Abseits aller kompetenzieller Bedenken wird darauf hingewiesen, dass die<br />
Gerichte nicht die Mittel und Erfahrungen von Exekutivorganen besitzen,<br />
um die mit dem Umweltschutz zusammenhängenden komplexen Probleme<br />
zu erfassen und den Umweltschutz in das Gesamtbild staatlichen Handelns<br />
einzuordnen 66 .<br />
6.4 Vereinbarkeit von Umweltschutz und Grundrecht<br />
Die vorgebrachten Argumente überzeugen jedoch nicht.<br />
Als Verfassungsbestimmung ist Sec. 24 (a) SAC bewusst offen formuliert,<br />
um in Einklang mit dem Ewigkeitsanspruch der endgültigen südafrikanischen<br />
Verfassung gegen den durch sie zu bewirkenden sozialen Wandel zu<br />
bestehen. Des Weiteren sind auch klassische liberale Abwehrrechte durch<br />
einen hohen Grad an Abstraktion und politischer Gestaltungsmöglichkeit<br />
geprägt und in ihrer Justiziabilität unbestritten. 67 .<br />
Der Constitutional Court hat betont, dass alleine die Tatsache, dass die Umsetzung<br />
eines Grundrechts zu Belastungen des Staatshaushalts führe, nicht<br />
seine Durchsetzbarkeit hindere, zumal auch die Umsetzung klassischer liberaler<br />
Grundrechte oft finanzielle Konsequenzen habe68 . Die Justiziabilität<br />
von Sec. 24 (a) SAC wurde durch den Supreme Court of Appeals ausdrücklich<br />
bestätigt69 .<br />
Sec. 24 (b) SAC hingegen ähnelt, wie oben dargestellt wurde, eher einer<br />
Staatszielbestimmung. Obgleich die Norm als Grundrecht anzusehen ist,<br />
stellt sie die Umsetzung ihres leistungsrechtlichen Anspruchs in das weite<br />
Ermessen des hier alleine grundrechtsverpflichteten Staates70 . Alleine in<br />
66 Du Bois/Glazewski, The Environment and the Bill of Rights, 2B-11.<br />
67 So wurde das <strong>Recht</strong> auf Leben und das <strong>Recht</strong> auf Menschenwürde in Südafrika durch den<br />
Constitutional Court angeführt, um gegen den Willen von Parlament und Bevölkerung die<br />
Todesstrafe abzuschaffen, vgl. SA Constitutional Court in President of the Republic of<br />
South Africa v Hugo, 1997 (4) SA 1 (CC).<br />
68 SA Constitutional Court in Ex Parte Chairperson of the Constitutional Assembly in : Re<br />
Certification of the Constitution of the Republic of South Africa, 1996, 1996 (4) SA 744<br />
(CC), Rn. 77 f.<br />
69 Supreme Court of Appeals, Director: Mineral Development, Gauteng region, and another v<br />
Save the Vaal environment and others, 133/98, SA Law Reports 1999 (2), 709.<br />
70 Du Bois/Glazewski, The Environment and the Bill of Rights, 2B-34.<br />
29
30<br />
Fällen evidenter Vernachlässigung der staatlichen Umweltschutzpflicht kann<br />
daher von einem gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf positives Tun oder<br />
Unterlassen ausgegangen werden71 .<br />
Es ist zusammenfassend festzustellen, dass Sec. 24 (a) SAC umfänglich, Sec.<br />
24 (b) SAC unter den genannten Beschränkungen gerichtlich durchsetzbare<br />
Ansprüche des Einzelnen normieren.<br />
7 Vergleichende Betrachtung der Ansätze <strong>–</strong> die deutsche<br />
Position im Lichte des realisierten Umweltgrundrechtsschutzes<br />
in der Verfassung der Republik Südafrika<br />
Die südafrikanische <strong>Recht</strong>sordnung stellt ein gelungenes Beispiel für die<br />
Normierung einer Umweltschutzklausel zu Beginn des 21. Jahrhunderts dar.<br />
Während Sec. 24 (a) SAC dem von einer Umweltbelastung Betroffenen ohne<br />
Rücksicht auf die Art der Verursachung einen Anspruch auf Herstellung<br />
einer nicht gesundheitsgefährdenden Umwelt zubilligt, ist Sec. 24 (b) SAC<br />
als verfassungsrechtliche Notbremse staatlicher Umweltpolitik zu sehen. Die<br />
Norm erklärt umweltrelevante Prinzipien des Völkerrechts wie das Nachhaltigkeitsprinzip<br />
und das Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit sowie das<br />
Vorsorgeprinzip für den staatlichen Umweltschutz verbindlich. Dabei wahrt<br />
die Norm gleichzeitig die Grenzen des gesetzgeberischen Ausgestaltungsspielraums<br />
sowie der Ermessensgrenzen der übrigen Gewalten, indem weder<br />
Instrumente vorgegeben, noch dem Umweltschutz relativer oder absoluter<br />
Vorrang gegenüber anderen verfassungsrechtlich normierten Aufgaben eingeräumt<br />
wird. Es obliegt daher primär dem Gesetzgeber, in weiterer Hinsicht<br />
Exekutive und Judikative, die Abwägungsprozesse vorzunehmen. Besondere<br />
Bedeutung kommt hier der ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Entscheidung<br />
für das Nachhaltigkeitsprinzip zu. Hiermit entschärft der Verfassungsgeber<br />
die zwangsläufig auftretenden Konflikte zwischen dem Umweltschutz<br />
und dem verständlichen Entwicklungsbedürfnis Südafrikas.<br />
An der südafrikanischen Regelung werden zugleich die Schwächen der deutschen<br />
<strong>Recht</strong>slage offenbar. Diese liegen aus Sicht des Umweltschutzes zu-<br />
71 De Waal/Currie/Erasmus, The Bill of Rights Handbook, S. 439.
nächst in der formalen Ausgestaltung desselben als Staatszielbestimmung<br />
begründet. Ein Großteil der von der Bevölkerung zu tragenden Umweltverschmutzung<br />
wird von Art. 20a GG nicht adressiert, da sie alleine auf private<br />
Emissionen zurückgeht72 . Selbst dem im Vergleich geringen staatlich verursachte<br />
Teil der Umweltverschmutzung steht kein direkter grundrechtlicher<br />
Anspruch auf Umweltschutz gegenüber. Alleine unter Rückgriff auf andere<br />
grundrechtliche Gewährleistungen wie Leben und körperliche Unversehrtheit<br />
(Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) sowie Eigentum (Art. 14 Abs. 1 GG) lassen sich<br />
Ansätze umweltspezifischer Grundrechte begründen73 . Diese lassen sich nur<br />
unter Bezugnahme auf die weitere Anforderungen stellende, fallgruppenorientierte<br />
Schutzpflichtenrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gegen<br />
private Immissionen anführen.<br />
Zum anderen fehlt Art. 20a GG ein eindeutiges Bekenntnis zum Nachhaltigkeitsprinzip<br />
als Leitlinie einer dauerhaften Umweltpolitik. Der Bezug auf das<br />
Prinzip intergenerationeller Gerechtigkeit in Art. 20a GG stellt jedoch ohne<br />
Zweifel eine bedeutsame Zäsur für das deutsche Umweltrecht dar. Sie ist<br />
jedoch keine vollständige Kompensation für die fehlende Verbindlichkeitserklärung<br />
des Nachhaltigkeitsprinzips, da alleine das Nachhaltigkeitsprinzip<br />
die Basis einer kompromissbereiten Umweltpolitik darstellt, die keinen Absolutheitsanspruch<br />
aufweist, sondern Umweltgesichtspunkte gleichberechtigt<br />
neben sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten berücksichtigt und die<br />
größtmögliche Verwirklichung der konfligierenden Staatsaufgaben anstrebt.<br />
Literatur<br />
Birnie, P. / Boyle, A. (2002): International Law and the Environment,<br />
2. Auflage, Oxford<br />
Bock, B. (1990): Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik,<br />
Berlin<br />
Breuer, R. (1981), Strukturen und Tendenzen des Umweltschutzrechts, in:<br />
Der Staat 20, S. 393-422<br />
Brönneke, T. (1999): Umweltverfassungsrecht, Baden-Baden<br />
72 Kloepfer in BK-GG, Art. 20a Rn. 18.<br />
73 Murswiek in Sachs (Hrsg.), GG, Art. 2 Rn. 153; Bock, Umweltschutz, S. 126 ff.<br />
31
32<br />
Calliess, C. (2001): <strong>Recht</strong>sstaat und Umweltstaat, Tübingen<br />
De Waal, J. / Currie, I. / Erasmus, G. (2001), The Bill of Rights Handbook,<br />
4. Auflage, Cape Town<br />
Denninger, Erhard u.a. (Hrsg.) (2001), Kommentar zum Grundgesetz - Reihe<br />
Alternativkommentare, 3. Auflage, Neuwied<br />
Devenish, G. (1996), A Commentary on the South African, Durban<br />
Devenish, G. (1999), A Commentary on the South African Bill of Rights,<br />
Durban<br />
Dolzer, R. / Vogel, K. / Graßhof, K. (Hrsg.), Bonner Kommentar zum<br />
Grundgesetz, Heidelberg, Loseblattsammlung<br />
Dreier, H. (Hrsg.) (2004): Kommentar zum Grundgesetz, Bnd. 1, 2. Auflage,<br />
Tübingen<br />
Du Bois, F. / Glazewski, J. (1996), The Environment and the Bill of Rights,<br />
in: Butterworths' Professional Editors (Hrsg.), The Bill of Rights Compendium,<br />
2B, Durban<br />
Glazewski, J. (2002), Envionmental Law in South Africa, Cape Town.<br />
Grupp, T. (1999): Südafrikas neue Verfassung, Baden-Baden<br />
Gutto, S. (1995), Constitution and the Environment, in: SAJELP (South<br />
African Journal of Environmental Law and Policy), 1-8<br />
Kloepfer, M. / Kohls, M. / Ochsenfahrt, V. (2004): Umweltrecht, 3. Aufl.,<br />
München<br />
Kloepfer, M. (1978), Zum Grundrecht auf Umweltschutz, Vortrag gehalten<br />
vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 18.01.1978, Berlin<br />
Liebenberg, S. (1997), “Environment” in Davis, D. / Cheadle, H. / Haysom,<br />
N. (Hrsg.), Fundamental Rights in the Constitution, Commentary and<br />
Cases <strong>–</strong> A commentary on ch. 3 of the 1993 constitution and ch. 2 of<br />
the 1996 constitution, Cape Town<br />
Loots, C. (1997): The impact of the constitution on Environmental Law, in:<br />
SAJELP 1997, S. 57-68<br />
Maunz, T. / Dürig, G. / Herzog, R. (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Loseblattsammlung,<br />
München<br />
Petersen, V. (1999): Umweltrecht, Baden-Baden
Sachs, M. (Hrsg.) (2002): Kommentar zum Grundgesetz, 3. Auflage, München<br />
Sieben, P. (2003): Was bedeutet Nachhaltigkeit als <strong>Recht</strong>sbegriff? in:<br />
NVwZ, S. 1173-1176<br />
Steiger, H. (1980), „Verfassungsrechtliche Grundlagen“ in Salzwedel, J.<br />
(Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, Berlin.<br />
Steinberg, R. (1998), Der ökologische Verfassungsstaat, Frankfurt a.M.<br />
Tsai, T. (1996): Die verfassungsrechtliche Umweltschutzpflicht des Staates.<br />
Zugleich ein Beitrag zur Umweltschutzklausel des Art. 20 a GG, Berlin<br />
Von Mangold, H. / Klein, F. / Strack, C. (Hrsg.) (2005), Kommentar zum<br />
Grundgesetz, Bnd. 1, München<br />
Waechter, K. (1996): Umweltschutz als Staatsziel, in: NuR, S. 321-327<br />
Winstanley, T. (1995): Entrenching environmental protection in the new<br />
Constitution, in: SAJELP (South African Journal of Environmental<br />
Law and Policy), S. 85-96<br />
Winstanley, T. (1997): The Final Constitution and the Environment, in:<br />
SAJELP (South African Journal of Environmental Law and Policy), S.<br />
135-140<br />
World Commission on Environment and Development (1987), Our Common<br />
Future<br />
33
Magnus Westhaus<br />
Supply Chain Controlling-Publikationen <strong>–</strong><br />
Eine Analyse internationaler Referenzen<br />
1 Einleitung<br />
Sowohl die konzeptionelle als auch die empirische Forschung bezüglich<br />
eines Supply Chain Controlling finden in jüngster Zeit zunehmend Beachtung<br />
bei Wissenschaftlern und Praktikern. Hiervon zeugt beispielsweise der<br />
Sammelband von Stölzle und Otto. 1 So werden unternehmerische Erfahrungen<br />
in der Umsetzung eines Supply Chain Controlling genau so wie Überlegungen<br />
zu dessen konzeptionellen, und dabei insbesondere funktionalen und<br />
instrumentellen, Ausgestaltungsmöglichkeiten dargeboten.<br />
In Bezug auf die Diskussion um ein Supply Chain Controlling ist auffällig,<br />
dass es sich um eine lediglich im deutschsprachigen Raum geführte Auseinandersetzung<br />
zu handeln scheint. Zumindest sind nach Erkenntnisstand des<br />
Autoren, in quantitativer und qualitativer Hinsicht, keine vergleichbaren<br />
internationalen Veröffentlichungen vorzufinden, die sich der Thematik des<br />
Supply Chain Controlling zuwenden. Als Ursache hierfür lassen sich gegebenenfalls<br />
die heterogenen Auffassungen über ein Controlling anführen, die<br />
ihren Eingang in den möglichen Gegenstandsbereich eines Supply Chain<br />
Controlling finden. Hierbei handelt es sich um eine vornehmlich im deutschsprachigen<br />
Raum anzutreffende Kontroverse, während die Diskussion um<br />
die Inhalte eines Supply Chain Managements auch international geführt<br />
wird.<br />
Auch wenn, wie bereits oben stehend dargelegt, die Diskussion um ein<br />
Supply Chain Controlling vornehmlich im deutschen Sprachraum geführt<br />
1 Stölzle/Otto 2003.
36<br />
wird, so fließen unabhängig davon Erkenntnisse internationaler Publikationen<br />
in Form von Referenzen in die Veröffentlichungen zum Supply Chain<br />
Controlling ein. Das Anliegen des vorliegenden Beitrages ist die Analyse der<br />
in den Beiträgen zum Supply Chain Controlling enthaltenen anglo-amerikanischen<br />
Referenzen. Hierbei sollen folgende Fragen beantwortet werden:<br />
− In welchem Jahr sind die enthaltenen Referenzen publiziert worden?<br />
− In welchen Medien wurden die Referenzen vornehmlich veröffentlicht?<br />
− Was sind die zumeist zitierten Publikationen?<br />
− Von welchen Autoren (-gruppen) werden die meisten unterschiedlichen<br />
Publikationen zitiert?<br />
− Welche Zeitschriften und Sammelbände werden bevorzugt zitiert?<br />
Zur Umsetzung dieses Vorhabens wird nachfolgende Vorgehensweise gewählt.<br />
In Kapitel 2 werden zunächst Einblicke in das Supply Chain Management<br />
und Controlling sowie Anmerkungen zu ihrer Synthese im Rahmen<br />
eines Supply Chain Controllings gegeben. Das Kapitel 3 dient einer Einführung<br />
in die Forschungsmethode der Zitatenanalyse und Kapitel 4 beinhaltet<br />
die Ergebnisse der Analyse der Supply Chain Controlling-Publikationen.<br />
Abschließend erfolgt eine Reflexion und ein Fazit in Kapitel 5.<br />
2 Grundlagen<br />
2.1 Supply Chain Management<br />
In der internationalen Diskussion über ein Supply Chain Management<br />
(SCM) werden insbesondere zwei Sichtweisen vertreten. Auf diese und ihre<br />
Konsequenzen für eine Konzeptionalisierung soll im Folgenden kurz eingegangen<br />
werden. Zum einen wird SCM als eine (vorläufig) letzte Entwicklungsstufe<br />
der Logistik begriffen, die dadurch zu charakterisieren ist, dass<br />
nun nicht mehr die Ebene des einzelnen Unternehmens im Blickpunkt der<br />
Logistik steht und stattdessen der Fokus auf unternehmensübergreifende
Aspekte ausgeweitet wird. 2 Als Konsequenz bedeutet dieses, dass dem SCM<br />
eine eigenständige Problemstellung fehlt und innerhalb eines Logistik-Konzeptes<br />
aufgeht. Demgegenüber existieren Ansätze, die zum einen nicht nur<br />
auf unternehmensübergreifende Logistikprozesse abstellen 3 , sondern zusätzlich<br />
die Notwendigkeit einer kooperativen Dimension des Supply Chain<br />
Managements betonen. 4 Auf erste Aussage verweisen insbesondere Cooper<br />
et al. hin, die auch eine unternehmensübergreifende Forschung und Entwicklung<br />
in Betracht ziehen. 5 Eine ausdrückliche Beachtung der Kooperationsdimension<br />
findet sich bei Seuring, der eine Integration, und somit ein<br />
simultanes Management der unternehmensübergreifenden Material- und<br />
Informationsflüsse unter Berücksichtigung der Gestaltung des Netzwerkes<br />
und der Optimierung der Schnittstellen zwischen den beteiligten Supply<br />
Chain Unternehmen fordert. 6 Gerade in dieser Integration kann die eigenständige<br />
Problemstellung eines Supply Chain Managements gesehen werden,<br />
so dass der Anspruch einer eigenständigen Konzeptionalisierung <strong>–</strong> also losgelöst<br />
von einem Logistikverständnis <strong>–</strong> entsteht. Unabhängig von der Existenz<br />
einer eigenständigen Problemstellung besitzt das Supply Chain Management<br />
eine hohe empirische Relevanz und wird in zahlreichen Veröffentlichungen<br />
theoretisch fundiert. Erstes zeigt sich insbesondere in zahlreichen<br />
Umsetzungsberichten von Praktikern. 7 Für zweites wird insbesondere<br />
auf die Neue Institutionenökonomie, und vor allem auf die Transaktionskostentheorie,<br />
zurückgegriffen. 8<br />
2.2 Controlling<br />
Die Diskussion über ein Controlling hingegen stellt lediglich ein facettenreiches<br />
Themengebiet im deutschsprachigem Raum dar. Einigkeit besteht<br />
nur dahingehend, dass es sich um eine Führungsunterstützungsfunktion han-<br />
2 Vgl. bspw. Simchi-Levi/Kaminsky/Simchi-Levi 2000, S. 3; Göpfert 2001, S. 348.<br />
3 Vgl. bspw. Cooper/Lambert/Pagh 1997, S. 1f., 4.<br />
4 Vgl. Stölzle 2002, S. 289ff. , der sich auf die Ausführungen bei Kraege 1997 bezieht.<br />
5 Vgl. Cooper/Lambert/Pagh 1997, S. 1, 5ff..<br />
6 Vgl. Seuring 2001, S. 16ff..<br />
7 Vgl. hierzu bspw. die Beiträge in Stölzle/Otto 2003.<br />
8 Vgl. zu dieser Aussage im Zshg. mit Netzwerken Corsten 2001, der auf die Arbeiten von<br />
Williamson verweist.<br />
37
38<br />
delt, die auf einer Informationsversorgungsfunktion beruht, aber kontextabhängig<br />
in ihrer funktionalen Breite auf weitere Führungsteilsysteme ausgedehnt<br />
werden kann. 9 Hinzu treten unterschiedliche Auffassungen bezüglich<br />
der funktionalen Tiefe eines Controlling-Konzeptes. So lassen sich vier Typen<br />
differenzieren. Zum einen existieren Ansätze die in Controlling eine<br />
Substitution von Führungsaktivitäten sehen. 10 Eine zweite Gruppe betont die<br />
Koordination des Führungssystems als Aufgabe eines Controllers. 11 Drittens<br />
wird die Rationalitätssicherung der Führung als Controllingfunktion<br />
angeführt. 12 Abschließend seien als vierte Gruppe die reflexionsorientierten<br />
Ansätze genannt. 13 Auch wenn unterschiedliche konzeptionelle Ausprägungen<br />
sowie empirisch verschiedene Controllingsysteme feststellbar sind, so ist<br />
der Anspruch des Controlling, eine eigenständige Konzeption darzustellen,<br />
nach Ansicht des Autors nicht zu verneinen. Auch wenn unterschiedliche<br />
konzeptionelle Lösungsansätze zur Verfügung gestellt werden, ist die Funktion<br />
der Führungsunterstützung immanent gegeben. Darüber hinaus ist Controlling<br />
in der Unternehmenspraxis weit verbreitet. Zu einer theoretischen<br />
Fundierung bedienen sich einige Autoren der Neuen Institutionenökonomie<br />
<strong>–</strong> im Speziellen der Principal-Agent-Theorie . 14<br />
2.3 Supply Chain Controlling<br />
Supply Chain Controlling stellt eine Synthese aus Supply Chain Management<br />
und Controlling dar. Unter Beachtung der, in den vorstehenden Abschnitten<br />
behandelten, Heterogenität der Kontroversen innerhalb der beiden<br />
Disziplinen sind für das Supply Chain Controlling eine Vielzahl an unterschiedlichen<br />
konzeptionellen Ausgestaltungsmöglichkeiten denkbar. So sind<br />
die beiden oben vorgestellten Ausprägungen des Supply Chain Managements<br />
anzutreffen. 15 In Bezug auf die Muterdisziplin Controlling finden sich<br />
9 Vgl. Weber 2002a, S. VII.<br />
10 Vgl. hierzu bspw. Hahn/Hungenberg 2001 und Bramsemann 1993.<br />
11 Vgl. hierzu bspw. Horvath 2006 und Küpper 2001.<br />
12 Vgl. hierzu Weber/Schäffer 2006.<br />
13 Vgl. hierzu Pietsch 2003; Becker 2003.<br />
14 Vgl. z.B. Küpper 2001, S. 45-61.<br />
15 Vgl. bspw. für das logistikorientierte Verständnis Göpfert 2001 und die zweite Ausprägungsform<br />
Westhaus 2007.
Anregungen die Informationsversorgungsfunktion, die Koordinations- oder<br />
die Rationalitätssicherungs- und Reflexionsfunktion des Controllings zu<br />
berücksichtigen. 16 Durch die Kombination der vielfältigen Ausprägungen<br />
innerhalb der Mutterdisziplinen, wird also die potenzielle konzeptionelle<br />
Mannigfaltigkeit des Supply Chain Controllings bestimmt. Bisherige konzeptionelle<br />
Überlegungen beschränken sich zumeist auf die instrumentelle<br />
Komponente, und vernachlässigen die Erarbeitung einer eigenständigen<br />
Problemstellung, seiner Funktion, eines Supply Chain Controllerships und<br />
die Beschäftigung mit der institutionellen Komponente. 17 Neben dieser als<br />
primär „instrumentell-konzeptionellen“ Forschungsbestrebungen bezüglich<br />
des Erkenntnisobjektes, ist zu attestieren, dass auch allgemein akzeptierte<br />
Definition bislang ausstand, was sich aus der oben geschilderten Heterogenität<br />
ableiten lässt. Einen Versuch, einen kleinsten gemeinsamen definitorischen<br />
Nenner zu ermitteln, haben Westhaus und Seuring im Rahmen einer<br />
Delphi-Studie unternommen, in deren Verlauf 25 Fachvertreter um eine<br />
Definition des Supply Chain Controlling gebeten worden sind. 18 Die meiste<br />
Zustimmung erhielt dabei die Definition von Stölzle, die auch den Abschluss<br />
dieses Abschnittes darstellen soll:<br />
Supply Chain Controlling stellt eine auf die Führungsunterstützung in der<br />
Supply Chain ausgerichtete Ausprägung des Controllings dar. Die Führungsunterstützung<br />
erstreckt sich auf die im Vorfeld zu treffenden Integrationsentscheidungen<br />
(Auswahl von Partnern, Prozessen und Managementkomponenten)<br />
sowie auf die konzeptionelle Gestaltung und Koordination des<br />
Informations- sowie Planungs- und Kontrollsystems für die Zwecke der Logistik.<br />
19<br />
16 Vgl hierzu Stölzle 2002, S. 300-306.<br />
17 Vgl. hierzu auch Weber 2002b, S. 185f. und Westhaus 2007.<br />
18 Vgl. Westhaus/Seuring 2005.<br />
19 Vgl. hierzu auch ausführlich Stölzle 2002, S. 283-309.<br />
39
40<br />
3 Forschungsmethodik: Zitatenanalyse<br />
3.1 Forschungskonzeptionelle Verortung<br />
Einleitend erfolgt eine forschungskonzeptionelle Verortung der Zitatenanalyse.<br />
Erstens kann festgehalten werden, dass es sich um reine Forschung<br />
handelt, da keine Gestaltungsempfehlungen zur Lösung einer spezifischen<br />
Problemstellung im Sinne einer angewandten Betriebswirtschaftslehre gegeben<br />
werden. Analysiert werden lediglich Publikationen von Autoren mit<br />
akademisch-wissenschaftlichem Hintergrund. Veröffentlichungen von Praktikern<br />
werden in der Studie nicht berücksichtigt. Bei dem untersuchten Ausgangsmaterial<br />
handelt es sich um empirisch vorliegende Quellen, die nicht<br />
erst durch den Forscher geschaffen werden müssen. Folglich liegt eine Sekundärforschung<br />
vor. Als Forschungszugang wird sowohl eine quantitative<br />
als auch qualitative Herangehensweise verfolgt. Zum einen erfolgt aufgrund<br />
des Charakters der Zitatenanalyse eine Auszählung der in den Publikationen<br />
enthaltenen Referenzen hinsichtlich der bereits im ersten Kapitel vorgestellten<br />
Fragestellungen. Darüber hinaus wird aber auch eine qualitative Interpretation<br />
bzw. Reflexion der erhaltenen Ergebnisse vorgenommen. Grundsätzlich<br />
stellt die Forschungsstrategie einer Zitatenanalyse eine Form der<br />
Dokumentenanalyse dar. Als Forschungsziel wird eine zeitraumbezogene<br />
Deskription der in den Supply Chain Publikationen enthaltenen Referenzen<br />
angestrebt.<br />
3.2 Grundlagen der Zitatenanalyse<br />
Die wesentlichen Charakteristika einer Zitatenanalyse lassen sich in einer<br />
Definition von Gorraiz wiedergeben:<br />
„Die Zitatenanalyse ist ein Gebiet der Bibliometrie, das sich dem Studium<br />
der Beziehungen zwischen zitierten und zitierenden Arbeiten und ihrer Anwendung<br />
als bibliometrische Untersuchungsmethode beschäftigt. Als bibliometrische<br />
Parameter verwendet die Zitatenanalyse die Zählung der auf eine<br />
bestimmte Arbeit, ein bestimmtes Dokument oder einen bestimmten Verfas-
ser entfallenden Zitate. Je größer die Zitierhäufigkeit ist, desto höher wird ihr<br />
Wert veranschlagt.“ 20<br />
Im Mittelpunkt dieser Arbeit soll insbesondere die Identifikation „klassischer“<br />
Arbeiten, die mit einer größeren Häufigkeit innerhalb der Publikationen<br />
zum Supply Chain Controlling zitiert werden, oder die Auswirkung einer<br />
individuellen Arbeit und/oder die Eminenz eines bestimmten Forschers bzw.<br />
Forschergruppe, stehen. 21 Dieses Bestreben soll mittels einer regelgeleiteten<br />
Materialerhebung, -aufbereitung und -analyse umgesetzt werden. Hierzu<br />
wird im Folgenden das Ablaufmodell der Zitatenanalyse beschrieben.<br />
3.3 Ablaufmodell der Analyse<br />
3.3.1 Publikationserhebung<br />
Im Rahmen dieses Abschnitts ist erstens offen zu legen, was als Publikation<br />
aufgefasst werden soll sowie zweitens wie und wo recherchiert wurde. In<br />
Bezug auf die erste Fragestellung kann festgehalten werden, dass Buchhandelsmedien<br />
(Bücher, Zeitschriften, Habilitations- und Dissertationsschriften),<br />
Graue Literatur (Arbeits- und Forschungsberichte) und Internet-Dokumente<br />
im World Wide Web Eingang in die Zitatenanalyse finden. Für eine Übersicht<br />
zu verschiedenen Publikationsmedien sei auf Stock verwiesen. 22 Im<br />
Folgenden wird auf die zweite Fragestellung eingegangen. Es werden drei<br />
Wege zur Identifikation beschritten:<br />
− Suche anhand relevantere Titel- und Schlagwörter (-kombinationen)<br />
in Online-Katalogen;<br />
− Suche nach weiteren Publikationen bereits bekannter Fachvertreter;<br />
− Suche anhand des „Schneeballverfahrens“ in bereits identifizierten<br />
Publikationen.<br />
In einem zweiten Schritt innerhalb des Ablaufmodells sind die Aufbereitung<br />
der in den Veröffentlichungen enthaltenen Referenzen darzulegen sowie<br />
Fragestellungen an das Material zu formulieren.<br />
20 Gorraiz 1992, S. 2.<br />
21 Vgl. hierzu die Aufzählung von Anwendungsmöglichkeiten bei Smith 1981.<br />
22 Vgl. Stock 2001, S. 14.<br />
41
42<br />
3.3.2 Aufbereitung und Fragestellungen<br />
Einleitend zur Beschreibung der Aufbereitung der in den Publikationen enthaltenen<br />
Referenzen sollen die Begriffe des Zitats und der Referenz kurz<br />
definiert werden, um die Begriffe voneinander abzugrenzen:<br />
„Enthält eine Veröffentlichung X eine bibliografische Note, in der die Veröffentlichung<br />
Y beschrieben oder verwendet wird, dann enthält X (Zitierende<br />
Publikation) eine Referenz zu Y, und bekommt Y (Zitierte Publikation) ein<br />
Zitat von X.“ 23<br />
Um die zitierten Publikationen einer Analyse zugänglich zu machen, werden<br />
sie in einer Excel-Tabelle aufgelistet. Hierzu werden spaltenweise die recherchierten<br />
Supply Chain Controlling-Publikationen, und zeilenweise <strong>–</strong> in<br />
alphabetischer Reihenfolge - die in ihnen enthaltenen Referenzen gelistet.<br />
Dabei sollen vier Arten von Zitationen differenziert werden, die wie folgt<br />
kenntlich gemacht werden:<br />
− X: Zitation einer fremden Publikation,<br />
− Y: Zitation einer eigenen Publikation,<br />
− Z: Zitation eines eigenen Sammelbandes und<br />
− ZZ: Zitation einer eigenen Publikation aus einem eigenen Sammelband.<br />
Anhand dieser Verfahrensweise können die Summen aller Fremd- und Eigenzitate<br />
gebildet werden, die eine Publikation in den Veröffentlichungen<br />
zum Supply Chain Controlling erhält. Beispielhaft wird die Vorgehensweise<br />
in Tabelle 1 wiedergegeben, bevor in diesem Kapitel abschließend auf die<br />
Art und Weise der Interpretation der gewonnenen Erkenntnisse eingegangen<br />
wird. In Bezug auf die Formulierung der Forschungsfragen sei auf oben<br />
stehenden Abschnitt 1 verwiesen.<br />
23 Gorraiz 1992.
Referenz auf<br />
Publikation A<br />
Referenz auf<br />
Publikation B<br />
Referenz auf<br />
Publikation C<br />
Publ.<br />
1<br />
Publ.<br />
2<br />
Pub.<br />
3<br />
Sum<br />
x<br />
Sum<br />
y<br />
Sum<br />
z<br />
Sum<br />
zz<br />
Sum<br />
x+z<br />
X X Z 2 1 3<br />
Sum<br />
y+zz<br />
Y ZZ 1 1 2<br />
X 1 1<br />
...<br />
Tabelle 1: Beispiel: Excel-Tabelle zur Zitatenanalyse.<br />
Quelle: eigene.<br />
3.3.3 Interpretation<br />
Zur sowohl quantitativen als auch qualitativen Auswertung der gewonnenen<br />
Erkenntnisse wird folgendermaßen verfahren. Zunächst ist es erforderlich<br />
das eigene Vorverständnis, beziehungsweise seine Erwartungen an die mittels<br />
der Forschungsfragen erhobenen Ergebnisse zu formulieren. Vor diesem<br />
Hintergrund sind die Ergebnisse zu diskutieren, in dem zum einen Übereinstimmungen<br />
dargelegt, aber auch Abweichungen offengelegt werden. Besonders<br />
wichtig erscheint in diesem Zusammenhang der Versuch der Begründung<br />
denkbarer Ursachen sowie das Aufzeigen unterschiedlicher Deutungsmöglichkeiten.<br />
Im Folgenden werden nun die Ergebnisse der internationalen<br />
Zitatenanalyse der Publikationen zum Supply Chain Controlling<br />
dargeboten.<br />
4 Analyseergebnisse<br />
4.1 Ergebnisse der Publikationserhebung<br />
Berücksichtigt werden in der Zitatenanalyse 99 Beiträge zum Themengebiet<br />
des Supply Chain Controlling. Diese stellen natürlich nur eine Momentaufnahme<br />
dar, die idealerweise ständig zu aktualisieren wäre. Im Rahmen des<br />
43
44<br />
Beitrages ist es nicht möglich sämtliche berücksichtigten Publikationen einzeln<br />
aufzuführen. Auch eine Negativabgrenzung <strong>–</strong> im Sinne einer Aufzählung<br />
nichtberücksichtiger Veröffentlichungen <strong>–</strong> ist nicht gänzlich möglich.<br />
Dennoch sollen einige jüngst erschienene akademische Beiträge gelistet<br />
werden, die nicht in die Analyse eingeflossen sind. Zu nennen sind die Dissertationsschriften<br />
von Hieronimus, Liebetruth oder Jehle. 24 Aufgrund ihres<br />
Monographiecharakters sind im Gegensatz zu Zeitschriftenveröffentlichungen<br />
zahlreiche Referenzen zu erwarten, die nicht in die Analyse mit einfließen.<br />
Im Folgenden wird eine zweidimensionale Verteilung der Publikationen,<br />
bezüglich des Erscheinungsjahres als auch des Mediums, in Tabelle 2<br />
gegeben. Hierbei ist nach Auffassung des Autors zu erwarten, dass zunächst<br />
Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Sammelbänden dominieren<br />
werden, bevor Qualifikationsschriften im Sinne von Habilitations- und Dissertationsschriften<br />
zum Themengebiet anzutreffen sind. Begründung hierfür<br />
ist, dass Forschungsergebnisse häufig bereits in Fachzeitschriften vorgestellt<br />
werden und erst anschließend die kumulierte Publikation in einer Qualifikationsschrift<br />
erfolgt. Ein Grund hierfür kann beispielsweise Werbung für die<br />
folgende Arbeit sein.<br />
24 Hieronimus 2006; Liebetruth 2005; Jehle 2005.
Jahr Diss Habil LB SR DB 4.1.1.1.1 I SB Z 4.1.1.1.2 Sum<br />
2006 1 1<br />
2005 2 1 2 5 10<br />
2004 1 1 6 5 13<br />
2003 1 11 5 17<br />
2002 2 1 7 13 24<br />
2001 2 1 4 9 16<br />
2000 1 1 2 5 8<br />
1999 1 3 4<br />
1998/1999 1 1<br />
1998 1 1<br />
1997 2 2<br />
1996 1 1 2<br />
Sum 8 2 4 2 1 1 34 47 99<br />
Abkürzungen. Diss: Dissertation, Habil: Habilitation; LB: Lehrbuch; SR: <strong>Schriftenreihe</strong>; DB:<br />
Diskussionsbeitrag; I: Internetzdownload; SB: Publikation in einem Sammelband und Z:<br />
Publikation in einer Zeitschrift.<br />
Tabelle 2: Publikationsverteilung nach Jahr und Medium.<br />
Quelle: eigene.<br />
Die anteilig meisten Publikationen sind in den Jahren 1999 und 2005 erschienen.<br />
Sie decken ungefähr 89% aller Veröffentlichungen ab. Während<br />
dieser Zeitspanne ist ein stetiger Anstieg bis in das Jahr 2002 (24 Publikationen)<br />
zu beobachten. Danach ist die Anzahl der Publikationen wieder fallend.<br />
Als erste Veröffentlichungen im Feld sind die Arbeiten von Zäpfel & Piekarz<br />
sowie die Dissertation von Halusa zu nennen. 25 Die letzte berücksichtigte<br />
Publikation aus dem Jahr 2006 stammt von Seuring, der in einem Zeitschriftenartikel<br />
einen Überblick bezüglich des Status Quo der deutschspra-<br />
25 Zäpfel/Piekarz 1996; Halusa 1996.<br />
45
46<br />
chigen SCC-Diskussion gibt. 26 Insgesamt scheint sich insgesamt die Erwartung<br />
zu bestätigen, dass zunächst Zeitschriften- und Sammelbandbeiträge<br />
dominieren und im Anschluss daran Dissertations- und Habilitationsschriften<br />
folgen. So erreichen erstere ihre Höchststand in den Jahren 2002/2003 und<br />
sind danach zurückgehend, während letztgenannte Publikationsmedien ab<br />
dem Jahr 2002 zunehmen. Im Anschluss an diese kurze Vorstellung der<br />
identifizierten Publikationen zum Supply Chain Controlling folgt nun die<br />
Präsentation der Ergebnisse der Zitatenanalyse.<br />
4.2 Ergebnisse und Interpretation der Zitatenanalyse<br />
In den 99 Publikationen sind insgesamt 1527 Referenzen enthalten, die in<br />
englischer Sprache verfasst sind. Beeinflusst wird die Anzahl dieser Referenzen<br />
maßgeblich durch die Habilitations- und Dissertationsschriften im<br />
Forschungsfeld. Tabelle 3 gibt einen Überblick bezüglich der Schriften, die<br />
die meisten anglo-amerikanischen Referenzen enthalten.<br />
26 Vgl. Seuring 2006.
Schrift Anzahl<br />
Otto, A. (2002): Management und Controlling von Supply Chains <strong>–</strong> Ein Modell<br />
auf Basis der Netzwerktheorie, Wiesbaden.<br />
Bacher, A. (2004): Instrumente des Supply Chain Controlling: Theoretische<br />
Herleitung und Überprüfung der Anwendbarkeit in der Unternehmenspraxis,<br />
Wiesbaden.<br />
Kraege, R. (1997): Controlling strategischer Unternehmenskooperationen <strong>–</strong><br />
Aufgaben, Instrumente und Gestaltungsempfehlungen, München, Mering.<br />
Hippe, A. (1997): Interdependenzen von Controlling und Strategie in Unternehmensnetzwerken,<br />
Wiesbaden.<br />
Winkler, H. (2005): Konzept und Einsatzmöglichkeiten des Supply Chain Controlling<br />
<strong>–</strong> Am Beispiel einer Virtuellen Supply Chain Organisation (VISCO),<br />
Wiesbaden.<br />
Ries, A. (2001): Controlling in virtuellen Netzwerken: Managementunterstützung<br />
in dynamischen Kooperationen, Wiesbaden.<br />
Stüllenberg, F. (2005): Konzeption eines modularen Kooperationscontrolling,<br />
Herne, Berlin.<br />
Halusa, M. (1996): Supply-Management-Controlling <strong>–</strong> Ein aktivitäts- und kooperationsorientierter<br />
Ansatz, Bamberg.<br />
Hess, T. (2002): Netzwerkcontrolling <strong>–</strong> Instrumente und ihre Werkzeugunterstützung,<br />
Wiesbaden.<br />
Tabelle 3: Anzahl enthaltener anglo-amerikanischer Referenzen.<br />
Quelle: eigene.<br />
Darüber hinaus sind auch Referenzen enthalten, die in anderen Sprachen<br />
verfasst sind. Deren Anteil ist allerdings gering, so dass sie im Rahmen der<br />
Analyse nicht weiter berücksichtigt werden sollen. Die enthaltenen Referenzen<br />
sollen nun vor dem Hintergrund der gestellten Fragestellungen untersucht<br />
werden. Begonnen wird mit:<br />
− In welchem Jahr sind die enthaltenen Referenzen publiziert worden?<br />
368<br />
272<br />
221<br />
165<br />
149<br />
115<br />
82<br />
81<br />
78<br />
47
48<br />
Im Rahmen dieser Fragestellung findet die Vermutung eine Bestätigung,<br />
dass die verwendeten Referenzen jüngeren Datums sind. Eine Übersicht<br />
hierzu bietet Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden..<br />
Anzah<br />
120<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
1923<br />
121415 1980<br />
1982<br />
1984<br />
32 35<br />
42<br />
1986<br />
66<br />
1988<br />
34<br />
Abb. 1 Erscheinungsjahr der Referenzen.<br />
Quelle: eigene.<br />
64<br />
56 61 56<br />
1990<br />
Die Abbildung der Referenzen beginnt im dem Jahr 1980, da ab diesem ein<br />
beinahe kontinuierlicher Zuwachs an verwendeten Referenzen innerhalb der<br />
nachfolgenden Jahre zu verzeichnen ist. Der Höchststand wird im Jahr 1998<br />
erreicht. Seitdem ist die Anzahl wieder fallend, wobei insbesondere im Übergang<br />
von 2002 auf 2003 ein großer Sprung zu verzeichnen ist. Eine Begründung<br />
für diese Verteilung kann die bewusste Verwendung aktueller<br />
Referenzen sein. So stammen die ersten analysierten SCC-Publikationen aus<br />
dem Jahr 1996 und der überwiegende Anteil der untersuchten Veröffentlichungen<br />
(70 Prozent der untersuchten SCC-Beiträge) ist in den Jahren 2001<br />
bis 2004 erschienen, so dass ein Großteil der verwendeten Referenzen in den<br />
fünf bis zehn vorangegangenen Jahren erschienen sein könnte. Darüber hin-<br />
1992<br />
82<br />
1994<br />
62 57<br />
1996<br />
Erscheinungsjahr<br />
81<br />
114<br />
1998<br />
79<br />
71<br />
68<br />
61<br />
2000<br />
2002<br />
22<br />
13<br />
2 1<br />
2004<br />
2006
aus ist <strong>–</strong> nach Einschätzung des Verfassers <strong>–</strong> bezüglich der Publikationen in<br />
den Mutterdisziplinen „Supply Chain Management“ und „Controlling“ seit<br />
dem Anfang der 80er Jahre ein Zuwachs an Publikationen zu verzeichnen.<br />
Beispielsweise wird der Begriff „Supply Chain Management“ nach Auffassung<br />
vieler Autoren erstmals im Jahre 1982 durch die Autoren Oliver und<br />
Webber verwendet. 27 Letztendlich kann festgehalten werden, dass insbesondere<br />
Referenzen jüngeren Datums in den Publikationen Verwendung finden,<br />
was sich wahrscheinlich darauf zurückführen lässt, dass es sich um ein noch<br />
junges Forschungsgebiet handelt. Als nächstes soll die Frage geklärt werden:<br />
− Anhand welchen Mediums sind die Referenzen veröffentlicht<br />
worden?<br />
Erwartungsgemäß handelt es sich bei den zumeist genutzten Medien der<br />
Referenzen um Bücher, Sammelbandbeiträge und Veröffentlichungen in<br />
Zeitschriften. Einen Überblick zu deren Verteilung auf die Medien bietet .<br />
27 Oliver/Webber 1982.<br />
49
50<br />
Anzahl<br />
900<br />
800<br />
700<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
0<br />
449<br />
B<br />
B (Arbeitspapier)<br />
19 25 18<br />
B (sonstige)<br />
Abb. 2 Publikationsmedien der Referenzen. 28<br />
Quelle: eigene.<br />
I<br />
Ausführlicher soll demgegenüber die nachfolgende Fragestellung abgehandelt<br />
werden.<br />
− Was sind die zumeist zitierten Publikationen?<br />
Im Hinblick auf diese Fragestellung hatte der Autor keine speziellen Erwartungen,<br />
so dass zugleich die Analyseergebnisse präsentiert werden. Eine<br />
Übersicht bezüglich der am häufigsten zitierten Publikationen wird dabei<br />
anhand der Tabelle 1 gegeben. Nachfolgend werden die ersten drei Publikationen<br />
angeführt und Begründungen für ihre Platzierung erwogen, bevor<br />
sämtliche 17 Referenzen anhand von vier Kategorien systematisiert werden.<br />
Den ersten Rang der zumeist zitierten Publikationen teilen sich die Zeit-<br />
28 Die Abkürzungen in der Abbildung seien nachfolgend erläutert, sofern bereits nicht in<br />
Klammern geschehen: B: Buch, I: Internetdokument, SB: Sammelband; SB (HWB): Sammelband<br />
(Handwörterbuch), Z: Zeitschrift, SB (Hrsg.): Sammelband (Herausgeberschaft).<br />
SB<br />
175<br />
SB (HWB)<br />
8<br />
Publikationsmedien<br />
798<br />
8<br />
Z<br />
Z (Sonderheft)<br />
SB (Hrsg.)<br />
21
schriftenartikel von Brewer und Speh 29 sowie Cooper, Lambert und Pagh 30 .<br />
Beide Veröffentlichungen werden in je 14 Publikationen zum Supply Chain<br />
Controlling zitiert. Der erste Artikel widmet sich der Anwendungsmöglichkeit<br />
der Balanced Scorecard zur Messung der Supply Chain Performance.<br />
Seine häufige Zitation kann auch als Beleg für die zahlreichen Versuche<br />
einer Nutzung der <strong>–</strong> traditionell auf Einzelunternehmensebene beschränkten<br />
<strong>–</strong> Balanced Scorecard (BSC) für unternehmensübergreifende<br />
Problemstellungen gesehen werden. In zahlreichen Veröffentlichungen wird<br />
auf diese instrumentelle Teil-Komponente einer SCC-Konzeption eingegangen,<br />
wobei sich die Arbeiten dahingehend differenzieren, ob überhaupt und<br />
wenn ja, wie weitgehend, eine Modifikation der traditionellen BSC an die<br />
Bedürfnisse des SCM erfolgt. 31 Die Arbeit von Cooper, Lambert und Pagh 32<br />
belegt ebenfalls den ersten Rang. Es handelt sich hierbei um einen Artikel,<br />
der eine zentrale Stellung in der Wahrnehmung der Fachvertreter und Autoren<br />
zum Supply Chain Controlling einzunehmen scheint. Dieses wird auch<br />
im Rahmen einer Delphi-Studie zur Definitionsfindung eines Supply Chain<br />
Controlling bestätigt. So erhielt diejenige SCC-Definition die höchste Zustimmung,<br />
die in wesentlichen Bestandteilen auf vorgenannten Artikel von<br />
Cooper, Lambert und Pagh fußt. 33 Abschließend sei noch das Lehrbuch von<br />
Handfield und Nichols 34 angeführt, das den zweiten Rang bekleidet. Hierbei<br />
scheint es sich demnach um eines der meist beachteten Lehrbücher zu handeln,<br />
das auch im Rahmen der Diskussion von 12 Monographien bei Müller,<br />
Seuring und Goldbach sowohl als gehaltvoll als auch anschaulich und somit<br />
zugleich interessant für Praktiker sowie Wissenschaftler eingestuft wird. 35<br />
Nachdem nun einleitend die drei am häufigsten zitierten Publikationen herausgestellt<br />
wurden, sollen anhand von vier induktiv ermittelten Kategorien<br />
sämtliche 17 Veröffentlichungen systematisiert werden. Dabei sollen Mehrfachzuweisungen<br />
von Veröffentlichungen von den vier Kategorien zugelas-<br />
29 Brewer/Speh 2000.<br />
30 Cooper/Lambert/Pagh 1997.<br />
31 Vgl. bspw. die Arbeiten von Bacher 2004; Lange/Schäfer/Daldrup 2001; Stölzle/ Heusler/Karrer<br />
2001.<br />
32 Cooper/Lambert/Pagh 1997.<br />
33 Westhaus/Seuring 2005.<br />
34 Handfield/Nichols 1999.<br />
35 Müller/Seuring/Goldbach 2003, S. 428f., 434.<br />
51
52<br />
sen sein. Als erstes sollen diejenigen Publikationen genannt werden, die sich<br />
mit „Instrumenten“ für ein SCM bzw. SCC auseinandersetzen, wobei diese<br />
in vier Arbeiten eine Messung der Performance entlang der Supply Chain<br />
ermöglichen sollen. 36 Die Arbeiten von Brewer und Speh, Kaplan und Norton<br />
sowie Liberatore und Miller beschäftigen sich unter anderem mit der<br />
Anwendbarkeit einer Balanced Scorecard (BSC) im SCM bzw. deren grundsätzlichen<br />
Ausgestaltung. 37 Letztgenannte Autorengruppe fokussiert darüber<br />
hinaus auf das Zusammenspiel der BSC mit einem Activity-Based Costing<br />
(ABC). Ebenfalls auf ein ABC in Supply Chains ist der Beitrag von Dekker<br />
und Van Gooer ausgerichtet. 38 Mit Fragestellungen eines Costings in der<br />
Supply Chain setzen sich die Artikel von LaLonde und Pohlen sowie Cooper<br />
und Slagmulder, in Bezug auf ein Interorganisational Cost Management,<br />
auseinander. 39 Ein letztes Instrument zum Management bzw. Controlling<br />
einer SC ist das SCOR-Modell, dessen Version 5.0. am Häufigsten zitiert<br />
wird. 40 Der zweiten hergeleiteten Kategorie werden Publikationen zugeordnet,<br />
die sich mit dem „Supply Chain Management“ auseinandersetzen. SCM<br />
stellt als eine der beiden Mutterdisziplinen <strong>–</strong> neben dem Controlling <strong>–</strong> einen<br />
wesentlichen Eckpfeiler einer jeden SCC-Konzeption dar. Zu nennen sind<br />
die bereits angeführte Arbeit von Cooper, Lambert und Pagh sowie die Artikel<br />
von Bechtel und Jayaram als auch Croom, Romano und Giannakis. 41<br />
Ebenfalls in die Kategorie aufzunehmen ist die Arbeit von Lee, Padmananbhan<br />
und Whang. 42 Diese setzt sich mit dem so genannten „Bullwhip Effect“<br />
auseinander, der von vielen Autoren als Grund für eine unternehmensübergreifende<br />
Planung und Steuerung der Material- und Informationsflüsse angesehen<br />
wird. 43 Der Effekt wird auch im Rahmen der „System Dynamics“-<br />
Perspektive - als eine von sechs Argumentations-Linien der SCM-Literaten -<br />
36 Hier sind die Arbeiten von Brewer/Speh 2001; Brewer/Speh 2000; Kaplan/Norton 1996<br />
und Beamon 1999 zu nennen. Die Arbeit von Kaplan/Norton 1992 liefert die Grundlagen<br />
für die beiden Publikationen von Brewer/Speh 2001, 2000.<br />
37 Brewer/Speh 2001; Brewer/Speh 2000; Kaplan/Norton 1992; Liberatore/Miller 1998.<br />
38 Dekker/Van Gooer 2000.<br />
39 LaLonde/Pohlen 1996; Cooper/Slagmulder 1999.<br />
40 Supply Chain Council 2002.<br />
41 Cooper/Lambert/Pagh 1997; Bechtel/Jayaram 1997, Croom, Romano, Giannakis 2000.<br />
42 Lee/Padmanabhan/Whang 1997.<br />
43 Vgl. bspw. Otto 2002, S. 161-167.
in der Habilitationsschrift von Otto aufgegriffen. 44 Als nächstes folgt die<br />
Vorstellung der dritten Kategorie „Lehrbücher“. Hier werden die Werke von<br />
Handfield und Nichols sowie Christopher identifiziert. 45 Für eine tiefer gehende<br />
Übersicht zu diesen Arbeiten sei wiederum auf den bereits oben angeführten<br />
Artikel von Müller, Seuring und Goldbach verwiesen. 46 Als abschließende<br />
und vierte Kategorie sei die der „Klassiker“ erwähnt. Hierbei<br />
handelt es sich um Publikationen, die schon seit einem längeren Zeitraum am<br />
Veröffentlichungsmarkt erhältlich sind und dennoch immer noch oder wieder<br />
in den untersuchten Publikationen zum Supply Chain Controlling Berücksichtigung<br />
finden. Zum einen ist hier die Arbeit von Coase aus dem Jahr<br />
1937 zu nennen. 47 Die Einordnung als Klassiker erfolgt auch in einer Ausgabe<br />
der „Logistik Management“, in der selbiger nachgedruckt wurde. 48 Bei<br />
dem zweiten Werk handelt es sich um die Arbeit von Williamson zur Transaktionskostentheorie<br />
im Rahmen der Neuen Institutionenökonomie, die in<br />
zahlreichen Veröffentlichungen zum SCM bzw. SCC als eine theoretische<br />
Grundlage herangezogen wird. Als nächstes wird sich den am Häufigsten<br />
zitierten Autoren(-gruppen) zugewandt.<br />
44 Otto 2002, S. 160ff..<br />
45 Handfield/Nichols 1999; Christopher 1998.<br />
46 Müller/Seuring/Goldbach 2003.<br />
47 Coase 1937, in: Logistik Management, H. 1, 2000.<br />
48 Coase 1937, in: Logistik Management, H. 1, 2000.<br />
53
54<br />
Rang Publikation Zitationsanzahl<br />
1 Brewer, P. C.; Speh, T. W. (2000): Using the Balanced Scorecard to<br />
Measure Supply Chain Performance, in: Journal of Business Logistics,<br />
21. Jg., H. 1, S. 75-93.<br />
1 Cooper, M. C.; Lambert, D. M.; Pagh, J. D. (1997): Supply Chain<br />
Management: More than a new Name for Logistics, in: The International<br />
Journal of Logistics Management, 8. Jg., H.1, S. 1-14.<br />
2 Handfield, R. B.; Nichols, R. L. (1999): Introduction to Supply Chain<br />
Management, Upper Saddle River, N. J..<br />
3 Dekker, H. C.; Van Gooer, A. R. (2000): Supply Chain Management<br />
and Management Accounting: A Case study of Activity-Based Costing,<br />
in: The International Journal of Logistics: Research and Applications,<br />
3. Jg., H. 1, S. 41-52.<br />
4 Brewer, P. C.; Speh, T. W. (2001): Adapting the Balanced Scorecard<br />
to Supply Chain Performance, in: Supply Chain Management Review,<br />
5. Jg., H. 2, S. 48-56.<br />
4 LaLonde, B. J.; Pohlen, T. L. (1996): Issues in Supply Chain Costing,<br />
in: The International Journal of Logistics Management, 7. Jg., H. 1, S.<br />
1-12.<br />
5 Kaplan, R. S.; Norton, D. P. (1992): The Balanced Score Card. Measures<br />
That Drives Business performance, in: Harvard Business Review,<br />
70. Jg., S. 71-79.<br />
6 Bechtel, C.; Jayaram, J. (1997): Supply Chain Management: A Strategic<br />
Perspective, in: The International Journal of Logistics Management,<br />
8. Jg., H. 1, pp. 15-34.<br />
6 Lee, H. L.; Padmanabhan, V.; Whang, S. (1997): The Bullwhip Effect<br />
in Supply Chains, in: Sloan Management Review, 38. Jg., S. 93-102.<br />
7 Beamon, B. M. (1999): Measuring Supply Chain Performance, in: The<br />
International Journal of Operations and Production Management, 19.<br />
Jg., H. 3, S. 275-292.<br />
7 Christopher, M. (1998): Logistics and Supply Chain Management. 7<br />
14<br />
14<br />
13<br />
12<br />
11<br />
11<br />
9<br />
8<br />
8<br />
7
Strategies for Reducing Cost and Improving Service, 2. Aufl., London.<br />
7 Coase, R. H. (1937): The Nature of the Firm, in: Economica, 4. Jg.,<br />
Nr. 11, S. 386-405.<br />
7 Cooper, R.; Slagmulder, R. (1999): Supply Chain Development for the<br />
Lean Enterprise: Interorganizational Cost Management, Portland, OR.<br />
7 Croom, S.; Romano, P.; Giannakis, M. (2000): Supply Chain Management.<br />
An Analytical Framework for Critical Literature Review, in:<br />
European journal of purchasing and supply management, 6. Jg., H. 1,<br />
S. 67-83.<br />
7 Liberatore, J. L.; Miller, T. (1998): A framework for integrating<br />
activiy based costing and the balanced scorecard into the logistics<br />
strategy development and monitoring process, in: Journal of Business<br />
Logistics,19. Jg., H. 2, S. 131-152.<br />
7 Supply Chain Council (2002): Supply-Chain Operations Reference-<br />
Model. Version 5.0, Pittsburgh.<br />
7 Williamson, O. E. (1985): The Economic Institutions of Capitalism.<br />
Firms, Markets, Relational Contracting, 11. Aufl., New York.<br />
Tabelle 4: Die 17 meist zitierten anglo-amerikanischen Publikationen. 49<br />
Quelle: eigene.<br />
− Von welchen Autoren (-gruppen) werden die meisten unterschiedlichen<br />
Publikationen zitiert?<br />
Auch zu dieser Forschungsfrage hat der Autor keine bestimmten Erwartungen<br />
gehabt, außer, dass eventuell Autoren(-gruppen), die sich Instrumenten<br />
zuwenden, besonders häufig zitiert werden. Diese Vermutung wird sich im<br />
Verlauf der Untersuchung allerdings nicht bestätigen. Im Rahmen dieser<br />
Fragestellung ist zunächst sicherzustellen, dass die Zitationsanzahl durch<br />
Fremdzitationen zu determinieren ist. Allerdings können Eigenzitationen<br />
weitestgehend vernachlässigt werden, da nur einer der gelisteten Autoren<br />
Veröffentlichungen innerhalb der untersuchten SCC-Beiträge vorweißt. Bei<br />
dieser Ausnahme handelt es sich um den Autor Seuring, der den siebten<br />
49 Aufgrund der ausführlichen Angabe der Referenzen in Tabelle 4 werden diese nicht nochmals<br />
im Literaturverzeichnis aufgeführt, sofern sie nicht an einer anderen Textstelle zitiert<br />
werden.<br />
7<br />
7<br />
7<br />
7<br />
7<br />
7<br />
55
56<br />
Rang einnimmt. Bei den Eigenzitationen handelt es sich um seine Veröffentlichung<br />
„Green supply chain costing - joint cost managment in the polyester<br />
linings supply chain“, die in der Zeitschrift Greener Managment International,<br />
No. 33, 2001, pp. 71-80, erschienen ist. Diese wurde folglich in der<br />
Auszählung nicht berücksichtigt. Im Folgenden werden nun kurz Autoren(gruppen)<br />
analysiert, wobei deren meist beachtete Publikationen hervorgehoben<br />
werden. Den ersten Platz bekleidet der Autor Williamson. Von diesem<br />
werden 14 unterschiedliche Publikationen berücksichtigt. Am Häufigsten<br />
wird die bereits im vorstehenden Abschnitt beschriebene Arbeit „The Economic<br />
Institutions of Capitalism. Firms, Markets, Relational Contracting”<br />
zitiert. 50 Auf Rang zwei findet sich die Erstausgabe aus dem Jahr 1975. 51<br />
Hieran zeigt sich, dass im Rahmen dieses Beitrages Neuauflagen als eigenständige<br />
Publikationen angesehen werden. Am Dritthäufigsten wird der<br />
Zeitschriftenartikel „The economics of organization: The transaction cost<br />
approach. Markets and Hierarchies: Analysis and Antitrust Implications. A<br />
Study in the Economics of Internal Organization” zitiert. 52 Dieser erhält drei<br />
Fremdzitationen. Zusammenfassend zeigt dieses wiederum, dass die Arbeiten<br />
zur Neuen Institutionenökonomie eine umfangreiche Beachtung im<br />
Rahmen der deutschsprachigen SCC-Forschung finden. An Platz zwei findet<br />
sich Porter wieder. Von diesem werden 11 verschiedene Publikationen zitiert.<br />
Die größte Aufmerksamkeit mit sechs verschiedenen Fremdzitationen<br />
erfährt dabei sein Werk „Competitive Advantage: Creating and sustaining<br />
superior performance”. 53 Den Rang drei bekleidet die Autorin Ellram mit<br />
neun verschiedenen berücksichtigten Publikationen, wobei keine durch eine<br />
besonders hohe Fremdzitation hervorsticht. Auf Rang vier ist der Autor<br />
Cooper anzutreffen. Von diesem werden acht verschiedene Arbeiten in den<br />
untersuchten Referenzen der SCC-Publikationen berücksichtigt. Zitiert wird<br />
er in den Qualifikationsschriften von Veil, Hess und Halusa, so dass nicht<br />
von einer breiten Wahrnehmung gesprochen werden kann. 54 Den selben<br />
Rang bekleiden Kaplan und Norton, deren Arbeiten zur Balanced Scorecard<br />
Beachtung finden. Hier sticht der bereits oben angeführte Artikel „The Ba-<br />
50 Williamson 1985.<br />
51 Williamson 1975.<br />
52 Williamson 1981.<br />
53 Porter 1985.<br />
54 Veil 2001; Hess 2002; Halusa 1996.
lanced Score Card. Measures That Drives Business Performance” hervor. 55<br />
Den fünften Platz teilen sich Christopher und Harrigan, die in je sechs verschiedenen<br />
SCC-Publikationen als Referenzen angeführt werden. Bei Erstgenanntem<br />
wird sein insbesondere an Praktiker gewandtes Buch „Logistics<br />
and Supply Chain Management. Strategies for Reducing Cost and Improving<br />
Service” sowohl in der Erst- als auch Zweitauflage stark beachtet. Die Platzierung<br />
von Harrigan, der sich in seinen Arbeiten mit Vertikalen Kooperationen,<br />
Strategischen Allianzen und Joint Ventures auseinandersetzt, ist einzig<br />
und allein auf die Dissertationsschrift von Kraege zurückzuführen. 56 Den<br />
sechsten Platz haben die Autoren Lorange, der in den Arbeiten von Kraege,<br />
Ries und Veil zitiert wird, und Yin , dessen Arbeiten ausschließlich in der<br />
Publikation von Bacher berücksichtigt wird, inne. 57 Auf Platz sieben folgt<br />
abschließend mit Seuring der einzige deutschsprachige Autor, dessen Publikationen<br />
in der Dissertationsschrift von Winkler fremdzitiert werden. 58 Ein<br />
Überblick über die vorstehenden Ausführungen wird in Tabelle 5 gegeben.<br />
Abschließend erfolgt die Vorstellung der Ergebnisse, in welchen Zeitschriften<br />
und Sammelbänden die zumeist zitierten Publikationen erschienen sind.<br />
Rang Autor(-engruppe) Zitationsanzahl<br />
1 Williamson, O. E. 14<br />
2 Porter, M. E. 11<br />
3 Ellram, L. M. 9<br />
4 Cooper, R. 8<br />
4 Kaplan, R. S.; Norton, D. P. 8<br />
5 Christopher, M. 6<br />
5 Harrigan, K. R. 6<br />
55 Kaplan/Norton 1992.<br />
56 Kraege 1997.<br />
57 Kraege 1997; Ries 2001; Veil 2001; Bacher 2004.<br />
58 Winkler 2005.<br />
57
58<br />
6 Lorange, P. 5<br />
6 Yin, R. K. 5<br />
7 Seuring, S. 4<br />
Tabelle 5: Die 10 meist zitierten Autoren(-gruppen).<br />
Quelle: eigene.<br />
− Welche Zeitschriften und Sammelbände werden bevorzugt zitiert?<br />
Die Vorüberlegungen zu dieser Fragestellung führten zu der Annahme, dass<br />
bevorzugt hochrangige Journals oder Sammelbände bekannter Autoren(gruppen)<br />
Verwendung finden. Diese These bestätigte sich im Laufe der<br />
Untersuchung, allerdings finden sich in den Top Ten keine Sammelbände<br />
wieder, sondern ausschließlich Zeitschriften. Für die Zeitschriften wird des<br />
weiteren deren Ranking ermittelt. Hierzu findet zum einen das Ranking der<br />
VHB-JOURQUAL: Gesamtranking aller BWL-relevanten Zeitschriften des<br />
Verbandes der Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e.V. (Kat. 1) und zum<br />
anderen das der WU Journal Rating (Kat. 2) der <strong>Wirtschaft</strong>suniversität Wien<br />
(Stand: 11.10.2006) Verwendung. Es zeigt sich, dass sich die zumeist verwendeten<br />
Zeitschriften der Kategorie A+ bis B zuordnen lassen. Die Ergebnisse<br />
werden in Tabelle 6 wiedergegeben, bevor im letzten Kapitel 5 im<br />
Rahmen eines Fazits eine Reflexion der Vorgehensweise und der Ergebnisse<br />
erfolgt.<br />
Nr. Medium Anzahl Kat.1 Kat.2<br />
1 Harvard Business Review 57 A C<br />
2 Long Range Planning 36 A B<br />
3 Strategic Management Journal 33 A A<br />
4 International Journal of Physical Distribution and Logistics<br />
Management<br />
31 B B<br />
5 Academy of Management Review 29 A+ A+<br />
6 Administrative Science Quarterly 28 A+ A+<br />
7 Sloan Management Review 25 A B
7 Supply Chain Management Review 25 B -<br />
8 International Journal of Logistics Management 24 A B<br />
9 Journal of Cost Management 20 - C<br />
Tabelle 6: Die 10 meist zitierten Medien. 59<br />
Quelle: eigene.<br />
5 Reflexion und Fazit<br />
Die Zitatenanalyse hat sich grundsätzlich als eine geeignete Methodik erwiesen,<br />
um Erkenntnisse in der Diskussion um ein Supply Chain Controlling zu<br />
gewinnen. Allerdings ist das erhobene Ausgangsmaterial hierfür entsprechend<br />
aufzubereiten, wie in Tabelle 1 veranschaulicht wird. Des Weiteren<br />
darf die sich anschließende Analyse nicht nur quantitativ erfolgen, sondern<br />
ist explizit unter qualitativen Aspekten durchzuführen. Dies bedeutet, dass<br />
die gewonnen Zahlen nicht für sich allein stehen sollen, sondern vor dem<br />
Hintergrund eines eventuellen Vorverständnisses und der zugrunde gelegten<br />
Fragestellung zu interpretieren sind.<br />
Die gewonnenen quantitativen Ergebnisse sind als valide und reliabel zu<br />
bezeichnen. Die qualitativ vorgenommenen Auslegungen sind letztendlich<br />
als forscherabhängig einzustufen. Aus diesem Grund sind die erhaltenen<br />
Ergebnisse argumentativ zu rechtfertigen. Unabhängig von der Interpretation<br />
der Erkenntnisse sind diese als gewinnbringend zu bezeichnen, da sie interessante<br />
Einblicke, Begründungsmöglichkeiten und Denkanstöße für die<br />
SCC-Forschung darstellen.<br />
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Untersuchung der Verwendung von<br />
Referenzen, die in englischer Sprache verfasst sind, als ein weiterführender<br />
Baustein in der Forschung zum Supply Chain Controlling zu bezeichnen ist.<br />
Auf ihrer Grundlage lassen sich mögliche Impulse dieses Sprachbereichs auf<br />
die eher als deutsch zu bezeichnende SCC-Diskussion aufzeigen.<br />
59 Fehlende Angaben bedeuten, dass das betroffene Medium in dem entsprechenden Ranking<br />
nicht gelistet ist.<br />
59
60<br />
Literatur<br />
Bacher, A. (2004): Instrumente des Supply Chain Controlling: Theoretische<br />
Herleitung und Überprüfung der Anwendbarkeit in der Unternehmenspraxis,<br />
Wiesbaden.<br />
Beamon, B. (1999): Measuring Supply Chain Performance, in: The International<br />
Journal of Operations and Production Management, 19. Jg., H. 3,<br />
S. 275-292.<br />
Bechtel, C./Jayaram, J. (1997): Supply Chain Management: A Strategic<br />
Perspective, in: The International Journal of Logistics management, 8.<br />
Jg., H. 1, pp. 15-34.<br />
Becker, A. (2003): Controlling als reflexive Steuerung von Organisationen,<br />
Stuttgart.<br />
Bramsemann, R. (1993): Handbuch Controlling <strong>–</strong> Methoden und Techniken,<br />
3. Aufl., München, Wien.<br />
Brewer, P./Speh, T. (2001): Adapting the Balanced Scorecard to Supply<br />
Chain Performance, in: Supply Chain Management Review, 5. Jg., H.<br />
2, S. 48-56.<br />
Brewer, P./Speh, T. (2000): Using the Balanced Scorecard to Measure Supply<br />
Chain Performance, in: Journal of Business Logistics, 21. Jg., H. 1,<br />
S. 75-93.<br />
Christopher, M. (1998): Logistics and Supply Chain Management. Strategies<br />
for Reducing Cost and Improving Service, 2. Aufl., London.<br />
Coase, R. (1937): The Nature of the firm, in: Economica, Vol. 4.<br />
Cooper, M./Lambert, D./Pagh, J. (1997): Supply Chain Management: More<br />
Than a New Name for Logistics, in: The International Journal of Logistics<br />
Management, Vol. 8, No. 1, pp. 1-14.<br />
Cooper, R./Slagmulder, R. (1999): Supply Chain Development for the Lean<br />
Enterprise: Interorganizational Cost Management, Portland, OR.<br />
Corsten, H. (2001): Grundlagen der Koordination in Unternehmungs<br />
netzwerken, in: Corsten, H. (Hrsg.): Unternehmungsnetzwerke, München,<br />
Wien, S. 1-57.
Croom, S./Romano, P./Giannakis, M. (2000): Supply Chain Management.<br />
An Analytical Framework for Critical Literature Review, in: European<br />
journal of purchasing and supply management, 6. Jg., H. 1, S. 67-83.<br />
Dekker, H./Van Gooer, A. (2000): Supply Chain Management and Management<br />
Accounting: A Case study of Activity-Based Costing, in: The International<br />
Journal of Logistics: Research and Applications, 3. Jg., H.<br />
1, S. 41-52.<br />
Göpfert, I. (2001): Logistik-Controlling der Zukunft, in: Controlling, Juli, H.<br />
7, S. 347-355.<br />
Gorraiz, J. (1992): Die unerträgliche Bedeutung der Zitate, in: Biblos, 41,<br />
Jg., H. 4, S. 193-204.<br />
Hahn, D./Hungenberg, H. (2001): Planung und Kontrolle, Planungs- und<br />
Kontrollsysteme, Planungs- und Kontrollrechnung: PuK; wertorientierte<br />
Controllingkonzepte; Unternehmungsbeispiele von DaimlerChrysler<br />
AG, Stuttgart, Siemens AG, München, Franz Haniel & Cie.<br />
GmbH, Duisburg, 6. Aufl., Wiesbaden.<br />
Halusa, M. (1996): Supply-Management-Controlling <strong>–</strong> Ein aktivitäts- und<br />
kooperationsorientierter Ansatz, Bamberg.<br />
Handfield, R./Nichols, E. (1999): Introduction to supply chain management,<br />
Upper Saddle River, New Jersey.<br />
Hess, T. (2002): Netzwerkcontrolling <strong>–</strong> Instrumente und ihre Werkzeug<br />
unterstützung, Wiesbaden.<br />
Hieronimus, M. (2006): Strategisches Controlling von Supply Chains <strong>–</strong> Entwicklung<br />
eines ganzheitlichen Ansatzes unter Einbeziehung der Wertschöpfungspartnern,<br />
Cuvillier Verlag, Göttingen.<br />
Hippe, A. (1997): Interdependenzen von Controlling und Strategie in Unternehmensnetzwerken,<br />
Wiesbaden.<br />
Horvath, P. (2006): Controlling, 10. Aufl., München.<br />
Jehle, M. (2005): Wertorientiertes Supply Chain Management und Supply<br />
Chain Controlling: Modelle, Konzeption und Umsetzung, Lang, Frankfurt<br />
a. M. et al..<br />
Kaplan, R./Norton, D. (1992): The Balanced Score Card. Measures That<br />
Drives Business Performance, in: Harvard Business Review, 70. Jg.,<br />
January-February, S. 71-79.<br />
61
62<br />
Kraege, R. (1997): Controlling strategischer Unternehmenskooperationen <strong>–</strong><br />
Aufgaben, Instrumente und Gestaltungsempfehlungen, München, Mering.<br />
Küpper, H.-U. (2001): Controlling: Konzeption, Aufgaben, Instrumente, 3.<br />
Aufl., Stuttgart.<br />
LaLonde, B./Pohlen, T. (1996): Issues in Supply Chain Costing, in: The<br />
International Journal of Logistics Management, 7. Jg., H. 1, S. 1-12.<br />
Lange, C./Schaefer, S./Daldrup, H. (2001): Integriertes Controlling in Strategischen<br />
Unternehmensnetzwerken, in: Controlling, 13. Jg., H. 2, S.<br />
75-83.<br />
Lee, H./Padmanabhan, V./Whang, S. (1997): The Bullwhip Effect in Supply<br />
Chains, in: Sloan Management Review, 38. Jg., S. 93-102.<br />
Liberatore, J./Miller, T. (1998): A framework for integrating activity based<br />
costing and the balanced scorecard into the logistics strategy development<br />
and monitoring process, in: Journal of Business Logistics,19. Jg.,<br />
H. 2, S. 131-152.<br />
Liebetruth, M. (2005): Die Informationsbasis des Supply Chain Controlling<br />
<strong>–</strong> Forschungsstand, empirische Analyse, Gestaltungsempfehlungen,<br />
Kölner Wissenschaftsverlag, Köln.<br />
Müller, M./Seuring, S./Goldbach, M. (2003): Supply Chain Management <strong>–</strong><br />
Neues Konzept oder Modetrend?, in: Die Betriebswirtschaft, Bd. 63,<br />
H. 4, S.419-440.<br />
Oliver, R./Webber, M. (1982): Supply-chain management: logistics catches<br />
up with strategy. Reprint in: Christopher, M.; Logistics: The strategic<br />
issue, S. 63-75.<br />
Otto, A. (2002): Management und Controlling von Supply Chains <strong>–</strong> Ein<br />
Modell auf Basis der Netzwerktheorie, Wiesbaden.<br />
Pietsch, G. (2003): Reflexionsorientiertes Controlling: Konzeption und Gestaltung,<br />
1. Aufl., Wiesbaden.<br />
Porter, M. (1985): Competitive Advantage: Creating and sustaining superior<br />
performance, New York, London.<br />
Ries, A. (2001): Controlling in virtuellen Netzwerken: Management<br />
unterstützung in dynamischen Kooperationen, Wiesbaden.
Smith, L. (1981): Citation Analysis, in: Library Trends, 30. Jg., H. 1, S. 83-<br />
105.<br />
Seuring, S. (2006): Supply Chain Controlling: summarizing recent developments<br />
in German literature, in: Supply Chain Management: An International<br />
Journal, 11. Jg., H. 1, S. 10-14.<br />
Seuring, S. (2001): Green supply chain costing - joint cost management in<br />
the polyester linings supply chain, in: Greener Management International,<br />
No. 33, S. 71-80.<br />
Seuring, S. (2001): Supply chain costing: Kostenmanagement in der Wertschöpfungskette<br />
mit Target Costing und Prozesskostenrechnung, München.<br />
Simchi-Levi, D./Kaminsky, P./Simchi-Levi, E. (2000): Designing and Managing<br />
the Supply Chain <strong>–</strong> Concepts, Strategies, and Case Studies, Boston<br />
et al..<br />
Stock, W. (2001): Publikation und Zitat <strong>–</strong> Die problematische Basis empirischer<br />
Wissenschaftsforschung, in: Kölnern Arbeitspapiere zur Bibliotheks-<br />
und Informationswissenschaft, Bd. 29, Köln, URL:<br />
http://www.fbi.fh-koeln.de/institut/papers/kabi/volltexte/band029.pdf,<br />
Abrufdatum: 14.04.2006, letzter Abruf: 19.04.2006.<br />
Stölzle, W. (2002): Supply Chain Controlling <strong>–</strong> eine Plattform für die Controlling-<br />
und Logistikforschung?, in: Weber, J., Hirsch, B. (Hrsg.):<br />
Controlling als akademische Disziplin <strong>–</strong> Eine Bestandsaufnahme,<br />
Wiesbaden, S. 283-309.<br />
Stölzle, W./Heusler, K./Karrer, M. (2001): Die Integration der Balanced<br />
Scorecard in das Supply Chain Management-Konzept, in: Logistik<br />
Management, 3. Jg., Ausg. 2/3, S. 73-85.<br />
Stölzle, W./Otto, A. (Hrsg.) (2003): Supply Chain Controlling in Theorie<br />
und Praxis: aktuelle Konzepte und Unternehmensbeispiele, Wiesbaden.<br />
Stüllenberg, F. (2005): Konzeption eines modularen Kooperations-controlling,<br />
Herne, Berlin.<br />
Supply Chain Council (2002): Supply-Chain Operations Reference-Model.<br />
Version 5.0, Pittsburgh.<br />
Veil, T. (2001): Internes Rechnungswesen zur Unterstützung der Führung in<br />
Unternehmensnetzwerken, 1. Aufl., Göttingen.<br />
63
64<br />
Weber, J. (2002a): Vorwort, in: Weber, J.; Hirsch, B. (Hrsg.): Controlling als<br />
akademische Disziplin <strong>–</strong> Eine Bestandsaufnahme, Wiesbaden, S. V-<br />
VIII.<br />
Weber, J. (2002b): Logistik- und Supply Chain Controlling, 5. Aufl., Wiesbaden.<br />
Weber, J., Schäffer, U. (2006): Einführung in das Controlling, 11. Aufl.,<br />
Stuttgart.<br />
Westhaus, M. (2007): Supply Chain Controlling <strong>–</strong> Definition, Forschungsstand,<br />
Konzeption, DUV, Wiesbaden, erscheint in 2007.<br />
Westhaus, M./Seuring, S. (2005): Zum Begriff des Supply Chain Controlling<br />
<strong>–</strong> Ergebnisse einer Delphi-Studie, in: Logistik Management, 7. Jg.,<br />
Ausg. 2, S. 40-51.<br />
Williamson, O. (1981): The economics of organization: The transaction cost<br />
approach, in: American Journal of Sociology, 87. Vol., Nr. 3, S. 548-<br />
577.<br />
Williamson, O. (1975): Markets and Hierarchies: Analysis and Antitrust<br />
Implications. A Study in the Economics of Internal Organization, New<br />
York et al..<br />
Williamson, O. (1985): The Economic Institutions of Capitalism. Firms,<br />
Markets, Relational Contracting, 11. Aufl., New York.<br />
Winkler, H. (2005): Konzept und Einsatzmöglichkeiten des Supply Chain<br />
Controlling <strong>–</strong> Am Beispiel einer Virtuellen Supply Chain Organisation<br />
(VISCO), Wiesbaden.<br />
Zäpfel, G./Piekarz, B. (1996): Supply Chain Controlling: interaktive und<br />
dynamische Regelung der Material- uns Warenflüsse, Wien.
Andreas Eiselt/Inge Wulf *<br />
Wesentliche Bilanzierungsunterschiede bei<br />
Rechnungslegung nach International Financial Reporting<br />
Standards (IFRS) und US-Generally Accepted Accounting<br />
Principles (US-GAAP)<br />
1 Einleitung<br />
Durch die Umsetzung der Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 des Europäischen<br />
Parlaments und des Rats durch das Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG)<br />
in deutsches <strong>Recht</strong> sind seit 2005 kapitalmarktorientierte Unternehmen verpflichtet,<br />
ihren Konzernabschluss unter Beachtung der IFRS zu erstellen und<br />
zu publizieren. Für Unternehmen, die in den USA gelistet sind und ihren<br />
Abschluss unter Beachtung der US-GAAP erstellen müssen, und solche<br />
Unternehmen, die einen organisierten Kapitalmarkt ausschließlich mit<br />
Fremdkapitaltiteln in Anspruch nehmen, gilt derzeit eine Übergangsfrist bis<br />
Ende 2006. Allerdings hat die Securities and Exchange Commission (SEC)<br />
die Anerkennung von IFRS-Abschlüssen für 2009 in Aussicht gestellt. Bereits<br />
im Oktober 2002 haben International Accounting Standards Board<br />
(IASB) und FASB im sog. „Norwalk Agreement“ eine Vereinbarung über<br />
eine Zusammenarbeit mit dem Ziel getroffen, die US-GAAP und IFRS zu<br />
verbessern und gleichzeitig Differenzen zwischen den Standards zu beseitigen.<br />
Auch die SEC und das Committee of European Securities Regulators<br />
(CESR) intensivieren mittlerweile ihre Zusammenarbeit. Ziel ist die konsistente<br />
Anwendung der IFRS sowie der US-GAAP durch international tätige<br />
Unternehmen sowohl in den USA als auch innerhalb der Europäischen Union.<br />
Viele Rechnungslegungsunterschiede hat das IASB bereits im Rahmen<br />
* Dipl.-Kfm. Andreas Eiselt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dr. Inge Wulf ist wissenschaftliche<br />
Assistentin bei Univ.-Prof. Dr. Laurenz Lachnit am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen<br />
(<strong>Wirtschaft</strong>sprüfung und Controlling) der Universität Oldenburg.
66<br />
des „Improvements Project“ im Jahre 2003 und 2004 beseitigt, jedoch bestehen<br />
noch einige bedeutende Rechnungslegungsunterschiede zwischen IFRS<br />
und US-GAAP, die beide Standardsetter auf dem Weg zu einer (weitgehenden)<br />
Konvergenz noch überwinden müssen.<br />
Im Folgenden werden die wesentlichen bestehenden Unterschiede in den<br />
Ausweis-, Ansatz- und Bewertungsvorschriften dargestellt. Der Betrachtungsschwerpunkt<br />
wird auf die allgemeinen Vorgaben für börsennotierte<br />
Handels- und Industrieunternehmen gelegt. Sonderregelungen für z.B. Banken<br />
oder Versicherungen, Unterschiede im Rahmen der Konzernrechnungslegung<br />
oder erstmaligen Anwendung werden hier nicht berücksichtigt. 1<br />
2 Unterschiede in den Rahmenbedingungen<br />
Die wichtigsten Verlautbarungen der US-GAAP werden vom privatwirtschaftlich<br />
organisierten Financial Accounting Standards Board (FASB) in<br />
Form von „Statements of Financial Accounting Standards (SFAS)“ herausgegeben.<br />
Insgesamt basieren die US-GAAP auf einer komplexen Zusammensetzung<br />
verschiedener Vorschriften oder Verlautbarungen, die hierarchisch<br />
aufgebaut unter dem Begriff „House of GAAP“ bekannt sind. Dieses<br />
System umfasst fünf Rechnungslegungsschichten: Die unterste Schicht entstammt<br />
dem Bereich der US-amerikanischen Abschlussprüfung, wird auch<br />
als GAAP i.e.S bzw. als formelle Verfahrensnormen und Grundsätze bezeichnet<br />
und stellt die verpflichtende Rechnungslegungsebene dar. Hierzu<br />
zählen neben den vom FASB erlassenen Statements und Interpretations auch<br />
noch Regelungen, die von der Vorgängerorganisation, dem Accounting Principles<br />
Board (APB), in Form von Opinions (APBO) erlassen wurden sowie<br />
die von der <strong>Wirtschaft</strong>sprüfervereinigung herausgegebenen Accounting<br />
Research Bulletins (ARB). Zusammen mit den vier weiteren Schichtungen<br />
ergeben sich die GAAP i.w.S.. Die folgende Darstellung verdeutlicht diese<br />
Zusammenhänge:<br />
1 Vgl. dazu z.B. Coenenberg 2005; Pellens/Fülbier/Gassen 2006.
E<br />
C<br />
B<br />
FASB<br />
Concept<br />
A FASB Statements<br />
Abb. 1 House of GAAP<br />
Quelle: In Anlehnung an KPMG (Hrsg.) 2003, S. 3.<br />
Es bleibt anzumerken, dass die SEC mittlerweile eine Reduzierung dieser<br />
Hierarchie auf lediglich zwei Ebenen fordert2 und das FASB die Gesamtheit<br />
der US-GAAP bis zum Jahr 2010 innerhalb eines geschlossenen, themengegliederten<br />
Gesamtwerkes systematisieren möchte („Codification and Retrieval<br />
Project“). 3<br />
Die IFRS entstammen einer länderübergreifenden Zusammenarbeit von<br />
Berufsverbänden der <strong>Wirtschaft</strong>sprüfer mit dem Ziel, durch die Veröffentlichung<br />
von Rechnungslegungsstandards eine weltweite Harmonisierung der<br />
Abbildungskonzeptionen zu erreichen. Die Rolle des privaten Standardsetters<br />
obliegt seit 2001 dem IASB, dem Nachfolgegremium des am 29. Juni<br />
1973 in London gegründeten IASC. Das IASB gibt Verlautbarungen heraus,<br />
die sich ähnlich wie nach US-GAAP hinsichtlich ihres Verpflichtungscharakters<br />
unterscheiden. Die Hierarchie dieser Verlautbarungen lässt sich in<br />
Anlehnung an die Darstellung nach US-GAAP wie folgt darstellen:<br />
2 Vgl. SEC (Hrsg.) 2003, S. 39-40.<br />
3 Vgl. Diehm 2005, S. 229.<br />
HOUSE of GAAP<br />
AICPA<br />
Regulators<br />
Issue Papers IASB GASB FASBAB (SEC)<br />
Other<br />
D AICPA Accounting Interpretations FASB Implementation Guides (Q&A)<br />
AICPA Practice Bulletins FASB Emerging Issues Task Force (EITF)<br />
FASB Technical Bulletins<br />
AICPA Industry Audit and<br />
Accounting Guides<br />
FASB<br />
Interpretations<br />
APB Opinions<br />
AICPA Statements of<br />
Position<br />
AICPA Accounting<br />
Research Bulletins<br />
67
68<br />
Abb. 2 House of IAS/IFRS<br />
Quelle: In Anlehnung an Lüdenbach 2004, S. 39 und Heyd/Lutz-Ingold<br />
2005, S. 18.<br />
Wie die Abbildung verdeutlicht, umfassen die IFRS zum einen die vom<br />
IASB verabschiedeten IFRS, die zunächst vom Vorgänger des IASB, dem<br />
International Standards Committee (IASC), erlassenen und in 2001 vom<br />
IASB übernommenen International Accounting Standards (IAS) sowie zum<br />
anderen die vom International Financial Reporting Interpretations Committee<br />
(IFRIC) und dem Vorgängergremium, dem Standing Interpretations<br />
Committe (SIC), veröffentlichten Interpretationen. Diese speziellen Rechnungslegungsregeln<br />
dem Rahmenkonzept (Framework) vor. „Lediglich in<br />
den Fällen, in denen Rechnungslegungsthemen durch keinen Standard abgedeckt<br />
werden oder nicht eindeutig in einem IFRS adressiert sind, bildet das<br />
Framework ... die Grundlage von eigenen Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden.“<br />
4 Verpflichtenden Charakter auf der dritten Ebene besitzt weiterhin<br />
das Vorwort (Preface), obwohl es nur wenige spezifische Grundlagen<br />
4 Hinz, 2005 S. 48-49.<br />
HOUSE of IAS/IFRS<br />
5. Ebene Verlautbarungen nationaler Gesetzgeber oder anderer Standardsetter<br />
4. Ebene Leitlinien zu Implementierung (IAS Implementation Guidances)<br />
3. Ebene Vorwort (Preface)<br />
2. Ebene Rahmenkonzept (Framework)<br />
1. Ebene IAS/IFRS SIC/IFRIC
enthält. 5 Mit den Leitlinien zur Implementierung (Implementation Guidances)<br />
entstand im Jahr 2000 eine weitere Kategorie, der allerdings nur eine<br />
Empfehlungswirkung zugesprochen wird. 6 Schließlich kann der Bilanzierende<br />
bei bisher vom IASB ungelösten Rechnungslegungsfragen auf Verlautbarungen<br />
anerkannter nationaler Gesetzgeber oder anderer Standardsetter<br />
zurückgreifen, wobei diese Regelungen hierarchisch auf der fünften und<br />
letzten Ebene anzusiedeln sind.<br />
3 Unterschiede in den Zielen und Grundsätzen der<br />
Rechnungslegung<br />
Die zentrale Aufgabe eines nach US-GAAP und IFRS aufgestellten Abschlusses<br />
besteht in der Vermittlung entscheidungsrelevanter und verlässlicher<br />
Informationen für den Kapitalmarkt. Dabei ist nach US-GAAP unbedingt<br />
der Grundsatz der „Fair Presentation“ zu beachten, der eine wahrheitsgemäße<br />
Darstellung der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens sicherstellen<br />
soll. 7 Dieser Forderung sind alle anderen Bilanzzwecke und -grundsätze<br />
untergeordnet, so dass zur Einhaltung dieses Grundsatzes sogar von<br />
Einzelvorschriften abgewichen werden darf, wenn trotz Beachtung der<br />
Rechnungslegungsstandards das wirtschaftliche Gesamtbild des Unternehmens<br />
verzerrt dargestellt würde, womit diese Norm als „Overriding Principle“<br />
fungiert. 8<br />
Ursprünglich wurde gem. IFRS die Forderung nach einer „Fair Presentation“<br />
lediglich im Rahmenkonzept im Zusammenhang mit der Erfüllung der<br />
qualitativen Anforderungen erwähnt. Seit der Überarbeitung des IAS 1 im<br />
Jahre 1997 ist diese Forderung explizit in IAS 1.13 verankert. Damit ist die<br />
Bedeutung der „Fair Presentation“ signifikant gestiegen, gleichwohl diese<br />
Forderung in der aktuellen Kommentierung nicht von allen Autoren im Sin-<br />
5 Vgl. Heyd/Lutz-Ingold 2005, S. 16.<br />
6 Vgl. Heyd/Lutz-Ingold 2005, S. 19.<br />
7 Vgl. Siebert 1996, S. 409.<br />
8 Vgl. Lachnit 1993, S. 193.<br />
69
70<br />
ne eines „Overriding Principle“ interpretiert wird. 9 Vielmehr resultiert nach<br />
IAS 1.15 aus der sachgemäßen Anwendung der IFRS inklusive der Interpretationen<br />
unter nahezu allen Umständen ein Abschluss, der dem Gebot der<br />
„Fair Presentation“ genügt. Ein Abweichen von den Regelungen eines IFRS<br />
ist nach IAS 1.17 nur in extrem seltenen Ausnahmefällen und in Verbindung<br />
mit umfangreichen Angaben zulässig.<br />
4 Darstellung wesentlicher Unterschiede in der formalen<br />
Ausgestaltung der Abschlussbestandteile<br />
Sowohl nach IFRS als auch nach US-GAAP besteht der jährlich aufgestellte<br />
und publizierte Abschluss eines kapitalmarktorientierten Unternehmens aus<br />
einer Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) mit dem Ergebnis je<br />
Aktie, Kapitalflussrechnung, Eigenkapitalveränderungsrechnung und einem<br />
Anhang. 10 Neben diese Rechenwerke tritt eine Segmentberichterstattung,<br />
obwohl diese im Regelwerk der IFRS und US-GAAP nicht explizit als eigener<br />
Bestandteil bezeichnet wird.<br />
Der Anhang als eigenständiger Teil des Jahresabschlusses dient im wesentlichen<br />
der Erläuterung, Ergänzung und Entlastung der Abschlussbestandteile.<br />
11 Die bei der Ausgestaltung des Anhangs wesentlichen Unterschiede<br />
werden im Folgenden bei der Behandlung der einzelnen Abschlussbestandteile<br />
behandelt.<br />
Ein erster grundlegender Unterschied in der Ausgestaltung der Rechenwerke<br />
ergibt sich aus der Tatsache, dass die SEC zu sämtlichen Rechnungslegungsinformationen<br />
grundsätzlich für zwei Vorperioden Vergleichswerte<br />
fordern und gemäß IAS 1.36 Vergleichsinformationen lediglich für die vorangegangene<br />
Periode erforderlich sind. 12 Lediglich in der Bilanz genügt<br />
nach US-GAAP der Ausweis von einfachen Vorjahreswerten. 13<br />
9 Vgl. Hinz 2005, S. 79 mit weiteren Nennungen.<br />
10 Vgl. F.7 bzw. IAS 1.8 und SFAC 5 und 6 bzw. CON 5.13.<br />
11 Vgl. Krawitz 2005, S. 15-16; Wulf 2004, Rz. 506<br />
12 Vgl. Regulation S-X, Rule 3-02 (a) und Regulation S-X, Rule 3-04.<br />
13 Vgl. Regulation S-X, Rule 3-01 (a)
4.1 Bilanz<br />
Die Vermögenswerte und Schulden in der Bilanz sind gemäß IAS 1.51<br />
grundsätzlich nach der Fristigkeit zu klassifizieren und zwar in langfristige<br />
und kurzfristige Vermögenswerte und Schulden. Latente Steueransprüche<br />
bzw. -schulden sind nach IAS 1.70 stets als langfristig zu klassifizieren. Nur<br />
in Ausnahmefällen ist eine reine Gliederung nach Liquiditätsnähe gem. IAS<br />
1.51 zu bevorzugen. Eine derartige Gliederung ist z.B. nach RIC 1.23 nur bei<br />
Versicherungsgesellschaften oder Finanzinstituten denkbar, wenn sich die<br />
Bilanz fast nur aus Finanzinstrumenten zusammensetzt. 14<br />
Anders als nach IFRS sind nach US-GAAP die Aktiva nach abnehmender<br />
Liquidierbarkeit und die Passiva nach zunehmender Restlaufzeit zu ordnen,<br />
wobei jeweils eine Unterteilung in kurz- und langfristige Posten vorzunehmen<br />
ist. 15 Latente Steueransprüche und -schulden sind in Abhängigkeit von<br />
der zu Grunde liegenden Bilanzposition als lang- oder kurzfristig zu klassifizieren.<br />
Ein striktes Gliederungsschemata ist nach IFRS nicht vorgeschrieben. In IAS<br />
1.68 werden lediglich einige Posten aufgezählt, die zumindest in der Bilanz<br />
auszuweisen sind. Dahingegen ist nach US-GAAP gem. Rule 5-02 der Regulations<br />
S-X ein relativ detailliertes Mindestgliederungsschemata für börsennotierte<br />
Commercial and Industrial Companies gefordert. 16<br />
Minderheitenanteile sind nach IAS 27.33 in der Konzernbilanz innerhalb des<br />
Eigenkapitals getrennt vom Eigenkapital des Mutterunternehmens auszuweisen,<br />
wohingegen dieser Korrekturposten nach US-GAAP außerhalb des<br />
Eigenkapitals auszuweisen ist.<br />
Ein bedeutender Unterschied resultiert aus der Tatsache, dass nach US-<br />
GAAP keine Notwendigkeit zur Erstellung eines ausführlichen, separaten<br />
Anlagenspiegels besteht, wie z.B. nach IAS 16.73e gefordert. Wesentliche<br />
14 In Deutschland hat zur „Bilanzgliederung nach Fristigkeit gemäß IAS 1“ das Rechnungslegungs<br />
Interpretations Committee (RIC) des Deutschen Rechnungslegungs Standards<br />
Committee e.V. (DRSC) am 19. Juli 2005 die Rechnungslegungs Interpretation (RIC) 1<br />
veröffentlicht, die sich mit der Ausgestaltung der Bilanz nach IFRS auseinandersetzt. Im<br />
Anhang von RIC 1 findet sich eine detaillierte Empfehlung zur Gliederung der Bilanz in<br />
Anlehnung an IAS 1.<br />
15 Vgl. Winnefeld 2006, Kapitel F, Rz. 1120.<br />
16 Die Regulation S-X bezieht sich auf Financial Statements Requirements, während sich die<br />
Regulation S-K auf Nonfinancial Statements Requirements bezieht.<br />
71
72<br />
Informationen, wie z.B. kumulierte Abschreibungen oder Anschaffungskosten<br />
sind jedoch aus der Bruttodarstellung ersichtlich. Daneben sind weitere<br />
Erläuterungen notwendig, wozu für jede wesentliche Sachanlagekategorie<br />
die Pflicht zur Angabe der Abschreibungen des Geschäftsjahres und der<br />
aktivierten Zinsen zählt. 17<br />
4.2 Gewinn- und Verlustrechnung<br />
Auch für die Ausgestaltung der Gewinn- und Verlustrechnung bestehen nach<br />
IFRS nur wenige verbindliche, formale Anforderungen. In IAS 1.81 und IAS<br />
1.82 werden lediglich einige Posten aufgezählt, die zumindest auszuweisen<br />
sind. Grundsätzlich ist sowohl eine Aufstellung nach Konto- oder Staffelform<br />
möglich, obwohl die Staffelform üblich ist. Ein explizites Wahlrecht<br />
besteht gem. IAS 1.88 bei der Möglichkeit zur Aufgliederung der operativen<br />
Aufwendungen nach dem Umsatz- oder Gesamtkostenverfahren. Eine weitere<br />
Aufgliederung der Aufwendungen kann wahlweise auch im Anhang<br />
erfolgen. Allerdings wird ein Ausweis in der Gewinn- und Verlustrechnung<br />
in IAS 1.89 empfohlen. Sofern das Umsatzkostenverfahren gewählt wird,<br />
sind zusätzliche Angaben zu machen. Dazu gehören nach IAS 1.93 die Höhe<br />
der planmäßigen Abschreibungen und die Leistungen an Arbeitnehmer (Personalaufwand).<br />
Ein außerordentliches Ergebnis darf nach IAS 1.85 weder in<br />
der Gewinn- und Verlustrechnung noch im Anhang ausgewiesen werden.<br />
Demgegenüber sind die Vorgaben bei Bilanzierung nach US-GAAP stringenter.<br />
Unternehmen, die gegenüber der SEC berichtspflichtig sind, haben<br />
bei der Ausgestaltung der GuV das relativ detaillierte Gliederungsschema<br />
gem. Rule 5-03 der Regulations S-X zu beachten. Es lassen sich drei generelle<br />
Unterschiede zu den IFRS festhalten: Erstens ist die GuV zwingend in<br />
Staffelform aufzustellen, zweitens sind die Aufwendungen nach dem Umsatzkostenverfahren<br />
(UKV) aufzugliedern und drittens ist der Ausweis eines<br />
außerordentlichen Ergebnisses nach APB 30.10 verpflichtend. Daneben ist<br />
eine gesonderte Angabe der Leistungen an Arbeitnehmer - wie nach IAS<br />
1.93 gefordert - nicht verpflichtend.<br />
Fall ein Ergebnis aus außerordentlichen Vorgängen ausgewiesen wird, ergibt<br />
sich ein Unterschied aus der Verpflichtung nach SFAS 128.37 ein Ergebnis<br />
je Aktie für dieses Ergebnis darzustellen.<br />
17 Vgl. Hayn/Waldersee 2004, S. 52.
Letztlich besteht ein weiterer Unterschied darin, dass bei der Berechnung des<br />
Ergebnisses je Aktie die Bestimmung der Anzahl der potenziellen Stammaktien<br />
nach IAS 33 im Gegensatz zu SFAS 128 unabhängig von der Zwischenberichterstattung<br />
erfolgt. 18<br />
4.3 Kapitalflussrechnung<br />
Den Ausgangspunkt von Kapitalflussrechnungen bildet der Finanzmittelfonds,<br />
dessen Veränderung im Laufe des Geschäftsjahres durch den Fondsnachweis<br />
über die Angabe des Cashflow aus operativer Tätigkeit, aus Investitionstätigkeit<br />
und aus Finanzierungstätigkeit erklärt wird. Nach beiden<br />
Rechnungslegungsstandards sind in den Finanzmittelfonds grundsätzlich<br />
Zahlungsmittel und Zahlungsmitteläquivalente einzubeziehen. 19 Ferner setzt<br />
IAS 7.7 voraus, dass die Zahlungsmitteläquivalente als Liquiditätsreserve<br />
dienen.<br />
Unterschiedlich regulieren die Standards auch die Möglichkeit, jederzeit<br />
fällige Bankverbindlichkeiten in den Finanzmittelfonds einzubeziehen. Im<br />
Sinne von IAS 7.8 bilden Kontokorrentkredite u.U. einen wichtigen Teil der<br />
Zahlungsmitteldisposition des Unternehmens und sind deshalb in den Finanzmittelfonds<br />
einzubeziehen. 20 Dahingegen ist die Einbeziehung von<br />
Kontokorrentlinien in den Finanzmittelfonds nach US-GAAP nicht gestattet<br />
(SFAS 95.7-95.10).<br />
Ein verbindliches Gliederungsschema für den Aufbau der Kapitalflussrechnung<br />
ist in beiden Systemen nicht vorgeschrieben, allerdings enthalten SFAS<br />
95 und IAS 7 mehrere Beispiele zum Aufbau einer Kapitalflussrechnung.<br />
Daneben finden sich sowohl nach IFRS als auch US-GAAP einige verbindliche<br />
Angabepflichten. Anders als die US-GAAP sieht IAS 7 einige Ausweiswahlrechte<br />
für spezielle Posten vor. Dies betrifft im Einzelnen erhaltene und<br />
gezahlte Zinsen, erhaltene und gezahlte Dividenden sowie gezahlte Ertragsteuern.<br />
Dahingegen sind gezahlte und erhaltene Zinsen, Zahlungen für Ertragsteuern<br />
sowie erhaltene Dividenden nach SFAS 95.21-23 grundsätzlich<br />
18 Vgl. auch Coenenberg 2005, S. 547.<br />
19 Vgl. IAS 7.6; SFAS 95.7.<br />
20 In einer Studie zur Bilanzierungspraxis nach IFRS wurde festgestellt, dass 6 der 100<br />
untersuchten Unternehmen auch Bankverbindlichkeiten als Zahlungsmittel definieren. Vgl.<br />
Keitz 2005 S. 222.<br />
73
74<br />
der betrieblichen Tätigkeit zuzuordnen, während gezahlte Dividenden nach<br />
SFAS 95.20 der Finanzierungstätigkeit zugeordnet werden müssen, wie<br />
folgende Darstellung zeigt:<br />
Vorgänge<br />
Erhaltene Zinsen<br />
Gezahlte Zinsen<br />
Erhaltene<br />
Dividenden<br />
Gezahlte<br />
Dividenden<br />
Gezahlte<br />
Ertragsteuern<br />
IAS 7<br />
Operativer Bereich<br />
Investitionsbereich<br />
Operativer Bereich<br />
Finanzierungsbereich<br />
Operativer Bereich<br />
Investitionsbereich<br />
Finanzierungsbereich<br />
Operativer Bereich<br />
Operativer Bereich<br />
(Investitionsbereich/<br />
Finanzierungsbereich)<br />
SFAS 95<br />
Operativer Bereich<br />
Operativer Bereich<br />
Operativer Bereich<br />
Finanzierungsbereich<br />
Operativer Bereich<br />
Abb. 3 Ausweisentscheidungen im Rahmen der Kapitalflussrechnung,<br />
Quelle: eigene<br />
4.4 Eigenkapitalveränderungsrechnung<br />
Für die Darstellung der Eigenkapitalveränderungen existieren gem. IAS 1.8<br />
(c) zwei grundsätzliche Möglichkeiten. So können erstens sämtliche Eigenkapitalveränderungen<br />
oder zweitens nur diejenigen Veränderungen des Eigenkapitals,<br />
die keine Kapitalmarkttransaktionen sind, abgebildet werden. 21<br />
Bei der weniger umfangreichen zweiten Variante ist also lediglich das<br />
Comprehensive Income (CI) aufzugliedern. Darüber hinaus sind im Anhang<br />
die weiteren Veränderungen des Eigenkapitals zu erläutern. Nur die erste<br />
Variante verdient die Bezeichnung „Eigenkapitalveränderungsrechnung“, da<br />
sämtliche Eigenkapitalkomponenten von Periodenanfang bis zum -ende<br />
21 Die bloße Darstellung der ergebnisneutralen Eigenkapitalveränderungen ist allerdings<br />
kaum von Bedeutung, wie eine empirische Studie von Haller/Schloßgangl belegt. Vgl.<br />
Haller/Schloßgangl 2003, S. 323.
innerhalb des Rechenwerkes abzubilden sind. 22 Zusätzlich ist die Darstellung<br />
von Veränderungen der Minderheitenanteile in IAS 1.96 vorgeschrieben.<br />
In die Eigenkapitalveränderungsrechnung ist nach US-GAAP im Unterschied<br />
zur Regelung nach IFRS zudem gem. Regulation S-X, Rule 3-04 die<br />
Entwicklung der Anzahl der Aktien und die Dividende je Aktie für jede<br />
einzelne Aktiengattung offen zu legen. Daneben ist im Abschluss nach SFAS<br />
130 die Entwicklung der Gewinnrücklagen abzubilden. Diese wird üblicherweise<br />
in die Eigenkapitalveränderungsrechnung integriert, kann aber auch<br />
als separates Rechenwerk gezeigt werden. 23<br />
Für die Darstellung des Comprehensive Income stellen die Vorschriften des<br />
SFAS 130 drei verschiedene Ausweisformate zur Auswahl. Kennzeichnend<br />
für den One Statement Approach ist der kombinierte Ausweis des in der<br />
GuV erfolgswirksam erfassten Periodenergebnisses und der erfolgsneutral<br />
im Eigenkapital erfassten Veränderungen des Eigenkapitals. Die erfolgsneutral<br />
erfassten Gewinne und Verluste werden unmittelbar im Anschluss an das<br />
in der GuV ermittelte Periodenergebnis dargestellt. 24 Im Gegensatz zu dieser<br />
integrierten Darstellung erfolgt beim Two Statement Approach eine klare<br />
Untergliederung des Ausweises von Jahresergebnis und Other Comprehensive<br />
Income. So ist in der üblichen Form ein Statement of Income und zusätzlich<br />
ein gesondertes Statement of Comprehensive Income als eigene<br />
Rechnung darzustellen. 25 Alternativ räumt SFAS 130 eine dritte Möglichkeit<br />
der Darstellung ein. In diesem sog. „Statement of Changes in Equity Approach”<br />
werden die Veränderungen sämtlicher Eigen-kapitalpositionen während<br />
einer Periode gezeigt. Das Periodenergebnis und die erfolgsneutral<br />
erfassten Beträge sowie der Gesamterfolg als Summe dieser beiden Komponenten<br />
sind direkt in der Eigenkapital-veränderungsrechnung zu zeigen.<br />
Während nach IFRS auch Beträge aus der Folgebewertung von immateriellen<br />
Vermögenswerten und Sachanlagen zum beizulegenden Zeitwert und aus<br />
versicherungsmathematischen Gewinnen/Verlusten bei der Bewertung von<br />
Pensionszusagen in der Eigenkapitalveränderungsrechnung enthalten sein<br />
22 Vgl. Pellens/Fülbier/Gassen 2006, S. 167.<br />
23 Vgl. Niehus/Thyll 2000, Tz. 1070.<br />
24 Vgl. Lachnit/Müller 2005, S.1638.<br />
25 Vgl. Appendix B zu SFAS 130.<br />
75
76<br />
können, besteht nach US-GAAP unter bestimmten Voraussetzungen die<br />
Pflicht zur erfolgsneutralen Berücksichtigung einer Mindestpensionsverpflichtung.<br />
4.5 Segmentberichterstattung<br />
Die Segmentberichterstattung soll das Zustandekommen des Unternehmenserfolgs<br />
vor allem bei solchen Unternehmen transparenter machen, die in<br />
unterschiedlichen Branchen und/oder Regionen tätig sind. Basierend auf den<br />
relevanten Rechnungslegungsstandards IAS 14 und SFAS 131 ergeben sich<br />
wesentliche Unterschiede aus der Abgrenzung der Berichtseinheiten, den<br />
geforderten Segmentangaben und der zu Grunde liegenden Ermittlungs- und<br />
Bewertungsmethode der Segmentinformationen.<br />
So bestimmt nach SFAS 131 die interne Organisation die Aufteilung des<br />
Unternehmens in einzelne berichtspflichtige Segmente (sog. „Management<br />
Approach“). Eine Abgrenzung kann dabei sowohl nach Kundengruppen,<br />
Produkten, Dienstleistungen oder geografischen Regionen erfolgen. Dadurch<br />
wird eine konvergente Darstellung im Spannungsverhältnis von interner und<br />
externer Abbildung sichergestellt, zumal auch für die externe Berichterstattung<br />
die wesentlichen Erfolgs- und Risikoquellen aus dem Blickwinkel des<br />
Managements berichtspflichtig sind. 26<br />
Dahingegen erfolgt die Abgrenzung der berichtspflichtigen Segmente nach<br />
IAS 14 zwingend nach Geschäftsbereichen (business segments) und geografischen<br />
Aspekten (geographic segments). Dabei ist nach IAS 14.26 zwischen<br />
einer primären und einer sekundären Segmentierungsebene zu unterscheiden.<br />
Dieser Ansatz gestattet den gesetzlichen Vertretern der segmentierenden<br />
Unternehmen auf Grund fehlender Regelungen nicht unerhebliche Freiheitsgrade,<br />
so dass eine von der tatsächlichen Organisations- und Berichtsstruktur<br />
völlig losgelöste Segmentabgrenzung möglich und damit die Aussagekraft<br />
des Segmentberichtes fraglich ist. 27 Als Ergebnis der Konvergenzbemühungen<br />
zwischen FASB und IASB ist hier jedoch der Exposure Draft 8 „Operating<br />
Segments“ zu sehen, der sich inhaltlich nahezu vollständig an SFAS 131<br />
ausrichtet.<br />
26 Vgl. Ammann/Müller 2006, S. 102f.<br />
27 Vgl. Müller/Peskes 2006, S. 34.
Die folgende Tabelle stellt die geforderten Angaben zu den einzelnen Segmenten<br />
nach IAS 14, SFAS 131 und ED 8 im Überblick dar. Dabei beziehen<br />
sich die Angabepflichten nach IAS 14 auf das primäre Berichtsformat, ansonsten<br />
auf das sog. operative Segment:<br />
77
78<br />
Angabe<br />
IAS<br />
14<br />
(Rz.)<br />
SFAS<br />
131<br />
(Rz.)<br />
Segmenterlöse mit fremden Dritten 51 27 * 22 *<br />
Konzerninterne Segmenterlöse 51 27 * 22 *<br />
Segmentergebnis 52 27 22<br />
Segmentvermögen 55 27 22<br />
Segmentschulden 56 - -<br />
Anschaffungskosten des SAV und immateriellen Vermögens 57 28 * 23 *<br />
Segmentabschreibungen (planmäßig) 58 27 * 22 *<br />
Andere (wesentliche) nicht zahlungswirksame Posten 61 27 * 22 *<br />
Segmentergebnisbeiträge aus at equity-bewerteten Beteiligungen 64 27 * 22 *<br />
Buchwerte von at equity-bewerteten Beteiligungen 66 28 * 23 *<br />
Zinsaufwendungen und Zinserträge - 27 * 22 *<br />
Ertragsteuern - 27 * 22 *<br />
Ungewöhnliche od. außerordentliche Aufwendungen und Erträge - 27 * -<br />
Überleitungsrechnung von Segmentangaben zu Posten des Konzern-<br />
bzw. Einzelabschlusses 67 32 27<br />
ED 8<br />
(Rz.)<br />
Zusatzinformationen 74ff. 33ff. 30ff.<br />
Tab. 1 Angabepflichten im Rahmen der Segmentberichterstattung nach IAS<br />
14 und SFAS 131 und ED 8<br />
Quelle: In Anlehnung an Alvarez 2004, S. 178.<br />
* Angabe nur erforderlich, soweit der Unternehmensleitung die entsprechenden Informationen<br />
regelmäßig vorliegen und zur Steuerung der Segmente genutzt werden.
Die Tabelle 1 verdeutlicht die grundsätzlich unterschiedlichen Angabepflichten<br />
nach IFRS und US-GAAP, die bei Umsetzung des ED 8 in einen<br />
endgültigen Standard nicht mehr bestehen werden. Nur nach SFAS 131.39<br />
sind zudem Angaben zu wesentlichen Kunden verpflichtend, wenn mit diesen<br />
mindestens 10% der Gesamtumsätze abgewickelt werden.<br />
Die Segmentberichterstattung nach US-GAAP gewährt einen tieferen Einblick<br />
in die Entscheidungsgrundlage der Unternehmensführung, ist aber<br />
weniger normiert. Der Wertansatz der Vermögensgegenstände und Schulden,<br />
Aufwendungen und Erträge orientiert sich vollständig an der Methode zur<br />
internen Berichterstattung. 28 Anders als IAS 14 folgt auch ED 8 hinsichtlich<br />
der Datenbasis ausnahmslos dem Management Approach nach SFAS 131.<br />
5 Bilanzorientierte Darstellung wesentlicher<br />
Bilanzierungsunterschiede<br />
5.1 Immaterielle Vermögenswerte<br />
Für den Ansatz von immateriellen Vermögenswerten, die dauerhaft dem<br />
Unternehmen dienen sollen, ist sowohl nach IFRS als auch US-GAAP die<br />
Art des Zugangs zum Unternehmen nicht unmittelbar entscheidend. Vielmehr<br />
ist eine Aktivierung grundsätzlich an die Erfüllung von in SFAS 141<br />
und 142 sowie IFRS 3 und IAS 38 bestimmten Ansatzkriterien geknüpft, so<br />
dass neben der grundsätzlichen Aktivierungspflicht bei entgeltlich erworbenen<br />
auch selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte grundsätzlich einer<br />
Ansatzpflicht unterliegen.<br />
Nach IAS 38 sind immaterielle Werte immer dann anzusetzen, wenn sie zum<br />
einen die Definitionskriterien erfüllen (IAS 38.8) sowie zum anderen die<br />
Wahrscheinlichkeit des künftigen Nutzenzuflusses an das Unternehmen und<br />
eine zuverlässige Bewertungsfähigkeit der immateriellen Werte gegeben ist<br />
(IAS 38.18 und 38.21). Da die dort genannten Ansatzkriterien für selbstgeschaffene<br />
immaterielle Vermögenswerte eine mangelnde Praktikabilität<br />
aufweisen, wird hilfsweise eine Unterteilung in eine Forschungs- und Entwicklungsphase<br />
vorgenommen (IAS 38.51-52). Die Abgrenzung zwischen<br />
28 Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003 S. 161.<br />
79
80<br />
Forschungs- und Entwicklungsphase ist insofern von Bedeutung, als damit<br />
über den Ansatz von immateriellen Werten entschieden wird. 29 Während die<br />
Ausgaben der Forschungsphase sofort als Aufwand zu erfassen sind (IAS<br />
38.54), besteht für die Ausgaben in der Entwicklungsphase eine Aktivierungspflicht,<br />
wenn die in IAS 38.57 genannten Kriterien kumulativ erfüllt<br />
sind. Ein konkretes Aktivierungsverbot besteht jedoch nach IAS 38.63 für<br />
selbst erstellte Markennamen, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten sowie<br />
ähnliche Vermögenswerte.<br />
Für die Ansatzentscheidung über selbst erstellte immaterielle Werte werden<br />
nach SFAS 142.10 dagegen Kriterien definiert, die eine aufwandswirksame<br />
Verrechnung der Ausgaben für immaterielle Werte zur Folge haben (sog.<br />
Negativ-Abgrenzung). Ein bedeutender Unterschied zu den Regelungen nach<br />
IFRS ergibt aus der Tatsache, dass für die Bilanzierung von immateriellen<br />
Werten zahlreiche, weitere spezielle Regelungen verabschiedet worden sind.<br />
Insgesamt werden die US-Regelungen als kasuistisch bezeichnet, da sie zum<br />
Teil bei Erfüllung bestimmter Kriterien ein Aktivierungsgebot vorschreiben,<br />
wie z.B. für Urheberrechte, Software-Entwicklung oder gewerbliche Schutzrechte.<br />
Zum Teil existieren aber auch konkrete Ansatzverbote, wie z.B. gem.<br />
SFAS 2 für Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen; einzige Ausnahme<br />
sind Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Rohstoff abbauenden<br />
Industrie, die einem Aktivierungsgebot unterliegen. 30<br />
Hinsichtlich der Folgebewertung ergeben sich nach IFRS zwei grundsätzliche<br />
Vorgehensweisen: Zum einen die Fortführung von Anschaffungs- bzw.<br />
Herstellungskosten gem. IAS 38.74 oder zum anderen die Ermittlung und<br />
Fortführung des beizulegenden Zeitwertes (Neubewertungsmethode) gem.<br />
IAS 38.75-87. Da zur Bestimmung des beizulegenden Zeitwertes ein aktiver<br />
Markt notwendig ist (IAS 38.75), kommt eine Neubewertung nur in seltenen<br />
Fällen in Frage. 31 Ein Wertansatz über den historischen Anschaffungskosten<br />
ist nach US-GAAP grundsätzlich nicht erlaubt. Zudem existieren Unterschiede<br />
hinsichtlich der außerplanmäßigen Abschreibung. Gem. IAS 36.59<br />
ist ggf. auf den niedrigeren beizulegenden Zeitwert abzuschreiben. Dagegen<br />
29 Vgl. Wulf 2001, S. 126-127.<br />
30 Vgl. Fülbier/Honold/Klar 2000, S. 835.<br />
31 In einer Studie zur Bilanzierungspraxis nach IFRS wurde festgestellt, dass keines der 100<br />
untersuchten Unternehmen von der Neubewertungsmethode gebraucht gemacht hat. Vgl.<br />
Keitz 2005, S. 43.
erfolgt die Ermittlung des Abschreibungsbedarfs nach US-GAAP über zwei<br />
Stufen: Auf der ersten Stufe sind gem. SFAS 144.7 die zukünftigen, nicht<br />
abgezinsten Zahlungsströme dem Buchwert des Vermögenswerts gegenüber<br />
zu stellen. Ist der Buchwert höher als der undiskontierte Erwartungswert,<br />
muss auf der zweiten Stufe der Abwertungsbetrag gem. SFAS 144.22 i.V.m.<br />
SFAC 7 ermittelt werden. Dies kann dazu führen, dass eine außerplanmäßige<br />
Abschreibung bei Bilanzierung nach IFRS früher ausgelöst wird als bei Bilanzierung<br />
nach US-GAAP. Unterschiede existieren zudem im Detail bezüglich<br />
der Ermittlung der Abschreibungsbedarfe auf der Basis von Barwertmodellen.<br />
Vergleichbare Unterschiede bestehen bei immateriellen Werten<br />
mit unbegrenzter Nutzungsdauer, wozu der Goodwill zählt. Darüber<br />
hinaus besteht nach IAS 36.114 im Falle der Werterholung <strong>–</strong> abgesehen vom<br />
Goodwill - eine Zuschreibungspflicht, während der korrigierte Buchwert<br />
gem. SFAS 144.15 als neue Wertbasis gilt, so dass eine Zuschreibung nicht<br />
erlaubt ist.<br />
5.2 Sachanlagevermögen<br />
Sachanlagen sind nach IFRS und US-GAAP grundsätzlich mit ihren Anschaffungs-<br />
oder Herstellungskosten anzusetzen. Dabei dürfen nach IAS 23<br />
bzw. müssen nach SFAS 34 Fremdkapitalkosten aktiviert werden, soweit<br />
diese direkt dem Erwerb oder der Herstellung eines qualifizierten Vermögenswertes<br />
zugeordnet werden können. 32 Im Rahmen der kurzfristigen Eliminierung<br />
von Abweichungen zwischen IAS 23 und SFAS 34 hat das IASB<br />
beschlossen, das Wahlrecht zur Aktivierung von Fremdkapitalkosten zu<br />
streichen und entsprechend SFAS 34 eine Aktivierungspflicht einzuführen. 33<br />
Künftige Entsorgungs-, Rekultivierungs- und ähnliche Verpflichtungen sind<br />
in der Regel nach IAS 16.18 mit ihrem Barwert bei der Ermittlung der Anschaffungs-<br />
oder Herstellungskosten zu berücksichtigen - nach US-GAAP<br />
nicht. 34<br />
32 In einer Studie zur Bilanzierungspraxis nach IFRS wurde festgestellt, dass lediglich fünf<br />
von 100 untersuchten Unternehmen, von dem Wahlrecht einer Aktivierung von Fremdkapitalkosten<br />
gebraucht gemacht haben. Vgl. Keitz 2005, S. 54.<br />
33 Vgl. ED-IAS 23.10.<br />
34 Vgl. Pellens/Fülbier/Gassen 2006, S. 314.<br />
81
82<br />
Anders als nach US-GAAP ist im Rahmen der Folgebewertung nach IAS<br />
16.29 als alternativ zulässige Methode ein Ansatz zum beizulegenden Zeitwert<br />
über die Buchung einer Neubewertungsrücklage möglich. 35 Ebenso<br />
bestehen Unterschiede hinsichtlich der außerplanmäßigen Abschreibung und<br />
anschließender Zuschreibung, wie bereits bei den immateriellen Werten<br />
dargestellt.<br />
5.3 Als Finanzinvestition gehaltene Immobilien<br />
Ausschließlich nach IFRS ist im Gegensatz zu US-GAAP eine Aufspaltung<br />
des Immobilienbestandes in eigenbetrieblich genutzte Immobilien und Anlageimmobilien<br />
bzw. Renditeliegenschaften (Investment Properties) vorzunehmen.<br />
36 Letztere sind gem. IAS 1.68 in der Bilanz gesondert auszuweisen.<br />
Die Regelungen zur Bilanzierung von als Finanzinvestition gehaltenen Immobilien<br />
finden sich in IAS 40. Dabei hat die Zugangsbewertung solcher<br />
Immobilien gem. IAS 40.20 zu Anschaffungs- oder Herstellungskosten unter<br />
Berücksichtigung von Nebenkosten, nachträglichen Anschaffungskosten und<br />
Preisminderungen zu erfolgen. Im Rahmen der Folgebewertung gewährt IAS<br />
40.30 ein explizites Wahlrecht: Die Immobilien dürfen alternativ zu fortgeführten<br />
Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder zum beizulegenden<br />
Zeitwert bewertet werden. Zur Bestimmung des beizulegenden Zeitwertes<br />
kommen verschiedene Verfahren in Betracht, wobei erhebliche Ermessensspielräume<br />
zu konstatieren sind. 37 Gewinne oder Verluste aus der Bilanzierung<br />
zum Zeitwert sind stets erfolgswirksam unter Gegenrechnung von Steuerlatenzen<br />
zu erfassen. Sofern die als Finanzinvestition gehaltenen Immobilien<br />
im Rahmen der Folgebewertung zu fortgeführten Anschaffungs- oder<br />
Herstellungskosten angesetzt wurden, ist gem. IAS 40.79 der beizulegende<br />
Zeitwert dieser Immobilien anzugeben, soweit dieser verlässlich ermittelt<br />
werden kann. 38<br />
35 In einer Studie zur Bilanzierungspraxis nach IFRS wurde festgestellt, dass eines von 100<br />
untersuchten Unternehmen die Neubewertungsmethode im Sachanlagevermögen angewandt<br />
hat. Vgl. Keitz 2005, S. 59.<br />
36 Zu den folgenden Ausführungen vgl. auch Beck 2004, S. 498-505.<br />
37 Vgl. Engel-Ciric/Freiberg 2006, § 16, Rz. 92.<br />
38 Zur Bewertung von Investment Properties vgl. Kormaier 2006, S. 378-385.
5.4 Wertpapiere und Derivate<br />
Insbesondere Investitionen in Gesellschaftsanteile und sonstige Wertpapiere<br />
stellen marktgängige Wertpapiere dar. 39 Ein Unterschied bei der Bilanzierung<br />
solcher Wertpapiere ergibt sich für Eigenkapitaltitel, die nicht am Kapitalmarkt<br />
notiert sind (z.B. GmbH-Anteile). Diese sind nach US-GAAP<br />
grundsätzlich mit ihren Anschaffungskosten zu bewerten. Nach IAS 39.46<br />
kommt jedoch eine Bewertung zum beizulegenden Zeitwert in Betracht,<br />
soweit dafür ein Wert verlässlich ermittelbar ist. 40<br />
Nur nach IFRS besteht das explizite Wahlrecht, sämtliche Wertpapiere,<br />
unabhängig von dessen Merkmalen und Verwendungsabsichten erfolgswirksam<br />
zum beizulegenden Zeitwert zu bewerten. Allerdings arbeitet auch das<br />
FASB seit März 2004 an einem entsprechenden Projekt und hat am 25. Januar<br />
2006 einen Entwurf eines Standards veröffentlicht. Nach IFRS ergibt<br />
sich das konkrete Wahlrecht gem. IAS 39.9 durch die sog. „Fair Value Option“.<br />
41 Hier kann eine erfolgswirksame Erfassung von Wertänderungen<br />
aktiver Finanzinstrumente erreicht werden, die ansonsten gar nicht oder<br />
lediglich erfolgsneutral erfasst worden wären. Dieses explizite Wahlrecht ist<br />
allerdings sofort nach dem Zugang auszuüben; eine Umklassifizierung gem.<br />
IAS 39.50-54 ist nicht bzw. kaum möglich. Voraussetzung ist weiterhin, das<br />
für das Finanzinstrument ein aktiver Markt vorhanden ist. An einem einheitlichen<br />
Konzept zur Bestimmung von beizulegenden Zeitwerten mangelt es in<br />
beiden Rechnungslegungssystemen bislang. 42<br />
Ferner bestehen Unterschiede hinsichtlich der Erfassung von außerplanmäßigen<br />
Wertminderungen bei den Held-to-Maturity- oder Available-for-Sale-<br />
Securities. Nach IFRS bedarf es objektiver Wertminderungskriterien, während<br />
nach US-GAAP verschiedene Faktoren im Hinblick auf die Dauerhaftigkeit<br />
miteinander abzuwägen und zu würdigen sind, sofern der Zeitwert<br />
geringer ist als die Anschaffungskosten. 43 Auch ergeben sich Unterschiede<br />
im Falle einer späteren Zuschreibung. Während nach US-GAAP eine Zuschreibung<br />
bei Held-to-Maturity-Securities verboten ist, sind Zuschreibun-<br />
39 Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 57.<br />
40 Vgl. auch Meyer/Bornhofen/Homrighausen 2005, S. 285-299.<br />
41 Vgl. auch Schmidt 2005, S. 269-275; Jerzembek/Große 2005, S. 221-228.<br />
42 Vgl. Lüdenbach/Freiberg 2006, S. 437.<br />
43 Vgl. Dusemond/Harth/Heusinger 2005, S. 97.<br />
83
84<br />
gen bei Available-for-Sale-Securities erfolgsneutral vorzunehmen. Demgegenüber<br />
sind nach IFRS Zuschreibungen für beide Arten von Wertpapieren<br />
bis zu den Anschaffungskosten erfolgswirksam vorzunehmen; darüber hinaus<br />
sind weitere Werterhöhungen nur im Falle der Available-for-Sale-Securities<br />
erfolgsneutral zu buchen.<br />
Unterschiede bestehen zudem in der Behandlung der Cashflow-Hedges.<br />
Übereinstimmend sind nach IFRS und US-GAAP Wertänderungen, die den<br />
effektiven Teil des Cashflow-Hedges betreffen, zunächst erfolgsneutral abzugrenzen.<br />
Die Auflösung erfolgt nach US-GAAP erfolgswirksam über die<br />
Nutzungsdauer des gesicherten Grundgeschäftes, sobald das Grundgeschäft<br />
die Erfolgsrechnung über die vorzunehmende Abschreibung berührt. Bei<br />
Bilanzierung nach IFRS kann zum einen eine vollständige erfolgswirksame<br />
Auflösung vorgenommen werden, wenn das Grundgeschäft die Erfolgsrechnung<br />
beeinflusst; zum anderen kann die Auflösung über die Umbuchung aus<br />
dem Eigenkapital und Berücksichtigung beim Anschaffungswert des Grundgeschäftes<br />
im Zeitpunkt der Einbuchung erfolgen (IAS 39.97-98).<br />
5.5 Vorräte<br />
Die Herstellungskosten für Vorräte umfassen nach IAS 2.12-14 und US-<br />
GAAP die produktionsbezogenen Vollkosten. 44 Somit sind neben den Einzelkosten<br />
auch variable und fixe Produktionsgemeinkosten in die Herstellungskosten<br />
einzubeziehen. Fixe Gemeinkosten werden dabei nach IFRS<br />
auf Grundlage einer Normalauslastung berücksichtigt und Leerkosten sofort<br />
als Aufwand verrechnet. Nach US-GAAP sind die Leerkosten der Periode<br />
anteilig bei den Kosten der umgesetzten Leistungen und den Herstellungskosten<br />
der Vorräte zu berücksichtigen. Gemäß IAS 2.23-24 und ARB 43<br />
sind Vorräte grundsätzlich einzeln zu bewerten. Aus <strong>Wirtschaft</strong>lichkeitsoder<br />
Vereinfachungsgründen ist gemäß IAS 2.25 und ARB 43.6 für größere<br />
Stückzahlen von austauschbaren Vorratsgegenständen die Anwendung von<br />
Bewertungsvereinfachungsverfahren zulässig. Dabei besteht gem. IAS 2.25<br />
ein explizites Wahlrecht zur Anwendung des First-in-First-out-Verfahrens<br />
(FIFO) oder des Durchschnittsverfahrens. Alternativ ist eine Bewertung nach<br />
44 Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 47-48.
der tatsächlichen Verbrauchsfolge zulässig. Zusätzlich ist nur nach US-<br />
GAAP das Last-in-First-out-Verfahren (LIFO) erlaubt (ARB 43.6). 45<br />
An jedem folgenden Bilanzstichtag ist der vorhandene Bestand des zu Anschaffungs-<br />
oder Herstellungskosten bewerteten Vorratsvermögens auf seine<br />
Werthaltigkeit hin zu überprüfen. Liegt dabei der aus geschätztem Verkaufspreis<br />
abzüglich noch anfallenden Produktions- oder Vertriebskosten ermittelte<br />
Nettoveräußerungswert am Abschlussstichtag unterhalb der Anschaffungs-<br />
oder Herstellungskosten ist gem. IAS 2.9 zwingend eine Abschreibung<br />
auf den Nettoveräußerungswert vorzunehmen. Wird später festgestellt,<br />
dass die Gründe für eine Wertminderung nicht mehr bestehen, muss nach<br />
IAS 2.33 die vorgenommene Abwertung rückgängig gemacht werden.<br />
Auch nach US-GAAP sind die Vorräte einem Niederstwerttest zu unterziehen,<br />
bei dem die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mit den aktuellen<br />
Wiederbeschaffungskosten verglichen werden. Diese Wiederbeschaffungskosten<br />
werden nach ARB 43 Ch. 4.9 zudem mit dem Verkaufspreis abzüglich<br />
aller noch anfallenden Kosten (Nettoveräußerungspreis) als Wertobergrenze<br />
und dem voraussichtlichen Nettoveräußerungspreis abzüglich einer<br />
gewöhnlichen Gewinnmarge als Wertuntergrenze verglichen. 46 Die Obergrenze<br />
verhindert dabei einen Wertansatz, der nicht durch den voraussichtlichen<br />
Verkaufspreis gedeckt ist, während durch die Untergrenze eine Abwertung<br />
nur in der Höhe erfolgt, als der Wert nicht durch den zukünftigen<br />
Verkaufspreis gedeckt ist. 47 Eine Wertaufholung ist nach US-GAAP nicht<br />
zulässig.<br />
5.6 Langfristige Auftragsfertigung<br />
Bei Erfüllung der in IAS 11.22-24 genannten Voraussetzungen sind die<br />
Auftragserlöse und -kosten nach dem Fertigstellungsgrad gemäß der Percentage-of-Completion-Method<br />
(PoC-Methode) zu erfassen. 48 Dabei ist<br />
insbesondere von Bedeutung, dass Gesamterlöse, Gesamtkosten und Fertig-<br />
45 In einer Studie zur Bilanzierungspraxis nach US-GAAP wurde festgestellt, dass 239 von<br />
600 untersuchten Unternehmen eine Bewertung der Vorräte nach LIFO durchgeführt hat.<br />
Vgl. AICPA (Hrsg.) 2005, S. 169-170.<br />
46 Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 55.<br />
47 Vgl. Niehus/Thyll 2000, Tz. 837.<br />
48 Zu den folgenden Ausführungen vgl. auch Pottgießer/Velte/Weber 2005, S. 310-318.<br />
85
86<br />
stellungsgrad zuverlässig ermittelt werden können und ein späterer Nutzenzufluss<br />
wahrscheinlich ist. 49 Kann das Ergebnis des Fertigungsauftrages<br />
nicht verlässlich geschätzt werden oder werden die weiteren Voraussetzungen<br />
nicht erfüllt, so ist gem. IAS 11.32 eine Ertragsrealisation nur in Höhe<br />
der bereits angefallenen und durch korrespondierende Erträge wahrscheinlich<br />
gedeckten Kosten vorzunehmen. Dieses Vorgehen wird als modifizierte<br />
Completed-Contract-Method (CC-Methode) bezeichnet. 50 Ein erwarteter<br />
Verlust aus dem Fertigungsauftrag ist unabhängig von der anzuwendenden<br />
Methode sofort in der Periode, in der dieser erstmals erwartet wird, als Aufwand<br />
zu erfassen (IAS 11.362).<br />
Nach US-GAAP ergibt sich ein wesentlicher Unterschied zur Bilanzierung<br />
von langfristigen Fertigungsaufträgen nach IAS 11 dann, wenn die Anwendungsvoraussetzungen<br />
der PoC-Methode nicht erfüllt sind. In diesem Fall ist<br />
die reine CC-Methode anzuwenden. Bei dieser Methode werden die angefallenen<br />
Kosten laufend aktiviert und bereits gestellte Rechnungen hiervon<br />
abgesetzt. Dabei wird in der GuV vor der Fertigstellung im Gegensatz zu den<br />
Regelungen nach IFRS grundsätzlich kein Umsatz ausgewiesen (ARB 45.9-<br />
14). Eine Konvergenz wird im laufenden Projekt „Revenue Recognition“<br />
angestrebt - mit einem ersten Diskussionspapier ist im zweiten Halbjahr<br />
2007 zu rechnen. 51<br />
5.7 Leasing<br />
Entscheidend für die Bilanzierung von Leasingverträgen ist die Frage der<br />
Zurechnung des Leasinggegenstandes zum Leasingnehmer oder -geber.<br />
Diese richtet sich grundsätzlich sowohl nach IFRS und US-GAAP danach,<br />
wie die mit dem Leasingobjekt verbundenen Risiken und Chancen verteilt<br />
sind. Die zivilrechtlichen Verhältnisse werden dabei nicht berücksichtigt.<br />
Grundsätzlich ist zunächst festzustellen, dass IAS 17 bei den entscheidenden<br />
Zurechnungskriterien im Rahmen der Abgrenzung von Finanzierungsleasing<br />
und operativem Leasing sehr vage bleibt und keine quantitativen Kriterien,<br />
49 Vgl. IAS 11.32; SOP 81-1.23; ARB 35.3 u. 35.<br />
50 Vgl. Pellens/Fülbier/Gassen 2006, S. 370.<br />
51 Vgl. IASB (Hrsg.) 2006 (a).
wie z.B. Nutzungsdauer, Mietverlängerungs- oder Kaufoption, nennt. 52 Diese<br />
Unbestimmtheit eröffnet dem Bilanzierenden einen gewissen Einschätzungsspielraum.<br />
Konsequenterweise hat das IASB daher ein Leasingprojekt<br />
zur Überarbeitung des IAS 17 initiiert. 53 Die vom IASB diskutierten Vorschläge<br />
würden zu einer Abkehr von der Bilanzierung eines Leasingverhältnisses<br />
beim wirtschaftlichen Eigentümer führen. 54<br />
Trägt der Leasingnehmer die wesentlichen Chancen und Risiken aus der<br />
Nutzung des Leasingobjektes, wird das Leasingverhältnis nach IAS 17.8 als<br />
Finanzierungsleasing (finance lease) klassifiziert. Nach SFAS 13.6 wird bei<br />
gleicher Definition der Begriff „capital lease“ verwendet. Liegt kein Finanzierungsleasing<br />
vor, d.h. die wesentlichen Chancen und Risiken aus der<br />
Nutzung des Leasingobjektes verbleiben beim Leasinggeber, wird das Leasingverhältnis<br />
übereinstimmend nach IFRS und US-GAAP als operatives<br />
Leasing (operating lease) klassifiziert. 55<br />
Beim Finanzierungsleasing hat der Leasingnehmer übereinstimmend nach<br />
IFRS und US-GAAP zu Beginn des Vertragsverhältnisses den Leasinggegenstand<br />
zu aktivieren und in gleicher Höhe eine Verbindlichkeit in Höhe<br />
der künftigen Leasingzahlungen auszuweisen. Der Wertansatz ergibt sich<br />
dabei aus dem beizulegenden Zeitwert des Leasinggegenstandes oder <strong>–</strong> sofern<br />
niedriger <strong>–</strong> aus den abgezinsten Mindestleasingzahlungen. 56 Der insofern<br />
erforderliche Abzinsungsfaktor ist nach IAS 17.20 üblicherweise der<br />
Zins, der dem Leasingverhältnis zu Grunde liegt. Ist dieser nicht in praktikabler<br />
Weise ermittelbar, so ist der Grenzzinssatz des Leasingnehmers anzuwenden.<br />
Dies ist der Zinssatz, den der Leasingnehmer zu Beginn des Leasingverhältnisses<br />
vereinbaren müsste, wenn er für den Kauf des Vermögensgegenstandes<br />
Fremdkapital für die gleiche Dauer aufnehmen würde. Nach<br />
US-GAAP ist bei der Berechnung der abgezinsten Mindestleasingzahlungen<br />
grundsätzlich letzterer Zinssatz zu Grunde zu legen. Sollte jedoch der in dem<br />
52 Vgl. Engel-Ciric/Freiberg 2006, § 15, Rz. 121.<br />
53 Vgl. Fülbier/Pferdehirt 2005, S. 276.<br />
54 Vgl. dazu insbesondere Engel-Ciric/Freiberg 2006, § 15, Rz. 117-119.<br />
55 Vgl. IAS 17.8; KPMG (Hrsg.) 2003, S. 211.<br />
56 Vgl. IAS 17.20; SFAS 13.10.<br />
87
88<br />
Leasingvertrag implizite Zinssatz niedriger sein als der Grenzzinssatz, so hat<br />
er diesen anzusetzen. 57<br />
Beim operativen Leasing hat der Leasinggeber den Leasinggegenstand<br />
gem. IAS 17.49 bzw. SFAS 13.19 zu aktivieren und abzuschreiben. Dabei<br />
sind gem. IAS 17.52 auch die anfänglichen direkten Kosten zu berücksichtigen.<br />
Nach SFAS 13.19 kann bei unwesentlichen Beträgen auch eine sofortige<br />
Aufwandsverrechnung erfolgen.<br />
Unterschiede bei der bilanziellen Behandlung von Sale-and-Lease-Back-<br />
Geschäften nach IFRS und US-GAAP resultieren aus der Abgrenzung von<br />
Gewinnen und Verlusten der Sale-and-Lease-Back-Transaktion: Dabei ist<br />
zunächst wie bei jedem anderen Leasingverhältnis eine Klassifizierung des<br />
Geschäftsvorfalles durchzuführen. Bei Vorliegen eines Finanzierungsleasingverhältnisses<br />
darf ein aus dem Verkauf entstandener Ertrag nach IFRS<br />
und US-GAAP nicht sofort erfolgswirksam verbucht werden, sondern muss<br />
vom Verkäufer bzw. Leasingnehmer abgegrenzt und gem. IAS 17.59 über<br />
die Laufzeit des Vertrages bzw. gem. US-GAAP über den Abschreibungszeitraum<br />
erfolgswirksam verteilt werden. Im Falle eines operativen Leasingverhältnisses<br />
erfolgt nach US-GAAP die Ergebnisabgrenzung über die Laufzeit<br />
des Mietvertrages, dagegen ist nach IAS 17.61 grundsätzlich eine sofortige<br />
Erfassung von Gewinnen oder Verlusten vorgesehen.<br />
5.8 Pensionsrückstellungen<br />
Ein Unterschied zwischen IAS 19 u. 26 und SFAS 87, 88 bzw. 132 besteht<br />
bei der Bewertung von Verpflichtungen aus leistungsorientierten Versorgungsplänen<br />
mit dem versicherungsmathematischen Barwert. Nach IAS<br />
26.23 kann dabei entweder das gegenwärtige oder das erwartete Gehaltsniveau<br />
berücksichtigt werden. Zudem ist nach IAS 19.78 als Diskontierungszinssatz<br />
der am Bilanzstichtag für erstrangige, festverzinsliche Industrieanleihen<br />
geltende Marktzinssatz heranzuziehen, während nach SFAS 87.44 der<br />
stichtagsbezogene Kapitalmarktzins zu berücksichtigen ist, zu dem die Pensionsverpflichtung<br />
am Markt auf einen anderen übertragen werden könnte.<br />
Die zu berücksichtigenden Gewinne und Verluste aus der Korrektur von<br />
Fehleinschätzungen, die aus Abweichungen zwischen den tatsächlichen<br />
57 Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 210.
Daten und den versicherungsmathematischen Annahmen resultieren, können<br />
nach US-GAAP und IFRS unterschiedlich behandelt werden: Für die Erfassung<br />
dieser versicherungsmathematischen Gewinne/Verluste bestehen nach<br />
IAS 19 folgende vier Möglichkeiten: Entweder können diese unter Berücksichtigung<br />
der sog. Korridormethode verteilt über die durchschnittliche<br />
Restdienstzeit der Arbeitnehmer bzw. auch schneller erfolgswirksam (IAS<br />
19.92 u. 93), sofort erfolgswirksam (IAS 19.93) oder sofort erfolgsneutral<br />
(IAS 19.93A) erfasst werden. 58<br />
Dahingegen sind die versicherungsmathematischen Gewinne/Verluste nach<br />
SFAS 87 bzw. 88 entweder sofort in voller Höhe oder nach der Korridormethode<br />
über die durchschnittliche Restdienstzeit zu verrechnen. Daneben<br />
fordert SFAS 87 den Ansatz einer Mindestverpflichtung, wenn der Barwert<br />
der erdienten Anwartschaften ohne Berücksichtung künftiger Gehaltserhöhungen<br />
nicht durch das Fondsvermögen gedeckt ist. 59 Die Berücksichtigung<br />
der Mindestverpflichtung erfolgt dabei nicht erfolgswirksam, sondern erfolgsneutral<br />
über die Bildung einer Rückstellung und eines immateriellen<br />
Postens. Dieser Posten ist jedoch auf die Höhe des noch nicht zu erfassenden<br />
Aufwands für rückwirkend in Vorjahren erworbene Versorgungsansprüche<br />
begrenzt. 60 Im Dezember 2005 hat das FASB ein umfangreiches Projekt zur<br />
grundlegenden Überarbeitung von SFAS 87 und 106 in seine Agenda aufgenommen<br />
und in der ersten Phase bereits einen Exposure Draft veröffentlicht.<br />
Dieser sieht vor, dass der Finanzierungsstatus von Pensionsplänen in voller<br />
Höhe in der Bilanz der Unternehmen abzubilden ist, d.h. die Korridormethode<br />
wird nicht mehr anwendbar sein. Sämtliche versicherungsmathematischen<br />
Gewinne/Verluste sind dementsprechend sofort ergebniswirksam zu<br />
erfassen. Eine Ausnahme soll für die bisher nicht bilanziell berücksichtigten<br />
Komponenten verbleiben, da diese zunächst erfolgsneutral zu erfassen sind<br />
und erst in den Folgejahren ergebniswirksam nach den bisherigen Verteilungsregeln<br />
zu berücksichtigen sind. 61<br />
Demgegenüber existiert mit IAS 19.58 die Besonderheit, dass die Höhe des<br />
Vermögenswertes, der sich ggf. aus der Verrechnung der Anwartschaftskor-<br />
58 Vgl. auch Mühlberger/Schwinger 2006, S. 71.<br />
59 Vgl. Lachnit/Müller 2004, S. 498.<br />
60 Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 125.<br />
61 Vgl. FASB (Hrsg.) 2006.<br />
89
90<br />
rekturen gem. IAS 19.54 ergibt, nicht höher sein darf als der Barwert des<br />
ökonomischen Nutzens, den das Unternehmen aus der Überdotierung des<br />
Fonds hat zuzüglich der noch nicht amortisierten versicherungsmathematischen<br />
Verluste und nach zu verrechnenden Dienstzeitaufwendungen. Um zu<br />
verhindern, dass durch die aufgeschobene Erfassung neu entstandener versicherungsmathematischer<br />
Verluste/Gewinne der zu aktivierende Vermögenswert<br />
erfolgswirksam erhöht/vermindert wird, sind gem. IAS 19.58A versicherungsmathematische<br />
Verluste/Gewinne und nach zu verrechnende Dienstzeitaufwendungen<br />
sofort zu berücksichtigen, sofern sie die Verminderung/<br />
Erhöhung des Barwerts des wirtschaftlichen Nutzens nach IAS 19.58(b)(ii)<br />
überschreiten. 62 Eine Reduzierung der Bilanzierungsunterschiede zwischen<br />
IFRS und US-GAAP ist zukünftig zu erwarten, da die Bilanzierung von<br />
Pensionsverpflichtungen auf dem Programm „Memorandum of Understanding<br />
between the FASB and the IASB“ steht. 63<br />
5.9 Sonstige Rückstellungen<br />
Unterschiede bei der Bilanzierung von sonstigen Rückstellungen ergeben<br />
sich hier in einzelnen Detailfragen, die u.U. zu wesentlichen Unterschieden<br />
führen können. Dies betrifft unterschiedliche Wahrscheinlichkeitsgrenzen im<br />
Rahmen der Ansatzentscheidung. Gem. IAS 37.15 ist eine Rückstellung anzusetzen,<br />
wenn von einer Eintrittswahrscheinlichkeit über 50% auszugehen<br />
ist (more likely than not). 64 Demgegenüber besteht nach US-GAAP eine<br />
Ansatzpflicht, wenn sehr wahrscheinlich mit einer Verpflichtung zu rechnen<br />
ist, wobei eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 85% angenommen wird. 65<br />
So gilt für Drohverlustrückstellungen bei höchstwahrscheinlich zu erwartenden<br />
Verlusten aus schwebenden Beschaffungs- oder Absatzgeschäften<br />
eine Ansatzpflicht, während ein Ansatz von Personalstrukturmaßnahmen und<br />
sonstigen Strukturmaßnahmen bspw. nur möglich ist, wenn bei Personal-<br />
62 Vgl. Müller, 2003 S.169.<br />
63 Vgl.<br />
http://www.iasb.org/uploaded_files/documents/10_774_FinalMOU(clean)24Feb06.pdf.<br />
64 Vgl. Haaker 2005, S. 9.<br />
65 Vgl. Ammann/Müller 2006, S. 187-188; Wulf 2001, S. 195-196
strukturmaßnahmen ein detaillierter Plan vorliegt sowie die Öffentlichkeit<br />
und vor allem die Arbeitnehmer informiert wurden. 66<br />
Grundsätzlich erfolgt die Bewertung nach IFRS und US-GAAP zu einem<br />
Betrag, der nach bestem Wissen ermittelt wurde. Existiert bei der Schätzung<br />
der Werte eine Bandbreite, so ist der Wert mit der höchsten Realisationswahrscheinlichkeit<br />
zu wählen, wobei im Falle von gleichen bzw. nicht feststellbaren<br />
Wahrscheinlichkeiten nach den FASB-Interpretation 14.3 der<br />
untere Grenzwert und gem. IAS 37.39 der Mittelpunkt der Bandbreite anzusetzen<br />
ist. Zusätzlich schreibt IAS 37.39 vor, dass bei einer großen Anzahl<br />
gleichartiger Vorgänge eine Bewertung zum Erwartungswert mittels statistischer<br />
Schätzungsverfahren erfolgt, indem die möglichen Ergebnisse mit<br />
ihren Wahrscheinlichkeiten gewichtet werden.<br />
5.10 Latente Steuern<br />
Sowohl IAS 12 als auch SFAS 109 sehen zur Ermittlung der latenten Steuern<br />
die Bilanzansatzmethode vor. Demnach werden aus temporären Unterschieden<br />
resultierende latente Steuerverbindlichkeiten für zu erwartende<br />
Steuerbelastungen und latente Steuerforderungen für wahrscheinlich zu<br />
erwartende und verlässlich bewertbare Steuerminderungen bzw. für Vorteile<br />
aus steuerlichen Verlustvorträgen gebildet. Die Realisierbarkeit latenter<br />
Steueransprüche ist jährlich zu prüfen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeitsgrenze<br />
für eine künftige Steuerentlastung in IAS 12.24 nicht näher konkretisiert,<br />
so dass ein Einschätzungsspielraum gegeben ist. Demgegenüber<br />
muss nach US-GAAP diese Wahrscheinlichkeit mehr als 50% betragen (more<br />
likely than not). 67 Liegt die Wahrscheinlichkeit für eine künftige Steuerentlastung<br />
unter 50%, ist nach SFAS 109.17 ein Sicherheitsabschlag zu berücksichtigen.<br />
68 Ein solches Vorgehen ist nach IAS 12 nicht vorgesehen, so<br />
dass ein Wertansatz generell unterbleibt <strong>–</strong> im Rahmen des im September<br />
2002 gestarteten Projektes „Income Taxes“ erwägt das IASB jedoch eine<br />
Angleichung an die Regelungen der US-GAAP. 69<br />
66 Vgl. Ammann/Müller 2006, S. 187.<br />
67 Vgl. SFAS 109.17.<br />
68 Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 282.<br />
69 Vgl. IASB (Hrsg.) 2006.<br />
91
92<br />
Ein weniger bedeutender Unterschied kann sich bei der Bewertung der latenten<br />
Steuern ergeben: Nach IAS 12.47 sind dabei Steuersätze zu Grunde zu<br />
legen, deren Gültigkeit für die Periode erwartet wird, in der ein Vermögenswert<br />
realisiert oder eine Schuld erfüllt wird. Dabei werden die Steuersätze<br />
(und Steuervorschriften) verwendet, die zum Bilanzstichtag gültig oder angekündigt<br />
sind. Nach SFAS 109 müssen die aktuell gültigen oder konkret<br />
verabschiedeten (z.B. durch Unterzeichnung des Bundespräsidenten) feststehenden<br />
zukünftigen Steuersätze angewandt werden. 70<br />
6 Zusammenfassung<br />
Seit einigen Jahren bemühen sich IASB und FASB intensiv um eine weitgehende<br />
konvergente Ausgestaltung der Vorschriften beider Rechnungslegungssysteme.<br />
Beispielswiese wurde nach kontroverser Diskussion der<br />
SFAS 123 überarbeitet, so dass im Rahmen der Bilanzierung von Aktienoptionen<br />
aus bedingtem Kapital eine Angleichung der Regelungen erfolgte.<br />
Das IASB hat mit dem Improvements Project eine umfangreiche Überarbeitung<br />
für eine Vielzahl von Standards vorgenommen, die spätestens seit 2005<br />
anzuwenden sind. Dennoch bestehen nach wie vor zum Teil erhebliche Unterschiede<br />
in der Bilanzierung nach IFRS und US-GAAP, wie die Ausführungen<br />
gezeigt haben. Dies überrascht umso mehr, als auch bei den jüngsten<br />
(vorgeschlagenen) Änderungen Divergenzen festzustellen sind, wie z.B. bei<br />
der Erfassung von versicherungsmathematischen Gewinnen/Verlusten im<br />
Rahmen der Bilanzierung von Pensionsverpflichtungen. Nach wie vor besteht<br />
ein großer konzeptioneller Unterschied bei der Folgebewertung von<br />
immateriellen Vermögenswerten und Sachanlagen oder der Zuschreibung<br />
nach erfolgter außerplanmäßiger Abschreibung sowie der Aktivierung von<br />
Entwicklungskosten. Weitere Bilanzierungsunterschiede liegen teilweise in<br />
Detailregelungen begründet, was z.B. für die Bilanzierung von Finanzierungsleasing<br />
hinsichtlich des Zinssatzes sowie für die Bewertung von sonstigen<br />
Rückstellungen gilt.<br />
70 Vgl. KPMG (Hrsg.) 2003, S. 281.
Literaturverzeichnis<br />
AICPA (Hrsg.): Accounting Trends & Techniques, 56. Aufl., New York,<br />
2005.<br />
AICPA (Hrsg.), AU Section 411 „The Meaning of Present Fairly in Conformity<br />
With Generally Accepted Accounting Principles”<br />
Alvarez, M.: Segmentberichterstattung und Segmentanalyse, Wiesbaden,<br />
2004.<br />
Ammann, H./Müller, S.: IFRS - International Financial Reporting Standards<br />
- Bilanzierungs-, Steuerungs- und Analysemöglichkeiten, 2. Aufl.,<br />
Herne/Berlin, 2006.<br />
Beck, M.: Bilanzierung von Investment Properties nach IAS 40, in: KoR,<br />
2004, 498-505.<br />
Coenenberg, A. G.: Jahresabschluss und Jahresabschlussanalyse, 20. Aufl.,<br />
Stuttgart, 2005.<br />
Diehm, S.: Impairments auf Finanzinvestments: Die derzeitige Diskussion<br />
um konkretisierende Regelungen in den USA, in: KoR 2005, S. 228-<br />
234.<br />
Dusemond, M./Harth, H.-J./Heusinger, S.: Synopse zur Rechnungslegung<br />
nach IFRS und US-GAAP, Herne/Berlin, 2005.<br />
Engel-Ciric, D./Freiberg, J.: § 15 (Leasing) und § 16 (Als Finanzinvestition<br />
gehaltene Immobilien), in: Lüdenbach, N./Hoffmann, W.-D. (Hrsg.),<br />
Haufe IFRS-Kommentar, 4. Aufl., Freiburg i. Br., 2006.<br />
FASB (Hrsg.): Exposure Draft Proposed Statement of Financial Accounting<br />
Standards, Employers` Accounting for Defined Benefit Pension and<br />
Other Postretirement Pension Plans, 2006.<br />
Fülbier, R. U./Honold, D./Klar, A.: Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte.<br />
Möglichkeiten und Grenzen der Bilanzierung nach US-GAAP<br />
und IAS bei Biotechnologieunternehmen, in: <strong>Recht</strong> der internationalen<br />
<strong>Wirtschaft</strong>, 2000, S. 833-844.<br />
Fülbier, R. U./Pferdehirt, H.: Überlegungen des IASB zur künftigen Leasingbilanzierung:<br />
Abschied vom off balance sheet approach, in: KoR,<br />
2005, S. 275-285.3,<br />
93
94<br />
Haaker, A.: Das Wahrscheinlichkeitsproblem bei der Rückstellungsbilanzierung<br />
nach IAS 37 und IFRS 3, in: KoR, 2005, S. 8-15.<br />
Haller, A./Schloßgangl, M.: Notwendigkeit einer Neugestaltung des Performance<br />
Reporting nach International Accounting, in: KoR 2003, S. 317-<br />
327.<br />
Hayn, S./Waldersee, G. G.: IFRS/US-GAAP/HGB im Vergleich, 5. Aufl.,<br />
Stuttgart, 2004.<br />
Heyd, R./Lutz-Ingold, M.: Immaterielle Vermögenswerte und Goodwill nach<br />
IFRS, München, 2005.<br />
Hinz, M.: Rechnungslegung nach IFRS - Konzept, Grundlagen und erste<br />
Anwendung, München, 2005.<br />
IASB (Hrsg.): Revenue Recognition, Project Update vom 10.03.2006 (a).<br />
IASB (Hrsg.): Short-term convergence: income taxes, Project Update vom<br />
1.3.2006 (b).<br />
Jerzembek, L./Große, J.-V.: Die Fair Value-Option nach IAS 39, in: KoR,<br />
2005, S. 221-228.<br />
Keitz, I. v.: Praxis der IASB-Rechnungslegung - Best practice von 100<br />
IFRS-Anwendern, 2. Aufl., Stuttgart, 2005.<br />
Kormaier, B.: Eignung des Income Capitalisation Model zur Fair Value-<br />
Ermittlung von Investment Properties nach IAS 40, in: KoR, 2006, S.<br />
378-385.<br />
KPMG (Hrsg.): Rechnungslegung nach US-amerikanischen Grundsätzen, 3.<br />
Aufl., Düsseldorf, 2003.<br />
Krawitz, N.: Anhang und Lagebericht nach IFRS, München, 2005.<br />
Lachnit, L./Müller, S.: Bilanzanalytische Behandlung von Pensionsverpflichtungen,<br />
in: DB, 2004, S. 497-506.<br />
Lachnit, L./Müller, S.: Other comprehensive income nach HGB, IFRS und<br />
US-GAAP - Konzeption und Nutzung im Rahmen der Jahresabschlussanalyse,<br />
in: DB, 2005, S. 1637-1345.<br />
Lachnit, L.: “True and fair view” und Rechnungslegung über stille Rücklagen<br />
im Jahresabschluß von Kapitalgesellschaften, in: WPg, 1993, S.<br />
193-201.
Lüdenbach, N./Freiberg, J.: Zweifelhafter Objektivierungsbeitrag des Fair<br />
Value Measurements-Projekts für die IFRS-Bilanz, in: KoR, 2006, S.<br />
437-445.<br />
Lüdenbach, N.: IFRS - Der Ratgeber zur erfolgreichen Umstellung von HGB<br />
auf IFRS, 3. Aufl., Freiburg i. Br., 2004.<br />
Meyer, U./Bornhofen, M. C./Homrighausen, A.: Anteile an Personengesellschaften<br />
nach Steuerrecht und nach IFRS, in: KoR, 2005, S. 285-299.<br />
Mühlberger, M./Schwinger, R.: Betriebliche Altersversorgung und sonstige<br />
Leistungen an Arbeitnehmer nach IFRS, München, 2006.<br />
Müller, S./Peskes, M.: Die Segmentberichterstattung als Instrument der Corporate<br />
Governance, in: ZCG, 2006, S. 33-38.<br />
Müller, S.: Probleme bei der Abbildung der betrieblichen Altersversorgung<br />
in Rechnungslegungssystemen - Unter besonderer Berücksichtigung<br />
der Änderungen zu IAS 19, in: WPg, 2003, S. 163-174.<br />
Niehus, R. J./Thyll, A.: Der Konzernabschluss nach US-GAAP, 2. Aufl.,<br />
Stuttgart, 2000.<br />
Pellens, B./Fülbier, R. U./Gassen, J.: Internationale Rechnungslegung, 6.<br />
Aufl., Stuttgart, 2006.<br />
Pottgießer, G./Velte, P./Weber, S.: Die langfristige Auftragsfertigung nach<br />
IAS 11, in: KoR, 2005, S. 310-318.<br />
Schmidt, M.: Neue Amendments zu IAS 39 im Juni 2005: Die revidierte Fair<br />
Value-Option, in: KoR, 2005, S. 269-275.<br />
SEC (Hrsg.): Study Pursuant to Section 108(d) of the Sarbanes-Oxley Act of<br />
2002 on the Adoption by the United States Financial Reporting System<br />
of a Principle-Based Accounting System, 2003.<br />
Siebert, H.: Grundlagen der US-amerikanischen Rechnungslegung: Ziele und<br />
Inhalte der Verlautbarungen der SEC und des FASB sowie Unterschiede<br />
zum deutschen Bilanzrecht, Köln, 1996.<br />
Winnefeld, R.: Bilanzhandbuch, 4. Aufl., München, 2006.<br />
Wulf, I.: Stille Reserven im Jahresabschluss nach US-GAAP und IAS,<br />
Wiesbaden 2001.<br />
Wulf, I.: Kommentierung § 284 HGB, in: Baetge, J./Kirsch, H.-J./Thiele, S.<br />
(Hrsg.): Bilanzrecht Kommentar (HGB und IAS), Bonn 2004, 5. Erg.-<br />
Lfg., Band 1, S. 1-45.<br />
95
Martin Duensing<br />
Wie machen es die Nachbarn?- Familienpolitik im Vergleich<br />
1 Einführung 1<br />
1.1 Familienpolitik in der Kontroverse<br />
Familienpolitik2 ist stets Gegenstand wirtschafts- und sozialpolitischer Debatten.<br />
Sowohl ihre konkrete Ausgestaltung wie auch gar ihr Existenzrecht<br />
sind alles andere als unumstritten.<br />
Einerseits umgibt den politisch interessierten Beobachter das omnipräsente<br />
Werben für eine deutliche Steigerung der Geburten. In Deutschland löst die<br />
Familienpolitik sich damit vom historischen Stigma der „aktiven Bevölkerungspolitik“<br />
des Dritten Reiches. Untermalt werden die Forderungen nach<br />
Geburtenförderung, die sich auf einen relativ breiten gesellschaftlichen Konsens<br />
berufen können, mit Schreckensszenarien wie Überalterung und dem<br />
Kollaps der Sozialsysteme.<br />
Andererseits wird gegen auf Geburtensteigerung gerichtete Politik der Einwand<br />
erhoben, die Begleiterscheinungen des demografischen Wandels seien<br />
nicht überwiegend negativ, wenn nicht sogar positiv3 : Die Menschen würden<br />
nicht nur länger leben, sondern auch länger gesund leben und damit arbeiten<br />
können.<br />
1 Udo Ebert und Tobias Menz sei für Ihre hilfreichen Hinweise herzlich gedankt.<br />
2 Im Folgenden wird unter dem Begriff Familienpolitik ein Eingriff des Staates durch direkte<br />
und indirekte monetäre Maßnahmen in einzelwirtschaftliche Kalküle verstanden, der das<br />
Ziel verfolgt, die Geburtenrate zu beeinflussen.<br />
3 Vgl. z.B. jüngst etwa Joffe 2006.
98<br />
Dieser Beitrag geht insbesondere auf zwei Fragen dezidiert ein. Zum einen<br />
beschreibt er die Gründe, wann Familienpolitik <strong>–</strong> aus ökonomischer Sicht <strong>–</strong><br />
gerechtfertigt ist. Dies geschieht im Abschnitt 2, der allokationstheoretische<br />
und distributive Überlegungen anstellt und verschiedene Ansätze, wie Kinder<br />
in der finanzwissenschaftlichen Theorie betrachtet werden, erläutert.<br />
Diese sind für die Ausgestaltung familienpolitischer Maßnahmen entscheidend.<br />
Zum anderen zeigt der Beitrag anhand von statistischen Datenmaterialien aus<br />
verschiedenen westlichen Industriestaaten auf, auf welche Bedingungen<br />
Familienpolitik zu reagieren hat und was Familienpolitik zu leisten imstande<br />
ist <strong>–</strong> und was nicht. Dies geschieht im Abschnitt 3, der die Situation von<br />
Familien in ausgewählten Staaten hinsichtlich der Arbeitszeiten der Eltern<br />
und einiger soziodemografischer Faktoren kurz beleuchtet und die Verteilung<br />
von familienpolitischen Leistungen untersucht.<br />
Im schließenden Abschnitt 4 werden die Erkenntnisse aus dem Vorangegangenen<br />
zu möglichen Lehren für die spezifische Situation Deutschlands zusammengefasst.<br />
1.2 Motivation<br />
Dass die totalen und altersspezifischen Fertilitätsraten in beinahe allen westlichen<br />
Industrieländern in den vergangenen Jahrzehnten gesunken sind, ist<br />
bekannt, jedoch betrifft dies die Staaten in unterschiedlichem Maße, wie<br />
Abbildung 1 zeigt.<br />
So schafft es (mit Ausnahme der USA) kein Staat aus eigener Kraft, die<br />
Bevölkerungszahl konstant zu halten.
3,00<br />
2,75<br />
2,50<br />
2,25<br />
2,00<br />
1,75<br />
1,50<br />
1,25<br />
1,00<br />
0,75<br />
0,50<br />
0,25<br />
0,00<br />
Germany France Finland Italy United<br />
Kingdom<br />
United<br />
States<br />
Abb. 1 Fertilitätsraten ausgewählter Staaten (1970-2000).<br />
Quelle: OECD 2006.<br />
Norway Australia<br />
Weiterhin zeigen die Aufwendungen der westlichen Industrieländer für Familienpolitik<br />
(diese lagen 2002 nur in 2 von 23 OECD-Staaten kaufkraftbereinigt<br />
unter ihrem Niveau von 1980 und ihre Wachstumsrate lag größtenteils<br />
oberhalb der des Bruttoinlandsprodukts), dass die Förderung von Familien<br />
mit dem Zweck, die Geburtenrate zu beeinflussen, innerhalb der staatlichen<br />
Budgetplanung eine wichtige Rolle spielt. Gleichzeitig weisen die Steigerungsraten<br />
der Ausgaben für die Familien und die Fertilitätsraten in vielen<br />
Fällen keine positive Korrelation auf: Deutschland steigerte seine Ausgaben<br />
seit 1985 um jährlich 3,38 % und musste im gleichen Zeitraum eine sinkende<br />
Fertilitätsrate hinnehmen, während bspw. die USA ihre Ausgaben kürzten<br />
und dennoch die Geburtenzahlen steigern konnten. Es liegt der Schluss nahe,<br />
dass familienpolitische Maßnahmen sich in ihrer Effektivität voneinander<br />
unterscheiden, gar, dass manche völlig wirkungslos sind.<br />
Dieser Gesichtspunkt ist die Motivation der folgenden Analyse.<br />
2 Ökonomische <strong>Recht</strong>fertigungen für Familienpolitik<br />
Prinzipiell ließe sich ein Eingriff des Staates in die einzelwirtschaftlichen<br />
Kalküle nur dann rechtfertigen (zumindest allokativ), wenn die <strong>Wirtschaft</strong>ssubjekte<br />
nicht zu einem effizienten Ergebnis kämen, in irgendeiner Form<br />
70<br />
75<br />
80<br />
85<br />
90<br />
95<br />
00<br />
99
100<br />
also Marktversagen aufträte. Dies könnte der Fall sein, wenn die private<br />
Entscheidung der Eltern über ihre Kinderzahl Auswirkungen auf Dritte hätte,<br />
also Externalitäten vorlägen.<br />
Ein häufig mit diesem Argumentationsstrang in Verbindung gebrachtes Argument<br />
berührt die Arbeitsnachfrage der Unternehmen. Diese haben ein<br />
Interesse an Arbeitskräften (sowohl qualitativ als auch quantitativ), das morgen<br />
nur mit den Kindern von heute befriedigt werden kann. An deren Kosten<br />
beteiligen die Unternehmen sich jedoch <strong>–</strong> von Ausnahmen abgesehen <strong>–</strong><br />
nicht. So plausibel dieser Einwand klingt, so lässt er doch außer Acht, dass<br />
die Nachfrage nach Arbeitskraft morgen durch den Unternehmer durch den<br />
Lohn an die dann erwachsenen Kinder abgegolten wird. Dass diese ihr Einkommen<br />
dann in der Regel nicht an die Eltern transferieren, um ihre Erziehungskosten<br />
abzugelten, kann nicht den Unternehmen angelastet werden.<br />
Denkbar sind auch gesamtgesellschaftliche externe Effekte wie der zusätzliche<br />
Nutzen durch den Existenzwert von Kindern. Da vom Genuss dieses<br />
Existenzwertes niemand ausgeschlossen werden kann, weist er die Charakteristika<br />
eines öffentlichen Gutes auf4 , was eine staatliche Förderung von Kindern<br />
rechtfertigen könnte. Dieser Existenzwert ist jedoch schwer nachzuweisen,<br />
kaum zu messen und sicherlich intersubjektiv sehr verschieden und<br />
taugt somit höchstens für eine sehr abstrakte Stützung der Argumentation für<br />
aktive Familienpolitik.<br />
Konkreter und besser begründbar ist das Vorhandensein von Externalitäten<br />
in umlagefinanzierten Rentensystemen, deren Rendite (anders als kapitalgedeckte<br />
Alterssicherungssysteme) stark von der Entwicklung des „biologischen<br />
Zinses“, also von der Wachstumsrate der Bevölkerung, abhängt: Zwar<br />
zahlen alle rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer ein und profitieren<br />
von der Rendite des Umlageverfahrens, die Kosten zur Erbringung dieser<br />
Rendite jedoch tragen zum größten Teil die Eltern. Als Ausfluss dieser<br />
Sichtweise sind auch die periodisch erhobenen Forderungen nach Rentenkürzungen<br />
für Kinderlose zu verstehen, welche im Grunde der möglichen<br />
Förderung von Eltern eine Bestrafung von Kinderlosen gegenüberstellen.<br />
Neben allokativen Aspekten sind auch distributive Motive für eine Förderung<br />
von Kindern denkbar, wenn die notwendige Trennung zwischen allgemeiner<br />
Umverteilungspolitik und auf Kinder fokussierter Umverteilung auch<br />
4 Vgl. bspw. Cigno 1983.
101<br />
nicht immer erkennbar ist. Es ist schwierig und nicht ohne Rückgriff auf<br />
normative Wertungen zu begründen, warum jedes Gesellschaftsmitglied<br />
seine Ressourcen mit neuen Mitgliedern teilen muss, auf deren Eintreten es<br />
keinerlei Einfluss nehmen kann5 . Versuche, dies zu tun, sind legitim, jedoch<br />
der ökonomischen Analyse nur begrenzt zugänglich.<br />
Ist eine politische Entscheidung über das „Ob“ der Förderung von Kindern<br />
getroffen, ist die genaue Ausgestaltung, das „Wie“, davon abhängig, wie die<br />
politischen Verantwortlichen Kinder (aus ökonomischer Sicht) klassifizieren.<br />
Dabei können grob fünf sich gegenseitig teilweise ausschließende Ansätze<br />
unterschieden werden:<br />
1. Investitionsgut-Ansatz6 : Kinder werden als Investitionsgüter (bspw. zur<br />
Altersvorsorge ihrer Eltern bei unvollständigen Kapitalmärkten) behandelt,<br />
mit der Folge, dass Förderung durch das Steuerrecht gewährleistet<br />
wird. Dies geschieht in Form von Abzugs- oder Grundfreibeträgen, wobei<br />
Eltern mit hohem Grenzsteuersatz eine höhere absolute Entlastung<br />
erfahren als solche mit niedrigem Grenzsteuersatz.<br />
2. Konsumgut-Ansatz: Werden Kinder als Konsumgut ihrer Eltern<br />
betrachtet, so besteht für den Staat -aus allokationstheoretischer Sichtkeinerlei<br />
Veranlassung zur Förderung.<br />
3. Elitaristischer Ansatz: Der Staat hat vor allem ein Interesse daran, dass<br />
gut ausgebildete (und damit meistens auch gut verdienende) Bürger Kinder<br />
großziehen. Dieses könnte (neben der Gewährung von Freibeträgen)<br />
durch ein Familiensplitting (ohne Deckelung), wie es früher in Frankreich<br />
praktiziert wurde, realisiert werden, da Eltern mit hohem Bruttoeinkommen<br />
die größte Förderung erführen.<br />
4. Wohlfahrts-Ansatz7 : Überwiegt die Deutung, dass alle Kinder identische<br />
externe Effekte produzieren, sollte der Staat im Umkehrschluss, um diese<br />
abzugelten, allen Eltern eine identische Subvention (pro Kind) zukommen<br />
lassen. Dieses kann theoretisch sowohl im Steuer- (durch Absetzbeträge<br />
wie bspw. im Vereinigten Königreich) als auch im Transfersystem (durch<br />
Sozialtransfers) geschehen.<br />
5 Vgl. bspw. Rakowski 1991, S. 153 ff.<br />
6 Vgl. bspw. Nerlove/Razin/Sadka 1993.<br />
7 Vgl. bspw. Messere/De Kam/Heady 2003, 92.
102<br />
5. Input-Ansatz: Kinder können als im Haushalt produzierte Güter betrachtet<br />
werden, die als Input (viel) Betreuungs- und Erziehungszeit erfordern.<br />
Diese kann durch Eltern selbst geleistet werden (und steht dann nicht als<br />
Marktarbeitszeit zur Verfügung) bzw. eingekauft werden oder durch den<br />
Staat durch öffentliche Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden,<br />
bspw. durch einen Ausbau von Betreuungsplätzen.<br />
Sowohl der zweite als auch der dritte Ansatz finden in den gegenwärtigen<br />
Familienfördersystemen der Industrieländer de facto keine oder kaum Berücksichtigung,<br />
sind aber nach wie vor Gegenstand juristischer und finanzwissenschaftlicher<br />
Debatten.<br />
3 Kinder und Kinderförderung <strong>–</strong> Stilisierte Fakten<br />
Für die folgende Analyse wurden, des Umfangs wegen, acht Industriestaaten<br />
ausgewählt, die in ihrer jeweiligen Familienpolitik mehr oder minder deutlich<br />
einigen der in Abschnitt 2 vorgestellten Sichtweisen zugeordnet werden<br />
können.<br />
So fördern das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten und auch<br />
Australien schwerpunktmäßig durch Absetzbeträge, jedoch kaum durch<br />
öffentliche Betreuungsinfrastruktur. Teilweise <strong>–</strong> dies betrifft bspw. den australischen<br />
Family Tax Benefit <strong>–</strong> sind diese durch das Steuerrecht gewährten<br />
Beträge einkommensabhängig. Ähnliche Regelungen gelten in Italien.<br />
Der deutsche Familienleistungsausgleich ist in der Hauptsache durch das<br />
Kindergeld gekennzeichnet, das ein hybrides Element zwischen einer Pauschalzahlung<br />
und einem steuerlichen Abzugsbetrag darstellt (dualer Familienleistungsausgleich).<br />
Frankreich gewährt zwar auch pauschale Leistungen,<br />
weist darüber hinaus jedoch ein hoch entwickeltes System von konditionalen<br />
Beihilfen und Steuerabzugsbeträgen auf (z.B. für im Elternhaus stattfindende<br />
Betreuung durch Dritte). Als eines der wenigen Länder kommt außerdem<br />
eine Veranlagung nach dem Prinzip des Familiensplittings in Betracht, das<br />
jedoch Höchstgrenzen unterliegt.<br />
Die Familienförderung Finnlands und Norwegens ist dagegen traditionell<br />
von einem hohen Grad an garantierten staatlichen Betreuungsmöglichkeiten<br />
gekennzeichnet; zwar finden auch hier pauschale und steuerliche Leistungen<br />
Anwendung, schwerpunktmäßig folgen beide Staaten jedoch dem in allen
103<br />
skandinavischen Ländern typischen Muster einer hohen Abdeckungsrate in<br />
der Kindertagesbetreuung8 .<br />
Im Folgenden werden zum einen die Situation von Familien mit Kindern<br />
(und hier insbesondere die Frage, ob Bildungs- und Einkommenssituation<br />
der Eltern mit der Kinderzahl korreliert sind, sowie die Implikation von<br />
Kindern für das Arbeitsangebot der Eltern), zum anderen die distributiven<br />
Wirkungen der familienpolitischen Leistungen untersucht. Datengrundlage<br />
ist das Projekt Luxembourg Income Study, welches mehrere Wellen von<br />
Mikrozensus-Daten aus 30 Staaten zur Verfügung stellt9 .<br />
Es werden hierbei vor allem die Daten der Welle V verwendet, also die<br />
jüngsten zur Verfügung stehenden. Da sämtliche Fallzahlen hinreichend groß<br />
sind und mit spezifisch ermittelten Gewichten versehen wurden, um Überoder<br />
Unterrepräsentation bestimmter Bevölkerungsgruppen auszugleichen,<br />
können die unten aufgeführten Ergebnisse als repräsentativ gelten.<br />
3.1 Bildungsgrad und soziodemografischer Hintergrund der Eltern<br />
Für die Effektivität von Maßnahmen, welche die Geburten und die Erziehung<br />
von Kindern fördern sollen, ist die Kenntnis über die Adressaten der<br />
Familienpolitik notwendig. Eine der wichtigsten Merkmale ist hierbei die<br />
Ausbildung der Eltern, und damit die Zugehörigkeit der Kinder zu Haushalten<br />
mit bestimmtem Bildungsniveau. Eine beliebte Behauptung, mittels derer<br />
bspw. in Deutschland für ein Umschwenken von der pauschalen Auszahlung<br />
staatlicher Familienhilfen hin zu regressiv wirkenden Mitteln argumentiert<br />
wird, ist, dass die durchschnittliche Kinderzahl in Haushalten, deren Mitglieder<br />
dem niedrigsten Bildungssegment zugeordnet werden können, höher<br />
ist als in solchen im höheren Bildungssegment.<br />
8 Für einen detaillierten Überblick über die Regelungen in den einzelnen Staaten siehe bspw.<br />
MISSOC 2001, Schöne 2005 und Hiilamo 2004. Gornick/Meyers/Ross 1997 stellen zusammenfassende<br />
Indikatoren für die sozialpolitischen Regelungen zur Unterstützung von<br />
Familien in zwölf Staaten zusammen, die allerdings die Entwicklungen des vergangenen<br />
Jahrzehnts nicht berücksichtigen (können).<br />
9 Vgl. Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006.
104<br />
Die LIS-Datenbank erlaubt sowohl eine Differenzierung nach den einzelnen,<br />
länderspezifischen Ausbildungsniveaus10 als auch eine gröbere, in welcher<br />
nur noch nach niedrigem, mittlerem und hohem Bildungsniveau unterschieden<br />
wird.<br />
Es gibt signifikante Unterschiede zwischen den betrachteten Staaten, was die<br />
Kinderzahl in Abhängigkeit vom Bildungsgrad der Mutter (für Väter gibt es<br />
wenig abweichende Ergebnisse) angeht. So ist der Anteil der Frauen unter 60<br />
Jahren, die drei oder mehr Kinder unter 18 Jahren haben, in Deutschland im<br />
Bereich hoher Ausbildung nur halb so hoch wie im Bereich geringer Ausbildung,<br />
wie in Abbildung 2 zu sehen ist.<br />
Anteil in %<br />
15<br />
14<br />
13<br />
12<br />
11<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
D F FIN I US N AUS<br />
hoch<br />
mittel<br />
gering<br />
Abb. 2 Anteil der Frauen mit 3 oder mehr Kindern nach Bildungsgrad<br />
Quelle: Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006, Welle V<br />
(bzw. IV für Frankreich); eig. Berechnung.<br />
In dieser rein degressiven Form ist dieses Resultat nur für Deutschland zu<br />
beobachten; zwar ist auch in Frankreich der Anteil bei Hochqualifizierten<br />
kaum mehr als halb so hoch wie bei Geringqualifizierten (2,4 % vs. 3,9 %),<br />
allerdings ist er bei Frauen mit mittlerem Ausbildungsniveau am höchsten.<br />
Ein ähnliches Bild ergibt sich in den Vereinigten Staaten.<br />
Relativ ausgeglichen sind die Anteile dagegen in Finnland und Norwegen:<br />
Sie bewegen sich für alle Bildungsniveau-Gruppen um 4 %. In diesen Staaten<br />
scheint die Bildung der Mütter den geringsten Einfluss bei der Wahl<br />
einer tendenziell hohen Kinderzahl zu haben.<br />
10 In Deutschland sind dies bspw. Hauptschule, Realschule, Abitur, Fachoberschule, Fachhochschule,<br />
Universität, Ingenieurfachschule.
105<br />
Einschränkend sei allerdings hinzugefügt, dass <strong>–</strong> wie üblich bei zwischenstaatlichen<br />
Vergleichen <strong>–</strong> die Vergleichbarkeit der von LIS vorgegebenen<br />
Kategorien „gering“, „mittel“ und „hoch“ nur eine Annäherung sein kann, da<br />
die jeweiligen Bildungssysteme (insbesondere im höheren Sekundär- sowie<br />
im Tertiärbereich) teilweise große Unterschiede aufweisen.<br />
Mehr Aufschluss über den Einfluss des Bildungsgrades erhält man möglicherweise<br />
durch Einschluss auch der Männer mittels einer Regressionsanalyse<br />
mit der Zahl der Kinder unter 18 Jahren als abhängiger Variable. Erklärende<br />
Variablen sind <strong>–</strong> neben den drei verschiedenen Ausbildungsniveaus <strong>–</strong><br />
Dummys für verheiratete Paare (MARRIED), für die ausländische Herkunft<br />
des Haushaltsvorstandes (FOREIGN), für eine ländliche Wohngegend<br />
(RURAL) sowie die Bruttolohnsätze beider Partner (WM bzw. WF). Diese<br />
werden zum Vergleich der Ergebnisse aufgenommen. Betrachtet werden für<br />
diese Korrelationsanalyse nur Haushalte, in denen mindestens ein Paar lebt,<br />
was einen Unterschied zur obigen Zusammenstellung darstellt.<br />
Die Kinderzahl wird durch die gewählten Modellvariablen nur zum Teil<br />
erklärt (die Bestimmtheitsmaße liegen zwischen 2,8 und 11,9 %), was angesichts<br />
der außerhalb messbarer sozio-demografischer und ökonomischer<br />
Variablen liegenden Gründe, Kinder zu bekommen, nicht überrascht. Die<br />
erhaltenen Schätzungen für die Koeffizienten sind jedoch zum größten Teil<br />
hoch signifikant (zum Niveau 0,001) 11 .<br />
Die Ergebnisse sind recht unterschiedlich. Für Australien ergeben sich für<br />
die Ausbildungsvariablen so gut wie keine vernünftig interpretierbaren Werte.<br />
In Finnland und Italien gilt dies für das höhere Ausbildungsniveau, in den<br />
Vereinigten Staaten für das geringe. In Frankreich weisen die einzelnen<br />
Niveaus keine signifikanten Unterschiede auf; sie sind sämtlich positiv und<br />
können daher nicht zur Interpretation von unterschiedlichen Neigungen der<br />
einzelnen Gruppen, Kinder zu bekommen, herangezogen werden.<br />
Sowohl Finnland als auch Norwegen weisen negative Werte für die (nichtstandardisierten)<br />
Koeffizienten für geringe Bildung auf, und zwar sowohl für<br />
den Mann (-0,233 (N) bzw. -0,232 (FIN)) als auch für die Frau (-0,319 (N)<br />
bzw. -0,273 (FIN)). Die Resultate für Deutschland sind <strong>–</strong> ähnlich denen in<br />
11 Gleiches gilt für den F-Test sowie den Test auf Multikollinearität. Autokorrelation kann<br />
schon auf Grund der Panel-Datenstruktur als weitgehend unwahrscheinlich angesehen<br />
werden. Die einzelnen Ergebnisse der nicht-standardisierten Koeffizienten und deren t-<br />
Werte finden sich in der Tabelle A im Anhang.
106<br />
Frankreich <strong>–</strong> (bis auf die Variable für geringe Bildung der Frau) positiv, aber<br />
nicht sehr hoch. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Korrelationen<br />
zwischen dem Ausbildungsniveau der Eltern und der Kinderzahl zwischen<br />
den Staaten in Ausmaß und Signifikanz variieren. Sie sind darüber<br />
hinaus auch nicht gleichgerichtet.<br />
Ein nicht überraschendes Ergebnis liefert die vergleichende Betrachtung der<br />
Lohnsatzkoeffizienten. Diese sind <strong>–</strong> mit hoher Signifikanz- in den Staaten, in<br />
denen ihr Datenmaterial ausreichend verfügbar ist (D, F, I, UK, US) sämtlich<br />
negativ im Lohnsatz der Frau. Der Effekt ist am stärksten in Deutschland<br />
und dem Vereinigten Königreich messbar, in Frankreich und den USA am<br />
geringsten; es scheint also bestätigt, dass ein hoher Lohnsatz der Frau die<br />
Partner eher davon abhält, Kinder zu bekommen bzw. deren Kinderzahl<br />
negativ beeinflusst.<br />
Den Lohnsatzkoeffizienten des Mannes betreffend, können (mindestens)<br />
zwei Aussagen getroffen werden. Zum einen ist dieser (bis auf den Fall<br />
Frankreich) eher positiv, zum zweiten ist er absolut aber deutlich kleiner als<br />
der jeweilige Koeffizient des Lohnsatzes der Frau; außerdem sind die t-<br />
Werte durchweg geringer, was insgesamt darauf hinweist, dass dieser Erklärungszusammenhang<br />
eher schwach ist.<br />
Es ließe sich einwenden, dass der Lohnsatz im Zusammenhang zu den Variablen<br />
des Bildungsgrades stehen müsse und somit auch die Regression verzerren<br />
würde. Diese Korrelation kommt hier jedoch nur eingeschränkt zur<br />
Geltung, da zwar für alle Frauen Daten zum höchsten erreichten Bildungsgrad<br />
vorliegen, jedoch längst nicht alle auch einen Lohnsatz ausgewiesen<br />
haben, da viele ihre Arbeit nicht anbieten (dazu mehr in Abschnitt 3.2), insofern<br />
ist allenfalls ein schwacher Zusammenhang denkbar.<br />
Im Kontrast dazu sind die erklärenden Variablen FOREIGN, MARRIED und<br />
(eingeschränkt) auch RURAL sowohl im Ausmaß relativ stark als auch sehr<br />
signifikant. Die Eheschließung ist insbesondere in Finnland, den USA und<br />
Frankreich (0,49, 0,433 und 0,397) ein starker Indikator für die Kinderzahl,<br />
während der Zusammenhang in Norwegen schwach ist (0,078) 12 . Norwegen<br />
ist jedoch <strong>–</strong> im Gegensatz zu eher katholisch geprägten Staaten, zum Bei-<br />
12 Diese Zahlen sind so zu lesen, dass die Tatsache, dass ein norwegisches Paar verheiratet<br />
ist, eine um 0,078 höhere Kinderzahl aufweist als ein ansonsten vergleichbares unverheiratetes.
107<br />
spiel im Süden Europas <strong>–</strong> dafür bekannt, dass Paare hier eher spät (oder<br />
nicht) heiraten, selbst wenn Kinder vorhanden sind. Die Rate außerehelicher<br />
Geburten ist traditionell hoch (ähnliches gilt für Schweden).<br />
Noch stärker sind die Koeffizienten für die Variable FOREIGN. Diese sind<br />
lediglich in Australien und Finnland (leicht) negativ. Dieses liegt für den Fall<br />
Finnland daran, dass die Variablenbelegung im finnischen Panel nicht zwischen<br />
Finnen und Ausländern verschiedener Nationalitäten oder ethnischen<br />
Gruppen unterscheidet (wie die der anderen Staaten), sondern lediglich zwischen<br />
Finnisch und Schwedisch sprechenden Finnen, was die Aussage dieser<br />
Variable völlig verändert. In allen anderen Staaten erhöht die Tatsache, dass<br />
der Haushaltsvorstand nicht der vorherrschenden ethnischen Gruppe des<br />
jeweiligen Erhebungslandes angehört, die Kinderzahl signifikant. Am stärksten<br />
ausgeprägt ist dieser Effekt in Deutschland und dem Vereinigten Königreich.<br />
Ein deutlicher, fühlbarer Einfluss der Tatsache, dass der Haushalt in einer<br />
ländlichen Gegend wohnt, ergibt sich für Finnland (0,231), Deutschland<br />
(0,111) sowie für Frankreich (0,109), während er für die übrigen Staaten<br />
schwach positiv, für Italien und das Vereinigte Königreich schwach negativ<br />
ist.<br />
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass zwar länderspezifisch Unterschiede<br />
zwischen Haushalten unterschiedlichen Bildungsgrades in der Neigung,<br />
Kinder zu bekommen, vorhanden sind. Diese sind aber in der Regel weitaus<br />
weniger signifikant (und im Ausmaß geringer13 ) als die Einwirkungen anderer<br />
soziodemografischer Variablen.<br />
3.2 Kinder und Arbeitsangebot<br />
Eine inzwischen in vielen Staaten ebenso wichtige Funktion der Familienpolitik<br />
ist in der Ermöglichung (oder gar bewussten Ermunterung) der weiblichen<br />
Erwerbsbeteiligung zu sehen, welche eine Parallelstrategie zum Ziel<br />
der Förderung von Geburten darstellt. Die OECD (2004) ermittelte für 2002<br />
gar einen positiven Zusammenhang zwischen der Partizipationsrate der<br />
Frauen und der Geburtenrate, so dass davon ausgegangen werden kann, dass<br />
das Zielsystem der Familienpolitik auch die Arbeitsangebotswünsche und -<br />
13 Da es sich um Dummy-Variablen handelt, lassen sich die Regressionskoeffizienten analog<br />
interpretieren.
108<br />
bedingungen der Frau und deren Zusammenhang mit der Fertilität berücksichtigen<br />
muss.<br />
In der Tabelle 1 sind die durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeiten der<br />
Haushaltsmitglieder gegen unterschiedliche Kinderzahlen abgetragen. Es<br />
werden hier exemplarisch nur Paarhaushalte zwischen 20 und 64 Jahren<br />
betrachtet, was als typischer Zeithorizont aktiver Erwerbstätigkeit (in den<br />
Industriestaaten) angesehen wird. Weiterhin sind nur die entsprechenden<br />
Werte für Paare mit bis zu vier Kindern aufgeführt. Die entsprechenden<br />
Zahlen für Finnland, Norwegen und Australien sind für die Welle V nicht<br />
erhoben worden. Allerdings lassen sich auch für die verbleibenden Länder<br />
interessante Rückschlüsse ziehen.<br />
D F I UK US<br />
Mann Frau Mann Frau Mann Frau Mann Frau Mann Frau<br />
0 31,78 23,68 41,56 34,48 29,12 15,01 35,75 24,55 39,39 30,33<br />
1 39,53 19,61 42,12 35,27 40,98 17,52 41,72 22,72 42,08 29,44<br />
2 42,12 14,43 41,54 33,56 44,49 16,91 43,15 19,12 43,33 26,32<br />
3 37,37 9,54 42,06 32,49 41,24 10,39 40,59 15,67 43,97 23,85<br />
4 38,6 12,77 40,86 33,59 39,97 4,05 35,38 10,75 42,59 19,58<br />
Tab. 1 Durchschnittl. wöchentl. Arbeitszeit in Abhängigkeit von der Kinderzahl.<br />
Quelle: Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006, eig. Berechnung.<br />
Die durchschnittlichen Stundenzahlen der Männer unterscheiden sich innerhalb<br />
der einzelnen Kinderzahl-Stufen nicht wesentlich zwischen den fünf<br />
Staaten, mit dem Unterschied, dass sie in Deutschland und Italien für kinderlose<br />
Männer auffallend niedrig sind (31,78 bzw. 29,12 Stunden). Ob dies<br />
Resultat der Tatsache geschuldet ist, dass deutsche und italienische Männer<br />
später in ihr Berufsleben starten oder es früher beenden, könnte mit einer<br />
weiteren Altersauffächerung möglicherweise beantwortet werden, ist für die<br />
vorliegende Untersuchung allerdings uninteressant. Gemein ist den Staaten<br />
der Trend, dass die Arbeitszeit bei Männern mit steigender Kinderzahl bis<br />
zum zweiten (in den USA bis zum dritten) Kind ansteigt, dann aber abfällt,<br />
generell jedoch das Niveau einer Vollzeit-Arbeitsstelle nicht wesentlich<br />
unterschreitet.<br />
Wesentlich anders ist die Situation der Frauen. Nach dem traditionellen<br />
Rollenmodell wäre zu erwarten, dass ihre Erwerbsbeteiligung (und damit
109<br />
auch ihre durchschnittliche wöchentliche Arbeitsstundenzahl) in der Zahl<br />
ihrer Kinder sinkt. Dieses Muster kann uneingeschränkt für Italien bestätigt<br />
werden, wo bereits die Frauen ohne Kinder im Durchschnitt lediglich 15,01<br />
Stunden wöchentlich arbeiten, während US-amerikanische und französische<br />
Frauen die doppelte Wochenarbeitszeit vorweisen. Aber auch die Frauen in<br />
Deutschland, dem Vereinigten Königreich und (eingeschränkt) den USA<br />
zeigen dieses Muster: Die Differenz zwischen den Arbeitsstunden der Eltern<br />
mit vier Kindern beträgt zwischen 23,01 (USA) und 35,92 (Italien) Stunden.<br />
Einzig Frankreich ist hinsichtlich beiderlei Trends eine Ausnahme. Einerseits<br />
arbeiten Frauen grundsätzlich mehr als in den übrigen Staaten (unabhängig<br />
von ihrer Kinderzahl), andererseits sinkt ihre Arbeitsstundenzahl so gut wie<br />
überhaupt nicht, egal, wie viele minderjährige Kinder in ihrem Haushalt<br />
leben. Dieses Resultat ist sicherlich sowohl auf die hohe Abdeckungsrate<br />
von Kinderbetreuungsmöglichkeiten (auch im Kleinstkindalter) als auch auf<br />
die hohe gesellschaftliche Akzeptanz von arbeitenden Müttern zurückzuführen.<br />
Die Fertilitätsrate Frankreichs liegt in der Spitzengruppe aller Industrieländer,<br />
was auf die potenziell gute Vereinbarkeit hoher Partizipation von<br />
Frauen am Arbeitsmarkt und relativ hoher Kinderzahl hinweist.<br />
Darauf, dass das Arbeitsangebot von Müttern möglicherweise mit kluger<br />
Bereitstellungspolitik öffentlicher Betreuung zu beeinflussen ist, weisen<br />
auch die unterschiedlichen Arbeitsstundenzahlen von Frauen in Abhängigkeit<br />
vom Alter des jüngsten Kindes hin, die in Abbildung 2 für die oben<br />
genannten fünf Staaten zu finden sind. In Deutschland und (mit Abstrichen)<br />
in den USA und dem Vereinigten Königreich ist fast durchgängig eine Steigerung<br />
der durchschnittlichen Arbeitszeit im Alter des jüngsten Kindes festzustellen,<br />
wenn auch Mütter in den USA durchschnittlich über zehn Stunden<br />
länger arbeiten als die Mütter in Deutschland. Für Australien fehlen die Daten<br />
für Familien, deren jüngstes Kind sechs, acht oder neun Jahre alt ist; für<br />
die restlichen Jahre ist allerdings ebenfalls ein ansteigender Trend der Wochenstundenzahl<br />
der Mütter zu beobachten.
110<br />
W ochenstunden<br />
37,5<br />
35<br />
32,5<br />
30<br />
27,5<br />
25<br />
22,5<br />
20<br />
17,5<br />
15<br />
12,5<br />
10<br />
7,5<br />
5<br />
2,5<br />
0<br />
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />
Alter jüngstes Kind<br />
Abb. 3 Durchschnittliche Arbeitszeit der Frauen, abhängig vom Alter des jüngsten<br />
Kindes.<br />
Quelle: Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006, eig. Berechnung.<br />
Auffällig ist, dass die durchschnittliche Wochenstundenzahl im ersten Lebensjahr<br />
des Kindes (mit Ausnahme Australiens und des Vereinigten Königreichs)<br />
absinkt. Dies ist allerdings erklärlich durch den Effekt, dass in dem<br />
Jahr, in dem das jüngste Kind zur Welt kommt, die durchschnittliche Wochenstundenzahl<br />
des gesamten Kalenderjahres erfasst wird, die auf Grund<br />
möglicher höherer Erwerbstätigkeit der Mütter in den Monaten vor der Geburt<br />
tendenziell nach oben ausreißt.<br />
Ein allgemeiner Trend ist nicht erkennbar für Italien (deren Mütter zwischen<br />
13,7 und 19,09 Stunden arbeiten) sowie für Frankreich. Die Erwerbstätigkeit,<br />
ausgedrückt in der durchschnittlichen Wochenstundenzahl, ist in Frankreich<br />
mit Abstand am höchsten: Sie schwankt zwischen 33 und 35 Stunden. Weiterhin<br />
sind keinerlei vom Alter des jüngsten Kindes abhängigen Einschränkungen<br />
(oder Verstärkungen) der Erwerbstätigkeit zu erkennen, was die<br />
Schlussfolgerung aus den in Tabelle 2 gezeigten Daten noch verstärkt.<br />
Es bleibt festzuhalten, dass Eltern in Deutschland, Frankreich, Italien, dem<br />
Vereinigten Königreich und den USA ihre Erwerbstätigkeit in unterschiedlichem<br />
Maße in Abhängigkeit von ihren Kindern gestalten.<br />
Dabei konnte gezeigt werden, dass die Zahl und das Alter der im Haushalt<br />
lebenden Kinder einen direkten Einfluss auf die Arbeitsstundenzahl der<br />
D<br />
F<br />
I<br />
UK<br />
USA<br />
AUS
111<br />
Frauen hat (mit Ausnahme Frankreichs). Allerdings gibt es länderspezifisch<br />
signifikante Unterschiede.<br />
Das Arbeitsangebot der Männer dagegen ist in der Regel nicht oder kaum<br />
beeinflusst von der Anwesenheit von Kindern.<br />
3.3 Distributive Wirkungen<br />
Abschließend soll noch ein vergleichender Blick auf die Inzidenz der familienfördernden<br />
Maßnahmen geworfen werden.<br />
In Abschnitt 2 wurde angedeutet, dass die verschiedenen Instrumente der<br />
Familienpolitik unterschiedliche Verteilungsimplikationen aufweisen.<br />
Das Mikro-Datenmaterial der Luxembourg Income Study erlaubt Rückschlüsse<br />
auf die staatlichen Leistungen für Familien, indem es (mit Ausnahme<br />
Italiens und der USA) sämtliche geldlichen Zuwendungen, die auf<br />
Grund des Vorhandenseins von Kindern oder zur Unterstützung der Mütter<br />
während Schwangerschaft und Geburt gezahlt werden, erfasst.<br />
Diese Unterstützungsleistungen werden in Tabelle 2 für die angesprochenen<br />
Staaten als Geldbeträge in US-Dollar pro Jahr und Kind ausgewiesen, unterteilt<br />
nach dem ersten, dem zweiten bis fünften, dem fünften bis neunten sowie<br />
dem höchsten Dezil des verfügbaren Einkommens. Zur Absicherung der<br />
hier gezeigten wurde ein Vergleich mit den entsprechenden Daten der Welle<br />
I durchgeführt, der <strong>–</strong> mit Ausnahme der unterschiedlichen absoluten Höhe<br />
der Leistungen <strong>–</strong> keinerlei nennenswerte Differenzen ergab, was die Zurechnung<br />
der Beträge zu den einzelnen Einkommensdezilen angeht.<br />
1 st<br />
2nd-5 th<br />
5th-9 th<br />
10 th<br />
D F FIN UK N AUS<br />
1432,89 929,56 1056,77 988,19 2164,17 646,26<br />
1750,20 1267,87 2296,06 1056,87 4345,90 1016,09<br />
1823,76 1292,05 1962,25 1080,12 1754,08 513,09<br />
1952,23 1062,40 1548,04 1214,62 1547,29 172,92<br />
Tab. 2 Staatliche Geldleistungen pro Jahr und Kind in US-Dollar: Unterstes<br />
Dezil, 2. bis 5. Dezil, 5. bis 9. Dezil und oberstes Dezil der verfügbaren<br />
Einkommen.<br />
Quelle: Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006, eig. Berechnung.<br />
Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die direkten geldlichen Familienleistungen<br />
sowohl in Deutschland als auch im Vereinigten Königreich „pro rich“
112<br />
wirken: Sie nehmen mit zunehmendem verfügbarem Einkommen zu, wobei<br />
der relative Unterschied zwischen den Leistungen des ersten und denen des<br />
zehnten Dezils in Deutschland größer ist (Faktor 1,36 (D) vs. 1,23 (UK)).<br />
Für Finnland, Norwegen und Australien gilt, dass die Leistungen hier im<br />
zweiten bis fünften Einkommensdezil am höchsten sind und danach abfallen,<br />
in Australien sogar erheblich. Dies hängt wesentlich mit der starken Einkommensabhängigkeit<br />
der in Australien gewährten direkten Leistungen<br />
zusammen. Finnland verzichtet fast vollständig auf steuerliche Abzugsbeträge,<br />
die regressiv wirken. In Norwegen sind die hohen Leistungen für Familien<br />
im zweiten bis fünften Einkommensdezil auffallend. Es ist nicht auszuschließen,<br />
dass es sich hierbei zum Teil um statistische Ausreißer handelt<br />
(da die Zahl der befragten Familien mit diesen Merkmalen nur 458 beträgt,<br />
im Vergleich zu 3162 im fünften bis neunten Dezil), den Trend jedoch gibt<br />
der Wert richtig wieder.<br />
Ein ähnliches Bild zeigt sich in Frankreich, wo die Leistungen sowohl im<br />
zweiten bis fünften wie auch im fünften bis neunten Dezil relativ hoch sind,<br />
dann aber im obersten Dezil leicht abfallen. Dies überrascht nicht vor dem<br />
Hintergrund der strikten Deckelung des <strong>–</strong> regressiv wirkenden <strong>–</strong> Familiensplittings<br />
sowie der Höchstbeträge bei der Absetzbarkeit von Betreuungsaufwendungen.<br />
Im Vergleich der absoluten Höhe der staatlichen Leistungen lässt sich<br />
schließen, dass die direkte geldliche Unterstützung für Familien, deren verfügbares<br />
Einkommen unterhalb des Medianeinkommens liegt, in Norwegen<br />
(mit Abstand) am großzügigsten bemessen sind, während überdurchschnittlich<br />
hohe Einkommen in Finnland (fünftes bis neuntes Dezil) bzw. vor allem<br />
in Deutschland (fünftes bis zehntes Dezil) die höchste Bezuschussung erfahren.<br />
Die Kinderzahlen sind (von den hier betrachteten Staaten) in Frankreich,<br />
Norwegen und Finnland am höchsten. Es liegt die Vermutung nahe, dass<br />
eine relativ starke finanzielle Förderung der mittleren Dezile durch staatliche<br />
Maßnahmen die größte Steigerung der Geburtenrate nach sich zieht.<br />
Zur obigen Zusammenstellung ist anzumerken, dass die beiden untersuchten<br />
Größen (verfügbares Einkommen und monetäre staatliche Leistungen zur<br />
Unterstützung von Familien) nicht unkorreliert sind. Erhöhen sich die staat-
113<br />
lichen Leistungen, erhöht sich in der Regel auch das verfügbare Einkommen<br />
in dem Maße, wie die Leistungen nicht steuerpflichtig sind14 .<br />
Die Verteilungsimplikationen der direkten Familienförderung werden deutlich,<br />
indem man bspw. die Gini-Koeffizienten vergleicht, die sich einerseits<br />
ergeben, wenn nur das Markteinkommen betrachtet wird, und andererseits,<br />
wenn zum Markteinkommen auch die oben betrachteten Leistungen hinzugezählt<br />
werden (siehe Tabelle 3).<br />
G ME<br />
G ME+Tr<br />
D F FIN UK N AUS<br />
0,348 0,384 0,350 0,475 0,326 0,414<br />
0,321 0,342 0,309 0,454 0,296 0,387<br />
Tab. 3 Gini-Koeffizienten unter Berücksichtigung des Markteinkommens<br />
bzw. des Markteinkommens zzgl. der direkten familienpolitischen<br />
Leistungen.<br />
Quelle: Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006, eig. Berechnung.<br />
Die Wirkung der staatlichen Leistungen zur Unterstützung von Familien ist<br />
in allen betrachteten Staaten trotz der oben gezeigten Ergebnisse ungleichheitsreduzierend<br />
(sofern man den Gini-Koeffizienten als Maß von Ungleichheit<br />
akzeptiert). Die Wirkung scheint überdies in Finnland und Frankreich<br />
am stärksten zu sein, wo die Absenkung des Gini-Koeffizienten durch die<br />
staatlichen Transfers das größte Ausmaß annimmt. Aber auch in Deutschland<br />
ist sie <strong>–</strong> angesichts der beobachteten eher regressiven Wirkung in den<br />
Einkommensdezilen <strong>–</strong> beachtlich.<br />
4 Mögliche Lehren für den deutschen<br />
Familienleistungsausgleich<br />
Die Ermunterung von Paaren, Kinder zu bekommen, ist in Deutschland stets<br />
dominiert gewesen von Debatten um finanzielle Mittel, Umverteilungsvorstellungen<br />
und steuerrechtlichen Auseinandersetzungen, weniger jedoch um<br />
14 Dies ist in den betrachteten Ländern durchaus unterschiedlich geregelt. In Deutschland<br />
sind die Leistungen komplett steuerfrei, in Spanien zum Beispiel nicht.
114<br />
wirksame Instrumente15 . Es ist kaum bestreitbar, dass die geldliche Summe,<br />
die der deutsche Staat jährlich zur Familienförderung veranschlagt, im internationalen<br />
Vergleich durchaus mithalten kann, selbst wenn man die aktuellen<br />
Änderungen im Steuerrecht, welche das Baukindergeld16 betreffen, herausrechnet.<br />
Davon zeugen auch die unter 3.3 aufgeführten Ergebnisse (insbesondere<br />
Tabelle 2). Die relativ niedrige Geburtenrate kann demnach im<br />
Grunde nur durch drei Szenarien charakterisiert werden: Entweder werden so<br />
wenige Kinder geboren auf Grund des Familienleistungsausgleiches (das<br />
heißt, die eingesetzten Mittel sind im ökonomischen Sinne ineffektiv) oder<br />
die Fertilität ist in Deutschland trotz der staatlichen Unterstützung gering<br />
(das heißt, sie ist ausschließlich von Faktoren determiniert, die außerhalb der<br />
Einflusssphäre der Politik liegen) oder Familienpolitik ist wirkungsvoll, wird<br />
jedoch von exogenen Trends oder Schocks überlagert. Um letztere Möglichkeit<br />
auszuschließen (oder zu bestätigen), böte sich eine Untersuchung nach<br />
der „Difference-in-Difference“-Technik an.<br />
Wenn man aber vernünftigerweise davon ausgeht, dass sich die Wahrheit<br />
irgendwo zwischen diesen Polen bewegt, scheint es auf jeden Fall sinnvoll,<br />
sich über die Verbesserung der Ausgestaltung der staatlichen Familienpolitik<br />
Gedanken zu machen. Dazu bietet sich ein Blick auf Nachbarsysteme an.<br />
Im Wesentlichen kann Deutschland in zwei Punkten von dieser Betrachtung<br />
lernen. Der zuweilen hörbare Vorwurf, in Deutschland bekämen vor allem<br />
Bevölkerungsgruppen überproportional viele Kinder, welche die größten<br />
Schwierigkeiten hätten, diese angemessen zu unterhalten und zu erziehen, ist<br />
nicht völlig von der Hand zu weisen, wenn man zum Vergleich die Statistiken<br />
anderer Staaten heranzieht. Es liegt die Vermutung nahe, dass die relativ<br />
dünn gesäte Bereitstellung öffentlicher (und privater!) Betreuung ein zentraler<br />
Bestimmungsfaktor dieses Problems ist. Staaten mit gut ausgebautem<br />
Betreuungssystem (sowohl in der direkten Bereitstellung durch den Staat als<br />
auch durch die indirekte Förderung durch großzügige steuerliche Absetzbarkeit)<br />
<strong>–</strong> wie bspw. Frankreich und Skandinavien <strong>–</strong> verfügen über eine ausgeglichenere<br />
Bilanz was die Kinderzahl von Eltern unterschiedlicher Bildungsgrade<br />
angeht. Darüber hinaus ist die Differenz zwischen den Arbeitszeiten<br />
der Partner geringer, insbesondere die Erwerbssituation der Frau besser und<br />
15 Kaufmann 2005, S. 182 ff.<br />
16 § 34 f EstG.
115<br />
unabhängiger von der Zahl der Kinder17 . Die Produktivitäten der Partner<br />
sind weniger signifikant für die Aufteilung der Hausarbeit und für die Zahl<br />
der Kinder (siehe Tabelle A im Anhang).<br />
Ein Betreuungssystem wie das französische lässt sich nicht ohne weiteres<br />
kopieren. Da aber die Möglichkeit, Kinder von Dritten betreuen zu lassen, in<br />
der Regel die effektivste und <strong>–</strong> relativ gesehen <strong>–</strong> günstigste Weise ist, die<br />
hohen Opportunitätskosten, die Kinderbetreuung verursacht, zu senken (kein<br />
Kindergeld oder auch Elterngeld kann dauerhaft das wegfallende Einkommen<br />
durch Erwerbstätigkeit ersetzen), sollte dieses Instrument quantitativ<br />
wie qualitativ gestärkt werden <strong>–</strong> zur Not auf Kosten des Kindergeldes bzw.<br />
des Kinderfreibetrags.<br />
Zum zweiten scheint die deutsche Spezialität des dualen Familienleistungsausgleichs,<br />
die einen eher untauglichen Kompromiss zwischen verfassungsrechtlicher<br />
Mindestnormerfüllung und sozialpolitischen Umverteilungswünschen<br />
zugunsten der Familien mit geringem Einkommen darstellt, fraglich.<br />
Einerseits werden die eingeräumten Grundfreibeträge für Kinder in Höhe<br />
von 2904 € 18 der rechtlichen Anforderung nach Freistellung des steuerlichen<br />
Existenzminimums nicht ansatzweise gerecht, wenn man die in der Sozialgesetzgebung<br />
üblichen Mindestsätze unterstellt. Andererseits lassen die distributiven<br />
Konsequenzen (siehe Tabelle 4) Zweifel daran aufkommen, ob der<br />
budgetäre Aufwand für das vergleichsweise hohe pauschale Kindergeld<br />
verteilungspolitisch gut angelegt ist. Eine Umschichtung zugunsten von<br />
Betreuungsmöglichkeiten, wie oben angeregt, würde eine höhere Geburtenrate<br />
sicherlich begünstigen.<br />
Ein allgemeines Umverteilungsziel sollte stärker in die Einkommensbesteuerung<br />
verlagert werden. Darüber hinaus können qualitative und quantitative<br />
Verbesserungen in der vorschulischen Betreuung und Förderung, die aus<br />
allgemeinen Steuermitteln geleistet werden, als Umverteilung von Bildungsund<br />
Berufschancen zugunsten von Kindern weniger privilegierter Eltern<br />
verstanden werden, was eine sinnvolle Abfederung der regressionsverstärkenden<br />
Wirkung der Abschmelzung des Kindergeldes wäre.<br />
17 Zwar sind die entsprechenden Daten für Norwegen im LIS Projekt nicht verfügbar, allerdings<br />
stützen die relativ hohen Partizipationsraten von Müttern in den skandinavischen<br />
Staaten diese Erkenntnis (bspw. 72,1 % (FIN) und 76,9 % (Schweden) im Vergleich zu<br />
59,3 % im OECD-Durchschnitt (Zahlen für 2003; OECD 2005).<br />
18 § 32 Abs. 6 EStG, <strong>Recht</strong>sstand 2005. Für Ehepaare gelten verdoppelte Sätze.
116<br />
Ist die staatliche Familienförderung und sind ökonomische Anreize generell<br />
unwirksam hinsichtlich der privaten Neigung, Kinder zu bekommen, so<br />
könnte sich die Politik auf sozialpolitische Maßnahmen zur Existenzsicherung<br />
von Familien beschränken. Nicht zuletzt aber die Erfahrungen Frankreichs<br />
einerseits und Dänemarks und Schwedens andererseits (die hier nicht<br />
explizit betrachtet wurden) zeigen, dass eine Korrelation von geeigneten<br />
familienpolitischen Maßnahmen (vor allem diejenigen, die der in Abschnitt 2<br />
als Input-Ansatz vorgestellten Förderphilosophie folgen) und Geburtenrate<br />
wahrscheinlich ist.<br />
Literatur<br />
Cigno, A. (1983): On Optimal Family Allowances, in: Oxford Economic<br />
Papers, 35, 13-22.<br />
Gornick, J./Meyers, M./Ross, K. (1997): Supporting the Employment of<br />
Mothers: Policy Variation Across Fourteen Welfare States, in: Journal<br />
of European Social Policy 7(1), 45-70.<br />
Hiilamo, H. (2004): Changing Family Policy in Sweden and Finland during<br />
the 1990s, in: Social Policy and Administration 38 (1), 21-40.<br />
Joffe, J. (2006): Kinderschwund <strong>–</strong> Na und?, in: Die Zeit, Nr. 13.<br />
Kaufmann, F. (2005): Schrumpfende Gesellschaft, Frankfurt/Main.<br />
Luxembourg Income Study (LIS) Micro database, (2006): Harmonization of<br />
Original Surveys Conducted by the Luxembourg Income Study, Asbl.<br />
Luxembourg, periodic updating (URL: http://www.lisproject.org; letzter<br />
Aufruf 14.06.2006).<br />
Messere, K./De Kam, F./Heady, C. (2003): Tax Policy: Theory and Practice<br />
in OECD Countries, Oxford.<br />
MISSOC (2001): Mutual Information System on Social Protection in the EU<br />
Member States and the EEA, MISSOC info 2002-1, Brüssel.<br />
Nerlove, M./Razin, A./Sadka, E. (1993): A Capital Good or a Base for Income<br />
Redistribution Policies, in: Public Finance 48, 78-84.<br />
OECD (2004): Employment Outlook, Paris.<br />
OECD (2005): Babies and Bosses: Reconciling Work and Family Life vol. 4,<br />
Paris.
117<br />
OECD (2006): OECD Factbook 2006 <strong>–</strong> Economic, Environmental and Social<br />
Statistics, Paris.<br />
Rakowski, E. (1991): Equal Justice, Oxford University Press, Oxford.<br />
Schöne, P. (2005): The Effect of a Family Policy Reform on Mother's Pay: A<br />
Natural Experiment Approach, in: Review of Economics of the Household<br />
3, 145-170.
5 Anhang<br />
D F FIN I UK US N AUS<br />
Koeff t Koeff t Koeff t Koeff t Koeff t Koeff t Koeff t Koeff t<br />
married 0,353 375,594 0,397 357,782 0,490 177,325 0,265 149,482 0,352 365,576 0,433 562,936 0,078 25,038 ... ...<br />
edlom 0,002 1,290 0,379 35,809 -0,232 -67,376 -0,105 -102,655 -0,725 -33,304 ... ... -0,233 -17,239 ... ...<br />
edmedm 0,050 32,604 0,408 38,601 0,141 47,878 0,092 129,400 -0,266 -12,240 -0,071 -129,013 0,031 2,374 0,055 36,449<br />
edhim 0,035 22,447 0,453 42,851 ... ... ... ... -0,449 -20,611 -0,081 -128,879 0,015 1,113 0,198 85,067<br />
edlof -0,101 -66,467 0,681 120,826 -0,273 -83,247 -0,391 -397,403 -0,131 -7,396 ... ... -0,319 -28,132<br />
edmedf 0,190 122,786 0,766 136,471 ... ... -0,011 -15,257 0,423 23,939 0,072 132,092 0,044 4,012 0,136 82,899<br />
edhif 0,128 78,852 0,879 155,351 0,093 32,425 ... ... 0,273 15,458 -0,024 -38,466 0,120 10,892 0,008 3,304<br />
foreign 0,544 575,912 0,465 327,594 -0,035 -6,710 na na 0,567 368,435 0,365 709,235 0,288 57,829 -0,121 -78,175<br />
rural 0,111 200,329 0,109 113,128 0,231 76,658 -0,006 -7,900 -0,055 -80,551 0,055 103,390 0,021 2,599 0,051 63,768<br />
wm 0,005 328,827 -0,001 -74,098 ... ... 0,004 119,715 0,003 68,320 0,000 3,351 ... ... ... ...<br />
wf -0,011 -655,565 -0,004 -300,100 ... ... -0,007 -165,492 -0,026 -419,511 -0,003 -187,152 ... ... ... ...<br />
Tabelle A: Nicht-standardisierte Koeffizienten (inkl. t-Werte) der unabhängigen<br />
Variablen; OLS-Schätzung.<br />
Quelle: Luxembourg Income Study (LIS) Micro database 2006.
Dirk Höner<br />
Institutionalisierung qua Internationalisierung <strong>–</strong><br />
Die Entwicklung der Unternehmensberatung aus<br />
neo-institutionalistischer Perspektive<br />
1 Einleitung<br />
Die Suche nach einer Erklärung für den Erfolg der Unternehmensberatungsbranche<br />
wird häufig an bestimmte Funktionen geknüpft, die Beratungen für<br />
ihre Klienten erfüllen. 1 Diese Funktionen können aber nur erfüllt werden,<br />
wenn eine ganz bestimmte Voraussetzung vorliegt: Unternehmensberatung<br />
muss legitimiert sein, d.h. ihre Existenz und ihr Nutzen werden nicht in Frage<br />
gestellt. Das bedeutet, dass sie aufgrund ihrer institutionalisierten Stellung<br />
in der Lage ist, diese Legitimität auch auf ihre Dienstleistungen und letztlich<br />
auf den Klienten zu übertragen. 2 Woher diese Legitimität aber kommt, wird<br />
nicht kritisch hinterfragt sondern als gegeben unterstellt. Aus dieser bislang<br />
unbestätigten Unterstellung stammt die Motivation dieses Beitrages. Es wird<br />
untersucht, mit welcher Berechtigung von einer Institution Unternehmensberatung<br />
gesprochen werden kann und wie ein derartiger Status entsteht.<br />
1 Vgl. Ernst/Kieser 2002. Zu diesen Funktionen werden gezählt: Wissenstransfer, Entwicklungs-<br />
und Innovationsfunktion, <strong>Wirtschaft</strong>lichkeitsfunktion, Legitimierungsfunktion<br />
und Kommunikationsfunktion, sowie die latenten Politik- und Interpretationsfunktion. Vgl.<br />
Kieser 1998, S. 63 f.<br />
2 Vgl. Faust 2000; McKenna/Djelic/Ainamo 2003.
120<br />
Der Begriff Unternehmensberatung ist kaum konsensfähig abgrenzbar. 3<br />
Wenn in der vorliegenden Betrachtung von Unternehmens- oder synonym<br />
von Managementberatung gesprochen wird, so sind damit zunächst alle am<br />
Markt gehandelten Dienstleistungsangebote gemeint, die unter diesen Bezeichnungen<br />
angeboten und nachgefragt werden. Aufgrund der angesprochenen<br />
Übertragung von Legitimität und der beobachtbaren Selbstverständlichkeit<br />
von Managementberatung wird für den vorliegenden Beitrag auf den<br />
Theorieansatz des Neo-Institutionalismus zurückgegriffen, zu dessen Kernanliegen<br />
die Erklärung eben dieser Phänomene gehört.<br />
Um den theoretischen Untersuchungsraum abzustecken soll zunächst das<br />
Konzept des Neo-Institutionalismus mitsamt seiner für die weitere Betrachtung<br />
notwendigen Grundannahmen dargestellt werden. Auf diese wird dann<br />
im folgenden Teil zurückgegriffen, um die Institutionalisierung von Unternehmensberatung<br />
näher zu untersuchen. Abschließend werden die Erkenntnisse<br />
und die Relevanz dieser Untersuchung reflektiert.<br />
2 Institutionalisierungsprozesse im Sinne des<br />
neo-institutionalistischen Theorieansatzes<br />
2.1 Grundlagen des Neo-Institutionalismus<br />
Der Nucleus des neo-institutionalistischen Theorieansatzes besteht in der<br />
Annahme, dass Organisationen ihr Handeln nicht nach Maßgabe technischer<br />
Effizienzkriterien ausrichten, sondern primär an kulturellen und gesellschaftlichen<br />
Erwartungshaltungen. 4 Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive<br />
ist diese These kaum nachvollziehbar, jedoch untermauern zahlreiche empirische<br />
Studien, dass Effizienz nicht die wichtigste Determinante organisationaler<br />
Überlebensfähigkeit darstellt. 5 Gelingt es Organisationen, die gesellschaftlichen<br />
und kulturellen Erwartungen zu erfüllen, verschaffen sie sich<br />
Legitimität. Diese ist für Organisationen lebensnotwendig, da legitimierte<br />
3 Vgl. Barchewitz/Armbrüster 2004, S. 4 ff. für eine Beschreibung des Abgrenzungsproblems.<br />
4 Vgl. Hasse/Krücken 1999, S. 10 f.; Meyer/Rowan 1977, S. 341; Walgenbach 2001, S. 319.<br />
5 Vgl. Fligstein 1990; Meyer/Zucker 1989.
121<br />
Organisationen ihren Zufluss an Ressourcen besser sichern können als nicht<br />
legitimierte Organisationen. 6 Legitimität steht somit in einem unmittelbaren<br />
Bedingungsverhältnis zur Institutionalisierung. 7<br />
Legitimität nimmt im neoinstitutionalistischen Theoriekomplex eine zentrale<br />
Position ein. Sie ist das Produkt von Wahrnehmung, Annahmen und Bewertungen<br />
der Organisation durch die organisationale Umwelt. 8 Definiert wird<br />
Legitimität als „a generalized perception or assumption that the actions of an<br />
entity are desirable, proper, or appropriate within some socially constructed<br />
system of norms, values, beliefs, and definitions.“ 9 Bedeutsam ist hier, dass<br />
das Gesamtbild entscheidend für die Zuschreibung von Legitimität ist und<br />
einzelne Non-Konformitäten nicht unbedingt einen Legitimitätsverlust nach<br />
sich ziehen.<br />
Institutionalisierung kann gleichermaßen als Prozess und als Zustand definiert<br />
werden. 10 Die überwiegende Mehrzahl wissenschaftlicher Analysen<br />
stellt auf den Zustand der Institutionalisierung ab, den bestimmte Strukturen<br />
und Praktiken einnehmen. „Institutionalisierung als Zustand bezieht sich auf<br />
Situationen, in denen die von der Gesellschaft oder Kultur geteilte gedankliche<br />
Struktur der ‚Wirklichkeit’ bestimmt, was Bedeutung besitzt und welche<br />
Handlungen möglich sind.“ 11 Demgegenüber bezieht sich Institutionalisierung<br />
als Prozess „auf den Vorgang, durch den sich soziale Beziehungen und<br />
Handlungen zu nicht mehr hinterfragenden entwickeln“. 12 Diese Prozessbetrachtung<br />
soll im Folgenden vertieft werden.<br />
6 Vgl. Meyer/Rowan 1977, S. 340; Millonig 2002, S. 47 f.<br />
7 Vgl. Suchmann 1995, S. 576.<br />
8 Vgl. Millonig 2002, S. 47.<br />
9 Suchman 1995, S. 574. Suchman weist darauf hin, dass Legitimität und Institutionalisierung<br />
synonym zu verstehen sind (1995, S. 576). Dieser Auffassung kann nicht unbedingt<br />
gefolgt werden, denn bspw. kann bei der Mafia durchaus von einer Institution gesprochen<br />
werden, die jedoch keine Legitimität besitzt. Vgl. hierzu Jepperson 1991, S. 149.<br />
10 Vgl. Zucker 1977, S. 728.<br />
11 Walgenbach 2001, S. 321.<br />
12 Walgenbach 2001, S. 320 f.
122<br />
2.2 Der Prozess der Institutionalisierung<br />
Der Prozess der Institutionalisierung kann auf zwei unterschiedliche Weisen<br />
ablaufen. Einerseits können Interessen- und Machteinflüsse und damit verbundenes<br />
absichtsvolles Handeln zur Institutionalisierung bestimmter Zustände<br />
oder Praktiken führen, wie bspw. die Gesetzesverabschiedung. 13 Dieser<br />
Prozess allein kann jedoch nicht zur Erklärung der Herausbildung der<br />
Institution Unternehmensberatung herangezogen werden, da der Beruf Unternehmensberater<br />
in Deutschland nicht legislativ geregelt ist. 14 Auch besteht,<br />
im Gegensatz zur <strong>Recht</strong>sberatung oder <strong>Wirtschaft</strong>sprüfung, objektiv<br />
kein Grund für Unternehmen, Managementberatung in Anspruch zu nehmen.<br />
Tun sie es dennoch, folgen sie institutionalisierten Praktiken. Dieser zweite<br />
Institutionalisierungsprozess ist deshalb relevant für die Entwicklung von<br />
Unternehmensberatung.<br />
Tolbert und Zucker15 gehen im Anschluss an Berger und Luckmann16 von<br />
einem sequenziellen, dreistufigen Institutionalisierungsprozess aus, der über<br />
die Phasen Habitualisierung, Objektivierung und Sedimentation reicht. Am<br />
Beginn eines Institutionalisierungsprozesses steht eine Innovation. Diese<br />
kann eine Reaktion auf veränderte Marktkräfte, Technologien oder andere<br />
Umwelteinflüsse sein. Sie kann aber auch eine Lösung für ein spezifisches<br />
Problem einer bzw. mehrerer Organisationen sein. 17<br />
In der Phase der Habitualisierung erfolgt die Herausbildung neuer struktureller<br />
Arrangements als Reaktion auf die initiale Innovation. Kennzeichnend<br />
für diese pre-institutionalisierte Phase ist die voneinander unabhängige Formalisierung<br />
neuer Strukturen und Prozesse in einer oder mehreren Organisationen,<br />
die dem gleichen Problem ausgesetzt sind. 18<br />
13 Vgl. Hasse/Krücken 1999, S. 54.<br />
14 Vgl. Groß 2003. Damit liegt die deutsche <strong>Recht</strong>slage auf der internationalen Linie. Nur in<br />
Österreich, Malaysia und auf den Philippinen ist der Berufsstand der Unternehmensberater<br />
gesetzlich reglementiert.<br />
15 Vgl. Tolbert/Zucker 1996, S. 181.<br />
16 Vgl. Berger/Luckmann 1969.<br />
17 Vgl. Tolbert/Zucker 1996, S. 179; Walgenbach 2002, S. 178.<br />
18 Vgl. Tolbert/Zucker 1996, S. 181.
123<br />
In der semi-institutionellen Phase der Objektivierung diffundieren die neuen<br />
Strukturen und Praktiken innerhalb eines organisationalen Feldes aufgrund<br />
eines zunehmenden Konsens hinsichtlich ihres Nutzens. 19 Dieses Übereinkommen<br />
entsteht zum einen durch die Beobachtung und Wertschätzung der<br />
Auswirkung der Problemlösung durch andere Organisationen mit dem Ziel<br />
der erfolgreichen Imitation. Zum anderen können Interessengruppen die<br />
Durchsetzung der neuen Strukturen und Prozesse forcieren. 20<br />
Eine vollständige Institutionalisierung von Strukturen und Praktiken wird in<br />
der Phase der Sedimentation erreicht. Institutionalisierte Elemente genießen<br />
in diesem Zustand einen hohen Akzeptanzgrad, werden nicht mehr hinterfragt<br />
und als „taken-for-granted“ wahrgenommen. Die Verbreitung der Institution<br />
findet über Organisationsgrenzen hinaus statt und unterliegt einer<br />
großen Kontinuität. Die in dieser Phase stattfindende Imitation basiert nicht<br />
mehr auf Effizienz- sondern auf Legitimitätsgewinnen. 21<br />
Der hiermit skizzierte Institutionalisierungsprozess dient im Folgenden als<br />
Basis für die Rekonstruktion und Überprüfung der Institutionalisierung von<br />
Unternehmensberatung.<br />
3 Die Institutionalisierung der Unternehmensberatung<br />
„Es ist unmöglich, eine Institution ohne den historischen Prozeß, der sie<br />
heraufgebracht hat, zu begreifen.“ 22 Deshalb soll in diesem Abschnitt der<br />
Institutionalisierungsprozess in historischer Rekonstruktion der Entwicklung<br />
der Managementberatung untersucht werden.<br />
3.1 Auslöser der Entwicklung einer neuen Branche<br />
Ihren Ursprung hat die Unternehmensberatung in den Vereinigten Staaten<br />
von Amerika. Ein häufig genannter Ausgangspunkt der Entwicklung ist die<br />
Gründung des weltweit ersten Beratungsunternehmens im Jahr 1886 durch<br />
19 Vgl. Tolbert/Zucker 1996, S. 182 f.<br />
20 Hierbei handelt es sich um die sog. Institutional Entrepreneurs. Vgl. DiMaggio 1988.<br />
21 Vgl. Millonig 2002, S. 44.<br />
22 Berger/Luckmann 1969, S. 58.
124<br />
Arthur D. Little, dessen Angebote sich allerdings zunächst auf technologische<br />
Beratungsleistungen beschränkten. 23 Aber schon vor diesem Datum<br />
entwickelten sich ähnliche Beratungsunternehmen als Folge der sich etablierenden<br />
industriellen Massenfertigung. 24 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
setzte sich das so genannte Scientific Management in den USA<br />
zunehmend durch. Frederic W. Taylor, der Protagonist dieser Bewegung,<br />
stellte insbesondere die Arbeitsrationalisierung in den Vordergrund und auf<br />
diese Weise wurden die ersten betriebswirtschaftlichen Rationalisierungsprozesse<br />
implementiert. Ein Gerichtsverfahren legitimierte im Jahre 1911<br />
das Scientific Management und die Arbeit von Taylor, indem es die Preispolitik<br />
der Eisenbahngesellschaften als Folge eines Missmanagements darstellte,<br />
das mit Hilfe des Scientific Managements nicht zustande gekommen<br />
wäre. Dabei war nicht das Urteil sondern die öffentliche Diskussion in den<br />
Medien der Faktor, der dem Managementansatz zu großer Popularität verhalf<br />
und in vielen Unternehmen ein „Effizienz-Fieber“ auslöste. 25 Die Durchsetzung<br />
des Scientific Managements und die dadurch ausgelösten Veränderungen<br />
in der Führung von Unternehmen waren für die Entwicklung der Beratungsbranche<br />
bedeutsam. Allmählich wuchs die Zahl der Unternehmer und<br />
Manager, die Beratungsleitungen in Anspruch nahmen. 26 Neben den Beratungsleistungen<br />
des Scientific Managements gab es noch einen zweiten auslösenden<br />
Faktor.<br />
Die großen Banken des späten 19. und des frühen 20. Jahrhunderts, insbesondere<br />
der Wall Street-Banker John P. Morgan, boten Ihren Kunden eine<br />
Vielzahl von Beratungsleistungen an, die nicht nur auf rein finanzielle Fragestellungen<br />
begrenzt waren. Der Einfluss der Banken in den Führungsetagen<br />
der großen amerikanischen Unternehmen war bedeutend und kam dem<br />
heutigen Verständnis von Managementberatung schon näher. 27 In beiden<br />
Fällen kann aber noch nicht vom unmittelbaren Beginn des Institutionalisierungsprozesses<br />
von Managementberatung gesprochen werden, da sich die<br />
23 Vgl. Faust 2000, S. 64; Fink 2004, S. 4.<br />
24 Vgl. Heuermann/Herrmann 2003, S. 26 f.<br />
25 Vgl. Kieser 2002a, S. 83 f.<br />
26 Vgl. Kipping 2002a, S. 30.<br />
27 Vgl. McKenna/Djelic/Ainamo 2003, S. 85 ff.
125<br />
Dienstleistungen kaum auf betriebswirtschaftliche Fragen der Unternehmensführung<br />
konzentrierten.<br />
Auch in Deutschland boten im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts Ingenieure<br />
ihre Beratungsdienstleistungen für Unternehmen an. Damit folgten sie<br />
den Prinzipien des Scientific Managements, das in Deutschland als wissenschaftliche<br />
Betriebsberatung oder Betriebswissenschaft bezeichnet wurde. 28<br />
1903 wurde der Verein beratender Ingenieure gegründet, dessen Aktivitäten<br />
jedoch auf technische Beratungsleistungen begrenzt blieben. 29 Tayloristische<br />
Ansätze wurden aber nicht von Beginn an akzeptiert. Erst mit der deutschen<br />
Übersetzung von Taylors „Principles of Scientific Management“ 1913 fand<br />
eine breitere Diskussion des Managementansatzes, sowie eine Anpassung an<br />
die Werte deutscher Unternehmensführung, statt. 30 Daneben stellte das Revisions-<br />
und Treuhandwesen eine weitere Grundlage der Entwicklung von<br />
Unternehmensberatung in Deutschland dar. Ab 1884 wurde durch eine Gesetzesänderung<br />
die Bedeutung der Bücherrevisoren gestärkt und bewirkte<br />
einen Aufschwung der Branche, der bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs<br />
anhielt. 31<br />
Die zeitlichen und inhaltlichen Wurzeln der US-amerikanischen und deutschen<br />
Beratungstätigkeiten weisen damit einige Gemeinsamkeiten auf.<br />
Schon die Impulse des Scientific Managements wurden internationalisiert, in<br />
Deutschland aufgegriffen und zur Anwendung gebracht.<br />
3.2 Habitualisierung von Unternehmensberatung<br />
McKenna konstatiert, dass „it wasn’t until the 1930s that management consulting<br />
firms grew beyond a few founding partners and established branches<br />
in new cities”. 32 Der Institutionalisierungsprozess begann in den USA mit<br />
der Phase der Habitualisierung in den späten 1920er bzw. frühen 30er Jahren.<br />
Dabei können zwei wichtige Impulse der Entwicklung unterschieden<br />
werden.<br />
28 Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 143 f.<br />
29 Vgl. Kipping 1997, S. 69.<br />
30 Vgl. Kieser 2002a, S. 87 f.<br />
31 Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 145 f.<br />
32 McKenna 1995, S. 54.
126<br />
Einerseits wurde aus der Branche der bereits beschriebenen Beratungsunternehmen<br />
des Scientific Managements mit der Gründung des weltweit ersten<br />
Unternehmensberatungsverbandes ein richtungweisender Impuls gesendet.<br />
Im Jahr 1929 wurde die Association of Consulting Management Engineers<br />
(ACME) gegründet. 33 Die Bezeichnung „Engineers“ zeugte von den Wurzeln<br />
und einer vorwiegend technokratischen Ausrichtung der Beratungsbranche.<br />
Erst nach der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren rückten verstärkt<br />
betriebswirtschaftliche Beratungsleistungen in den Fokus der Beratungsunternehmen,<br />
die sich mit der Führung und der Organisation von Unternehmen<br />
befassten. Die Branche erlebte einen ersten signifikanten Aufschwung.<br />
34 Hunderte großer amerikanischer Unternehmen fragten in den<br />
30er Jahren Beratung nach, die sich mit Themen wie der Unternehmensstrategie,<br />
der Organisationsstruktur oder der Finanzierung beschäftigten. 35 In der<br />
Beratungsbranche selbst nahm der Grad einer professionellen Berufsauffassung<br />
zu. Ein wesentlicher Wegbereiter dieser Professionalisierungsbestrebung<br />
war Marvin Bower, der 1933 zu McKinsey kam und juristische Professionsprinzipien<br />
auf das Beratungsunternehmen und den Beruf des Unternehmensberaters<br />
übertrug. 36 Die ACME verfolgte ebenfalls eine Professionalisierungsstrategie<br />
der Beratungsunternehmen, indem sie einen ethischen<br />
Verhaltenskodex entwickelte, einen Qualifikationsstandard definierte und<br />
Arbeitsleitlinien für Berater erstellte. 37 Ebenso rückten die Unternehmensberater<br />
zunehmend in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit. 1930<br />
erschien im Magazin Business Week ein viel beachteter Beitrag, der die Leser<br />
über die sich entwickelnde Branche der Management Consultants informierte<br />
und ihre Bedeutung in einer zunehmend komplexeren Geschäftswelt<br />
herausstellte. 38<br />
Andererseits wurde der erste Aufschwung und der Beginn der Institutionalisierung<br />
maßgeblich von einem zweiten, branchenexternen Impuls unter-<br />
33 Später wurde die ACME umbenannt in Association of Management Consulting Firms<br />
(AMCF), wie sie auch heute noch heißt.<br />
34 Vgl. Kipping 2002a, S. 30f.; McKenna 1995, S. 54.<br />
35 Vgl. McKenna 1995, S. 54.<br />
36 Vgl. Fink 2004, S. 7; Fink/Knoblach 2003, S. 72 ff.<br />
37 Vgl. Ruef 2002, S. 76 f.<br />
38 Vgl. Fink 2004, S. 4; McKenna 2001, S. 673.
127<br />
stützt; einer modifizierten Gesetzeslage der Vereinigten Staaten in Form des<br />
Glass-Steagall Banking Act. Zu diesem Schluss kommen auch McKenna,<br />
Djelic und Ainamo: „The consulting industry as we know it was born in the<br />
United States during the 1930s, partly as an unintended consequence of the<br />
Glass Steagall Act.“ 39 Als Reaktion auf den Börsencrash vom Oktober 1929<br />
erließen die USA 1933 ein neues Gesetz, dass dem Bankenwesen eine Trennung<br />
von Investment- und Geschäftsbanken vorschrieb sowie ein Verbot der<br />
Durchführung von Nicht-Bank-Aktivitäten beinhaltete. Die bis dahin von<br />
vielen Banken durchgeführten betriebswirtschaftlich orientierten Beratungsleistungen<br />
wurden nun von selbstständigen Beratungsunternehmen angeboten.<br />
40 Faust spricht in diesem Zusammenhang von einer „nicht-intendierte[n]<br />
Folge institutioneller Reformen.“ 41 So fand die Inanspruchnahme von Managementberatung<br />
zunehmend Verbreitung in den amerikanischen Unternehmen<br />
der 1930er und 40er Jahre. 42<br />
In Deutschland begann die Phase der Habitualisierung auf ähnlichem Wege,<br />
allerdings etwas früher als in den Vereinigten Staaten und das Verbandswesen<br />
spielte eine dominantere Rolle. 1921 wurde das Reichskuratorium für<br />
<strong>Wirtschaft</strong>lichkeit (RKW) gegründet, um die Effizienz von Produktionsprozessen<br />
zu verbessern. Zwar diente es nicht unmittelbar der Verbreitung des<br />
Scientific Management, jedoch war es als Dachorganisation für viele Tätigkeiten<br />
der Rationalisierungsbewegung bedeutsam und diente auf diese Weise<br />
auch der Verbreitung neuer Methoden. 43 Nach dem Ersten Weltkrieg und der<br />
Depression war Ende der 1920er Jahre und insbesondere ab 1931 der Bedarf<br />
in der <strong>Wirtschaft</strong> für Kostenkontrolle und Methoden der Organisation groß.<br />
Neben den beratenden Ingenieuren traten zunehmend Betriebswirte in den<br />
Beratungsmarkt ein und boten ihre Dienstleistungen an. Dies trieb die Ingenieure<br />
dazu, ihr Portfolio auch auf betriebswirtschaftliche Beratungsleistungen<br />
auszuweiten. 44 Allerdings wurde das Beratungsgeschäft bis nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg weiter vom RKW und den effizienzlastigen Beratungs-<br />
39 McKenna/Djelic/Ainamo 2003, S. 100.<br />
40 Vgl. McKenna 1995, S. 54 f.<br />
41 Faust 2000, S. 70.<br />
42 Vgl. McKenna/Djelic/Ainamo 2003, S. 100.<br />
43 Vgl. Kipping 1997, S. 70 f.<br />
44 Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 147 f.
128<br />
leistungen des Scientific Management bestimmt. 45 Auch war die Größe des<br />
Beratungsmarktes noch nicht mit dem der Vereinigten Staaten vergleichbar.<br />
Die Gründe hierfür liegen vorwiegend in einer anderen Managementkultur<br />
der Klientenunternehmen. 46<br />
Neben den obigen Gründen spielten auch in Deutschland legislative Impulse<br />
eine wichtige Rolle für die Entwicklung von Unternehmensberatung. 1931<br />
wurde das bestehende Revisions- und Treuhandwesen mittels Gesetzesänderungen<br />
reformiert. Der Beruf des <strong>Wirtschaft</strong>prüfers entstand und aufgrund<br />
der engen Verflechtung mit den Klientenunternehmen gehörten bald auch<br />
betriebswirtschaftliche Beratungsleistungen zum Angebot der noch jungen<br />
Branche. 47<br />
3.3 Objektivierung von Unternehmensberatung<br />
Der Übergang von der pre-institutionalisierten Phase der Habitualisierung<br />
zur Phase der Objektivierung erfolgte fließend. Dabei setzte diese Phase in<br />
den USA früher als in Deutschland ein.<br />
Im Zweiten Weltkrieg waren viele Unternehmensberatungen für die US-<br />
Regierung und deren militärische Einrichtungen aktiv. Neben den Erfolgen<br />
der Branche in den vorigen zwei Dekaden war diese Situation eine Signalwirkung<br />
die dazu führte, dass sich Manager immer mehr die Frage stellten,<br />
welche Vorteile der Einsatz von Unternehmensberatern für den eigenen<br />
Betrieb bringt. 48 In den 1950er Jahren begann in den USA die Phase der<br />
Objektivierung. Der Einsatz von Unternehmensberatern in der <strong>Wirtschaft</strong><br />
nahm genauso zu, wie die Anzahl der Beratungsunternehmen. So wurde es in<br />
den 1950er Jahren für die Beratungsfirmen zu einem ernsten Problem, entsprechend<br />
viele, geeignete Berater einzustellen. Aus dieser Zeit stammt die<br />
45 Vgl. Kipping 1997, S. 73 ff.<br />
46 Der „kooperative“ Kapitalismus in Zentraleuropa fördert die Institutionalisierung externer<br />
Managementberatung nicht so stark wie der „Konkurrenzkapitalismus“ in den USA und<br />
Großbritannien, wo die Kommunikation von „best practices“ stärker über Berater als über<br />
bspw. Arbeitgeber- und <strong>Wirtschaft</strong>sverbände, wie in Zentraleuropa der Fall, stattfindet.<br />
Vgl. Faust 2000, S. 74 f.<br />
47 Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 148 f.<br />
48 Vgl. Brown 1943, S. 183.
129<br />
noch heute gängige Praxis, in großem Umfang talentierte Hochschulabsolventen<br />
zu rekrutieren. 49<br />
Zu Beginn der 1960er Jahre begannen die großen US-Beratungsgesellschaften<br />
ihre Internationalisierungsbestrebungen voran zu treiben und ihren multinationalen<br />
Klientenunternehmen auf die europäischen Märkte zu folgen.<br />
Der Einsatz von Managementberatungen bei erfolgreichen US-Konzernen<br />
und die Kommunikation von „best practices“ als Quelle von Wettbewerbsvorteilen<br />
sorgten bald darauf in Europa für eine verstärkte Inanspruchnahme<br />
von Beratungsdienstleistungen. 50 Schon Mitte der 1960er Jahre dominierten<br />
die großen US-Beratungen weltweit den Markt für Unternehmensberatung. 51<br />
Von dieser Zeit an wurde von einer internationalisierten Branche gesprochen:<br />
„Seit Beginn der 60-er Jahre kann die Entwicklung der Beratung im<br />
anglo-amerikanischen Raum und im kontinental-europäischen Raum kaum<br />
mehr voneinander getrennt betrachtet werden, haben doch in Europa viele<br />
amerikanische Beratungsgesellschaften Niederlassungen eröffnet oder kooperieren<br />
mit europäischen Beratungsgesellschaften.“ 52 In der gleichen Dekade<br />
weiteten die großen <strong>Wirtschaft</strong>sprüfungsgesellschaften, die schon international<br />
tätig waren, ihr Dienstleistungsportfolio aus und nutzten ihre<br />
engen Kontakte zu Klientenunternehmen, um in den Markt für Managementberatung<br />
einzutreten. 53 Es setzte eine regelrechte Amerikanisierung der<br />
Unternehmensberatung ein.<br />
In Deutschland erlebte die Beratungsbranche in der Nachkriegszeit ebenfalls<br />
einen signifikanten Nachfragezuwachs. Der Wiederaufbau der deutschen<br />
<strong>Wirtschaft</strong> und die Wiederaufnahme der Exporttätigkeiten zwangen die Unternehmen,<br />
sich mit den Anforderungen wettbewerbsorientierter Unternehmensführung<br />
zu beschäftigen. Dazu wurde vermehrt auf die Leistungen von<br />
Unternehmensberatern zurückgegriffen. 54 Ab Mitte der 1950er Jahre schlug<br />
sich die gestiegene Bedeutung der Berater auch in der Gründung eines Ein-<br />
49 Vgl. McKenna/Djelic/Ainamo 2003, S. 87 f.; Ruef 2002, S. 86.<br />
50 Vgl. Kipping/Sauviat 1996, S. 10 ff.<br />
51 Vgl. McKenna 2001, S. 675.<br />
52 Stutz 1988, S. 87. Ebenso sprechen von einer internationalisierten Branche Kipping/Sauviat<br />
1996, S. 1; McKenna/Djelic/Ainamo 2003, S. 101.<br />
53 Vgl. Saint-Martin 2000, S. 44.<br />
54 Vgl. Kipping 1997, S. 76.
130<br />
fluss nehmenden Verbandes nieder. 1954 wurde der Bund Deutscher Unternehmensberater<br />
(BDU) gegründet. Der BDU trug wesentlich zur Etablierung<br />
des Begriffs „Unternehmensberatung“ im deutschsprachigen <strong>Wirtschaft</strong>sraum<br />
bei und sorgte für ein stärkeres öffentliches Bewusstsein für diese<br />
Dienstleistungsbranche. Es entstand das Berufsbild des Unternehmensberaters.<br />
55 Allerdings waren bis zum Beginn der 1960er Jahre die Beratungsunternehmen<br />
fast ausnahmslos kleine Gesellschaften und das RKW, mittlerweile<br />
umbenannt in Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen <strong>Wirtschaft</strong>,<br />
dominierte weiterhin die Beratungsthemen sowie die öffentliche Wahrnehmung<br />
der Beraterbranche. 56 In den Boomjahren der 1960er Jahre wuchs das<br />
Beratungsgeschäft sprunghaft und die Internationalisierungsbestrebungen der<br />
großen US-Beratungen sorgten dafür, dass die amerikanischen Managementansätze<br />
als Beratungskonzepte auch in deutschen Unternehmen Einzug hielten.<br />
57 Dabei nahmen die Beratungsfirmen die wichtige Position ein, die<br />
amerikanischen Managementansätze den europäischen Gegebenheiten anzupassen<br />
und auf diese Weise wirkungsvoller zu verbreiten. 58 In diese Jahre<br />
fällt auch die Gründung der größten und erfolgreichsten deutschen Beratungsfirma<br />
Roland Berger Strategy Consultants. 59 Auch der noch junge<br />
BDU trug der internationalisierten Beratungsbranche Rechnung, indem er<br />
sich 1960 an der Gründung des europäischen Verbandes Federation Européenne<br />
des Associations de Conseils en Organisation (FEACO) beteiligte. 60<br />
Bemerkenswert ist allerdings, dass deutsche Beratungen kaum Bestrebungen<br />
nachgingen, ins Ausland zu expandieren. 61<br />
55 Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 151 ff. 1973 benannte sich der Verband in Bundesverband<br />
Deutscher Unternehmensberater um und ist bis heute der bedeutendste Berufsverband der<br />
Branche.<br />
56 Vgl. Kipping 1997, S: 76 f.<br />
57 Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 154; Gerybadze 1991, S. 40.<br />
58 Vgl. Bjarnar/Kipping 1998, S. 4 f. Die Autoren identifizieren die Managementberater als<br />
einen wesentliches Medium zur länderübergreifenden Verbreitung amerikanischer Managementpraktiken.<br />
Sie sehen diesen Transfer schon im Marshall-Plan begründet.<br />
59 Vgl. Fink/Knoblach 2003, S. 100-107.<br />
60 Vgl. Elfgen/Klaile 1987, S. 154.<br />
61 Vgl. Kipping/Sauviat 1996, S. 18. Die Gründe hierfür sehen die Autoren darin, dass auch<br />
die deutschen Klientenunternehmen bis weit in die 1970er Jahre hinein nur wenige Internationalisierungsbestrebungen<br />
verfolgten. Weitere Gründe sind sprachliche und kulturelle<br />
Barrieren sowie die Vorherrschaft der US-Beratungen (eda, S. 21 f.).
131<br />
Ab den 1970er Jahren fand eine zunehmende Differenzierung auf dem Beratungsmarkt<br />
statt. Junge, hoch spezialisierte Beratungsgesellschaften etablierten<br />
sich im Markt und sorgten für eine weitere Steigerung des Marktvolumens<br />
und eine Erhöhung des Einflusses der Beratungsunternehmen. 62 In<br />
dieser Zeit expandierte das damals noch junge Beratungsunternehmen Boston<br />
Consulting Group nach Deutschland und die heute renommierte Strategieberatung<br />
Bain & Company wurde gegründet. 63<br />
In den 1980 Jahren verdichteten sich die Anzeichen einer Sedimentation. Die<br />
Umsätze der Berater nahmen deutlich zu und die Unternehmensberatungen<br />
dehnten ihren Einfluss in der <strong>Wirtschaft</strong> zunehmend aus. 64 Diese Zeit war<br />
gekennzeichnet durch eine zunehmende Globalisierung der Weltwirtschaft.<br />
Ebenso veränderten sich die großen transnationalen Unternehmen und deren<br />
Bedarfe an Wissensproduktion für die Lösung komplexer Probleme. Bereits<br />
international aufgestellte Unternehmensberatungen konnten diese Märkte<br />
aufgrund ihrer Erfahrung und den bestehenden internationalen Netzwerken<br />
entsprechend bedienen. 65 Vor diesem Hintergrund ließ sich auch das Erscheinen<br />
von Managementbestsellern, die zu erheblichen Teilen von Beratern<br />
verfasst wurden, erklären. 66 Ab Mitte der 1980er Jahre nahm der Einfluss<br />
dieser beraterinduzierten Managementkonzepte deutlich zu. Aus Sicht<br />
neo-institutionalistischer Ansätze bedienten Managementmoden die von<br />
außen an das Management herangetragenen Rationalitäts- und Effizienzerwartungen.<br />
„It is not so much the validity or proven effectiveness of ideas or<br />
techniques, but that they are seen to be plausible because they capture the<br />
‘spirit of the times’.“ 67 International tätige Unternehmensberatungen konnten<br />
sich so in den 80er Jahren schon einen Reputationsvorsprung verschaffen.<br />
68<br />
62 Vgl. Heuermann/Herrmann 2003, S. 29.<br />
63 Vgl. Fink/Knoblach 2003, S. 98, 125.<br />
64 Vgl. Ernst/Kieser 2002, S. 56; Faust 2000, S. 63, 75.<br />
65 Vgl. Faust 2000, S. 76.<br />
66 Das erste und weltweit erfolgreiche Werk dieser Art erschien 1982: In Search of Excellence<br />
der McKinsey-Berater Peters/Waterman (1982).<br />
67 Sturdy 1997, S. 400.<br />
68 Vgl. Faust 2000, S. 76.
132<br />
3.4 Sedimentation von Unternehmensberatung<br />
Die Sedimentation, d.h. die vollständige Institutionalisierung und Legitimation<br />
der Managementberatung wurde Ende der 1980er Jahre erreicht. Diese<br />
These lässt sich mit Hilfe unterschiedlicher Indikatoren untermauern.<br />
Seit dieser Zeit beschleunigte sich das Wachstum des Beratungsmarktes in<br />
beispielloser Weise. 69 In den Jahren zwischen 1990 und 1995 wuchs der<br />
weltweite Beratungsmarkt durchschnittlich um 7,8 Prozent von 35 auf 51<br />
Mrd. Euro, zwischen 1995 und 2000 beschleunigte sich dann das Wachstum<br />
auf durchschnittlich 17,5 Prozent und ein Marktvolumen von 114 Mrd. Euro<br />
im Jahr 2000. 70 Zwischen 1980 und 1997 erhöhte sich die Zahl der Beratungsunternehmen,<br />
die mehr als 1000 Berater beschäftigten, von unter fünf<br />
auf über dreißig. 71 In den späten 1990er Jahren traten bis zu 40 Prozent der<br />
Absolventen von US-Eliteuniversitäten eine Anstellung in einer Managementberatung<br />
an. 72 Auch in Deutschland wuchs der Beratungsmarkt von<br />
4,5 Mrd. Euro 1990 auf 7,2 Mrd. Euro 1995. Bis zum Jahr 2000 beschleunigte<br />
sich das Wachstum nochmals auf ein Marktvolumen von 12,2 Mrd.<br />
Euro. 73 Und auch in Deutschland wuchs die Attraktivität der Beratungsunternehmen<br />
als Arbeitgeber für Universitätsabsolventen. Mitte der 1990er<br />
Jahre führten die Beratungsgesellschaften McKinsey & Company, Boston<br />
Consulting Group und Andersen Consulting regelmäßig die Rangliste der<br />
Wunscharbeitgeber an. 74 Das Wachstum des Beratungsmarktes und die<br />
wirtschaftliche Bedeutung der Unternehmensberater nahmen in den 1990er<br />
Jahre in einem Ausmaß zu, dass Ernst und Kieser von einer „Beratungsexplosion“<br />
75 sprachen. Beratung war zur Selbstverständlichkeit geworden, es<br />
gab fast kein Unternehmen, das nicht auf externe Ratgeber zurückgriff. „Sich<br />
professionellen Helfern oder Wissensexperten anzuvertrauen, gilt heute als<br />
Hinweis auf einen instrumentell rationalen und ‘vernünftigen’ Umgang mit<br />
69 Vgl. Fincham/Clark 2002, S. 3.<br />
70 Vgl. Schwenker 2004, S. 68.<br />
71 Vgl. Canbäck 1998, S. 4.<br />
72 Vgl. Ruef 2002, S. 79.<br />
73 Vgl. BDU 2003, S. 4.<br />
74 Vgl. Sperling/Ittermann 1998, S. 54.<br />
75 Ernst/Kieser 2002, S. 56.
133<br />
eigenen Ressourcen, Interessen und Zielen.“ 76 Evident wird der taken-forgranted-Status<br />
auch an der Gegebenheit, dass kein Unternehmen <strong>–</strong> anders als<br />
bspw. bei <strong>Wirtschaft</strong>sprüfern <strong>–</strong> gezwungen ist, Managementberater in Anspruch<br />
zu nehmen; es geschieht freiwillig. 77<br />
Die Anerkennung der Institution Unternehmensberatung war aber nicht auf<br />
einen engen Kreis von Insidern begrenzt. Auch in der Öffentlichkeit existierte<br />
ein Bild über die Branche der „Propheten der Effizienz“. 78 Unternehmensberater<br />
wurden als „neue Elite“ 79 gefeiert und es wurde von einer „von<br />
Beratungsgesellschaften beratene Gesellschaft“ 80 gesprochen. Dabei war das<br />
Bild der Berater in der Öffentlichkeit durchaus ambivalent. Zwar galten<br />
Unternehmensberater gemeinhin als überaus qualifiziert und effizient, aber<br />
genauso wurde ihnen unterstellt, ein kompromissloses Profitdenken zu fördern<br />
und Arbeitsplätze zu vernichten. 81 Ganz besonders die großen, einflussreichen<br />
Beratungen standen dabei nicht nur stellvertretend für ihre Branche,<br />
sondern für die Auswüchse des modernen <strong>Wirtschaft</strong>slebens. So bezeichnete<br />
Kurbjuweit bspw. die „Diktatur der Ökonomie“ in unserem gesellschaftlichen<br />
Zusammenleben als „McKinsey-Gesellschaft“. 82 Auch das Theaterstück<br />
„McKinsey kommt“ 83 von Hochhuth bediente sich des Namens der<br />
weltweit erfolgreichen Managementberatung, um das in der Öffentlichkeit<br />
herrschende Bild der Berater zum Zwecke der Systemkritik zu benutzen.<br />
Allerdings konnte auch dieses teilweise kritische Bild von Unternehmensberatung<br />
nicht darüber hinweg täuschen, dass sich Berater einer großen<br />
Glaubwürdigkeit erfreuten, die der Wissenschaft in vielen Bereichen den<br />
Rang ablief. In <strong>Wirtschaft</strong>smagazinen wurden bevorzugt Berater befragt und<br />
76 Eiben/Krekel/Saurwein 1996, S. 224.<br />
77 Vgl. Wooldridge 1997, S. 3 f.<br />
78 Kurbjuweit 1996.<br />
79 Deutschmann 1994.<br />
80 Nicolai 2000, S. 228.<br />
81 Vgl. Heuermann/Herrmann 2003, S. 417 ff.; Sperling/Ittermann, S. 48.<br />
82 Kurbjuweit 2003.<br />
83 Hochhuth 2003.
134<br />
die Politik vergab Aufträge zur Anfertigung von Studien ebenfalls an Unternehmensberatungen.<br />
84<br />
Das Phänomen Unternehmensberatung war aber nicht nur Konkurrenz der<br />
Wissenschaft, sondern hat auch als Forschungsobjekt Einzug gehalten. Im<br />
deutschsprachigen Raum nahmen die wissenschaftlichen Veröffentlichungen<br />
zum Thema Unternehmensberatung in den 1980er Jahren zu. 85 Ab 1990 ist<br />
ein sprunghafter Anstieg der Veröffentlichungen zu beobachten, der zwar<br />
zyklisch verläuft, jedoch einem klaren Wachstumstrend folgte. 86 Dabei<br />
reicht das Spektrum der Veröffentlichungen von praxisorientierten Artikeln,<br />
die kaum einen wissenschaftlichen Abstraktionsgrad besitzen, bis hin zu<br />
qualifizierten Arbeiten, die ein fundiertes Aussagesystem und ein hohes<br />
Abstraktionsniveau aufweisen. 87 Neben der Forschung haben die Universitäten<br />
auch in der Lehre reagiert und bieten entsprechend fokussierte Studiengänge<br />
an. So nahm bspw. die Universität Halle-Wittenberg 2002 den Lehrbetrieb<br />
für das Studienfach „beratungsorientierte Betriebswirtschaftslehre/<br />
Consulting“ auf und an der Universität Oldenburg wurde 2004 die Juniorprofessur<br />
„Business Consulting“ besetzt.<br />
4 Bedeutung des Institutionen-Status für die<br />
Unternehmensberatung<br />
Mit der Institutionalisierung hat sich die Managementberatung als Lieferant<br />
wissensintensiver Dienstleistungen in der <strong>Wirtschaft</strong> etabliert. Dies betrifft<br />
allerdings nicht jedes Beratungsunternehmen. Insbesondere kleine Beratungen,<br />
die von der Anzahl her den Großteil des Beratungsmarktes ausmachen,<br />
können nicht in gleicher Weise am Markt partizipieren. Eine überschaubare<br />
Zahl großer Beratungen teilt den Markt unter sich auf. 88 Der Reputationsvorsprung<br />
dieser fokalen Organisationen ist für kleine Unternehmen kaum auf-<br />
84 Vgl. Kieser 2002b, S. 2 ff.<br />
85 Vgl. Steyrer 1991, S. 3.<br />
86 Vgl. Mohe 2004, S. 694. Bei Mohe findet sich auch eine tabellarische Aufstellung der<br />
Beiträge zur deutschsprachigen empirischen Beratungsforschung der Jahre 1991 bis 2003.<br />
87 Vgl. Steyrer 1991, S. 4.<br />
88 Vgl. BDU 2005, S. 8; Sperling/Ittermann 1998, S. 21ff.
135<br />
zuholen. Dies trifft in besonderem Maße auf die internationalen Erfahrungen<br />
der großen Managementberatungen zu. 89 Aufgrund ihrer eigenen Institutionalisierung<br />
hat die Managementberatung einen Legitimitätsstatus erreicht,<br />
der sich nun auch übertragen lässt. Managementberatung ist zu einer der<br />
wichtigsten Legitimationsquellen für das Management geworden. Dabei geht<br />
es nicht mehr nur um die Bearbeitung organisaionaler Probleme: “Consulting<br />
is employed not only to elaborate and solve problems, but also to legitimize<br />
corporate chance among shareholders and the public [...].” 90 Die Berater<br />
beglaubigen auf diese Weise die an Manager herangetragenen Rationalitätserwartungen.<br />
91 Noch kritischer wird der Einfluss der Berater in der<br />
Soziologie gesehen. So konstatiert Deutschmann: „Die ‚Reflexionselite’, so<br />
hat es den Anschein, predigt nicht länger nur in den produktionsfernen Sphären<br />
der Universität, der Schulen, der Medien, sie hat sich mitten in der Produktionssphäre<br />
selbst eingenistet und übt dort eine durchdringende Herrschaft<br />
über die Symbolwelt aus“. 92 Diese These wird begründet mit dem<br />
Einfluss der Berater auf die <strong>Wirtschaft</strong>ssprache, das Selbstbild und die<br />
Selbstdarstellung der Mehrzahl von Unternehmen. 93<br />
Die institutionalisierte Stellung bedeutet aber nicht, dass es für Unternehmensberatung<br />
eine Erfolgsgarantie gibt. Angesichts der zunehmenden kritischen<br />
Meldungen über Unternehmensberatung wird von einer Krise gesprochen,<br />
in der sich die Beratungsbranche seit Mitte 2001 befinde. 94 Tatsächlich<br />
geraten immer mehr gescheiterte Beratungsprojekte an die Öffentlichkeit<br />
und die Kritik an den Beratern hat sich verschärft.<br />
5 Schlussbemerkung<br />
In diesem Beitrag konnte gezeigt werden, dass aus wissenschaftlicher Sicht<br />
berechtigt von einer Institution Managementberatung gesprochen werden<br />
89 Vgl. Faust 2000, S. 76.<br />
90 Glückler/Armbrüster 2003, S. 285.<br />
91 Vgl. Faust 1998, S. 166.<br />
92 Deutschmann 1993, S. 61.<br />
93 Vgl. Deutschmann 1993.<br />
94 Vgl. Kipping 2002b, S. 269.
136<br />
kann. Die fundamentalen Entwicklungsschritte begannen mit den Gesetzesänderungen<br />
des Glass-Steagall Acts im Jahre 1933, aus denen die heutige<br />
Managementberatung hervorgegangen ist. 95 In den 1960er Jahren förderte<br />
daraufhin insbesondere die Internationalisierung der großen amerikanischen<br />
Beratungsunternehmen auch in Deutschland die Etablierung dieser Branche.<br />
Einige Autoren sehen darin sogar den konstituierenden Faktor für den deutschen<br />
Beratungsmarkt. 96 Die Unternehmensberatung in ihrer heutigen Ausprägung<br />
besitzt aufgrund ihrer Institutionalisierung ein Legitimationskapital,<br />
aus dem sie ihren wirtschaftlichen Erfolg generieren kann. Inwieweit die<br />
zunehmende Kritik der letzten Jahre die Institution angreift und möglicherweise<br />
eine De-Institutionalisierung 97 einleiten kann, bleibt dabei allerdings<br />
noch abzuwarten. In jedem Fall aber ist die Institutionalisierung von<br />
Unternehmensberatung weiterhin ein aktuelles Thema, auch wenn die Fragen<br />
in Zukunft in Richtung eines strategischen Managements des institutionellen<br />
Kontextes bzw. die Rahmenbedingungen eines institutionellen Wandels<br />
gehen sollten.<br />
95 Vgl. McKenna 1995; McKenna/Djelic/Ainamo 2003, S. 100.<br />
96 Vgl. Gerybadze 1991, S. 40; Kipping 1996.<br />
97 Vgl. Oliver 1992.
Literatur<br />
137<br />
Barchewitz, C./Armbrüster, T. (2004): Unternehmensberatung: Marktmechanismen,<br />
Marketing, Auftragsakquisition, Wiesbaden.<br />
BDU (2003): Facts & Figures zum Beratermarkt 2002, Bonn.<br />
Berger, P./Luckmann, T. (1969): Die gesellschaftliche Konstruktion der<br />
Wirklichkeit: eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a.M.<br />
Bjarnar, O./Kipping, M. (1998): The Marshall Plan and the transfer of US<br />
management models to Europe, in: Kipping, M./Bjarnar, O. (Hrsg.):<br />
The Americanisation of European business: The Marshall Plan and the<br />
transfer of US management models, London, 1-17.<br />
Brown, T. (1943): The business consultant, in: Havard Business Review,<br />
Vol. 21, Nr. 3, 183-189.<br />
Canbäck, S. (1998): The Logic of Management Consulting: Part One. Henley<br />
Management College 1998.<br />
Deutschmann, C (1993): Unternehmensberater <strong>–</strong> eine neue „Reflexionselite“?,<br />
in: Müller-Jentsch, W. (Hrsg.): Profitable Ethik <strong>–</strong> effiziente<br />
Kultur: Neue Sinnstiftung durch das Management?, München.<br />
Deutschmann, C. (1994): Unternehmensberatung: Eine neue Elite, in: GDI<br />
Impuls, Nr. 1, 15-22.<br />
DiMaggio, P. (1988): Interest and agency in institutional theory, in: Zucker,<br />
L. (Hrsg.): Institutional patterns and organizations: culture and environment,<br />
Cambridge, 3-32.<br />
Eiben, J./Krekel, E./Saurwein, K. (1996): Soziologische Beratung im Alltag,<br />
in: Sozialwissenschaften und Berufspraxis, 19. Jg., Nr. 3, 223-241.<br />
Elfgen, R./Klaile, B. (1987): Unternehmensberatung: Angebot, Nachfrage,<br />
Zusammenarbeit. Stuttgart.<br />
Ernst, B./Kieser, A. (2002). Versuch, das unglaubliche Wachstum des Beratungsmarktes<br />
zu erklären, in: Schmidt, R./Gergs, H./Pohlmann, M.<br />
(Hrsg.): Managementsoziologie: Themen, Desiderate, Perspektiven,<br />
München, 56-85.<br />
Faust, M. (1998): Die Selbstverständlichkeit der Unternehmensberatung, in:<br />
Howaldt, J./Kopp, R. (Hrsg.): Sozialwissenschaftliche Organisations-
138<br />
beratung: Auf der Suche nach einem spezifischen Beratungsverständnis,<br />
Berlin, 147-181.<br />
Faust, M. (2000): Warum boomt die Managementberatung? - und warum<br />
nicht zu allen Zeiten und überall, in: SOFI-Mitteilungen, Nr. 28, 59-85.<br />
Fincham, R./Clark, T. (2002): Introduction: The emergence of critical perspectives<br />
on consulting, in: Clark, T./Fincham, R. (Hrsg.): Critical consulting:<br />
New perspectives on the management advice industry, Oxford,<br />
1-18.<br />
Fink, D. (2004): Eine kleine Geschichte der Managementberatung, in: Fink,<br />
D. (Hrsg.): Management Consulting Fieldbook: die Ansätze der großen<br />
Unternehmensberatungen, 2., überarb. u. erw. Aufl., München, 3-11.<br />
Fink, D./Knoblach, B. (2003): Die großen Management Consultants: Ihre<br />
Geschichte, ihre Konzepte, ihre Strategien, München.<br />
Fligstein, N. (1990): The transformation of corporate control, Camebridge.<br />
Gerybadze, A. (1991): Strategien der Europäisierung, Diversifikation und<br />
Integration im Management-Consulting, in: Wacker, W. (Hrsg.): Internationale<br />
Management-Beratung, Berlin, 23-50.<br />
Glückler, J./Armbrüster, T. (2003): Bridging uncertainty in management<br />
consulting: The mechanisms of trust and networked reputation, in: Organization<br />
Studies, Vol. 24, No. 2, 269-297.<br />
Groß, C. (2003): Unternehmensberatung <strong>–</strong> auf dem Weg zur Profession?, in:<br />
Soziale Welt, Nr. 54, 93-116.<br />
Hasse, R./Krücken, G. (1999): Neo-Institutionalismus, Bielefeld.<br />
Heuermann, R./Herrmann, F. (2003): Unternehmensberatung: Anatomie und<br />
Perspektiven einer Dienstleistungselite: Fakten und Meinungen für<br />
Kunden, Berater und Beobachter der Branche, München.<br />
Hochhuth, R. (2003): McKinsey kommt: Molières Tartuffe, München.<br />
Jepperson, R. (1991): Institutions, institutional effects, and Institutionalism,<br />
in: Powell W./DiMaggio, P. (Hrsg.): The new institutionalism in organizational<br />
analysis, Chicago, 143-163.<br />
Kieser, A. (1998): Immer mehr Geld für Unternehmensberatung <strong>–</strong> und wofür?,<br />
in: Organisationsentwicklung, 17. Jg., Nr. 2, 62-69.<br />
Kieser, A. (2002a): Managementlehre und Taylorismus, in: Kieser, A.<br />
(Hrsg.): Organisationstheorien, 5. Aufl., Stuttgart, 65-99.
139<br />
Kieser, A. (2002b): Wissenschaft und Beratung, Heidelberg.<br />
Kipping, M. (1996): The U.S. influence on the evolution of management<br />
consultancies in Britain, France, and Germany since 1945, in: Business<br />
and Economic History, Vol. 25, No. 1, 112-123<br />
Kipping, M. (1997): Consultancies, Institutions and the diffusion of Taylorism<br />
in Britain, Germany and France, 1920s to 1950s, in: Business History,<br />
Vol. 39, Nr. 4, 67-83.<br />
Kipping, M. (2002a): Trapped in their wave: The evolution of management<br />
consultancies, in: Clark, T./Fincham, R. (Hrsg.): Critical consulting:<br />
New perspectives on the management advice industry, Oxford, 28-49.<br />
Kipping, M. (2002b): Jenseits von Krise und Wachstum: der Wandel im<br />
Markt für Unternehmensberatung, in: ZfO, Zeitschrift für Führung +<br />
Organisation, Jg. 71, Nr. 5, 269-275.<br />
Kipping, M./Sauviat, C. (1996): Global management consultancies: Their<br />
evolution and structure, Discussion paper, Department of Economics,<br />
University of Reading, Whiteknights.<br />
Kurbjuweit, D. (1996): Die Propheten der Effizienz, in: Die Zeit,<br />
12.01.1996, 9-13.<br />
Kurbjuweit, D. (2003): Unser effizientes Leben: Die Diktatur der Ökonomie<br />
und ihre Folgen, Reinbek.<br />
McKenna, C./Djelic, M./Ainamo, A. (2003): Message and medium: The role<br />
of consulting firms in globalization and its local reinterpretation, in:<br />
Djelic, M../Quack, S. (Hrsg.): Globalization and institutions, Chelterham,<br />
83-107.<br />
McKenna, C. (1995): The origins of modern management consulting, in:<br />
Business and Economic History, Vol. 24, Nr. 1, 51-58.<br />
McKenna, C. (2001): The world’s newest profession: Management consulting<br />
in the twentieth century, in: Enterprise & Society, Nr. 2, 673-679.<br />
Meyer, J./Rowan, B (1977): Institutionalized organizations: Formal structure<br />
as myth and ceremony, in: American Journal of Sociology, Vol. 83,<br />
No. 2, 340-363.<br />
Meyer, J./Zucker, L. (1989): Permanently failing organizations, Newbury<br />
Park.
140<br />
Millonig, K. (2002): Wettbewerbsvorteile durch das Management des institutionellen<br />
Kontextes: Eine integrative Betrachtung von Institutionalismus<br />
und Strategischem Management, Berlin.<br />
Mohe, M. (2004): Stand und Entwicklungstendenzen der empirischen Beratungsforschung,<br />
in: DBW, Die Betriebswirtschaft, 64. Jg., Nr. 6, 693-<br />
713.<br />
Nicolai, A. (2000): Die Strategie-Industrie: Systemtheoretische Analyse des<br />
Zusammenspiels von Wissenschaft, Praxis und Unternehmensberatung,<br />
Wiesbaden.<br />
Oliver, C. (1992): The antecedents of deinstitutionalization, in: Organization<br />
Studies, Vol. 13, No. 4, 563-588.<br />
Peters, T./Waterman, R. (1982): In search of excellence: lessons from America's<br />
best-run companies, New York.<br />
Ruef, M. (2002): At the interstics of organizations: The expansion of the<br />
management consulting profession, 1933-1997, in: Sahlin-Andersson,<br />
K./Engwall, L. (Hrsg.): The expansion of management knowledge:<br />
Carriers, flows, and sources, Stanford, 72-95.<br />
Saint-Martin, D. (2000): Building the new managerialist state: Consultants<br />
and the politics of public sector reform in comparative perspective, Oxford.<br />
Schwenker, B. (2004): The challenge of growth <strong>–</strong> How to manage a consultancy,<br />
in: Thommen, J./Richter, A. (Hrsg.): Management consulting<br />
today: Strategies for a challenging environment, Wiesbaden, 63-82.<br />
Sperling, H./Ittermann, P. (1998): Unternehmensberatung <strong>–</strong> eine Dienstleistungsbranche<br />
im Aufwind. München.<br />
Steyrer, J. (1991): “Unternehmensberatung” <strong>–</strong> Stand der deutschsprachigen<br />
Theorienbildung und empirischen Forschung, in: Hofmann, M. (Hrsg.):<br />
Theorie und Praxis der Unternehmensberatung: Bestandsaufnahme und<br />
Entwicklungsperspektiven, Heidelberg, 1-44.<br />
Sturdy, A. (1997): The consultancy process <strong>–</strong> An insecure business, in: Journal<br />
of Management Studies, Vol. 34, No. 3, 389-413.<br />
Stutz, H. (1988): Management-Consulting: Organisationsstrukturen am Beispiel<br />
einer interaktiven Dienstleistung, Bern.
141<br />
Suchman, M. (1995): Managing legitimacy: Strategic and institutional approaches,<br />
in: The Academy of Management Review, Vol. 20, No. 3,<br />
571-610.<br />
Tolbert, P./Zucker, L. (1996): The institutionalization of institutional theory,<br />
in: Clegg, S./Hardy, C./Nord, W.R. (Hg.): Handbook of Organization<br />
Studies, London, 175-190.<br />
Walgenbach, P (2001): Institutionalistische Ansätze in der Organisationstheorie,<br />
in: Kieser, A. (Hrsg.): Organisationstheorien, 4. Aufl., Stuttgart,<br />
319-353<br />
Walgenbach, P. (2002): Neoinstitutionalistische Organisationstheorie - State<br />
of the Art und Entwicklungslinien, in: Schreyögg, G./Conrad, P.<br />
(Hrsg.): Theorien des Managements: Managementforschung 12, Wiesbaden,<br />
155-202.<br />
Wooldridge, A. (1997): A survey of management consultancy: Trimming the<br />
fat, Beilage zu: The Economist, March 22, 1997.<br />
Zucker, L. (1977): The role of institutionalization in cultural persistence, in:<br />
American Sociological Review, Vol. 42, No. 10, 726-743.
Herbert Schulze/Peter Wengelowski<br />
Transkulturelle Kompetenz <strong>–</strong> eine akteursorientierte<br />
Perspektive<br />
1 Globales und Interkulturelles Management<br />
Die Globalisierung von Unternehmensaktivitäten kann aus verschiedenen<br />
Perspektiven gesehen werden. Im Rahmen wettbewerbspolitischer internationaler<br />
Herausforderungen kann sie als Mittel dienen, um übergeordnete<br />
Unternehmensziele zu erreichen. Das internationale Handeln von Unternehmen<br />
kann aber auch selbst zum Leitmotiv werden. Im ersten Fall bedeutet<br />
dies eine überwiegend reaktive Handlungsweise. Unternehmen müssen, um<br />
überlebensfähig zu bleiben, zwangsläufig den Weg einer Internationalisierung<br />
beschreiten. Im zweiten Fall liegt eine proaktive Unternehmenssteuerung<br />
vor, die nicht vorrangig aufgrund des Drucks der Unternehmensumwelt<br />
zustande kommt, sondern den Teil einer umfassenden Unternehmensstrategie<br />
darstellt. Daraus ergeben sich sehr häufig auch unterschiedliche Handlungsabsichten<br />
einer grenzüberschreitenden Unternehmenspolitik.<br />
Das Kernproblem besteht für Unternehmen darin, unter den Bedingungen<br />
der Globalisierung eine Internationalisierungskompetenz aufzubauen. Neben<br />
dem quantitativen Wachstum als Reaktion oder Antizipation von strategischen<br />
Allianzen, Mergers & Acquisitions, Joint Ventures u. ä. geht es für<br />
Unternehmen darum, Fähigkeiten zu entwickeln, um auf den globalen Märkten<br />
zu bestehen.<br />
Zur international komplexeren Bewältigung der Unternehmens-Umwelt-<br />
Beziehungen eröffnen sich unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten. Tendenziell<br />
können dem ersten Fall Kostenstrategien zugeordnet werden, d.h. es<br />
wird nur so viel unternehmerisches Handeln finanziert, wie es nicht zu umgehen<br />
ist, meist aber zu wenig. Im zweiten Fall können sich sehr unterschiedliche<br />
Gestaltungsbereiche ergeben, schwerpunktmäßig in den Katego-
144<br />
rien Struktur, Prozesse, Strategien, Macht, Politik. Kultur wird in diesem<br />
Zusammenhang häufig nicht als ein Aktionsfeld angenommen. Dies lässt<br />
vielfältige Schlüsse zu. Kultur wird anscheinend in der überwiegenden Zahl<br />
der Fälle als nicht handlungsrelevant und nicht erfolgswirksam in internationalen<br />
<strong>Wirtschaft</strong>sbeziehungen angenommen, da von einer weltweiten Gültigkeit<br />
und Kulturunabhängigkeit der Managementkonzepte und -techniken<br />
ausgegangen wird. Danach gibt es keine Kulturrelevanz im Hinblick auf<br />
Managementhandeln. Darüber hinaus wird Kultur als eine Metapher für<br />
Wahrnehmung interpretiert, die aber nicht in gleicher Weise gestaltbar und<br />
beeinflussbar ist wie Struktur und Strategie.<br />
1.1 Internationalisierung als strategisches Entscheidungsproblem<br />
Unabhängig von den jeweiligen klassifizierten Verhaltensmustern von Unternehmen<br />
gibt es in der praxisrelevanten Wirklichkeit nie wirklich die reine<br />
Trennung in reaktive oder proaktive Vorgehensweisen, sondern ein Mixed<br />
an sehr unterschiedlichen Vorgehensweisen, die in sich nicht stets geschlossen<br />
und konsistent sind. Bei der Analyse von potenziellen strategischen Entscheidungs-<br />
und Handlungsfeldern im Internationalisierungsprozess kann als<br />
Systematisierungshilfe auf das inzwischen bekannt gewordene „7S-Modell“,<br />
wie es von Peters/Waterman in die Diskussion über Erfolgsfaktoren für Unternehmen<br />
eingeführt wurde, zurückgegriffen werden, mit dem alle wichtigen<br />
Aspekte von Organisationen betrachtet werden können und die unter<br />
Verweis auf eine als notwendig erachtete Internationalisierungskompetenz<br />
von Unternehmen ihre besondere Bedeutung erhalten.<br />
Dabei können „subordinate Goals“, die einen wesentlichen Teil dieses Modells<br />
ausmachen, als handlungsleitende Werte eines Unternehmens eine<br />
besondere Bedeutung erhalten. Diese spiegeln sich in den jeweiligen Ansprüchen<br />
unternehmensspezifisch wider. Unter Bezug auf die eingangs gemachte<br />
Unterscheidung zwischen reaktivem und proaktivem Vorgehen stellt<br />
sich die Frage, ob im Rahmen einer Internationalisierung Unternehmen sich<br />
an einem handlungsleitenden Wert orientieren, z.B. in der Auffassung über<br />
den Umgang mit Menschen, Technik und Qualität von Gütern und Dienstleistungen.<br />
Bei reaktiv orientierten Unternehmen werden wahrscheinlich nur Spurenelemente<br />
von diesen Überlegungen in der Unternehmenspolitik zu finden<br />
sein, vom Ziel des Aufbaus einer Internationalisierungskompetenz wird man<br />
bei dieser Anpassungsorientierung weit entfernt sein. Die vorrangige Absicht
145<br />
liegt eher in der Praktizierung eines funktionierenden Ausgleichsmechanismus,<br />
wenngleich auch in dieser Form von Unternehmenspolitik selektiv<br />
Strategiebereiche angesiedelt und entwickelt sein können.<br />
Zur Sicherstellung der Unternehmensziele können eine Vielzahl unterschiedlichster<br />
Indikatoren herangezogen werden. 1 Dazu gehören mehr oder<br />
weniger Konzepte strategischer Orientierung, d.h. Bearbeitung z.B. ausgewählter<br />
Auslandsmärkte bis hin zu einer Ausrichtung am Weltmarkt, wie<br />
• unterschiedliche quantitative Wachstum bzw. auch Desinvestitionsstrategien;<br />
• Funktionsstrategien, insbesondere Preis- und Kostenstrategien, die<br />
für sich reaktiv verhaltende Unternehmen letztendlich häufig die<br />
praktikabelste Form als Reaktion darstellen, auch wenn dies nicht<br />
unbedingt der Vorstellung von einer Strategie standhält;<br />
• Strukturbildung, Reorganisation, Reengineering, Schaffung technischer<br />
Kommunikationsstrukturen auf internationaler Ebene. Bereiche<br />
also, die der unmittelbaren Gestaltung zugänglich sind.<br />
Zur Strukturbildung müssen nicht zwangsläufig nur organisatorische Überlegungen<br />
gezählt werden. Ebenso gehören hierzu auch Vorstellungen, die im<br />
Rahmen des internationalen Personalmanagements eine größere Bedeutung<br />
bekommen werden. Dies trifft in einem besonderen Maße auf die Gestaltung<br />
von Anreizsystemen zu. Wenn diese verhaltensbeeinflussend wirken sollen,<br />
müssen sie auch international gesehen der Bedürfnisstruktur ihrer Adressaten<br />
entsprechen. Dazu bedarf es grundsätzlich gut aufbereiteter Informationen,<br />
die sich in einem aussagefähigen Steuerungs- und Berichtswesen niederschlagen.<br />
Auch hier gilt es herauszufinden, inwieweit dieses Informationssystem<br />
positiv den Internationalisierungsprozess fördert oder ob eine Neigung<br />
zur Geheimniskrämerei entwickelt wird. So ist es gerade im Rahmen<br />
der Diskussion um lernfähige Unternehmen nicht unwichtig, wie transparent<br />
im Unternehmen informiert wird und ob dies auch international kulturadäquat<br />
im Hinblick auf die betreffenden Länder geschieht.<br />
1 Vgl. Rothlauf 1999, S. 4.
146<br />
1.2 Kultur und Personal<br />
Unternehmen sind häufig nur bedingt in der Lage, ihr quantitatives Wachstum<br />
durch ein entsprechendes qualitatives Wachstum zu unterstützen. Bei<br />
Akzeptanz der notwendigen Entwicklung kann dies zeitversetzt geschehen.<br />
Im anderen Fall wird es gar nicht oder zu häufig unangemessenen Reaktionen<br />
kommen. Um die Handlungs- und Problemlösefähigkeit von Unternehmen<br />
dem jeweiligen Handlungskontext anzupassen, um Handlungslücken zu<br />
vermeiden, müssen unterstützende Potenziale aufgebaut werden. Dazu gehören<br />
ohne Zweifel verschiedene Kultursysteme wie Landeskulturen, Unternehmenskulturen,<br />
aber auch Berufs-, Branchen- und Gruppenkulturen. Häufig<br />
steht dabei die Unternehmenskultur im Blickpunkt des Interesses. Hier<br />
stellt sich die Frage nach der Tragfähigkeit einzelner Kulturansätze für ein<br />
Unternehmen, das sich international ausrichtet und dies auch als Leitmotiv<br />
versteht.<br />
Da Internationalisierungsprozesse heute sehr vielfältige Ausprägungsformen<br />
haben, angefangen vom klassischen Handlungsfeld der Marktstrategien, z.B.<br />
Import-/Exportbeziehungen, über M&A bis hin zur Zusammenarbeit in internationalen<br />
Teams, kann sich die Betrachtung der Internationalisierungsfähigkeit<br />
von Unternehmen als Ganzes und Mitarbeitern nicht allein mehr auf<br />
den Personenkreis konzentrieren, der grenzüberschreitende Tätigkeiten ausübt.<br />
Das internationale Umfeld stellt deutlich höhere Ansprüche an das Unternehmen.<br />
Diese Risiken können nicht auf den Mitarbeiter abgewälzt werden.<br />
Analytisch heißt das zunächst, diejenigen Mitarbeiter zu identifizieren,<br />
die bislang den Internationalisierungsprozess getragen haben. Davon ausgehend<br />
muss für die möglichen internationalen Schlüsselsituationen ein Gesamtentwicklungs-<br />
und Förderungskonzept gefunden werden, das der Leitidee<br />
eines sich international verstehenden Unternehmens gerecht wird. Dies<br />
betrifft vor allem Potenzialförder- und Weiterbildungsprogramme, Konzepte<br />
zur internationalen Nachwuchsförderung, aber auch Mobilitätsprogramme<br />
für potenzielle In- und Expatriates und gewichtigere Beachtung des Stellenwertes<br />
der Auslandserfahrung bei Reintegrationsmaßnahmen.<br />
Aber auch das Unternehmen muss sich wandeln. Prozesse, Strukturen und<br />
Kommunikationswege dürfen ein internationales Handeln nicht behindern,<br />
sondern müssen diese Ausrichtung durch Organisationsentwicklung fördern<br />
und stabilisieren.<br />
Skills, allgemein umschrieben mit einer internationalen Handlungskompetenz,<br />
stellen zusammen mit der Kulturperspektive und dem Human Resource
147<br />
Management den Kern für eine ressourcenorientierte Globalisierungsstrategie<br />
dar. Die Notwendigkeit der Verknüpfung dieser Bereiche zeigt sich insbesondere<br />
vor dem Hintergrund häufig stattfindender internationaler Zusammenarbeit.<br />
Viele Unternehmen leben nach wie vor aber in einer Art Monokulturismus,<br />
den sie selbst durch ihre Personalpolitik ständig reproduzieren.<br />
Auch die zunehmende Einstellung von ausländischen Mitarbeitern in<br />
höheren und gehobenen Positionen bedeutet nicht einen Wechsel dieser<br />
Politik. Häufig führt dieser Personenkreis dann im Stammhaus eher ein Exotendasein.<br />
Wenn von Integration gesprochen wird, dann ist häufig die Integration<br />
im Sinne von Anpassung, d.h. Integration durch Vereinheitlichung<br />
gemeint. Konzepte wie das Managing Diversity, die auf Synergiepotenziale<br />
und Nutzung der kulturellen Unterschiedlichkeit von Mitarbeitern abstellt in<br />
Form des Cultural diversity, sind kaum anzutreffen oder werden nicht systematisch<br />
umgesetzt. In vielen Unternehmen fehlt im Bezug auf international<br />
wirtschaftlich-unternehmerisches Handeln das Bewusstsein für den Einfluss<br />
von Kulturen auf die Ökonomie. Länder werden in erster Linie als Märkte<br />
gesehen und Mitarbeiter sind nach wie vor in vielen Unternehmen erst einmal<br />
Produktionsfaktoren. Was die Nutzung möglicher Potenziale von Skills<br />
angeht, führt dies zwangsläufig zu entsprechenden Redundanzen in den<br />
Sichtweisen. Damit einher geht nach wie vor das Denken der Unternehmensführung:<br />
Ausland gleich Inland und Handlungskompetenz gleich Fachkompetenz,<br />
die im Einzelfall um die Beherrschung der jeweiligen Landessprache<br />
zu ergänzen ist. Dieser Monokulturismus wird dann noch stabilisiert<br />
durch ein klassisch praktiziertes Personalmanagement mit seinen entsprechenden<br />
Instrumenten wie Beförderungs- und Beurteilungsrichtlinien, Laufbahnplanung<br />
usw.. Die meisten Unternehmen lassen trotz gegenteiliger Beteuerungen<br />
tatsächlich kulturelle Vielfalt und Divergenzen selten zu. Im<br />
Gegenteil: Vielfalt wird häufig als Bedrohung empfunden und es wird darauf<br />
mit Ignoranz und Verneinung reagiert, sofern dies überhaupt ernsthaft als ein<br />
brauchbares Handlungsmuster zu bezeichnen ist. Wenn Kultur, dann wird<br />
diese eher im absolut Fremden vermutet. Dies zeigen Untersuchungen, in<br />
denen in einem sehr hohen Maße die Notwendigkeit einer interkulturellen<br />
Kompetenz von Fach- und Führungskräften gefordert wird, die in arabischen<br />
und asiatischen <strong>Wirtschaft</strong>sräumen tätig sind. Ansonsten wird sehr stark<br />
vereinfachend zwischen den großen Industrienationen eine Ähnlichkeitsannahme<br />
unterstellt. Die Vorstellung lässt sich sehr anschaulich insbesondere<br />
am Beispiel der fortschreitenden europäischen Integration nachvollziehen.
148<br />
In diesem Zusammenhang besagt die sog. Kultur-Distanz-Hypothese, dass<br />
die Wahrscheinlichkeit von Kulturkonflikten mit zunehmender kultureller<br />
Distanz steigt. Dabei ist aber entscheidend, wie mit der Andersartigkeit und<br />
Fremdheit umgegangen wird. Modelle und Vorstellungen, wie sie sich in<br />
Überlegungen zum sog. Euro-Manager oder gar Global Manager manifestieren,<br />
veranschaulichen das Spektrum an Möglichkeiten. Die Homogenität von<br />
kulturellen Rahmenbedingungen, wie sie weitgehend im Konzept des Universalismus<br />
postuliert wird, geht von einer entsprechenden Ähnlichkeitsannahme<br />
zwischen den Kulturen aus, während der Kulturrelativismus das besondere<br />
Eingehen auf die jeweils andere bzw. andere Kulturen im Blickpunkt<br />
des Interesses stellt. Die Ausbildung der kulturellen Relevanz auf<br />
Entscheidungen und Verhalten von Unternehmen lässt sich dann damit erklären,<br />
dass der Führungsgegenstand, Mensch oder Betrieb, so zu gestalten ist,<br />
dass er führ bar wird.<br />
Management wird dabei als ein Steuern von Objekten und Sachverhalten<br />
betrachtet, die außerhalb der eigenen Person liegen. Diese bleibt unberührt,<br />
sie muss sich nicht ändern oder anpassen. In diesem eigenschaftsorientierten<br />
Ansatz geht es darum, die Außenwelt zu verändern, ohne sich selbst verändern<br />
zu müssen und ohne Teil von ihr zu sein. Weiterbildungsaktivitäten<br />
spiegeln sich dann vor allem in Vermittlung von Methodenwissen wider,<br />
z.B. Wissen, wie etwas gemacht werden kann. Kultur, sofern sie in ihrer<br />
Wirkung wahrgenommen wird, unterliegt dann den Nutzungs- und Instrumentalisierungsabsichten.<br />
Es geht aber nicht um das Verstehen Wollen,<br />
sondern um die Reflexion gemachter Erfahrungen. Diese Art der Vernachlässigung<br />
realer Bedingungen des konkreten unternehmensbezogenen Handelns<br />
transzendiert jede Herkunftskultur und setzt das Individuum nur noch<br />
ins Verhältnis zur Welt. Ähnliche, teilweise von der Realität abstrahierende<br />
Konzepte finden sich in den weitverbreiteten Überlegungen zum one-world<br />
manager oder konkreter bezogen auf den so genannten Euro-Manager. Die<br />
Konvergenzvorstellungen, die diesen Überlegungen implizit sind, vermitteln<br />
aber nur einen Teil von Managementhandeln. Das Bild des offensichtlich<br />
wunderbar handlungsfähigen Managers weist augenfällige Defizite auf, die<br />
in der Unternehmenspraxis „erfolgreich“ kaschiert werden. So wird bei misslungenen<br />
Auslandseinsätzen häufig auf die angeblich fachliche Inkompetenz<br />
der ausländischen Verhandlungspartner oder Mitarbeiter verwiesen. Weitere<br />
Gründe werden häufig in der mangelnden Bereitschaft von Familienangehörigen<br />
gesehen, den Auslandsaufenthalt auf längere Sicht mit zu<br />
tragen.
149<br />
Wenn aber die Kultur eines Landes zu Unterschieden in managementrelevanten<br />
Handlungsfeldern führt, so dürfen Unternehmen in ihren Entscheidungen<br />
und ihrem Verhalten landeskulturelle Aspekte keineswegs ausblenden.<br />
Der Unternehmenserfolg hängt dann doch sehr stark von der Stimmigkeit<br />
zwischen Unternehmensstrategien, -strukturen, -prozessen, -kultur und<br />
der Landeskultur ab. Dies insbesondere deshalb, weil unterschiedliche Landeskulturen<br />
differenzierte und dabei relativ veränderungsresistente Muster<br />
von Gedanken, Werten, Einstellungen und Verhaltensweisen hervorbringen.<br />
Damit sind nicht nur Konflikte vorprogrammiert, sondern das kulturelle<br />
Kapital und Ausstattung eines Landes bzw. das eines ausländischen Partnerunternehmens<br />
wird nicht in seiner Bedeutung als kulturelle Ressource erkannt<br />
und entsprechend in die Unternehmenspolitik integriert und nutzbar<br />
gemacht.<br />
Gleichzeitig darf man aber nicht der Naivität unterliegen, jedes konkrete<br />
Verhalten von Menschen auf kulturelle Faktoren zurückführen zu wollen,<br />
wenn das tatsächlich gezeigte Verhalten nicht durch landeskulturelle Prägung<br />
beeinflusst ist, sondern durch z.B. persönliche Einstellungsmuster gesteuert<br />
wird, die eben nicht landestypisch sind. Dies hieße einem kulturellen<br />
Determinismus das Wort zu reden, was nicht ernsthaft vertreten werden kann<br />
aufgrund der vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen den Kulturebenen<br />
und den anderen Einflussfaktoren.<br />
2 Struktur, Strategie und Systeme<br />
Zweifelsohne gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die zu einer Internationalisierungsentscheidung<br />
führen können, die spontane, „aus dem Bauch<br />
heraus“ oder auch die geplante, durchdachte Form. Strategisches Verhalten<br />
basiert auf einem zielorientierten Vorgehen, das vor allem durch Planung,<br />
Analyse, Entscheidung und Kontrolle gekennzeichnet ist. Am Ende dieses<br />
strategischen Managementprozesses stehen von den Unternehmenszielen<br />
abgeleitete Maßnahmen, die zur Erhaltung und Prosperität des Unternehmens<br />
dienen sollen.
150<br />
2.1 Unternehmensform in der Internationalisierung<br />
Im Zusammenhang mit der Internationalisierungsentscheidung stellt die<br />
Markteintrittsform eine strategische Wahl dar. Basierend auf der Gesamtstrategie<br />
und abgestimmt auf die operativen Möglichkeiten des Unternehmens<br />
wird versucht, die passende Internationalisierungsform zu finden. Dabei<br />
stehen den Unternehmen Formen des Exports, der Lizenzvergabe, Kooperationen<br />
und Direktinvestitionen zur Auswahl. Die Unterschiede liegen<br />
z.B. in der Kapitalintensität des Auslandsgeschäftes oder der Wertschöpfungsintensität<br />
des Unternehmens im Ausland.<br />
Es ist aber zu beobachten, dass die Internationalisierung von Unternehmen<br />
dabei einen stufenartigen Verlauf nimmt und die Internationalisierung als<br />
selbst verstärkender Prozess aufgrund von Erfahrungen sich intensiviert.<br />
Internationalisierung<br />
• Erschließung neuer<br />
Märkte<br />
• Intensivierung des<br />
Auslandsengage-<br />
Umsatzwachstum<br />
Abb. 1 Internationalisierung als ein sich verstärkender Prozess.<br />
Quelle: In Anlehnung an Müller/Kornmeier 2002.<br />
Umsatzwachstum<br />
Verbesserung der Erlös-<br />
und Gewinnsituation<br />
Im Sinne eines modelltypischen Internationalisierungsprozesses wäre dann<br />
mit folgender Abfolge von Markteintrittsstrategien zu rechnen:
151<br />
− Indirekter Export<br />
− Direkter Export<br />
− Kooperative Arrangements (Lizenz, Vertragsproduktion, Joint Venture)<br />
− Direktinvestitionen<br />
In Abhängigkeit zu den bearbeiteten Märkten (sicher/unsicher), den Unternehmensressourcen<br />
(Kapital, Know-how und Personal) und den persönlichen<br />
Erfahrungen der Entscheidungsträger wird von diesem Modell in der Praxis<br />
oft abgewichen. Insofern sind eindeutige Aussagen über den optimalen Internationalisierungsprozess<br />
nur unter der Maßgabe der vorhandenen Anforderungen<br />
eines Unternehmens und dessen Entscheidungsträger zu treffen.<br />
Auch die Internationalisierungsentscheidung gestaltet sich demnach nicht<br />
nach rationalen Kriterien, sondern beinhaltet sowohl systematische Planung,<br />
persönliche Erfahrungen und Interessen als auch die wahrgenommen Rahmenbedingen<br />
in der Entscheidungssituation.<br />
Eine weitere Internationalisierungsentscheidung ist als strategisch anzusehen,<br />
die der Standortwahl von Tochterunternehmen. Dabei ist die Standortentscheidung<br />
von hoher Bedeutung und von oft langfristiger Wirkung für das<br />
jeweilige Unternehmen.<br />
Aus strategischer Sicht kann es sich um die Bearbeitung von Beschaffungs-,<br />
Produktions-, und/oder Distributionsmärkten handeln. Vor allem im Zusammenhang<br />
mit der Frage der Produktionsfaktoren werden monetäre Größen,<br />
wie Lohn- und Lohnzusatzkosten diskutiert und eine Verlagerung der Produktion<br />
ins Ausland ins Auge gefasst. Empirische Untersuchungen zeigen<br />
aber, dass eine derartig einseitige Betrachtung zu Problemen führen kann, da<br />
z.B. Fragen der Performance, also qualitative Anforderungen nicht erfasst<br />
und bedacht werden.<br />
Im Klartext heißt das für die Unternehmen, dass sie z.T. nicht über wesentliche<br />
Faktoren wie erreichbare Produktivität, Aufbau- und Verlagerungskosten,<br />
Technologieanpassungskosten, organisatorische Umstellungen und Qualifikation<br />
sowie Remanenzkosten (nicht abbaubare Fix- und Gemeinkosten<br />
am "alten" Standort) nachdenken.<br />
In Abhängigkeit mit der Standortwahl sind aber noch andere Strategien verknüpft.<br />
So die strategische Ausrichtung zwischen lokal und global als auch<br />
die Frage der Marktbearbeitung durch Standardisierung oder Individualisierung.<br />
Sollen nun länderspezifische Gegebenheiten berücksichtigt werden
152<br />
oder ermöglichen die Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens<br />
eine globale, meist standardisierte Marktbearbeitung.<br />
Coca-Cola versuchte bis in die 90er Jahre ihr Image als globale Firma und<br />
Marke zu entwickeln und richtete darauf ihre Strategie aus. Im Sinne einer<br />
sehr geringen lokalen Berücksichtigung und einer hohen globalen Präsenz<br />
durch die Zentralisierung der Entscheidungen und der Standardisierung der<br />
operativen Tätigkeiten. Coca-Cola koppelte sich somit zunehmend von den<br />
veränderten Anforderungen ab. Sie entwickelten sich global, obwohl sie<br />
lokal hätten operieren müssen. 2<br />
Seit dem Jahr 2000 haben sie mit dieser strategischen Ausrichtung erhebliche<br />
Probleme bekommen, da sie den Marktanforderungen in Form der Berücksichtigung<br />
regionaler Unterschiede nicht gerecht werden konnten und<br />
wollten. Vor allem die kulturellen Unterschiede zwischen Europa, Asien und<br />
USA zeigten auch unterschiedliche Verbrauchsgewohnheiten. Globalisierungseffekte<br />
vollständig auszuschöpfen, wäre nur möglich, wenn sich die<br />
Bedürfnisse nach Produkten und Dienstleistungen so angleichen, dass eine<br />
weltweit einheitliche Vorstellung vorhanden wäre. Das Gegenteil ist aber der<br />
Fall. Universelle Vorstellungen von Produkten und Dienstleistungen (z.B.<br />
das globale Automobil) haben sich nicht gegen regionale Bedürfnisse und<br />
Wünsche durchsetzen können. Insofern müssen erhebliche Unterschiede in<br />
der Bedürfnisbefriedigung und Marktbearbeitung durch die Unternehmensstrategie<br />
Berücksichtigung finden. 3<br />
Expansionsmöglichkeiten für Coca-Cola zeichneten sich nur damit ab, wenn<br />
sie auf die lokalen Besonderheiten Rücksicht nehmen würden. Die globale<br />
Strategie stand am Ende der Wachstumsmöglichkeiten. Die dadurch notwendig<br />
gewordene Strategieerneuerung zielt nun aber auf lokale Besonderheiten<br />
("think local, act local") ab. Bestandteile dieser rationalisierten Strategie<br />
sind: Entscheidungen werden jetzt stärker auf der lokalen Managementebene<br />
getroffen, die Zentrale beschränkt sich auf die Entwicklung des Markenmarketings<br />
und überlässt den lokalen Unternehmen die notwendige differenzierte<br />
Umsetzung, zudem engagiert sich Coca-Cola immer stärker im Bereich<br />
der lokalen bzw. regionalen Wohlfahrt. Marktwachstum zielt nunmehr<br />
2 Vgl. Daft 2000, S. 336.<br />
3 Vgl. Rugman/Hodgetts 2001, S. 334.
153<br />
nicht mehr auf einen einheitlichen globalen, sondern auf unterschiedliche<br />
regionale Märkte.<br />
Die Sartorius AG fertigte in den 90er Jahren noch Elektronikteile in<br />
Deutschland. Zunehmend wurden aber Elektronikteile guter Qualität aus<br />
Billigländern importiert. In einem Preiswettbewerb sollten diese Low-cost-<br />
Vorteile von jedem Unternehmen genutzt werden. Standortverlagerung galt<br />
als das Schlüsselwort der Globalisierung. Auch die Sartorius AG hatte diesen<br />
strategischen Schritt in Erwägung gezogen. Sie merkte aber schnell, dass die<br />
asiatischen Partner zwar kostengünstig Elektronikteile herstellen konnten,<br />
aber nicht über das Know-how des deutschen Standorts und deren Fähigkeiten<br />
der Reproduktion und Entwicklung verfügten. 4 Von der anfänglichen<br />
Verlagerungsstrategie wurde abgerückt und die Technologiedifferenzierungsstrategie<br />
als neue Ausrichtung entwickelt. Dieses bedeutet eine Arbeitsteilung<br />
zwischen Asien und Deutschland, indem die lohnintensiven<br />
standardisierbaren Arbeiten in Asien und die aus innovativen Know-how<br />
basierenden Tätigkeiten weiterhin in Göttingen umgesetzt wurden.<br />
Diese Beispiele zeigen die Wichtigkeit einer strategischen Ausrichtung und<br />
deren notwendigen Überprüfung auf ihre Richtigkeit bzw. Erfolgswirksamkeit.<br />
Es wird aber auch deutlich, dass eine strategische Ausrichtung eines<br />
Unternehmens als Prozess angesehen und wahrgenommen werden muss.<br />
Geschieht dieses nicht, erscheint die Wahl einer Strategie als einmalige,<br />
möglicherweise nicht revidierbare Entscheidung. Dann ergeben sich zumindest<br />
bei Veränderungen der Marktgegebenheiten erhebliche Probleme. Der<br />
strategische Prozess gestaltet sich durch Rückkopplungen und stetige Zielüberprüfung,<br />
damit frühzeitig Entwicklungen im Unternehmensumfeld<br />
wahrgenommen und durch entsprechende Maßnahmen darauf reagiert werden<br />
kann. International ausgerichtete Unternehmen können nur durch die<br />
Ausnutzung unterschiedlicher Potenziale Strategien entwickeln. Gerade die<br />
Ausnutzung der physischen und psychischen Unterschiede in der Welt lassen<br />
die Leistungsfähigkeit von Unternehmen wachsen. Die Unternehmensbeispiele<br />
zeigen, dass integrative Strategien Wissen, Personal und Technik<br />
sinnvoll miteinander verbinden.<br />
4 Vgl. Kinkel/ Jung-Erceg/ Buhmann 2002, S. 11.
154<br />
Insgesamt handelt es sich bei der Auswahl einer Internationalisierungsstrategie<br />
um eine komplexe, schwer zu strukturierende, kontinuierliche und auf<br />
Kommunikation basierende Entscheidung (Welge 1998).<br />
2.2 Auswirkungen auf die Organisationsstruktur<br />
Internationalisierungsentscheidungen haben auch immer Auswirkungen auf<br />
die jeweilige Unternehmensstruktur. Dabei ist der Fokus auf zwei Aspekte<br />
zu richten: Entweder bestimmt die vorhandene Organisationsstruktur das<br />
Auslandsengagement, indem sie die Voraussetzungen und Bedingungen<br />
darstellt unter denen eine Internationalisierung stattfinden kann. Oder das<br />
Unternehmen entscheidet sich im Zusammenhang mit einer neuen strategischen<br />
Ausrichtung auch für eine neue strukturelle organisatorische Basis.<br />
Dieser Zusammenhang erscheint gerade bei Exportaktivitäten oder Produktionsverlagerungen<br />
nur geringe Berücksichtigung zu finden. Die vorgenannten<br />
Internationalisierungsentscheidungen werden nicht als so gravierend in den<br />
Auswirkungen für die Konfiguration des Unternehmens angesehen. Dieser<br />
Annahme kann am Beispiel der sog. Globalisierungsfalle widersprochen<br />
werden.<br />
Eine grenzüberschreitende Tätigkeit mit der Verteilung von Produktionsund<br />
Geschäftsprozessen führt unweigerlich zu einer Steigerung der Komplexität<br />
im Unternehmen. Sowohl die Anforderungen an die Logistik, die Organisation<br />
der Produktionsmengen und der Produktvielfalt erfordern eine erhöhte<br />
Abstimmung im Unternehmen, um kostenintensive Redundanzen zu<br />
minimieren. Die Schwierigkeit liegt darin, dass nur eine notwendige Reorganisation<br />
im Sinne der Anpassung der Struktur an die Strategie auch die gewünschten<br />
Effekte der Internationalisierung realisieren läßt. Geschieht dieses<br />
nicht, setzen sich kostenintensive Mehrarbeit, Blind- und Fehlleistungen<br />
durch und verschlechtern die Leistungsfähigkeit des Unternehmens. Die<br />
Folge sind zunehmend unzufriedene Kunden, die lediglich mit niedrigeren<br />
Preisen zufrieden zu stellen sind. Dieses impliziert weitere Internationalisierungsmaßnahmen,<br />
die aber ohne die Einführung einer Reorganisation nur<br />
noch weitere negative Verstärkungseffekte realisieren. 5<br />
5 Vgl. Augustin/ Büngers 1998, S. 107.
155<br />
Die Schwierigkeit der Organisation des internationalen Geschäfts besteht<br />
darin, dass die vorhandenen internationalen Unterschiede nun auch innerhalb<br />
des Unternehmens berücksichtigt und umgesetzt werden müssen. Mehrere<br />
Sprachen, mehrere Nationalitäten, verschiedene soziokulturelle Einflussfaktoren,<br />
unterschiedliche Daten- und Wissensbestände, räumliche Distanz,<br />
Währungsunterschiede, unterschiedliche Rechnungslegungsvorschriften und<br />
unbekannte "Spielregeln" des Business sind in diesem Zusammenhang organisatorisch<br />
zu integrieren.<br />
Insofern muss z.B. in Informations- und Kommunikationstechnologie investiert<br />
werden, um eine einheitliche Datenbasis zu schaffen. Regeln für die<br />
internationale Zusammenarbeit ausgearbeitet und die Steuerung durch Kennzahlen<br />
intensiviert werden. Hinzu kommen noch Schulungs- und Entwicklungsmaßnahmen,<br />
um den Wissenstransfer im Unternehmen zu gewährleisten.<br />
Bei der Organisation der Mitarbeiterkommunikation kommt es dann<br />
darauf an, die entsprechenden lokalen und internationalen Informationen so<br />
aufzubereiten, dass die Mitarbeiter über beide Bereiche ausreichend informiert<br />
sind. Eine internationale Mitarbeiterzeitschrift kann hierbei hilfreich<br />
sein. Zur Organisation des internationalen Handels in Unternehmen gehört<br />
aber auch der personelle Austausch, z.B. die Betreuung sog. Expatriates.<br />
Welche Mitarbeiter sollen ins Ausland entsendet werden? Wie sind diese am<br />
Standort zu ersetzen? Was machen wir mit den Wiederkehrern? Dieses sind<br />
alles Fragen, die in diesem Zusammenhang aufgeworfen werden und das<br />
Organisationsgefüge des Unternehmens nachhaltig beeinflussen.<br />
Die Unternehmenspraxis zeigt, das ganz unterschiedlich auf die verschiedenen<br />
Anforderungen internationalen Handelns reagiert werden kann. Die<br />
Gestaltungselemente sind dabei sowohl technokratisch als auch personenorientiert.<br />
Technokratische Instrumente umfassen die Planung und Formalisierung.<br />
Planung<br />
Zielplanung Strategieplanung Ressourcenplanung<br />
Technokratische Instrumente<br />
Formalisierung<br />
Programmierung Normierung Transferpreise<br />
Abb. 2 Technokratische Organisationsinstrumente des internationalen Unternehmens.<br />
Quelle: eigene.
156<br />
Das Instrument der Planung basiert auf periodisch wiederkehrenden Vorgaben<br />
für die internationalen Geschäfte. Die Pläne strukturieren zukünftige<br />
Entscheidungs- und Handlungsspielräume. Die Zielplanung umfasst die<br />
Ermittlung und Festlegung von Teil- und Gesamtzielen. Dabei handelt es<br />
sich zunächst um erwünschte Sollzustände. Die Strategieplanung bestimmt<br />
die Maßnahmen für die Marktbearbeitung und koordiniert die nationalen und<br />
internationalen Aktivitäten. Bei der Ressourcenplanung stehen vor allem<br />
monetäre Größen im Mittelpunkt, wie sich aber zeigt sind vor allem im internationalen<br />
Geschäft auch langfristige Planungen für sachliche und personelle<br />
Ausstattungen von Nöten. Zunächst erfolgt aber eine Budgetierung, die<br />
es ermöglicht durch die Kontrolle der Ressourcen auch das Unternehmensgeschehen<br />
auf räumlicher Distanz zu steuern.<br />
Mit Hilfe der Formalisierung, also der schriftlichen Fixierung organisatorischer<br />
Regeln, der Fixierung des Informationsflusses im Unternehmen und<br />
der Leistungsdokumentation können operative Prozesse aufgrund ihrer stabilen<br />
Abstimmungserfordernisse effizienter gestaltet werden. Im internationalen<br />
Unternehmen wird dieses auch von allen Beteiligten in den Bereichen<br />
Finanzierung, Rechnungswesen, Planung und Kontrolle akzeptiert, um den<br />
rechtlichen und strategischen Anforderungen gerecht zu werden. Entscheidungsprozesse<br />
werden durch Formalisierung aller Erfahrung nach inflexibel<br />
und schwerfällig. Daher ist immer zu überprüfen, welche Leistungen programmiert<br />
bzw. standardisiert werden und welche Auswirkungen dieses<br />
Vorgehen auf die Leistungsmerkmale des Unternehmens hat. Verrechnungspreise<br />
dienen der Ressourcenallokation und haben Wertbemessungs- und<br />
Gewinnverlagerungsfunktionen.<br />
Personenorientierte Instrumente konzentrieren sich auf persönliche Weisung,<br />
Selbstabstimmung und Sozialisation. Vor allem in KMU´s wird das Instrument<br />
der persönlichen Weisung stark genutzt. Organisation und Kontrolle<br />
des grenzüberschreitenden Handels erfolgen auf höchster Geschäftsebene.<br />
Vorteile der persönlichen Weisung sind in der relativ einfachen Handhabung<br />
zu sehen, der Flexibilität und der Möglichkeit präzise Vorgaben zu machen.<br />
Insofern ist ein direktes Eingreifen von Oben jederzeit möglich. Problematisch<br />
gestaltet sich diese Organisation des internationalen Unternehmens mit<br />
zunehmender Koordination. Die Folge ist eine Überlastung der Führungsebenen,<br />
in KMU´s meist der Geschäftsführung. Es ist dann nicht ausgeschlossen,<br />
dass eine mangelnde Koordination und Abstimmung die Folgen<br />
sind. Auch hierbei ist wiederum zu überprüfen, ob die Entscheidungen, die
157<br />
möglicherweise ohne Berücksichtigung der lokalen Besonderheiten zustande<br />
gekommen sind, überhaupt umsetzbar und erfolgreich sind.<br />
Zur Unterstützung der formalen Organisationsstrukturen dienen auch Projekt-<br />
und Arbeitsgruppen oder Teams. Sie erlangen eine wachsende Bedeutung<br />
zur Steuerung globaler Prozesse, um die vertikale Aufbauorganisation<br />
flexibler und anpassungsfähiger zu gestalten. Die Teams wirken lateral verknüpfend.<br />
Im Sinne einer Selbstabstimmung, werden Entscheidungen in<br />
Gruppen getroffen. Die Selbstabstimmung kann dabei fallweise (spontane<br />
Gruppenbildung), themenspezifisch (problem- und fachbezogen) oder institutionalisiert<br />
(Arbeitskreise, Fachausschüsse) erfolgen. Durch diese Art der<br />
Entscheidungs- und Aufgabenkoordination erhält sich das gewachsene Unternehmen<br />
eine hohe Flexibilität, entlastet die Kommunikation über den<br />
Instanzenweg und ermöglicht einen Informationsaustausch zwischen unterschiedlichen<br />
Locationen im Unternehmen. Die Form der Selbstabstimmung<br />
bietet sich vor allem für räumlich noch nicht so ausgedehnte internationale<br />
Unternehmen an, da mit zunehmender physischer Entfernung Effizienzgrenzen<br />
erreicht werden können. Zudem basiert diese Form der Organisation auf<br />
einer von den Gruppenmitgliedern geteilten Unternehmenskultur. Nur ein<br />
gegenseitiges Verständnis lässt Verantwortung für Gruppenentscheidungen<br />
entwickeln. Selbstabstimmung in einer Gruppe von "Einzelkämpfern" deren<br />
eigenen Interessen im Vordergrund von Entscheidungen stehen, führen zu<br />
Rivalität und Machtkämpfen. Insofern ist auch immer zu überprüfen, ob<br />
diese Art der Organisation von Unternehmensabläufen in die Kultur des<br />
Unternehmens passt. Die Sozialisation als personenorientiertes Organisationsinstrument<br />
basiert auf der Verinnerlichung von geteilten Werten durch<br />
die Unternehmensmitglieder. Dieses hat zu Folge, dass ein kulturorientierter<br />
Ordnungsrahmen entsteht, der sich vor allem komplexitätsreduzierend auswirkt.<br />
Bestimmte Handlungs- und Entscheidungsalternativen werden aufgrund<br />
der verinnerlichten Unternehmensnormen von den Mitarbeitern weder<br />
in Erwägung gezogen, noch umgesetzt. In diesem Zusammenhang kann die<br />
Sozialisation durch eine gezielte Kulturvermittlung vom Unternehmen unterstützt<br />
werden und so zu einem einheitlichen Kulturverständnis beitragen. Bei<br />
Erfolg, einer hohen Verankerungstiefe in der Mitarbeiterschaft über alle<br />
Grenzen hinaus, können so formale Koordinationsinstrumente vermieden<br />
bzw. in ihrem Umfang deutlich eingeschränkt werden. Im internationalen
158<br />
Kontext können insbesondere Akkulturationsprobleme6 , aber auch die hohen<br />
Kosten für den Implementierungsaufwand entstehen.<br />
Es steht außer Frage, dass sich mit dem internationalen Engagement eines<br />
Unternehmens auch die Geschäftprozesse verändern. Insofern müssen dann<br />
weltweit die Prozesse aufeinander abgestimmt werden, damit keine Doppelarbeit<br />
oder Veränderungen in der Kundenbetreuung entstehen (siehe Globalisierungsfalle).<br />
Über die physische und psychische Distanz hinweg, muss<br />
gewährleistet werden, dass sich die Leistungen des Unternehmens für den<br />
Kunden nicht verschlechtern. Die Zusammenarbeit in den einzelnen Funktionsabteilungen<br />
und Location wird insofern neu organisiert und immer wieder<br />
auf die Erreichung der Unternehmensziele hin überprüft.<br />
In einem internationalen Unternehmen sind alle Informations- und Kommunikationstechnologien<br />
auf einen Standard auszurichten. Dabei sollte sich<br />
Gedanken gemacht werden, welche Geschäft- bzw. Unternehmenssprache<br />
relevant sein soll. Zudem sind vor allem bezogen auf die unterschiedlichen<br />
rechtlichen Voraussetzungen einheitliche Rechnungslegungen zu vereinbaren.<br />
Die Schwierigkeit besteht darin, Systeme zu finden, die weltweit nutzbar<br />
und einsatzfähig sind. Aufgrund unterschiedlicher Standortbedingungen<br />
können diese Anforderungen nicht immer eins zu eins erfüllt werden. Zudem<br />
müssen erhebliche Investitionen in die Datensicherheit fließen, damit keine<br />
Daten verloren gehen bzw. verfälscht werden können.<br />
3 Strategie, Kultur und Unternehmen<br />
Die im Kapitel 2 dargestellten kritischen Überlegungen zeigen, wie in der<br />
Praxis nach wie vor von dem Glaubenssatz ausgegangen wird, dass eine<br />
effiziente Gestaltung von Strategie, Struktur und System den Unternehmenserfolg<br />
garantiert. Mag im nationalen Kontext noch einiges für die Aufrechterhaltung<br />
dieser Überlegungen sprechen, so ist gerade international dieser<br />
Ansatz kaum länger aufrecht zu erhalten. Wie schon am Einzelfall verdeutlicht,<br />
ist die alleinige Orientierung an der Markt-Produkt-Strategie äußerst<br />
problematisch. Typisch für diesen Ansatz ist die meist, wenn auch nicht<br />
unbedingt rational reflektierte, behauptete Konvergenz in der wirtschaftli-<br />
6 Siehe dazu im Weiteren den Kulturaspekt.
159<br />
chen internationalen Entwicklung, die eingebettet ist in einen globalen Wettbewerb,<br />
dessen Fortschrittsfaktor danach die diffundierten technologischen<br />
Entwicklungen darstellt. Die Existenz einer einzigen, universal überlegenen<br />
Technologie wird allen anderen Einflussfaktoren überlegen sein. Nationale<br />
<strong>Wirtschaft</strong>sräume, die insbesondere charakterisiert werden durch die Besonderheiten<br />
ihrer landeskulturellen Prägung und ihrer nationalen institutionellen<br />
Bedingungen werden sich danach der technologischen Dominanz nicht<br />
versperren können. Diese Sachzwänge und vermeintlich identischen Aufgabenstellungen<br />
lassen den Eindruck entstehen, als ob dem daraus resultierenden<br />
Managementverhalten eine universelle Gültigkeit und Wirksamkeit<br />
zukommt. Internationale Wertschöpfungsprozesse unterliegen diesem Aspekt,<br />
aus dem sich dann handlungsleitende Gestaltungsempfehlungen herauskristallisieren.<br />
So wird nach der Methode verfahren, was in einem Land<br />
erfolgstiftend ist, ist auch in einem anderen Land sinnvoll anwendbar.<br />
Marktorientierte Ansätze zielen primär auf die Positionierung des jeweiligen<br />
Unternehmens in den ausgewählten Märkten bzw. Marktsegmenten ab. Hier<br />
kann festgestellt werden, dass es in den strategisch internationalen Zielregionen<br />
der deutschen <strong>Wirtschaft</strong> gut gelungen ist, vor allem durch Fusionen und<br />
Akquisitionen Marktpositionen zu besetzen und Marktstrukturen zu beeinflussen.<br />
Aufgrund der ohne Zweifel bestehenden Gefahr von Strategischen<br />
Fallen (Globalisierungsfalle), reicht es daher nicht aus, bei Misserfolgen sich<br />
nur auf den Aspekt der Markt-Produkt-Orientierung zu konzentrieren und<br />
über die Verfeinerung und Verbesserung des eingesetzten Instrumentariums<br />
die gesetzten Ziele zu realisieren. Vielen Beteiligten ist häufig gar nicht<br />
bewusst, dass die Ursachen des Scheiterns oder der Ineffizienzen häufig in<br />
anderen Bereichen zu suchen sind. Durch nachträgliche Rationalisierung des<br />
eigenen Handelns werden die Gründe allzu oft aber in den suboptimalen<br />
Handlungsstrategien gesehen, auf persönlicher Ebene oder im angeblichen<br />
Fehlverhalten anderer Akteure gesucht, nicht in der eigenen more the same-<br />
Politik. Internationalisierung ist aber heutzutage weit mehr als nur eine geografische<br />
Diversifikation von Unternehmensaktivitäten. Auch wenn dieser<br />
Tatbestand in der Internationalisierungspraxis von Unternehmen noch allzu<br />
häufig ignoriert wird, zeigt sich aber, dass es eben um mehr als nur eine<br />
reine prozessgleiche Erweiterung intranationaler unternehmerischer Geschäftsfelder<br />
geht. Grenzüberschreitendes Handeln muss sich mit fremden<br />
Umwelten auseinander setzen, die stark vom jeweiligen nationalen Kontext<br />
geprägt werden. Ein reiner Transfer national praktizierter Handlungsstrategien<br />
geht am Kern der Problematik vorbei: Zur Erklärung auftretender Di-
160<br />
vergenzen haben sich zwei zentrale, aber gleichzeitig konkurrierende Ansätze<br />
herausgebildet. Es handelt sich dabei um die grundlegende Bedeutung<br />
und Wirkung von Kulturalismus und Institutionalismus. 7<br />
Die institutionalisierte Sichtweise kann verstanden werden als ein System<br />
formaler und informaler Regelungen sowie den damit verbundenen Vorkehrungen<br />
zu ihrer Durchsetzung. Dazu gehören staatliche Strukturen, Finanzierungssysteme,<br />
aber auch Arbeitsbeziehungssysteme und Aus- und Weiterbildungssysteme.<br />
Wie die Ergebnisse der Cranfield-Studie zeigen, können bei<br />
einer ländervergleichenden Betrachtung wiederum Schwerpunkte in der<br />
landestypischen Vorgehensweise festgestellt werden. Zum Handlungsparameter<br />
von Gestaltungszielen werden vorrangig markt- oder gruppenspezifische<br />
Strategien gesetzt.<br />
Survey of Forbes 500 CF OS<br />
Rank Factor Negative<br />
Impact<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
8<br />
9<br />
Incompatible cultures<br />
Inability to manage target<br />
Unable to implement change<br />
Synergy non-existent or overestimated<br />
Did not forecast fore seeable events<br />
Clash of management styles/egos<br />
Acquirer paid too much<br />
Acquired firm too unhealthy<br />
Need to spin off or liquidate too much<br />
10 Incompatible marketing systems<br />
Note: Assessed on a scale of 1 to 7, where 7 is high.<br />
Tab. 1 Why integration Synergies are not achieved.<br />
Quelle: Svoboda 2001, S. 239<br />
7 Vgl. Schmitt 2002, S. 26.<br />
5.60<br />
5.39<br />
5.34<br />
5.22<br />
5.14<br />
5.11<br />
5.00<br />
4.58<br />
4.05<br />
4.01
161<br />
Im kulturalistischen Ansatz wird davon ausgegangen, dass kulturelle Wertvorstellungen<br />
räumlich divergieren und eine nicht zu unterschätzende Wirkungsmacht<br />
auf die Erreichung von Handlungszielen entfalten. Als Raum<br />
wird in erster Linie der Bereich einer Nation innerhalb der Grenzen verstanden,<br />
so dass dann Nationalkulturen bzw. Landeskulturen damit gemeint sind.<br />
Einschränkend muss natürlich darauf hingewiesen werden, dass Ländergrenzen<br />
nicht unbedingt einhergehen mit kulturellen Grenzen. Die Ursachen<br />
dafür sind vielfältig. Es kann z.B. zu einer grenzüberschreitenden kulturellen<br />
Nähe kommen durch gemeinsame religiöse Auffassungen oder durch historisch<br />
zu erklärende Staatsgrenzen.<br />
Auch innerhalb eines Landes können unterschiedliche Kulturströmungen<br />
existieren, wie dies am Beispiel von Ländern wie der Schweiz und Belgien<br />
deutlich wird. Aber auch die Entwicklung moderner Kommunikations- und<br />
Informationsmittel führt zu einer erhöhten kulturellen Transformation. Über<br />
einen Kulturwandel können Faktoren wirksam werden, die schwergewichtig<br />
nicht nur Kulturunterschiede betonen, sondern über Ländergrenzen hinweg<br />
auch Gemeinsamkeiten entstehen lassen. Die auf diese Weise entstehenden<br />
Kulturkorridore schaffen aber nicht unmittelbar analoge Orientierungs- und<br />
Handlungsmuster.<br />
Die Priorisierung von Strategie, Struktur und System vernachlässigt aber die<br />
Wirkungen von kulturellen Sozialisationsprozessen auf die Menschen eines<br />
Landes. Es gewinnen zunehmend neben den strategischen auch die kulturellen<br />
Fallen an Bedeutung. Daher gilt es nicht nur, die strategischen Fallen zu<br />
erkennen und zu beheben, sondern insbesondere darauf zu achten, dass diese<br />
nicht mit kulturellen Fallen verwechselt werden. Die inhaltliche Gleichsetzung<br />
intranationaler mit internationalen Geschäftsfeldern wird nicht erfolgsversprechend<br />
sein können. Das Erzielen von Handlungsfähigkeit in kulturell<br />
fremden Umwelten wird mit zunehmender Verflechtung der Weltwirtschaft<br />
zu einem zentralen Problem für Unternehmen. Insoweit bedarf der bisher<br />
praktizierte klassische Marktansatz der Ergänzung um eine interkulturelle<br />
Ausrichtung und Perspektive.<br />
3.1 Kultursysteme und die neuen Kulturräume<br />
Bei der international zu beobachtenden kurzfristigen Orientierung der Unternehmenspolitik<br />
am Shareholder Value wird die Orientierung an längerfristigen<br />
Werten, der Optimierung der Unternehmensprozesse eher hinderlich<br />
sein. Die durchaus noch bestehende landestypische Verbindung und Zugehö-
162<br />
rigkeit beginnt zu bröckeln. Die Loslösung von Landeskultur, Nation und<br />
Territorium und damit die Tendenz von Unternehmen, sich von nationalen<br />
Bezügen zu lösen, wird verstärkt durch eine sich transnational entwickelnde<br />
Unternehmenskultur. Die Möglichkeiten, aber auch Notwendigkeiten der<br />
Implementierung einer grenzüberschreitenden Unternehmenskultur als Steuerungsvariable<br />
veranschaulichen die aktuellen Aktivitäten von Unternehmen,<br />
insbesondere in den Prozessen von Mergers und Acquisitions. Hier entstehen<br />
die neuen Kulturräume, die an Gestaltungskraft und Wirksamkeit gewinnen<br />
werden. Entgegen den Untersuchungen von Hofstede, der der Unternehmenskultur<br />
den Status einer Oberflächenstruktur (Praktiken) zuweist und der<br />
in der Landeskultur die Verankerung einer Tiefenstruktur sieht, die mit Hilfe<br />
von Kulturdimensionen analysiert wird, ist es äußerst fraglich, ob in Zukunft<br />
die spezifischen nationalen Kultureigenschaften die Unternehmenspolitik<br />
noch gravierend beeinflussen und sie in eine bestimmte Richtung lenken<br />
werden, denn der gesellschaftliche kulturelle Wandel ist auch Ergebnis einer<br />
Prägung durch ökonomische Werte wie dem Shareholder Value, dem sich<br />
eine Gesellschaft auf Dauer nicht wird entziehen können.<br />
Fraglich bleibt natürlich die daraus resultierende Konsequenz und gleichzeitig<br />
die Frage, ob Unternehmen tatsächlich sich auf die Konstruktion ihres<br />
Unternehmensalltags zurückziehen können. Die Ignoranz von Unbequemlichkeiten<br />
oder die Entwicklung von Stereotypen in der internationalen Zusammenarbeit<br />
führen schnell zu Missverständnissen und Konflikten. Die<br />
Sozialisation von Mitarbeitern in Unternehmen über geteilte Werte, Normen<br />
und Handlungsmuster steht häufig in einem divergenten Missverhältnis zu<br />
den in den jeweiligen Ländern gültigen Werten, Normen und Handlungsmustern.<br />
Daraus ergeben sich für Unternehmen und Mitarbeiter bei der Entwicklung<br />
einer handlungsleitenden Unternehmenskultur latente Problemfelder.<br />
Zuallererst zeigt sich, dass der Begriff der Kultur im Unternehmenskontext<br />
äußerst unpräzise und undifferenziert verwendet wird. Gleichzeitig übt der<br />
Begriff der Unternehmenskultur auf alle Beteiligten eine Faszination aus, da<br />
er sich durch eine hohe Plausibilität auszeichnet. Dieser Begriff bietet einen<br />
breiten Interpretationsspielraum und dadurch glaubt jeder zu wissen, was<br />
Kultur bedeutet.<br />
Der Umgang mit diesem Sachverhalt bleibt daher allgemeingültig. Was mit<br />
Unternehmenskultur aber bezweckt werden soll, ist, aus dem heterogenen
163<br />
sozialen System Unternehmung ein homogenes Gebilde werden zu lassen8 .<br />
Daraus entsteht ein Bemühen Unternehmenskultur als eine interne, gestaltbare<br />
Variable einzusetzen. Diesem funktionalistischen Verständnis entgegen<br />
steht die Vorstellung, dass Kultur auch als geistiges Konstrukt der Individuen<br />
und als in der Unternehmung wirkendes System geteilter Bedeutungsinhalte<br />
zu sehen ist. Das Unternehmen kann somit nicht nur als objektive<br />
Realität in seinen z.B. manifestierten Artefakten wahrgenommen werden,<br />
sondern ist gleichzeitig Ausdruck der subjektiven Interpretationen der Realität<br />
durch seine Mitarbeiter. Dieser Zusammenhang in seiner Komplexität<br />
wird durch die zu integrierenden landestypischen Sozialisationsmuster bei<br />
grenzüberschreitenden Aktivitäten noch erhöht.<br />
Nicht gleichzusetzen mit der Landeskultur ist dagegen die Individualkultur.<br />
Hierbei handelt es sich um bewusste, unbewusste und/oder unreflektierte<br />
Einstellungen und Verhaltensweisen einer Person, die nicht durch die Dominanz<br />
landeskultureller Sozialisation zu erklären sind und damit auch nicht<br />
typisch für den jeweiligen Kulturraum. Dieser Aspekt ist insoweit von Bedeutung,<br />
da er im Unternehmensalltag schnell zu Fehldeutungen in der interkulturellen<br />
Zusammenarbeit führen kann, z.B. im Führungsverhalten von<br />
Managern. Der praktizierte Führungsstil sollte dann als Ergebnis der Persönlichkeitsstruktur<br />
identifiziert werden. Eine Verwechslung oder Gleichsetzung<br />
mit landeskultureller Prägung würde wahrscheinlich eher Vorurteile gegenüber<br />
diesen Einflüssen fördern.<br />
Unter Bezugnahme auf das Spannungsverhältnis von Landes-, Unternehmens-<br />
und auch Individualkultur geht es daher darum, landeskulturelle Besonderheiten<br />
und Wirkungen wahrzunehmen und zu versuchen, diese mit<br />
den zum Teil universalen Erfordernissen der Unternehmensführung zu verknüpfen.<br />
3.2 Kultur als strategische Ressource<br />
Pragmatisch gesehen besteht trotz der einschränkenden Kritik ein grundsätzlicher<br />
Zusammenhang zwischen Kultur und Unternehmenserfolg, der ohne<br />
Zweifel in der Konsequenz an Bedeutung gewinnen wird, auch wenn der<br />
Nachweis deterministischer Zusammenhänge nur schwer zu führen sein<br />
8 Vgl. Buhr 1998, S. 78.
164<br />
wird. Das Problem liegt darin, diesen konzeptionell zu erfassen, da sich<br />
beide Größen nicht durch eine deterministische Abhängigkeit auszeichnen.<br />
Wollen Unternehmen nachhaltige Wettbewerbsvorteile erzielen, wird es<br />
darum gehen, die internen Ressourcen früher zu erkennen, bewusster zu<br />
entwickeln und effizienter zu gestalten. Ein Mangel an Ressourcen, z.B.<br />
technische und finanzielle, beschränkt zwangsläufig die Internationalisierungsfähigkeit<br />
und -kompetenz von Unternehmen. Diese ressourcenorientierte<br />
Perspektive sollte für Unternehmen aber kein alternativer Ansatz zur<br />
externen Markt-Produkt-Strategie sein, sondern der intern ausgerichtete<br />
Ressourcenansatz stellt eine unverzichtbare Vervollständigung eines umfassenderen<br />
Strategieansatzes dar. Wird Internationalisierung bislang überwiegend<br />
als Leistung des Managements wahrgenommen, so ist nun zu beachten,<br />
dass das Individuum im Unternehmen gleichzeitig Träger von mehreren<br />
Kulturen sein kann. Die wichtigsten wie z.B. Landes-, Branchen-, Unternehmens-,<br />
Berufs- und Individualkultur können seine Handlungsfähigkeit<br />
fördern oder bremsen.
ökonomische, institutionelle<br />
und kulturelle<br />
Rahmenbedingung<br />
Branchenkultur<br />
Unternehmenskultur<br />
Individualkultur<br />
der<br />
Führungs-/<br />
Fachkraft<br />
Zielsetzung und<br />
Arbeitsauftrag<br />
ökonomische, institutionelle<br />
und kulturelle<br />
Rahmenbedingung<br />
Branchenkultur<br />
Unternehmenskultur<br />
Individualkultur<br />
Abb. 3 Beziehungsmuster im interkulturellen Handlungsfeld.<br />
Quelle: Kersten/Schulze/Wengelowski (Hrsg.) 2003.<br />
der<br />
Führungs-/<br />
Fachkraft<br />
165
166<br />
Bezogen auf den Gedanken der Ressourcennutzung müssen diese Kulturaspekte<br />
intern mit zum Ausgangspunkt strategischer Überlegungen gemacht<br />
werden, um eine nachhaltige Internationalisierungsfähigkeit zu erreichen.<br />
Die Ausblendung der Wirkungen von Kultur und Kulturunterschieden in der<br />
strategischen Unternehmenspolitik ist offensichtlich nicht länger zu rechtfertigen.<br />
Kultur stellt eine zentrale Basis für eine handlungsrelevante Orientierung<br />
dar. In einer proaktiven Unternehmenspolitik bieten sich somit Optionen<br />
für einen Steuerungs- und Koordinierungsansatz an, um möglichst kontraproduktive<br />
Effekte zu kanalisieren.<br />
Soll eine pluralistische Unternehmenskultur entwickelt werden9 , macht dies<br />
z.B. ein starkes Eingehen auf den jeweiligen internationalen Umfeldkontext<br />
notwendig. Zwangsläufig muss es zu einer starken unternehmensinternen<br />
Differenzierung mit den daraus resultierenden Differenzierungsvorteilen<br />
kommen. Je stärker die dabei entstehenden Subkulturen aber ausgeprägt<br />
sind, umso schwieriger erscheint wiederum die Integration, also die Verknüpfung<br />
zu einem wirkungsvollen Ganzen.<br />
Mit einer universellen Unternehmenskultur10 wird versucht, über eine entsprechende<br />
kulturelle Sozialisation eine Standardisierung in den Handlungsmustern<br />
zu realisieren. Dadurch entsteht in der Regel eine Divergenz<br />
zur relevanten Umwelt, jedoch besteht die Erwartung, dass die in Kauf genommenen<br />
Spezialisierungsverluste durch Integrationsvorteile kompensiert<br />
werden können. Dieser Kulturtransfer erweist sich aber häufig als problematisch<br />
aufgrund der stark differierenden Kontexte. Der Versuch, auf diesem<br />
Wege Werte und Normen einer Kultur zu transportieren, führt leicht dazu,<br />
dass diese im Widerspruch zu der betreffenden Landeskultur treten können.<br />
So kann eher von einer „Soll-Kultur“ 11 im Unternehmen gesprochen werden,<br />
die versucht, Homogenität zu erzeugen, die jedoch kaum in dem gewünschten<br />
Maße von den Mitarbeitern des Unternehmens gelebt werden wird. In der<br />
Unternehmenspraxis sind aber immer wieder Bemühungen zu beobachten,<br />
auch in den neuen internationalen Unternehmenskulturräumen zu einer Nivellierung<br />
der kulturellen Differenzen zu kommen. Schon das Konzept von<br />
Perlmutter (1969), bekannt geworden als ERPG-Modell (ethnozentrisch,<br />
9 Bergmann 2000, S. 67.<br />
10 Vgl. Bergmann 2000, S. 67.<br />
11 Vgl. Bergmann 2000, S. 68.
167<br />
regiozentrisch, polyzentrisch, geozentrisch) zeigt am Beispiel des kooperativen<br />
geozentrischem Ansatzes, dass diese im unternehmerischen Alltag im<br />
Konfliktfall starke Züge einer ethnozentrischen Orientierung und damit einer<br />
beherrschenden Dominanzkultur des Stammlandes mit all den bekannten<br />
problembehafteten Erscheinungs- und Bewältigungsformen. Kritisch formuliert<br />
könnte ein Kampf um die kulturelle Programmierung im Kulturraum<br />
des Unternehmens konstatiert werden. Diese Auseinandersetzung um eine<br />
Nivellierung im Sinne einer vorgegebenen Zweck-Mittel-Rationalität einer<br />
Führungsgruppe ist aber höchst weltfremd und unterschätzt die individuellen<br />
Handlungseinsichten und -kompetenzen aller Beteiligten. Stattdessen erscheint<br />
es sinnvoller die Unterschiedlichkeit, d.h. die kulturelle Diversität,<br />
die sich geradezu in den neuen Kulturräumen auftut, effektiver zu nutzen, in<br />
Form eines neuen Ansatzes der interkulturellen Kompetenz.<br />
3.3 Interkulturelle Kompetenz in neuen Kulturräumen<br />
Mit interkultureller Kompetenz wird allgemein ein Verhalten bezeichnet, mit<br />
dem Situationen in kulturellen Überschneidungssituationen erfolgreich bewältigt<br />
werden. Dabei müssen Orientierungsprobleme in fremden Umwelten<br />
nicht automatisch auftreten. Eine Verunsicherung wird dann wahrscheinlich<br />
werden, wenn die Erwartungen nicht mit den gezeigten Verhaltensweisen<br />
übereinstimmen und sich innerhalb eines Interaktionsprozesses zwischen den<br />
Beteiligten zu Interpretationen der jeweiligen Reaktionen kommt. Häufig ist<br />
dieser Ansatz aber aufgrund des beschriebenen Sachverhalts auf landeskulturelle<br />
Überlegungen ausgerichtet. Anhand von verhaltensgeprägten Konfliktsituationen<br />
wird untersucht, wie Missverständlichkeiten vermieden oder<br />
repariert werden könnten. Ziel ist die Glättung des Fremden und der Unterschiede<br />
durch die herrschende Kultur. Nach dem universalistischen Ansatz<br />
wird in international agierenden Unternehmen dies als entscheidende Voraussetzung<br />
zur Durchsetzung der Unternehmensziele gesehen. Dieses Kulturverständnis<br />
ist eher komparativ statischer Natur und nur noch bedingt<br />
zukunftsfähig. Durch den Dynamisierungsschub in der Internationalisierung<br />
wird es notwendiger, Kultur als Prozess in den Mittelpunkt der Betrachtung<br />
zu rücken. Danach unterliegt Kultur durch die alltägliche Interaktion und<br />
persönliche Reflexion der Beteiligten einer ständigen Neuproduktion. Daher<br />
verbietet sich eine deterministische Stereotypisierung, verbunden damit, das<br />
Fremde in den Griff zu kriegen.
168<br />
Markt Kooperation<br />
Hierarchie<br />
Außenhandelsbeziehungen<br />
Verhandlungen<br />
Projekte<br />
Programme<br />
internationale<br />
Teamarbeit<br />
Interkulturelle<br />
Kompetenz<br />
als Wettbewerbsfaktor<br />
Unternehmenskooperation<br />
Joint Venture,<br />
Strategische<br />
Allianzen<br />
Auslandsniederlassungen<br />
Entsendung von<br />
Führungskräften<br />
und<br />
Mitarbeitern<br />
Stammhaus<br />
Integration von<br />
ausländischen<br />
Führungskräften<br />
und Mitarbeiter<br />
Migrationsansatz<br />
Abb. 4 Internationale Geschäftsbeziehungen im Kontext interkultureller Kom-<br />
petenz.<br />
Quelle: eigene.
169<br />
Statt Homogenität gibt es Heterogenität des Kulturellen mit Überlagerungen<br />
und Übergängen12 , die zunehmend schwieriger abzugrenzen und miteinander<br />
vergleichbar sind. Die internationale Unternehmenspolitik muss aber von<br />
den Unternehmensmitarbeitern getragen werden können, d.h. das Unternehmen<br />
hat eine Internationalisierungskompetenz aufzubauen, deren wichtiger<br />
Teil die individuelle interkulturelle Kompetenz aller Akteure ist, unabhängig<br />
davon, an welchem Ort des unternehmerischen Kulturraumes sie gerade tätig<br />
sind. Ohne Zweifel sollte dabei auf die Anforderungsgerechtigkeit der Entwicklungsstrategien<br />
geachtet werden.<br />
Kulturelle Identität wird durch Internationalisierung andere Handlungsmuster<br />
hervorbringen, ohne dass die komplexen Interaktionsbeziehungen einen<br />
globalen gemeinsamen Kern und damit eine neue Homogenität bekommen.<br />
Die Ansätze zur Entwicklung interkultureller Kompetenz sind sehr vielschichtig.<br />
Zurzeit können zwei große Strömungen ausgemacht werden. Der<br />
gemeinsame Kern beider Ansätze liegt in den personenbezogenen Fähigkeiten<br />
der Individuen, wie z.B. Wissen über andere Kulturen, Toleranz und<br />
Empathiefähigkeit und verhaltensbezogene Aspekte wie Kommunikations-,<br />
Kooperations- und Konfliktfähigkeit, die der Persönlichkeit zugeordnet werden.<br />
Interkulturelle Berufs- und Handlungskompetenz kann danach aber<br />
weiter gefasst werden. Zu den sozial-kommunikativen und persönlichkeitsbezogenen<br />
Fähigkeiten kommen internationale Berufsqualifikationen, aber<br />
auch Sprachkompetenz. Häufig werden bei Unternehmensbefragungen nur<br />
die beiden letzteren Kategorien genannt. Dies kann durchaus als Beleg für<br />
die Nivellierungsthese herangezogen werden.<br />
Andererseits greift der eher persönlichkeitsorientierte Ansatz ebenfalls zu<br />
kurz, da er in erster Linie auf eine bestimmte kulturell geprägte Situation<br />
abstellt, die eher im Bereich der Entsendung von Mitarbeitern ins Ausland<br />
unter dem Gesichtspunkt einer Dominanzkultur anzutreffen ist.<br />
Internationalisierung tritt heutzutage aber in vielfältigsten Formen auf. Diese<br />
müssen stärker als bisher in ihren Herausforderungen wahrgenommen werden.<br />
Die klassische Entsendungsform hat ohne Zweifel für viele Unternehmen<br />
noch ihre vorrangige Bedeutung. Daneben treten inzwischen neue Wege der<br />
Zusammenarbeit deutlicher hervor, die sich in verschiedenen Formen von<br />
12 Vgl. Dörrenbächer/Ridel 2000, S. 28.
170<br />
Kooperation niederschlagen, wie z.B. Joint Ventures, internationales Projektmanagement<br />
oder internationale Teams.<br />
Das Unterdrücken landeskulturell geprägter Verhaltensweisen durch Unternehmenskultur<br />
kann dann sehr schnell zum Abbruch oder zur Einschränkung<br />
dieser Kooperationsbeziehungen führen. Hier liegen auch ohne Zweifel neben<br />
den ökonomischen einige der Gründe, die zu dem aktuellen Rückzug des<br />
US-Handelsriesen Wal-Mart aus Deutschland geführt haben. Landesgeprägte<br />
Spannungen im Hinblick auf Verhaltensrituale und -zeromonien führten<br />
immer wieder zu Konflikt beladenen Handlungssituationen. Ein Versuch,<br />
durch die Verfeinerung kultureller Steuerungselemente dies zu heilen, stand<br />
nicht zur Diskussion. Im Gegenteil, letztendlich wurden kulturelle und institutionelle<br />
Gegensätze vor Gericht ausgetragen. So beschied das Landesarbeitsgericht<br />
Düsseldorf in einer Pressemitteilung vom 14.11.2005, dass die<br />
Mitbestimmung auch bei US-amerikanischen Verhaltenskodex in Deutschland<br />
einzuhalten ist.<br />
Im Sinne des ressourcenorientierten Ansatzes, verknüpft mit den Überlegungen<br />
zur interkulturellen Kompetenz, geht es daher um eine bewusstere Nutzung<br />
kultureller Diversität, um z.B. Synergiepotenziale in den Beziehungen<br />
und der Zusammenarbeit freizusetzen. Dazu ist aber eine gezielte und reflektierte<br />
Auseinandersetzung über die verschiedenen, sich aber beeinflussenden<br />
Mikro- und Makrokultursysteme in den neuen Kulturräumen notwendig,<br />
um nachhaltig Marktchancen durch Internationalisierung besser zu<br />
realisieren.<br />
Somit sind an Unternehmen und Mitarbeiter neue Anforderungen<br />
gestellt. Kultur und der prozesshafte Umgang mit Kulturunterschieden<br />
über die Befähigung zur interkulturellen Kompetenz in der alltäglichen<br />
Interaktion müssen durch die persönliche Reflexion der<br />
Beteiligten dynamisiert werden und damit seine deterministische<br />
Stereotype verlieren, auch wenn im Kern die Unterschiede bestehen<br />
bleiben (sollen). Eine Kulturkonvergenz sollte daher nicht herbeigezwungen<br />
werden. Auch eine vermeintliche Konvergenz im Hinblick<br />
auf Konsumpräferenzen, Kleidungsverhalten und Essgewohnheiten<br />
kann die Unterschiede in Werten und Normen nicht verwischen und<br />
bleibt äußerst fragwürdig. Gewinnende Schritte an der Oberfläche<br />
durch Beherrschung jeweiliger typischer Landesrituale und -zeremonien<br />
können Fehlverhalten im Bereich der Tiefenstruktur kaum<br />
wieder ausgleichen. Ähnliches gilt für das zu beobachtende Phäno-
171<br />
men in Unternehmen, landeskulturelle Erkenntnisse in ein Bemühen<br />
umzusetzen, diese zu einer neuen sekundären Ebene der Verhaltenssteuerung<br />
zu instrumentalisieren. Darüber hinaus reichen interkulturelle<br />
Einzelmaßnahmen zur Gestaltung und Bewältigung kultureller<br />
Situationen bei weitem nicht aus, sondern die Unternehmung als<br />
Ganzes ist herausgefordert, Internationalität zu verinnerlichen und<br />
damit über die Nutzung von Fähigkeiten und Potenzialen ihre Internationalisierungsfähigkeit,<br />
d.h. über die Verknüpfung von Markt-<br />
und Ressourcenstrategie, zu stärken.<br />
4 Transkulturelle Kompetenz als weiterführender Ansatz?<br />
Mit dem Ansatz zur transkulturellen Kompetenz soll eine Vorgehensweise<br />
erläutert werden, die die zunehmende gegenseitige Durchdringung von Kulturen<br />
durch Medien, Reisen, Arbeitsprozesse usw. differenzierter für eine<br />
Betrachtung zugänglich macht. Es soll bewusst nicht von einer kulturellen<br />
Konvergenz gesprochen werden. Ralston et al. haben schon diese Problematik<br />
aufgegriffen. 13 Während es bei dem Konvergenzansatz perspektivisch zu<br />
einer Angleichung von Denk- und Wertemustern kommen kann, wollen die<br />
Autoren mit ihrem Ausdruck der crossvergence zum Ausdruck bringen, dass<br />
Unterschiede auch beibehalten oder kombiniert werden können. Mit Hilfe<br />
der transkulturellen Kompetenz soll dieser Gedanke verfeinert werden, um<br />
einen systematischeren Zugang zu diesen Entwicklungen und Phänomenen<br />
zu bekommen.<br />
Der Begriff der interkulturellen Kompetenz bildet insoweit einen schillernden<br />
Ansatz, da neben den üblichen Erfassungs- und Messproblemen14 er<br />
selbst eine Wertorientierung darstellt. Diese lautet, dass es im Wesentlichen<br />
gilt, Spiralen von Missverständnissen zu vermeiden und dass die beteiligten<br />
Akteure eine win-win-Situation anstreben sollten. So entsteht ein ethisch und<br />
moralisch leitender Impetus, der im internationalen Wettbewerb nicht<br />
zwangsläufig bei allen Akteuren, auch aus ihrem Kulturverständnis heraus<br />
13 Ralston et al. 1996.<br />
14 Dennoch gibt es inzwischen mehr als 30 Instrumente zur Einschätzung der interkulturellen<br />
Kompetenz von Mitarbeitern, s.a. SIETAR Europe. Zu den wichtigeren gehören u.a. The<br />
International Profiler, Intercultural Development Inventory, Intercultural Personality Test.
172<br />
die Richtschnur des Handelns bildet. Dies zeigt sich sehr anschaulich in der<br />
von Hofstede gewählten Kulturdimension, die mit Langfristorientierung<br />
beschrieben wird. Parallel dazu hat sich z.B. die europäische <strong>Wirtschaft</strong> aber<br />
bei Geschäftsbeziehungen mit China ganz intensiv mit den Erscheinungen<br />
von Raubkopien und Imitationen von Gütern zu befassen.<br />
Insoweit kann inhaltlich mit dem Begriff der interkulturellen Kompetenz<br />
mehr verknüpft werden. Wird sie benutzt als Manipulationsstrategie, also<br />
wissen, wie etwas gemacht wird, bietet sie zumindest einem der Beteiligten<br />
Vorteile. Interkulturelle Kompetenz kann sich aber auch nur beziehen auf<br />
den sichtbaren Teil des sog. Eisberges. Diese Eisberg-Metapher veranschaulicht<br />
sehr ausdrucksvoll, was in vielen Unternehmen als interkulturelle<br />
Kompetenz interpretiert wird. Vorrangig geht es dabei um die Vermittlung<br />
eines Kultur-Knigges, um Dos and Dont’s, und damit um eine Orientierung<br />
in Form einer Instrumentalisierung, die in konkreten Handlungssituationen<br />
auch eine gewisse Komik in sich verbergen kann.<br />
Interkulturell meint, dass unter Bezug auf ein Gemeinsames auch Unterschiede<br />
erkennbar werden und sich etwaige Konflikte daran orientieren, wo<br />
Grenzen eben auch positiv modelliert werden. Interkulturalität lässt sich<br />
somit von einem gemeinsamen Verständnis über Kultur und Kulturleistung<br />
leiten. 15 Dies wird durch eine letztlich prägende mechanistische Sichtweise<br />
ermöglicht, die zur gemeinsamen Beurteilungsgrundlage implizit wird.<br />
Jedoch steht ein gemeinsames Verständnis über Kultur und die sie auslösenden<br />
Handlungswirksamkeiten aus.<br />
Im transkulturellen Raum, also dem Raum jenseits der eigenen Kultur werden<br />
Werthaltungen ersichtlich, die nicht nur die Andersartigkeit von Werten<br />
deutlich machen. Sie zeigen ebenso fremde Vorstellungen davon, was überhaupt<br />
ein Wert sei, was eine Orientierungsinstanz sei, was überhaupt eine<br />
Orientierung sei. 16 Hinzu kommt, dass Werte je nach Perspektive eine positive<br />
oder negative Interpretation bekommen, wie z.B. die erwähnten Imitationen<br />
von Gütern. Das Nachahmen ist durchaus vereinbar mit der chinesischen<br />
Kultur, aber eben nicht mit den Regeln des Welthandelsabkommens.<br />
So kommt es zu Diskrepanzen im Umgang mit der Interpretation von Werten.<br />
Dem Ansatz der interkulturellen Kompetenz kann soweit eine gewisse<br />
15 Vgl. Hubig, 2002, S.29.<br />
16 Vgl. Hubig 2002, S.29
173<br />
Naivität im Hinblick auf internationale Wettbewerbspolitik nicht abgesprochen<br />
werden. Er erfasst nicht das vielfältige Geschehen im internationalen<br />
<strong>Wirtschaft</strong>sleben, was auch durch seine Geschichte zu erklären ist (Kets de<br />
Vries 2004). Darüber hinaus bekommt seine Entwicklung auch idealtypische<br />
Züge, durch den Aufbau von Lernstrategien und Trainingskonzepten. 17 Im<br />
Sinne von Max Weber kann sie als ein kognitives Kulturverständnis interpretiert<br />
werden, wohl wissend, dass natürlich in den vorherrschenden Ansätzen<br />
auch die affektive und soziale Komponente enthalten ist.<br />
Wertungen über die Besonderheiten und die wirtschaftlichen Auswirkungen<br />
von Kulturen sowie über die speziellen Institutionsgefüge selbst erfolgen<br />
auch immer aus einer kulturgebundenen Sicht. 18 Viele der Normen und Regeln<br />
sind häufig impliziter Natur, daher weder dem unmittelbaren Individuum<br />
und den übrigen beteiligten Akteuren bewusst. Dies führt dann zu den<br />
viel zitierten Überraschungen in den Handlungssituationen.<br />
Mit dem Ansatz der transkulturellen Kompetenz sollen diese vielfältigen<br />
Ereignisse und Erscheinungsformen im Handeln der Akteure zugänglich<br />
gemacht werden. Die Konstruktion des Handlungsfeldes durch die Akteure<br />
erfolgt vor dem Hintergrund, dass in unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche<br />
Vorstellungen von Natur, Subjekt, Rationalität und Gefühl vorhanden<br />
sind, während der Bezug zu unterschieden auch Gemeinsamkeiten<br />
voraussetzt. Dies kann im <strong>Wirtschaft</strong>sleben aber auch schnell zu einer Desorientierung<br />
führen, wie das Beispiel eines deutschen Geschäftsmannes<br />
zeigt. Während er gelernt hatte, im interkulturellen Kontext mit chinesischen<br />
Geschäftspartnern geht es um Langfristigkeit und darum, zu beachten, dass<br />
der Gegenüber nicht sein Gesicht verliert, hatte die chinesische Seite nach<br />
dem vierten Besuch alle Informationen, die sie benötigte. Die Geschäftsbeziehungen<br />
wurden danach abgebrochen.<br />
Das Erlernen und die Vermittlung transkultureller Kompetenz wird daher<br />
andere Wege gehen müssen, da die Praxis immer weiter sein wird als das<br />
mühsam rekonstruierte Teilwissen aus den gemachten Erfahrungen. Ob interkulturelle<br />
Kompetenz in transkulturelle Kompetenz überführt werden<br />
sollte, um einen vorrangig systemischen Zugang zu der Problematik zu erreichen,<br />
kann und soll an dieser Stelle abschließend nicht beurteilt werden.<br />
17 Vgl. Diettrich/Reinisch 2005, S. 275ff..<br />
18 Vgl. Leipold 2006, S. 9.
174<br />
Literatur<br />
Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung e.V. (Hrsg.),<br />
Kompetenzentwicklung 2005, Münster 2005.<br />
Augustin, H.; Bünger, A., Verlagerung ins Ausland allein genügt nicht, in:<br />
zfo 2/1998, S. 107 <strong>–</strong> 112.<br />
Bergmann, Rainer, Interkulturelles Lernen als organisationale Fähigkeit <strong>–</strong><br />
ein ressourcenorientierter Ansatz, Dresden 2000.<br />
Buhr, Regina, Unternehmen als Kulturräume, Berlin 1998.<br />
Daft, D., Back to classic Coke. Financial Times, March 27, pp 20, New York<br />
2000.<br />
Diettrich, Andreas; Reinisch, Holger, (2005): Internationale und interkulturelle<br />
Kompetenzen, In: Arbeitsgemeinschaft Weiterbildungsforschung<br />
e.V. (Hrsg.), Kompetenzentwicklung 2005, S. 275 <strong>–</strong> S. 349.<br />
Dörrenbächer, Christoph; Riedel, Christian, Ein kleiner Streifzug durch die<br />
Literatur zur Internationalisierung von Unternehmen, in: Dörrenbächer,<br />
Christoph, Plehwe, Dieter, (Hrsg.), Grenzenlose Kontrolle? 2000, S. 15<br />
<strong>–</strong> 41.<br />
Hofstede, Geert: Lokales Denken, globales Handeln. Kulturen, Zusammenarbeit<br />
und Management, München 1997<br />
Hubig, Christoph, Transkulturelle Wertkonflikte im Spannungsfeld zwischen<br />
abstrakter Harmonisierung und Anwendungsdissensen, In: K. Röttgers,<br />
P. Koslowski (Hrsg.), 2002, S.27 <strong>–</strong> 45.<br />
Kets de Vries, Manfred F.R. (Ed.), The New Russian Business Leaders,<br />
Northampton 2004.<br />
Kinkel, St., Jung-Erceg, P., Buhmann, M. Erfolgskritische Standortfaktoren<br />
für unterschiedliche Internationalisierungsstrategien, in: FB/IE 51<br />
(2002) 1, S. 4 <strong>–</strong> 13.<br />
Leipold, Helmut, Kulturvergleichende Institutionenökonomik, Stuttgart 2006<br />
Müller, Stefan; Kornmeier, Martin, Strategisches Internationales Management,<br />
München 2002.
175<br />
Perlmutter, Howard V., The Tortuous Evolution of the Multinational Corporation.<br />
In: Columbia Journal of World Business, 4. Jg., Nr.1, 1969, S.<br />
9-18<br />
Pressemitteilung, Die Präsidentin des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, Der<br />
Pressedezernent vom 14.11.2005.<br />
Ralston, David A., Yu Kai-Cheng, u.a. The Cosmopolitan Chinese Manager:<br />
Findings of a Study on Managerial Values Acoss Six Regions of<br />
China. In: Journal of International Management 2(2), S. 79 -109, 1996.<br />
Röttgers, Kurt, Koslowski, Peter (Hrsg.), Transkulturelle Wertekonflikte,<br />
Heidelberg 2002.<br />
Rothlauf, Jürgen, Interkulturelles Management, München, Wien 1999.<br />
Rugman A., Hodgetts, R. The End of Global Strategy, in: European Management<br />
Journal Vol. 19, No. 4, S. 333 <strong>–</strong> 343 August 2001.<br />
Scherm, Ewald; Süß, Stefan, Internationales Management, München 2001.<br />
Schmitt, Matthias, Der grenzüberschreitende Transfer von Personalpraktiken<br />
innerhalb multinationaler Unternehmen, München und Mering 2002.<br />
Svoboda, Michael, On Integrating Deutsche Bank and Bankers Trust <strong>–</strong> A<br />
Human Resource Perspective, in: Peter Friedrichs, Ulrich Althauser<br />
(Hrsg.), Personalentwicklung in der Globalisierung <strong>–</strong> Strategien der Insider,<br />
Neuwied 2001, S. 237 <strong>–</strong> 253.<br />
Welge, M.K., Das Management globaler Geschäfte, München 1998.
Tobias Menz ♣<br />
Demographischer Wandel und Umweltqualität<br />
1 Einleitung<br />
Ziel dieses Artikels ist es herauszufinden, welchen Einfluss der demographische<br />
Wandel in den nächsten Jahrzehnten tendenziell auf die Entwicklung<br />
des Umweltverbrauchs1 haben wird. Dabei soll keine Niveaubetrachtung<br />
durchgeführt werden, sondern lediglich der demographische Einfluss auf die<br />
Veränderungsraten des Umweltverbrauchs betrachtet werden.<br />
Im zweiten Abschnitt werden demographische und ökologische Unterschiede<br />
der einzelnen Regionen dargestellt, um besonders interessante Fälle herauszustellen.<br />
Im dann folgenden dritten Abschnitt wird der Untersuchungsrahmen<br />
herausgearbeitet - also der gesamtgesellschaftliche Umweltverbrauch<br />
als Funktion zweier Variablen dargestellt, auf die der demographische Wandel<br />
einen eindeutigen Einfluss hat. Unter Zuhilfenahme realistischer Prognosen<br />
bezüglich der Entwicklung dieser beiden Variablen wird anschließend im<br />
vierten Abschnitt die Richtung des demographischen Einflusses auf den<br />
gesamtgesellschaftlichen Umweltverbrauch dargestellt. Das fünfte Kapitel<br />
fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und gibt einen Ausblick über<br />
sinnvolle Erweiterungen.<br />
♣ An dieser Stelle möchte ich Heinz Welsch, Udo Bonn und Martin Duensing für viele<br />
hilfreiche Kommentare und Verbesserungsvorschläge danken.<br />
1 Umweltverbrauch bezeichnet allgemein jegliche Form von Umweltverschmutzung, die<br />
durch menschliche Aktivitäten entsteht. Beispiele sind Luft- und Wasserverschmutzungen,<br />
Waldabholzungen oder das Entstehen von Müll.
178<br />
2 Demographischer Wandel und Umweltverschmutzung<br />
in den Regionen<br />
2.1 Regionale Unterschiede des demographischen Wandels<br />
Standardmäßig wird der demographische Wandel als Übergang einer vorindustriellen<br />
Gesellschaft mit hohen Geburten- und Sterberaten zu einer nachindustriellen<br />
Gesellschaft mit niedrigen Geburten- und Sterberaten definiert2 .<br />
Charakteristisch für seinen Verlauf ist, dass die Sterberaten vor den Geburtenraten<br />
zu sinken beginnen und es daher während des gesamten Prozesses<br />
zu einem signifikanten Bevölkerungswachstum kommt.<br />
Der demographische Wandel ist ein langfristig ablaufender Prozess, der in<br />
seinen verschiedenen Phasen unterschiedliche Auswirkungen auf Bevölkerungsgröße<br />
und Bevölkerungsstruktur hat. Da er regional zeitversetzt abläuft,<br />
befinden sich die verschiedenen Regionen heutzutage in unterschiedlichen<br />
demographischen Situationen. Die Entwicklungsländer gehören zu den Ländern,<br />
die im Prozess des demographischen Wandels noch am wenigsten weit<br />
fortgeschritten sind. Kennzeichnend für diese Länder sind hohe Bevölkerungswachstumsraten<br />
sowie Erwerbsfähigenquoten, die von niedrigem Niveau<br />
aus ansteigen. In den späteren Phasen des Prozesses, in denen sich<br />
heute die Industrieländer befinden, wächst die Gesamtbevölkerung nur noch<br />
moderat, während die Erwerbsfähigenquote von hohem Niveau aus abnimmt3<br />
. Zur besseren Einbettung der späteren Analyse soll an dieser Stelle<br />
ein kurzer Blick auf die prognostizierte Entwicklung der Bevölkerungswachstumsraten<br />
und der Erwerbsfähigenquoten dreier Ländergruppen geworfen<br />
werden:<br />
2 Vgl. Chesnai 1992, S. 27 ff.<br />
3 Eine genaue graphische Darstellung des demographischen Wandels findet sich beispielsweise<br />
in Bloom & Williamson 1998, S. 423.
Durchschnittliche jährliche Bevölkerungswachstumsraten<br />
2005 - 2015 2015 - 2030 2030 - 2050<br />
HIC 0.52% 0.35% 0.12%<br />
MIC 0.79% 0.50% 0.09%<br />
LIC 1.72% 1.38% 0.76%<br />
Tab. 1 Bevölkerungswachstumsraten 4 nach Regionen 5<br />
179<br />
Während die Bevölkerung in der Gruppe der LIC, also der ärmsten Länder<br />
der Welt, im Zeitraum bis 2015 noch mit gut 1,7% jährlich wachsen wird,<br />
wird das Bevölkerungswachstum in den Ländern mittleren Einkommens<br />
(MIC) nur knapp 0,8% und in den reichsten Ländern (HIC) nur rund 0,5%<br />
betragen. Bis zum Jahr 2050 wird der Bevölkerungsdruck den Prognosen<br />
zufolge in allen drei Regionen stark nachlassen, so dass die Bevölkerung in<br />
den beiden wohlhabenderen Ländergruppen ab 2030 nur noch moderat<br />
wachsen wird. Auch die Bevölkerung der ärmsten Länder folgt diesem<br />
Trend, wird jedoch über den gesamten Zeitraum noch deutlich positive Bevölkerungswachstumsraten<br />
aufweisen.<br />
Abbildung 1 zeigt, dass sich nicht nur die Bevölkerungsgröße, sondern auch<br />
die Bevölkerungsstruktur der Ländergruppen unterschiedlich entwickeln<br />
wird. Während die Erwerbsfähigenquote, also der Anteil der Bevölkerung<br />
zwischen 15 und 65 Jahren, in den reichsten Ländern der Welt wahrscheinlich<br />
bis zum Jahre 2050 stetig sinken wird, wird sie in den mittelreichen<br />
Ländern laut den Prognosen zumindest kurzfristig noch ansteigen, um erst<br />
danach zu sinken. Einen klaren Kontrast bietet dagegen die Situation in den<br />
Entwicklungsländern, für die über den gesamten Zeitraum hinweg ansteigende<br />
Erwerbsfähigenquoten vorhergesagt werden.<br />
4 Mittlere Bevölkerungsprognose der Vereinten Nationen (UN 2004).<br />
5 Die Gruppe der High Income Countries (HIC) umfasst nach Definition der Weltbank alle<br />
Länder mit einem Bruttonationaleinkommen pro Kopf von mehr als 10.000 US-Dollar<br />
(ausgedrückt in US-Dollar des Jahres 2004, nicht kaufkraftparitätenbereinigt). Die Gruppe<br />
der Middle Income Countries (MIC) beinhaltet alle Länder in der Einkommensspanne von<br />
826-9999 US-Dollar und die Gruppe der Low Income Countries (LIC) enthält alle Länder<br />
mit einem Pro-Kopf-Einkommen von maximal 825 US-Dollar.
180<br />
Erwerbsfähigenquote in %<br />
70%<br />
68%<br />
66%<br />
64%<br />
62%<br />
60%<br />
58%<br />
2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050<br />
Abb. 1 Erwerbsfähigenquoten nach Regionen 6<br />
HIC MIC LIC<br />
2.2 Regionale Unterschiede der Umweltverschmutzung<br />
Umweltverschmutzung ist ein breit gefächertes Problem, wobei die durch die<br />
Emissionen verschiedener Gase verursachte Luftverschmutzung einen besonders<br />
problematischen Aspekt der Umweltverschmutzung darstellt. Dabei<br />
ist grundsätzlich zwischen lokal, regional und global wirkender Luftver-<br />
schmutzung zu unterscheiden. Im Rahmen dieses Beitrags werden daher drei<br />
repräsentative luftverschmutzende Gase betrachtet: Kohlendioxid ( CO ) als 2<br />
typische globale Umweltverschmutzung, Schwefeldioxid ( SO ) als regio-<br />
2<br />
nale Umweltverschmutzung und Kohlenmonoxid (CO) als Beispiel für eine<br />
lokale Umweltverschmutzung7 . Bezogen auf die Emissionen dieser Gase<br />
gibt es starke regionale Unterschiede, wie folgende Tabelle verdeutlicht:<br />
6 Basierend auf der mittleren Bevölkerungsprognose der Vereinten Nationen (UN 2004).<br />
7 Vgl. Tietenberg 2006, S. 396 ff. und S. 404 ff.
Anteil an der Welt-<br />
bevölkerung<br />
Anteil an den<br />
weltweiten Koh-<br />
lendioxidEmissi- onen<br />
Anteil an den<br />
weltweiten<br />
Schwefeldioxid<br />
Emissionen<br />
Anteil an den<br />
weltweiten<br />
181<br />
Kohlenmonoxid<br />
Emissionen<br />
HIC 15.8% 51.4% 32.3% 16.4%<br />
MIC 48.4% 42.3% 56.0% 40.8%<br />
LIC 35.8% 6.3% 11.7% 42.9%<br />
Tab. 2 Emissionen nach Ländergruppen im Jahr 2000 8<br />
Die Tabelle zeigt die Verteilung der Emissionen für Kohlendioxid, Schwefeldioxid<br />
und Kohlenmonoxid für das Jahr 2000. Vergleicht man die Anteile<br />
der einzelnen Ländergruppen an den weltweiten Emissionen, stellt man fest,<br />
dass mehr als die Hälfte der weltweiten CO -Emissionen aus den reichsten<br />
2<br />
Ländern der Welt stammen, während SO in besonderem Maße von der<br />
2<br />
Gruppe der MIC und CO von den LIC emittiert wird.<br />
3 Entwicklung eines Untersuchungsrahmens<br />
3.1 Einfache Bestimmungsfaktoren des Umweltverbrauchs<br />
Ziel dieses Abschnittes ist es, den gesamtgesellschaftlichen Umweltverbrauch<br />
als Funktion zweier Variablen darzustellen, auf die der demographische<br />
Wandel einen eindeutigen Einfluss hat. Dazu wird in einem ersten<br />
Schritt der Umweltverbrauch einer Gesellschaft folgendermaßen dargestellt:<br />
(1) UV = B ⋅ PKUV<br />
Der gesamtgesellschaftliche Umweltverbrauch (UV) ergibt sich als Produkt<br />
der Bevölkerungsgröße (B) und des Pro-Kopf-Umweltverbrauchs (PKUV).<br />
Da im Rahmen dieser Untersuchung von jeglichen Interdependenzen der<br />
8 Quellen: UN (2004), IEA (2004), RIVM/MNP (2005) und TNO (2001).
182<br />
Variablen B und PKUV abgesehen wird9 , lautet die relevante Fragestellung,<br />
welchen Einfluss der demographische Wandel jeweils auf die beiden Größen<br />
haben wird. Da es jedoch ein Hauptanliegen dieses Artikels ist, den marginalen<br />
Einfluss des demographischen Wandels auf den Umweltverbrauch zu<br />
untersuchen, und nicht eine Niveaubetrachtung des Umweltverbrauchs vorzunehmen,<br />
ist es sinnvoll, Gleichung (1) in Wachstumsraten anzugeben:<br />
(2) rUV = rB<br />
+ rPKUV<br />
+ rB<br />
⋅rPKUV<br />
Der gesamtgesellschaftliche Umweltverbrauch wächst also mit der Bevölkerungswachstumsrate<br />
zuzüglich der Wachstumsrate des Pro-Kopf-Umweltverbrauchs<br />
und dem Produkt aus beiden Größen.<br />
3.2 Bevölkerungsgröße, Umweltverbrauch und Demographischer<br />
Wandel<br />
Gemäß der Formulierung in Gleichung (2) würde ein 10%iges Bevölkerungswachstum<br />
zu einem 10%igen Wachstum der Gesamtemissionen führen.<br />
Diese Annahme stellt eine Vereinfachung des Zusammenhangs zwischen<br />
Bevölkerungsgröße und Umweltverbrauch dar, da Änderungen im Konsumentenverhalten<br />
oder in der Produktionstechnologie, die eventuell durch das<br />
Bevölkerungswachstum induziert werden, ausgeblendet werden. Diese Vorgehensweise<br />
ist jedoch legitim, wenn ein primäres Interesse an rein qualitativen<br />
Aussagen besteht10 . Lediglich die Tatsache, dass positives Bevölkerungswachstum<br />
einen steigernden Effekt auf den gesamtgesellschaftlichen<br />
Umweltverbrauch hat, sollte durch empirische Untersuchungen bestätigt<br />
werden. Dies wurde für viele Verschmutzungsarten tatsächlich nachgewiesen11<br />
.<br />
Es bleibt also die Frage zu beantworten, welchen Einfluss der demographische<br />
Wandel auf die Bevölkerungswachstumsrate hat. Hierbei hilft ein Blick<br />
auf die historische Entwicklung der Weltbevölkerung. Im Zeitraum von<br />
9 In der Realität sind durchaus Interdependenzen beider Variablen vorstellbar. Aus Gründen<br />
des Umfangs und der dann stark zunehmenden Komplexität soll in diesem Beitrag jedoch<br />
davon abgesehen werden.<br />
10 So ist es für die hier gewünschten qualitativen Aussagen von geringer Bedeutung, ob der<br />
Umweltverbrauch bei einem Bevölkerungswachstum von 2% um 1%, 2% oder 3% zunimmt.<br />
11 Vgl. Preston 1996, S.103 f. oder Lutz et al. 2001, S. 113 ff.
183<br />
10.000 v. Chr. bis 4000 v. Chr. wuchs die globale Bevölkerung jedes Jahr<br />
lediglich mit einer Rate von 0,01% 12 , während sich das Bevölkerungswachstum<br />
im Zeitraum von 4000 v. Chr. bis 1700 n. Chr. auf jährlich rund 0,08%<br />
erhöhte. Ab diesem Zeitpunkt kam es jedoch zu einem wesentlich stärkeren<br />
Bevölkerungswachstum, so dass in den letzten 300 Jahren die globale Bevölkerung<br />
im Jahresschnitt mit 0,8% wuchs 13 . Der starke Anstieg der globalen<br />
Bevölkerungswachstumsraten hängt also eng mit dem beginnenden demographischen<br />
Wandel in den heutigen Industrieländern zusammen (typischerweise<br />
beginnt der demographische Wandel mit der einsetzenden Industrialisierung).<br />
Daher scheint es legitim, sowohl die vergangenen als auch die<br />
zukünftigen Bevölkerungswachstumsraten direkt als Folge des demographischen<br />
Wandels zu sehen 14 . Der marginale Einfluss des demographischen<br />
Wandels auf die Bevölkerungsgröße kann also an den prognostizierten Bevölkerungswachstumsraten<br />
der Tabelle 1 abgelesen werden.<br />
3.3 Pro-Kopf-Umweltverbrauch und Demographischer Wandel<br />
Gesucht ist eine Bestimmungsgröße des Pro-Kopf-Umweltverbrauchs, auf<br />
die der demographische Wandel, durch seine Auswirkungen auf die Bevölkerungsstruktur,<br />
einen qualifizierbaren Einfluss hat. In Anlehnung an die<br />
breit gefächerte Literatur zur Environmental Kuznets Curve (EKC) bietet<br />
sich das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen als Bestimmungsgröße des<br />
Pro-Kopf-Umweltverbrauches an15 :<br />
(3) PKUV = PKUV (y)<br />
In dieser Form wird die Annahme getroffen, das durchschnittliche Pro-Kopf-<br />
Einkommen (y) sei die alleinige Bestimmungsgröße des Pro-Kopf-Umweltverbrauchs.<br />
Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass alle durch die Einkommenssteigerungen<br />
induzierten Effekte (wie sich ändernde Vermeidungs-<br />
12 Eigene Berechnungen auf Basis von McEvedy & Jones 1978, S. 343 ff.<br />
13 Eigene Berechnungen auf Basis von McEvedy & Jones 1978, S. 343 ff. und UN(2004).<br />
14 Nach Durchlaufen des demographischen Wandels wird laut Theorie ein Zustand erreicht,<br />
in dem die Bevölkerung nur noch minimal wächst bzw. Nullwachstum erreicht wird (vgl.<br />
Dinkel 1989, Abschnitt 2.3.).<br />
15 Einen guten Einblick in die aktuelle Lage zur EKC Forschung findet sich in Lieb 2003.
184<br />
optionen oder Präferenzen bezüglich der Umweltqualität) bereits durch die<br />
Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens wiedergegeben werden.<br />
Empirische Schätzungen des in Gleichung (3) dargestellten Zusammenhangs<br />
legen nahe, dass bezüglich des Verhältnisses von Pro-Kopf-Einkommen und<br />
Pro-Kopf-Umweltverbrauch zwischen den einzelnen Verschmutzungsarten<br />
unterschieden werden muss. Für lokale und regionale Umweltverschmutzungen<br />
(wie Kohlenmonoxid und Schwefeldioxid) wurde die Existenz einer<br />
Environmental Kuznets Curve empirisch nachgewiesen. Die EKC besagt,<br />
dass steigende Pro-Kopf-Einkommen bis zu einem gewissen Niveau zu<br />
einem steigenden Pro-Kopf-Umweltverbrauch führen, Einkommenssteigerungen<br />
über dieses Niveau hinaus jedoch mit einem sinkenden Pro-Kopf-<br />
Umweltverbrauch einhergehen. Ursachen für die Existenz der EKC können<br />
unter anderem eine steigende Nachfrage nach Umweltqualität (Umweltqualität<br />
als normales Gut), steigende Skalenerträge der Vermeidung oder der<br />
Strukturwandel sein (u.a. Lieb 2003). Folgende Abbildung zeigt eine exemplarische<br />
EKC:<br />
Eine exemplarische Environmental Kuznets Curve<br />
Pro Kopf<br />
Umweltverbrauch<br />
Pro Kopf Einkommen<br />
Laut empirischen Untersuchungen liegt der Maximalwert der EKC für<br />
Schwefeldioxidemissionen bei ungefähr 10.000 US-Dollar pro Kopf und für<br />
Kohlenmonoxidemissionen bei rund 16.000 US-Dollar pro Kopf 16 . In Bezug<br />
auf die Fragestellung dieser Untersuchung wird ersichtlich, dass der<br />
demographische Wandel einen vollkommen unterschiedlichen Einfluss auf<br />
16 Lieb (2003), S. 10 ff. gibt einen Überblick über eine Vielzahl empirischer Schätzungen.<br />
Die hier angegebenen Maximalwerte geben einen ungefähren Mittelwert der stark variierenden<br />
Schätzungen an.
185<br />
den Pro-Kopf-Umweltverbrauch haben kann, je nachdem ob sich die entsprechende<br />
Region auf dem steigenden oder fallenden Ast der EKC befindet.<br />
Durch den demographischen Wandel bedingte Einkommenssteigerungen<br />
(Einkommensminderungen) haben einen erhöhenden (senkenden) Einfluss<br />
auf den Pro-Kopf-Umweltverbrauch, sofern sich die Region auf dem steigenden<br />
Ast der EKC befindet (wie dies in ärmeren Ländern der Fall ist). In<br />
Regionen, die sich auf dem fallenden Ast der EKC befinden (reichere Länder)<br />
haben zusätzliche Einkommenssteigerungen (Einkommensminderungen)<br />
dagegen einen senkenden (steigernden) Einfluss auf den Pro-Kopf-<br />
Umweltverbrauch.<br />
Eine EKC konnte jedoch nicht für globale Luftverschmutzungen bestätigt<br />
werden <strong>–</strong> hier wird meistens ein positiver Zusammenhang zwischen Pro-<br />
Kopf-Einkommen und Pro-Kopf-Emissionen angenommen. Einkommenssteigerungen<br />
führen also über alle Einkommensniveaus hinweg zu steigenden<br />
Pro-Kopf-Emissionen. Durch den demographischen Wandel induzierte<br />
Einkommenssteigerungen (Einkommensminderungen) haben daher in allen<br />
Regionen einen verstärkenden (senkenden) Einfluss auf die CO -Pro-Kopf-<br />
2<br />
Emissionen.<br />
Bevor eine genaue Analyse des Einflusses des demographischen Wandels<br />
auf die Pro-Kopf-Emissionen möglich ist, muss untersucht werden, wie sich<br />
die Bevölkerungsstruktur auf das Pro-Kopf-Einkommen auswirkt. Dazu sei<br />
eine nicht näher spezifizierte, linear-homogene Produktionsfunktion mit den<br />
beiden Produktionsfaktoren Kapital (K) und Erwerbsbevölkerung (L) sowie<br />
dem technologischen Parameter (A) angenommen und durch die Gesamtbevölkerung<br />
(P) dividiert, um die Höhe der Pro Kopf Produktion, respektive<br />
des Pro-Kopf-Einkommens (y) zu bestimmen.<br />
A F K L A F K L L A F K L L L<br />
(4) y A f k )<br />
P<br />
P L<br />
L P P<br />
~<br />
⋅ ( , ) ⋅ ( , ) ⋅ ⋅ ( , )<br />
=<br />
=<br />
=<br />
= ⋅ (<br />
⋅<br />
Nach einer Erweiterung mit der Variable (L) und einigen Umformungen<br />
wird deutlich, dass das Pro-Kopf-Einkommen von drei Größen abhängt:<br />
Erstens dem technologischen Parameter A, zweitens der Kapitalausstattung<br />
je Erwerbstätigen ( k ~ ) und drittens der Erwerbsfähigenquote (L/P). Interessant<br />
ist also die Beantwortung der Frage, welchen Einfluss die Bevölkerungsstruktur<br />
auf diese drei Größen haben wird. Der Einfluss der Bevölkerungsstruktur<br />
auf die Kapitalakkumulation hängt vom Spar- und Investitionsverhalten<br />
und von der Offenheit der internationalen Kapitalmärkte ab und
186<br />
ist schwierig herauszuarbeiten17 . Auch die Frage, welchen Einfluss die Bevölkerungsstruktur<br />
auf den Parameter A und damit auf den technischen Fortschritt<br />
hat, ist nicht abschließend geklärt, obwohl oftmals angenommen wird,<br />
eine Alterung der Gesellschaft habe einen negativen Einfluss auf die gesellschaftliche<br />
Innovationsfähigkeit18 . Daher wird im Folgenden die vereinfa-<br />
~<br />
chende Annahme getroffen, das Einkommen je Erwerbstätigen ( A ⋅ f ( k ) = ~ y )<br />
entwickle sich unabhängig von der Bevölkerungsstruktur. Gemäß Gleichung<br />
(4) hat die Bevölkerungsstruktur jedoch über die Erwerbsfähigenquote (L/P)<br />
einen entscheidenden Einfluss auf das Pro-Kopf-Einkommen. In vereinfachter<br />
Form kann Gleichung (4) folgendermaßen ausgedrückt werden, wobei<br />
der Term (BS) für die Bevölkerungsstruktur steht:<br />
(5) y = y(<br />
~ y,<br />
BS)<br />
Ähnlich wie schon bei Gleichung (1) geschehen, ist es sinnvoll, Gleichung<br />
(4) in Wachstumsraten auszudrücken:<br />
(6) ry = r~<br />
y + rL<br />
− rP<br />
Das Pro-Kopf-Einkommen wächst mit der exogen gegebenen Wachstumsrate<br />
des Einkommens je Erwerbstätigen zuzüglich der Wachstumsrate der<br />
Erwerbsbevölkerung und abzüglich der Bevölkerungswachstumsrate. Der<br />
Einfluss, den der demographische Wandel über die Bevölkerungsstruktur auf<br />
die Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens hat, ist folgender: Wächst die<br />
Erwerbsbevölkerung schneller als die Gesamtbevölkerung, so hat der demographische<br />
Wandel einen steigernden Einfluss auf das Wachstum des Pro-<br />
Kopf-Einkommens, während er im umgekehrten Fall einen dämpfenden<br />
Einfluss aufweist. Dieses Phänomen des positiven Einflusses auf das Pro<br />
Kopf Wachstum ist in der Literatur als Demographic Gift bekannt und ist<br />
auch empirisch bestätigt worden 19 . Die folgende Tabelle zeigt das durchschnittliche<br />
jährliche Demographic Gift für die drei Ländergruppen bis 2050<br />
an 20 :<br />
17 Siehe Grömling (2004), S. 80.<br />
18 Vgl. Rürup (2000) oder (Siebert) 2002. Gefunden in: Grömling (2004), S. 81.<br />
19 Vgl. Bloom & Wiiliamson 1998, S. 430 oder Battini, Callen & McKibbin 2006, S. 13.<br />
20 Im Folgenden wird auch ein negativer Einfluss des demographischen Wandels auf das Pro-<br />
Kopf-Einkommen der Einfachheit halber als Demographic Gift bezeichnet.
Durchschnittliches jährliches Demographic Gift<br />
2005 - 2015 2015 - 2030 2030 - 2050<br />
HIC -0.20% -0.43% -0.24%<br />
MIC 0.19% -0.21% -0.33%<br />
LIC 0.46% 0.30% 0.13%<br />
Tab. 3 Demographic Gift nach Ländergruppen 21<br />
187<br />
Für die Gruppe der Industrieländer besagen die Prognosen, dass in den<br />
nächsten Jahrzehnten die Erwerbsbevölkerung langsamer wachsen wird als<br />
die Gesamtbevölkerung und infolgedessen das Wachstum des Pro-Kopf-<br />
Einkommens gemindert wird. In der Gruppe der MIC hat der demographische<br />
Wandel in den nächsten Jahren einen steigernden Einfluss auf das Pro-<br />
Kopf-Einkommen, da der Anteil der erwerbsfähigen Bevölkerung mit großer<br />
Sicherheit anwachsen wird. Ab 2015 wird laut Vorhersage die Veränderung<br />
der Bevölkerungsstruktur das Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens jedoch<br />
auch in dieser Region mindern. In den ärmsten Ländern dagegen bleibt das<br />
Demographic Gift wahrscheinlich den gesamten Zeitraum über positiv, was<br />
zu entsprechend höheren Wachstumsraten des Pro-Kopf-Einkommens in<br />
diesen Regionen führen wird. Inwieweit die einzelnen Länder dieses Demographic<br />
Gift tatsächlich realisieren können, hängt von den entsprechenden<br />
institutionellen Rahmenbedingungen der Länder (z.B. der Ausgestaltung des<br />
Arbeitsmarktes) ab.<br />
4 Untersuchungsergebnisse<br />
4.1 Demographischer Wandel und Pro-Kopf-Umweltverbrauch<br />
Wie in Abschnitt 3.3 beschrieben, steigen die Pro-Kopf-Emissionen von<br />
CO mit dem Einkommen. Ein positives Demographic Gift hätte zur Folge,<br />
2<br />
21 Basierend auf der mittleren Bevölkerungsprognose der Vereinten Nationen (UN 2004).
188<br />
dass das Pro-Kopf-Einkommen in dieser Periode schneller wachsen würde,<br />
was wiederum einen steigernden Einfluss auf die Pro-Kopf-Emissionen<br />
hätte. Umgekehrt verhält es sich jedoch bei einem negativen Demographic<br />
Gift. In diesem Fall würde das Pro-Kopf-Einkommen langsamer wachsen,<br />
was im Endeffekt zu langsamer wachsenden CO -Emissionen führen wür-<br />
2<br />
de.<br />
Um den marginalen Einfluss des demographischen Wandels auf die Pro-<br />
Kopf-Emissionen lokaler und regionaler Gase zu bestimmen, muss für die<br />
Ländergruppen beachtet werden, ob sie sich zum gegebenen Zeitpunkt auf<br />
dem aufsteigenden oder dem absteigenden Ast der EKC befinden. Dazu sind<br />
realistische Schätzungen der zukünftigen BIP Wachstumsraten der einzelnen<br />
Ländergruppen vonnöten, um das jeweilige Pro-Kopf-Einkommen der Ländergruppen<br />
bis 2050 vorhersagen zu können. Zu diesem Zweck wird folgende<br />
Vorgehensweise gewählt: Die Wachstumsrate des Einkommens je<br />
Erwerbstätigen nach Gleichung (6) wird für alle Ländergruppen als exogen<br />
gegeben angenommen. Annahmegemäß betrage sie für die Gruppe der HIC<br />
jährlich 2,0%, für die MIC 2,5% und für die LIC 3,0% 22 . Somit ergibt sich<br />
die prognostizierte BIP Wachstumsrate aus diesem exogenen Wachstum des<br />
Einkommens je Erwerbstätigen zuzüglich des in Tabelle 3 angegebenen<br />
Demographic Gift23 . In Bezug auf ihre Position auf der EKC ergeben sich<br />
daher für die einzelnen Ländergruppen folgende Sachverhalte: Die Gruppe<br />
der HIC hatte 2004 ein Pro-Kopf-Einkommen von 30.970 US-$ 24 . Somit<br />
befinden sich diese Länder eindeutig auf dem absteigenden Ast der EKC für<br />
SO und CO, woran sich auch in Zukunft wenig ändern dürfte. Für die<br />
2<br />
Gruppe der MIC wurde 2004 ein Pro-Kopf-Einkommen von durchschnittlich<br />
6.480 US-$ angegeben, wobei der Maximalwert der EKC für SO 2 bei<br />
circa 10.000 US-$ liegt. Dieses Einkommensniveau werden die MIC laut<br />
oben getroffenen Annahmen 2022 erreichen. Vor dem Jahr 2022 hätte ein<br />
positives (negatives) Demographic Gift in den MIC einen erhöhenden (mindernden)<br />
Einfluss auf die SO -Pro-Kopf-Emissionen, da diese Länder sich<br />
2<br />
22 Ähnliche Annahmen finden sich in Bongaarts 1992, S. 305 ff.<br />
23 Das Demographic Gift wird in diesem Fall für den kleinstmöglichen Zeitraum berechnet.<br />
Aufbauend auf den Bevölkerungsprognosen der UN sind dies 5 Jahresperioden von 2005-<br />
2010, 2010-2015 usw.<br />
24 Alle Einkommensdaten übernommen von der Weltbank (2005).
189<br />
auf dem steigenden Ast der EKC befinden. Nach 2022 würde jedoch ein<br />
positives (negatives) Demographic Gift einen senkenden (verstärkenden)<br />
Einfluss auf die Entwicklung der SO -Emissionen haben, da sich die Länder<br />
2<br />
dann bereits auf dem absteigenden Ast der EKC befinden. Für die Pro-Kopf-<br />
Emissionen von CO liegt der Maximalwert bei 16.000 US-$, welchen die<br />
MIC erst im Jahr 2043 erreichen werden. Eindeutige Aussagen bezüglich des<br />
Einflusses des demographischen Wandels auf die Pro-Kopf-Emissionen<br />
von SO (CO) sind daher in der Periode von 2015-2030 (2030-2050) nicht<br />
2<br />
möglich. Deutlicher ist die Situation wiederum für die Gruppe der LIC, die<br />
2004 durchschnittlich über ein Pro-Kopf-Einkommen von 2.260 US-$ verfügten.<br />
Trotz der höheren angenommen Wachstumsraten und der günstigen<br />
demographischen Entwicklung werden diese Länder das Einkommensniveau<br />
von 10.000 US-$ bis 2050 annahmegemäß nicht erreichen und sich daher für<br />
SO und CO ständig auf dem ansteigenden Ast der EKC befinden.<br />
2<br />
Aufbauend auf dem in Tabelle 3 dargestellten Demographic Gift und den<br />
vorherigen Überlegungen bezüglich der Position der Länder auf der EKC,<br />
wird deutlich, dass der Einfluss des demographischen Wandels auf die Pro-<br />
Kopf-Emissionen davon abhängt, welches der drei Gase betrachtet wird. Für<br />
CO ist der Einfluss des demographischen Wandels in den HIC über den<br />
2<br />
gesamten Zeitraum dämpfend, da er das Einkommenswachstum mindert. In<br />
den MIC wirkt er kurzfristig noch erhöhend, ab 2015 jedoch auch senkend.<br />
Nur in den LIC hat der demographische Wandel einen verstärkenden Effekt<br />
auf die CO -Pro-Kopf-Emissionen, da er einkommenserhöhend wirkt. Für<br />
2<br />
SO dagegen liegt in fast allen Regionen ein durchgehend verstärkender<br />
2<br />
demographischer Einfluss auf die Pro-Kopf-Emissionen vor. In den LIC<br />
beschleunigt der demographische Wandel das Einkommenswachstum und<br />
damit das Emissionswachstum, während er in den HIC das Einkommenswachstum<br />
und damit die Emissionsminderung dämpft. Lediglich für die MIC<br />
muss differenziert werden: So kann in den Perioden von 2005-2015 und<br />
2030-2050 ein erhöhender Einfluss des demographischen Wandels auf die<br />
Pro-Kopf-Emissionen erwartet werden. Für die Periode von 2015-2030<br />
dagegen können keine eindeutigen Aussagen getroffen werden, da die MIC<br />
in diesem Zeitraum das Maximum der EKC erreichen werden. Ähnlich wie<br />
für Schwefeldioxid stellt sich die Situation bei den Kohlenmonoxidemissionen<br />
dar. In den HIC und den LIC wirkt der demographischen Wandel in<br />
dieselbe Richtung wie für SO <strong>–</strong> erhöht also die Pro-Kopf-Emissionen. Le-<br />
2
190<br />
diglich in den MIC ändert sich die Situation dahingehend, dass für die Periode<br />
von 2015-2030 der Einfluss des demographischen Wandels auf die Pro-<br />
Kopf-Emissionen an CO eindeutig negativ wird und für die Periode von<br />
2030-2050 nicht mehr eindeutig bestimmbar ist. Folgende Tabelle fasst diese<br />
Ergebnisse zusammen:
Tab. 4 Demographischer Wandel und Pro-Kopf-Umweltverbrauch<br />
Marginaler Einfluss des demographischen Wandels<br />
auf die Kohlendioxidemissionen pro Kopf<br />
2005 - 2015 2015 - 2030 2030 - 2050<br />
HIC - - -<br />
MIC + - -<br />
LIC + + +<br />
Marginaler Einfluss des demographischen Wandels<br />
auf die Schwefeldioxidemissionen pro Kopf<br />
2005 - 2015 2015 - 2030 2030 - 2050<br />
HIC + + +<br />
MIC + ? +<br />
LIC + + +<br />
Marginaler Einfluss des demographischen Wandels<br />
auf die Kohlenmonoxidemissionen pro Kopf<br />
2005 - 2015 2015 - 2030 2030 - 2050<br />
HIC + + +<br />
MIC + - ?<br />
LIC + + +<br />
191<br />
+ (-) → Erhöhender (Senkender) Einfluss des demographischen Wandels auf<br />
die Pro-Kopf-Emissionen . Einfluss ist ungewiss bei “?“<br />
4.2 Demographischer Wandel und gesellschaftlicher Umweltverbrauch<br />
Entscheidend für die Entwicklung der Gesamtemissionen ist laut Gleichung<br />
(1) auch die Entwicklung der Bevölkerungsgröße. Gemäß Tabelle 1 ist der<br />
marginale Einfluss des Bevölkerungswachstums in allen drei Regionen den<br />
gesamten Zeitraum über positiv. Für die Fälle, wo der demographische
192<br />
Wandel über die Bevölkerungsstruktur einen steigernden Einfluss auf die<br />
Pro-Kopf-Emissionen haben wird, ist der Einfluss auf die Gesamtemissionen<br />
daher eindeutig positiv, da auch die Bevölkerungsgröße zunimmt 25 . In<br />
den Fällen, in denen der demographische Wandel einen senkenden Einfluss<br />
auf die Pro-Kopf-Emissionen haben wird, ist es allerdings schwierig genaue<br />
Aussagen über die Entwicklung der Gesamtemissionen zu treffen, da unbekannt<br />
ist, welcher der beiden Effekte hier überwiegt 26 . Unter Berücksichtigung<br />
dieser zusätzlichen Unsicherheit fasst Tabelle 5 die erwarteten Effekte<br />
des demographischen Wandels auf die Gesamtemissionen der drei Gase<br />
zusammen. Die Tabelle ist folgendermaßen zu lesen: Eindeutige Effekte<br />
werden direkt mit einem “+“ bzw. “-“ gekennzeichnet. In Fällen, in denen<br />
man aufgrund der Größenverhältnisse annehmen kann, dass einer der beiden<br />
Effekte (Einfluss über die Bevölkerungsstruktur bzw. über die Bevölkerungsgröße)<br />
den anderen dominiert, wird dies mit einem “(+)“ bzw. “(-)“<br />
gekennzeichnet. Größenmäßig nicht eindeutige Effekte werden mit einem<br />
“?“ dargestellt:<br />
25 Siehe Gleichung (3).<br />
26 So ist unklar, ob der positive erste Term von Gleichung (3) die negativen Terme 2 und 3<br />
derselben Gleichung betragsmäßig übertrifft.
Marginaler Einfluss des demographischen Wandels<br />
auf die Kohlendioxidemissionen<br />
2005 - 2015 2015 - 2030 2030 - 2050<br />
HIC (+) ? (-)<br />
MIC + (+) (-)<br />
LIC + + +<br />
Marginaler Einfluss des demographischen Wandels<br />
auf die Schwefeldioxidemissionen<br />
2005 - 2015 2015 - 2030 2030 - 2050<br />
HIC + + +<br />
MIC + (+) +<br />
LIC + + +<br />
Marginaler Einfluss des demographischen Wandels<br />
auf die Kohlenmonoxidemissionen<br />
2005 - 2015 2015 - 2030 2030 - 2050<br />
HIC + + +<br />
MIC + (+) ?<br />
LIC + + +<br />
Tab. 5 Demographischer Wandel und Gesamtemissionen<br />
193<br />
Im Vergleich zur Tabelle 4 fällt auf, dass in einigen Feldern der Einfluss des<br />
demographischen Wandels durch das Miteinbeziehen der Bevölkerungsgröße<br />
nicht mehr senkend, sondern verstärkend sein wird. Dies liegt an der<br />
gemachten Annahme, dass wachsende Bevölkerungen ceteris paribus mehr<br />
Gase emittieren werden. Um zu verdeutlichen, wie die Tabelle in den nicht<br />
eindeutigen Fällen zu lesen ist, sei hier ein Beispiel genauer erklärt. In der<br />
Periode von 2005-2015 weist Tabelle 3 für die HIC einen negatives Demographic<br />
Gift von 0,2% aus. Dies wird einen dämpfenden Einfluss auf die
194<br />
Entwicklung der Pro-Kopf-Emissionen an CO haben. Im selben Zeitraum<br />
2<br />
wächst aber die Bevölkerung mit jährlich 0,52%. Daher wird hier vermutet,<br />
dass der Skaleneffekt der größeren Bevölkerung in diesem Fall noch überwiegt<br />
und die Gesamtemissionen durch den demographischen Wandel<br />
schneller wachsen werden.<br />
Als Ergebnis kann festgehalten werden, dass der Einfluss des demographischen<br />
Wandels für die beiden lokalen und regionalen Luftverschmutzungen<br />
in allen Regionen in fast allen Perioden durchweg positiv zu sein scheint.<br />
Lediglich auf die CO -Emissionen ab 2030 kann ein senkender Einfluss des<br />
2<br />
demographischen Wandels vermutet werden.<br />
5 Zusammenfassung und Ausblick<br />
Hauptanliegen dieses Artikels war es, zu verdeutlichen, dass der demographische<br />
Wandel in den verschiedenen Regionen der Welt unterschiedliche<br />
Einflüsse auf den Umweltverbrauch haben wird. Da die Regionen sich sowohl<br />
im Hinblick auf ihre Demographie, als auch im Hinblick auf ihre dringlichsten<br />
Umweltverschmutzungen und ihre jeweilige Position auf der Environmental<br />
Kuznets Curve (EKC) unterscheiden, muss der Einfluss des demographischen<br />
Wandels auf den Umweltverbrauch sowohl nach Regionen<br />
als auch nach Arten des Umweltverbrauches getrennt werden. An dieser<br />
Stelle folgt eine Zusammenfassung der Ergebnisse für die jeweils relevantesten<br />
Umweltverschmutzungen der drei Ländergruppen:<br />
• CO wird heutzutage größtenteils in der Gruppe der HIC emittiert.<br />
2<br />
Nimmt man auch für die Zukunft einen positiven Zusammenhang<br />
zwischen Pro-Kopf-Einkommen und CO -Pro-Kopf-Emissionen<br />
2<br />
an, kann festgestellt werden, dass der marginale Einfluss des demographischen<br />
Wandels auf die CO -Gesamtemissionen in den HIC<br />
2<br />
in den nächsten 10 Jahren wahrscheinlich positiv und erst ab 2030<br />
negativ sein wird.<br />
• Die Gruppe der MIC emittiert in besonders großem Ausmaß 2<br />
SO .<br />
Da sich diese Ländergruppe bis 2022 auf dem aufsteigenden Ast der<br />
EKC befindet, werden die Gesamtemissionen bei weiter ansteigender<br />
Gesamtbevölkerung wahrscheinlich in Zukunft noch steigen.
195<br />
Der Einfluss des demographischen Wandels ist hier eindeutig erhöhend,<br />
was auch nach 2030, jedoch mit anderen Vorzeichen, der Fall<br />
sein wird. Da sich die Region dann auf dem fallenden Teil der EKC<br />
befinden wird, sind sinkende Pro-Kopf-Emissionen eine Folge der<br />
Einkommenssteigerungen. Dies wird, bei sehr mäßigem Bevölkerungswachstum,<br />
voraussichtlich zu sinkenden Gesamtemissionen<br />
führen. Allerdings wird der demographische Wandel hier diese, für<br />
die Umwelt positive, Entwicklung verlangsamen, da er das Einkommenswachstum<br />
(durch sinkende Erwerbsfähigenquoten) mindern<br />
wird.<br />
• Die Gruppe der LIC ist der größte Emittent von CO. Aufgrund der<br />
relativ hohen Bevölkerungswachstumsraten und der Tatsache, dass<br />
sich diese Ländergruppe den gesamten Zeitraum über auf dem ansteigenden<br />
Ast der EKC befindet, werden die CO-Emissionen in<br />
dieser Ländergruppe vermutlich stark ansteigen. In der gesamten<br />
Periode ist der Einfluss des demographischen Wandels auf die Gesamtemissionen<br />
an CO noch erhöhend.<br />
Dieser Beitrag kann nur einen ersten Anhaltspunkt liefern, und es sind einige<br />
sinnvolle Erweiterungen vorstellbar. Eine wertvolle Erweiterung wäre die<br />
feinere Gliederung der regionalen Aufteilung, um möglichst Länder mit<br />
ähnlicher Demographie und ähnlichem Wohlstandsniveau zusammenzuführen.<br />
Die in dieser Untersuchung vorgenommen Aufteilung ist gerade in der<br />
Gruppe der MIC problematisch, da es beispielsweise für die Position auf der<br />
EKC erhebliche Unterschiede macht, ob das betrachtete Land ein Einkommensniveau<br />
von 1.000 oder 9.000 US-$ aufweist. Zweitens könnten die in<br />
dieser Arbeit einfach als linear angenommenen Beziehungen zwischen Bevölkerungsgröße<br />
und Umweltverbrauch sowie Pro-Kopf-Einkommen und<br />
CO -Emissionen empirisch geschätzt werden, beziehungsweise auf beste-<br />
2<br />
hende Schätzungen aufgebaut werden. Dies würde es ermöglichen, unter<br />
Zuhilfenahme einer sinnvollen Prognose zur Entwicklung des Pro-Kopf-<br />
Einkommens, den demographischen Einfluss auf die Emissionen der drei<br />
Gase direkt in Emissionseinheiten zu schätzen, also auch quantitative Aussagen<br />
zulassen.<br />
Über den oben behandelten Zusammenhang hinaus, kann der demographische<br />
Wandel (über die Bevölkerungsstruktur) auch einen Einfluss auf die<br />
Umweltpräferenzen oder Konsummuster der Bevölkerung haben. Ein solcher
196<br />
Zusammenhang hätte ebenfalls Auswirkungen auf den Pro-Kopf-Umweltverbrauch<br />
und sollte näher untersucht werden.<br />
Literatur<br />
Batini, N./Callen, T./McKibbin, W. (2006): The Global Impact of Demographic<br />
Change, IMF Working Paper 06/09, International Monetary<br />
Fund (Washington DC).<br />
Bloom, D.E./Williamson, J.G. (1998): Demographic Transition and Economic<br />
Miracles in Emerging Asia, The World Bank Economic Review<br />
Vol.12 (3), S. 419-455.<br />
Bongaarts, J. (1992): Population Growth and Global Warming, Population<br />
and Development Review 18 (2), S. 299-319.<br />
Chertow, M.R. (2001): The IPAT Equation and its Variants, Journal of Industrial<br />
Ecology 4 (4), S. 13-29.<br />
Chesnai, J.C. (1992): The Demographic Transition, Oxford University Press<br />
(Oxford).<br />
Dinkel, R.-H. (1989): Demographie, Vahlen (Müchen).<br />
Grömling, M. (2004): <strong>Wirtschaft</strong>swachstum, in: Institut der deutschen <strong>Wirtschaft</strong><br />
Köln (Hrsg.): Perspektive 2050 <strong>–</strong> Ökonomik des demographischen<br />
Wandels, Deutscher Instituts-Verlag GmbH (Köln).<br />
International Energy Agency (IEA) (2004): CO 2 Emissions from Fossil<br />
Fuel Combustion (2003 Edition), Electronic database available online<br />
at: http://data.iea.org/ieastore/default.asp, Organization for Economic<br />
Cooperation and Development (Paris).<br />
Lieb, M.C. (2003): The Environmental Kuznets Curve: A Survey of the<br />
Empirical Evidence and of Possible Causes, Discussion Paper No. 391,<br />
Department of Economics - Universität Heidelberg.<br />
Lutz, W./MacKellar, F.L./O'Neill, B.C. (2001): Population and Climate<br />
Change, Cambridge Universitiy Press (Cambridge).<br />
McEvedy, C./Jones, R. (1978): Atlas of World Population History, Penguin<br />
Books (Midlesex).
197<br />
Preston, S.H. (1996): The Effect of Population Growth on Environmental<br />
Quality, Population Research and Policy Review 15, S. 95-108.<br />
RIVM/MNP (2005): The Netherlands National Institute for Public Health<br />
and the Environment/The Netherlands Environmental Assessment<br />
Agency, The Emission Database for Global Atmospheric Research<br />
(EDGAR) 3.2 Fast Track 2000, URL: http://www.mnp.nl/edgar/.<br />
Rürup, B. (2000): Bevölkerungsalterung und <strong>Wirtschaft</strong>swachstum: Hypothesen<br />
und empirische Befunde, in: Frankfurter Institut (Hrsg.): Prosperität<br />
in einer alternden Gesellschaft, (Frankfurt am Main).<br />
Siebert, H. (2002): Economic Perspectives for Aging Societies <strong>–</strong> the Issues,<br />
in: Siebert, Horst (Hrsg.): Economic Policy for Aging Societies,<br />
Springer Verlag (Berlin).<br />
Tietenberg, T. (2006): Environmental and Natural Resource Economics <strong>–</strong><br />
Seventh Edition, Pearson Education (Boston).<br />
TNO (2001): The Netherlands Organization for Applied Scientific Research,<br />
Online Datenbank URL: http://www.mnp.nl/edgar/.<br />
UN (2004): World Population Prospects: The 2004 Revision, URL:<br />
http://esa.un.org/unpp/.<br />
Weltbank (2005): World Development Indicators Database, URL:<br />
http://siteresources.worldbank.org/DATASTATISTICS/Resources/GN<br />
IPC.pdf.
Bettina Reich<br />
Die Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS<br />
1 Einleitung<br />
Vor dem Hintergrund des Wandels von einer Industriegesellschaft zu einer<br />
Dienstleistungs-, Hochtechnologie- und Informationsgesellschaft und damit<br />
zu einer zugleich globalisierten und weltweit vernetzten <strong>Wirtschaft</strong> verliert<br />
materielles Vermögen im Hinblick auf die Erreichung und Sicherung von<br />
Wettbewerbsvorteilen sowie die Erhöhung des Unternehmenswertes immer<br />
mehr an Bedeutung. Dagegen steigt die Fokussierung auf immaterielles<br />
Vermögen in stetig zunehmendem Maße als bedeutende Ressource, die den<br />
zukünftigen Wert und Erfolg von Unternehmen determiniert. Insofern haben<br />
Unternehmen auch ein begründetes Interesse, dieses zu bilanzieren. Dabei ist<br />
immaterielles Vermögen nach deutschem Bilanzrecht allerdings nur auszuweisen,<br />
wenn dieses entgeltlich erworben wurde. Infolgedessen differieren<br />
seit Beginn der 90er Jahre in zunehmendem Maße die bilanziellen Buchwerte<br />
des Eigenkapitals von den Marktwerten der nach HGB (Handelsgesetzbuch)<br />
bilanzierenden Unternehmen in ganz erheblichem Umfang. Dabei<br />
liegt diese asymmetrische Entwicklung neben subjektiven Einschätzungsspielräumen<br />
im Hinblick auf die Rechnungslegung vor allem auch in der<br />
Existenz nicht bilanzierter immaterieller Vermögensgegenstände begründet.<br />
So bezeichnete Moxter schon frühzeitig die immateriellen Vermögensgegenstände<br />
als „ewige Sorgenkinder des Bilanzrechts“ 1 .<br />
Die Bilanzierung nach IFRS (International Financial Reporting Standards -<br />
vormals IAS (International Accounting Standards)) bietet aber gegenüber der<br />
Bilanzierung nach HGB die Möglichkeit, sowohl entgeltlich erworbene immaterielle<br />
Vermögenswerte als auch selbst geschaffene immaterielle Vermö-<br />
1 Moxter, A. (1979), S. 1102.
200<br />
genswerte zu aktivieren. Dabei sind gemäß der EU-Verordnung Nr.<br />
1606/2002 seit dem 1. Januar 2005, von einigen Ausnahmen 2 abgesehen,<br />
kapitalmarktorientierte Unternehmen 3 mit Sitz in einem Mitgliedstaat der<br />
Europäischen Union verpflichtet, ihre Konzernabschlüsse nach den Vorschriften<br />
der IFRS aufzustellen (§ 315a Abs. 1 und 2 HGB). Daneben besteht<br />
infolge der Umsetzung des EU-Mitgliedstaatenwahlrechts im Rahmen des<br />
BilReG (Bilanzrechtsreformgesetz) ein Wahlrecht für die Anwendung der<br />
IFRS für die Erstellung von Konzernabschlüssen nicht-kapitalmarkt-orientierter<br />
Unternehmen (§ 315a Abs. 3 HGB) und von Einzelabschlüssen kapitalmarktorientierter<br />
sowie nicht-kapital-marktorientierter Unternehmen<br />
(§325 Abs. 2a HGB), wobei die IFRS-Einzelabschlüsse wiederum ausschließlich<br />
Informationszwecken dienen. Dabei impliziert die Umstellung<br />
auf die Rechnungslegung nach IFRS im Vergleich zu der bisherigen Rechnungslegung<br />
nach HGB vielschichtige und weitreichende Änderungen sowie<br />
vielfältigere Möglichkeiten im Hinblick auf die Bilanzierung von immateriellem<br />
Vermögen und vermag infolge einer Annäherung der Buchwerte des<br />
Eigenkapitals an dessen Marktwerte möglicherweise eine vorherrschende<br />
Informationslücke zu schließen.<br />
2 Wesensbestimmung immateriellen Vermögens<br />
Der Begriff des immateriellen Vermögens wird sowohl in der Wissenschaft<br />
als auch in der unternehmerischen Praxis äußerst differenziert betrachtet und<br />
damit unterschiedlich weit abgegrenzt, so dass sich bisher weder auf nationaler<br />
noch auf internationaler Ebene eine eindeutige Wesensbestimmung<br />
herauskristallisiert hat. Dementsprechend finden Ausführungen in Form von<br />
sowohl sprachlich als auch inhaltlich mehr oder minder stark voneinander<br />
2 Eine Übergangsfrist bis 2007 gilt für europäische Unternehmen, die ihren Konzernabschluss<br />
aufgrund einer Notierung in einem Nicht-EU-Land noch nach anderen international<br />
anerkannten Rechnungslegungsnormen, wie z.B. US-GAAP (United States Generally Accepted<br />
Accounting Principles), aufstellen und veröffentlichen sowie für Unternehmen, die<br />
den organisierten Markt ausschließlich wegen emittierter Fremdkapitaltitel in Anspruch<br />
nehmen.<br />
3 Als kapitalmarktorientierte Unternehmen sind Unternehmen zu verstehen, die einen organisierten<br />
Markt i.S.d. § 2 Abs. 5 WpHG (Wertpapierhandelsgesetz) durch von ihnen oder<br />
einem ihrer Tochterunternehmen ausgegebene Wertpapiere i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 1 WpHG in<br />
Anspruch nehmen.
201<br />
abweichenden Termini, wie u.a. Intangibles4 , immaterielle Vermögensgegenstände5<br />
, immaterielle Vermögenswerte6 und immaterielle Werte7 sowie<br />
immateriale Güter8 oder Intangible Assets9 als auch Intellectual Capital10 für<br />
die Begrifflichkeit des immateriellen Vermögens synonyme respektive inhaltsverwandte<br />
Anwendung.<br />
Dabei wird aber im Allgemeinen eine sowohl in der deutschen als auch in<br />
der internationalen Rechnungslegungsliteratur anerkannte negative Abgrenzung<br />
des immateriellen Vermögens vom sonstigen Vermögen vorgenommen.<br />
11 Danach umfasst zunächst das rein immaterielle Vermögen das nichtkörperliche<br />
Vermögen, das nicht greifbar ist und sich durch dessen geistige<br />
und rechtliche Form kennzeichnen lässt, im Gegensatz zum materiellen<br />
Vermögen, das wiederum das körperliche, stoffliche und damit greifbare<br />
Vermögen inkludiert. 12 Daneben wird dann das materialisierte immaterielle<br />
Vermögen, das sich aus immateriellen und materiellen Bestandteilen zusammensetzt,<br />
als immaterielles Vermögen klassifiziert, wenn dem materiellen<br />
Vermögen als Trägermedium lediglich eine untergeordnete Bedeutung<br />
zukommt und dieses vielmehr Transport- und Dokumentations- sowie<br />
Speicherungs- oder Lagerungszwecke übernimmt. Insofern impliziert bspw.<br />
auf einem Datenträger gespeicherte Software immaterielles Vermögen. Ferner<br />
liegt beim nominellen oder finanziellen Vermögen, wie z.B. Forderungen<br />
und Verbindlichkeiten, analog zum immateriellen Vermögen auch nichtkörperliches<br />
Vermögen vor. Das immaterielle Vermögen ist aber im Gegensatz<br />
zum finanziellen Vermögen nicht monetär geprägt. 13<br />
4 Vgl. Zimmermann/Schütte (2004), S. 315; Weber, C.-P. (2002), S. 323; Küting/Dürr<br />
(2003), S. 1.<br />
5 Vgl. § 266 Abs. 2 HGB.<br />
6 Vgl. DRS 12; IAS 38; Kaplan/Norton (2004), S. 3.<br />
7 Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2001), S. 989.<br />
8 Vgl. Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 1; Dawo, S. (2003), S. 5; Keitz, I. v.(1997), S. 6.<br />
9 Vgl. Daum, J. H. (2002), S. 17.<br />
10 Vgl. Brandes/Schabel/Wache (2005), S. 17; Daum, J. H. (2002), S. 7; Sullivan, P. H.<br />
(2000), S. 8f.<br />
11 Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2004), S. 225.<br />
12 Vgl. Bitz/Schneeloch/Wittstock (2003), S. 145.<br />
13 Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2004), S. 225.
202<br />
Des Weiteren wird unabhängig vom Rechnungslegungssystem regelmäßig<br />
zwischen dem Unternehmensbetrieb dauerhaft dienendem immateriellen<br />
Vermögen des Anlagevermögens, wie z.B. Markennamen für Produkte, und<br />
dem zur Veräußerung bestimmten immateriellen Vermögen des Umlaufvermögens<br />
(Vorräte), wie bspw. im Kundenauftrag entwickelte Software, unterschieden.<br />
14 Vor dem Hintergrund der Bedeutung des dem Unternehmen<br />
langfristig dienenden immateriellen Anlagevermögens wird das immaterielle<br />
Umlaufvermögen aber nachfolgend vernachlässigt und damit ausschließlich<br />
das immaterielle Anlagevermögen als Untersuchungsgegenstand behandelt.<br />
15<br />
Darüber hinaus wird in Abhängigkeit von der Form des Zugangs des immateriellen<br />
Vermögens zum Unternehmen zwischen dem originären immateriellen<br />
Vermögen, das das Unternehmen von Dritten erworben hat, und dem<br />
derivativen immateriellen Vermögen, das von einem Unternehmen selbst<br />
geschaffen wurde, differenziert. 16<br />
Weiterhin ist das immaterielle Vermögen von dem Geschäfts- oder Firmenwert<br />
(GfW) respektive Goodwill abzugrenzen, der als Differenz aus dem<br />
Ertragswert bzw. bei einem Unternehmenserwerb dem Kaufpreis und dem<br />
Nettosubstanzwert eines Unternehmens zu verstehen ist. Insofern umfasst<br />
das immaterielle Vermögen neben dem nicht separat aktivierten immateriellen<br />
Vermögen, das zum einen dem immateriellen Vermögen und zum anderen<br />
auch dem Geschäfts- oder Firmenwert zugeordnet ist, das separat aktivierte<br />
immaterielle Vermögen. 17 Dabei kann aber der bilanzrechtlich differenziert<br />
als Vermögensgegenstand, Bilanzierungshilfe, Rechnungsabgrenzungsposten<br />
oder Aliud beurteilte Geschäfts- oder Firmenwert auch<br />
weitere nicht zum immateriellen Vermögen zählende Bestandteile aufweisen.<br />
18<br />
Außerdem stellen Aufwendungen, wie Ausgaben für Forschung und Entwicklung,<br />
selbst kein immaterielles Vermögen dar, sondern können vielmehr<br />
14 Vgl. Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 252.<br />
15 Im Folgenden findet der Begriff des immateriellen Vermögens vereinfachend für den<br />
Terminus des immateriellen Vermögens des Anlagevermögens Anwendung.<br />
16 Vgl. Bitz/Schneeloch/Wittstock (2003), S. 146; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 57f.<br />
17 Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2004), S. 227.<br />
18 Vgl. Bitz/Schneeloch/Wittstock (2003), S. 146.
203<br />
zu potentiellem immateriellem Vermögen in Form von Forschungs- oder<br />
Teilergebnissen führen und sind im Rahmen eines pagatorisch abgesicherten<br />
Rechnungslegungssystems als Aufwendungen zum Erwerb, zur Schaffung<br />
oder auch zur Verbesserung von immateriellem Vermögen zu aktivieren<br />
respektive als Aufwand zu erfassen. 19<br />
Schließlich lässt sich das immaterielle Vermögen nach dem Arbeitskreis<br />
„Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ neben unterschiedlichen anderen<br />
Umschreibungen in Form von Kategorisierungen20 operational und umfassend<br />
sowie unabhängig von dessen Aktivierungsfähigkeit in die einstufigen<br />
sieben Kategorien Innovation-Capital, Human-Capital, Customer-Capital<br />
und Supplier-Capital, Investor-Capital sowie Process-Capital und Location-<br />
Capital systematisieren. 21 Danach umfasst das Innovation-Capital das immaterielle<br />
Vermögen im Bereich der Produkt- und Dienstleistungs- sowie Verfahrensinnovationen<br />
eines Unternehmens, wie z.B. Software, Patente, Filme,<br />
ungeschützte Rezepturen. Das Human-Capital beinhaltet dann das immaterielle<br />
Vermögen im Personalbereich eines Unternehmens, wie u.a. Kompetenz<br />
und Wissen von Personal und Management und Betriebsklima. Dagegen<br />
expliziert das Customer-Capital das immaterielle Vermögen im Absatzbereich<br />
eines Unternehmens, wie bspw. Marken, Marktanteile, Kundenlisten,<br />
Kundenzufriedenheit und auch Abnahmeverträge. Das Supplier-Capital<br />
bezeichnet analog das immaterielle Vermögen im Beschaffungsbereich eines<br />
Unternehmens, wie z.B. Verträge über den Bezug knapper Rohstoffe. Das<br />
Investor-Capital erfasst wiederum das immaterielle Vermögen im Finanzbereich<br />
eines Unternehmens, wie z.B. Konditionen der Eigen- und Fremdkapitalbeschaffung.<br />
Indessen beschreibt das Process-Capital das immaterielle<br />
Vermögen im Organisationsbereich vor dem Hintergrund der Ablauf- und<br />
Aufbauorganisation eines Unternehmens, wie bspw. Vertriebsnetz, Qualitätssicherung<br />
und Kommunikationsnetz. Schließlich fasst das Location-<br />
Capital das immaterielle Vermögen im Hinblick auf den Standort eines Unternehmens<br />
zusammen, wie z.B. Standortvorteile in Form von Steuervorteilen.<br />
22<br />
19 Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2001), S. 991.<br />
20 Vgl. im deutschen Schrifttum z.B. Reuleaux, S. (1987), S. 48-56.<br />
21 Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2003), S. 1234.<br />
22 Vgl. Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2004), S. 226 f; Arbeitskreis<br />
„Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ (2001), S. 990 f.
204<br />
3 Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS<br />
3.1 Definition und Ansatz immaterieller Vermögenswerte nach IFRS<br />
Die zentrale Anwendungsvorschrift für immaterielle Vermögenswerte IAS<br />
38 Intangible Assets ist im März 1998 im Zuge langwieriger Diskussionen<br />
des IASC (International Accounting Standards Commitee) aus den Exposure<br />
Drafts E 50 Intangible Assets und E 60 Intangible Assets hervorgegangen,<br />
wurde dann im Zuge eines Proposed Improvement Project umfassend überarbeitet<br />
und im März 2004 vom IASB (International Accounting Standards<br />
Board) -vormals IASC- verabschiedet, so dass IAS 38 nunmehr gänzlich den<br />
aus dem Jahre 1978 resultierenden IAS 9 Research and Development Costs<br />
ersetzt. 23 Demnach ist ein immaterieller Vermögenswert gemäß IAS 38.8<br />
definiert als ein „identifizierbarer, nicht monetärer Vermögenswert ohne<br />
physische Substanz“, über den das Unternehmen aufgrund von Ereignissen in<br />
der Vergangenheit eine Verfügungsmacht besitzt und aus dem in Zukunft ein<br />
wirtschaftlicher Nutzenzufluss resultiert. Dabei besteht nach IAS 38 eine<br />
Ansatzpflicht für einen Sachverhalt als immaterieller Vermögenswert, wenn<br />
dieser im Zuge einer umfangreichen zweistufigen Prüfung sowohl die abstrakte<br />
Aktivierungsfähigkeit als auch die konkrete Aktivierungsfähigkeit<br />
erfüllt. 24 Infolgedessen verlangt der Ansatz eines Postens als immaterieller<br />
Vermögenswert das Vorliegen der Definitionskriterien gemäß IAS 38.8-17<br />
sowie der Ansatzkriterien gemäß IAS 38.21-23. 25 Dabei begründen die im<br />
Rahmenwerk in F. 49a verankerten Vermögenswertkriterien und die in F. 83<br />
23 Vgl. Wulf, I. (2004), S. 8; Lutz-Ingold, M. (2005), S. 153f; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S.<br />
20f. Daher umfasst IAS 38 alle Arten von immateriellen Vermögenswerten, die nicht in<br />
anderen Einzelstandards, wie IAS 2 Inventories, IAS 11 Construction Contracts, IAS 12<br />
Income Taxes, IAS 17 Leases, IAS 19 Employee Benefits, IAS 39 Financial Instruments,<br />
IFRS 3 Business Combinations, IFRS 4 Insurance Contracts oder IFRS 5 Non-current Assets<br />
Held for Sale and Discontinued Operations, konkret behandelt werden sowie keine<br />
Abbau- und Schürfrechte und Ausgaben für die Erschließung oder die Förderung und den<br />
Abbau von Mineralien, Öl, Erdgas und ähnlichen nicht regenerativen Ressourcen (vgl. IAS<br />
38.2-3).<br />
24 Vgl. Esser/Hackenberger (2004), S. 403; Dawo, S. (2003), S. 193; Schmidbauer, R. (2004),<br />
S. 1443.<br />
25 Vgl. IAS 38.18.
205<br />
dargelegten Ansatzkriterien, die aufgrund des dem Rahmenwerk fehlenden<br />
Verpflichtungscharakters in IAS 38 wiederholt und hinsichtlich der Anforderungen<br />
an immaterielle Vermögenswerte konkretisiert und damit um weitere<br />
Kriterien ergänzt werden, auch die abstrakte und konkrete Aktivierungsfähigkeit<br />
immaterieller Vermögenswerte. 26 Insofern müssen immaterielle Vermögenswerte<br />
zusätzlich zu den Definitions- und Ansatzkriterien der Vermögenswerte,<br />
die nach den Vorschriften der IFRS der Investitionsrechnung<br />
folgend als Strömungsgrößen einen Zeitraumbezug aufweisen und damit<br />
dynamisch und nutzwertorientiert gesehen werden, 27 weitere postenspezifische<br />
Kriterien erfüllen. Dementsprechend muss es sich im Hinblick auf die<br />
abstrakte Aktivierungsfähigkeit immaterieller Vermögenswerte zunächst um<br />
einen Vermögenswert im Sinne einer nicht monetären Ressource ohne physische<br />
Substanz handeln, die ein Ergebnis von Ereignissen in der Vergangenheit<br />
darstellt. 28 Daneben ist die Identifizierbarkeit (Identifiability) eines Vermögenswertes<br />
immer dann gegeben, wenn dieser separierbar ist, d.h. alleine<br />
oder im Zusammenhang mit einem Vertrag, einem Vermögenswert oder<br />
einer Schuld vom Unternehmen verkauft, übertragen, lizenziert, vermietet<br />
oder getauscht werden kann, oder aus vertraglichen oder anderen gesetzlichen<br />
<strong>Recht</strong>en, wie z.B. Lizenzen oder Patenten, entsteht, unabhängig davon,<br />
ob diese <strong>Recht</strong>e übertragbar oder separierbar sind. 29 Demnach muss ein<br />
immaterieller Vermögenswert individuell bestimmbar und damit vom Geschäfts-<br />
oder Firmenwert eindeutig unterscheidbar sein. 30 Des Weiteren liegt<br />
die Verfügungsmacht (Control) eines Unternehmens über einen Vermögenswert<br />
dann vor, wenn sich das Unternehmen den aus dem Vermögenswert<br />
in Zukunft resultierenden wirtschaftlichen Nutzenzufluss verschaffen<br />
und den Zugriff Dritter darauf beschränken kann. Die Verfügungsmacht<br />
eines Unternehmens kann sowohl eine rechtliche als auch eine ausreichende<br />
wirtschaftliche Beherrschung implizieren, wobei diese aber bspw. nicht über<br />
26 Vgl. Dawo, S. (2003), S. 193; Schmidbauer, R. (2004), S. 1443; Heyd/Lutz-Ingold (2005),<br />
S. 33.<br />
27 Vgl. Buchholz, R. (2004a), S. 221f.; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 28; Pellens/Fülbier<br />
(2000), S. 124.<br />
28 Vgl. IAS 38.8; Esser/Hackenberger (2004), S. 403; Dawo, S. (2003), S. 193.<br />
29 Vgl. IAS 38.12.<br />
30 Vgl. IAS 38.11; Born, K. (2005), S. 121; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 4; Dawo, S. (2003),<br />
S. 194.
206<br />
den künftigen wirtschaftlichen Nutzenzufluss aus dem Know-How der Mitarbeiter<br />
besteht. 31 Darüber hinaus muss das Unternehmen aus dem Vermögenswert<br />
in Zukunft auch einen wirtschaftlichen Nutzenzufluss (Future Economic<br />
Benefit) generieren können, der wiederum aus Erlösen aus dem Verkauf<br />
von Produkten oder Dienstleistungen, Kosteneinsparungen oder anderen<br />
Vorteilen der unternehmensinternen Verwendung resultieren kann. 32<br />
Schließlich erfolgt die Aktivierung eines immateriellen Vermögenswertes<br />
nur dann, wenn zusätzlich auch die konkrete Aktivierungsfähigkeit erfüllt<br />
ist. 33 Diese ist dann gegeben, wenn dem Unternehmen in Zukunft der erwartete<br />
wirtschaftliche Nutzen aus dem immateriellen Vermögenswert wahrscheinlich<br />
zufließt (Probability) und die Anschaffungs- oder Herstellungskosten<br />
des immateriellen Vermögenswertes zuverlässig bestimmt werden<br />
können (Reliability). 34 Dabei ist die Wahrscheinlichkeit des erwarteten künftigen<br />
wirtschaftlichen Nutzenzuflusses nicht quantifiziert, gleichwohl soll<br />
dessen Abschätzung auf vernünftigen und nachvollziehbaren Annahmen<br />
sowie der bestmöglichen Einschätzung des Managements des bilanzierenden<br />
Unternehmens hinsichtlich der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen während<br />
der Nutzungsdauer des immateriellen Vermögenswertes beruhen. 35<br />
Zudem sind unternehmensexterne Werthaltigkeitshinweise gegenüber unternehmensinternen<br />
Kalkulationen aus Objektivierungsgründen stärker zu gewichten.<br />
36 Darüber hinaus sind dann die Anschaffungskosten bei einzeln<br />
erworbenen immateriellen Vermögenswerten aufgrund der dem Kaufpreis<br />
innewohnenden objektivierenden Wirkung gewöhnlich eindeutig feststellbar.<br />
37 Vor dem Hintergrund der mangelnden Praktikabilität der Ansatzkriterien<br />
der Wahrscheinlichkeit des in Zukunft erwarteten wirtschaftlichen Nut-<br />
31 Vgl. IAS 38.13-16; Wulf, I. (2004), S. 8; Buchholz, R. (2004a), S. 223.<br />
32 Vgl. IAS 38.17.<br />
33 Die Abgrenzung der abstrakten Aktivierungsfähigkeit von der konkreten Aktivierungsfähigkeit<br />
ist unscharf, so dass die nachfolgend explizierten Ansatzkriterien der konkreten<br />
Aktivierungsfähigkeit in der Literatur vereinzelt auch bereits der abstrakten Aktivierungsfähigkeit<br />
zugeordnet werden (vgl. z.B. Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 255f; Heyd/Lutz-<br />
Ingold (2005), S. 27).<br />
34 Vgl. IAS 38.21; Wagenhofer, A. (2005), S. 205.<br />
35 Vgl. IAS 38.22; Esser/Hackenberger (2004), S. 405; Schmidbauer, R. (2004), S. 1443.<br />
36 Vgl. IAS 38.23; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 255; Dawo, S. (2003), S. 199.<br />
37 Vgl. IAS 38.25-26 und 38.34; Schmidbauer, R. (2004), S. 1443; Dawo, S. (2003), S. 201f.
207<br />
zenzuflusses und der zuverlässigen Bestimmung der Herstellungskosten bei<br />
selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswerten wird deren zeitlicher<br />
Entstehungsprozess zur Feststellung der konkreten Aktivierungsfähigkeit<br />
hilfsweise sowohl in eine Forschungsphase als auch in eine Entwicklungsphase<br />
unterteilt. 38<br />
Dabei ist die Forschung als eigenständige und planmäßige Suche nach neuen<br />
wissenschaftlichen oder technischen Erkenntnissen zu verstehen. 39 Die Forschungsaktivitäten<br />
innerhalb der Forschungsphase umfassen z.B. Aktivitäten<br />
zur Erlangung neuer Erkenntnisse (Grundlagenforschung) oder die Suche,<br />
Bewertung und Auswahl von Forschungserkenntnissen (angewandte Forschung).<br />
40 Das bilanzierende Unternehmen kann in der Forschungsphase<br />
jedoch nicht zuverlässig nachweisen, dass aus den Forschungsaktivitäten in<br />
Zukunft ein wahrscheinlich wirtschaftlich vorteilhafter immaterieller Vermögenswert<br />
resultiert. 41 Demzufolge besteht grundsätzlich ein Ansatzverbot<br />
für die produktfernen Forschungskosten (Research Costs), die damit sofort<br />
als Aufwand zu erfassen sind. 42 Dagegen gilt die Entwicklung als die der<br />
Forschung nachgelagerte vor Beginn der kommerziellen Produktion oder<br />
Nutzung stattfindende Anwendung von Forschungsergebnissen oder anderem<br />
Wissen auf einen Plan oder Entwurf für die Produktion von neuen oder<br />
beträchtlich verbesserten Materialien, Vorrichtungen, Produkten, Verfahren,<br />
Systemen oder Dienstleistungen. 43 Dabei setzen sich die Entwicklungsaktivitäten<br />
innerhalb der Entwicklungsphase bspw. aus der Fertigung von Prototypen<br />
und Modellen sowie Pilotanlagen zusammen. 44 Demnach unterliegen<br />
die objektbezogenen Entwicklungskosten (Development Costs) einer Ansatzpflicht,<br />
wenn das bilanzierende Unternehmen die kumulative Erfüllung<br />
der bestimmten ergänzenden Aktivierungskriterien erstmalig nachweisen<br />
38 Vgl. IAS 38.51-52; Wulf, I. (2004), S. 9. Die Bilanzierung selbst erstellter Webauftritte für<br />
den unternehmensinternen oder unternehmensexternen Gebrauch behandelt die Interpretation<br />
SIC-32 Intangible Assets <strong>–</strong> Web Site Costs, die auch die Differenzierung der Forschungsphase<br />
von der Entwicklungsphase hinsichtlich der Websitekosten expliziert.<br />
39 Vgl. IAS 38.8.<br />
40 Vgl. IAS 38.56; Ammann/Müller (2004), S. 136; Kirsch, H. (2005a), S. 59.<br />
41 Vgl. IAS 38.55; Buchholz, R. (2004b), S. 80.<br />
42 Vgl. IAS 38.54; Buchholz, R. (2004b), S. 80.<br />
43 Vgl. IAS 38.8.<br />
44 Vgl. IAS 38.59.
208<br />
kann. 45 Danach ist zunächst die technische Realisierbarkeit der Fertigstellung<br />
des immateriellen Vermögenswertes zu erfüllen, damit dieser zur internen<br />
Nutzung oder zum Verkauf zur Verfügung steht. Daneben muss die<br />
Absicht zur Fertigstellung des immateriellen Vermögenswertes vorliegen,<br />
um diesen intern zu nutzen oder zu verkaufen. Des Weiteren muss auch die<br />
Fähigkeit bestehen, den immateriellen Vermögenswert intern zu nutzen oder<br />
zu verkaufen. Darüber hinaus ist die Art und Weise, wie der immaterielle<br />
Vermögenswert einen voraussichtlichen künftigen wirtschaftlichen Nutzen<br />
erzielen wird, nachzuweisen, z.B. durch die Existenz eines Marktes für den<br />
immateriellen Vermögenswert oder dessen Produkte oder im Falle der internen<br />
Nutzung durch den Nutzen des immateriellen Vermögenswertes. Ferner<br />
ist die Verfügbarkeit adäquater technischer, finanzieller und sonstiger Ressourcen<br />
auszuweisen, um die Entwicklung abzuschließen und den immateriellen<br />
Vermögenswert zu nutzen oder zu verkaufen. Schließlich muss die<br />
Fähigkeit bestehen, die dem immateriellen Vermögenswert während seiner<br />
Entwicklung zurechenbaren Ausgaben zuverlässig zu bewerten. 46 Diese<br />
zusätzlichen Ansatzkriterien führen einerseits zu einer de facto restriktiveren<br />
Behandlung der selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswerte gegenüber<br />
den erworbenen immateriellen Vermögenswerten, 47 andererseits wird<br />
dem bilanzierenden Unternehmen bei der Erfüllung seiner Nachweispflicht<br />
aber auch ein weitreichender Entscheidungsspielraum beim Ansatz eines<br />
selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswertes eröffnet. 48 So kann der<br />
Ansatzzeitpunkt unternehmensindividuell begründet in das eine oder andere<br />
Geschäftsjahr verlagert werden. 49 Daneben werden die Herstellungskosten<br />
eines selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswertes in der Entwicklungsphase<br />
solange als Aufwand verrechnet, bis das Unternehmen die sechs<br />
Ansatzkriterien eindeutig nachweisen kann. Dabei ist die Nachaktivierung<br />
von bereits als Aufwand erfassten Entwicklungskosten untersagt. 50 So impliziert<br />
auch die Auslegung der speziellen Ansatzkriterien einen erheblichen<br />
Einschätzungsspielraum mit Einfluss auf die extern weder einzuschätzende<br />
45 Vgl. 38.57; Dawo, S. (2003), S. 203.<br />
46 Vgl. 38.57; Kirsch, H. (2005a), S. 55; Wagenhofer, A. (2005), S. 208.<br />
47 Vgl. Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 39.<br />
48 Vgl. Dawo, S. (2003), S. 205; Wulf, I. (2001), S. 128; Müller, S. (2003), S. 129.<br />
49 Vgl. Wulf, I. (2005), S. 6.<br />
50 Vgl. IAS 38.65 und das dazugehörige Beispiel.
209<br />
noch zu quantifizierende Sachverhaltsgestaltung und damit im Ergebnis ein<br />
faktisches Ansatzwahlrecht für Entwicklungskosten. 51 In dem Fall, in dem<br />
das Unternehmen aufgrund der interdependenten Beziehung zwischen den<br />
Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten die Forschungsphase nicht von der<br />
Entwicklungsphase abgrenzen kann, werden die gesamten Projektkosten als<br />
in der Forschungsphase angefallener Aufwand erfasst. 52<br />
Ferner besteht ein explizites Ansatzverbot für selbst geschaffene Markennamen,<br />
Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten und ihrem Wesen nach ähnliche<br />
Sachverhalte, da diese nicht oder nur selten die Ansatzkriterien erfüllen<br />
und somit deren Entwicklungskosten nicht hinreichend von den sonstigen<br />
Aufwendungen des Unternehmens, also von dem originären Geschäfts- oder<br />
Firmenwert, unterschieden werden können. 53 Durch das Fehlen eines aktiven<br />
Marktes für diese bestimmten selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswerte<br />
mit hohem Wert- und Erfolgspotenzial ist deren zuverlässige<br />
Bewertbarkeit, die das IASB höher gewichtet als deren Relevanz, nicht gegeben.<br />
54 Daneben sind auch Ausgaben für die Gründung und den Anlauf<br />
eines Geschäftsbetriebes sowie für Aus- und Weiterbildungsaktivitäten,<br />
Werbekampagnen und Maßnahmen der Verkaufsförderung sowie für die<br />
Verlegung oder Reorganisation von Unternehmensteilen oder des gesamten<br />
Unternehmens als Aufwand in der Periode zu erfassen, in der sie anfallen. 55<br />
In Abgrenzung zum selbst geschaffenen immateriellen Vermögenswert unterliegt<br />
auch ein selbst geschaffener Geschäfts- oder Firmenwert einem Ansatzverbot,<br />
da dieser zum einen nicht identifizierbar, also separierbar, ist und<br />
zum anderen nicht auf vertraglichen oder gesetzlichen <strong>Recht</strong>en beruht. 56<br />
Dagegen besteht aber nach IFRS 3 Business Combinations eine Ansatzpflicht<br />
für im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses erworbene<br />
immaterielle Vermögenswerte, die infolge der Erwerbsmethode (Purchase<br />
Method) im Zuge der Kaufpreisallokation nun auch separat zu erfassen sind,<br />
51 Vgl. Wulf, I. (2004), S. 9; Esser/Hackenberger (2004), S. 405f; Dawo, S. (2003), S. 205f;<br />
Birgel, K. (2005), S. 135.<br />
52 Vgl. IAS 38.53; Leibfried/Pfanzelt (2004), S. 491; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 260.<br />
53 Vgl. IAS 38.63-64; Wulf, I. (2005), S. 7; Wagenhofer, A. (2005), S. 211.<br />
54 Vgl. IAS 38.78; Wulf, I. (2005), S. 7.<br />
55 Vgl. IAS 38.69.<br />
56 Vgl. IAS 38.48-50.
210<br />
wenn diese zum einen die Definition eines immateriellen Vermögenswertes<br />
gemäß IAS 38 erfüllen und zum anderen deren beizulegender Zeitwert (Fair<br />
Value) zuverlässig bewertet werden kann. 57 Dabei entspricht der beizulegende<br />
Zeitwert dem Betrag, zu dem zwischen sachverständigen, vertragswilligen<br />
und voneinander unabhängigen Geschäftspartnern ein Vermögenswert<br />
getauscht werden könnte. 58 So umfassen die aktivierungsfähigen immateriellen<br />
Vermögenswerte auch die bisher einem Ansatzverbot unterliegenden<br />
immateriellen Vermögenswerte, wie z.B. Markennamen und Kundenlisten.<br />
59 Diese sind aber nicht zuverlässig bewertbar und damit nicht<br />
separat anzusetzen, wenn jene aus gesetzlichen oder anderen vertraglichen<br />
<strong>Recht</strong>en entstehen und nicht separierbar sind oder separierbar sind, aber<br />
vergleichbare Markttransaktionen nicht vorliegen und Schätzungen somit auf<br />
unbestimmbaren Variablen beruhen. 60 Die sich daraus ergebenden ganz<br />
erheblichen Einschätzungsspielräume wirken sich dann über die Folgebewertung<br />
auch auf die nachfolgenden Jahre aus. 61 Die nicht identifizierbaren<br />
oder zuverlässig bewertbaren immateriellen Vermögenswerte fließen<br />
schließlich in den entgeltlich erworbenen Geschäfts- oder Firmenwert ein. 62<br />
So ist der aus einem Asset Deal, also dem Erwerb einer Gruppe von Vermögenswerten,<br />
resultierende Geschäfts- oder Firmenwert im Einzelabschluss zu<br />
aktivieren. Daneben ist der aus einem Unternehmenserwerb (Share Deal)<br />
resultierende Geschäfts- oder Firmenwert im Zuge der Kapitalkonsolidierung<br />
wiederum in der Konzernbilanz anzusetzen. 63<br />
57 Vgl. IFRS 3.45.<br />
58 Vgl. IAS 38.8.<br />
59 Vgl. IFRS 3, Illustrative Examples A1 und B1.<br />
60 Vgl. IAS 38.38; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 52f; Wulf, I. (2005), S. 7.<br />
61 Vgl. Wulf, I. (2005), S. 7f.<br />
62 Vgl. Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 54.<br />
63 Vgl. IFRS 3.51.a; Hayn/Waldersee (2004), S. 110f; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S.<br />
625ff.
3.2 Bewertung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS<br />
211<br />
3.2.1 Erstbewertung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS<br />
Die Erstbewertung respektive Zugangsbewertung aktivierungsfähiger immaterieller<br />
Vermögenswerte erfolgt in Abhängigkeit von der jeweiligen<br />
konkreten Erwerbsform zum Zugangszeitpunkt auf Basis der Anschaffungsoder<br />
Herstellungskosten. 64 Demnach sind einzeln erworbene immaterielle<br />
Vermögenswerte bei Zugang grundsätzlich mit ihren Anschaffungskosten zu<br />
bewerten. 65 Dabei implizieren die Anschaffungskosten neben dem Kaufpreis<br />
auch die Anschaffungsnebenkosten, wie Einfuhrzölle, nicht erstattungsfähige<br />
Umsatzsteuern sowie alle direkt zurechenbaren Kosten, wie bspw. Arbeitnehmervergütungen,<br />
Honorare und Aufwendungen für Testläufe, um einen<br />
immateriellen Vermögenswert in seine bestimmungsgemäße Betriebsbereitschaft<br />
zu versetzen, und eventuell vom Kaufpreis abzuziehende Anschaffungspreisminderungen,<br />
wie Rabatte, Boni und Skonti. 66 Insofern zählen<br />
dann z.B. Kosten für die Markteinführung sowie für Werbung und Verkaufsförderung,<br />
Kosten der Geschäftserweiterung und Mitarbeiterschulung sowie<br />
Verwaltungskosten und andere Gemeinkosten aber auch Kosten für die Inbetriebnahme<br />
sowie Anlaufverluste nicht zu den Anschaffungskosten. 67<br />
Infolgedessen können entgeltlich erworbene immaterielle Vermögenswerte<br />
bei Zugang generell zuverlässig mit ihrem Kaufpreis in Form von Zahlungsmitteln<br />
oder Zahlungsmitteläquivalenten bewertet werden. 68 Des Weiteren<br />
besteht für durch eine Zuwendung der öffentlichen Hand erworbene<br />
immaterielle Vermögenswerte, wie bspw. Flughafenlanderechte, ein Bewertungswahlrecht.<br />
So können diese bei Zugang entweder mit dem beizulegenden<br />
Zeitwert im seltenen Falle des Vorliegens eines aktiven Marktes69<br />
oder aber dem Nominalwert der Gegenleistung als symbolischer Wert<br />
64 Vgl. IAS 38.24; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 256; Dawo, S. (2003), S. 207.<br />
65 Vgl. IAS 38.25; Kirsch, H. (2005a), S. 58; Wagenhofer, A. (2005), S. 214.<br />
66 Vgl. IAS 38.27-28; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 59f; Lutz-Ingold, M. (2005), S. 197.<br />
67 Vgl. IAS 38.29-30.<br />
68 Vgl. IAS 38.25-26; Dawo, S. (2003), S. 208; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 58f.<br />
69 Ein aktiver Markt ist definiert als ein Markt, auf dem homogene Produkte gehandelt werden,<br />
vertragswillige Käufer und Verkäufer in der Regel jederzeit gefunden werden und<br />
Preise der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen (vgl. IAS 38.8).
212<br />
zuzüglich aller direkt zurechenbaren Kosten bewertet werden. 70 Daneben<br />
sind durch Tausch erworbene immaterielle Vermögenswerte gegen nicht<br />
monetäre Vermögenswerte oder eine Kombination von monetären und nicht<br />
monetären Vermögenswerten bei Zugang grundsätzlich mit dem beizulegenden<br />
Zeitwert der hingegebenen Vermögenswerte anzusetzen. Dies gilt jedoch<br />
nicht, wenn dem Tausch wirtschaftliche Substanz im Hinblick auf die voraussichtliche<br />
Änderung der zukünftigen Cash Flows infolge des Tausches<br />
fehlt oder weder der beizulegende Zeitwert der erhaltenen immateriellen<br />
Vermögenswerte noch der der hingegebenen Vermögenswerte zuverlässig<br />
bewertbar ist. Dann sind die erworbenen immateriellen Vermögenswerte mit<br />
dem Buchwert der hingegebenen Vermögenswerte anzusetzen. 71<br />
Dagegen sind selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte bei Zugang<br />
mit ihren Herstellungskosten zu bewerten. Dabei umfassen die Herstellungskosten<br />
ab dem Zeitpunkt, ab dem die Ansatzkriterien für alle immateriellen<br />
Vermögenswerte sowie die sechs ergänzenden Ansatzkriterien für selbst<br />
geschaffene immaterielle Vermögenswerte erstmalig kumulativ erfüllt sind,<br />
wegen des Aktivierungsverbotes von Forschungskosten grundsätzlich nur<br />
Entwicklungskosten sowie alle direkt zurechenbaren Kosten, wie z.B. Kosten<br />
für Materialien und Dienstleistungen, Arbeitnehmervergütungen, Registrierungsgebühren<br />
eines <strong>Recht</strong>sanspruches sowie Abschreibungen auf Patente<br />
und Lizenzen und damit neben den Einzelkosten auch produktionsbezogene<br />
Gemeinkosten zur Schaffung, Herstellung und Vorbereitung immaterieller<br />
Vermögenswerte für die bestimmungsgemäße Betriebsbereitschaft. 72 Daher<br />
zählen dann bspw. Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten sowie sonstige<br />
Gemeinkosten aber auch identifizierbare Ineffizienzen und Anlaufverluste<br />
sowie Kosten für die Mitarbeiterschulung nicht zu den Herstellungskosten. 73<br />
Im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses erworbene immaterielle<br />
Vermögenswerte sind zum Erwerbszeitpunkt mit ihrem beizulegenden Zeitwert<br />
zu bewerten. 74 Dabei bemisst sich der beizulegende Zeitwert im seltenen<br />
Falle des Vorliegens eines aktiven Marktes im Zuge der Kaufpreisallo-<br />
70 Vgl. IAS 38.44 i.V.m. IAS 20.23; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 60f.<br />
71 Vgl. IAS 38.45-46.<br />
72 Vgl. IAS 38.65-66; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 63ff; Esser/Hackenberger (2004), S. 407f.<br />
73 Vgl. IAS 38.67; Kirsch, H. (2005a), S. 58f.<br />
74 Vgl. IAS 38.33.
213<br />
kation nach dem aktuellen Marktpreis oder bei zwischenzeitlich nicht wesentlich<br />
veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach dem geschätzten<br />
Marktpreis des letzten vergleichbaren Geschäftsvorfalles. 75 In<br />
Ermangelung eines aktiven Marktes wird der beizulegende Zeitwert für die<br />
meisten immateriellen Vermögenswerte alternativ zur Marktpreisbewertung<br />
dann regelmäßig über eine Vielzahl anderer zugelassener Bewertungsmaßstäbe<br />
und Bewertungsverfahren, wie bspw. Marktpreisschätzungen, 76 Multiplikatorverfahren,<br />
77 Discounted-Cash-Flow-Verfahren 78 und Gruppenbewertung,<br />
79 ermittelt, so dass bis auf wenige Ausnahmefälle eine zuverlässige<br />
Bewertbarkeit und damit ein separater Ansatz möglich ist. 80 Der entgeltlich<br />
erworbene Geschäfts- oder Firmenwert ist zu seinen Anschaffungskosten als<br />
Differenz der Anschaffungskosten für das erworbene Unternehmen und den<br />
identifizierbaren Vermögenswerten abzüglich der identifizierbaren Schulden<br />
und Eventualschulden zu bewerten. 81<br />
3.2.2 Folgebewertung immaterieller Vermögenswerte nach IFRS<br />
Nach der Erstbewertung ist die Folgebewertung immaterieller Vermögenswerte<br />
im Zuge eines eingeschränkten Bewertungsmethodenwahlrechts generell<br />
entweder nach der Anschaffungskostenmethode oder der Neubewertungsmethode<br />
vorzunehmen. 82 So sieht die Anschaffungskostenmethode<br />
(Cost Model) eine Bewertung zu fortgeführten Anschaffungs- oder Herstellungskosten<br />
vor. Diese entsprechen den bei Zugang angesetzten historischen<br />
Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich aller bis zum Zeitpunkt<br />
der Folgebewertung kumulierten planmäßigen und außerplanmäßigen Abschreibungen<br />
zuzüglich aller kumulierten Zuschreibungen. 83 Indessen erfolgt<br />
nach der Neubewertungsmethode (Revaluation Model) eine regelmäßige<br />
75 Vgl. IAS 38.39.<br />
76 Vgl. IAS 38.40.<br />
77 Vgl. IAS 38.41.a.<br />
78 Vgl. IAS 38.41.b.<br />
79 Vgl. IAS 38.36-37.<br />
80 Vgl. Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 69ff; Lutz-Ingold, M. (2005), S. 203f.<br />
81 Vgl. IFRS 3.51.b; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 71.<br />
82 Vgl. IAS 38.72; Kirsch, H. (2005b), S. 27; Wagenhofer, A. (2005), S. 215.<br />
83 Vgl. IAS 38.74; Kirsch, H. (2005a), S. 60f.
214<br />
Bewertung mit dem Neubewertungsbetrag. Dieser ist als beizulegender<br />
Zeitwert zum Zeitpunkt der Neubewertung abzüglich aller bis zum Zeitpunkt<br />
der Folgebewertung kumulierten planmäßigen und außerplanmäßigen Abschreibungen<br />
zuzüglich aller kumulierten Zuschreibungen definiert und auf<br />
einem aktiven Markt zu bestimmen. Dabei kann der Neubewertungsbetrag<br />
als paritätischer beizulegender Zeitwert unter oder über den historischen<br />
Anschaffungs- oder Herstellungskosten liegen. 84 Deshalb können bei Vorliegen<br />
eines aktiven Marktes auch selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte,<br />
die nur mit einem Teil ihrer Herstellungskosten aktiviert wurden,<br />
sowie durch eine Zuwendung der öffentlichen Hand erworbene immaterielle<br />
Vermögenswerte, die zum Nominalwert angesetzt wurden, mit ihrem Neubewertungsbetrag<br />
bewertet werden. 85 Die aus einer Neubewertung resultierende<br />
Wertsteigerung als Erhöhung des Buchwertes ist erfolgsneutral in das<br />
Eigenkapital als Neubewertungsrücklage einzustellen, wobei die Wertsteigerung<br />
erfolgswirksam als Ertrag zu erfassen ist, die die zuvor aufgrund einer<br />
Neubewertung erfolgswirksam als Aufwand erfasste Wertminderung desselben<br />
immateriellen Vermögenswertes aufhebt. 86 Dagegen ist die mit einer<br />
Neubewertung einhergehende Wertminderung als Verringerung des Buchwertes<br />
erfolgsneutral mit der Neubewertungsrücklage zu verrechnen, wobei<br />
eine die Neubewertungsrücklage übersteigende Wertminderung erfolgswirksam<br />
als Aufwand zu erfassen ist. 87 Die Neubewertungsrücklage kann bei<br />
Stilllegung oder Veräußerung eines immateriellen Vermögenswertes erfolgsneutral<br />
den Gewinnrücklagen zugeführt werden. Ein Teil der Neubewertungsrücklage<br />
kann als Unterschiedsbetrag zwischen der Abschreibung<br />
auf der Basis des neu bewerteten Buchwertes und der Abschreibung, die auf<br />
der Basis der historischen Anschaffungs- oder Herstellungskosten erfasst<br />
worden wäre, bei Nutzung eines immateriellen Vermögenswertes auch erfolgsneutral<br />
in die Gewinnrücklagen gebucht werden. 88 Da ein aktiver Markt<br />
für immaterielle Vermögenswerte nur in seltenen Fällen vorliegt, ist die<br />
Anschaffungskostenmethode von größerer praktischer Bedeutung. 89 Sodann<br />
84 Vgl. IAS 38.75; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 77; Kirsch, H. (2005a), S. 60f.<br />
85 Vgl. IAS 38.77.<br />
86 Vgl. IAS 38.85.<br />
87 Vgl. IAS 38.86.<br />
88 Vgl. IAS 38.87.<br />
89 Vgl. Wulf, I. (2005), S. 8f; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 262.
215<br />
sind sowohl eine Nutzungsdauer als auch eine Abschreibungsmethode zu<br />
bestimmen.<br />
Folglich muss ein Unternehmen unabhängig von der gewählten Bewertungsmethode<br />
feststellen, ob ein immaterieller Vermögenswert eine begrenzte<br />
Nutzungsdauer (Finite Useful Life) oder eine unbegrenzte Nutzungsdauer<br />
(Indefinite Useful Life) hat. Dabei ist die Nutzungsdauer (Useful<br />
Life) der Zeitraum, in dem ein immaterieller Vermögenswert aufgrund einer<br />
Analyse aller relevanten Faktoren voraussichtlich positive Cash Flows generieren<br />
wird. 90 Die Ermittlung der Nutzungsdauer wird von vielen Faktoren,<br />
wie z.B. technischen, technologischen, kommerziellen oder anderen Arten<br />
der Veralterung, bestimmt und in den erläuternden Beispielen veranschaulicht.<br />
91 Ferner können auch wirtschaftliche und rechtliche Faktoren die Nutzungsdauer<br />
eines immateriellen Vermögenswertes beeinflussen. 92 Die Nutzungsdauer<br />
eines auf einem vertraglichen oder gesetzlichen <strong>Recht</strong> basierenden<br />
immateriellen Vermögenswertes darf aber die Gültigkeitsdauer des<br />
zugrunde liegenden <strong>Recht</strong>s nicht überschreiten. 93 So sind immaterielle Vermögenswerte<br />
mit begrenzter Nutzungsdauer ab dem Zeitpunkt ihrer bestimmungsgemäßen<br />
Betriebsbereitschaft planmäßig über ihre Nutzungsdauer<br />
abzuschreiben. 94 Die verwendete Abschreibungsmethode muss dann grundsätzlich<br />
dem tatsächlichen Verbrauch des wirtschaftlichen Nutzens eines<br />
immateriellen Vermögenswertes entsprechen. Sofern dieser tatsächliche<br />
Verbrauch nicht zuverlässig bestimmt werden kann, ist die lineare Abschreibungsmethode<br />
anzuwenden. 95 Daneben sind auch die degressive Abschreibungsmethode<br />
sowie die leistungsabhängige Abschreibungsmethode zulässig,<br />
wenn deren kumulierter Abschreibungsbetrag zumindest dem der linearen<br />
Abschreibungsmethode entspricht. Dabei ist die verwendete Abschreibungsmethode<br />
während der Nutzungsdauer stetig anzuwenden, sofern sich<br />
der erwartete Nutzungsverlauf nicht ändert. 96 Dazu sind die Nutzungsdauer<br />
90 Vgl. IAS 38.88; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 73; Kirsch, H. (2005a), S. 61.<br />
91 Vgl. IAS 38.89-90 und IAS 38, Illustrative Examples; Kirsch, H. (2005a), S. 62.<br />
92 Vgl. IAS 38.95.<br />
93 Vgl. IAS 38.94.<br />
94 Vgl. IAS 38.89 und 38.97; Kirsch, H. (2005a), S. 61.<br />
95 Vgl. IAS 38.97.<br />
96 Vgl. IAS 38.98.
216<br />
und die verwendete Abschreibungsmethode wenigstens am Ende eines jeden<br />
Geschäftsjahres zu überprüfen und gegebenenfalls an die Veränderungen<br />
anzupassen. 97 Der Restwert (Residual Value) eines immateriellen Vermögenswertes<br />
ist am Ende der Nutzungsdauer grundsätzlich mit Null anzusetzen,<br />
es sei denn, dass eine Verpflichtung eines Dritten zum Erwerb besteht,<br />
oder aber ein aktiver Markt existiert, auf dem der Restwert dann ermittelt<br />
werden kann. 98 Indessen dürfen immaterielle Vermögenswerte mit unbegrenzter<br />
Nutzungsdauer, wie z.B. ein im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses<br />
erworbener Geschäfts- oder Firmenwert, im Zuge des<br />
Impairment Only Approach nicht planmäßig abgeschrieben werden, 99 sondern<br />
sind gemäß IAS 36 Impairment of Assets jährlich und auch bei Anzeichen<br />
für eine Wertminderung einem Werthaltigkeitstest (Impairment Test)<br />
zu unterziehen, indem der erzielbare Betrag (Recoverable Amount) mit dem<br />
Buchwert (Carrying Amount) verglichen wird. 100 Dabei ist der erzielbare<br />
Betrag als der höhere der beiden Beträge aus dem beizulegenden Zeitwert<br />
abzüglich Verkaufskosten (Fair Value less Cost to Sell) und dem Nutzungswert<br />
(Value in Use) definiert. 101 Der beizulegende Zeitwert abzüglich Verkaufskosten<br />
ist der in einem verbindlichen Kaufvertrag festgelegte Kaufpreis<br />
abzüglich direkt zurechenbarer Verkaufskosten, in Ermangelung eines verbindlichen<br />
Kaufvertrages bei Vorliegen eines aktiven Marktes der aktuelle<br />
Marktpreis respektive der Marktpreis der jüngsten Transaktion abzüglich<br />
Veräußerungskosten oder im Falle des Fehlens eines verbindlichen Kaufvertrages<br />
und eines aktiven Marktes der auf den besten verfügbaren Informationen<br />
beruhende fiktive Marktpreis abzüglich Veräußerungskosten. 102 Der<br />
Nutzungswert ist der mit einem angemessenen und risikoadjustierten Zinssatz<br />
erzielte Barwert der geschätzten zukünftigen Cash Flows aus der fortgesetzten<br />
Nutzung zuzüglich eines eventuell am Ende der Nutzungsdauer vorhandenen<br />
Restwertes. 103 Zudem ist eine Wertminderung unabhängig von der<br />
97 Vgl. IAS 38.104.<br />
98 Vgl. IAS 38.100.<br />
99 Vgl. IAS 38.89 und 38.107; IFRS 3.55; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 89 und 172.<br />
100 Vgl. IAS 38.108 i.V.m. IAS 36.9-10; Kirsch, H. (2005a), S. 63.<br />
101 Vgl. IAS 36.18.<br />
102 Vgl. IAS 36.25-27.<br />
103 Vgl. IAS 36.6 und 36.30-57; Kirsch, H. (2005a), S. 64.
217<br />
Nutzungsdauer eines immateriellen Vermögenswertes bei Vorliegen von<br />
entsprechenden unternehmensinternen sowie unternehmensexternen Indikatoren<br />
zu überprüfen. 104 Falls der erzielbare Betrag geringer ist als sein Buchwert,<br />
ist eine außerplanmäßige Abschreibung in Höhe des Wertminderungsaufwandes<br />
(Impairment Loss) auf den erzielbaren Betrag vorzunehmen. 105<br />
Der erzielbare Betrag ist für einzelne immaterielle Vermögenswerte, die<br />
einzeln zurechenbare Cash Flows generieren, zu bestimmen. Sofern ein immaterieller<br />
Vermögenswert nur zusammen mit einem anderen oder einer<br />
Gruppe anderer Vermögenswerte Cash Flows erzeugt, ist dann wiederum der<br />
erzielbare Betrag für eine zahlungsmittelgenerierende Einheit (Cash Generating<br />
Unit) zu ermitteln, es sei denn, der beizulegende Zeitwert abzüglich der<br />
Verkaufskosten ist höher als sein Buchwert oder der Nutzungswert entspricht<br />
Schätzungen zufolge nahezu dem ermittelbaren beizulegenden Zeitwert<br />
abzüglich der Verkaufskosten. 106 Bei Schätzungsänderungen infolge der<br />
Bestimmung des erzielbaren Betrages als Anzeichen einer Wertaufholung ist<br />
eine Zuschreibung auf den erneut zu ermittelnden erzielbaren Betrag vorzunehmen.<br />
107 Dabei ist die Zuschreibungshöhe bei einem einzelnen immateriellen<br />
Vermögenswert auf den Buchwert, der vorherige außerplanmäßige<br />
Abschreibungen vernachlässigt, sowie bei einem einer zahlungsmittelgenerierenden<br />
Einheit angehörenden immateriellen Vermögenswert auf den niedrigeren<br />
der beiden Beträge aus dem erzielbaren Betrag und dem Buchwert,<br />
der vorherige außerplanmäßige Abschreibungen vernachlässigt, begrenzt. 108<br />
Ein im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses erworbener Geschäfts-<br />
oder Firmenwert unterliegt jedoch einem Zuschreibungsverbot. 109<br />
3.3 Ausweis immaterieller Vermögenswerte nach IFRS<br />
Im Zuge einer Angabepflicht über immaterielle Vermögenswerte sind die zu<br />
deren umfassendem Verständnis erforderlichen Informationen im Anhang<br />
anzugeben. Dabei kann die Berichterstattung den bilanziellen Ausweis er-<br />
104 Vgl. IAS 36.12.<br />
105 Vgl. IAS 36.59; Born, K. (2005), S. 253.<br />
106 Vgl. IAS 36.22.<br />
107 Vgl. IAS 36.114; Kirsch, H. (2005a), S. 69.<br />
108 Vgl. IAS 36.117 und 36.122-123; Brücks/Wiederhold (2004), S. 183.<br />
109 Vgl. IAS 36.124; Kirsch, H. (2005a), S. 69.
218<br />
läutern und ergänzen und damit objektivierungsbedingte Beschränkungen in<br />
der Abbildung immaterieller Vermögenswerte ausgleichen. 110 So sind für<br />
Gruppen immaterieller Vermögenswerte als Zusammenfassung art- und<br />
funktionsähnlicher immaterieller Vermögenswerte, getrennt nach selbst<br />
geschaffenen und sonstigen immateriellen Vermögenswerten, und innerhalb<br />
dieser Gruppen wiederum unterteilt nach begrenzter und unbegrenzter Nutzungsdauer<br />
Angaben über Nutzungsdauern, Abschreibungssätze und <strong>–</strong>methoden,<br />
Bruttobuchwerte und kumulierte planmäßige und außerplanmäßige<br />
Abschreibungen zu Beginn und zum Ende der Periode sowie GuV-Posten,<br />
die Abschreibungen auf immaterielle Vermögenswerte enthalten, zu machen.<br />
Daneben ist eine Überleitung des Buchwertes zu Beginn und zum Ende der<br />
Periode zu erstellen. Diese hat die Zugänge getrennt nach unternehmensinterner<br />
Entwicklung, separatem Erwerb und Erwerb im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses,<br />
Stilllegungen/Abgänge, Wertänderungen durch<br />
Neubewertungen und außerplanmäßige Abschreibungen gemäß IAS 36 aber<br />
auch Wertminderungen und Wertaufholungen gemäß IAS 36 sowie Abschreibungen,<br />
Währungsdifferenzen und sonstigen Buchwertänderungen zu<br />
erfassen. 111 Des Weiteren sind für immaterielle Vermögenswerte mit unbegrenzter<br />
Nutzungsdauer die Buchwerte und die Gründe sowie Faktoren für<br />
die Annahme einer unbegrenzten Nutzungsdauer offen zu legen. Darüber<br />
hinaus sind für wesentliche immaterielle Vermögenswerte die Beschreibungen,<br />
Buchwerte und verbleibenden Abschreibungszeiträume anzugeben.<br />
Ferner sind für durch eine Zuwendung der öffentlichen Hand erworbene und<br />
mit dem beizulegenden Zeitwert angesetzte immaterielle Vermögenswerte<br />
die anfänglich beigelegten Zeitwerte, Buchwerte und angewandten Bewertungsmethoden<br />
zu veröffentlichen. Auch sind das Bestehen und die Buchwerte<br />
immaterieller Vermögenswerte, die mit Nutzungsbeschränkungen oder<br />
der Sicherung von Verbindlichkeiten einhergehen, und die Beträge vertraglicher<br />
Verpflichtungen für den Erwerb immaterieller Vermögenswerte zu<br />
nennen. 112 Sofern immaterielle Vermögenswerte nach der Neubewertungsmethode<br />
bewertet werden, sind für jede Gruppe immaterieller Vermögenswerte<br />
der Stichtag der Neubewertung, der Buchwert der nach der Neubewertungsmethode<br />
bewerteten immateriellen Vermögenswerte und der Buchwert,<br />
110 Vgl. Dawo, S. (2003), S. 267; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 271.<br />
111 Vgl. IAS 38.118-119; Kirsch, H. (2005a), S. 387; Wagenhofer, A. (2005), S. 219f.<br />
112 Vgl. IAS 38.122f.
219<br />
mit dem die immateriellen Vermögenswerte nach der Anschaffungskostenmethode<br />
angesetzt worden wären, die Höhe der Neubewertungsrücklage zu<br />
Beginn und zum Ende der Periode unter Angabe der Wertänderungen und<br />
Ausschüttungsbeschränkungen an die Anteilseigner sowie die Methoden und<br />
Annahmen zur Schätzung des beizulegenden Zeitwertes darzulegen. 113<br />
Schließlich ist noch über die Summe der Ausgaben für Forschung und Entwicklung<br />
der Periode zu berichten. 114 Da sich die zusätzlich zu beachtenden<br />
Angabepflichten des IAS 36 und IFRS 3 nicht wesentlich von den erläuterten<br />
Vorschriften des IAS 38 unterscheiden, kann auf eine explizite Darstellung<br />
dieser Angabepflichten verzichtet werden.<br />
Schließlich wird den Unternehmen auch eine Beschreibung jedes vollständig<br />
abgeschriebenen, aber noch genutzten immateriellen Vermögenswertes empfohlen.<br />
Des Weiteren wird den Unternehmen eine kurze Beschreibung wesentlicher<br />
immaterieller Vermögenswerte empfohlen. Dabei kann ein Unternehmen<br />
wiederum Informationen über wesentliche, noch vom Unternehmen<br />
beherrschte immaterielle Vermögenswerte offen legen, die nicht als Vermögenswerte<br />
angesetzt sind, da diese nicht die Ansatzkriterien immaterieller<br />
Vermögenswerte erfüllen. 115 Infolgedessen können dann auch selbst geschaffene<br />
immaterielle Vermögenswerte, die die Aktivierungsvoraussetzungen<br />
nicht erfüllen und damit nicht aktiviert wurden, kurz beschrieben werden.<br />
Dementsprechend kann ein Unternehmen im Anhang neben dem bilanziellen<br />
Ausweis zusätzliche Informationen über nicht aktivierte immaterielle<br />
Vermögenswerte anführen.<br />
Außerdem erwähnt das IASB einen durch das Management zu erstellenden<br />
Bericht über die Unternehmenslage (Financial Review by Management).<br />
Dieser einem Lagebericht ähnelnde Bericht könnte u.a. einen Überblick über<br />
die gemäß IFRS nicht in der Bilanz ausgewiesenen Ressourcen und damit<br />
auch über die nicht aktivierten immateriellen Vermögenswerte geben. 116 Die<br />
Erstellung eines Lageberichts ist aber nicht explizit vorgeschrieben. 117<br />
113 Vgl. IAS 38.124.<br />
114 Vgl. IAS 38.126f.<br />
115 Vgl. IAS 38.128; Heyd/Lutz-Ingold (2005), S. 115.<br />
116 Vgl. IAS 1.9; Dawo, S. (2003), S. 289.<br />
117 Vgl. Wulf, I. (2004), S. 10; Pellens/Fülbier/Gassen (2004), S. 308.
220<br />
Demzufolge müssen nach IFRS bilanzierende deutsche Unternehmen ihren<br />
Abschluss um einen Lagebericht ergänzen, der den erweiterten handelsrechtlichen<br />
Anforderungen der § 289 und § 315 HGB zu genügen hat und die<br />
Konkretisierungen in DRS (Deutscher Rechnungslegungs Standard) 15 Lageberichterstattung<br />
berücksichtigen muss. 118 Dabei entsprechen die Angaben<br />
im Lagebericht über immaterielle Vermögenswerte den Angaben im<br />
Lagebericht über immaterielle Vermögensgegenstände nach HGB, auf deren<br />
Darstellung im Rahmen dieses Beitrags verzichtet wird.<br />
Das aktuelle Active Research Project „Management Commentary“ (MC) des<br />
IASB setzt die Diskussion um eine Entwicklung von Empfehlungen für<br />
Informationen neben dem bilanziellen Ausweis fort. Dabei lässt die Diskussion<br />
wiederum die Entwicklung einer Vielzahl von Standards erwarten, die<br />
neben dem bilanziellen Ausweis auch die Berichterstattung durch das Management<br />
im Hinblick auf die Unternehmenslage und damit auch über immaterielle<br />
Vermögenswerte regeln soll. 119<br />
4 Resümee und Ausblick<br />
Im Zuge der Entwicklung von einer Industriegesellschaft zu einer Dienstleistungs-,<br />
Hochtechnologie- und Informationsgesellschaft gewinnt immaterielles<br />
Vermögen gegenüber materiellem Vermögen als Schlüsselgröße für<br />
die Wettbewerbsfähigkeit und den Wert vieler Unternehmen in stetig zunehmendem<br />
Maße an Bedeutung. Insofern wächst auch im Hinblick auf die<br />
EU-Verordnung Nr. 1606/2002 die Bedeutung der Bilanzierung immateriellen<br />
Vermögens nach international geltenden Vorschriften, um die wachsende<br />
Informationslücke und damit die Diskrepanz zwischen Buchwert des Eigenkapitals<br />
und Marktwert von Unternehmen zu schließen. So finden in dem<br />
vom Gläubigerschutz geprägten handelsrechtlichen Rechnungslegungssystem<br />
jedoch grundsätzlich nur entgeltlich erworbene immaterielle Vermögensgegenstände<br />
Berücksichtigung. Dagegen können in dem vorrangig auf<br />
Informationsvermittlung ausgerichteten Rechnungslegungssystem nach IFRS<br />
neben entgeltlich erworbenen immateriellen Vermögenswerten auch selbst<br />
118 Vgl. Ruhnke, K. (2005), S. 668; Wulf, I. (2004), S. 10; Hayn/Waldersee (2004), S. 41.<br />
119 Vgl. IASB (2005), S. 4; Gerpott/Thomas (2005), S. 2424.
221<br />
geschaffene immaterielle Vermögenswerte bei Vorliegen der Aktivierungsvoraussetzungen<br />
angesetzt werden. Demnach vermag de lege lata die Bilanzierung<br />
immaterieller Vermögenswerte nach IFRS grundsätzlich entscheidungsrelevante<br />
und damit dem True-and-Fair-View entsprechende Informationen<br />
zu vermitteln. Indessen sind die internationalen Angabepflichten und<br />
Angabeempfehlungen nicht ausreichend, um objektivierungsbedingten Beschränkungen<br />
und den durch offene sowie verdeckte Wahlrechte implizierten<br />
Ermessensspielräumen im Rahmen der Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte<br />
entgegenzuwirken. Infolgedessen kommt einer Berichterstattung<br />
im Sinne weitergehender Informationen eine entscheidende Bedeutung<br />
zu. Dabei könnte die Offenlegung von immateriellen Vermögenswerten<br />
wiederum im Rahmen von Intellectual-Capital-Berichten vorgenommen<br />
werden. Darüber hinaus wäre für immaterielle Vermögenswerte neben einer<br />
qualitativen Offenlegung auch eine allgemein akzeptierte quantitative Standardisierung<br />
erstrebenswert.<br />
Literatur<br />
Ammann, Helmut/Müller, Stefan (2004): IFRS <strong>–</strong> International Fi nancial<br />
Reporting Standards: Bilanzierungs-, Steuerungs- und Analysemöglichkeiten,<br />
Herne/Berlin, 2004.<br />
Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ der Schmalenbach-<br />
Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. (2004): Erfassung immaterieller<br />
Werte in der Unternehmensberichterstattung vor dem Hintergrund<br />
handelsrechtlicher Rechnungslegungsnormen, in: Horváth, Peter/Möller,<br />
Klaus (Hrsg.), Intangibles in der Unternehmenssteuerung:<br />
Strategien und Instrumente zur Wertsteigerung des immateriellen Kapitals,<br />
München, 2004, S. 221-250.<br />
Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ der Schmalenbach-<br />
Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. (2003): Freiwillige Externe<br />
Berichterstattung über immaterielle Werte, in: Der Betrieb, 56. Jahrgang,<br />
Heft 23, S. 1233-1237.<br />
Arbeitskreis „Immaterielle Werte im Rechnungswesen“ der Schmalenbach-<br />
Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. (2001): Kategorisierung und<br />
bilanzielle Erfassung immaterieller Werte, in: Der Betrieb, 54. Jahrgang,<br />
Heft 19, S. 989-995.
222<br />
Birgel, Karl (2005): Forschung und Entwicklung (HGB/EStG, IAS/IFRS,<br />
KoRe), in: b&b, o. J., Heft 4, S. 133-137.<br />
Bitz, Michael/Schneeloch, Dieter/Wittstock, Wilfried (2003): Der Jahresabschluß:<br />
<strong>Recht</strong>svorschriften, Analyse, Politik, 4., überarbeitete und<br />
erweiterte Auflage, München, 2003.<br />
Born, Karl (2005): Rechnungslegung international: Rechnungslegung nach<br />
IAS/IFRS im Vergleich mit HGB und US-GAAP, 4., aktualisierte und<br />
komplett überarbeitete Auflage, Stuttgart, 2005.<br />
Brandes, Wolfram P./Schabel, Frank/Wache, Uwe (2005): Intellectual Capital<br />
und Kommunikation: Durch strategisches Kommunikationsmanagement<br />
Performance steigern, Leistungspotenziale ausschöpfen, Wiesbaden,<br />
2005.<br />
Brücks, Michael/Wiederhold, Philipp (2004): IFRS 3 Business Combinations<br />
<strong>–</strong> Darstellung der neuen Regelungen des IASB und Vergleich mit<br />
SFAS 141 und SFAS 142, in: KoR, 4. Jahrgang, Heft 5, S. 177-185.<br />
Buchholz, Rainer (2004a): Grundzüge des Jahresabschlusses nach HGB und<br />
IFRS <strong>–</strong> Mit Aufgaben und Lösungen, 2., völlig überarbeitete und erweiterte<br />
Auflage, München, 2004.<br />
Buchholz, Rainer (2004b): Internationale Rechnungslegung: Die Vorschriften<br />
nach IFRS, HGB und US-GAAP im Vergleich <strong>–</strong> mit Aufgaben und<br />
Lösungen, 4., vollständig überarbeitete und ergänzte Auflage, Berlin,<br />
2004.<br />
Daum, Jürgen H. (2002): Intangible Assets oder die Kunst, Mehrwert zu<br />
schaffen, 1. Auflage, Bonn, 2002.<br />
Dawo, Sascha (2003): Immaterielle Güter in der Rechnungslegung nach<br />
HGB, IAS/IFRS und US-GAAP <strong>–</strong> Aktuelle <strong>Recht</strong>slage und neue Wege<br />
der Bilanzierung und Berichterstattung, Herne/Berlin, 2003.<br />
Esser, Maik/Hackenberger, Jens (2004): Bilanzierung immaterieller Vermögenswerte<br />
des Anlagevermögens nach IFRS und US-GAAP, in: KoR,<br />
4. Jahrgang, Heft 10, S. 402-414.<br />
Gerpott, Torsten J./Thomas, Sandra E. (2005): Außerbilanzielle Berichterstattung<br />
über Marken im Geschäftsbericht nach HGB, DRS, IFRS und<br />
US-GAAP, in: Der Betrieb, 58. Jahrgang, Heft 45, S. 2421-2427.
223<br />
Hayn, Sven/Waldersee, Georg Graf (2004): IFRS/US-GAAP/HGB im Vergleich:<br />
Synoptische Darstellung für den Einzel- und Konzernabschluss,<br />
5., überarbeitete Auflage, Stuttgart, 2004.<br />
Heyd, Reinhard/Lutz-Ingold, Martin (2005): Immaterielle Vermögenswerte<br />
und Goodwill nach IFRS: Bewertung, Bilanzierung und Berichterstattung,<br />
München, 2005.<br />
Horváth, Peter/Möller, Klaus (Hrsg.) (2004): Intangibles in der Unternehmenssteuerung:<br />
Strategien und Instrumente zur Wertsteigerung des<br />
immateriellen Kapitals, München, 2004.<br />
IASB (2005): Discussion Paper: Management Commentary - A paper prepared<br />
for the IASB by staff of its partner standard-setters and others,<br />
URL:<br />
http://www.iasb.org/uploaded_files/documents/16_43_DPManagementCommentary.pdf,<br />
01.11.2005, S. 1-96.<br />
Kaplan, Robert S./Norton, David P. (2004): Strategy Maps: Der Weg von<br />
immateriellen Werten zum materiellen Erfolg, Stuttgart, 2004.<br />
Keitz, Isabel von (1997): Immaterielle Güter in der internationalen Rechnungslegung:<br />
Grundsätze für den Ansatz von immateriellen Gütern in<br />
Deutschland im Vergleich zu den Grundsätzen in den USA und nach<br />
IASC, Düsseldorf, 1997.<br />
Kirsch, Hanno (2005a): Einführung in die internationale Rechnungslegung<br />
nach IAS/IFRS: Grundzüge der IAS/IFRS <strong>–</strong> Anwendung im Konzernabschluss<br />
<strong>–</strong> Folgerungen für den Einzelabschluss, 2., wesentlich erweiterte<br />
Auflage, Herne/Berlin, 2005.<br />
Kirsch, Hanno (2005b): Offene Wahlrechte in Bilanzierung und Bewertung<br />
nach IFRS, in: steuer-journal.de, 2. Jahrgang, Heft 19, S. 27-31.<br />
Küting, Karlheinz/Dürr, Ulrike (2003): „Intangibles“ in der deutschen Bilanzierungspraxis,<br />
in: StuB, o. J., Heft 1, S. 1-5.<br />
Küting, Karlheinz/Weber, Claus-Peter (Hrsg.) (2002): Kapitalmarktorientierte<br />
Rechnungslegung und integrierte Unternehmenssteuerung; Beiträge<br />
anlässlich der 6. Fachtagung „Das Rechnungswesen im Konzern<br />
<strong>–</strong> Vom Financial Accounting zum Business Reporting“ am 22./23. November<br />
2001 in Frankfurt a. M., Stuttgart, 2002.<br />
Küting, Karlheinz/Weber, Claus-Peter (Hrsg.) (2000): Wertorientierte Konzernführung:<br />
Kapitalmarktorientierte Rechnungslegung und integrierte
224<br />
Unternehmenssteuerung; Beiträge anlässlich der 5. Fachtagung „Das<br />
Rechnungswesen im Konzern <strong>–</strong> Wertorientierte Konzernführung“ am<br />
25./26. November 1999 in Frankfurt a. M., Stuttgart, 2000.<br />
Leibfried, Peter/Pfanzelt, Stefan (2004): Praxis der Bilanzierung von Forschungs-<br />
und Entwicklungskosten gemäß IAS/IFRS <strong>–</strong> Eine empirische<br />
Untersuchung deutscher Unternehmen -, in: KoR, 4. Jahrgang, Heft 12,<br />
S. 491-497.<br />
Lutz-Ingold, Martin (2005): Immaterielle Güter in der externen Rechnungslegung:<br />
Grundsätze und Vorschriften zur Bilanzierung nach HGB,<br />
DRS und IAS/IFRS, 1. Auflage, Wiesbaden, 2005.<br />
Moxter, Adolf (1979): Immaterielle Anlagewerte im neuen Bilanzrecht, in:<br />
Betriebs-Berater, 34. Jahrgang, Heft 22, S. 1102-1109.<br />
Müller, Stefan (2003): Management-Rechnungswesen: Ausgestaltung des<br />
externen und internen Rechnungswesens unter Konvergenzgesichtspunkten,<br />
1. Auflage, Wiesbaden, 2003.<br />
Pellens, Bernhard/Fülbier, Rolf Uwe/Gassen, Joachim (2004): Internationale<br />
Rechnungslegung: IFRS/IAS mit Beispielen und Fallstudie, 5., überarbeitete<br />
und erweitete Auflage, Stuttgart, 2004.<br />
Pellens, Bernhard/Fülbier, Rolf Uwe (2000): Immaterielle Vermögensgegenstände<br />
in der internen und externen Unternehmensrechnung, in: Küting,<br />
Karlheinz/Weber, Claus-Peter (Hrsg.), Wertorientierte Konzernführung:<br />
Kapitalmarktorientierte Rechnungslegung und integrierte<br />
Unternehmenssteuerung; Beiträge anlässlich der 5. Fachtagung „Das<br />
Rechnungswesen im Konzern <strong>–</strong> Wertorientierte Konzernführung“ am<br />
25./26. November 1999 in Frankfurt a. M., Stuttgart, 2000, S. 119-156.<br />
Reuleaux, Susanne (1987): Immaterielle <strong>Wirtschaft</strong>sgüter: Begriff, Arten<br />
und Darstellung im Jahresabschluß, Wiesbaden, 1987.<br />
Ruhnke, Klaus (2005): Rechnungslegung nach IFRS und HGB: Lehrbuch<br />
zur Theorie und Praxis der Unternehmenspublizität mit Beispielen und<br />
Übungen, Stuttgart, 2005.<br />
Schmidbauer, Rainer (2004): Immaterielle Vermögenswerte in der Unternehmensrechnung:<br />
Abbildung im Jahresabschluss und Ansätze zur<br />
Steuerung, in: DStR, 42. Jahrgang, Heft 34, S. 1442-1448.
225<br />
Sullivan, Patrick H. (2000): Value-Driven Intellectual Capital: How to Convert<br />
Intangible Corporate Assets Into Market Value, New York u.a.,<br />
2000.<br />
Wagenhofer, Alfred (2005): Internationale Rechnungslegungsstandards <strong>–</strong><br />
IAS/IFRS: Grundkonzepte <strong>–</strong> Bilanzierung, Bewertung, Angaben <strong>–</strong><br />
Umstellung und Analyse, 5., überarbeitete und erweiterte Auflage,<br />
Frankfurt, 2005.<br />
Weber, Claus-Peter (2002): Intangibles und Steuerung, in: Küting, Karlheinz/Weber,<br />
Claus-Peter (Hrsg.), Kapitalmarktorientierte Rechnungslegung<br />
und integrierte Unternehmenssteuerung; Beiträge anlässlich der<br />
6. Fachtagung „Das Rechnungswesen im Konzern <strong>–</strong> Vom Financial<br />
Accounting zum Business Reporting“ am 22./23. November 2001 in<br />
Frankfurt a. M., Stuttgart, 2002, S. 319-340.<br />
Wulf, Inge (2001): Stille Reserven im Jahresabschluss nach US-GAAP und<br />
IAS: Möglichkeiten ihrer Berücksichtigung im Rahmen der Unternehmensanalyse,<br />
1. Auflage, Wiesbaden, 2001.<br />
Wulf, Inge (2004): Bilanzierung immaterieller Werte gem. IAS 38 (rev.<br />
2004), in: KAM.sys <strong>–</strong> Newsletter<strong>–</strong>Nr.: 07/2004, S. 8-12.<br />
Wulf, Inge (2005): Immaterielle Werte <strong>–</strong> Neue Bilanzierungsregeln in den<br />
EU-Staaten, Oldenburg, 2005.<br />
Zimmermann, Jochen/Schütte, Jens (2004): Intangibles, in: WISU, 33. Jahrgang,<br />
Heft 3, S. 315.
Udo Bonn<br />
Theorie Optimaler Währungsräume und ökonomische<br />
Konvergenz<br />
1 Einleitung<br />
Der vorliegende Artikel stellt die konträren Ansichten bezüglich eines „Optimalen<br />
Währungsraums“ gegenüber, um deren Implikationen für ökonomische<br />
Konvergenz/ Divergenz abzuleiten. Ziel dieses Artikels ist es zu ergründen,<br />
ob die im Artikel 2 EGV (Vertrag zur Gründung der Europäischen<br />
Gemeinschaft) angestrebte Konvergenz durch monetäre Integration gefördert<br />
wird.<br />
Dieser Beitrag ist wie folgt aufgebaut: Ausgehend von der o.g. Fragestellung<br />
werden im Abschnitt 2 die Anfänge der klassischen OCA- Theorie (Optimal<br />
Currency Area) betrachtet. Es werden die statisch geprägten Ansichten der<br />
Monetaristen und Ökonomisten gegenübergestellt. Wesentlich hierbei ist die<br />
Tatsache, dass die Ökonomisten die Ansicht vertraten, dass bestimmte Kriterien<br />
für einen Optimalen Währungsraum ex- ante erfüllt sein müssten. Kritisiert<br />
wird diese auf makroökonomischen Kosten einer monetären Integration<br />
basierende Strömung von den Vertretern der monetaristischen Richtung.<br />
Diese zweifeln die makroökonomischen Kosten an und stellen die mikroökonomischen<br />
Nutzengewinne in den Vordergrund. Durch die monetären<br />
Effizienzgewinne und dem Druck, welcher von der einheitlichen Währung<br />
ausgeht, werden nach Ansicht der Monetaristen konvergente Entwicklungen<br />
gefördert. Im Ergebnis kann somit zwischen der „Krönungstheorie“ (Einführung<br />
einer einheitlichen Währung erst nach vorhergehender Integration) und<br />
der „Katalysator-“ oder „Vehikeltheorie“ (gemeinsame Währung als Beschleuniger<br />
des Konvergenzprozesses ohne Notwendigkeit eines bestimmten,<br />
weitreichenden Integrationsgrades) differenziert werden.
228<br />
Nach der Unterscheidung dieser Richtungen wird in Unterabschnitt 2.3 die<br />
Quintessenz für ökonomische Konvergenz abgeleitet. Aufgrund der statisch<br />
geprägten Vorgehensweise sind die Schlussfolgerungen allerdings mit Vorsicht<br />
zu genießen.<br />
Im dritten Abschnitt werden die neueren Entwicklungen der OCA- Theorie<br />
beschrieben. Hier lassen sich ebenfalls zwei verschiedene Strömungen hinsichtlich<br />
der (langfristigen) Implikationen der monetären Integration für<br />
ökonomische Konvergenz differenzieren. Auf der einen Seite ist die Haltung<br />
der Europäischen Kommission der „Katalysatortheorie“ zuzurechen, welche<br />
durch Frankel und Rose eine theoretische und empirische Untermauerung<br />
erfuhr. 1 Auf der anderen Seite argumentiert Krugman, dass die monetäre<br />
Integration zu Spezialisierungstendenzen und somit zu divergenten Entwicklungen<br />
führen wird. 2<br />
Anschließend werden im vierten Abschnitt die in der Literatur gängigen<br />
empirischen Methoden bezüglich der Bewertung der Kriterien Optimaler<br />
Währungsräume kurz erläutert. Diese fokussieren sich auf die Bewertung der<br />
Kosten unterschiedlicher Konjunkturverläufe. Fraglich ist, ob diese Vorgehensweise<br />
ausreicht, um den Einfluss der monetären Integration auf ökonomischer<br />
Konvergenz im Sinne des Art. 2 EGV deutlich zu machen. Aus<br />
diesem Grund wird an jener Stelle eine neue Idee zur Quantifizierung der<br />
Wirkung der monetären Integration auf Konvergenz mittels eines Konvergenzindikators<br />
vorgeschlagen.<br />
Im letzten Abschnitt dieses Papiers werden die Ergebnisse und Schlussfolgerungen<br />
kurz zusammengefasst.<br />
2 Die historischen Wurzeln der OCA- Theorie<br />
Die bis zum heutigen Tage andauernde Diskussion zur Theorie Optimaler<br />
Währungsräume basiert auf der ersten Veröffentlichung Mundells, welche<br />
sich mit den Konsequenzen eines Nachfrageschocks bei festen und flexiblen<br />
1 Vgl. Frankel/Rose 1998a; Frankel/Rose 1998b.<br />
2 Vgl. Krugman 1993.
229<br />
Wechselkursen auseinandersetzt. 3 Ein Optimaler Währungsraum liegt vor,<br />
wenn der aus einer einheitlichen Währung erzielbare Nutzen die makroökonomischen<br />
Kosten aus dem Verzicht autonomer Geldpolitik übersteigt. Die<br />
ersten Artikel in den 60er Jahren4 fokussierten sich hierbei auf mögliche<br />
Kriterien für einen Optimalen Währungsraum, welche primär unter strukturellen<br />
Ähnlichkeiten der Volkswirtschaften zu subsumieren sind, um ökonomische<br />
Schocks zu absorbieren. Die makroökonomischen Kosten sind als<br />
Anpassungslasten aufgrund von Starrheiten (z.B. Rigiditäten bei Löhnen und<br />
Preisen) nach Schocks zu definieren, welche nicht durch autonome Geldpolitiken<br />
abgefedert werden können. Im Ergebnis ergeben sich Schwankungen<br />
makroökonomischer Variablen. Die Anhänger dieser (makroökonomisch<br />
geprägten) Richtung werden gemeinhin als Ökonomisten bezeichnet, die es<br />
als sinnvoll erachten, erst dann eine gemeinsame Währung einzuführen,<br />
wenn der wirtschaftliche Integrationsprozess schon weit fortgeschritten ist.<br />
Aus diesem Grund wird in diesem Zusammenhang auch von der „Krönungstheorie“<br />
gesprochen. Ökonomische Integration bezeichnet den Abbau<br />
von Handelshemmnissen sowie institutionellen und wirtschaftspolitischen<br />
Unterschieden zwischen den Teilnehmerländern. Diese vor allem in den 60er<br />
Jahren bedeutende Strömung wird unter Punkt 2.1 genauer beleuchtet.<br />
Die anschließende Entwicklung ab den 70er Jahren war vor allem von der<br />
„Lucas-Kritik“ 5 geprägt. Die Vertreter dieser Richtung vertraten die Meinung,<br />
dass die makroökonomischen Kosten tendenziell als gering einzuschätzen<br />
wären, da der reale Wechselkurs aufgrund rationaler Erwartungsbildung<br />
der <strong>Wirtschaft</strong>ssubjekte kein Steuerungsinstrument sein könne. Der<br />
langfristige Tradeoff zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit (die sog. Phillipskurve6<br />
), mit dem in den 60er Jahren noch argumentiert worden war,<br />
wurde bestritten. In diesem Rahmen wurden vor allem die monetären Effizienzgewinne<br />
in den Vordergrund gestellt, welche unten noch genauer beleuchtet<br />
werden. Tendenziell kann deshalb auch von einer mikroökonomisch<br />
geprägten Richtung gesprochen werden. In dieser Zeit entwickelte sich die<br />
3 Vgl. Mundell 1961.<br />
4 In diesem Zusammenhang sind neben des Artikels von Mundell 1961 vor allem auch die<br />
Publikationen von McKinnon. 1963 und Kenen 1969 zu nennen.<br />
5 Vgl. Lucas 1976.<br />
6 Eine auf empirischen Werten zurückgehende Beobachtung von Phillips 1958 in Großbritannien<br />
im Zeitraum von 1861 bis 1957.
230<br />
(statische) Kosten- Nutzen- Analyse eines Optimalen Währungsraumes.<br />
Anhänger dieser Sichtweise werden als Monetaristen bezeichnet, die von der<br />
Integrationskraft einer einheitlichen Währung ausgehen (sog. Katalysatoroder<br />
Vehikeltheorie). Dieser Theoriestrang wird im Abschnitt 2.2 detaillierter<br />
dargestellt.<br />
Neuere Entwicklungen in der OCA- Theorie beleuchten die langfristigen<br />
Auswirkungen der monetären Integration. Zum Einen spielt die Endogenität<br />
der Kriterien für einen Optimalen Währungsraum eine Rolle, die ebenfalls<br />
im Zusammenhang mit der Lucas- Kritik steht. Zum Anderen spielen Aspekte<br />
der Neuen Wachstumstheorie eine Rolle (zunehmende Skalenerträge).<br />
Beide Betrachtungsweisen, die für ökonomische Konvergenz/Divergenz<br />
entscheidend sind, werden im Abschnitt 3 vorgestellt.<br />
2.1 Die Sicht der Ökonomisten<br />
Wie bereits oben angedeutet basierten die Untersuchung bezüglich eines<br />
Optimalen Währungsraumes noch auf den Beobachtungen Phillips, wonach<br />
davon ausgegangen wurde, dass ein langfristiger Tradeoff zwischen der<br />
Inflationsrate und der Arbeitslosigkeit existierte. 7<br />
Die ersten Entwicklungen in den 60er Jahren sind im historischen Kontext<br />
fester Wechselkurssysteme (Bretton- Woods) zu sehen. Mundells Basis für<br />
die Untersuchung Optimaler Währungsräume kann als Reaktion auf Friedmans<br />
Argumentation zugunsten flexibler Wechselkurse betrachtet werden. 8<br />
Er zeigte anhand eines Beispiels, dass (asymmetrische) Nachfrageschocks<br />
nicht unmittelbar schmerzhafte Anpassungsprozesse nach sich ziehen müssten.<br />
9 Er identifizierte Kriterien, nach denen es sehr wohl von Vorteil sein<br />
könnte, einen festen Wechselkurs einzuführen. Bei ausreichender Lohnflexibilität<br />
und Arbeitskräftemobilität könnten nachteilige Anpassungsprozesse<br />
7 Vgl. Phillips 1958.<br />
8 Vgl. Friedman 1953. Zitiert nach Horvath/Komarek 2002. Er argumentierte zugunsten<br />
flexibler Wechselkurse, um exogene Schocks besser absorbieren zu können. Eine Volkswirtschaft<br />
könnte zu ihrem anfänglichen binnen- und außenwirtschaftlichen Gleichgewicht<br />
zurückkehren, ohne einen schmerzhaften Anpassungsprozess durchlaufen zu müssen (hohe<br />
Inflation oder Arbeitslosigkeit), der unter festen Wechselkursen immer vorhanden sei.<br />
9 Auf die genauere Darstellung dieses Beispiels sei an dieser Stelle aus Platzgründen verzichtet.<br />
Hier sei auf entsprechende Quellen [siehe De Grauwe 2003 oder Horvath/Komarek<br />
2002] verwiesen.
231<br />
vermieden werden. Außerdem wäre bei hoher fiskalischer Integration die<br />
Möglichkeit gegeben, Schocks durch Transferzahlungen abzufedern.<br />
An dieser Stelle könnte argumentiert werden, dass z.B. das Kriterium der<br />
Arbeitsmobilität innerhalb der Europäischen Union (EU) in der Realität<br />
kaum erfüllbar sein kann, da einerseits die zeitliche Dimension eines<br />
Schocks kaum ex-ante bestimmbar ist, da sich die Frage, ob ein Schock<br />
kurzfristiger oder dauerhafter Natur ist, nur schwer beantworten lässt. Es<br />
kann kaum erwartet werden, dass eine Familie in einem Jahr in einem Land<br />
und im nächsten Jahr wieder in einem anderen Land arbeitet. Andererseits<br />
können selbst im Falle eines dauerhaften Schocks Gründe angeführt werden,<br />
welche die Mobilität in Frage stellen. Nicht nur sprachliche oder kulturelle<br />
Probleme, sondern eventuell auch Missmatch-Probleme bezüglich der Arbeitsplatzerfordernisse<br />
oder der Wechsel des sozialen Umfeldes (z.B.<br />
Schulwechsel für die Kinder) sind an dieser Stelle zu nennen.<br />
Eine ausreichende Lohnflexibilität scheint aufgrund langfristiger Verträge<br />
und Gewerkschaftsmacht ebenfalls unwahrscheinlich. Transferleistungen<br />
stoßen ebenso auf ihre Grenzen, da die nationalen Politiker z.B. Wiederwahlrestriktionen<br />
unterliegen.<br />
Als wichtiges Kriterium für einen Optimalen Währungsraum muss deshalb<br />
der Diversifikationsgrad der Produktion10 und der damit verbundene intraindustrielle<br />
Handel genannt werden. Dieser macht asymmetrische Schocks<br />
tendenziell unwahrscheinlich, da aufgrund der Breite der Produktion (Produktion<br />
heterogener Güter; z.B. Autos in Deutschland und Frankreich) die<br />
Branchen (damit die Länder) in ähnlicher Art und Weise von Schocks betroffen<br />
sind, so dass keine unterschiedlichen geldpolitischen Maßnahmen in den<br />
einzelnen Ländern zur Abfederung der Schocks notwendig sind, sondern<br />
symmetrischen Schocks bei einheitlicher Geldpolitik durch adäquate geldpolitische<br />
Impulse begegnet werden kann. Allerdings reicht dies nicht alleinig<br />
aus, um vor asymmetrischen Schocks gefeit zu sein, da Nachfrageschocks<br />
(z.B. Verschiebung der Nachfrage von deutschen zu französischen<br />
Autos) möglich sind, auch wenn keine Spezialisierungen auf bestimmte<br />
Güter stattgefunden haben.<br />
10 Vgl. Kenen 1969.
232<br />
Nickel11 hat insgesamt 10 Kriterien für einen Optimalen Währungsraum<br />
aufgestellt: 1. Grad der außenwirtschaftlichen Offenheit, 2. Größe des Landes,<br />
3. Ähnlichkeit der Produktionsstruktur, 4. Grad der Diversifikation innerhalb<br />
eines Landes, 5. Politischer Wille, 6. Preis- und Lohnflexibilität, 7.<br />
Grad der Faktormobilität, 8.Ähnlichkeit von Inflationsraten, 9. Ähnlichkeit<br />
der Arbeitsmarktsituation und 10. Grad der fiskalpolitischen Integration.<br />
Diese lassen sich in vier Hauptkategorien zusammenfassen12 :<br />
1. Ausmaß des Handels<br />
2. Ähnlichkeit von Schocks und Konjunkturzyklen<br />
3. Grad der Arbeitskräftemobilität<br />
4. Wille zur Risikoteilung (Wahrscheinlichkeit fiskalpolitischer Transfers)<br />
Möglich sind, neben den Kosten der Wechselkursanpassung, auch noch<br />
Kosten möglicherweise verloren gegangener Seigniorage (Münzgewinn).<br />
Diese Einnahme resultiert aus dem Drucken von Geld seitens des Staates und<br />
ist vor allem für Länder mit höheren Inflationsraten relevant. 13<br />
Insgesamt kann festgehalten werden, dass ein Optimaler Währungsraum<br />
nach dieser Sichtweise dann vorhanden ist, wenn die oben angeführten Kriterien<br />
erfüllt sind, also die (makroökonomischen) Kosten der monetären Integration<br />
(eingeschränkter Einsatz bzw. Verlust des nationalen geldpolitischen<br />
Instrumentariums) gering sind, d.h. wenn nicht mit Divergenzen makroökonomischer<br />
Größen bei Schocks zu rechnen ist.<br />
2.2 Die monetaristische Sicht<br />
Gegen die oben geschilderte Sicht sind bereits in den 70er Jahren erste Einwände<br />
erhoben worden. Die makroökonomischen Kosten wurden als tendenziell<br />
gering eingeschätzt und der Nutzen (auf der mikroökonomischen Ebene)<br />
aus einem Beitritt zu einer einheitlichen Währung wurde hervorgehoben.<br />
11 Vgl. Nickel 2002.<br />
12 Vgl. Frankel/Rose 1998b.<br />
13 Vgl. Dornbusch 1988.
233<br />
Dieser Kosten-Nutzen-Vergleich ist allerdings als statisch zu bezeichnen.<br />
Langfristige Auswirkungen sind nicht explizit ableitbar.<br />
Ingram14 wies explizit auf die Kapitalmarktintegration hin, da entsprechende<br />
Kapitalflüsse asymmetrische Schocks glätten könnten. Auch Mundell wies<br />
auf den Nutzen der besseren Kapitalallokation und Diversifikation hin. 15<br />
Die Argumente gegen die makroökonomischen Kosten beruhen vor allem<br />
auf der bereits angesprochenen „Lucas- Kritik“. So wurde ein permanenter<br />
Einfluss des Wechselkurses auf Output und Arbeitslosigkeit bestritten. Im<br />
Gegenteil wurde sogar behauptet, dass ein flexibler Wechselkurs zur makroökonomischen<br />
Destabilisierung aufgrund starker Schwankungsmöglichkeiten<br />
beitragen kann. 16 Zur detaillierten Darstellung der Auseinandersetzung<br />
mit den o.g. Kosten sei auf die entsprechende Literatur verwiesen. 17<br />
An dieser Stelle soll auf den hervorgehobenen Nutzen einer einheitlichen<br />
Währung eingegangnen werden. Dieser Nutzen fokussiert sich auf die mikroökonomische<br />
Ebene. Der monetäre Effizienzgewinn des Beitrittslandes<br />
resultiert dabei vor allem aus den entfallenden Unsicherheits-, Konfusions-,<br />
Kalkulations- und Transportkosten. 18<br />
Neben diesen Vorteilen können indirekte Vorteile resultieren. Durch die<br />
Eliminierung der Wechselkursschwankungen wird die Preistransparenz erhöht,<br />
so dass auch eine bessere Vergleichbarkeit für die Konsumenten entsteht,<br />
welche die Konsumentenrente erhöhen kann. Außerdem können möglicherweise<br />
politische und ökonomische Vorteile aus einer neuen „Weltwährung“<br />
entstehen.<br />
14 In Kawai 1987.<br />
15 Vgl. Mundell 1973a und Mundell 1973b zitiert nach Horvath/Komarek 2002.<br />
16 Vgl. Adams 2005. Dies hängt vor allem von der Größe und vom Offenheitsgrad des Landes<br />
ab. Je kleiner ein Land, desto größer ist tendenziell der Offenheitsgrad und desto höher<br />
sind die Kosten flexibler Wechselkurse, die zu einer höheren Volatilität der einheimischen<br />
Preise führt. Als Nutzengewinn einer einheitlichen Währung kann in diesem Fall die Preisstabilisierung<br />
und aufgrund des Offenheitsgrades die (möglicherweise) zunehmende Symmetrie<br />
der Konjunkturzyklen (hierzu später mehr) gesehen werden.<br />
17 Vgl. De Grauwe 2003, S. 24-57.<br />
18 Vgl. Krugman/Obstfeld 2004, S. 792.
234<br />
Da also kaum makroökonomische Nachteile zu verzeichnen sind, muss die<br />
ökonomische Integration (gemessen im Ausmaß des Außenhandels zwischen<br />
den Staaten) nicht allzu sehr ausgeprägt sein.<br />
Ganz im Gegenteil <strong>–</strong> die Gewinne aus der monetären Integration werden<br />
nach Ansicht der Monetaristen den Handel positiv beeinflussen und somit<br />
die ökonomische Integration wesentlich beschleunigen. Deshalb wird in<br />
diesem Zusammenhang auch von der „Katalysatortheorie“ gesprochen.<br />
Auf die Frage, ob diese Vorteile auch langfristig zur ökonomischen Konvergenz<br />
im Sinne des Art. 2 EGV beitragen können, wird im nächsten Abschnitt<br />
eingegangen.<br />
2.3 Die Kosten-Nutzen-Analyse eines optimalen Währungsraums und<br />
das Ziel der ökonomischen Konvergenz<br />
Die oben geschilderten Ansichten lassen erkennen, dass die Kosten-Nutzen-<br />
Analyse beider Lager unterschiedlich ausfallen wird. Ganz entscheidend ist<br />
hierbei die Beurteilung der Effektivität der Wechselkursveränderung. Die<br />
Ökonomisten fokussieren sich hierbei vor allem auf die makroökonomischen<br />
Anpassungslasten bei fixen Wechselkursen und auftretenden (asymmetrischen)<br />
Schocks. Zwischen den Staaten auftretende Divergenzen bei makroökonomischen<br />
Variablen sind nach Ansicht der Ökonomisten unter festen<br />
Wechselkursen möglich, wenn die Kriterien Optimaler Währungsräume<br />
nicht erfüllt sind. Ein fester Wechselkurs sollte somit erst dann eingeführt<br />
werden, wenn der Integrationsprozess weit fortgeschritten ist. Im Gegensatz<br />
dazu stellen die Monetaristen fest, dass ein flexibler Wechselkurs diese Divergenzen<br />
nicht beseitigen kann (möglicherweise sogar erhöht). Da deshalb<br />
die Kosten vernachlässigbar sind, überwiegt der (mikroökonomisch geprägte)<br />
Nutzen der monetären Integration. Nach dieser Ansicht liegt also ein<br />
Optimaler Währungsraum vor, da die monetäre Integration kaum einen makroökonomischen<br />
Einfluss haben dürfte.<br />
Langfristige Auswirkungen bzgl. ökonomischer Konvergenz/Divergenz<br />
makroökonomischer Größen sind aus beiden Sichtweisen nicht ableitbar, da<br />
diese Kosten-Nutzen-Bewertungen statisch sind und keine langfristigen<br />
Implikationen für ökonomische Konvergenz beinhalten. Hierzu sind neuere<br />
Entwicklungen der OCA-Theorie zu betrachten, die im Folgenden dargestellt<br />
werden.
3 Die neue OCA-Theorie<br />
235<br />
Waren die traditionellen Ansätze der OCA-Theorie noch mit dem Start (und<br />
entsprechend mit dem „Ob“) einer Währungsunion verbunden, so richten<br />
sich die neueren Sichtweisen auf die Entwicklung nach dem Eintritt und den<br />
langfristigen Folgen eines Währungsverbundes. Außerdem bleibt anzumerken,<br />
dass sich die Neue OCA-Theorie wieder verstärkt den (möglichen)<br />
Kosten zuwendet.<br />
Auch hier ist wieder zwischen zwei unterschiedlichen Richtungen zu unterscheiden.<br />
Einerseits ist die Sicht der Europäischen Kommission zu nennen,<br />
die davon ausgeht, dass die Währungsunion (verbunden mit zunehmendem<br />
Handel) zu einer Beschleunigung der Integration führt. 19 Auf der anderen<br />
Seite existiert die Krugmansche Ansicht, dass die monetäre Integration divergente<br />
Entwicklungen hervorruft. Beide Stränge sollen nachfolgend dargestellt<br />
werden. 20<br />
Die Sichtweise der Europäischen Kommission erfuhr durch Frankel und<br />
Rose21 eine theoretische und empirische Untermauerung. Frankel und Rose<br />
argumentierten, dass die Kriterien für einen Optimalen Währungsraum nicht<br />
ex-ante erfüllt sein müssten, sondern, basierend auf der Lucas-Kritik, sich<br />
endogen ergeben würden, und somit erst ex-post erfüllt wären. Die Erfüllung<br />
der Kriterien resultieren aus dem Anpassungsdruck der Mitgliedsstaaten<br />
(z.B. Flexibilisierung der Arbeitsmärkte), da das Mittel der Geldpolitik bzw.<br />
das Instrument des Wechselkurses nicht mehr zur Verfügung steht, um bspw.<br />
Wettbewerbsfähigkeit durch Währungsabwertung zu erfahren. Der zunehmende<br />
intra-industrielle Handel durch die o.g. Diversifikationseffekte und<br />
erzielbaren Effizienzgewinne würde außerdem zu einer Angleichung der<br />
Konjunkturzyklen, damit zu einer Abnahme an asymmetrischen Schocks und<br />
letztlich zu einer Abnahme der Kosten des Beitritts führen, da die einheitliche<br />
Geldpolitik adäquat auf Schocks reagieren könnte.<br />
19 Vgl. De Grauwe 2003.<br />
20 Vgl. Krugman 1993.<br />
21 Vgl. Frankel/Rose 1998a; Frankel/Rose 1998b.
236<br />
Im Ergebnis würde die einheitliche Währung den Anpassungsdruck der Teilnehmerländer<br />
erhöhen und zur Konvergenz beitragen bzw. diese beschleunigen.<br />
An dieser Stelle muss aber daraufhin gewiesen werden, dass zwar in<br />
diesem Sinne ein Optimaler Währungsraum vorliegen kann, fraglich ist aber,<br />
ob die hier bezeichnete Konvergenz mit dem Ziel des Art. 2 EGV kompatibel<br />
ist. Konvergenz im hiesigen Sinne bezieht sich lediglich auf partielle<br />
Variablen, die den Konjunkturverlauf charakterisieren, um die Kosten einer<br />
einheitlichen Geldpolitik gering zu halten. Fraglich ist jedoch, ob dies ausreichend<br />
ist, um dem Ziel des Art. 2 EGV Rechnung zu tragen. Hierauf wird<br />
im Abschnitt 4 detaillierter eingegangen.<br />
Eine gänzlich andere Haltung vertritt Krugman. 22 Dieser geht davon aus,<br />
dass u.a. aufgrund unvollständigen Wettbewerbs und steigender Skalenerträge<br />
Spezialisierungen zu beobachten sein werden, die langfristig zu vermehrten<br />
asymmetrischen Schocks und Divergenz zwischen den Teilnehmerstaaten<br />
einer Währungsunion führen müssten. Daraus resultierten letztlich im<br />
Zeitablauf zunehmende Kosten eines Beitritts. Man könnte quasi behaupten,<br />
dass die Ansicht Krugmans der „Krönungstheorie“ zuzuordnen ist. Man<br />
könnte die Frage aufwerfen, warum diese Ansicht mit der Krönungstheorie<br />
in Verbindung gebracht werden kann, da auch zu einem späteren Zeitpunkt<br />
Divergenzen zu beobachten sein müssten. Dieser Einwand ist zwar nicht<br />
unberechtigt, jedoch gilt es zu bedenken, dass die Anhänger der Krönungstheorie<br />
eine einheitliche Währung nur dann für angebracht halten, wenn<br />
bereits eine weit fortgeschrittenen Integration (ökonomisch und politisch) zu<br />
beobachten ist. Somit könnte man einwenden, dass wenn schon Divergenzen<br />
auftreten sollten, dann zum spätmöglichsten Zeitpunkt. Dies ist natürlich das<br />
schlichteste Argument. Wesentlich tiefgründiger kann argumentiert werden,<br />
dass bei einer fortgeschrittenen Integration (inklusive fiskalpolitischer Integration)<br />
das Mittel interstaatlicher Transfers zur Verfügung stünde, welches<br />
zu jenem Zeitpunkt weit fortgeschrittener Integration in der Lage wäre, mögliche<br />
divergente Entwicklungen (resultierend aus der Integration) abfedern<br />
zu können.<br />
22 Vgl. Krugman 1993.
4 Die empirischen Methoden zur Analyse Optimaler<br />
Währungsräume und das Ziel der ökonomischen<br />
Konvergenz<br />
237<br />
In der letzten Dekade ist eine Flut von Beiträgen zur OCA-Theorie veröffentlicht<br />
worden. Insbesondere zur Bewertung, ob die Teilnehmerstaaten des<br />
Europäischen Währungsgebietes einen Optimalen Währungsraum bildeten.<br />
Zusammenfassend kann an dieser Stelle sicherlich festgehalten werden, dass<br />
die o.g. Kriterien (Lohn- und Preisflexibilität; Arbeitskräftemobilität) nicht<br />
als erfüllt zu betrachten sind. Dennoch kann dem schließlich die Argumentation<br />
der Endogenität der Kriterien von Frankel und Rose entgegengehalten<br />
werden. Fraglich bleibt, inwiefern jene Untersuchungen generell in der Lage<br />
sind, des in Art. 2 EGV genannten Ziels Rechnung tragen zu können. Erinnern<br />
diese Auseinandersetzungen doch an zwei Fußballexperten, die vor<br />
einem Spiel diskutieren, welche Mannschaft aufgrund partieller Fakten das<br />
Spiel gewinnen wird. Letztlich ist aber nicht diese (partiell geprägte) Diskussion<br />
das entscheidende Element, sondern das tatsächlich erzielte Resultat<br />
(die ganzheitlichen, langfristigen Auswirkungen). Übertragen heißt dies,<br />
dass die Vorteilhaftigkeit der Währungsunion anhand des zur Debatte stehenden<br />
Ziels bewertet werden muss, welches aufgrund des 30-jährigen monetären<br />
Integrationsprozesses möglich sein sollte. Im vorliegenden Fall bedeutet<br />
dies, dass das in Art. 2 EGV festgeschriebene Ziel zu erreichen ist. Im<br />
Rahmen der Literatur zur OCA-Theorie gibt es eine Vielzahl an Untersuchungsmethoden<br />
zu den Kriterien des Optimalen Währungsraums, wobei<br />
diese nur indirekte Aussagen über langfristige, ökonomische Konvergenz/Divergenz<br />
und damit zum eigentlichen Ziel zulassen. Hier sind beispielsweise<br />
„Schock“-Studien 23 , Korrelationsanalysen (Korrelation der Konjunkturzyklen,<br />
um zunehmende oder abnehmende Synchronisation, d.h.<br />
verbesserte oder verschlechterte Absorptionsfähigkeit von Schocks festzustellen.<br />
24 ) und die Entwicklung eines „OCA-Indikators“ 25 zu nennen. 26<br />
23 Siehe bspw. Bayoumi/Eichengreen 1994.<br />
24 Vgl. Frankel/Rose 1998b.<br />
25 Vgl. Bayoumi/Eichengreen 1997.<br />
26 An dieser Stelle sei auf eine detaillierte Darstellung der Flut an Techniken und Literatur<br />
zur OCA-Theorie verzichtet. Es sei in diesem Zusammenhang auf die Übersicht in Adams<br />
2005, S. 27-34 verwiesen.
238<br />
Diese Wege zur Bewertung der letztendlichen Zielerfüllung im Sinne des<br />
Art. 2 EGV sind aber indirekte Wege, und zum Teil könnte auch die ein oder<br />
andere Methode in Frage zu stellen sein. 27 Anzumerken bleibt auch, dass es<br />
durchaus denkbar ist, dass zwar in zunehmender Weise symmetrische<br />
Schocks vorliegen könnten, diese jedoch möglicherweise unterschiedliche<br />
reale Effekte in den einzelnen Ländern hervorrufen28 und damit zur Divergenz<br />
beitragen können. Kosten in diesem Sinne beziehen sich lediglich auf<br />
die Absorptionsfähigkeit von Schocks. D.h., dass zwar im Zeitverlauf tatsächlich<br />
ein Optimaler Währungsraum vorliegen kann, jedoch kann bis zu<br />
jenem Zeitpunkt bereits deutliche Divergenz einzelner Variablen zu beobachten<br />
sein, so dass die ökonomistische Sicht einer einheitlichen Währung<br />
nach vollständiger ökonomischer und politischer Integration sinnvoll wäre.<br />
Deshalb wird an dieser Stelle als der direkteste Weg zur Analyse der monetären<br />
Integration im Hinblick auf reale Konvergenz/Divergenz die σ-Konvergenz<br />
verschiedener makroökonomischer Größen im Zeitverlauf betrachtet,<br />
um den Zielen des Art. 2 EGV gerecht zu werden. An dieser Stelle sei<br />
erwähnt, dass in diesem Falle sowohl gewichtete (mit Bevölkerungsanteilen)<br />
als auch ungewichtete Daten verwendet werden können, welche aber differente<br />
Aussagen (individuelle oder länderspezifische Konvergenz/Divergenz)<br />
liefern können. 29<br />
Neben der partiellen Analyse makroökonomischer Variablen30 ist auch die<br />
Konstruktion eines „Konvergenzindikators“ in folgender Form möglich, um<br />
eine Gesamtbewertung von Konvergenz/Divergenz vorzunehmen:<br />
k<br />
∑ oder<br />
KI = α SD(X )<br />
t i i,t<br />
i=1<br />
k<br />
∑ mit<br />
KI = α VC(X )<br />
t i i,t<br />
i=1<br />
Abb. 1 Formale Darstellung des inversen Konvergenzindikators.<br />
Quelle: Eigene.<br />
27 Vgl. Frankel/Rose 1998b.<br />
28 Vgl. De Grauwe 2003.<br />
29 Vgl. Welsch/Bonn 2006 und Bonn 2005.<br />
k<br />
∑<br />
i=1<br />
α = 1<br />
30 Die partielle Analyse bezieht sich überwiegend auf die Entwicklung des BIP/Kopf oder auf<br />
die Analyse des Verlaufs der Konjunkturzyklen (Arbeitslosenquote, Inflationsraten etc.),<br />
nicht aber auf Gesamtkonvergenz im Sinne des Art. 2 EGV.<br />
i
239<br />
Hierbei sind KIt der inverse Konvergenzindikator (d.h., dass Konvergenz<br />
vorliegt, wenn der Indikator fällt) zum Zeitpunkt t (zwischen t0 und tn), αi das<br />
Gewicht der Standardabweichung (SD) bzw. des Variationskoeffizienten<br />
(VC) der makroökonomischen Variable Xi (mit insgesamt k Größen), welches<br />
sich in der Summe über alle betrachteten Standardabweichungen bzw.<br />
Variationskoeffizienten zu eins aufaddiert. Das Gewicht spiegelt die Präferenz<br />
zur gewünschten Konvergenz der entsprechenden makroökonomischen<br />
Variable wider.<br />
An dieser Stelle muss die Frage aufgeworfen werden, welche makroökonomischen<br />
Größen vom Konvergenzindikator erfasst werden müssen/sollen.<br />
Legt man den Artikel 2 EGV zugrunde, so lassen sich bestimmte Größen<br />
extrahieren. Zum Einen werden die „...harmonische und ausgewogene Entwicklung<br />
des <strong>Wirtschaft</strong>slebens...“ und ein hoher „...Grad an Konvergenz der<br />
<strong>Wirtschaft</strong>sleistungen...“ hervorgehoben. 31 Diese Formulierungen lassen<br />
zwar einen erheblichen Spielraum zu, jedoch sollte der Begriff „<strong>Wirtschaft</strong>sleistungen“<br />
das Bruttoinlandprodukt pro Kopf (BIP/Kopf) implizieren.<br />
Deshalb lassen sich m.E. diese Formulierungen als anzustrebende Konvergenz<br />
der BIP/Kopf-Größen oder/und auch als Konvergenz der Wachstumsraten<br />
der BIP/Kopf-Größen interpretieren. Andere Größen werden zum<br />
Teil explizit erwähnt. So werden „...nichtinflationäres...Wachstum“ und<br />
„...Beschäftigungsniveau...“ direkt aufgegriffen.<br />
Deshalb seien als Beispiel an dieser Stelle der Einfachheit halber die (ungewichteten)<br />
Variationskoeffizienten der Inflationsraten, Arbeitslosenquoten<br />
und des BIP/Kopf in PPS [Purchasing Power Standard; Kaufkraftstärke zu<br />
konstanten PPPs] 32 im Zeitraum von 1974 bis 2003 der EU-15 herangezogen.<br />
33<br />
Aus Vereinfachungsgründen sei außerdem von einer Gleichgewichtung der<br />
Präferenzen bezüglich der Konvergenz der einzelnen Variablen ausgegan-<br />
31 Vgl. Art 2 EGV (s.o.).<br />
32 Zu näheren Ausführungen hierzu siehe Bonn 2005.<br />
33 Datenbasis: AMECO-Datenbank (makroökonomische Datenbank auf Jahresbasis der<br />
Europäischen Kommission) erreichbar unter: http://europa.eu.int/comm/economy_finance/<br />
indicators/annual_macro_economic_database/ameco_en.htm. Eigene Berechnungen des<br />
VC und KIs.
240<br />
gen, wobei es sicherlich Gründe geben könnte, die Konvergenz einer bestimmten<br />
Variable zu bevorzugen. 34<br />
KI<br />
0,90<br />
0,80<br />
0,70<br />
0,60<br />
0,50<br />
0,40<br />
0,30<br />
0,20<br />
0,10<br />
0,00<br />
1974<br />
1977<br />
1980<br />
1983<br />
1986<br />
1989<br />
KI 1974-2003<br />
Jahr<br />
1992<br />
1995<br />
1998<br />
2001<br />
Abb. 2 Konvergenzindikator 1974-2003. Quelle: Eigene.<br />
y = 0,0036x + 0,5576<br />
R 2 = 0,1064<br />
Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass es über den gesamten<br />
Zeitraum von 1974 bis 2003 keine eindeutige Wirkung der monetären Integration<br />
auf ökonomische Konvergenz gegeben hätte, da die einfache Regression<br />
mit einem äußerst schwachen Bestimmtheitsmaß wenig aussagekräftig<br />
scheint. Um der Fragestellung der monetären Integration auf Konvergenz/Divergenz<br />
Rechnung zu tragen, bedarf es einer gesonderten Analyse<br />
der einzelnen Integrationsphasen. Im Folgenden werden vier Zeitperioden<br />
unterschieden. Zunächst wird der Zeitraum von 1974-1978 betrachtet. Nach<br />
dem Ende des Bretton-Woods-Systems gab es den höchsten Grad an Flexi-<br />
34 Dies könnte z.B. mit dem unterschiedlichen Einfluss einzelner makroökonomischer Variablen<br />
auf die Lebenszufriedenheit begründet werden. Siehe hierzu bspw. Di Tella/MacCulloch/Oswald<br />
2001; Welsch/Bonn 2005 oder Welsch 2006.<br />
KI<br />
Linear (KI)
KI<br />
0,60<br />
0,55<br />
0,50<br />
0,45<br />
0,40<br />
0,35<br />
0,30<br />
KI 1974-1978<br />
KI<br />
Linear (KI)<br />
y = 0,0279x + 0,4235<br />
R 2 1974 1975 1976 1977 1978<br />
Jahr<br />
= 0,6975<br />
241<br />
bilität der Wechselkurse innerhalb der EU-15-Länder. 35 Die Schaffung des<br />
Europäischen Währungssystems (EWS) im Jahre 1979 stellt die erste grundlegende<br />
monetäre Integrationsstufe dar. Der zweite Zeitraum bezieht sich<br />
deshalb auf die Periode von 1979 bis 1991. Mit dem Beschluss des Maastrichter<br />
Vertrages (Dezember 1991; Unterzeichnung im Februar 1992) und<br />
der darin enthaltenen Konvergenzkriterien folgte der nächste Integrationsschritt.<br />
Die letzte Integrationsstufe erfolgte mit der Arbeitsaufnahme der<br />
Europäischen Zentralbank (EZB) im Jahre 1999.<br />
Abb. 3 Konvergenzindikator nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems<br />
bis zum Beginn des EWS. Quelle: Eigene.<br />
35 Mit Ausnahme der Teilnehmer der sog. „Währungsschlange“ (permanente Teilnehmer:<br />
Deutschland, Belgien, Niederlande und Luxemburg) ließen die Länder die Wechselkurse<br />
frei floaten.
242<br />
0,90<br />
0,80<br />
0,70<br />
0,60<br />
0,50<br />
0,40<br />
0,30<br />
KI 1979-1991<br />
1979<br />
1980<br />
1981<br />
1982<br />
1983<br />
1984<br />
1985<br />
Abb. 4 Abbildung 3: Konvergenzindikator von 1979 bis 1991. Quelle: Eigene.<br />
KI<br />
KI<br />
0,75<br />
0,70<br />
0,65<br />
0,60<br />
0,55<br />
1986<br />
Jahr<br />
KI 1992-1998<br />
Abb. 5 Konvergenzindikator von 1992-1998. Quelle: Eigene.<br />
1987<br />
1988<br />
1989<br />
1990<br />
1991<br />
KI<br />
Linear (KI)<br />
y = 0,0203x + 0,4997<br />
R 2 = 0,5464<br />
KI<br />
Linear (KI)<br />
y = -0,0127x + 0,7296<br />
R 2 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998<br />
Jahr<br />
= 0,6145
KI<br />
0,62<br />
0,60<br />
0,58<br />
0,56<br />
0,54<br />
0,52<br />
0,50<br />
0,48<br />
0,46<br />
Abb. 6 Konvergenzindikator von 1999-2003. Quelle: Eigene.<br />
243<br />
Die Zerlegung in die einzelnen Zeitperioden macht den Einfluss der monetären<br />
Integration auf Konvergenz/Divergenz deutlich. Zu Beginn der Betrachtungsperiode<br />
(1974-1978) war noch Divergenz zu beobachten, die mit Beginn<br />
der monetären Integration abnahm (1979-1991). Die weiter zunehmende<br />
monetäre Integration führte schließlich zu (Gesamt-) Konvergenz<br />
(1992-1998), die sich weiter erhöhte (1999-2003).<br />
Diese Darstellung kann natürlich zunächst nur einen ersten Eindruck der<br />
monetären Integration auf (Gesamt-) Konvergenz geben. Interessant ist, dass<br />
ab 1986 Konvergenz beobachtet werden kann. Dies steht möglicherweise im<br />
Zusammenhang mit dem Abbau der Devisenkontrollen und damit verbunden<br />
dem Verlust der Fähigkeit mittels geldpolitischer Maßnahmen binnenwirtschaftliche<br />
Ziele zu erreichen. 36 An dieser Stelle müssen zukünftig noch<br />
detaillierte Analysen mit Differenzierung in Ländergruppen des gleichen<br />
Wechselkursregimes und Analysen mit gewichteten Daten vorgenommen<br />
werden. Außerdem ist es sicherlich sinnvoll, die eine oder andere makroökonomische<br />
Größe in den Konvergenzindikator mit aufzunehmen und unterschiedliche<br />
Präferenzen (Gewichtungsfaktor αi) bezüglich der Konvergenz<br />
bestimmter Größen zuzulassen. Insgesamt wird aber deutlich, dass die obi-<br />
36 Vgl. Krugman/Obstfeld 2004, S. 778.<br />
KI 1999-2003<br />
KI<br />
Linear (KI)<br />
y = -0,018x + 0,6086<br />
R2 1999 2000 2001 2002 2003<br />
Jahr<br />
= 0,8571
244<br />
gen Ergebnisse die Ansicht der Monetaristen bzw. die Anhänger der „Katalysatortheorie“<br />
empirisch bestärkt.<br />
5 Zusammenfassung der Ergebnisse<br />
Das Ziel des vorliegenden Artikels bestand darin, einen Beitrag zur Diskussion<br />
Optimaler Währungsräume im Hinblick auf das Ziel der ökonomischen<br />
Konvergenz (s. Art. 2 EGV) zu leisten.<br />
Folgende Resultate sind dabei wesentlich:<br />
- Theoretisch sprechen sowohl Argumente für als auch gegen die<br />
Hypothese, dass durch monetäre Integration ökonomische Konvergenz<br />
erreicht wird;<br />
- die gängigen empirischen Methoden zur Überprüfung dieser Hypothese<br />
lassen allenfalls indirekte bzw. partielle Schlüsse bezüglich<br />
des Ziels der ökonomischen Konvergenz zu;<br />
- der oben entwickelte (inverse) Konvergenzindikator zeigt seit 1992<br />
einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem monetären Integrationsgrad<br />
und der ökonomischen (Gesamt-) Konvergenz;<br />
- erste Ergebnisse sprechen für die Haltung der Vertreter der „Katalysatortheorie“<br />
(monetaristische Sichtweise).<br />
Literatur<br />
Adams, P. (2005): Optimal Currency Areas: Theory and Evidence for an<br />
African Single Currency, Dissertation at the University of Manchester,<br />
September 2005, online verfügbar unter:<br />
http://www.socialsciences.manchester.ac.uk/econoics/research/workdev/Paul%20Adams.doc.<br />
Bayoumi, T./Eichengreen, B. (1994): One money or many? Analysing the<br />
prospects for monetary unification in various parts of the world, in:<br />
Princeton Studies in International Finance, No. 76, September 1994.
245<br />
Bayoumi, T./Eichengreen, B. (1997): Even closer to heaven? An Optimum-<br />
Currency-Area Index for European Countries´, European Economic<br />
Review, Vol. 41, 761-770.<br />
Bonn, U. (2005): Zur Messung ökonomischer Konvergenz in den Teilnehmerstaaten<br />
der EWU, in: Klusmeyer, J./Meyerholt, U./Wengelowski,<br />
P. (Hrsg.): Beratung <strong>–</strong>Evaluation <strong>–</strong> Transfer, Oldenburg.<br />
De Grauwe, P. (2003): Economics of Monetary Union, 5. Auflage, New<br />
York 2003.<br />
Di Tella, R./MacCulloch, R./Oswald, A. (2001): Preferences over Inflation<br />
and Unemployment: Evidence From Surveys of Happiness, American<br />
Economic Review, Vol. 91, No. 1, 335-341.<br />
Dornbusch, R. (1988): The European Monetary System, the Dollar and the<br />
Yen, in: Giavazzi, F., Micossi, S. and Miller, M. (Hrsg.): The European<br />
Monetary System, Cambridge.<br />
Frankel, J./Rose, A.(1998a): Is EMU more justifiable Ex post than Ex ante?,<br />
European Economic Review, Vol. 41, 563-570.<br />
Frankel, J./Rose, A. (1998b): Endogeneity of the Optimum Currency Criteria,<br />
in: European Economic Review, Vol. 108, 1009-1025.<br />
Friedman, M. (1953): The Case for Flexible Exchange Rates, in: Essays in<br />
Positive Economics, The University of Chicago Press.<br />
Horvath, R./Komarek, L. (2002): Optimum Currency Area Theory: An approach<br />
for thinking about monetary integration, Warwick Economic<br />
Reserch Papers No. 647, Department of Ecomnomics, University of<br />
Warwick.<br />
Kawai, M. (1987): Optimum Currency Area, in: Eatwell, J./Milgate,<br />
M./Newman, P. (Hrsg.): The New Palgrave A Dictionary of Economics,<br />
1987.<br />
Kenen, P. (1969): The theory of optimum currency areas: an eclectic view,<br />
in: Mundell, R./Swoboda, A. (Hrg.): Monetary Problems in the International<br />
Economy, Chicago.<br />
Krugman, P. (1993): Lessons of Massachusetts for EMU, in: Giavazzi,<br />
F./Torres, F. (Hrsg.): The Transition to Economic and Monetary Union<br />
in Europe, New York, 241-261.
246<br />
Krugman, P./Obstfeld, M. (2004): Internationale <strong>Wirtschaft</strong>: Theorie und<br />
Politik der Außenwirtschaft, 6. Auflage, München.<br />
Lucas, R. Jr. (1976): Econometric policy evaluation: a critique, in: Brunner,<br />
K./Meltzer, A. (Hrsg.): The Phillips Curve and Labor Markets, Amsterdam,<br />
19-46.<br />
McKinnon, R. (1963): Optimum currency areas, in: American Economic<br />
Review, Vol. 53, 717-724.<br />
Mundell, R. (1961): A theory of optimum currency areas, in: American Economic<br />
Review, Vol. 51, 509-517.<br />
Mundell, R. (1973a): Uncommon Arguments for Common Currencies, in:<br />
Johnson, H./Swoboda, A. (Hrsg.): The Economics of Common Currencies,<br />
Allen and Unwin Ltd., 114-132.<br />
Mundell, R. (1973b): A Plan for a European Currency, in: Johnson,<br />
H./Swoboda, A. (Hrsg.): The Economics of Common Currencies, Allen<br />
and Unwin Ltd., 143-172.<br />
Nickel, C. (2002): Insider und Outsider bei der Osterweiterung der Europäischen<br />
Währungsunion, in: Frenkel, M. (Hrsg.): Peter Lang Studien zu<br />
Internationalen <strong>Wirtschaft</strong>sbeziehungen, Band 1, Frankfurt am Main.<br />
Phillips, A. (1958): The Relation between Unemployment and the Rate of<br />
Change of Money, Wages in the United Kingdom 1861-1957, in:<br />
Economica, November 1958.<br />
Welsch, H. (2006): Is the “Misery Index” Really Flawed?, Preferences over<br />
Inflation and Unemployment Revisited, Discussion Paper V-281-06,<br />
Department of Economics, University of Oldenburg.<br />
Welsch, H./Bonn, U. (2005): Economic Convergence and Life Satisfaction<br />
in the European Union, Discussion Paper V-276-05, Department of<br />
Economics, University of Oldenburg.<br />
Welsch, H., Bonn, U. (2006): Is There a "Real Divergence" in the European<br />
Union? A Comment, in: Structural Change and Economic Dynamics,<br />
Vol. 17, No. 2, 259-265.
Sarah Müller<br />
Epistemologische Überzeugungen zu Wissen und<br />
Wissenserwerb im europäischen Vergleich<br />
1 Einleitung<br />
Bereits seit Mitte der 1950er Jahre beschäftigen sich Untersuchungen mit<br />
dem Thema der epistemologischen Überzeugungen. Was in der englischsprachigen<br />
Literatur als „personal epistemology“, „epistemological beliefs or<br />
theories“, „ways of knowing“ oder „epistemic cognition“ bezeichnet wird,<br />
kann als individuelle Auffassungen über Wissen und Wissenserwerb definiert<br />
werden, als „[…] individuals’ beliefs about the nature of knowledge<br />
and the processes of knowing“ 1 .<br />
Zahlreiche empirische Studien weisen darauf hin, dass der Mensch individuelle<br />
Überzeugungen bzw. Systeme zu Wissen und Wissenserwerb besitzt, die<br />
unmittelbaren Einfluss auf das Verstehen, Problemlösen und Handeln haben2<br />
. Diese sind ihm nicht notwendigerweise bewusst. Weiter wird die Annahme<br />
bestärkt, dass diese Überzeugungen einem Entwicklungsprozess unterliegen,<br />
der mit einer dualistischen Auffassung, einem Schwarz-Weiß-<br />
Denken von Welt beginnt3 . Wissen wird als richtig oder falsch angesehen,<br />
und Autoritäten besitzen die Antworten. Im Verlauf der Entwicklung bemerkt<br />
das Individuum, dass es selbst zwischen den Autoritäten Meinungskonflikte<br />
gibt. Auf der Suche nach der einen richtigen Antwort findet es<br />
heraus, dass sich verschiedene Meinungsstandpunkte erschließen lassen<br />
1 Vgl. Hofer/Pintrich 1997, S. 117.<br />
2 Vgl. z.B. Schommer 1994a, S. 26.<br />
3 Vgl. z.B. Perry 1999, S. 10 und S. 66 f.; Schommer 1994a, S. 26 f.
248<br />
(Vielfalt) und dass jede Überzeugung haltbar ist 4 . Die eigene Meinung ist<br />
nun nicht mehr minderwertig, sondern ebenso gültig und haltbar wie andere<br />
Auffassungen. Später erkennt das Individuum, dass Wissen immer in Abhängigkeit<br />
von Kontexten betrachtet werden muss und nur im Zusammenhang<br />
gesehen richtig oder falsch ist (Relativismus) 5 . Eine sehr differenzierte<br />
Position im weit fortgeschrittenen Entwicklungsprozess ist erreicht, wenn<br />
realisiert wird, dass es viele Möglichkeiten von Wissen gibt und dass man<br />
sich aktiv für eine entscheiden muss.<br />
1.1 Begriffsklärung<br />
Der Begriff der epistemologischen Überzeugungen kann definiert werden als<br />
„persönliche Einstellungen und Annahmen über die Natur des Wissens und<br />
Wissenserwerbs“ 6 . Die Bezeichnung „epistemologische Überzeugung“ ist<br />
seitens der Semantik bereits untrennbar verbunden mit dem Begriff „Wissen“<br />
bzw. „Erkenntnis“ (griech. episteme). Es geht hierbei um die Natur des<br />
Wissens und die subjektiven Kriterien für die Wahrheit von Wissen. Das<br />
Individuum steht vor einem erkenntnistheoretischen Problem, wenn es sich<br />
fragt: Wie kann ich sagen, dass ich etwas weiß, wenn sich selbst Experten<br />
darüber nicht einig sind? Sind die Meinungen von Experten besser als meine<br />
eigenen? Kann ich überhaupt etwas mit vollständiger Sicherheit wissen?<br />
Man kann davon ausgehen, dass die individuellen epistemologischen Überzeugungen<br />
einen erheblichen Einfluss auf den Lernprozess haben7 . Sie beinhalten<br />
grundlegende Annahmen einer lernenden Person darüber, „welche<br />
Kriterien des Wissens und Lernens es gibt, wo die Grenzen des Lernens<br />
liegen, wie viel Sicherheit ein bestimmter Wissensbestand geben kann und<br />
wie Lernen und Wissenserwerb generell ‚funktioniert’“ 8 .<br />
Es wird also deutlich, dass epistemologische Überzeugungen immer persönlich<br />
und damit auch subjektiv sind. Hier ergibt sich die Frage nach dem Zusammenhang<br />
mit Subjektiven Theorien. Subjektive Theorien können als ein<br />
4 Vgl. z.B. Perry 1999, S. 10 f. und S. 105 ff.<br />
5 Vgl. Perry 1999, S. 11 und S. 170 ff.<br />
6 Hofer/Pintrich 1997, S. 117.<br />
7 Vgl. Hofer/Pintrich 2002.<br />
8 Drechsel 2001, S. 40.
249<br />
Bündel von Annahmen, Motiven, Vermutungen, Vorstellungen und Kognitionen<br />
einer Person betrachtet werden, die sich inhaltlich auf ihre Selbst- und<br />
Weltsicht beziehen9 . Dahinter steht die Vorstellung, dass jedes Individuum<br />
psychologisches Wissen und Annahmen darüber entwickelt und Erfahrungen<br />
gemacht hat, wie andere Menschen handeln, was sie wahrnehmen, denken,<br />
fühlen und beabsichtigen, warum und mit welchen Folgen sie das tun10 .<br />
Während Subjektive Theorien allgemeine Überzeugungssysteme sind, beziehen<br />
sich epistemologische Überzeugungen auf spezifische Überzeugungen,<br />
nämlich zu Wissen und Wissenserwerb.<br />
Epistemologische Überzeugungen zeichnen sich folglich analog zu Subjektiven<br />
Theorien durch folgende Merkmale aus11 : Es sind relativ stabile kognitive<br />
Strukturen, die durch Erfahrungen veränderbar sind. Sie sind meistens<br />
unbewusst und unreflektiert, können aber unter bestimmten Bedingungen<br />
dem Bewusstsein der Person zugänglich gemacht werden. Sie sind ähnlich<br />
strukturiert wie wissenschaftliche Theorien und erfüllen vergleichbare Funktionen.<br />
Darüber hinaus besitzen epistemologische Überzeugungen zumindest<br />
teilweise handlungsleitende und handlungssteuernde Funktionen. Insbesondere<br />
die handlungsleitende und -steuernde Funktion scheint im Kontext von<br />
Lernen und Lehren bedeutsam und folgenreich. Dann nämlich steuern Subjektive<br />
Theorien (wie auch epistemologische Überzeugungen) das Verhalten<br />
von Lehrenden gegenüber Lernenden, bestimmen also, „wie der Lehrer unterrichtliche<br />
Situationen auffasst, welche Handlungsmöglichkeiten er in<br />
Betracht zieht und welche er letztlich auswählt, wie er die Effekte seines<br />
Eingreifens bewertet und wie er nachträglich sein gesamtes Handeln begründet<br />
oder rechtfertigt“ 12 .<br />
9 Vgl. Christmann/Groeben/Schreier 1999, S. 138.<br />
10 Vgl. Dann 1994.<br />
11 Vgl. Dann 1994, S. 166 f.; Groeben Wahl/Schlee/Schelle 1988; Helmke 2003, S. 52.<br />
12 Wahl 1979, S. 209.
250<br />
1.2 Bedeutung epistemologischer Überzeugungen für das professionelle<br />
Handeln von Lehrenden<br />
„Given their power, understanding students' beliefs about knowledge can<br />
provide insights into their learning and motivation” 13 . Damit bilden epistemologische<br />
Überzeugungen von Lernenden für Lehrerinnen und Lehrer<br />
einen wichtigen Ansatzpunkt, um das Lernen der Schülerinnen und Schüler<br />
zu fördern14 .<br />
Doch nicht nur die epistemologischen Überzeugungen der Lernenden gilt es<br />
für professionelles Handeln der Lehrenden zu berücksichtigen, sondern auch<br />
die epistemologischen Überzeugungen von Lehrenden selbst. Lernende erfahren<br />
nämlich im Unterricht alle Aspekte der Lehrvorstellungen der Lehrenden,<br />
und es wird angenommen, „what is learned will be determined as<br />
much by those beliefs and intentions than by activities used“ 15 .<br />
Verschiedene empirische Studien lassen auf einen Zusammenhang zwischen<br />
den individuellen Überzeugungen einer Lehrkraft und dem Lehrerhandeln<br />
schließen16 . Man nimmt an, dass die epistemologischen Überzeugungen der<br />
Lehrenden <strong>–</strong> vielfach unbewusst <strong>–</strong> ihr Handeln im Unterricht steuern. Sie<br />
bilden folglich einen „didaktischen Referenzrahmen“ 17 , der die Lehrerentscheidungen<br />
im Unterricht beeinflusst und damit den Unterrichtsverlauf<br />
prägt.<br />
Bisher liegen nur wenige Studien zu den epistemologischen Überzeugungen<br />
von Lehrkräften vor. Angesichts der Bedeutung epistemologischer Überzeugungen<br />
für das Lehren ist es notwendig, weitere Untersuchungen durchzuführen<br />
und folgende Fragestellungen zu klären: Welche Vorstellungen haben<br />
Lehrerinnen und Lehrer zu Wissen und Wissenserwerb? Wie sind diese<br />
epistemologischen Überzeugungen von Lehrerinnen und Lehrern strukturiert?<br />
Wie und unter welchen Bedingungen werden epistemologische Überzeugungen<br />
generiert? Von welchen (kulturellen) Faktoren werden diese<br />
13 Buehl/Alexander 2001, S. 385.<br />
14 Vgl. Köller/Baumert/Neubrand 2000, S. 232.<br />
15 Pratt 1992, S. 217.<br />
16 Vgl. z.B. Pratt 1992, S. 208.<br />
17 Helmke 2003, S. 52.
251<br />
Überzeugungen beeinflusst? Lassen sich für alle Lehrende <strong>–</strong> unabhängig von<br />
ihrem Tätigkeitsbereich <strong>–</strong> einheitliche Überzeugungen feststellen?<br />
Anhand empirischer Erhebungen zu den epistemologischen Überzeugungen<br />
von österreichischen und deutschen Lehrkräften sollen im Folgenden erste<br />
Antworten auf die oben aufgeworfenen Fragen gegeben werden. Zuvor jedoch<br />
soll der Stand der Forschung dargelegt werden.<br />
2 Theorien und Modelle zu epistemologischen<br />
Überzeugungen<br />
Die meisten der vorliegenden Theorien und Modelle zu epistemologischen<br />
Überzeugungen stimmen mit der Beschreibung von epistemologischen Überzeugungen<br />
als subjektive Konzepte zu Wissen und Wissenserwerb überein.<br />
Gemeinsam nehmen sie an, dass sich diese Überzeugungen von Personen<br />
im Verlauf der Zeit verändern und zunehmend komplexer werden 18 .<br />
Über diesen Grundkonsens hinaus gibt es jedoch erhebliche Differenzen in<br />
der Beschreibung des Konstrukts. Dabei lassen sich die Theorien danach<br />
unterschieden, ob sie von domänenspezifischen oder domänenübergreifenden<br />
Überzeugungen und ob sie von einem eindimensionalen oder mehrdimensionalen<br />
Modell ausgehen.<br />
2.1 Domänenspezifische vs. Domänenübergreifende Modelle<br />
Hinsichtlich der Domänenspezifität von epistemologischen Überzeugungen<br />
lassen sich verschiedene Positionen identifizieren: Eine Annahme lautet,<br />
dass epistemologische Überzeugungen von Wissensdomänen vollständig<br />
oder weitgehend unabhängig sind19 . Eine andere Auffassung nimmt eine<br />
Domänenspezifität an, der zufolge Individuen in verschiedenen Domänen<br />
bzw. Fachgebieten unterschiedliche epistemologische Überzeugungen vertreten<br />
können20 . Eine weitere, bislang allerdings noch wenig untersuchte<br />
Auffassung lautet, dass es einen Kernbereich domänenübergreifender Über-<br />
18 Vgl. Rebmann 2005.<br />
19 Vgl. Perry 1999; Schommer-Aikins 2002.<br />
20 Vgl. Hofer/Pintrich 1997.
252<br />
zeugungen gibt, der durch domänenspezifische Überzeugungen ergänzt<br />
wird 21 . In Bezug auf die Domänen können im schulischen und hochschulischen<br />
Bereich Unterrichtsfächer bzw. unterschiedliche Studienrichtungen<br />
nach so genannten „well-structured domains“ 22 oder „ill-structured domains“<br />
23 unterschieden werden. Ein Fach wird danach beurteilt, welche der<br />
beiden Strukturen vorherrscht. So bezeichnet man die Fächer als well-structured,<br />
denen bei Aufgaben und Problemen allgemein gültige Lösungen zur<br />
Verfügung stehen, wie z.B. in Mathematik oder Physik. Andere Fächer wie<br />
beispielsweise Literatur oder Geschichte, in denen es für Probleme oder<br />
Aufgaben keine allgemein gültigen Lösungen gibt, werden als ill-structured<br />
bezeichnet.<br />
2.2 Eindimensionale vs. Mehrdimensionale Modelle<br />
So genannte eindimensionale Modelle24 gehen von typischen Entwicklungsstufen<br />
aus. Höhere Entwicklungsstufen lassen sich durch zunehmende Differenzierung<br />
und komplexere Vorstellungen charakterisieren. Mehrdimensionale<br />
Konzepte gehen davon aus, dass sich die Ausprägungen auf den einzelnen<br />
Dimensionen unabhängig voneinander verändern. Das bedeutet, dass<br />
Veränderungen auf einer Dimension nicht zwangsläufig von Veränderungen<br />
auf anderen Dimensionen begleitet werden. Sie nehmen zudem an (z.B. im<br />
Gegensatz zu Perry), dass es auf einer oder sogar auf allen Dimensionen zu<br />
rekursiven Entwicklungen kommen kann, die eben nicht auf ein bestimmtes<br />
Entwicklungsende hin abzielen25 .<br />
Ein empirisch gut untersuchtes mehrdimensionales Konzept liegt von<br />
Schommer vor26 . Ihr Konzept der Epistemological Beliefs besteht aus fünf<br />
Dimensionen, die sich auf das Wesen von Wissen und auf Wissenserwerb<br />
beziehen. Diese Dimensionen werden bezeichnet als (1) source, (2) certainty<br />
and (3) structure of knowledge und (4) control and (5) speed of knowledge<br />
21 Vgl. Trautwein/Lüdtke/Beyer 2004.<br />
22 Buehl/Alexander 2001; Kitchener 1983.<br />
23 Buehl/Alexander 2001; Kitchener 1983.<br />
24 Vgl. z.B. King/Kitchener 2002; Perry 1999.<br />
25 Vgl. Schommer-Aikins 2002, S. 110 f.<br />
26 Vgl. Schommer 1994a; 1994b; Schommer-Aikins 2002.
253<br />
acquisition. Wie aus den Bezeichnungen der Dimensionen deutlich wird,<br />
gelingt es Schommer in ihrem Modell, die direkte Vernetzung von Wissen<br />
und Wissenserwerb darzustellen. Die Dimensionen 1 bis 3 beziehen sich auf<br />
das Wesen von Wissen, die Dimensionen 4 und 5 auf den Prozess des Lernens.<br />
Jede dieser Dimensionen ist als Kontinuum von einer extrem naiven bis zu<br />
einer differenzierten Position zu verstehen27 . So versteht sich die Dimension<br />
(4) control als Kontinuum von „Die Fähigkeit zu lernen ist angeboren“ bis<br />
„Die Fähigkeit zu lernen wird durch Erfahrungen erworben“. Die Dimension<br />
(5) speed reicht von der naiven Sicht „Lernen geht schnell oder gar nicht“ bis<br />
zur differenzierten Sichtweise „Lernen ist ein allmählicher Prozess“. Die<br />
Extrempositionen des Kontinuums der Dimension (3) structure, ebenfalls<br />
dargestellt als naive Position einerseits und differenzierte andererseits, können<br />
folgendermaßen formuliert werden: „Wissen besteht aus isolierten Einzelbausteinen“<br />
und „Wissen ist komplex und zusammenhängend“. Die Dimension<br />
(2) certainty bildet das Kontinuum von „Wissen ist absolut“ bis<br />
„Wissen unterliegt einem konstanten Entwicklungsprozess“ ab. Obwohl die<br />
Dimension (1) source von Schommer empirisch nicht nachgewiesen werden<br />
konnte, wurde für sie ein Kontinuum definiert, das von der naiven Sicht „es<br />
gibt eine allwissende Autorität, die Wissen weitergibt“ bis zur differenzierten<br />
Position „Wissen wird durch subjektive und objektive Erfahrungen erworben“<br />
reicht.<br />
3 Empirische Erhebung<br />
3.1 Forschungsziele und Hypothesen<br />
Zahlreiche Untersuchungen bestärken die Annahme, dass die individuellen<br />
Überzeugungen bzw. die Systeme zu Wissen und Wissenserwerb unmittelbar<br />
Einfluss auf das Verstehen, Problemlösen und Handeln haben28 . Des Weite-<br />
27 Vgl. im Folgenden Schommer 1994b, S. 301.<br />
28 Vgl. z.B. Schommer 1994a, S. 26.
254<br />
ren wird die Auffassung bekräftigt, dass diese Überzeugungen einem Entwicklungsprozess<br />
unterliegen29 .<br />
Epistemologische Überzeugungen wurden bisher überwiegend bei Studierenden<br />
untersucht30 . Überzeugungen zu Wissen und Wissenserwerb von<br />
Lehrerinnen und Lehrern, die unmittelbar mit dem Lernprozess in Berührung<br />
stehen, wurden bislang vergleichsweise wenig berücksichtigt.<br />
Der vorliegende Beitrag untersucht folgende Forschungsanliegen:<br />
• Wie weit sind die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen<br />
der Lehrenden entwickelt?<br />
• Lassen sich für die epistemologischen Überzeugungen von Lehrenden<br />
aus Deutschland und Österreich einheitliche Kriterien feststellen?<br />
• Sind die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden<br />
unterschiedlich weit entwickelt in Abhängigkeit von der<br />
Schulform, in der sie unterrichten?<br />
• Sind die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen der lehrenden<br />
ähnlich weit entwickelt, da sie aus einem Kulturkreis stammen<br />
oder gibt es länderspezifische Unterschiede?<br />
• Sind die epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden domänenspezifisch?<br />
Und besitzen Lehrende unterschiedliche epistemologische<br />
Überzeugungen über das selbst unterrichtete Fach und<br />
über das nicht selbst unterrichtete Fach?<br />
3.2 Methodisches Vorgehen<br />
Um diese Fragestellungen zu klären, wurde dieser Studie das mehrdimensionale<br />
Modell von Schommer zugrunde gelegt. Als Erhebungsinstrument diente<br />
ein Fragebogen, der im Rahmen zweier Examensarbeiten31 entwickelt und<br />
zur Erfassung subjektiver Theorien, pädagogischem Inhaltswissen und epistemologischen<br />
Überzeugungen eingesetzt wurde. Aus den ursprünglich 79<br />
29 Vgl. z.B. Perry 1999. S. 10 f.<br />
30 Vgl. Baxter Magolda 2002; Perry 1999; Schommer 1994b.<br />
31 Vgl. Müller 2005; Müsing 2005.
255<br />
Items wurden lediglich 46 in die Analyse einbezogen, da sie sich explizit auf<br />
epistemologische Überzeugungen beziehen. Items, die beispielsweise äußere<br />
Einflussfaktoren erfassen, wurden ausgelassen.<br />
In dieser Untersuchung wurden Lehrende verschiedener Schulformen aus<br />
Österreich und Deutschland zu ihren epistemologischen Überzeugungen<br />
befragt. Es nahmen insgesamt 301 Lehrende teil. Die Stichproben gestalteten<br />
sich wie folgt:<br />
In Deutschland wurden insgesamt 233 Lehrende von elf verschiedenen Schulen32<br />
aus dem Weser-Ems-Gebiet befragt. Davon waren 127 männlich und<br />
102 weiblich33 . Im Durchschnitt waren die Lehrenden knapp 46 Jahre alt<br />
und verfügten im Mittel über rund 17 Dienstjahre. In Österreich wurden<br />
insgesamt 148 Lehrende der AHS34 und BHS35 an neun Schulen in Graz und<br />
Klagenfurt befragt36 . Davon waren 41 männlich und 107 weiblich. Die<br />
durchschnittliche Berufserfahrung lag bei knapp 18 Jahren.<br />
Bei den deutschen Lehrkräften wurde eine Version des Fragebogens eingesetzt,<br />
die allgemeine epistemologische Überzeugungen erfassen sollte, während<br />
der Fragebogen in Österreich auf domänenspezifische Überzeugungen<br />
abzielte; dazu wurden die Fächer Deutsch und Mathematik gewählt als typische<br />
Vertreter einer ill-structured bzw. einer well-structured dimension.<br />
3.3 Validierung des Fragebogens<br />
Der Validierungsprozess ist entscheidend, um die Qualität eines Fragebogens<br />
sicher zu stellen. Ungeeignete Items werden in diesem Prozess selektiert.<br />
Itemschwierigkeit und Trennschärfe<br />
Für alle Items wurde zu Beginn der Schwierigkeitsindex berechnet. Die<br />
statistische Schwierigkeit von Fragebogenitems wird als ihre Popularität<br />
bezeichnet. Eine Frage, die prozentual sehr häufig in die Schlüsselrichtung<br />
32 Grundschulen, Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und berufsbildende Schulen.<br />
33 Vier Personen machten keine Angabe zu ihrem Geschlecht.<br />
34 Allgemeinbildende höhere Schulen.<br />
35 Berufsbildende höhere Schulen.<br />
36 Vgl. Umschaden 2005.
256<br />
beantwortet wird, gilt als populär37 . Für den Popularitätsindex können Werte<br />
zwischen Null und Eins erreicht werden. Items, die weder zu leicht noch zu<br />
schwer waren (p>.20 und p
257<br />
kontextunabhängig oder uneindeutig und von Kontext abhängig betrachtet<br />
werden. Ebenfalls beinhaltet dieser Faktor Einstellungen über die Struktur<br />
von Wissen, d.h. ob es in klar voneinander abgegrenzte Einheiten einzuteilen<br />
ist oder ob es als komplexe Verknüpfung von Informationen und Bereichen<br />
angesehen wird. Weiter fließt in diesen Faktor die Einstellung ein, ob die<br />
Fähigkeit zu lernen angeboren ist oder sich ständig weiter entwickelt. In den<br />
Faktor gehen zudem Items ein, die den Nutzen und die Anwendung von<br />
Lernstrategien fokussieren. Dieser Faktor stimmt in weiten Teilen mit der<br />
Beschreibung des Faktors Struktur von Wissen aus Schommers Modell überein.<br />
Daher wurde diese Skala „Struktur des Wissens“ genannt.<br />
Der zweite Faktor klärt 24,83% der Varianz auf und besitzt mit α=.49 eine<br />
noch mittlere innere Konsistenz. Auf diesem Faktor laden Items, die die<br />
Einstellung thematisieren, inwieweit der Lernerfolg von harter Arbeit abhängt.<br />
Außerdem finden sich Items, die die Einstellungen darstellen, dass<br />
man einen Sachverhalt auf Anhieb versteht oder gar nicht, und dass es sich<br />
lohnt über einen problematischen Sachverhalt länger nachzudenken. Dieser<br />
Faktor stimmt weitestgehend mit Schommers Faktor Stabilität/Sicherheit<br />
überein und wurde daher ebenfalls „Stabilität von Wissen“ genannt.<br />
Als Fazit lässt sich feststellen, dass es in der empirischen Analyse nicht möglich<br />
war, die von Schommer proklamierten fünf Dimensionen epistemologischer<br />
Überzeugungen in einer Stichprobe aus dem deutschsprachigen Kulturraum<br />
zu replizieren. Viele Items mussten gestrichen werden, da sie den testtheoretischen<br />
Gütekriterien nicht genügten und wurden in folgende Berechnungen<br />
nicht mehr einbezogen.<br />
3.4 Ergebnisdarstellung und Interpretation<br />
Hinsichtlich der oben aufgeworfenen Forschungsfragen wurden Hypothesen<br />
formuliert, die mithilfe der empirischen Daten überprüft werden sollen.<br />
Hypothese 1: Die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden<br />
sind weit entwickelt, d.h. differenziert.<br />
Betrachtet man zusammenfassend die Gruppe der teilnehmenden Lehrerinnen<br />
und Lehrer in Deutschland, deren allgemeine epistemologische Überzeugungen<br />
erhoben wurden, kann man mithilfe der berechneten Mittelwerte<br />
Aussagen über die Entwicklung der epistemologischen Überzeugungen treffen<br />
hinsichtlich der beiden Skalen Struktur und Stabilität. Dabei sind die
258<br />
Items so gepolt, dass eine naive epistemologische Überzeugung durch einen<br />
niedrigen Wert wiedergegeben wird, eine differenzierte Überzeugung durch<br />
einen hohen Wert. Der maximale Wert liegt bei 6,0 erreicht werden. Die<br />
Mittelwerte bestätigen, dass die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen<br />
weit entwickelt sind. Jede Skala erreicht einen hohen Zustimmungsgrad:<br />
die Mittelwerte beider Skalen liegen über 4,0 (Skala Struktur 4,25,<br />
Skala Stabilität 4,05). Infolgedessen lässt sich feststellen, dass die teilnehmenden<br />
Lehrenden in ihren allgemeinen epistemologischen Überzeugungen<br />
durchschnittlich sehr weit entwickelt sind und somit eine differenzierte Sicht<br />
einnehmen.<br />
Hypothese 2: Die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden<br />
sind unterschiedlich weit entwickelt in Abhängigkeit von der Schulform,<br />
in der sie unterrichten.<br />
Wenn man davon ausgeht, dass die Art der Wissensvermittlung entscheidend<br />
von der Schulform bestimmt wird, schließt sich die Vermutung an, dass die<br />
epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden ebenfalls unterschiedlich<br />
weit entwickelt sind <strong>–</strong> je nach Schulform, in der sie unterrichten. Um dieses<br />
zu prüfen, wurde eine einfaktorielle Varianzanalyse durchgeführt. Die Ergebnisbetrachtung<br />
zeigt ein sehr homogenes Bild: bezüglich der Skala Stabilität<br />
wurden Mittelwerte von 3,79 bis 4,23 erreicht, für die Skala Struktur<br />
lagen die Mittelwerte bei 4,23 bis 4,29. Das Maximum lag wieder bei 6,0.<br />
Keine Schulform fällt auf, indem sie hinsichtlich der Skalen Ausreißer bildet.<br />
Dies gibt Grund zur Annahme, dass die epistemologischen Überzeugungen<br />
der Lehrenden unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich, d.h. von der<br />
Schulform, entwickelt sind. Aussagen über die Entwicklung der epistemologischen<br />
Überzeugungen der Lehrerinnen und Lehrer in Abhängigkeit von der<br />
Schülerklientel können folglich nicht getroffen werden.<br />
Hypothese 3: Die epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden aus<br />
Österreich und Deutschland sind ähnlich weit entwickelt, da sie aus einem<br />
Kulturkreis stammen.<br />
Man kann davon ausgehen, dass das kulturelle Umfeld die epistemologischen<br />
Überzeugungen in entscheidender Weise beeinflusst und an ihrer Entwicklung<br />
maßgeblich beteiligt ist 39 . So liegt es nahe, für Österreich und<br />
39 Vgl. z.B. Qian/Pan 2002.
259<br />
Deutschland ähnlich entwickelte Überzeugungen anzunehmen, die durch den<br />
deutschsprachigen Kulturkreis bestimmt sind. Die Ergebnisse stellen sich<br />
folgendermaßen dar:<br />
z-Wert Stabilität z-Wert Struktur<br />
Österreich 3,21 2,18<br />
Deutschland 2,92 2,96<br />
Tab. 1 z-Werte der deutschen und österreichischen Lehrenden in den Faktoren<br />
„Stabilität“ und „Struktur“ des Wissens. Quelle: Eigene.<br />
Mithilfe der z-Transformation ist es möglich, Werte aus Verteilungen mit<br />
unterschiedlichem Mittelwert und Streuung, wie sie hier vorliegen, vergleichbar<br />
zu machen 40 . Die Werte zeigen, dass hinsichtlich des Faktors Stabilität<br />
die epistemologischen Überzeugungen der österreichischen Lehrenden<br />
weiter entwickelt sind als die ihrer deutschen Kollegen. Bezüglich des Faktors<br />
Struktur besitzen die deutschen Lehrkräfte differenziertere Überzeugungen.<br />
Da nicht eindeutig gesagt werden kann, durch welche Faktoren dieser<br />
Unterschied hervorgerufen wird, muss die Hypothese 3 vorerst als nicht<br />
bestätigt angesehen werden. Der Einfluss der Kultur muss in nachfolgenden<br />
Studien weiter überprüft werden.<br />
Hypothese 4: Lehrende besitzen unterschiedliche epistemologische Überzeugungen<br />
über das selbst unterrichtete Fach (Eigendomäne) und über das<br />
nicht selbst unterrichtete Fach (Fremddomäne).<br />
In der vorliegenden Studie wurden die epistemologischen Überzeugungen<br />
von Deutsch- und Mathematiklehrenden erhoben. Es soll überprüft werden,<br />
ob Lehrende dieser unterschiedlichen Bereiche ebenfalls unterschiedlich<br />
entwickelte Überzeugungen besitzen. Des Weiteren geben bereits durchgeführte<br />
Studien Anlass zu der Annahme, dass Lehrende sich in ihren epistemologischen<br />
Überzeugungen über das selbst unterrichtete Fach (Eigendomäne)<br />
und über das nicht selbst unterrichtete Fach (Fremddomäne) unterscheiden<br />
41 . Die Ergebnisse der durchgeführten Varianzanalyse sind in Tabelle 2<br />
40 Vgl. Wirtz/Nachtigall 2004.<br />
41 Vgl. z.B. Buehl/Alexander 2001.
260<br />
dargestellt. Naive epistemologische Überzeugungen sind mit einem niedrigen<br />
Wert gekennzeichnet, differenzierte Überzeugungen mit einem hohen<br />
Wert. Das zu erreichende Maximum lag bei 5,0.<br />
Deutschlehrende<br />
Mittelwert<br />
Struktur<br />
Eigendomäne (Deutsch) 2,29 2,70<br />
Fremddomäne (Mathematik) 2,58 2,82<br />
Mathematiklehrende<br />
Eigendomäne (Mathematik) 2,66 2,54<br />
Fremddomäne (Deutsch) 3,02 3,02<br />
Mittelwert<br />
Stabilität<br />
Tab. 2 Mittelwertunterschiede der Lehrenden (Eigen- und Fremddomäne)<br />
hinsichtlich der Faktoren „Struktur“ und „Stabilität“ des Wissens.<br />
Quelle: Eigene.<br />
Die Betrachtung der Mittelwerte zeigt, dass sowohl Deutschlehrende als<br />
auch Mathematiklehrende in ihrem nicht selbst unterrichteten Fach (Fremddomäne)<br />
hinsichtlich des Faktors „Struktur des Wissens“ von komplexeren<br />
epistemologischen Überzeugungen ausgehen. Sie gehen also davon aus, dass<br />
die Bedeutung einer Information eher uneindeutig ist und vom Kontext abhängig<br />
ist. Des Weiteren besitzen sie die Überzeugung, dass Wissen aus<br />
zusammenhängenden Informationen besteht und es einer ständigen Weiterentwicklung<br />
unterliegt.<br />
Hinsichtlich des Faktors „Stabilität des Wissens“ zeigt sich ein ähnliches<br />
Bild. Ausgehend von den Mittelwerten kann man sagen, dass sowohl die<br />
Deutsch- als auch die Mathematiklehrenden bezüglich des nicht selbst unterrichteten<br />
Faches (Fremddomäne) überzeugt sind, dass die epistemologischen<br />
Überzeugungen dort komplexer sind. Sie sind überzeugt, dass der Lernerfolg<br />
weitgehend von harter Arbeit abhängt, und dass es sich lohnt über einen<br />
problematischen Sachverhalt länger nachzudenken. Diese Ergebnisse bestätigen<br />
die Hypothese, dass epistemologische Überzeugungen domänenspezifisch<br />
sind.
4 Fazit<br />
261<br />
In der vorliegenden Studie wurden <strong>–</strong> ausgehend von einem mehrdimensionalen<br />
Konzept der epistemologischen Überzeugungen und einer herrschenden<br />
Domänenspezifität <strong>–</strong> die individuellen Überzeugungen von Lehrenden aus<br />
Österreich und Deutschland erfasst. Die empirischen Daten wurden hinsichtlich<br />
des Unterrichtsfaches der Lehrenden ausgewertet, um Aussagen über die<br />
Domänenspezifität machen zu können. Dabei wurde das Fach Deutsch als<br />
typisches Beispiel für eine so genannte ill-structured domain gewählt: dazu<br />
gehören Fächer, in denen es für Probleme oder Aufgaben keine allgemein<br />
gültigen Lösungen gibt. Das Fach Mathematik wurde als typisches Beispiel<br />
für eine so genannte well-structured domain gewählt: dort kann bei Aufgaben<br />
und Problemen auf allgemein gültige Lösungen zurückgegriffen werden.<br />
Hinsichtlich der anfangs aufgeworfenen Forschungsfragen lassen sich folgende<br />
Ergebnisse festhalten:<br />
• Wie weit sind die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen<br />
der Lehrenden entwickelt?<br />
� Die allgemeinen epistemologischen Überzeugungen der<br />
teilnehmenden Lehrenden sind durchschnittlich sehr weit<br />
entwickelt. Die Lehrenden vertreten eine differenzierte<br />
Sicht der epistemologischen Überzeugungen.<br />
• Lassen sich für die epistemologischen Überzeugungen von Lehrenden<br />
aus Deutschland und Österreich einheitliche Kriterien feststellen<br />
oder gibt es schulform- oder länderspezifische Unterschiede?<br />
� Die epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden sind<br />
unabhängig von ihrem Tätigkeitsbereich, d.h. von der<br />
Schulform, entwickelt. Aussagen über die Entwicklung der<br />
Überzeugungen in Abhängigkeit von der Schülerklientel<br />
können nicht getroffen werden.<br />
� Es lassen sich keine Aussagen über einheitliche Kriterien<br />
der epistemologischen Überzeugungen treffen, die sich auf<br />
den gemeinsamen Kulturkreis zurückführen lassen. Die<br />
empirischen Daten geben Anlass zur Vermutung, dass län-
262<br />
derspezifische Unterschiede existieren, die an dieser Stelle<br />
allerdings nicht genauer definiert werden können.<br />
• Sind die epistemologischen Überzeugungen der Lehrenden domänenspezifisch?<br />
� Die empirischen Daten zeigen, dass sich eine domänenspezifische<br />
Struktur der epistemologischen Überzeugungen<br />
feststellen lässt.<br />
� Die Lehrenden unterscheiden zwischen den epistemologischen<br />
Überzeugungen in dem von ihnen selbst unterrichteten<br />
Fach (Eigendomäne) und dem nicht selbst unterrichteten<br />
Fach (Fremddomäne).<br />
Abschließend lässt sich sagen, dass noch erheblicher Forschungsbedarf besteht,<br />
was die epistemologischen Überzeugungen von Lehrenden betrifft. Es<br />
existieren bislang nur wenige Studien, die sich mit den Auswirkungen der<br />
epistemologischen Überzeugungen auf das unterrichtliche Handeln der Lehrenden<br />
befassen. Um empirische Daten unmittelbar vergleichen zu können,<br />
muss ein einheitliches Erhebungsinstrument entwickelt und validiert werden.<br />
Die in dieser Studie nachgewiesenen Faktoren „Stabilität“ und „Struktur“<br />
des Wissens können das Konzept von Schommer, das dieser Studie zugrunde<br />
liegt, allerdings nur in Teilen bestätigen.
Literatur<br />
263<br />
Baxter Magolda, M. (2002): Epistemological Reflection: The Evaluation of<br />
Epistemological Assumptions from Age 18 to 30, in: Hofer, B./ Pintrich,<br />
P. (Hrsg.): Personal epistemology. The psychology of beliefs<br />
about knowledge and knowing, Mahwah, S. 89-102.<br />
Buehl, M./Alexander, P(2001): Beliefs About Academic Knowledge, in:<br />
Educational Psychology Review, 13(4), S. 385-418.<br />
Christmann, U./Groeben, N./Schreier, M. (1999): Subjektive Theorien <strong>–</strong><br />
Rekonstruktion und Dialog-Konsens, in: SPIEL, 18(1), S. 138-153.<br />
Dann, H. (1994): Pädagogisches Verstehen: Subjektive Theorien und erfolgreiches<br />
Handeln von Lehrkräften, in: Reusser, K./Reusser-Weyeneth,<br />
M. (Hrsg.): Verstehen: psychologischer Prozess und didaktische Aufgabe,<br />
Bern, S. 163-182.<br />
Drechsel, B. (2001): Subjektive Lernbegriffe und Interesse am Thema Lernen<br />
bei angehenden Lehrpersonen, Münster.<br />
Groeben, N./Wahl, D./Schlee, J./Schelle, B. (1988): Das Forschungsprogramm<br />
Subjektive Theorien, Tübingen.<br />
Helmke, A. (2003): Unterrichtsqualität <strong>–</strong> erlassen, bewerten, verbessern,<br />
Seelze.<br />
Hofer, B./Pintrich, P. (1997): The Development of Epistemological Theories:<br />
Beliefs about Knowledge and Knowing and Their Relation to<br />
Learning, in: Review of Educational Research, 67(1), S. 88-140.<br />
Hofer, B./Pintrich, P. (Hrsg.) (2002): Personal epistemology. The psychology<br />
of beliefs about knowledge and knowing, Mahwah.<br />
King, P./Kitchener, K. (2002): The Reflective Judgment Model: Twenty<br />
Years of Research on Epistemic Cognition, in: Hofer, B./Pintrich, P.<br />
(Hrsg.): Personal epistemology. The psychology of beliefs about<br />
knowledge and knowing , Mahwah, S. 37-61.<br />
Kirchhoff, S. (2003): Der Fragebogen <strong>–</strong> Datenbasis, Konstruktion und Auswertung,<br />
Opladen.<br />
Kitchener, K. (1983): Cognition, metacognition and epistemic cognition: A<br />
three-level model of cognitive processing, in: Human Development, 4,<br />
S. 222-232.
264<br />
Köller, O./Baumert, J., Neubrand, J. (2000): Epistemologische Überzeugungen<br />
und Fachverständnis im Mathematik- und Physikunterricht, in:<br />
Baumert, J., Bos, W., Lehmann, R. (Hrsg.): TIMSS/III Dritte Internationale<br />
Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie, Band 2, Opladen, S.<br />
229-269.<br />
Lienert, G./Raatz, U. (1998): Testaufbau und Testanalyse, Weinheim.<br />
Manhal, S./Müller, S./Paechter, M./Rebmann, K. (2006): Conceptualizing<br />
Epistemological Beliefs and Their Relation to the Differentiated Use of<br />
Learning Strategies, zur Veröffentlichung eingereicht.<br />
Müller, S. (2005): Epistemologische Überzeugungen von Lehrerinnen und<br />
Lehrern zu Wissen und Wissenserwerb. Hausarbeit im Rahmen der<br />
Ersten Staatsprüfung für das Lehramt an berufsbildenden Schulen im<br />
Land Niedersachsen, unveröffentlicht.<br />
Müsing, J. (2005): Subjektive Theorien von Lehrerinnen und Lehrern zu<br />
Wissen und Wissenserwerb. Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung<br />
für das Lehramt an berufsbildenden Schulen im Land Niedersachsen,<br />
unveröffentlicht.<br />
Perry, W. (1999): Forms of Intellectual and Ethical Development in the College<br />
Years, San Francisco.<br />
Pratt, D. (1992): Conceptions of teaching, in: Adult Education Quarterly,<br />
42(4), S. 203-220.<br />
Qian, G./Pan, J. (2002): A Comparison of Epistemological Beliefs and learning<br />
from Science Text between American And Chinese High School<br />
Students, in: Hofer, B./Pintrich, P. (Hrsg.): Personal epistemology. The<br />
psychology of beliefs about knowledge and knowing, Mahwah, S. 365-<br />
385.<br />
Rebmann, K. (2005): Epistemologische Überzeugungen: Konzepte zu Wissen<br />
und Wissenserwerb von Handelslehramtsstudierenden und Handelslehrer(inne)n,<br />
unveröffentlichtes Manuskript.<br />
Schommer, M. (1994a): An emerging conceptualization of epistemological<br />
beliefs and their role in learning, in: Garner, R./Alexander, P. (Hrsg.):<br />
Beliefs about text and instruction with text, New Jersey, S 25-39.<br />
Schommer, M. (1994b): Synthesizing Epistemological Belief Research, in:<br />
Educational Psychology Review, 6(4), S. 293-319.
265<br />
Schommer-Aikins, M. (2002): An Evolving Theoretical Framework for an<br />
Epistemological Belief System, in: Hofer, B./Pintrich, P. (Hrsg.): Personal<br />
epistemology. The psychology of beliefs about knowledge and<br />
knowing , Mahwah, S. 103-118.<br />
Trautwein, U./Lüdtke, O./Beyer, B. (2004): Rauchen ist tödlich, Computerspiele<br />
machen aggressiv? Allgemeine und theorienspezifische epistemologische<br />
Überzeugungen bei Studierenden unterschiedlicher Fachrichtungen,<br />
in: Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 18, S. 187-<br />
199.<br />
Umschaden, E. (2005): Epistemologische Überzeugungen von Lehrenden:<br />
Domänenspezifische Unterschiede. Diplomarbeit zur Erlangung des<br />
Grades einer Magistra an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der<br />
Karl-Franzens-Universität Graz, unveröffentlicht.<br />
Wahl, D. (1979): Methodische Probleme bei der Erfassung handlungsleitender<br />
und handlungsrechtfertigender subjektiver psychologischer Theorien<br />
von Lehrern. In: Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische<br />
Psychologie, 11(3), S. 208-217.<br />
Wirtz, M./Nachtigall, C. (2004): Deskriptive Statistik, 2. Aufl., München.
Chege, Victoria<br />
The Interaction of Race and Gender in EU Equality Law<br />
1 Introduction<br />
Studies on the multidimensionality reveal that grounds of discrimination are<br />
as interrelated as the multiple identities of individuals are inseparable. 1 Due<br />
to this interplay, the different grounds serve as background features, the<br />
presence or absence of which either intensifies or mitigates the effect of<br />
discrimination faced. 2 Racial discrimination can hence take place in a gender<br />
context, while gender discrimination can take place in a background already<br />
made vulnerable by racial discrimination. In effect therefore, different subsets<br />
of people will experience discrimination differently, and a general approach<br />
that ignores differences among groups will deny some of effective<br />
1 See Crenshaw, Background Paper for the Expert Meeting on the Gender-Related Aspects<br />
of Race Discrimination Zagreb, Croatia (2000) (http://www.wicej.addr.com/wcar_docs/crenshaw.html);<br />
Crenshaw, Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: a Black<br />
Feminist Critique of Anti-discrimination Law Doctrine, Feminist Theory, and Anti-racist<br />
Politics, University of Chicago Legal Forum 139 (1989) (cited from the reprint in D. Kelly<br />
Weisberg (ed.), Feminist Legal Theory. Foundations (Temple, 1993), 383 <strong>–</strong> 395;<br />
Crenshaw, Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and Violence Against<br />
Women of Color, 43 Stanford Law review, (1991) 1241 <strong>–</strong> 1299; Makonnen, Multiple,<br />
Compound and Intersectional Discrimination: Bringing the Experience of the Most Marginalized<br />
to the Fore, Institute For Human Rights Åbo Akademi University (2002); Duclos,<br />
Disappearing Women: Racial Minority Women in Human Rights Cases, 6 Canadian Journal<br />
Women and Law (1993), 25-51; Pothier, Connecting Grounds of Discrimination to<br />
Real Peoples Experience, 13 Canadian Journal Women and Law (2001), 37 <strong>–</strong> 73; Hannett,<br />
Equality at the Intersections: The Legislative and Judicial failure to Tackle Multiple Discrimination,<br />
23 Oxford Journal of Legal Studies (2003), 65 <strong>–</strong> 86.<br />
2 See Crenshaw, Background Paper for the Expert Meeting (2000) Section III ff<br />
(http://www.wicej.addr.com/wcar_docs/crenshaw.html).
268<br />
protection. 3 For anti discrimination law to be effective in its aim, it must<br />
hence reflect the social reality of individuals and address their multiple identities<br />
4 and not just one particular aspect of thereof. Such an approach that<br />
integrates all aspects related to a ground has been related to substantive notion<br />
of equality. 5<br />
Integrating ground related aspects implies taking a multidimensional approach<br />
which involves an analysis of the effects of separate grounds adding<br />
to each <strong>–</strong> additive discrimination 6 <strong>–</strong> or of an invisible interaction of grounds<br />
which would disproportionately disadvantage those at the intersection of two<br />
or more grounds <strong>–</strong> intersectional discrimination. 7<br />
For law to bite there must be a corresponding prohibition. 8 For a multidimensional<br />
approach, this would require the prevalence of several prohibited<br />
grounds, and the admissibility of interactions between them. Anglo American<br />
law fulfilled the former requirement, but was criticised for failing to<br />
adequately facilitate latter. 9 EU law likewise fulfils the former requirement.<br />
3 Crenshaw makes this point in her works on the interactions of race and gender . See op. cit<br />
n.1.<br />
4 Schiek, Broadening the Scope and the Norms of EU Gender Equality Law: Towards a<br />
Multidimensional Conception of Equality Law, 12 Maastricht Journal of European and<br />
Comparative Law (2005), 427-466, 459 f.<br />
5 Schiek, 12 Maastricht Law Journal (2005), 459 f.<br />
6 See for example Hannett, 23 Oxford Journal of Legal Studies (2003), 65; Makonnen,<br />
Multiple, Compound and Intersectional Discrimination (2002).<br />
7 See especially the works of Crenshaw, op. cit. fn. 1.<br />
8 See for example Miné, Concepts of Direct and Indirect Discrimination (Revised text of a<br />
presentation delivered at the conference on “The Fight Against Discrimination. New Directives<br />
of 2000 Concerning Equality, 31 March to 1 April, Trier)<br />
(http://www.era.int/web/en/resources/5_2341_603_file_en.576.pdf#search=%22concepts%<br />
20of%20direct%20and%20indirect%20discrimination%22).<br />
9 In the USA, although Title VII of the Civil Rights Act, 1964 prohibits discrimination on<br />
grounds of race, colour, religion, sex or national origin, courts had problems addressing<br />
multiple and intersectional claims. Despite the existence of the Sex Discrimination Act<br />
1975, the Equal Pay Act 1970, the Race Relations Act 1976, the Disability Act 1995, multidimensional<br />
claims in the UK were not really addressed. See the works of Shoben, Compound<br />
Discrimination: The Interaction of Race and Sex in Employment Discrimination, 55<br />
New York University Law Review, (1980) 793 <strong>–</strong> 833; Hannett, 23 Oxford Journal of Legal<br />
Studies (2003), 65.
269<br />
Grounds prohibited include nationality, 10 sex, 11 race and ethnicity, 12 religion<br />
or belief, 13 disability, 14 age, 15 sexual orientation. 16 In respect to the admissibility<br />
of the interaction of grounds, it might be necessary to point out that<br />
recitals 14 and 3 of the Race and Framework directives respectively mention<br />
the fact that women are often victims of multiple claims; Article 17 and 19<br />
of the Framework and Race directives also require an assessment of the<br />
impact of the measures undertaken under the respective instruments on<br />
women. The gender mainstreaming aim of the EU has itself been construed<br />
to imply recognition of the fact that other inequalities carry a gender dimension.<br />
17 Taken together, this could imply that EU law acknowledges the possibility<br />
of the interaction of grounds, albeit from the perspective of gender<br />
equality. But does also mean that EU law is structured in such a manner as to<br />
facilitate the integration of ground related aspects?<br />
The fact that multiple discrimination is only mentioned in relation to gender<br />
is the first indication of doubt. But a more illuminating answer would necessitate<br />
a more detailed look at the structure and content of EU equality law.<br />
To stay within the permissible scope, only the inseparability of race and<br />
gender which has been specifically pointed out in both legal 18 and sociologi-<br />
10 See for example Article 12 EC, the provisions of the fundamental freedoms, especially<br />
Article 39 EC.<br />
11 Directive 2002/73/EC amending Directive 76/207/EEC on the equal treatment between<br />
men and women [2002] OJ 269/15.<br />
12 The Race Directive 2000/43/EC establishes the principle of equal treatment of persons<br />
irrespective of race and ethnic origin [2000] OJ L 180/22.<br />
13 The Framework Directive 2000/78/EC lays down the principle of equal treatment of persons<br />
irrespective of religion or belief, sexual orientation, age and disability [2000] OJ<br />
L303/16.<br />
14 Ibid.<br />
15 Ibid.<br />
16 Ibid.<br />
17 Nielsen, EU Law and Multiple Discrimination, CBS Law Studies WP 2006 <strong>–</strong> 01, Copenhagen<br />
Business School, Law Department, p. 3. (http://ir.lib.cbs.dk/paper/ISBN/<br />
8791759013)<br />
18 See especially Crenshaw, op.cit. 1; Duclos, 6 Canadian Journal Women and Law (1993),<br />
25-51, esp. 33 ff.
270<br />
cal literature 19 is the main focus here. Both grounds have been said to share<br />
similar stereotypes, 20 and law is being urged to address their possible interactions.<br />
21<br />
The article will briefly examine the provisions of gender and racial discrimination<br />
in EU equality law. This will be followed by a discussion of the contents<br />
of the directive in the light of the question of multidimensionality.<br />
Lastly, an evaluation of the findings and some suggestions will be made.<br />
2 Gender, Race in EU Equality Law<br />
2.1 Legal Base<br />
Article 2 EC and Article 3 (2) place the attainment of gender equality as a<br />
task of the EU and an objective that has to be mainstreamed in all the Community<br />
activities. There are several other provisions aimed at achieving gender<br />
equality in the EU. Article 141 establishes the principle of equal pay<br />
between men and women. Several other secondary law instruments pursue<br />
the principle of equal treatment between men and women in different areas.<br />
22 Of great relevance to this work is the Gender Reform Directive which<br />
purposes to put into effect the principle of equal treatment between men and<br />
19 See Adib/Guerrier, The Interlocking of Gender with Nationality, Race, Ethnicity and<br />
Class: the Narratives of Women in Hotel Work, 10 Gender, Work, Organisation (2003),<br />
413. Browne/Misra, The Intersections of Gender and race in the Labour Market, 29 Annu.<br />
Rev. Sociol. (2003), 487<strong>–</strong>513.<br />
20 Duclos, 6 Canadian Journal Women and Law (1993), 25-51, esp. 33 ff..<br />
21 Crenshaw op. cit. 1; Hannet 23 Oxford Journal of Legal Studies (2003), 65<br />
22 See for example the Equal pay Directive 75/117/EEC [1975] OJ L45/198; Social Security<br />
Directive 79/7/EEC [1979] OJ L 6/24; Occupational Social Security Directive 86/378/EEC<br />
[1986] OJ L 225/40 (amended by Directive 96/97/EC [1997] OJ L 14/13); Self Employed<br />
Directive 86/613/EEC [1986] OJ L 359/56; the Pregnant Workers Directive 92/85/EEC<br />
[1992] OJ L 348/1; the Working Time Directive 93/104/EC [ 1993] OJ L 307/18; Parental<br />
Leave Directive 96/34/EC [ 1996] OJ L 145/11 (amended by 97/75/EC [1997] OJ L 10/24;<br />
Burden of Proof Directive 97/80/EC [1998] OJ L 14/6; Part <strong>–</strong> time Workers Directive<br />
97/81/EC [1998] OJ L 14/9.
271<br />
women within its scope of application. 23 It is equally important to note that<br />
on the basis of Article 13 EC, the provisions of gender equality were extended<br />
beyond the labour market through the adoption of the Goods and<br />
Services Directive. 24<br />
The prohibition to discriminate on grounds of race and ethnicity is contained<br />
in the Race Directive which purposes to lay down a general framework for<br />
combating discrimination on the grounds of racial or ethnic origin, with a<br />
view of putting into effect in the Member State the principle of equal treatment.<br />
25<br />
Since they purpose to put into effect the principle of equal treatment, both<br />
EU gender and racial provisions strive for substantive equality or equality in<br />
fact. 26 Addressing the multidimensionality of human identity has been argued<br />
to be inherent in the concept of substantive equality. 27<br />
2.2 Contents of Gender and Race Provisions<br />
The section below will not try to reproduce the considerable work already<br />
done on the directives. 28 Rather, it will stick to those elements that are considered<br />
to be of relevance to the topic at hand.<br />
23 Gender Equal Treatment Directive 76/207/EEC [1976] OJ L 39/40 (amended by Directive<br />
2002/73/EC [2002] OJ L 269/15.<br />
24 Goods and Services Directive OJ [20004] L 373/37.<br />
25 Article 1 Race Directive.<br />
26 See Schiek, A New Framework on Equal Treatment of Persons in EC law? ELJ Vol. 8<br />
(2002), 290 <strong>–</strong> 314, 304.<br />
27 Schiek, 12 Maastricht Journal (2005), 427-466, 459 f.<br />
28 For allok at the directives see Schiek, ELJ Vol. 8, (2002), 290; Waddington/Bell, More<br />
Equal than Others: Distinguishing European Union Equality Directives, 38 CML Rev.<br />
(2001) 587 <strong>–</strong> 611; Masselot, The New Equal Treatment Directive: Plus Ça Change… 12<br />
Feminist Legal Studies (2004), 93 <strong>–</strong> 104; Nielsen, EU Law and Multiple Discrimination,<br />
CBS Law Studies WP 2006; Torella, The Goods and Services Directive: Limitations and<br />
Opportunities, Feminist Legal Studies (2005), DOI 10.1007/s1069 <strong>–</strong> 005 <strong>–</strong> 9007 <strong>–</strong> 5.
272<br />
2.2.1 Scope of Application<br />
The material scope of application envisaged in the gender and race provisions<br />
is not consistent. 29 In employment related areas, the scope might be<br />
similar; however race has a wider scope beyond the labour market which<br />
extends to education, health care. 30<br />
In relation to the personal scope of application, the race provisions do not<br />
cover differential treatment arising from nationality 31 and will not affect<br />
differential treatment that arises from the legal status of third country nationals<br />
and stateless persons. 32 This particular exemption is not envisaged under<br />
the gender provisions.<br />
2.2.2 Exceptions<br />
Both the gender and race provisions contain ground related exceptions to the<br />
non discrimination principle. Only those exceptions relating to occupational<br />
activities and positive action33 will be examined here. The occupational<br />
exceptions under the Race Directive apply to all occupational activities.<br />
However, they do not go beyond the labour market. 34 The relevant employment<br />
provisions of the Gender Reform Directive are only restricted to access<br />
to employment, and do not envisage promotion per se. 35 The gender exceptions<br />
are also extended beyond the labour market by the Goods and Services<br />
Directive.<br />
29 Schiek, ELJ Vol. 8, 2002, 290; Waddington/Bell, More Equal than Others: Distinguishing<br />
European Union Equality Directives, 38 CML Rev. (2001) 587 <strong>–</strong> 611.<br />
30 For a comparison of the scopes see Articles 3 Race, Gender Reform and Goods and Services<br />
Directives; Schiek, ELJ Vol. 8, 2002, 290; Waddington/Bell, More Equal than Others:<br />
Distinguishing European Union Equality Directives, 38 CML Rev. (2001) 587 <strong>–</strong> 611.<br />
31 Article 3 (2) Race Directive.<br />
32 Ibid.<br />
33 For positive action as an exception see Masselot, 12 Feminist Legal Studies (2004), 93 <strong>–</strong><br />
104; Waddington/Bell, 38 CML Rev. (2001) 587 <strong>–</strong> 611, 601.<br />
34 Article 4 Race Directive<br />
35 Article 2 (6) Gender Reform Directive.
273<br />
Positive action is provided for in all the equality instruments. 36 The aim of<br />
positive action pursued by all directives is full equality in practice <strong>–</strong> a substantive<br />
notion of equality. 37<br />
2.2.3 Concepts<br />
Direct discrimination has been defined as less favourable treatment (on the<br />
particular ground) under comparable situations. Indirect discrimination requires<br />
that an apparently neutral provision, criterion, or practice leads to<br />
disadvantageous treatment, unless it can be objectively justified and the<br />
principle of proportionality respected. 38 Impact of such measures on a group<br />
can be established through statistical or any other means, 39 which reflects a<br />
departure from the case law of the ECJ established under gender equality<br />
where statistics were a must for establishing disparate effect. 40 The definitions<br />
of direct and indirect discrimination under both provisions necessitate a<br />
comparator or comparable situation. Hypothetical comparisons seem to be<br />
permitted. 41<br />
The concept of goods and services envisaged under gender equality has been<br />
linked to the concept of goods and services as envisaged in the EC Treaty. 42<br />
2.2.4 Enforcement<br />
Equal treatment bodies are envisaged under both gender and race provision;<br />
43 sanctions are required to be effective, proportionate and dissuasive. 44<br />
36 Article 5, Article 2 (8), Article 6 Race, Gender Reform, and Goods and Services Directives<br />
respectively. According to Article 2 (8) Gender Reform Directive, positive action measures<br />
pursued under this directive must be adopted within the meaning of Article 141 (4) EC.<br />
37 Barnard/Hepple, Substantive Equality, Cambridge Law Journal 59 (3) (2000), 562 <strong>–</strong> 585,<br />
576 f.<br />
38 See Article 2 Race and Gender Reform Directives respectively.<br />
39 See recitals 15 and 10 of Race and Gender Reform Directives respectively.<br />
40 See ECJ Kirsammer Hack C <strong>–</strong> 189/91 ECR 1993, 1 <strong>–</strong> 6215. See also Schiek, ELJ Vol. 8,<br />
(2002), 290, 296. Waddington /Bell, 38 CML Rev. (2001) 587, 594.<br />
41 Also Schiek, ELJ Vol. 8, (2002), 290, 296; Waddington/Bell, 38 CML Rev. (2001) 587 <strong>–</strong><br />
611, 591 f.<br />
42 Recital 11 Directive 2004/113/EC O.J. L 373/38.
274<br />
Real and effective compensation is also envisaged under the Gender Reform<br />
Directive. 45 Victimization has been prohibited. 46 The gender provisions are<br />
extended beyond the labour market by Article 10 of the Goods and Services<br />
Directive.<br />
3 Assessment<br />
3.1 The Inconsistent Scope <strong>–</strong> Under Inclusiveness?<br />
Under inclusiveness as a term has been specifically used in academic literature<br />
to refer to a situation where the scope of legal protection did not correspond<br />
to actual disadvantage undergone, 47 especially where only one of the<br />
grounds of discrimination experienced was protected. By analogy, under<br />
inclusiveness will be applied here to such instances where different levels of<br />
protection is envisaged in the instruments in such a manner as to exclude the<br />
possibility of combining claims.<br />
In employment and occupation related areas, the material scope of the provisions<br />
seem to cover the same elements. This is of course of relevance, since<br />
employment and occupation related areas are fields in which the interplay of<br />
race and gender have forced many racial minority women in different EU<br />
Member States into the lowest paying jobs, irrespective of their qualifications.<br />
48 It is hence all the more important for multidimensional claims that<br />
this area has a consistent material scope. This cannot be maintained in re-<br />
43 See Article 13 Race Directive; Article 8 (a) Gender Reform Directive.<br />
44 See Article 15; Article 8 (d) Race and Gender Reform Directives respectively.<br />
45 See Article 6 (2) of the Gender Reform Directive.<br />
46 See Article 9 and 7 of the Race and Gender Reform Directives respectively.<br />
47 Hannett, 23 Oxford Journal of Legal Studies (2003), 65, 77 ff.<br />
48 Ashiagbor, Feminist Perspectives on Employment Law, (Cavendish, 1999) 139 <strong>–</strong> 160, 143<br />
-147; Rommelspacher, Gender, Race, Class: Ausgrenzung and Emanzipation. In Sozial Extra:<br />
Zeitschrift für soziale Arbeit und Sozialpolitik (2005), Bd. 29, 7 <strong>–</strong> 8, 26 <strong>–</strong> 29; Wilpert,<br />
Migrant Women and their Daughters: Two Generations of Turkish Women in the Federal<br />
Republic of Germany. In: International Migration Today (1988) 2, 168 <strong>–</strong> 186.
275<br />
spect to the scope beyond the labour market. Unlike that of gender equality,<br />
the material scope of racial equality extends to education and health care.<br />
Any multidimensional claims will be excluded by this under inclusive<br />
scope. 49<br />
The personal scope of application of both provisions is likewise problematic.<br />
In relation to third country nationals living in the EU, full racial equality<br />
might not the goal of the EU legislator, as Article 3 (2) of the Race Directive<br />
seems to imply. However, it is the goal of the legislator to achieve full gender<br />
equality, as reflected by Article 2 and Article 3 (2) EC. To what extent<br />
will the differences in the personal scope of application affect this latter<br />
goal?<br />
From an EU perspective, third country nationals will be regarded to be persons<br />
who do not have the nationality of any of the EU member states, and<br />
are hence not EU citizens in the meaning of Article 17 (1) EC. 50 The origin<br />
of third country nationals in the EU varies from Member State to Member<br />
State, but most of them appear to have racial or ethnic origins: in the Netherlands,<br />
the majority are said to come from Algeria, Morocco, Turkey and the<br />
former Yugoslavia; in France, these are mostly from Algeria and Morocco.<br />
In Germany, the majority of third country nationals come from Turkey followed<br />
by those from the former Yugoslavia. 51 One particular aspect that will<br />
be mentioned here pertains to rules regulating access to employment. Article<br />
19 of Council Regulation 1612/68 52 endorsed the principle of according EU<br />
nationals priority over third counrty nationals when filling employment<br />
vacancies. Such a rule is also envisaged in the equal treatment provisions of<br />
49 See also Fredman, Double Trouble: multiple Discrimination and EU law, European Anti<br />
Discrimination Law Review, Issue No.2, (October 2005), 13 <strong>–</strong> 18, 17. Chege, Multidimensional<br />
Discrimination: Are the EC Equality Directives Well Adapted for Intersectional<br />
Discrimination? In: Beratung <strong>–</strong> Evaluation <strong>–</strong> Transfer (ed. Klusmeyer/Meyerholt/ Wengelowski)<br />
(Oldenburg 2005), 305 <strong>–</strong> 323, 309 f.<br />
50 Compare with Article 2 Directive Concerning the Status of Third Country Nationals who<br />
are Long Term Residents (Long term Resident Directive) 2003/109/EC [2004] OJ L 16/44.<br />
51 Schneider, Towards a European Migration Policy: from Maastricht to Amsterdam, from<br />
Tampere to The Hague, in Migration, Integration and Citizenship, A Challenge for<br />
Europe’s Future Volume II, 7 <strong>–</strong> 33, 16.<br />
52 [1968] OJ L 257/2, [1968] Spec. Ed, 475.
276<br />
the Long Term Resident Directive that came into effect early this year. 53<br />
Accordingly, taking Germany as an example, Germans, EU citizens and<br />
privileged third country nations 54 are accorded priority in access to the labour<br />
market. 55 Employment of third country nationals will only ensue if<br />
none of the above mentioned nationals can fill up the place. 56 Though such a<br />
rule is directed equally at all foreigners, its effect on racial minority women<br />
ought not to be ignored, especially since their structural background is at the<br />
same time vulnerable to existing gender discrimination the labour market.<br />
This particular rule has been spotted out in intersectional studies on the<br />
German labour market as one of the factors responsible for the disadvantageous<br />
position of racial minority women in the German labour market. 57<br />
It can hence be argued that the exclusionary effects of the provisions of racial<br />
discrimination in relation to third country nationals affect the attainment<br />
of the goal of gender equality due to the inevitable interaction of the two<br />
grounds. In that respect, it is hardly appropriate to talk about EU law acknowledging<br />
or facilitating an integrated approach.<br />
3.2 Exceptions to the Non discrimination principle<br />
3.2.1 Occupational Activities<br />
The logic behind the above identified inconsistencies in the ground related<br />
exceptions from the prohibition to discriminate is hard to reconcile with,<br />
especially when the indivisible nature of human identity is considered. What<br />
the provisions are in effect saying is that whereas less favourable treatment<br />
of women beyond the labour market might in some cases be justified, less<br />
53 Article 11 Long Term Resident Directive 2003/109/EC [2004] OJ L 16/44.<br />
54 I.e. those from the European Economic Area<br />
55 See for example §§ 18 and 39 Aufentaltsgesetzt Vom 14.3.2005, BGBl I 2005 Nr. 16 vom<br />
17.3.2005. Also Bericht der Beauftragte der Bundersregierung für Migration, Flüchtlinge<br />
und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, August<br />
(2005) 73 f (Report of the Federal Ministry for Migration, Refugees and Integration Concerning<br />
the Position of Foreign Women and Men in Germany).<br />
56 Bericht der Beauftragte der Bundersregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration<br />
über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, 73.<br />
57 Rommelspacher, 29 Sozial Extra 2005, 26 <strong>–</strong> 29.
277<br />
favourable treatment on grounds of race beyond the labour market will never<br />
be justified; whereas less favourable treatment of women on grounds of sex<br />
during promotion will always be discriminatory, less favourable treatment on<br />
grounds of race during promotion could in some cases be justified. This<br />
approach does not reflect the social reality of individuals. Intersectional<br />
discrimination is a result of an inseparable interplay of grounds; victims are<br />
never able to tell which part of their identity is being affected, because they<br />
experience discrimination in their capacity as human beings. 58 Here again,<br />
the structure might not facilitate multidimensional claims, since the interplay<br />
of grounds was ignored while determining the scope of exceptions relating to<br />
occupational activities.<br />
One other example where the interplay of grounds could be crucial to multidimensional<br />
claims is probably to be found in the concepts of goods and<br />
services. Under gender equality, the concepts of goods and services have<br />
been linked to similar concepts as envisaged under the EC Treaty. 59 It has<br />
been argued that such an approach might exclude some activities carried out<br />
by public bodies from the scope of the Goods and Services provisions. 60<br />
This being the case, some activities might well be caught by the Race Directive,<br />
but not by the gender provisions, which would lead to unequal protection,<br />
in cases where gender and race interact. This point could be refuted by<br />
the argument that according to the case law of the ECJ, the concepts of fundamental<br />
freedoms will be defined from a Community law perspective; 61<br />
hence the meaning of goods and services under the Race Directive must<br />
comply with the concept of goods and services as applied under the EC<br />
Treaty and case law of the European Court of Justice (ECJ). This argument<br />
would however not suffice to explain why education, which only qualifies as<br />
a service where it is financed by private means and where there is an economic<br />
benefit involved, 62 is included in the Race Directive, but not in the<br />
gender provisions. That a difference in the application of concepts might<br />
lead to less protection on the ground of gender and hence to shortcomings<br />
58 See for example Pothier, 13 Canadian Journal Women and Law (2001), 37 <strong>–</strong> 73, 59.<br />
59 Recital 11 Directive 2004/113/EC O.J. L 373/38.<br />
60 Torella, Feminist Legal Studies (2005), DOI 10.1007/s1069 <strong>–</strong> 005 <strong>–</strong> 9007 <strong>–</strong> 5.<br />
61 ECJ Lawrie Blum Case 66/85 [1986] ECR 2121.<br />
62 ECJ Wirth Case C <strong>–</strong> 109/92 [1993] ECR 1 <strong>–</strong> 6447.
278<br />
when addressing multidimensional discrimination, most especially intersectional<br />
discrimination, cannot be excluded.<br />
3.2.2 Positive Action and Intra Group Differences<br />
One particular aspect to be considered under positive action as a group based<br />
model of equality, 63 is the need to recognise intra group differences.<br />
Crenshaw argues that ignoring intra group differences either leads to a generalization<br />
of the experiences of a particular sub group as pertaining to the<br />
whole group (over inclusion), 64 or on the other hand, to the ignoring of the<br />
experience of some sub groups as being only characteristic for that specific<br />
sub group but irrelevant to the whole group at large. 65 For example, it has<br />
been established that the intersection of race and gender exclude racial minority<br />
women from the public sector and instead confines them to the lowest<br />
employment strata and racially segregated jobs, irrespective of their qualifications.<br />
66 Therefore, positive action aimed at addressing the under representation<br />
of women in the public sector might be beneficial to women in general,<br />
but not to racial minority women who might still remain confined to<br />
low status jobs due to racial discrimination. Likewise, positive action measures<br />
aimed at increasing either the representation of women and or of the<br />
different races in the public sector might still not profit those ethnic minority<br />
women wearing a Hijab unless it recognizes the multidimensional effects of<br />
a Hijab ban. 67<br />
For it to effectively address the multiple identity of individuals, positive<br />
action must be focused on intra group differences as well as on the needs of<br />
the most disadvantaged. 68 Construing positive action to the needs of the<br />
63 McCrudden, Discrimination and Human Rights, the Case for Racism (Oxford University<br />
Press, (2001) 251 <strong>–</strong> 307.<br />
64 Crenshaw, Background Paper for the Expert Meeting (2000) Section II<br />
(http://www.wicej.addr.com/ wcar_docs/crenshaw.html).<br />
65 Ibid.<br />
66 Op. cit. n. 48.<br />
67 For a discussion of the headscarf issue see Schiek, Just a piece of Cloth? German Courts<br />
and Employees with Headscarves, 33 Industrial Law Journals Issue 1, March 2004, 68<strong>–</strong>73;<br />
Chege, Beratung <strong>–</strong> Evaluation <strong>–</strong> Transfer (Oldenburg 2005), 305<strong>–</strong>323.<br />
68 Compare Fredman, Anti Discrimination Law Review No. 2 (2005), 13, 18.
279<br />
most disadvantaged necessitates a substantive approach. This substantive<br />
approach is provided for in the wording of the positive action provisions of<br />
both gender and racial equality, which refer to full equality in practice. 69<br />
However, the case law of the ECJ on positive action bounces between both<br />
the formal and substantive approaches to equality. In Lommers, the ECJ<br />
acknowledged that positive action measures purposed to eliminate and reduce<br />
actual instances of inequality which existed in the reality of social<br />
life. 70 A substantive approach is also evident in Marschall, 71 where the ECJ<br />
upheld the preferential treatment of a woman over a man, in circumstances<br />
where women were under represented. A formal approach is evidenced in<br />
the rebuttal of rules giving automatic preference to the under represented sex<br />
by the ECJ, 72 especially when where no objective assessment of the individual<br />
candidates had been undertaken. 73 As Masselot says in reference to gender<br />
equality, women are not the only beneficiaries of positive action. 74 This<br />
amounts to a formal symmetric approach which does not seek to achieve<br />
equality of results. A substantive reading of positive action measures would<br />
consider social reality as reflected by intra group differences, and in this way<br />
seek to improve the position of the most disadvantaged within the various<br />
groups. Unfortunately, positive action measures are not obligatory upon<br />
Member States. 75<br />
3.2.3 Conceptual Structure<br />
As stated above, the concepts of discrimination in the provisions under study<br />
are similar and this should not be taken for granted: under the case law of the<br />
ECJ on gender equality, statistics were a must for establishing disparate<br />
69 Barnard/Hepple, Cambridge Law Journal 59 (3) (2000), 562 <strong>–</strong> 585, 576 f.<br />
70 ECJ Lommers C <strong>–</strong> 476/99 [2002] ECR I <strong>–</strong> 2891, no 32.<br />
71 ECJ Marschall Case C <strong>–</strong> 409/95 [1997] ECR 1 <strong>–</strong> 6363.<br />
72 ECJ Kalanke C <strong>–</strong> 450/93, [1995] ECR I <strong>–</strong> 3051; ECJ Marschall C <strong>–</strong> 409/95 [1997] ECR I <strong>–</strong><br />
6363; ECJ Badeck C <strong>–</strong> 158/97 [2000] ECR I <strong>–</strong> 1875.<br />
73 ECJ Marschall C <strong>–</strong> 409/95 [1997] ECR I <strong>–</strong> 6363; ECJ Badeck C <strong>–</strong> 158/97 [2000] ECR I <strong>–</strong><br />
1875.<br />
74 Masselot, 12 Feminist Legal Studies (2004), 93 <strong>–</strong> 10, 101 f.<br />
75 Ibid.
280<br />
effect, 76 though they were never relied upon under the case law of nationality<br />
discrimination, where the potential of the measure to disadvantage migrants<br />
mattered. 77 Though a positive development in itself, having consistent<br />
concepts might not be enough for multidimensional claims, especially where<br />
the often criticised comparator concept, 78 as well as the need to establish<br />
disparate effect could be still relevant to the legal mind. Both have proved<br />
problematic in those jurisdictions where law attempted to address multidimensional<br />
claims. 79 In De Graffenreid, 80 one of the most often cited cases of<br />
intersectional discrimination, the employment related claims of discrimination<br />
against black women as a group were discharged by a finding that both<br />
black men and white women had been employed by the respondent, which<br />
excluded a finding of racial or gender discrimination. Establishing indirect<br />
discrimination was also never easy in multidimensional cases, since numbers<br />
affected were at times too few to establish disparate effect. 81 Pontier cites the<br />
case of Emily Carasco whose claims of discriminatory pay could not be<br />
substantiated due to the fact that there were not many women of colour employed<br />
by the university, hence there was no discernible pattern of salary for<br />
women of colour upon which reliance could be placed. 82<br />
In EU law, the fact that reference to hypothetical comparisons seems to be<br />
accepted now, 83 and that there seems to be an apparent departure from reliance<br />
on statistics 84 might help overcome some of the weaknesses related<br />
with the comparator concepts and with establishing disparate effect. In dis-<br />
76 ECJ Kirsammer Hack C <strong>–</strong> 189/91 ECR 1993, 1 <strong>–</strong> 6215. See also Schiek, ELJ Vol. 8,<br />
(2002), 290, 296.<br />
77 ECJ O’ Flynn, C <strong>–</strong> 237/94 [1996] ECR 1 <strong>–</strong> 2417.<br />
78 Also Fredman, Discrimination and Human Rights, the Case for Racism (Oxford University<br />
Press, (2001) 9 <strong>–</strong> 44.<br />
79 See Hannet, 23 Oxford Journal of Legal Studies (2003), 65.<br />
80 De Graffenreid v. General Motors Assembly Div. 413 F. Supp. 142 (US Federal Court of<br />
Appeal).<br />
81 Hannet, 23 Oxford Journal of Legal Studies (2003), 65, 74; Davies, Should Diagonal<br />
Discrimination Claims be Allowed? 25 Legal Studies 2 (2005), 181-200.<br />
82 See Pothier, 13 Canadian Journal Women and Law (2001) 37, endnote 76.<br />
83 See op.cit. n. 41.<br />
84 See op.cit. n. 40.
281<br />
cussing the concept of indirect discrimination in the new directives and the<br />
related issue of statistics, Schiek’s suggests that the new provisions give<br />
courts room to rely on qualitative sociological studies and other sources, by<br />
laying less emphasis on statistics. 85 Adopting such an approach would be<br />
one way to ease multidimensional claims without necessarily relying on<br />
statistics and comparisons<strong>–</strong> though of course its success would depend on the<br />
existence of studies on multidimensionality, which might not be available in<br />
all EU member states.<br />
3.2.4 Enforcement<br />
Case law from the Anglo American jurisdictions reveals that a reliance on a<br />
single issue approach often led to the failure of many cases of multidimensional<br />
discrimination, especially where evidence for each ground was<br />
weighed separately. Hence, in the above mentioned De Graffenreid case86 evidence collected under separate grounds could not substantiate the claims<br />
of the black women.<br />
The creation of equal treatment bodies is a novel provision in EU law. 87 The<br />
directives make no mention of any working relationship between the bodies,<br />
which might imply that the bodies are separate and distinct with powers to<br />
handle only specific ground related cases of discrimination. Separate and<br />
distinct bodies are certainly relevant for single ground discrimination cases,<br />
but might fail to facilitate multiple claims especially if their structure does<br />
not permit cooperation and exchange of ground related information. 88 This<br />
problematic will only be complicated by the fact that the Framework Directive<br />
does not envisage the setting up of such bodies.<br />
The provisions requiring sanctions to be effective, proportionate, and dissuasive<br />
will be turned to here. The question is, should sanctions take into account<br />
the burden of disadvantage suffered? This question has not been well<br />
85 Schiek, ELJ Vol. 8, (2002), 290, 296.<br />
86 De Graffenreid v. General Motors Assembly Div. 413 F. Supp. 142 (US Federal Court of<br />
Appeal).<br />
87 Bell, The EU Racial Equality Directive, 8 European Law Journal (2002), 383 <strong>–</strong> 399, 386.<br />
88 Ashiagbor makes this point in respect to the UK equality bodies. See Ashiagbor, Feminist<br />
Perspectives on Employment Law, (Cavendish, 1999) 139-160, 156.
282<br />
answered elsewhere. The OHRC reports that the question of multidimensionality<br />
of grounds is often not put into consideration when determining<br />
remedies. 89 At the same time, it has been argued that remedies must recognise<br />
the interplay between the various grounds of discrimination. 90 This is<br />
especially so because persons suffering adverse treatment are said to be reluctant<br />
to report discrimination cases, especially when the remedies to be<br />
awarded might not offset the disadvantages involved under such circumstance.<br />
91<br />
Specifically for EU gender equality law, the ECJ has related real equality of<br />
opportunity to an appropriate system of sanctions. 92 It has said compensation<br />
must be adequate in relation to the damage sustained 93 and criticised the<br />
setting of upper limits in advance for compensation, since the damages may<br />
be higher than the upper limit. 94<br />
Can this be construed to apply to multidimensional claims as well? Could<br />
perhaps a woman who has experienced racial and gender discrimination rely<br />
on this case law when claiming damages and remedies? The gender mainstreaming<br />
task of the EC might imply so. But definite answers to such questions<br />
might probably depend on the outcome of cases before the ECJ.<br />
89 Ontario Human Rights Commission (OHRC), An Intersectional Approach to Discrimination:<br />
Addressing Multiple Grounds in Human Rights Claims, Discussion paper, (Queens<br />
Printer for Ontario 2005). Accessed on the 4th of October 2005 (http://www.ohrc-onca/english/consultations/intersectionality-discussions-paper.shtml)<br />
90 See for example Duclos’ assessment of Olarte v. DeFilippis and Commodore Business<br />
Machines Ltd. ((1983), 4 C.H.R.R. D/1705) in Duclos, 6 Canadian Journal Women and<br />
Law (1993), 25, 39 f.<br />
91 See Duclos, 6 Canadian Journal Women and Law (1993), 25 <strong>–</strong> 51, 37 <strong>–</strong> 40.<br />
92 ECJ Von Colson Case 14/83 [1983] ECR 1891 para. 22.<br />
93 Ibid. para. 23.<br />
94 ECJ Draemphael Case C <strong>–</strong> 180/95 [1997] ECR 1 <strong>–</strong> 2195 para 37.
4 Evaluation and Suggestions<br />
283<br />
In answering the question set in the beginning, one can say that in some<br />
instances, the interaction of grounds is not facilitated by the present EU<br />
equality framework. Within the scope of this work, this has been identified<br />
most especially in the inconsistent scope of application envisaged in the<br />
instruments, as well as the inconsistencies as regards the exceptions to the<br />
prohibition to discriminate. In other instances, it is not so much the structure<br />
itself as the approach and policy taken that will be decisive. This especially<br />
relates to areas like the concepts, enforcement mechanisms, or positive action.<br />
Here, the framework might have the potential to address multidimensional<br />
claims, but the legal mind must be willing to attach a substantive reading<br />
to it.<br />
The prevalent inconsistencies make it hard for ground related aspects to be<br />
integrated in a multidimensional approach, though it might be possible for<br />
persons affected to make additive claims. But additive claims cannot substitute<br />
intersectional claims. 95<br />
Some suggestions that have made to make the EU legal framework adapted<br />
for multidimensional claims include the adoption of a consistent material<br />
scope by the national implementing measures, as in fact some national jurisdictions<br />
have been pointed out to have done. 96 Since this does not secure a<br />
uniform application of EU law, action is still required at the EU level. It has<br />
also been suggested that a non exhaustive list of grounds be employed. 97<br />
There could be indications that ECJ the tends towards finding the list of<br />
prohibited grounds as being exhaustive <strong>–</strong> at least in relation to Directive<br />
2000/78/EC which prohibits five grounds of discrimination. In Sonia Chacon<br />
Navas 98 it found sickness could not be a ground in addition to those con-<br />
95 Compare Schiek, 12 Maastricht Journal (2005), 427-466, 459 f; Chege, Beratung <strong>–</strong> Evaluation<br />
<strong>–</strong> Transfer (ed. Klusmeyer/Meyerholt/Wengelowski) (Oldenburg 2005), 305 <strong>–</strong> 323,<br />
319 f.<br />
96 Fredman, Anti Discrimination Law Review, Issue No.2, October 2005, 13 <strong>–</strong> 18.<br />
97 Fredman, Anti Discrimination Law Review, Issue No.2, October 2005, 13 <strong>–</strong> 18.<br />
98 ECJ Chacon Navas Case C 13/05 [2006] Judgement of 11 July 2006 n.y.r.
284<br />
tained in Article 1 of Directive 2000/78/EC, since the list contained therein<br />
was exhaustive, and the Community legislator had no powers to pass legislation<br />
combating discrimination on grounds other than those mentioned in<br />
Article 13 EC. This of course raises such matters of concern like whether the<br />
legislator could be considered to be lacking powers to combat intersectional<br />
discrimination in particular, and whether the list of grounds in Article 13 EC<br />
could be found to be exhaustive in such a manner as to exclude such claims.<br />
As already said, there are indications that the Community acknowledges<br />
multiple claims; intersectional discrimination is not a matter of adding<br />
grounds though, but represents an entirely unique experience of discrimination.<br />
The gender mainstreaming task of the EU, which implies incorporating gender<br />
considerations in all other grounds of discrimination, is also another step<br />
towards incorporating a multidimensional approach, 99 though of course it<br />
might be criticised for maintaining a hierarchy in grounds. 100 Gender mainstreaming<br />
as a means of addressing multidimensional claims is supported by<br />
the fact that women are often victims of multidimensional discrimination, as<br />
recitals 14 and 3 of the Race and Framework directives, as well as several<br />
other studies point out. 101 There are concerns that mainstreaming should be<br />
extended to all other equalities. 102<br />
Should endless permutation be permitted then? Fears of unrestricted combinations<br />
led to a restriction of grounds to sex plus in the USA 103 and some<br />
authors have actually argued for a restriction of the permitted interactions. 104<br />
It is of course hard to provide an answer to this question is here; most probably<br />
it would require one to balance the objectives of full equality in practice<br />
as reflected by the social reality of persons living in the EU, the relevance of<br />
the principle of equal treatment in the EU as a fundamental principle of<br />
99 See Schiek, 12 Maastricht Journal (2005), 427-466, 466; Nielsen, EU Law and Multiple<br />
Discrimination (2006), 3.<br />
100 For a hierachy in grounds see Schiek, ELJ Vol. 8, (2002), 290, 308.<br />
101 See generally Makonnen, Multiple, Compound and Intersectional Discrimination (2002).<br />
102 Schiek, 12 Maastricht Journal (2005), 427-466, 466.<br />
103 Judge v. Marsh 649 F Supp 770 (DDC 1986).<br />
104 Shoben, Compound Discrimination (1980), 820 f.
285<br />
Community law 105 and a fundamental human right 106 against the ability and<br />
concerns of the legal mind to cope with legal issues related to multidimensional<br />
claims.<br />
105 Case C-13/94 P.v. S. and Cornwall County Council 1996 ECR 1 <strong>–</strong> 2143, para 18.<br />
106 Case 149/77 Defrenne v Sabena [1978]ECR 1365, para. 26 and 27; Case C-13/94 P.v. S.<br />
and Cornwall County Council 1996 ECR 1 <strong>–</strong> 2143, para 19. See also Koukoulis-<br />
Spiliotopoulos, The Amended Equal Treatment Directive (2002/73): an Expression of<br />
Constitutional Principles/Fundamental Rights 12 Maastricht Journal of European and<br />
Comparative Law (2005), 327 <strong>–</strong> 368.
286<br />
Literature<br />
Ashiagbor, Feminist Perspectives on Employment Law, (Cavendish, 1999)<br />
139 <strong>–</strong> 160.<br />
Barnard/Hepple, Substantive Equality, Cambridge Law Journal 59 (3) 2000,<br />
562 <strong>–</strong> 585.<br />
Bell, The EU Racial Equality Directive, 8 European Law Journal 2002,<br />
383 <strong>–</strong> 399.<br />
Bericht der Beauftragte der Bundersregierung für Migration, Flüchtlinge und<br />
Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in<br />
Deutschland, August (2005) (Report of the Federal Ministry for Migration,<br />
Refugees and Integration concerning the Position of Foreign<br />
Women and Men in Germany).<br />
Chege, Multidimensional Discrimination: Are the EC Equality Directives<br />
Well Adapted for Intersectional Discrimination? In: Beratung <strong>–</strong><br />
Evaluation <strong>–</strong> Transfer (ed. Klusmeyer/Meyerholt/Wengelowski)<br />
(Oldenburg 2005), 305 <strong>–</strong> 323.<br />
Crenshaw, Background Paper for the Expert Meeting on the Gender-Related<br />
Aspects of Race Discrimination Zagreb, Croatia (2000)<br />
(http://www.wicej.addr.com/ wcar_docs/crenshaw.html)<br />
Crenshaw, Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: a Black Feminist<br />
Critique of Anti-discrimination Law Doctrine, Feminist Theory,<br />
and Anti-racist Politics, University of Chicago Legal Forum 139<br />
(1989) (cited from the reprint in D. Kelly Weisberg (ed.), Feminist Legal<br />
Theory. Foundations (Temple, 1993), 383 <strong>–</strong> 395.<br />
Crenshaw, Mapping the Margins: Intersectionality, Identity Politics, and<br />
Violence Against Women of Color, 43 Stanford Law review, (1991)<br />
1241 <strong>–</strong> 1299.<br />
Davies, Should Diagonal Discrimination Claims be Allowed? 25 Legal Studies<br />
2 (2005) 181-200.<br />
Duclos, Disappearing Women: Racial Minority Women in Human Rights<br />
Cases, 6 Canadian Journal Women and Law (1993), 25-51.<br />
Fredman, Combating Racism with Human Rights in Fredman (ed.), Discrimination<br />
and Human Rights, the Case for Racism (Oxford University<br />
Press, (2001) 9 <strong>–</strong> 44.
287<br />
Fredman, Double Trouble: multiple Discrimination and EU law, European<br />
Anti Discrimination Law Review, Issue No.2, (October 2005), 13 <strong>–</strong> 18.<br />
Hannett, Equality at the Intersections: The Legislative and Judicial failure to<br />
Tackle Multiple Discrimination, 23 Oxford Journal of Legal Studies<br />
(2003), 65 <strong>–</strong> 86.<br />
Koukoulis-Spiliotopoulos, The Amended Equal Treatment Directive<br />
(2002/73): an Expression of Constitutional Principles/Fundamental<br />
Rights 12 Maastricht Journal of European and Comparative Law,<br />
(2005), 327 <strong>–</strong> 368.<br />
Makonnen, Multiple, Compound and Intersectional Discrimination: Bringing<br />
the Experience of the Most Marginalized to the Fore, Institute For Human<br />
Rights Åbo Akademi University (2002).<br />
Masselot, The New Equal Treatment Directive: Plus Ça Change… 12 Feminist<br />
Legal Studies (2004), 93 <strong>–</strong> 104.<br />
McCrudden, International and European Norms Regarding National Legal<br />
Remedies for Racial Inequality, in Fredman (ed.), Discrimination and<br />
Human Rights, the Case for Racism (Oxford University Press, (2001)<br />
251 <strong>–</strong> 307.<br />
McCrudden, the New Concepts of Equality, ERA, 2003, (http://www.era.int/<br />
web/ en/resources/5_1990_344_file.327.pdf)<br />
Miné, Concepts of Direct and Indirect Discrimination (Revised text of a<br />
presentation delivered at the conference on “The Fight Against Discrimination.<br />
New Directives of 2000 Concerning Equality, 31 March to<br />
1 April, Trier) (http://www.era.int/web/en/resources/5_2341_-<br />
603_file_en.576.pdf#search=%22concepts%20of%20direct%20and%2<br />
0indirect%20discrimination%22).<br />
Nielsen, EU Law and Multiple Discrimination, CBS Law Studies WP 2006 <strong>–</strong><br />
01, Copenhagen Business School, Law Department, p. 3<br />
(http://ir.lib.cbs.dk/paper/ISBN/8791759013)<br />
Ontario Human Rights Commission (OHRC), An Intersectional Approach to<br />
Discrimination: Addressing Multiple Grounds in Human Rights<br />
Claims, Discussion paper, (Queens Printer for Ontario 2005). Accessed<br />
on the 4th of October 2005 (http://www.ohrc-on-ca/english/consultations/intersectionality-discussions-paper.shtml)
288<br />
Pothier, Connecting Grounds of Discrimination to Real Peoples Experience,<br />
13 Canadian Journal Women and Law (2001), 37 <strong>–</strong> 73<br />
Prechal, Equality of Treatment, Non-Discrimination and Social Policy:<br />
Achievement in Three Schemes, 41 CML Rev (2004), 533 <strong>–</strong> 551.<br />
Rommelspacher, Gender, Race, Class: Ausgrenzung and Emanzipation. In<br />
Sozial Extra: Zeitschrift für soziale Arbeit und Sozialpolitik (2005),<br />
Bd. 29, 7 <strong>–</strong> 8, 26 <strong>–</strong> 29;<br />
Scarborough, Conceptualizing Black Women’s Employment Experiences, 98<br />
Yale LJ 1457, (1989).<br />
Schiek, A New Framework on Equal Treatment of Persons in EC law? ELJ<br />
Vol. 8 (2002), 295.<br />
Schiek, Broadening the Scope and the Norms of EU Gender Equality Law:<br />
Towards a Multidimensional Conception of Equality Law, 12 Maastricht<br />
Journal of European and Comparative Law (2005), 427 <strong>–</strong> 466.<br />
Schiek, Just a piece of Cloth? German Courts and Employees with Headscarves,<br />
33 Industrial Law Journals Issue 1, March 2004, 68-73.<br />
Schneider, Towards a European Migration Policy: from Maastricht to Amsterdam,<br />
from Tampere to The Hague, in Migration, Integration and<br />
Citizenship, A Challenge for Europe´s Future Volume II, 7 <strong>–</strong> 33, 16.<br />
Shoben, Compound Discrimination: The Interaction of Race and Sex in<br />
Employment Discrimination, 55 New York University Law Review,<br />
(1980) 793 <strong>–</strong> 833.<br />
Torella, The Goods and Services Directive: Limitations and Opportunities,<br />
Feminist Legal Studies (2005), DOI 10.1007/s1069 <strong>–</strong> 005 <strong>–</strong> 9007 <strong>–</strong> 5.<br />
Waddington/Bell, More Equal than Others: Distinguishing European Union<br />
Equality Directives, 38 CML Rev. (2001) 587 <strong>–</strong> 611.<br />
Wilpert, Migrant Women and their Daughters: Two Generations of Turkish<br />
Women in the Federal Republic of Germany. In: International Migration<br />
Today (1988) 2, 168 <strong>–</strong> 186.
Romy Morana, Judy Libra<br />
Internationalisierung regionaler Produktkreisläufe<br />
1 Einleitung<br />
Die globale Textilkette ist mit vielfältigsten sozialen und ökologischen Problemen<br />
verbunden. Eine Möglichkeit die vorhandenen Umweltprobleme zu<br />
verringern, ist die Einführung von Produktkreisläufen. Die bisher entwickelten<br />
und in der Praxis eingeführten Kreisläufe beschränken sich i.d.R.,<br />
historisch bedingt, auf eine Region oder ein Land. Es scheint nun an der Zeit<br />
diese hinsichtlich einer Internationalisierung zu überprüfen.<br />
In diesem Beitrag wird die globale Textilkette mit ihren sozialen und ökologischen<br />
Auswirkungen kurz skizziert, um die Notwendigkeit für die Einführung<br />
von Produktkreisläufen zu begründen. Es folgt deren theoretische Charakterisierung.<br />
Darauf aufbauend werden zwei unterschiedliche Kreisläufe<br />
aus der Praxis hinsichtlich ihrer Funktionsweise und Probleme vorgestellt.<br />
Eine Möglichkeit diese erfolgreicher wirken zu lassen, könnte in der internationalen<br />
Ausweitung ihres bisherigen Aktionsfeldes liegen. Die Chancen<br />
einer solchen Ausweitung werden am Ende dieses Beitrages diskutiert.<br />
2 Ökologische und soziale Auswirkungen der Textilkette<br />
Textilien gehören zu unserem Alltag wie Wasser und Brot. Aber während<br />
diese beiden Lebensmittel i.d.R. regional hergestellte Produkte sind, werden<br />
Textilien weltweit an sehr unterschiedlichen Orten hergestellt. Der Weg den<br />
die Textilproduktion dabei von der Rohstoffentnahme bis zur Entsorgung<br />
beschreitet, wird unter dem Begriff "textile Wertschöpfungskette“ beschrieben.<br />
Unter diesem Sammelbegriff „werden vielfältige Wertschöpfungsketten
290<br />
für Textilien zusammengefasst. Die Vielfalt der Verzweigungen der textilen<br />
Kette veranschaulicht die folgende Abbildung 1..<br />
Rohstoffe<br />
Rohstoffe<br />
Rohstoffe<br />
Basischemie<br />
Basischemie<br />
Rohstoffe<br />
Basischemie<br />
Herstellung v.<br />
Textilchemikalien<br />
Herstellung v.<br />
Reinigungsmitteln<br />
Abb. 1 Die textile Wertschöpfungskette.<br />
Quelle: Vgl. Myers/Stolton 1999.<br />
Mit der internationalen textilen Wertschöpfungskette sind erhebliche ökologische,<br />
1 soziale 2 und ökonomische 3 Probleme verbunden. Die Umweltprobleme<br />
beginnen bei der Gewinnung der Rohstoffe und enden mit der Entsorgung<br />
der Alttextilien. Grundsätzlich lässt sich für die gesamte textile Kette<br />
ein hoher Ressourcenverbrauch, einhergehend mit hohen Stoff- und Energie-<br />
1 Enquete-Kommission.1994.<br />
2 Vgl. Graafland 2002; Preuss 2001 Enquete-Kommission.1994.<br />
3 Vgl. Morana 2006, Back 2003,. Seuring/Goldbach 2005; .<br />
Basischemie<br />
Faserherstellung<br />
Textilherstellung<br />
Textilveredelung<br />
Kleidungsherstellung<br />
Gebrauch<br />
von Kleidung<br />
Sammlung -<br />
Sortierung<br />
Recycling<br />
Abfallbehandlung<br />
Agrarchemikalien<br />
Landwirtschaft
291<br />
umsätzen sowie die Verwendung einer Fülle von problematischen Hilfs-,<br />
Farb- und Ausrüstungsstoffen, feststellen. Darüber hinaus entstehen auf jeder<br />
Wertschöpfungsstufe Produktionsabfälle unterschiedlichster Art, Menge und<br />
Umweltrelevanz. Auch die Textilien selbst stellen am Ende ihrer Nutzungszeit<br />
ein Abfallproblem dar. Da Textilien aus Natur- und/oder Synthesefasern<br />
hergestellt werden, ist bei einer differenzierteren Betrachtung der Umweltbelastungen<br />
zwischen diesen beiden Herstellungspfaden zu unterscheiden. 4<br />
Durch die Globalisierung und die passive Lohnveredelung hat sich die Produktion<br />
in den letzten Jahrzehnten in Billiglohnländern verlagert. Rund 90%<br />
der in Deutschland verkauften Bekleidungsstücke werden in Freihandelszonen<br />
wie China, Südostasien, Mittelamerika oder in Osteuropa unter vergleichbaren<br />
sozialen Bedingungen hergestellt. Diese Länder zeichnen sich<br />
u.a. dadurch aus, dass die Entlohnung für die Textilarbeiter (i.d.R. Frauen)<br />
extrem niedrig ist. Auch existieren vielfach keine sozialen <strong>Recht</strong>e wie Kündigungsschutz,<br />
soziale Absicherung und gewerkschaftliche Selbstorganisation.<br />
Wenn doch soziale <strong>Recht</strong>e vorhanden sind, sind diese vielfach beschnitten<br />
oder werden in ihrer Ausübung massiv behindert. 5<br />
3 Produktkreisläufe<br />
Die Einführung von Produktkreisläufen ist eine Möglichkeit die soeben skizzierten<br />
ökologischen Probleme zu verringern. Unter Produktkreisläufen werden<br />
"anthropogen (künstlich) gestaltete, zielgerichtete Systeme mit mindestens<br />
zwei Akteuren, in denen durch physische Rückkoppelungsprozesse<br />
nicht mehr zweckgerichtet einsetzbare Produkte (produktbezogener Abfall)<br />
wieder als Inputfaktoren (Produkt-, Komponenten-, Stoffebene) dem Produktions-<br />
und Verwendungsprozess zugeführt werden" 6 , verstanden. Hauptanliegen<br />
bei der Einführung von Produktkreisläufen ist es, durch ein Recycling<br />
der Produkte die Ressourcenentnahme zu vermindern und das Abfallaufkommen<br />
quantitativ und qualitativ zu senken. Produkte und Stoffe durchlaufen<br />
in Produktkreisläufe idealtypisch 6 Phasen. Diese Phasen sind die<br />
4 Vgl. Umweltbundesamt 1998, S. 194.<br />
5 Vgl. Ferenschild/Hax-Schoppenhorst 1998, S. 71.<br />
6 Vgl. Kirchgeorg 1999, S. 78, Morana 2006.
292<br />
Produktion, Distribution, Konsumtion, Kollektion, Reduktion und Induktion.<br />
7 In der Reduktionsphase findet ein Recycling der Altprodukte statt.<br />
Unter dem Begriff des Recycling werden die Formen der Wieder- und Weiterverwendung<br />
sowie der Wieder- und Weiterverwertung zusammengefasst. 8<br />
Unter Wiederverwendung wird die erneute Benutzung eines gebrauchten<br />
Produkts für den gleichen Verwendungszweck wie zuvor unter Nutzung<br />
seiner Gestalt ohne beziehungsweise mit beschränkter Veränderung einiger<br />
Teile. (z.B. Second-Hand-Verkauf) verstanden.<br />
Eine Weiterverwendung liegt vor, wenn ein gebrauchtes Produkt für einen<br />
anderen Verwendungszweck benutzt wird. Es kann unverändert oder mit<br />
beschränkten Veränderungen des Produkts genutzt werden. (z.B. Putzlappenherstellung).<br />
Die Wiederverwertung ist der wiederholte Einsatz von Altstoffen und Produktionsabfällen<br />
oder Hilfs- und Betriebsstoffen in einem gleichartigen wie<br />
dem bereits durchlaufenen Produktionsprozess. Durch Wiederverwertung<br />
entstehen aus den Ausgangsstoffen weitgehend gleichwertige Werkstoffe<br />
(z.B. Herstellung von Polyester aus Polyester).<br />
Unter Weiterverwertung wird der Einsatz von Altstoffen und Produktionsabfällen<br />
oder Hilfs- und Betriebsstoffen in einem von ihnen noch nicht<br />
durchlaufenen Produktionsprozess verstanden. Durch Weiterverwertung<br />
entstehen Werkstoffe oder Produkte mit anderen Eigenschaften (Sekundärwerkstoffe)<br />
und/oder anderer Gestalt (z.B. Herstellung von Filz).<br />
4 Textilkreisläufe<br />
Die Idee Produktkreisläufe im Textilbereich einzuführen, ist nicht neu. So<br />
kann die Sammlung von Altkleidern (Lumpen) auf eine jahrhundert lange<br />
Tradition zurückblicken. Hauptzweck war es dabei die gesammelten Lumpen<br />
ein weiteres Mal zu verkaufen und zu nutzen oder aber für andere Zwecke (z.<br />
B. der Putzlappenherstellung) einzusetzen. Diese klassische Alttextilsammlung<br />
weist jedoch einige Probleme auf. Diese begründen sich einmal in der<br />
7 Vgl. Kirchgeorg 1999; Guide, D./Van Wassenhove, L. 2001<br />
8 Vgl. VDI 1993, S. 6.
293<br />
Art und Weise, wie die Alttextilien gesammelt werden. So ist die gesammelte<br />
Ware häufig verunreinigt und nicht mehr tragbar, weil in den Straßenboxen<br />
und Sammelcontainer sich neben den gewünschten Alttextilien oftmals<br />
auch Hausmüll und andere Abfallarten finden. Daneben begründen sich<br />
die Probleme in der Qualität und Nutzung der Neutextilien. Es ist festzustellen,<br />
dass die Qualität der Alttextilien, vor allem von Bekleidung, abnimmt.<br />
Dies hat ebenfalls zwei Ursachen. Zum einem führt die abnehmende Qualität<br />
der Neuware, bedingt durch den harten Preiskampf in der Branche, zu einer<br />
Abnahme der Qualität von Alttextilien. Zum anderen führt eine längere Nutzung<br />
der Textilien (bedingt durch das Stagnieren der Nettoeinkommen privater<br />
Haushalte) ebenfalls zu einer verminderten Qualität der Alttextilien.<br />
Für die Wiederverwertung von Alttextilien kommt als weitere Schwierigkeit<br />
hin zu, dass eine Wiederverwertung nur dann möglich ist, wenn sortenreine<br />
Gewebe und keine Mischgewebe vorliegen. Diese speziellen Textilien müssen<br />
dann bei der Sammlung auch erkannt werden. Ist das nicht der Fall, können<br />
die gesammelten Alttextilen nur noch weiterverwertet werden, wenn<br />
eine Wiederverwendung nicht mehr möglich ist. Für die Wiederverwendung<br />
und die Wiederverwertung der Alttextilien sind die traditionell gesammelten<br />
Alttextilien aus den eben genannten Gründen daher nicht so gut geeignet<br />
oder mit einem hohen Sortieraufwand verbunden.<br />
Vor diesen Hintergrund wurden in Deutschland zwei Produktkreisläufe eingeführt,<br />
deren Ziel es ist, Alttextilien von Endverbrauchern über den Handel<br />
zurückzunehmen und dem Textilkreislauf wieder zuzuführen. Die Sammlung<br />
von Alttextilien durch den Handel hat den Vorteil, eine sortenreine und wenn<br />
gewünscht auch saubere und funktionsfähige Erfassung der Alttextilien zu<br />
gewährleisten. Dies ist möglich, weil der Handel die angebotenen Alttextilien<br />
hinsichtlich der zu Grunde gelegten Annahmekriterien begutachten<br />
kann. Die zurückgenommenen Alttextilien können dann wie bei dem folgenden<br />
Beispiel ECOLOG wieder verwertet oder wie bei dem Beispiel GETEX<br />
wieder verwendet werden.<br />
4.1 ECOLOG<br />
4.1.1 Konzept<br />
ECOLOG ist die Bezeichnung für ein Textilrecycling-Netzwerk, das den<br />
Einsatz sortenreiner Polyestertextilien, die Rücknahme der Alttextilien und<br />
deren Recycling garantiert. Das Netzwerk wurde 1994 von VAUDE, einem
294<br />
international agierenden Anbieter für Outdoor- und Sportbekleidung, initiiert.<br />
Die Koordination und Verwaltung des Netzwerkes führt die ECOLOG<br />
Recycling-Network GmbH durch. In diesem Netzwerk haben sich verschiedene<br />
Akteure der textilen Wertschöpfungskette zusammengeschlossen:<br />
drei Bekleidungshersteller, ein Prüfinstitut, diverse Händler, Konsumenten<br />
und ein Recyclingunternehmen von Polyester-Textilien (siehe Abbildung 2).<br />
In diesem Netzwerk sind sowohl Akteure aus der Outdoor-Branche als auch<br />
aus dem Bereich der Arbeitsschutzbekleidung vertreten. Ziel dieser Kooperation<br />
ist die Durchführung eines sortenreinen Polyesterkreislaufs für Textilien.<br />
Hierzu gehört neben der Produktentwicklung und dem Angebot<br />
100%iger Polyestertextilien auch die unendgeldliche Rücknahme ausgedienter<br />
Produkte durch den Handel und deren Verwertung zu einem Granulat,<br />
welches als Rohstoff für die Polyesterproduktion eingesetzt wird. Polyestertextilien<br />
können ohne Qualitätseinbußen wieder verwertet werden, wenn<br />
sortenreine Produkte vorliegen. Der Kunde erkennt ECOLOG-Textilien<br />
anhand eines Labels. Dieses Label garantiert, das die Textilien gänzlich, d.h.<br />
vom Oberstoff über den Reißverschluss bis hin zur Klimamembrane aus<br />
sortenreinem Polyester bestehen. Darüber hinaus werden die Kunden durch<br />
weiteres schriftliches Informationsmaterial, so genannte Tanks, über die<br />
Produkteigenschaften, also auch über die Recyclingfähigkeit informiert. In<br />
dieser Produktinformation finden sich auch Hinweise zur Rückgabemöglichkeit<br />
der Textilien beim Fachhändler. Die ECOLOG Textilien finden ihren<br />
Weg über den Fach-, den Versandhandel oder durch Direktversand zum<br />
Kunden. Nach der Gebrauchsphase hat der Kunde die Möglichkeit, ausgediente<br />
Bekleidungstextilien auf dem Postweg entweder direkt an die<br />
ECOLOG GmbH zu senden oder unentgeltlich an insgesamt 500 bundesweit<br />
verteilten Annahmestellen im Einzelhandel abzugeben. Die Möglichkeit der<br />
Rückgabe ist zeitlich nicht befristet und die Vorlage eines Kaufbelegs ist<br />
nicht notwendig. Die Annahmestellen sind in der Regel Fachhändler. Diese<br />
Einzelhändler sammeln die Alttextilien und senden sie auf dem Postweg an<br />
die zentrale Koordinations- und Sammelstelle von ECOLOG. Diese dient als<br />
zentrales Zwischenlager und gibt, sofern ausreichende Mengen vorliegen,<br />
die gesammelten Alttextilien an einen Recyclingbetrieb weiter. In den Recyclingbetrieben<br />
werden die alten Polyestertextilien zerrissen, geschreddert,<br />
aufgeschmolzen und zu einem Regranulat verarbeitet. 9<br />
9 Vgl. Morana/Seuring 2003; Morana 2006.
Abb. 2 Stoff-, Informations- und Finanzströme im ECOLOG Netzwerk<br />
Quelle: eigene<br />
Muster-<br />
vorlage r<br />
Zertifikat Zertifikat<br />
Zertifizierer<br />
Zertifikat Zertifikat<br />
Hersteller<br />
Lizenzgebühr<br />
Lizenzgebühr<br />
Label Label<br />
Koordinator<br />
Recycler<br />
Händler Konsumenten<br />
Alttextilien<br />
Finanzflüsse<br />
Warenflüsse<br />
Informationsflüsse<br />
295<br />
Dabei wird die Methode des Schmelzrecyclings angewandt, die im Gegensatz<br />
zum mechanischen Recycling, die Sortenreinheit der Sekundärrohstoffe<br />
voraussetzt. Dieses Verfahren hat den Vorteil, dass sich harte Komponenten<br />
wie Reißverschlüsse ebenso recyceln lassen wie Gewebe. Aus dem so gewonnen<br />
Regranulat lassen sich wieder neue Materialien herstellen, wie beispielsweise<br />
Reißverschlüsse und Druckknöpfe.<br />
Das Recyclingkonzept von ECOLOG sieht in Abhängigkeit von der jährlich<br />
gelieferten Masse an Alttextilien drei Verwertungswege vor. Werden nur geringe<br />
Rücknahmemengen erreicht (bis 10 t/Jahr), so wird das Regranulat aus<br />
Alttextilien von Netzwerkpartnern aus der Kurzwarenindustrie für feste<br />
Komponenten wie Knöpfe, Perlen oder Kordelstopper eingesetzt. Die Alttextilien<br />
werden also weiterverwertet. Liegen größere Mengen an gesammelten
296<br />
Alttextilien (mind. 10 t/Jahr) vor, werden daraus Isolationswatte und Vliese<br />
hergestellt, die beispielsweise als Trägermaterial für die Wetterschutzmembrane<br />
Sympatex dienen. Wenn mehr als 500 t/Jahr an Polyestertextilien zurückgenommen<br />
werden, kann das Regranulat für die Herstellung von Polyestergewebe<br />
eingesetzt werden. Die Alttextilien werden also wiederverwertet.<br />
Ausgaben für Forschung und Entwicklung werden von den beteiligten Herstellern<br />
selbst getragen. So müssen z. B. Reißverschlüsse und Druckköpfe<br />
aus 100% Polyester entwickelt werden, welche die gleichen Eigenschaften<br />
aufweisen, wie Kurzwaren aus Metall oder aus Polyestergemischen. Die<br />
Kosten für den Alttextilversand zu ECOLOG GmbH sowie die Bereitstellungskosten<br />
(Lagerkosten) tragen i.d.R. die Annahmestellen. Zusätzlicher<br />
Lagerraum ist zur Zeit, wegen der geringen Rücknahmemengen, nicht nötig.<br />
Finanziert wird das ECOLOG-Netzwerk durch Lizenzeinnahmen. 10<br />
4.1.2 Chancen und Probleme<br />
Der ECOLOG-Produktkreislauf ist konzeptionell betrachtet, stimmig und<br />
sehr gut geeignet, Alttextilien in den Kreislauf zurückzuführen. Die notwendigen<br />
organisatorischen und logistischen Voraussetzungen für die Rückführung<br />
und das Recycling der Alttextilien sind vorhanden. Der ECOLOG-<br />
Kreislauf ermöglicht eine saubere und sortenreine Erfassung. Weiter ist<br />
festzuhalten, dass er einen geschlossenen Produktkreislauf darstellt, der die<br />
Rohstoffentnahme vermindern könnte, mit wenig Transportaufkommen<br />
verbunden ist und das Abfallaufkommen qualitativ und quantitativ entlastet<br />
könnte.<br />
Leider ist der ECOLOG-Kreislauf in der Praxis nicht erfolgreich. Im Jahr<br />
2002 <strong>–</strong> 10 Jahre nach der Einführung des ECOLOG Kreislaufs <strong>–</strong> belief sich<br />
die zurückgenommene Menge an Alttextilien auf ca. 40 kg/Jahr. Aufgrund<br />
der geringen Rücknahmemengen wurde das vorhandene Material nicht recycelt.<br />
Die zurückgenommenen Alttextilmengen wurden daher allein für Versuchszwecke<br />
eingesetzt.<br />
Die Gründe hierfür sind vielfältig. So führten Qualitätsprobleme und eine<br />
stagnierende Nachfrage nach ökologischer Arbeitsschutz- und Wetterschutzbekleidung<br />
dazu, dass sich Hersteller aus der aktiven Unterstützung des<br />
ECOLOG-Systems zurückzogen. Die Gewinnung weiterer Hersteller erwies<br />
10 Vgl. Morana/Seuring 2003; Morana 2006.
297<br />
sich als problematisch, da viele nicht geneigt waren, den zusätzlichen finanziellen<br />
Aufwand zu übernehmen. Des Weiteren befürchten viele Hersteller,<br />
bei einer Teilnahme Betriebsgeheimnisse zu offenbaren. Der Vorteil einer<br />
ökologischen Imageverbesserung erscheint aufgrund der Unbekanntheit des<br />
ECOLOG-Labels und des Nachfragerückgangs schwer vermittelbar. 11<br />
Ein weiteres Problem ist, dass das ECOLOG-Label vielen Fachverkäufern<br />
unbekannt ist. Sie können daher auch nicht potentielle Käufer über die Recyclingfähigkeit<br />
und Rückgabemöglichkeit informieren. Erschwerend<br />
kommt hinzu, dass diejenigen Fachverkäufer, denen das Label zwar bekannt<br />
ist, es häufig unterlassen, ihre Kunden auf die Recyclingfähigkeit und Rückgabefähigkeit<br />
der Produkte hinzuweisen. Diese Tatsache wird dadurch unterstrichen,<br />
dass das von der ECOLOG Recycling GmbH zur Verfügung gestellte<br />
Werbematerial nicht oder nur spärlich verwendet wird. Es scheint,<br />
dass die Vorteile (Kundenservice, Kundenbindung und Neukundengewinnung)<br />
die eine Produktrücknahme für die Händler bringt, nicht stark genug<br />
sind, um sie zu motivieren, ihre Kunden entsprechend zu informieren.<br />
Ein weiteres Dilemma ist, dass einige Händler, die von den Kunden zurückgebrachten<br />
Alttextilien an soziale Einrichtungen weitergegeben, anstatt sie<br />
an die ECOLG GmbH zurückzusenden.<br />
Obwohl für die Mehrheit der Kunden die Recyclingfähigkeit einen Zusatznutzen<br />
darstellt, haben viele nicht die Absicht, ihre ECOLOG-Alttextilien zu<br />
den Annahmestellen zurückzubringen. Ein großer Anteil der Privatkunden<br />
gibt die entgegengenommenen Bekleidungsstücke an karitative Einrichtungen<br />
weiter oder bei mangelnder Qualität in den Hausmüll. Eine Begründung<br />
hierfür könnte die Tatsache sein, dass die Rückgabe erhebliche Transaktionskosten<br />
(z.B. Informations-, Planungs- und Zeitkosten) für die Endbesitzer<br />
verursachen. Monetäre Anreize, die diese Kosten ausgleichen, gibt es nicht<br />
und nicht-monetäre Anreize, wie soziale Anerkennung oder ein gutes ökologisch<br />
Gewissen, wiegen diese Kosten nicht immer auf. 12<br />
Ein weiteres Problem trat bei der Analyse der Kunden von Arbeitsschutzkleidung<br />
zu Tage: Kein Akteur fühlte sich für die Rückgabe der ausgedienten<br />
Arbeitsschutzbekleidung verantwortlich. Die Informationen über die<br />
Rückgabemöglichkeit und Recyclingfähigkeit gingen innerhalb der Wirt-<br />
11 Vgl. Niehues 2000, S. 30-34.<br />
12 Vgl. Morana 2006.
298<br />
schaftsunternehmen verloren. Auch diese Kunden gaben ihre Alttextilien<br />
lieber an karitative Einrichtungen weiter. Die Weitergabe der Bekleidung<br />
geht in der Regel nicht mit einem Weitergeben der Informationen über die<br />
Rückgabemöglichkeit einher.<br />
Als letzte Schwierigkeit sei noch auf die Lebensdauer der ECOLOG Produkte<br />
eingegangen. ECOLOG-Produkte haben eine lange Lebensdauer, bei Outdoor-Jacken<br />
im Durchschnitt 10 Jahre, bei Arbeits- und Wetterschutzbekleidung<br />
5 Jahre. Das birgt einerseits die Gefahr, dass die Kunden die Rückgabefähigkeit<br />
vergessen, anderseits bedeutet diese Tatsache, dass die eine Planung<br />
bezüglich des Zeitpunktes, des Anfallortes und Alttextilmenge für die<br />
ECOLOG Recycling GmbH erschwert wird.<br />
4.2 GETEX<br />
4.2.1 Konzept<br />
GETEX ist ein regionales System zur Sammlung von Alttextilien, dessen<br />
Ziel der kostengünstige Bezug von sauberen und vorsortierten Alttextilien<br />
für den Wiederverkauf ist. Die Alttextilien werden in sogenannten Ankaufstellen<br />
von Alttextilverkäufern aufgekauft. Im Jahre 2002 gab es im Bundesgebiet<br />
800 Ankaufstellen. Die Endverbraucher (First-Hand Konsumenten)<br />
erhalten als Gegenleistung Wertgutscheine, deren Höhe sich nach der Art der<br />
gekauften Kleidung und ihrem Zustand bemisst. Der Wert dieser Wertgutscheine<br />
liegt bundeseinheitlich zwischen 3 € und 60 € pro Kleidungsstück.<br />
Voraussetzung für die Annahme der Alttextilien ist, das sich diese in einem<br />
einwandfreien Zustand befinden, dass heißt, dass sie unversehrt und sauber<br />
sind. Die Wertgutscheine können bei bestimmten Einzelhändlern, sogenannten<br />
Akzeptanzstellen eingelöst werden. Sie berechtigen zu einem 10%igen<br />
Discount. Vorraussetzung ist, dass eine Leistung bezogen wird, deren Wert<br />
mindestens das 10-fache des Wertgutscheins beträgt. 13<br />
13 Vgl. o.V. 1999; Morana 2006.
Akzeptanzstellen<br />
Neuware<br />
Gutscheine Gutscheine<br />
First-Hand<br />
Konsument<br />
Gutscheine<br />
Altkleider Altkleider Altkleider<br />
Finanzströme<br />
Warenströme<br />
Informationsströme<br />
Ankaufstelle<br />
Franchisenehmer<br />
Second-Hand<br />
Konsument<br />
Abb. 3 Stoff-, Waren- und Informationsflüsse im System GETEX<br />
Quelle: eigene<br />
299<br />
Im Jahr 2002 gab es bundesweit 2000 Akzeptanzstellen, in Form von Einzelhandels-<br />
und Dienstleistungsgeschäften unterschiedlichster Art und Branchen.<br />
Das GETEX-System basiert auf einem Franchise-System. Die in den Ankaufstellen<br />
gesammelten Alttextilien werden an Franchise-Unternehmen<br />
weitergegeben, welche ihrerseits die erhaltenen Alttextilien an die GETEX-<br />
System GmbH zu fest fixierten Preisen weiterverkaufen. Im Jahr 2002 hat<br />
die GETEX-System GmbH ca. 24 000 t Altkleider aufgekauft.<br />
Das Bundesgebiet umfasst 17 verschiedene Sammelgebiete, welche durch<br />
jeweils einen Franchisenehmer betreut werden. Franchisenehmer sind in der<br />
Regel Transportunternehmen, da diese über einen eigenen Fuhrpark, die<br />
Lagerkapazitäten und das logistische Know-how für das Abholen und den<br />
Transport der Altkleider an die GETEX-System GmbH verfügen. Diese<br />
Altkleider<br />
Entsorgung<br />
Franchisegebühr<br />
Altkleider<br />
GETEX<br />
GmbH<br />
Altkleiderhändler
300<br />
Franchisenehmer sammeln die in ihrem Gebiet aufgekaufte Ware, lagern<br />
diese und transportieren sie anschließend an die Zentrale in Norddeutschland.<br />
Dort werden die Alttextilien weiter sortiert und an ausländische Altkleiderhändler<br />
verkauft.<br />
4.2.2 Chancen und Probleme<br />
Das Gesamtergebnis für den Franchisenehmer ist trotz vieler kleiner Mängel<br />
insgesamt zufriedenstellend. Die organisatorische Umsetzung der handelsbasierten<br />
Alttextilsammlung ist gut. Auch die GETEX-System GmbH ringt mit<br />
der Tendenz der abnehmenden Bekleidungsqualität, welche zu einer verringerten<br />
Lebensdauer der Bekleidungstextilien und damit zu einer Abnahme<br />
der wieder verwendbaren Alttextilmenge führt. Auch hat die öffentliche<br />
Diskussion über den Sinn des Altkleiderexportes eher negative Auswirkungen<br />
auf die Motivation der Konsumenten ihre Alttextilien in die Altkleidersammlung<br />
zugeben. Darüber hinaus hat diese Diskussion in einigen Ländern<br />
zum Verbot des Altkleiderimportes geführt. Diese Tatsache beschränkt die<br />
Absatzmöglichkeiten.<br />
Das GETEX Beispiel zeigt, dass es in der Praxis Anreize gibt, die den Einzelhandel<br />
motivieren, 1. Alttextilien zurückzunehmen und 2. ihre Kunden<br />
über diese Rückgabemöglichkeit zu informieren und 3. das bereitgestellte<br />
Werbematerial zu verwenden. Allerdings, das zeigt das Beispiel auch, fallen<br />
eine Reihe von z. T. zu niedrig kalkulierten und unvorhersehbaren Transaktionskosten<br />
bei der Alttextilsammlung an. So müssen die Ankauf- und Akzeptanzstellen<br />
erheblich mehr Beratungstätigkeit leisten, als ursprünglich<br />
von ihnen angenommen. Dieser Umstand führte zu einigem Unbehagen auf<br />
Seiten der Ankauf und Akzeptanzstellen.<br />
Der Nutzen wurde von den befragten Einzelhändlern (Werbung, Neukundenakquisition,<br />
Kundenbindung) sehr unterschiedlich wahrgenommen. Das<br />
Nutzen-/Kosten-Verhältnis für die Ankaufstellen ist von vielen Faktoren<br />
abhängig, z.B. von der Betreuung durch den Franchisenehmer (z.B. seine<br />
Werbeintensität), vom Kundenverhalten, von der Dichte des GETEX-Netzes<br />
(insbesondere der des Akzeptanznetzes) und von der Höhe der Kostenerstattung.<br />
Das Gutscheinsystem weist ebenso noch einige Probleme auf, z.B. sind die<br />
Einlösemodalitäten den Kunden häufig unbekannt, obwohl die Einlösemodalitäten<br />
auf der Rückseite der Gutscheine aufgeführt werden. Das Sammelergebnis<br />
fällt regional sehr unterschiedlich aus. Ob diese an einem regional
301<br />
unterschiedlichen Endverbraucherverhalten oder an der Netzwerkorganisation<br />
liegt, ist unbekannt.<br />
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Funktionieren dieses Rücknahmesystems<br />
ist dessen Bekanntheitsgrad. Dieser hängt auch von der Intensität<br />
der durchgeführten Werbung ab. Die Verantwortung für die Werbung<br />
wird geteilt und liegt bei verschiedenen Netzwerkpartnern auf überregionaler,<br />
regionaler und lokaler Ebene. Die Verantwortung für die Durchführung<br />
der Werbung wird sehr unterschiedlich wahrgenommen. Dies wird dadurch<br />
begünstigt, dass die Möglichkeiten einer gegenseitigen Verhaltenskontrolle<br />
eingeschränkt sind.<br />
Durch die Einlösung der Wertgutscheine profitieren vor allem diejenigen<br />
Akzeptanzstellen, die ein großes Warenangebot aufweisen und somit den<br />
Kunden viele Möglichkeiten bieten ihre GETEX-Gutscheine einzulösen. Das<br />
sind in der Regel Warenhäuser. Die Möglichkeit Wertgutscheine in Warenhäusern<br />
einzulösen, senkt die Transaktionskosten (z.B. die Planungskosten)<br />
der Konsumenten.<br />
Das GETEX-System weist eine hohe Transparenz bezüglich der weiteren<br />
Verwendung der gesammelten Alttextilien auf. Dem Alttextilbesitzer ist<br />
bekannt, dass die Alttextilien mit dem Ziel des Wiederverkaufs aufgekauft<br />
werden.<br />
Ein weiterer Vorteil des untersuchten Beispiels ist die Möglichkeit, dass Alttextilien<br />
unabhängig vom Label oder dem Händler (bei dem sie erworben<br />
wurden), vom Endverbraucher verkauft werden können. Dies senkt die Informations-<br />
und Planungskosten für den Endverbraucher. In der Textilbranche<br />
ist die Fluktuation von kleinen Textilherstellern und Händlern hoch, so<br />
dass die Gefahr besteht, dass das Geschäft, in dem ein Produkt erworben<br />
wurde, nach Ablauf der Nutzungsdauer nicht mehr existiert. 14<br />
14 Vgl. Morana 2006.
302<br />
5 Möglichkeit der Internationalisierung der<br />
Produktkreisläufe<br />
Es liegt zunächst auf der Hand, das beide Produktkreisläufe sich auf den<br />
deutschsprachigen Raum beschränken. Beide Produktkreisläufe wurden von<br />
deutschen Unternehmen gegründet und konnten auf einen reichen Erfahrungsschatz<br />
der vorhandenen Absatzgebiete zurückblicken. Es stellt sich nun<br />
die Frage, ob nicht nach mehr als 10 jährigen Bestehen diese regional begrenzten<br />
Produktkreisläufe auf andere Länder ausgeweitet werden sollten. In<br />
beiden vorgestellten Produktkreisläufen ist eine Ausweitung des Sammelgebietes<br />
auf den Europäischen Raum denkbar. Während die GETEX-System<br />
GmbH die Ausdehnung ihres Sammelgebietes von Grund auf neu aufbauen<br />
müsste, könnte VAUDE auf Kontakte und Erfahrungen in seinem bestehenden<br />
internationalen Vertriebsgebiet (dazu gehören z.B. Italien, Niederlande,<br />
Russland und China) aufbauen.<br />
Die Ausweitung des Sammelgebietes hätte den Vorteil, dass sich die Sammelmengen<br />
erhöhen würden. Dies wäre vor allem für den ECOLOG-Produktkreislauf<br />
wünschenswert, da dieser dann aus der Versuchsphase in die<br />
Weiterverwertungsphase aufsteigen könnte. Begleitet werden sollte eine<br />
Ausweitung von einer geeigneten Kommunikationskampagne. Dennoch ist<br />
zu bedenken, das mit dieser Ausweitung möglicherweise auch einige Nachteile<br />
verbunden sind. An dieser Stelle können nur kurz einige Gedanken vorgetragen<br />
werden. Bei einer Ausweitung wäre es notwendig, in jedem Land<br />
ein zentrales Sammellager einzurichten, das seinerseits die gesammelten Alttextilien<br />
nach Deutschland versenden müsste. Damit würden aber auch die<br />
Transportkosten und die mit dem Transport verbundenen Umweltbelastungen<br />
steigen. In jedem Land müsste für beide Produktkreisläufe nicht nur eine<br />
zentrale Ansprechperson eingesetzt werden, sondern auch das bisher vorhandene<br />
Werbematerial den jeweiligen landestypischen Gewohnheiten angepasst<br />
werden. Zu überprüfen wäre auch, ob das (eher negative) Informationsund<br />
Rückgabeverhalten von Händlern und Kunden im deutschsprachigen<br />
Raum auf andere Länder zu übertragen ist. Zu diesen generellen Bedenken<br />
gesellen sich die im vorangegangen Kapitel aufgeführten Schwierigkeiten.<br />
Für ECOLOG scheint es daher ratsam mit einer Ausweitung seines Produktkreislaufes<br />
noch zu warten, bis ein Großteil der vorhandenen nationalen<br />
Probleme gelöst worden ist.
303<br />
Hingegen sprechen keine weiteren Argumente, als die in diesem Abschnitt<br />
oben aufgeführten allgemeinen Schwierigkeiten, gegen eine Ausweitung des<br />
GETEX-Systems auf andere Länder. Nach dem das System in Deutschland<br />
aufgebaut ist, stabil funktioniert und genügend Erfahrungen im deutschsprachigen<br />
Raum gesammelt werden konnten, steht einer Ausweitung nichts<br />
mehr im Wege.<br />
Literatur<br />
Back, S. (2003): Was Unternehmer von Fußballspielern lernen können -<br />
oder: Stoffstrommanagement in der Praxis, in: Symbole und Substanzen,<br />
S. 37-68, Marburg, 2003.<br />
Enquete-Kommission: „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des Deutschen<br />
Bundestages (Hrsg., 1994): Die Industriegesellschaft gestalten <strong>–</strong><br />
Perspektiven für einen nachhaltigen Umgang mit Stoff<strong>–</strong> und Materialströmen,<br />
Bonn.<br />
Ferenschild, S./Hax-Schoppenhorst, T. (1998): Misereor e.V. Weltkursbuch<br />
<strong>–</strong> Globale Auswirkungen eines "Zukunftsfähigen Deutschlands", Basel,<br />
Boston, Berlin.<br />
Graafland, J. (2002): Sourcing ethics in the textil sector: the case of C&A,<br />
in: Business Ethics: A European Review, Vol 11, No. 2, S. 282-294.<br />
Guide, D./Van Wassenhove, L. (2001): Business Aspects of Closed-Loop<br />
Supply Chains, in: Business Aspects of Closed-Loop Supply Chains,<br />
Pittsburgh, S. 17-42.<br />
Kirchgeorg, M. (1999): Marktstrategisches Kreislaufmanagement, Wiesbaden.<br />
Myers, D./Stolton, S. (Hrsg., 1999): Organic Cotton <strong>–</strong> From Field to Final<br />
Product, London: Intermediate Technology Publications.<br />
Morana, R./Seuring, S. (2003): Organizing a Closed-Loop Supply Chain -<br />
The ECOLOG Case Study, in: Seuring, S./Müller, M./Goldbach,<br />
M./Schneidewind, U. (Hrsg.): Strategy and Organization in Supply<br />
Chains, Heidelberg, S. 369-384.<br />
Morana, R. (2006): Management von Closed-loop Supply Chains, Analyserahmen<br />
und Fallstudien aus dem Textilbereich, Wiesbaden 2006.
304<br />
Niehues, H. (2000): Kontinuierliche Verbesserung, in: Entsorga Magazin,<br />
Nr. 9 (2000), S. 30-34.<br />
o.V. (1999): GETEX- Zahlungsmittel ?, in: Sekundär-Rohstoffe, Nr. 1999,<br />
S. 103 ff.<br />
Preuss, L. (2001): In Dirty Chains? Purchasing and Greener Manufacturing,<br />
in: Journal of Business Ethics, Vol. 34, Nr. 3-4, S. 345-359.<br />
Seuring, S. Goldbach M. (2006) Managing Sustainability Perfomance in the<br />
textil Chain in: Schaltegger Wagner. Managing the Business Case for<br />
Sustainability The Integration of Social, Environmental and Economic<br />
2006 Sheffield.<br />
Umweltbundesamt (1997): Technischer Fortschritt und Bewusstseinswandel<br />
sind die Schlüssel für eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung, Zukunftsstudie<br />
des Umweltbundesamtes „Nachhaltiges Deutschland“<br />
zeigt Wege zu einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung, Pressemitteilung<br />
Nr. 18/97, unter: url:http//www.umweltbundesamt.de/ubainfo-daten/p-1897-d.htm,.<br />
VDI (1993): Richtlinie 2243: Konstruieren recyclinggerechter technischer<br />
Produkte <strong>–</strong> Grundlagen und Gestaltungsregeln, Düsseldorf.
Anne Rubens-Laarmann<br />
Tageszeitungen im Umbruch <strong>–</strong> Implikationen für das<br />
regionale Anzeigenmarketing<br />
1 Einführung<br />
Die Tageszeitung ist traditionell ein Medium mit hoher Bedeutung sowohl<br />
auf dem Rezipienten- als auch auf dem Werbemarkt. Dabei ist insbesondere<br />
für Deutschland eine Dominanz der lokalen und regionalen Zeitungen zu<br />
konstatieren: Hier haben ca. 90% aller Zeitungen einen regionalen Bezug <strong>–</strong><br />
weltweit liegt die Quote hingegen nur bei 75%. 1 Aktuell existieren in<br />
Deutschland 341 regionale Tageszeitungsausgaben mit einer Gesamtauflage<br />
von über 15 Millionen Exemplaren. Die durchschnittliche Auflagengröße<br />
beträgt dabei zwischen 5.000 und 20.000 Exemplaren. 2 Dementsprechend<br />
liegt die Reichweite der regionalen Tageszeitungen mit 63,6% weit über der<br />
der überregionalen Abozeitungen (5,7%) und Kaufzeitungen (22,4%). 3<br />
Vor allem für Werbetreibende mit einem lokalen und regionalen Einzugsgebiet<br />
ist die Zeitung ein Basismedium. Überregionale Anbieter, insbesondere<br />
aus dem Bereich der Markenartikel, nutzen die Zeitung hingegen zumeist nur<br />
als Ergänzungsmedium. Der Großteil der Budgets wird hier für Werbung in<br />
den elektronischen Medien sowie in Zeitschriften aufgewendet. 4 Die Zeitung<br />
1 Vgl. Heinrich 2001, S. 271.<br />
2 Vgl. BDZV 2005, S. 388 ff. Als “Ausgabe” sind die Angebote zu verstehen, die auf ein<br />
bestimmtes Verbreitungsgebiet abgestimmt sind. Häufig bringt ein Verlag mehrere Ausgaben<br />
heraus, die über den gleichen überregionalen Teil verfügen. So sind die aktuell 341<br />
Ausgaben in gut 130 „publizistische Einheiten“ zusammenzufassen.<br />
3 Vgl. Goldbeck 2005, S. 157 ff.<br />
4 Vgl. Heinrich 2001, S. 270.
306<br />
ist ist in diesem Bereich kaum wettbewerbsfähig, da eine landesweite Schaltung<br />
von Anzeigen trotz einer Vielzahl von Anzeigenkooperationen noch<br />
immer kompliziert und vergleichsweise teuer ist. 5 Lediglich überregionale<br />
Handelsketten setzen verstärkt auf die Zeitung, um aktuelle Abverkaufswerbung<br />
möglichst zeitnah zum täglichen Einkauf an die Leserinnen und Leser<br />
zu bringen.<br />
Im regionalen Anzeigenmarkt ist vor allem zu unterscheiden zwischen den<br />
Geschäftsanzeigen und dem Rubrikenmarkt. Hier ist aus Sicht der Verlage<br />
seit mehreren Jahren eine Negativentwicklung zu beobachten: Während die<br />
Geschäftsanzeigen zunehmend in Anzeigenblätter oder die Direktwerbung<br />
abwandern, finden sich Rubrikenanzeigen (Stellen, Immobilien, Auto, Partnerschaft)<br />
häufig im Internet, das die Funktion des Zusammenbringens von<br />
Angebot und Nachfrage offenbar besser erfüllt als die Zeitung. 6<br />
Während die Reichweiten auf dem Rezipientenmarkt seit Jahren kontinuierlich,<br />
aber nur langsam sinken, sind die Verluste im Anzeigengeschäft<br />
schwerwiegend: Die traditionelle Regel, wonach zwei Drittel der Einnahmen<br />
der Verlage aus der Werbung und nur ein Drittel aus Vertriebserlösen generiert<br />
werden, trifft heute nicht mehr zu. Im Durchschnitt stammen heute<br />
bereits 47% der Erlöse aus dem Vertrieb, in Ostdeutschland ist es sogar mehr<br />
als die Hälfte der Einnahmen. 7<br />
5 Vgl. Spitzer-Ewersmann 2005, S. 84; Lamberty 2005, S. 130; Rosendahl 2005, S. 134 f.<br />
6 Neben den geringeren Kosten der Informationsbeschaffung für die Rezipienten bestehen<br />
auch für die Inserenten Rationalisierungspotenziale. Deutlich wird dies z.B. anhand des<br />
Online-Stellenmarktes, vgl. Breyer-Mayländer 2004, S. 38 ff.<br />
7 Vgl. Spitzer-Ewersmann 2005, S. 82.
Abb. 1 „Krisenmanagement im Zeitungsverlag“<br />
Quelle: Breyer-Mayländer 2003, S. 117.<br />
307<br />
Die Zeitungsverlage haben inzwischen reagiert und sich im Laufe der letzten<br />
Jahre von reinen Verlagsunternehmen zu Medienunternehmen gewandelt. 8<br />
Eine Vielzahl von Veränderungen an der Leistung Zeitung sowie neuen<br />
Angeboten und Geschäftsfeldern wurde ins Leben gerufen, um die beschriebenen<br />
Verluste zu kompensieren. Auf diese Weise ergeben sich für die Werbekunden<br />
neue Möglichkeiten, ihre Kunden zielgruppen- und situationsgerecht<br />
zu erreichen. Die Dienstleistung „Werbung“ ist dadurch aber auch um<br />
ein Vielfaches komplexer geworden.<br />
8 Vgl. Schulz 2005, S. 117.
308<br />
Dieser Beitrag hat sich zum Ziel gesetzt, aktuelle Entwicklungslinien im<br />
Anzeigengeschäft regionaler Tageszeitungen nachzuzeichnen und im Hinblick<br />
auf die Konsequenzen für das Marketing im regionalen und lokalen<br />
Raum zu untersuchen. Die betroffenen Anzeigenkunden sind darauf angewiesen,<br />
innerhalb ihres Einzugsgebietes mit ihrer Kommunikation eine möglichst<br />
hohe Haushaltsabdeckung zu erzielen. Es ist davon auszugehen, dass<br />
diese Marktpartner der Zeitung neuen Angeboten zunächst kritisch gegenüberstehen.<br />
Ohne diese Angebote kann die Zeitung jedoch im intermedialen<br />
Wettbewerb langfristig nicht bestehen.<br />
Ziel des Beitrags soll es sein, ein auf die Bedürfnisse regionaler Kunden<br />
abgestimmtes Anzeigenmarketing zu entwerfen. Speziell bei kleineren regionalen<br />
Inserenten ist neben dem Ergebnis (Anzeige in der Zeitung) der Prozess<br />
der Betreuung durch die Anzeigenberater ein kritischer Erfolgsfaktor.<br />
Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der oben geschilderten Angebotserweiterungen.<br />
Der Verkauf von Anzeigenraum ist daher als Dienstleistung<br />
zu verstehen. Dementsprechend wird das Dienstleistungsmarketing als<br />
Rahmenkonzept genutzt, um ein kundenorientiertes Anzeigenmarketing für<br />
die Region zu skizzieren.<br />
2 Zur Situation der Tageszeitung<br />
Der Tageszeitungsmarkt unterliegt spätestens seit dem „Ausgangsjahr der<br />
Werbekrise” 9 2001 einer Vielzahl von Veränderungen. Diese sind zum einen<br />
am Produkt selbst zu beobachten:<br />
• Um der wachsenden Mobilität der Leser gerecht zu werden, stellen<br />
viele Verlage auf die sogenannten „Tabloid“-Formate um. 10 Die<br />
Zeitungen werden hierdurch handlicher und sind unterwegs besser<br />
zu lesen. Vorbehalte, wonach ein kleineres Format mit einer geringeren<br />
Qualitätswahrnehmung durch die Rezipienten einher geht,<br />
haben sich bisher nicht bestätigt. Dies zeigt besonders die Ent-<br />
9 Vgl. ZAW 2005, S. 13. Seit 2004 steigen die Netto-Werbeeinnahmen wieder leicht, vgl. S.<br />
199.<br />
10 In Deutschland ist das wohl bekannteste Beispiel hierfür die WELT Kompakt, die in<br />
Ballungsräumen zusätzlich zur etablierten großformatigen Ausgabe zu einem niedrigeren<br />
Preis herausgegeben wird.
309<br />
wicklung in Großbritannien, wo die Times seit 2004 im kleineren<br />
Format erscheint und hierdurch Leser hinzugewonnen hat. 11 Eine<br />
Aufnahme in die Mediapläne der Werbetreibenden gestaltet sich<br />
hingegen noch schwierig. 12<br />
• Entwicklungen sind auch im Bereich der Inhalte und der formalen<br />
Präsentationsform zu beobachten. So werden besonders die „Problemzielgruppen“<br />
Jugendliche und Frauen heute verstärkt angesprochen,<br />
außerdem ist der Anteil an Serviceinhalten („news to use“)<br />
und Unterhaltung („news to amuse“) gestiegen. Das Layout ist heute<br />
stärker durch farbige Infografiken und Bilder geprägt. 13<br />
• Das Trägermedium Papier wird durch neue Distributionsformen ergänzt.<br />
Viele Verlage bieten inzwischen neben ihrer Website auch<br />
Online-Abonnements (E-Paper) an, wobei sich allerdings noch kein<br />
Geschäftsmodell wirklich durchsetzen konnte. 14<br />
• Die Rezipienten werden <strong>–</strong> zumeist auf elektronischem Weg <strong>–</strong> verstärkt<br />
in die Produktion der Zeitung eingebunden. Der Trend zu<br />
Online-Tagebüchern (Weblogs) und gemeinschaftlich betriebenen<br />
Websites (Wikis) wird von den Verlagen aufgegriffen und im<br />
Rahmen eines „Citizen Journalism“ zu Community-Zeitungen ausgebaut.<br />
15<br />
Neben diesen Innovationen im Kerngeschäft werden verstärkt neue Geschäftsfelder<br />
erschlossen:<br />
• Schon seit Jahrzehnten produzieren die Verlage neben ihrem<br />
Stammmedium Zeitung auch Anzeigenblätter oder engagieren sich<br />
im Rundfunkbereich. 16 Hier sollen insbesondere Markteintrittsbar-<br />
11 Vgl. Korosides 2006, o.S.; Gärtner 2005, S. 23 f.<br />
12 Vgl. Pöhlmann 2005, S. 87.<br />
13 Vgl. Siegert 2003, S. 158; Möllmann 1998, S. 149, 164.<br />
14 Vgl. Bauer 2005; Riefler 2001, S. 194 ff.; ZAW 2005, S. 223 f.<br />
15 Vgl. Borstelmann 2005, S. 214 ff.; die Inhalte finden sich z.T. auch in der gedruckten<br />
Zeitung wieder: So legt die Rheinische Post alle 14 Tage ihrer Ausgabe das Magazin „Opinio“<br />
bei, in dem die besten Beiträge der Online-Community abgedruckt werden.<br />
16 Vgl. Sjurts 2002, S. 10; Kiefer 2001, S. 93 f.
310<br />
rieren für potenzielle Wettbewerber im regionalen Raum aufgebaut<br />
werden.<br />
• Aktuell sind insbesondere die überregionalen Qualitätszeitungen bemüht,<br />
ihre starken Marken zu dehnen, indem weitere Produkte und<br />
Leistungen herausgebracht werden, die die Interessen der Leser widerspiegeln.<br />
Hierdurch soll insbesondere die Leser-Blatt-Bindung<br />
gestärkt werden. So bietet die ZEIT eine Erlebniswelt aus Reisen,<br />
Foren, Kochwettbewerben, Kinopreviews etc. an. Die Süddeutsche<br />
Zeitung kompensiert einen Großteil der weggefallenen Anzeigeneinnahmen<br />
durch ihre „SZ Bibliothek“ und „SZ Cinemathek“, in<br />
denen Bücher und DVDs abgesetzt werden. 17<br />
• Das Ausnutzen von Synergieeffekten steht beim Aufbau von Postzustellungsdiensten<br />
durch die Verlage im Vordergrund. Das Zustellernetz<br />
der Zeitungen soll dabei auch für Postsendungen eingesetzt<br />
werden, wenn das Briefmonopol der Deutschen Post AG 2008 fällt.<br />
Hier sehen die Verlage die Chance, ihre ureigenen Kompetenzen<br />
und Erfahrungen gewinnbringend zu nutzen. 18 Eine andere Möglichkeit<br />
der Nutzung von Synergien besteht darin, die in den meisten<br />
Verlagen vorhandene telefonische Anzeigennannahme zum<br />
Call-Center umzurüsten.<br />
Es wird somit deutlich, dass die Verlage auf dem Lesermarkt auf die Stärkung<br />
der Leser-Blatt-Bindung und auf die Gewinnung neuer Zielgruppen<br />
setzen. Darüber hinaus werden Markteintrittsbarrieren geschaffen und neue<br />
Geschäftsfelder erschlossen. Parallel zeigt sich allerdings, dass die Einbrüche<br />
im Anzeigengeschäft, welche zunächst der schlechten <strong>Wirtschaft</strong>slage<br />
zugeschrieben wurden, sich offenbar mit anziehender Konjunktur nicht wieder<br />
erholen. Die Bemühungen, durch Vereinheitlichung der Preise und Formate<br />
sowie die Transparenz der Belegungseinheiten die Zeitung für überregionale<br />
Kunden attraktiver zu machen, erscheint zunächst sinnvoll, um die<br />
Zeitung auch im intermedialen Wettbewerb um die Werbebudgets konkurrenzfähig<br />
zu halten. 19 Die Werbetreibenden, speziell im Bereich der Marken-<br />
17 Vgl. Lutz 2005, S. 120 ff.; Esser/Schreier 2005, S. 128 ff.; ZAW 2005, S. 221 f.<br />
18 Vgl. Laskowski 2005, S. 146 ff.<br />
19 So werden einfachere Preislisten, einheitliche Formate und die Abschaffung der Abhängigkeiten<br />
von der Farbe oder Belegungseinheit gefordert, vgl. Rosendahl 2005, S. 134. Als
311<br />
und Imageanzeigen, profitieren dabei hauptsächlich vom entstehenden<br />
„Glaubwürdigkeitsverbund“ von Werbung und redaktionellem Teil des Mediums.<br />
20<br />
Auch wenn von einigen Autoren im überregionalen Bereich Potenziale für<br />
die Zukunft der regionalen Tageszeitung gesehen werden, so hängen die<br />
Verlage doch am „Tropf der Image-Kampagnen großer, zum Teil national<br />
aufgestellter Markenartikler und Handelshäuser“ 21 . Das eigentliche Kerngeschäft<br />
sind jedoch die regionalen Anzeigen. Hier hat die Zeitung zwar durch<br />
die Anzeigenblätter und die Direktwerbung ebenfalls Konkurrenz bekommen,<br />
eine Vernachlässigung der regionalen Kunden würde für die Verlage<br />
jedoch mittel- und langfristig bedeuten, dass ihnen die Kernzielgruppe ihres<br />
Anzeigengeschäfts verloren geht <strong>–</strong> und ob eine Substitution dieser Einnahmen<br />
über den überregionalen Markt stattfindet, kann aus heutiger Sicht keinesfalls<br />
als gesichert gelten.<br />
3 Das regionale Anzeigengeschäft<br />
3.1 Die Zielgruppe<br />
Die Geschäftskunden aus dem Verbreitungsgebiet einer Zeitung werden<br />
traditionell preispolitisch bevorzugt: Während nicht ortsansässige Anzeigenkunden<br />
sowie Kunden, die über eine Mediaagentur ihren Werbeplatz buchen,<br />
den so genannten „Grundpreis“ bezahlen, liegt der „Ortspreis“ für die regionalen<br />
Kunden und Direktbucher ca. 15% darunter. 22 Diese Preisdifferenzierung<br />
reicht jedoch im intermedialen Wettbewerb nicht aus: Die (absoluten)<br />
Kosten der Anzeigenschaltung sind in der Tageszeitung wesentlich höher als<br />
in den Anzeigenblättern, die häufig mit ihrer verteilten Auflage eine höhere<br />
Haushaltsabdeckung erzielen. Gleiches gilt für die Direktwerbung. Es stellt<br />
problematisch können sich dabei die neu entstehenden Tabloid-Formate erweisen, da die<br />
Werbekunden bei kleinerem Format und höherer Seitenhzahl um die Wirkung ihrer Anzeige<br />
fürchten, vgl. Bughin/Poppe 2005, o.S.<br />
20 Vgl. Heinrich 2002, S. 582; BDZV 2005, S. 400.<br />
21 Spitzer-Ewersmann 2005, S. 82.<br />
22 Kritik dazu von Lamberty 2005, S. 130.
312<br />
sich daher besonders für die Kunden, die lediglich Angebots- und Preisinformationen<br />
kommunizieren möchten und weniger vom redaktionellen Umfeld<br />
der Zeitung profitieren, die Frage, ob nicht ein Abwandern in andere<br />
Medien oder in die Direktwerbung für sie günstiger wäre.<br />
Bei den Anzeigenkunden, die regional und direkt bei der Zeitung ihre Anzeigen<br />
in Auftrag geben, handelt es sich hauptsächlich um mittelständische<br />
Unternehmen: Es sind Einzelhändler, die keiner großen Kette angehören,<br />
Handwerksbetriebe oder Industriebetriebe aus dem KMU-Bereich.<br />
Diese Unternehmen haben mit den KMU-typischen Problemen hinsichtlich<br />
ihres Marketing zu kämpfen: 23<br />
• Sie verfügen über geringe Ressourcen und somit eine geringe Finanzkraft<br />
für Marketingaktivitäten<br />
• Aufgrund mangelnder Marketingprofessionalität wird auch die<br />
Marktkommunikation häufig eher aus einem „Bauchgefühl“ heraus<br />
betrieben und kaum strategisch fundiert.<br />
Daraus resultiert, dass das wahrgenommene Risiko der Betroffenen im Hinblick<br />
auf nicht vertraute Marketinginstrumente und <strong>–</strong>maßnahmen eher gering<br />
ist und die Neigung, ihre Kommunikationspolitik zu ändern, nicht sehr ausgeprägt<br />
sein dürfte. Die in Abschnitt 2 vorgestellten Maßnahmen zur Modernisierung<br />
der Leistung Zeitung können zur Bindung der regionalen Anzeigenkunden<br />
nur einen geringen Beitrag leisten. Auch neue Distributionswege<br />
für die Anzeigen wie z.B. über die Website, das E-Paper oder sogar regionale<br />
Mobile Services24 sind für diese Zielgruppe nur bedingt geeignet. Es<br />
handelt sich dabei um stark erklärungsbedürftige Leistungen, die aus Sicht<br />
der Informationsökonomie über einen hohen Anteil an Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften<br />
verfügen, während die klassische Anzeigenschaltung<br />
aufgrund des ausdifferenzierten Systems der Medienforschung heute eher ein<br />
Suchgut darstellt. 25 Die gängige „Währung“ ist hier die Kontaktchance mit<br />
den Rezipienten, und diese wird so sorgfältig nach Kriterien erhoben, die<br />
von den Werbetreibenden sogar zum Teil mitbestimmt werden, dass kaum<br />
23 Vgl. Meyer 2000, S. 3.<br />
24 Vgl. zu mobilfunkgestützten Angeboten von Regionalzeitungen Ellers 2005, S. 77 f.<br />
25 Zur informationsökonomischen Gütertypologie vgl. grundlegend Kaas 1995, S. 3 f.
313<br />
Unsicherheit über die Medienleistung besteht. 26 Bei neuen Angeboten auf<br />
dem Werbemarkt sieht dies anders aus: Die werbetreibenden Unternehmen<br />
sind vor Vertragsabschluss nicht in der Lage, die Qualität der Angebote zu<br />
beurteilen, und auch im Nachhinein fehlen ihnen häufig die Kontrollmöglichkeiten.<br />
Ein hoher Anteil an Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften sowie die<br />
hohe Bedeutung des Informationssubstituts „Mediadaten“ deutet darauf hin,<br />
dass es sich beim Anzeigenverkauf um eine Dienstleistung handelt. Das bedeutet,<br />
dass sich das Anzeigenmarketing an den Prämissen des Dienstleistungsmarketing<br />
orientieren muss, um langfristig auch wenig professionalisierte<br />
Kunden nicht zu verlieren. Dabei kann nicht nur über die absoluten<br />
Insertionskosten argumentiert werden, denn hier hat die Tageszeitung gegenüber<br />
den Wettbewerbern im regionalen Raum strukturelle Nachteile. 27<br />
3.2 Der Anzeigenverkauf als Dienstleistung<br />
Dienstleistungen sind zunächst als selbständige, marktfähige Leistungen zu<br />
charakterisieren. 28 Sie verfügen über eine Reihe von konstitutiven Merkmalen:<br />
Sie sind (a) immateriell und daher (b) nicht lagerfähig. Die Qualität des<br />
Ergebnisses hängt zunächst von der (c) Leistungsfähigkeit des Anbieters ab.<br />
Doch auch der Nachfrager trägt zum Gelingen der Leistung bei, da er sich<br />
selbst oder ein in seinem Besitz befindliches Gut als (d) „externen Faktor“<br />
einbringen muss. Dies führt zu einer (e) mangelnden Standardisierbarkeit<br />
von Dienstleistungsangeboten. 29<br />
Das Kriterium der Immaterialität hat zur Folge, dass sich der Kauf von<br />
Dienstleistungen für die Kunden risikoreicher darstellt als der Kauf von<br />
Sachleistungen, da die Leistungseigenschaften nicht greifbar und daher auch<br />
schlecht zu evaluieren sind. Zeitungen sind zwar materielle Produkte, ihr<br />
wichtigster Bestandteil sind jedoch die Inhalte, wohingegen das Papier, auf<br />
dem sie geliefert werden, für die Rezipienten uninteressant ist. Printmedien<br />
26 Vgl. Kiefer 2001, S. 245.<br />
27 Vgl. Toerpel 2005, S. 136.<br />
28 Vgl. Meffert/Bruhn 2000, S. 30.<br />
29 Vgl. genauer hierzu: Meffert/Bruhn 2000, S. 51 ff.; aufgrund der besonderen Eigenschaften<br />
von Medien wurden die Immaterialität und die Nicht-Lagerfähigkeit hier als zwei getrennte<br />
Merkmale betrachtet; ähnlich: Pepels 1995, S. 21 ff.
314<br />
werden somit durch die Inhalte zum ökonomischen Gut, nicht durch ihren<br />
materiellen Träger. 30 In der Literatur werden sie daher als veredelte Dienstleistungen<br />
betrachtet. 31 Wichtig ist es somit für die Anzeigenkunden nicht,<br />
ihre Anzeige auf Papier gedruckt zu sehen, sondern die damit verbundene<br />
Verbreitung sowie die daraus entstehenden Kontaktchancen mit ihrer Zielgruppe.<br />
Diese sollte möglichst deckungsgleich mit der Nutzerschaft des<br />
Mediums sein. 32<br />
Die Lagerfähigkeit von Medienprodukten hängt zum einen von ihrer Bindung<br />
an materielle Träger ab33 , zum anderen korreliert sie negativ mit der<br />
Erscheinungshäufigkeit (Periodizität) des Mediums. Eine Tageszeitung ist<br />
zwar, was das Material angeht, länger als 24 Stunden aufzubewahren, ihr<br />
ökonomischer Wert sinkt jedoch mit dem Erscheinen der nächsten Ausgabe<br />
rapide. Die Erscheinungshäufigkeit ist auch für die Werbekunden von Bedeutung:<br />
So sind Imageanzeigen in der Regel auch nach vier Wochen noch<br />
aktuell, während Anzeigen mit tagesaktuellen Angeboten die Medienrezipienten<br />
punktgenau erreichen müssen. Den Anzeigenkunden kommen dabei<br />
kurzfristige Anzeigenschlusstermine entgegen. Die Garantie des Erscheinens<br />
der Anzeige zum gewünschten Zeitpunkt ist ohnehin unumgänglich.<br />
Die Leistungsfähigkeit der Anbieter ist bei Medien von großer Bedeutung,<br />
denn von den beteiligten Personen hängen die Inhalte, die Präsentation und<br />
die Inszenierung der Medienprodukte ab. Dem Personal kommt daher in<br />
Medienunternehmen eine überdurchschnittlich große Bedeutung zu. 34 Speziell<br />
bei etablierten Medien ist der persönliche Verkauf das wichtigste<br />
Kommunikationsinstrument gegenüber den Werbekunden. 35 Die Anzeigenberater<br />
der regionalen Zeitungen sind somit erfolgsentscheidend. Dies gilt<br />
insbesondere für den Verkauf innovativer Insertionsformen sowie aller Leistungen,<br />
die über die wöchentliche „Routineanzeige“ hinausgehen.<br />
30 Vgl. Sjurts 2002, S. 8; Kiefer 2001, S. 143.<br />
31 Vgl. Siegert 2002, S. 179; Pepels 1995, S. 26; Möllmann 1998, S. 7; Weigand 2003,<br />
S. 274; die Synchronität von Dienstleistungserstellung und -konsum ist hier nicht gegeben.<br />
32 Hierzu speziell nach Mediagattungen stellvertretetend für andere: Kotler/Keller 2006,<br />
S. 575 f.<br />
33 Vgl. Haller 1995, S. 51.<br />
34 Vgl. Siegert 2002, S. 181.<br />
35 Vgl. Siegert 2003, S. 160 ff.
315<br />
Der externe Faktor kann der Dienstleistungskonsument selbst oder ein ihm<br />
gehörendes Objekt sein. Dieser wird im Laufe des Leistungserstellungsprozesses<br />
verändert. Das Ergebnis der Leistungserstellung hängt somit auch<br />
vom externen Faktor ab. Der externe Faktor auf dem Werbemarkt ist die<br />
Anzeige, mit der der Werberaum gefüllt wird. Mit der Abgabe eines Anzeigenauftrags<br />
geht die Anzeige in den Verfügungsbereich des Medienunternehmens<br />
über; die Kunden sind darauf angewiesen, dass die Anzeige inhaltlich<br />
und räumlich gemäß ihrer Wünsche erscheint und sie nicht durch redaktionelle<br />
Inhalte konterkariert wird.<br />
Die hohe Individualität vieler Dienstleistungen ist mit einem hohen Anspruch<br />
an die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Personals verknüpft,<br />
was zu schwankenden Ergebnissen in der Dienstleistungsqualität führt. Eine<br />
Standardisierung soll daher eine Vermarktung als Massenprodukt ermöglichen.<br />
Zu unterscheiden ist dabei in die Standardisierung der gesamten<br />
Dienstleistung, einzelner Teilkomponenten oder des Kundenverhaltens. 36 Im<br />
Medienbereich ist eine inhaltliche Standardisierung nur in geringem Umfang<br />
möglich (z.B. durch gleich bleibende Sendepläne oder Ressortplätze), da<br />
jedes Medienprodukt ein Unikat darstellen muss. 37 Die individuellen Wünsche<br />
der Anzeigenkunden (z.B. nach Farbe, Form, Platzierung) sind nur bis<br />
zu einem gewissen Grad zu erfüllen, da jeder Platz in einer Zeitung nur einmal<br />
vergeben werden kann. 38<br />
3.3 Der Prozess der Anzeigenschaltung<br />
Die Integration des externen Faktors in die Erstellung einer Dienstleistung<br />
impliziert, dass vor dem Kauf lediglich ein Leistungsversprechen, jedoch<br />
nicht die Leistung selbst vorliegen kann. Die Erstellung ist als Prozess zu<br />
verstehen, der mit einem unterschiedlichen Maß an zeitlicher und räumlicher<br />
Verbundenheit von Anbieter und Nachfrager ablaufen kann. Am Ende steht<br />
das Ergebnis der Leistungserstellung. Um diesen Spezifika gerecht zu werden,<br />
wird zumeist eine phasenorientierte Betrachtung der Dienstleistungser-<br />
36 Vgl. Meffert/Bruhn 2004, S. 243.<br />
37 Vgl. Baumgarth 2004, S. 2254.<br />
38 Zur individuellen Wünschen der Inserenten vgl. auch Abschnitt 4.2.
316<br />
stellung vorgenommen: Es lassen sich dabei Potenzial-, Prozess- und Ergebnisphase<br />
unterscheiden. 39<br />
In der Potenzialphase bietet der Dienstleistungsanbieter zunächst lediglich<br />
seine Leistungsfähigkeit und -bereitschaft an. Das Potenzial setzt sich dabei<br />
aus einer Kombination interner Faktoren zusammen. 40 Diese internen Faktoren<br />
können Personen, Informationen oder Güter sein. 41 Im Anzeigenverkauf<br />
ist zumeist der zuständige Anzeigenberater die wichtigste Ansprechperson.<br />
Er verfügt über die Möglichkeit, den Kunden Anzeigenraum zukommen zu<br />
lassen. Die Leistungserstellung beginnt in der klassischen Dienstleistungstheorie<br />
in dem Moment, wo der Nachfrager einen externen Faktor einbringt,<br />
welcher zusammen mit den internen Faktoren in einen Prozess integriert<br />
wird. Diesen Prozess verdeutlicht Abbildung 2.<br />
Einkauf<br />
Veräußerung von Kontaktchancen<br />
zu den Lesern<br />
Entwicklung redaktioneller Konzepte und Werbekonzepte<br />
Journalistische und<br />
künstlerische Produktion<br />
Zusammenstellung der Inhalte<br />
Verbreitung<br />
Produktion von Aufmerksamkeitsgemeinschaften<br />
Segmentierung, Typisierung und Nachweis von spezifischen Publika<br />
Abb. 2 Die Phasen der Medienerstellung<br />
Quelle: leicht modifiziert nach Siegert (2002), S. 179.<br />
Selektion von<br />
Fremdleistungen<br />
39 Vgl. stellvertretend für andere Meffert/Bruhn 2004; Haller 1995; Meyer/Mattmüller 1987,<br />
S. 191 ff.<br />
40 Vgl. Haller 1995, S. 54.<br />
41 Vgl. Hilke 1989, S. 11 ff.; Haller 1995, S. 54.
317<br />
Für die Werbekunden der Medienunternehmen ergibt sich (zumindest nach<br />
Gesetzeslage) die Besonderheit, dass sie mit dem Prozess der Medienerstellung<br />
praktisch nicht in Berührung kommen: Ihnen werden Werberaum und<br />
Werbekonzepte angeboten, die eine Kontaktchance zu bestimmten Zielgruppen<br />
darstellen. Dabei ist es unerheblich, ob die redaktionellen Inhalte zum<br />
Zeitpunkt des Werbeplatzverkaufs bereits existieren <strong>–</strong> auf die Produktion<br />
und Zusammenstellung dürfen Werbekunden gemäß dem rechtlich festgeschriebenen<br />
Trennungsgebot keinen Einfluss ausüben. 42 Der Prozess der<br />
Erstellung der Dienstleistung „Transport von Werbebotschaften“ beginnt<br />
somit erst spät im Prozess der Medienerstellung.<br />
Für die Anzeigenberater ergibt sich daraus die Anforderung, einerseits die<br />
Vorgaben des Verlages beachten zu müssen, andererseits möglichst flexibel<br />
auf die Kundenwünsche einzugehen. Dies kann sich vor allem dann als<br />
kompliziert erweisen, wenn die Verlage neue Werbekonzepte an den Markt<br />
bringen, da diese für die Kunden als erklärungsbedürftige Dienstleistung<br />
anzusehen sind. Da besonders im mittelständischen Bereich die Werbebudgets<br />
eher gering sind, muss es Ziel der Anzeigenberatung sein, das wahrgenommene<br />
Risiko der Kunden möglichst weit zu reduzieren.<br />
Das Ergebnis dieses Prozesses ist der Vertragsabschluss über eine oder mehrere<br />
Anzeigenschaltungen. Die Kunden erhalten somit die Möglichkeit, ihre<br />
Werbebotschaften an ein disperses Publikum zu verbreiten und gleichzeitig<br />
von der Aufmerksamkeit, die die Rezipienten dem redaktionellen Teil entgegenbringen,<br />
zu profitieren.<br />
42 Vgl. hierzu die Landespressegesetze; bezahlte Inhalte sind in jedem Fall durch den Verlag<br />
als solche zu kennzeichnen <strong>–</strong> in der Regel mit dem Wort „Anzeige“. Auch der ZAW zeigt<br />
Formen nicht erlaubter „redaktioneller“ Inhalte mit werblichem Charakter auf, vgl. ZAW<br />
1974, S. 47, 83; zitiert nach Streng, 1996, S. 103. Die Trennung von Redaktion und Werbung<br />
erodiert jedoch zunehmend.
318<br />
4 Ansatzpunkte des Anzeigenmarketing für regionale<br />
Kunden<br />
4.1 Die regionale Identität als verbindendes Element<br />
Nach Jahrzehnten des multinational und global geprägten Marketing sowie<br />
der damit verbundenen Standardisierung von Produkten und Leistungen tritt<br />
seit einigen Jahren auch die Region als marketingrelevanter Raum in den<br />
Fokus des Interesses. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Marketing für die<br />
Region selbst und dem Marketing für regionale Produkte und Dienstleistungen.<br />
43 Innerhalb einer Region wird häufig die gemeinsame Identität von<br />
Anbietern und Abnehmern in der Region betont („aus der Region <strong>–</strong> für die<br />
Region“). Diese Identität dient dazu, den Mitgliedern einer Gruppe (hier: der<br />
Region) das Gefühl einer sozialen Einheit zu geben, welche auch von außen<br />
wahrgenommen wird. 44 Es handelt sich somit um eine bewusste Abgrenzung.<br />
Die Tageszeitung wird als Symbol dieser regionalen Identität wahrgenommen.<br />
45 Speziell für Unternehmen, deren Einzugsgebiet ebenfalls nur regional<br />
ist, ist sie daher ein geeigneter Kommunikationskanal. Aus Sicht der Verlage<br />
erscheint es daher sinnvoll, die gemeinsame Identität im Marketing für ihre<br />
Anzeigenkunden zu betonen. Die etablierten Marketinginstrumente der<br />
Preisdifferenzierung sowie des direkten Verkaufs über die Anzeigenberater<br />
wurden bereits angesprochen. Auch die Leistungspolitik wird schon seit<br />
langem auf die Kunden ausgerichtet: So gibt es Sonderveröffentlichungen,<br />
z.B. zu bestimmten Einkaufsgegenden, oder es werden Unternehmen aus der<br />
Region vorgestellt.<br />
Speziell in jüngster Zeit haben sich Kundenbindungsprogramme in Form<br />
sogenannter „Abo-Cards“ etabliert. Ziel ist es dabei aus Sicht der Verlage,<br />
43 Vgl. hierzu Balderjahn 2004, S. 2357 ff.; Enke/Geigenmüller 2004, S. 2375 ff.<br />
44 Dies kann eine Stärke, aber in Zeiten zunehmender Mobilität insbesondere der jüngeren<br />
Generationen auch eine Schwäche im intermedialen Wettbewerb sein; vgl. Breyer-<br />
Mayländer 2005, S. 139. Zur Gruppenidentität generell: Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S.<br />
444.<br />
45 Vgl. hierzu die Ergebnisse der empirischen Untersuchung von Möllmann 1998, S. 197 ff.
319<br />
sowohl die Rezipienten als auch die Anzeigenkunden an sich zu binden.<br />
Abonnenten können in der Regel mit Hilfe der Karte bei den teilnehmenden<br />
Unternehmen Rabatte erhalten. 46 Hier werden beinahe automatisch die mittelständischen<br />
Unternehmen der Region einbezogen, da heute praktisch alle<br />
großen Handelsketten über eine eigene Kundenkarte verfügen bzw. einem<br />
Mehrpartnerprogramm angehören. 47 Während einige Verlage das Programm<br />
als Erfolg einstufen, werden in anderen Verlagen die Anfangsinvestitionen<br />
als zu hoch angesehen. 48<br />
4.2 Gezieltes Beziehungsmanagement<br />
Die Dienstleistung „Anzeigenschaltung“ wird wie gesehen zunehmend erklärungsbedürftig.<br />
Die entstandenen Zusatzangebote vieler Verlage dürfen nicht<br />
dazu führen, dass die Zeitung als „Bauchladen“ 49 wahrgenommen wird, die<br />
sich von ihren Kernkompetenzen immer weiter entfernt. Die entstandenen<br />
cross-medialen Angebote (Zeitung und E-Paper, Zeitung und Mobile Service<br />
etc.) stellen für die Anzeigenkunden zunächst Mehrkosten dar. Die damit<br />
verbundenen Vorteile müssen ersichtlich werden, damit die Inserenten das<br />
nötige Vertrauen in die Maßnahmen gewinnen. Dies hängt zum einen mit der<br />
schwierigen Abschätzbarkeit der Werbewirkung zusammen, zum anderen<br />
sind die Entscheidungstatbestände (Mediaselektion, Auswahl von Zeiten,<br />
Platzierungen etc.) häufig komplex. 50 Medienunternehmen unterstützen<br />
daher ihre Kunden bei der Entscheidungsfindung, helfen z.B. bei der Erstellung<br />
von Mediaplänen. Die persönliche Nähe sowie das Vertrauensverhältnis<br />
zwischen Verkäufer und Kunde fördern die Kundenbindung. Eine hohe<br />
wahrgenommene Kompetenz des Anbieters kann dabei als Surrogat für Informationen<br />
über den Nutzen und die <strong>Wirtschaft</strong>lichkeit der Leistung dienen.<br />
51<br />
46 Vgl. Strahlendorf 2005, S. 13.<br />
47 Vgl. Klingsporn 2005, S. 100 ff.<br />
48 Vgl. o.V. 2005, S. 145.<br />
49 o.V. 2005, S. 145.<br />
50 Vgl. Büchelhofer et al. 1994, S. 475; Schuster 1995, S. 259.<br />
51 Vgl. Belz 1998, S. 23.
320<br />
Anzeigenberater betreuen ihre Kunden häufig über viele Jahre, daher sind<br />
die Voraussetzungen für eine solche vertrauensvolle Anbieter-Kunden-Beziehung<br />
gegeben. Über eine Beteiligung der Berater am Anzeigenumsatz<br />
geben die Verlage Anreize zum aktiven Verkauf. Als problematisch könnte<br />
sich jedoch die Einführung neuer Geschäftsmodelle wie sie oben geschildert<br />
wurden erweisen. Sind diese aus Sicht der Anzeigenberater zu komplex, um<br />
sie den mittelständischen Unternehmen der Region zu verkaufen, so besteht<br />
die Gefahr, dass die Personalzufriedenheit sinkt. 52 Es muss daher Aufgabe<br />
des Managements der Verlage sein, für neue Leistungen am Anzeigenmarkt<br />
<strong>–</strong> seien es Kombitarife von Zeitung und Werbebanner oder die neu eingeführte<br />
Kundenkarte <strong>–</strong> zunächst eine interne Akzeptanz zu schaffen. Denkbar<br />
sind in diesem Zusammenhang unterschiedliche Instrumente des internen<br />
Marketing: So können personalpolitische Instrumente (Personalauswahl,<br />
Entgeltpolitik) ebenso eingesetzt werden wie interne Kommunikationsinstrumente<br />
(Trainings). 53 Diese Maßnahmen sind notwendig, damit die Anzeigenkunden<br />
den Nutzen des Mediums Zeitung auch langfristig sehen. Die<br />
Anzeigenberater werden auf diese Weise zu Medienberatern.<br />
Die hohe Bedeutung von persönlichen Geschäftsbeziehungen fördert zwar<br />
die Bindung der Anzeigenkunden, kann aber auch kontraproduktive Effekte<br />
haben: Wie auch in anderen Branchen besteht die Gefahr, dass im Rahmen<br />
der Auftragsakquisition „unternehmensfremde Nebenleistungen“ oder „problematische<br />
Gegengeschäfte“ 54 zum Einsatz kommen. Bekannt sind in diesem<br />
Zusammenhang Anreize wie Geschenke, Reisen o.ä. für die Kunden. Im<br />
Zeitungsmarkt besteht hingegen die Tendenz, mit den Kunden Einigungen<br />
über Zusatzleistungen zu treffen, die intern, vor allem in der Redaktion, nicht<br />
geteilt werden. Dabei kann es sich um die Forderung nach einer redaktionellen<br />
Kopplungsvereinbarung55 handeln oder auch um die Drohung, im<br />
Fall negativer Berichterstattung über das eigene Unternehmen Werbeauf-<br />
52 Vgl. Stauss 1995, Sp. 1047.<br />
53 Vgl. Stauss 1995, Sp. 1050; Ziel sollte in jedem Fall eine marktorientierte Unternehmenskultur<br />
und damit verbunden eine stabil verankerte Kundenorientierung sein, vgl. Homburg/Krohmer<br />
2003, S. 1083 ff.<br />
54 Belz 1998, S. 125.<br />
55 Vgl. Koschnik 2003, S. 1545; es findet sich auch der euphemistische Begriff der „Medienkooperation“,<br />
vgl. Wolff 1999, S. 25. Beide Begriffe umschreiben die Ergänzung einer<br />
Anzeige durch einen redaktionellen Beitrag zum Unternehmen <strong>–</strong> es handelt sich somit um<br />
eine Form von PR durch die Journalisten.
321<br />
träge zurückzuziehen. 56 Mit intensiver werdendem Wettbewerb im regionalen<br />
Raum steigt die Wahrscheinlichkeit dieser Instrumentalisierung des redaktionellen<br />
Teils der Zeitung, insbesondere, weil in Anzeigenblättern diese<br />
Praxis verstärkt zu beobachten ist. Für die Anzeigenberater gilt <strong>–</strong> ebenfalls<br />
analog zu anderen Branchen <strong>–</strong> dass ein hoher Professionalisierungsgrad<br />
ethisches Verhalten fördert. 57 Die oben erwähnten Instrumente des internen<br />
Marketing sind von den Verlagen auch im Kontext dieses Problemfeldes<br />
einsetzbar. Die strategische Bedeutung sollte dabei nicht unterschätzt werden,<br />
da die Glaubwürdigkeit der regionalen Tageszeitungen ein wettbewerbsrelevantes<br />
Merkmal darstellt.<br />
5 Fazit<br />
Es wurde in diesem Beitrag darauf verzichtet, die Optimierungspotenziale im<br />
regionalen Anzeigenmarketing anhand der klassischen Marketinginstrumente<br />
aufzuzeigen. Hier hat sich (zumindest in Bezug auf die Kernleistung Zeitung)<br />
in den vergangenen Jahren einiges getan:<br />
• In der Leistungspolitik sind besonders neue Anzeigenformate und -<br />
platzierungen zu erwähnen. Hier besteht für die Kunden eine Vielzahl<br />
von Möglichkeiten, seine Anzeigen jenseits der rechteckigen,<br />
in Millimetern gemessenen Form zu gestalten. 58 Außerdem werden<br />
zunehmend redaktionelle Umfelder geschaffen, in denen die Kunden<br />
entsprechend der Interessen ihrer Zielgruppen inserieren können<br />
<strong>–</strong> zu nennen sind vor allem Sonderthemen zu den Bereichen Urlaub,<br />
Haus, Garten, Mode etc.<br />
56 Vgl. Stahmer 1995, S. 164; Rogall 2000, S. 58.<br />
57 Vgl. Belz 1998, S. 123.<br />
58 Vgl. Strickler 2005, S. 63 f.; es ist jedoch darauf zu achten, dass diese Sonderwerbeformen<br />
die Informationsfunktion der Zeitung nicht zu stark dominiert, da sonst (analog zu den oben<br />
erwähnten „redaktionellen Zugaben“) ein Glaubwürdigkeitsproblem entstehen kann,<br />
vgl. Donnerstag/Mika 2005, S. 254 ff.
322<br />
• In der Kommunikationspolitik setzen die Verlage verstärkt auf Eigenwerbung<br />
und Öffentlichkeitsarbeit, auch in crossmedialer<br />
Form. 59<br />
• Die Distributionspolitik bezieht sich größtenteils auf die Übermittlung<br />
der Anzeigeninhalte an die Medienunternehmen. Hier kann der<br />
Kunde in der Regel zwischen der persönlichen Abholung durch den<br />
Anzeigenberater und verschiedensten Formen der elektronischen<br />
Datenübermittlung wählen.<br />
• In die Preispolitik kommt ebenfalls Bewegung: So werden den Inserenten<br />
crossmediale Angebote gemacht und in der Zeitung selbst<br />
stehen insbesondere die Farbzuschläge auf dem Prüfstand. 60<br />
Dieser Beitrag plädiert vielmehr dafür, die im Dienstleistungsmarketing<br />
ebenfalls schon länger thematisierten Instrumentalbereiche „Personal“ und<br />
„Prozess“ stärker zu berücksichtigen. Im Rahmen der Ausweitung der Leistungen<br />
für die Werbekunden und der Nutzung neuer Geschäftsfelder tritt der<br />
Prozess der Dienstleistungserstellung immer stärker in den Vordergrund;<br />
dabei kann die Leistung wesentlich stärker als bisher individualisiert und auf<br />
den einzelnen Anzeigenkunden zugeschnitten werden. Die einfache „Standardanzeige“<br />
verliert demgegenüber an Bedeutung.<br />
Die Anzeigenberater bilden die Schnittstelle zwischen den Kunden und dem<br />
Verlag. Von ihrem Engagement und Commitment hängt es ab, ob sich neue<br />
Angebote im Anzeigenmarkt auch durchsetzen. Da Veränderungen auch<br />
immer innerhalb des Unternehmens kommuniziert werden müssen, erscheint<br />
hier die Entwicklung eines internen Marketingkonzepts angebracht.<br />
Die Bindung regionaler Anzeigenkunden wird sich mittel- und langfristig als<br />
strategischer Erfolgsfaktor für die Verlage erweisen. Die Zeitung verliert<br />
zwar vor allem junge Leser, ist in der regionalen Medienlandschaft jedoch<br />
noch immer vorherrschend. Setzt sich die Entwicklung fort, so ist das Medium<br />
Zeitung in absehbarer Zeit für die Markenartikelindustrie kein attrakti-<br />
59 In der PR haben Medienunternehmen gegenüber anderen Branchen generell den Vorteil,<br />
dass sie die Kommunikationskanäle kontrollieren können. Dafür ist die Zahl der in Frage<br />
kommenden Medien allerdings begrenzt, da die Wettbewerbermedien hier nicht genutzt<br />
werden können, vgl. Rubens-Laarmann 2006, S. 365; Siegert 2003, S. 193.<br />
60 Vgl. Spitzer-Ewersmann 2005, S. 84.
323<br />
ver Werbepartner mehr. 61 Um ihre Position im regionalen Raum zu sichern,<br />
ist vor allem eine Orientierung an der eigenen Identität und am eigenen<br />
Selbstverständnis nötig. 62 nötig. Anstatt ausschließlich dem Druck der Werbekunden<br />
nach zielgruppenspezifischen Umfeldern nachzugeben und sich<br />
auf diese Weise an andere Medien anzupassen, sollten im Rahmen der Markenführung<br />
verstärkt die eigenen Ressourcen und Kompetenzen hervorgehoben<br />
werden. Ohne diese Identität wird die Zeitung für ihre Anzeigenkunden<br />
auch im regionalen Verbreitungsgebiet austauschbar mit Anzeigenblättern<br />
und Direktwerbung. Tageszeitungsmarketing muss daher auch bedeuten,<br />
der Beliebigkeit entgegenzuwirken.<br />
Literatur<br />
Balderjahn, I. (2004): Markenführung für Städte und Regionen; in: Bruhn,<br />
M. (Hrsg.): Handbuch Markenführung, Wiesbaden, S. 2357-2373<br />
Bauer (2005): Tageszeitungen im Kontext des Internets <strong>–</strong> Studie zum<br />
Schweizer Markt für Tageszeitungen, Wiesbaden<br />
Baumgarth, C. (2004): Markenführung im Mediensektor; in: Bruhn, M.<br />
(Hrsg.): Handbuch Markenführung, Wiesbaden, S. 2251-2271<br />
Belz, C. (1998): Management von Geschäftsbeziehungen: Konzepte <strong>–</strong> integrierte<br />
Ansätze <strong>–</strong> Anwendungen in der Praxis, St. Gallen/Wien<br />
Borstelmann, B. (2005): Citizm Journalism <strong>–</strong> Aus Weblogs werden Nachrichtensites;<br />
in: BDZV (Hrsg.): Zeitungen 2005, Berlin, S. 213-224<br />
Breyer-Mayländer, T. (2003): Krisenmanagement im Zeitungsverlag; in:<br />
BDZV (Hrsg.): Zeitungen 2003, Berlin, S. 109-124<br />
Breyer-Mayländer, T. (2004): Der Stellenmarkt als erfolgskritisches Marktsegment<br />
für Zeitungsverlage; in: Medien <strong>Wirtschaft</strong>, 1. Jg., Heft 1, S.<br />
38-43<br />
Breyer-Mayländer, T. (2005): Marktimpulse durch Zielgruppenprodukte; in:<br />
BDZV (Hrsg.): Zeitungen 2005, Berlin, S. 135-144<br />
Büchelhofer, A./Girsich, F./Karmasin, M. (1994). Kommunikationsstrategien<br />
von Tageszeitungsverlagen; in: Bruck, P.A. (Hrsg.): Print unter<br />
Druck. Zeitungsverlage auf Innovationskurs, München, S. 387-506<br />
61 Vgl. Toerpel 2005, S. 136 f.<br />
62 Vgl. zur identitätsorientierten Markenführung Meffert/Burmann/Koers 2002.
324<br />
Bughin; J.R./Poppe, H. (2005): Dwindling Readership: Are tabloids the<br />
answer?; in: The McKinsey Quarterly, Januar 2005;<br />
Donnerstag, J./Mika, C. (2005): Kreative Zeitungswerbung <strong>–</strong> Formen und<br />
Funktion; in: BDZV (Hrsg.): Zeitungen 2005, Berlin, S. 253-258<br />
Ellers, M. (2005): ... und der Leser simst dazu; in: New Business Report:<br />
Regionale Tageszeitungen, August 2005, S. 77-78<br />
Enke, M./Geigenmüller, A. (2004): Markenführung für regionale Marken;<br />
in: Bruhn, M. (Hrsg.): Handbuch Markenführung, Wiesbaden, S. 2375-<br />
2389<br />
Esser, R./Schreier, C. (2005): Die Zeitung als Marke <strong>–</strong> Diversifikation als<br />
lukrative Erlösquelle; in: BDZV (Hrsg.): Zeitungen 2005, Berlin, S.<br />
127-134<br />
Gärtner, H.-D. (2005): Weniger ist mehr <strong>–</strong> Weltweiter Trend zur Umstellung<br />
auf kleinere Zeitungsformate; in: New Business Report: Regionale Tageszeitungen,<br />
August 2005, S. 23-26<br />
Goldbeck, K. (2005): Leistungsdaten für die Zeitung; in: BDZV (Hrsg.):<br />
Zeitungen 2005, Berlin, S. 153-168<br />
Haller, S. (1995): Beurteilung von Dienstleistungsqualität. Dynamische<br />
Betrachtung des Qualitätsurteils im Weiterbildungsbereich, Wiesbaden<br />
Heinrich, J. (2001): Medienökonomie, Band 1: Mediensystem, Zeitung,<br />
Zeitschrift, Anzeigenblatt, Opladen<br />
Heinrich, J. (2002): Medienökonomie, Band 2: Hörfunk und Fernsehen,<br />
Opladen<br />
Hilke, W. (1989): Dienstleistungs-Marketing : Banken und Versicherungen,<br />
freie Berufe, Handel u. Transport, nicht-erwerbswirtschaftlich orientierte<br />
Organistionen, Wiesbaden<br />
Homburg, C./Krohmer, H. (2003): Marketingmanagement. Strategie <strong>–</strong> Instrumente<br />
<strong>–</strong> Umsetzung <strong>–</strong> Unternehmensführung, Wiesbaden<br />
Kaas, K.P. (1995): Einführung: Marketing und Neue Institutionenökonomik;<br />
in: Kaas, K.P. (Hrsg.): Kontrakte, Geschäftsbeziehungen, Netzwerke:<br />
Marketing und Neue Institutionenökonomik, Düsseldorf/Frankfurt<br />
a.M., S. 1-18<br />
Kiefer, M.L. (2001): Medienökonomik. Einführung in eine ökonomische<br />
Theorie der Medien, München
325<br />
Klingsporn, B. (2005): Kundenkarten machen noch keine Kundenbindung;<br />
in: absatzwirtschaft, Heft 8, S. 100-102<br />
Korosides, K. (2006): Das Buch zur Zeitung; in: Die Welt, 10.01.2006,<br />
http://www.welt.de/data/2006/01/10/829295.html, letzter Abruf:<br />
28.04.2006, o.S.<br />
Koschnik, W.J. (2003): Focus-Lexikon Werbeplanung, Mediaplanung,<br />
Marktforschung, Kommunikationsforschung, Mediaforschung, Band 2,<br />
München<br />
Kotler, P./Keller, K.L. (2006): Marketing Management, Upper Saddle River<br />
Kroeber-Riel, W./Weinberg, P. (2003): Konsumentenverhalten, Wiesbaden<br />
Lamberty, C. (2005): Einheitlichkeit als Schlüssel zu mehr Individualität; in:<br />
New Business Report: Regionale Tageszeitungen, August 2005, S.<br />
130-131<br />
Laskowski, J. (2005): Logistische Kernkompetenz ausschöpfen <strong>–</strong> Verlage als<br />
Postdienstleister; in: BDZV (Hrsg.): Zeitungen 2005, Berlin, S. 145-<br />
152<br />
Lutz, K.J. (2005): Die Zeitung als Marke <strong>–</strong> Neue Produkte, neue Geschäftsmodelle;<br />
in: BDZV (Hrsg.): Zeitungen 2005, Berlin, S. 119-126<br />
Meffert, H./Bruhn, M. (2003): Dienstleistungsmarketing. Grundlagen, Konzepte,<br />
Methoden, Wiesbaden<br />
Meffert, H./Burmann, C./Koers, M. (Hrsg.): Markenmanagement: Grundfragen<br />
der identitätsorientierten Markenführung, Wiesbaden Meyer, J.A.<br />
(2000): Marketing in kleinen und mittleren Unternehmen. Eine Einführung<br />
in das Jahrbuch der KMU-Forschung 2000, München, S. 3-11<br />
Meyer, A./Mattmüller, R. (1987): Qualität von Dienstleistungen: Entwurf<br />
eines praxisorientierten Qualitätsmodells; in: Marketing ZFP, 9. Jg.,<br />
Nr. 3, S. 187-195<br />
Möllmann, B. (1998): Redaktionelles Marketing bei Tageszeitungen, München<br />
o.V. (2005): Leser-Services, neue Geschäftsfelder und Werbung in eigener<br />
Sache; in: New Business Report: Regionale Tageszeitungen, August<br />
2005, S. 143-145<br />
o.V. (2005): Zahlen, Daten, Fakten; in: BDZV (Hrsg.): Zeitungen 2005,<br />
Berlin, S. 387-408
326<br />
Pepels, W. (1995): Einführung in das Dienstleistungsmarketing, München<br />
Pöhlmann, H. (2005): Eine Frage des Formats; in: werben & verkaufen, Heft<br />
38, S. 86-87<br />
Riefler, K. (2001): Geld verdienen mit Inhalten? Geschäftsmodelle für regionale<br />
Zeitungsverlage; in: BDZV (Hrsg.): Zeitungen 2001, Berlin, S.<br />
193-204<br />
Rogall, D. (2000): Kundenbindung als strategisches Ziel des Medienmarketing:<br />
Entwicklung eines marketingsorientierten Konzeptes zur Steigerung<br />
der Leserbindung am Beispiel lokaler/regionaler Abonnementzeitungen,<br />
Marburg<br />
Rosendahl, T. (2005): Freund oder Feind <strong>–</strong> Sünden der TZ-Planung; in: New<br />
Business Report: Regionale Tageszeitungen, August 2005, S. 134-135<br />
Rubens-Laarmann, A. (2006): Public Relations von Medienunternehmen<br />
zwischen Ökonomie und gesellschaftlichen Erwartungshaltungen. Eine<br />
Analyse anhand der PR-Typen von Grunig/Hunt; in: Klusmeyer,<br />
J./Meyerholt, U./Wengelowski, P. (Hrsg.): Beratung <strong>–</strong> Evaluation <strong>–</strong><br />
Transfer, Oldenburg, S. 359-386<br />
Schulze, V. (2005): 400 Jahre Zeitung <strong>–</strong> Ein Medium macht Geschichte; in:<br />
BDZV (Hrsg.): Zeitungen 2005, Berlin, S. 103-118<br />
Schuster, J. (1995): Rundfunkmarketing. Entwicklung einer strategischen<br />
Marketingkonzeption für das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Konstanz<br />
Siegert, G. (2002): Medienmanagement als Marketingmanagement; in: Karmasin,<br />
M./Winter, C.: Grundlagen des Medienmanagements, München,<br />
S. 173-195<br />
Siegert, G. (2003): Medien Marken Management. Relevanz, Spezifika und<br />
Implikationen einer medienökonomischen Profilierungsstrategie, München<br />
Sjurts, I. (2002): Der Markt wird’s schon richten?! Medienprodukte, Medienunternehmen<br />
und die Effizienz des Marktprozesses, Flensburg,<br />
2002<br />
Spitzer-Ewersmann, C. (2005): Neue Seiten aufziehen; in: werben & verkaufen,<br />
Heft 38, S. 78-84<br />
Stahmer, F. (1995): Ökonomie des Presseverlages, München
327<br />
Stauss, B. (1995): Internes Marketing; in: Tietz, B.; Köhler, R.; Zentes, J.<br />
(Hrsg.): Handwörterbuch des Marketing, Stuttgart, Sp. 1045-1056<br />
Strahlendorf, P. (2005): Regionale TZ-Verlage auf Innovationskurs; in: New<br />
Business Report: Regionale Tageszeitungen, August 2005, S. 8-13<br />
Streng, I., (1996): Strategisches Marketing für Publikumszeitschriften,<br />
Frankfurt<br />
Strickler, R. (2005): Was Besonderes darf’s schon sein!; in: New Business<br />
Report: Regionale Tageszeitungen, August 2005, S. 63-65<br />
Toerpel, A. (2005): Die Tageszeitung in der taktischen Ecke als Abverkaufsmedium;<br />
in: New Business Report: Regionale Tageszeitungen,<br />
August 2005, S. 136-137<br />
Weigand, K.H. (2003): Medienwirtschaftliche Dienstleistungen. Übertragung<br />
dienstleistungstheoretischer Ansätze auf Produktion und Absatz<br />
von Medienangeboten; in: Altmeppen, K.D./Karmasin, M. (Hrsg.):<br />
Medien und Ökonomie: Grundlagen der Medienökonomie: Kommunikations-<br />
und Medienwissenschaft, <strong>Wirtschaft</strong>swissenschaft, Wiesbaden,<br />
S. 269-282<br />
Wolff, V. (1999): Medienwirklichkeit im Wandel. Einige Schlaglichter; in:<br />
Rolke, L./Wolff, V. (Hrsg.): Wie die Medien die Wirklichkeit steuern<br />
und selber gesteuert werden, Opladen, S. 23-34<br />
ZAW (2005): Werbung in Deutschland 2005, Bonn
Jörg Hammermeister<br />
All business is local <strong>–</strong> Möglichkeiten der strategischen<br />
Differenzierung durch regionale Markenführung <strong>–</strong><br />
Am Beispiel von Marken der Unternehmen EWE,<br />
InBev und Rügenwalder<br />
1 Einführung<br />
Der Ausspruch “Think global, act local” gewinnt für die strategische Markenführung<br />
zunehmend an Bedeutung. Regionen werden sich im zusammenwachsenden<br />
Europa im stärkeren Maße als früher identitätsstiftend in der<br />
Lebenswelt der Menschen verankern. Dadurch ist auch das Konsumentenverhalten<br />
zunehmend determiniert. Der Stellenwert der regionalen Marken<br />
wird darum in Zukunft zunehmen, da der Markenwert von einer Zugehörigkeit<br />
zu einer Region beeinflusst wird. Das gelingt Markenartikelunternehmen<br />
mit regionalen Marken im Portfolio dann, wenn eine Region bzw. ein Image<br />
von einer Region als Ursprung einer Marke positiv wahrgenommen wird.<br />
Der Markenursprung kann dabei als Bestandteil der Markenpersönlichkeit<br />
und damit auch des Markenimages verstanden werden. 1 Die Identifikation<br />
des Markenursprungs ist einserseits über den Markennamen selbst, der Verpackung<br />
oder über die Markenkommunikation umsetzbar. Dieser Beitrag<br />
fokussiert die Relevanz, die besonderen Ausprägungen und die Anforderungen<br />
an die regionale Markenführung, um den besonderen Transfer zwischen<br />
Region als Identitätsstifter und regionaler Marke nachzuzeichnen. Anhand<br />
ausgewählter Beispiele aus der Metropolregion Bremen-Oldenburg werden<br />
die gemachten Ausführungen abschließend illustriert und verdichtet.<br />
1 Vgl. Enke/Geigenmüller 2004, S. 2379.
330<br />
2 Theoretisch-begriffliche Basis: Bedeutung und<br />
Grundformen des regionalen Bezugs bei Marken<br />
Wenn viele Deutsche in den Urlaub reisen, kann ihnen, dem allgemeinen<br />
klischeehaften Bild nach, an ihrem Urlaubsort nichts Besseres passieren, als<br />
eine Kneipe zu finden, die deutsches Bier <strong>–</strong> am besten noch vom Fass <strong>–</strong><br />
ausschenkt. 2 Auf dem Flug mit der Lufthansa an den Urlaubsort wird ihnen<br />
deutsches Essen serviert, vor Ort wird als Speise Kasseler mit Sauerkraut<br />
präferiert. Am Pool oder Strand cremt man sich mit Nivea-Sonnenmilch ein,<br />
redet über Lichtschutzfaktoren und genießt das Magnum-Eis von Langnese.<br />
Musikalisch fragt man sich beim Hören deutscher Radiosender, ob der alte<br />
Holzmichel noch lebt und lauscht nebenbei halbstündlich dem Verkehrsfunk<br />
im deutschen Radio. So geben selbst solche Produkte bzw. Marken ein Gefühl<br />
von regionaler-heimatlicher Verbundenheit, die ansonsten mit der Nähe<br />
zur Region bzw. zur Heimat wenig zu tun haben. 3 Gerhard Polt hat in seiner<br />
satirischen Filmkomödie „Man spricht Deutsh“ 4 von 1988 dieses Ur-Bild<br />
vom Deutschen im Italien-Urlaub sehr treffend dargestellt.<br />
Betrachtet man dieses Klischee vom deutschen Urlauber aus der reinen Marketingperspektive,<br />
liegt als Grund für dieses (hier überzeichnete Verhalten)<br />
nahe zu vermuten, dass Menschen stets Komplexitätsreduktion und Orientierung<br />
suchen <strong>–</strong> egal wo sie sind. 5 Konsumenten scheinen in unübersichtlichen,<br />
anonymen Märkten die Herkunftsregion als Schlüsselinformation für<br />
Qualität heranzuziehen. Dadurch vereinfachen sie ihre Kaufentscheidung.<br />
Dabei spricht man vom information chunk-Effekt. Gute Erfahrungen und<br />
Verbundenheit mit einer Region - in diesem Fall mit Deutschland - übertragen<br />
sich auf die Produkte bzw. Marken (Halo-Effekt). Für die strategische<br />
Markenführung kann vermutet werden, dass die Akzentuierung eines regionalen<br />
Markenursprungs ein Alleinstellungsmerkmal darstellt, welches im<br />
Vergleich zu allen (meist nationalen und internationalen) Wettbewerbsmarken<br />
zu mehr Nähe, Vertrauen und Sympathie beim Verbraucher führen kann.<br />
2 Vgl. Musiol 2005, S. 1.<br />
3 Vgl. ebd., S. 1.<br />
4 „Deutsch“ hier als Eigenname von Polt ohne das „s“ verwendet.<br />
5 Vgl. ebd.
331<br />
Neben Vertrauen, Sympathie und Nähe bieten sich auch Umweltschutz,<br />
Qualität, Tradition, Frische, Arbeitsplätze oder Heimatliebe als Positionierungsargumente<br />
für die regionale Markenplattform an.<br />
Regionale Marke i.e.S.<br />
(aufgrund Beschränkungen<br />
verschiedenster Art)<br />
Regionaler Markt<br />
Regionale Marke i.w.S.<br />
(regional aufgeladene Marke<br />
mit universellem Markenkern)<br />
Überregionaler Markt<br />
Abb. 1 Klassifizierung von regionalen Marken <strong>–</strong> Teil 1<br />
Quelle: Eigene in Anlehnung an Geigenmüller 2003, S. 75.<br />
Marken können also grundsätzlich je nach Selbstverständnis, Ressourcen,<br />
Kompetenzen und Expansionsstrategie durch ihren geographischen Geltungsbereich<br />
klassifiziert werden (vgl. Abbildung 1). 6<br />
Die regionale Marke im engeren Sinn beschränkt sich auf ihre Ursprungsregion<br />
bzw. ein festgelegtes regionales Vertriebsareal z.B. aufgrund konkreter<br />
Produkteigenschaften/-beschränkungen oder ökonomischen Erwägungen7 .<br />
Die regionale Marke im weiteren Sinn dehnt sich auch auf den überregiona-<br />
6 Vgl. Enke/Geigenmüller 2004, S. 2379.<br />
7 Als mögliche Ursache für die Beschränkung auf eine Region kann das Verhältnis zwischen<br />
Warenwert und den Distributionskosten genannt werden (vgl. Enke/Geigenmüller,<br />
S. 2379). Das regionale Absatzgebiet bestimmt sich demnach so, das diese Relation für einen<br />
Hersteller noch gerade Nutzen stiftend sein muss.
332<br />
len Markt aus, vorausgesetzt sie besitzt einen universellen Markenkern (als<br />
Angebot für Nachfrage überregional geeignet) und sie unterliegt keinerlei<br />
Beschränkungen (regional aufgeladene überregionale Marke). In der letzteren<br />
Form sind eindeutige Parallelen zur Internationalisierungsstrategie zu<br />
sehen.<br />
Es bleibt an dieser Stelle noch die Frage zu beantworten, wie aus Marketingsicht<br />
Regionen überhaupt definiert werden können: Anja Geigenmüller8 teilt<br />
die Region in Ihrer Doktorarbeit über regionale Marken und Konsumverhalten<br />
in drei Bereiche auf: die Real-, die Aktivitäts-/Programm- und in die<br />
Wahrnehmungs-/Identitätsregion. Die reale Region besteht aus einem physisch<br />
abgrenzbaren Raum, wie z.B. die Weser-Ems-Region. Die Aktivitäts-<br />
/Programmregion bestimmt sich eher als funktionaler Raum, somit können<br />
beispielsweise verschiedene <strong>Wirtschaft</strong>sräume definiert werden. Der letzte<br />
Teil scheint der schwierigste eingrenzbare Bereich zu sein. Die Wahrnehmungs-<br />
und Identitätsregionen stellen sozialpsychologische Konstrukte bzw.<br />
Sinnordnungen dar. Hier kann auch ein räumlicher Bezug hergestellt werden,<br />
Als Beispiel für eine Wahrnehmungsregion kann das Ruhrgebiet oder das<br />
Erzgebirge angeführt werden. 9 Somit unterscheidet sich die Definition von<br />
Regionen untereinander doch recht stark. Keine davon gibt eine genaue Definition<br />
davon, wie groß eine Region genau sein kann. Für diesen Aufsatz<br />
kann festhalten werden, dass Regionen nicht nur physische Eigenschaften<br />
haben, sondern auch über die Wahrnehmung einzelner Personen oder Gruppen<br />
definiert werden können.<br />
3 Theoretisch-konzeptionelle Basis: Markenherkunft als<br />
relevante Komponente der Markenidentität<br />
3.1 Grundlagen<br />
Die Grundlage des Kommunikationsprozesses und die Basis aller strategischen<br />
und operativen Marketingentscheidungen bildet die Markenidentität.<br />
Insbesondere können wichtige Schritte für das Ableiten der Markenstrategie,<br />
8 Vgl. Geigenmüller 2003, S. 73.<br />
9 Vgl. ebd., S. 72 ff.
333<br />
der Positionierung und der Botschaft der Marke geplant und umgesetzt werden.<br />
10 Adjouri unterscheidet hinsichtlich der Markenidentität zwei Ebenen:<br />
Die Ausdrucksebene der Marke bildet sich aufgrund der wahrnehmbaren<br />
Elemente und umfasst somit die formalen Aspekte der Marke, die Inhaltsebene<br />
hingegen wird durch alle Assoziationen mit der Marke beschrieben. 11<br />
Die Markenidentität wird durch Bedeutungen dargestellt, welche wiederum<br />
verschiedene Images bei unterschiedlichen Zielgruppen entstehen lassen. 12<br />
Im Gegensatz zum Markenimage sind diese Bedeutungen weder subjektiv<br />
noch an eine Zielgruppe gebunden.<br />
Basierend auf Überlegungen zur Identität von Personen, wurden bereits Anfang<br />
der 1990er Jahre in Theorie und Praxis verschiedene Ansätze zur identitätsorientierten<br />
Markenführung entwickelt. Sie wurden vor allem durch<br />
Arbeiten von Aaker13 und Kapferer14 geprägt. Allen gemeinsam sind die<br />
zentrale Bedeutung der Identität der Marke und die Idee, dass die Kaufverhaltensrelevanz<br />
einer Marke grundlegend auf eine starke Markenidentität<br />
zurückgeführt wird. 15 Durch die Gestaltung einer Identität werden der Marke<br />
Orientierung, Zweck und Bedeutung zugewiesen. Nach Aaker besteht die<br />
Markenidentität aus dem Identitätskern sowie einer erweiterten Markenidentität.<br />
Der Kern entspricht dem zentralen zeitlosen Wesen der Marke, die<br />
erweiterte Identität bezieht sich auf temporäre Anpassungen in Zusammenhang<br />
mit der Verwendung des Konzeptes in neuen Absatzmärkten oder bei<br />
neuen Produkten. 16<br />
Unter der Marke als Produkt werden zum Beispiel Anwendungsbereiche<br />
oder Verwendungsmöglichkeiten aber auch das Herkunftsland betrachtet.<br />
Die Marke als Organisation beschreibt Attribute, die mit dem Unternehmen<br />
(z.B. lokal versus global ausgerichtet) in Zusammenhang gebracht werden.<br />
Markenpersönlichkeiten und -beziehungen charakterisieren die Marke als<br />
Person und alle sichtbaren bildlichen Elemente die Marke als Symbol wie<br />
10 Vgl. Adjouri 2002, S. 89.<br />
11 Vgl. ebd., S.100.<br />
12 Vgl. ebd., S.104.<br />
13 Vgl. Monographie Aaker 1996.<br />
14 Vgl. Monographie Kapferer 1992.<br />
15 Vgl. Meffert/Burmann 2002a, S. 31.<br />
16 Vgl. Aaker 1996, S.68.
334<br />
z.B. die Markenhistorie. Aus diesen vier Kategorien bilden sich in der Regel<br />
die drei Identitätskreise.<br />
Der Ansatz von Meffert und Burmann unterscheidet sich von den Überlegungen<br />
Aakers in der Hinsicht, dass sie dem Selbstbild der Marke17 ein<br />
Fremdbild gegenüberstellen. Das Aussagekonzept der Marke wird durch das<br />
Unternehmen gestaltet, während ein Akzeptanzkonzept die Sichtweise der<br />
Konsumenten widerspiegeln soll. Diese beiden Konzepte beeinflussen sich<br />
wechselseitig. So wird die absatzmarktbezogene Sichtweise mit einer innengerichteten<br />
Perspektive verbunden. Die Verbindung führt dazu, dass sich die<br />
Markenidentität als Wechselwirkung zwischen internen (Selbstbild der Marke)<br />
und externen (Fremdbild der Marke) Anspruchsgruppen bildet und eine<br />
spezifische Persönlichkeit zum Ausdruck bringt18 , die umso stärker ist, je<br />
mehr Selbst- und Fremdbild übereinstimmen. Angestrebt wird die bestmögliche<br />
Übereinstimung von Selbst- und Fremdbild der Markenidentität,<br />
um das Vertrauen der Konsumenten in die Marke zu erhöhen.<br />
Innerhalb der Markenidentität zeigen nun die Forschungsergebnisse von<br />
Blinda, dass die Basis der Markenidentität die Herkunft der Marke darstellt<br />
(siehe auch Abbildung 2): Auf dieser bauen demnach die Kompetenzen, die<br />
Werte, die Persönlichkeit, die Vision und die Leistungen einer Marke auf.<br />
Die Markenherkunft übt zudem einen direkten als auch indirekten Einfluss<br />
auf diese Komponenten der Markenidentität aus. Darüber hinaus beeinflusst<br />
die Markenherkunft das Markenimage und die Entscheidung der Konsumenten<br />
für ein Gut. Die hohe Relevanz begründet sich dadurch, dass eine<br />
Marke von externen wie auch internen Zielgruppen zunächst im Kontext<br />
ihres Urspungs wahrgenommen und interpretiert wird.<br />
17 Das Selbstbild der Markenidentität ähnelt dem Ansatz Aakers, die Komponenten der<br />
Markenidentität werden teils anders operationalisiert. Für die detaillierte Betrachtung sei<br />
auf die Literatur verwiesen. Vgl. Meffert/Burmann 2002b, S. 35-72.<br />
18 Vgl. ebd, S. 47.
Interne Zielgruppe Externe Zielgruppe<br />
Markenidentität Markenimage<br />
Markenpersönlichkeit<br />
Markenwerte<br />
Markenvision<br />
Art der Markenleistungen<br />
(Kern-)Kompetenzen der Marke<br />
Markenherkunft<br />
Positionierung<br />
Glaubwürdigkeit<br />
Symbolischer Nutzen<br />
der Marke<br />
Funktionaler Nutzen<br />
der Marke<br />
Markenmerkmale<br />
(Marken-. Käufer-,<br />
Verwendereigenschaften)<br />
Markenbekanntheit<br />
Abb. 2 Komponenten der Markenidentität und des Markenimage<br />
Quelle: Blinda 2003, S. 27.<br />
335<br />
Blinda definiert die Markenherkunft wie folgt: „Die Markenherkunft stellt<br />
die Gesamtheit aller geographischen, kulturellen und institutionellen Einflüsse<br />
dar, die festlegen von wo, wem oder was eine Marke entstammt.“ 19<br />
Ich möchte mich in meinem Beitrag dieser Definition anschließen.<br />
Im Folgenden werden die Explikationsmodelle der Markenherkunft bis zum<br />
aktuellen Forschungsstand reflektiert und diskutiert.<br />
3.2 State of the Art der Markenherkunftsforschung<br />
Zunächst werden drei bekannte Modelle vorgestellt und auf ihre Stärken und<br />
Schwächen analysiert. Anschließend wird das aktuelle Herkunftsverständnis<br />
dargestellt, mit welchem alle Einflüsse der Markenherkunft erklärt werden<br />
19 Vgl. Blinda 2003, S. 39, auch zu konkreten Zusammenhängen der Markenherkunft auf die<br />
anderen Markenkomponenten, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann.
336<br />
sollen. Die folgenden Ausführungen geben die in diesem Zusammenhang<br />
zentralen Forschungsergebnisse von Blinda 20 in geraffter Form wieder.<br />
3.2.1 Country of Origin-Ansatz (COO)<br />
Der Country of Origin-Ansatz setzt an der Produktebene an. Mittels des<br />
Ansatzes können die Produkte bestimmten Ländern zugeordnet werden. Das<br />
bedeutet, dass die Produkte anhand stereotypischer Eigenschaften und/oder<br />
Kompetenzen mit einzelnen Ländern assoziativ in Verbindung stehen. Als<br />
Beispiel kann Frankreich genannt werden, das für guten Wein steht oder<br />
auch Russland, dem man hohe Kompetenzen in der Kaviarherstellung zuschreibt.<br />
Aber hier enden auch schon die möglichen Vorteile dieses Ansatzes.<br />
Durch die Vielzahl von Schwächen, die dieser Ansatz birgt, ist er nur<br />
sehr beschränkt nutzbar, um die Herkunft einer Marke zu erklären. Nachteile<br />
sind, dass mit der Betrachtungsweise und Zuordnung nicht erklärt werden<br />
kann, warum beispielsweise Autos in einem bestimmten Land produziert<br />
werden, ihre Eigenschaften aber eine andere Herkunft implizieren (sollen)<br />
(z.B. der PKW Fox der Marke VW, der in Brasilien produziert wird, aber als<br />
deutsches Auto gilt). Ein weiterer Nachteil dieses Ansatzes ist, dass er seinen<br />
Untersuchungsfokus nicht auf die Markenebene, sondern ausschließlich<br />
auf die Produktebene richtet. Somit können keine einzelnen Marken, sondern<br />
nur eine Produktgruppe erklärbar gemacht werden. Nachteilig ist außerdem,<br />
dass nur die nationale Herkunftsebene betrachtet wird. Es kann nicht zwischen<br />
verschiedenen Regionen eines Landes unterschieden werden. Zudem<br />
muss an diesem Ansatz kritisiert werden, dass er keine Erklärung für kulturelle<br />
oder institutionelle Einflüsse abbildet. Die kontinuierlich voranschreitende<br />
Globalisierung und die immer stärker werdende Homogenität der Güter<br />
lässt diesen Ansatz veraltet erscheinen.<br />
3.2.2 Brand Origin-Ansatz (BO)<br />
Der Brand Origin-Ansatz stellt in mehrfacher Hinsicht eine Weiterentwicklung<br />
des Country of Origin-Ansatzes dar: Die Betrachtungsweise ist von der<br />
Produkt- zur Markenebene hin verändert. Somit stehen jetzt einzelne Marken<br />
im Vordergrund und nicht weiterhin die Produktgruppen. Darüber hinaus<br />
wird die Herkunftsebene genauer. Das heißt, die Marke kann nicht nur dem<br />
Land, sondern auch einer Region oder einem Ort zugewiesen werden. Die<br />
20 Vgl. ebd., S. 40 ff.
337<br />
Integration von Herkunftshinweisen beeinflusst nun das Markenimage. Im<br />
Gegensatz dazu nahm bei dem COO-Ansatz das Länderimage Einfluss auf<br />
die Qualitätsbewertung der Produkte. Ein weiterer wichtiger Punkt bei dem<br />
BO-Ansatz ist, dass die Konsumentenwahrnehmung in den Vordergrund<br />
rückt. Hierbei ist nun nicht der eigentliche Produktionsort der Marke wichtig,<br />
sondern wie der Konsument die Markenherkunft wahrnimmt. Somit kann<br />
erklärt werden, warum z.B. der New Beatle der Marke VW von Volkswagen<br />
als deutsches Auto wahrgenommen wird, obwohl der eigentliche Produktionsstandort<br />
Mexiko ist. Beispielsweise werden die Produkte des schwedischen<br />
Konzerns IKEA als typisch schwedisch wahrgenommen, obwohl mittlerweile<br />
93% der Produkte außerhalb Schwedens produziert werden. 21 Mit<br />
dem Country of Origin-Ansatz wäre diese Beobachtung nicht erklärbar.<br />
Allerdings weist dieser Erklärungsversuch auch Schwächen auf, die Lücken<br />
entstehen lassen: Brand Origin bezieht sich nur auf die geographische Herkunft<br />
einer Marke, lässt aber die kulturelle und institutionelle Herkunft einer<br />
Marke weiterhin außer Acht. Die Sichtweise des Konsumenten spielt nach<br />
diesem Verständnis eine übergeordnete Rolle. Durch die Sichtweise oder<br />
Wahrnehmung der Herkunft eines Produktes durch den Konsumenten spielt,<br />
wie am IKEA-Beispiel gezeigt, die tatsächliche Herkunft keine Rolle. Für<br />
die identitätsbasierende Markenführung hat die tatsächliche Herkunft aber<br />
eine nicht zu vernachlässigende Relevanz.<br />
3.2.3 Culture of Brand Origin-Ansatz (CBO)<br />
Der Culture of Brand Origin-Ansatz bezieht im Gegensatz zu den beiden<br />
anderen Explikationen auch die kulturelle Herkunft einer Marke mit ein. Da<br />
es sich um eine Weiterentwicklung des BO-Ansatzes handelt, sind Zusammenhänge<br />
gegenüber dem ersten Ansatz zu erkennen. Dieses Markenherkunftsverständnis<br />
geht davon aus, dass die Konsumenten aufgrund internationaler<br />
Unternehmensaktivitäten Probleme damit haben, einzelne Länder als<br />
das Herkunftsland bestimmter Marken zu identifizieren. Weiterhin geht es<br />
davon aus, dass der Konsument stattdessen die kulturelle Herkunft als ein<br />
wesentliches Herkunftsmerkmal einer Marke identifiziert. Als Beispiel kann<br />
die Biermarke BECK´S angeführt werden. BECK`S gilt in den USA als<br />
deutsches Bier. Das Bier repräsentiert eigentlich das Land Deutschland und<br />
nicht dessen Kultur. Viele Amerikaner setzen jedoch Deutschland mit der<br />
21 Vgl. IKEA 2006, S. 14.
338<br />
Region Bayern und mit dessen Kultur und/oder Traditionen gleich. Dieses<br />
macht sich der Braukonzern InBev zunutze, in dem sie jedes Jahr zur Zeit<br />
des Oktoberfestes in den USA ein BECK´S Oktoberfestbier anbietet (vgl.<br />
Abbildung 3). Bei diesem Beispiel versucht die Marke BECK´S einen kulturellen<br />
Hinweis, in diesem Fall auf die bayerische Kultur, in ihr Markenbild<br />
mit einzubauen. Wiederum wird anhand dieses Falls deutlich, dass nicht die<br />
tatsächliche (geographische) Herkunft eine Rolle spielt, sondern erneut die<br />
Sichtweise des Konsumenten. Es handelt sich folglich wieder um einen<br />
imageorientierten Ansatz. Auch bei diesem Erklärungsversuch werden keine<br />
institutionellen Herkunftsmerkmale berücksichtigt. In diesem Kontext existiert<br />
eine klare Trennung zwischen der regionalen und der kulturellen Herkunft.<br />
Eine große Zahl von Konsumenten aber betrachten die Kultur und das<br />
Land als Einheit und nehmen keine Trennung vor.<br />
Abb. 3 Etikett Oktoberfestbier von BECK´S in den USA<br />
Quelle: InBev 2006a.
339<br />
3.2.4 Brand Identity Origin-Ansatz (BIO)<br />
Die drei oben grob skizzierten Ansätze erscheinen aufgrund der Kritikpunkte<br />
nicht vollkommen geeignet für die vorher aufgeführte Definition der Markenherkunft.<br />
Abhilfe bietet nach aktuellem Stand der Forschung der Brand<br />
Identity Origin- Ansatz. Mithilfe dieses Erklärungsversuchs gelingt es<br />
BLINDA auch die institutionellen Einflüsse auf die Markenherkunft mit einzubringen.<br />
Dies ist in den Ansätzen zuvor nicht gelungen. In der folgenden<br />
Abbildung 4 sieht man nun eine gute Zusammenfassung des Brand Identity<br />
Origin-Ansatzes und seiner Bereiche. Das Brand Identity Origin-Modell<br />
vereint somit alle drei Herkunftsmerkmale (kulturelle, institutionelle und<br />
geographische Merkmale) der vorhergehenden Erklärungsansätze zur Markenherkunft<br />
in sich. Hiermit ist es möglich, die Herkunft einer Marke und<br />
die Auswirkungen des Herkunftseffekts auf die Marke umfassend zu greifen<br />
und zu untersuchen.<br />
Geographische Herkunft<br />
Ressourcen und Kompetenzen<br />
Land Region Ort<br />
Unternehmenskompetenzen<br />
Konzernzugehörigkeit<br />
Ressourcen und Kompetenzen<br />
Brand Identity Origin-<br />
Ansatz<br />
Unternehmensmitarbeiter<br />
Institutionelle Herkunft<br />
Abb. 4 Übersicht Brand Identity Origin-Ansatz<br />
Quelle: Blinda, 2003 S. 27.<br />
Kulturelle Herkunft<br />
Geschichte Werte, Normen der<br />
Bevölkerung<br />
Unternehmenshistorie<br />
Unternehmenskultur
340<br />
4 Abstraktion von regionalen Markenstrategien anhand<br />
von Beispielen aus der Metropolregion Bremen-<br />
Oldenburg<br />
4.1 Methodik und Datensammlung<br />
Aufbauend auf den vorherigen Grundlagenkapiteln wird nun ein Transfer der<br />
theoretischen Ergebnisse auf Praxisbeispiele aus der Metropolregion Bremen-Oldenburg<br />
vorgenommen. Hieraus sollen induktiv allgemeine praktisch-konzeptionelle<br />
Implikationen respektive eine weitergehende Systematisierung<br />
für die regionale Markenführung abgeleitet werden. Es werden dabei<br />
die Aussagen- und Argumentationskonzepte der Dachmarke EWE mit den<br />
Regionaltochtermarken EWE TEL und nordcom des EWE-Konzerns (Oldenburg),<br />
der Dachmarke Rügenwalder Mühle der Carl Müller GmbH Co.<br />
KG Wurstfabrik (Bad Zwischenahn) und der Regionalmarke Haake-Beck<br />
des InBev-Konzerns (Bremen) systematisch untersucht und strukturiert. Im<br />
Fokus stehen folgende zentrale Fragen:<br />
− Welchen Geltungsbereich hat die Marke?<br />
− Was sind die wichtigsten Argumentationsstränge in der<br />
Kommunikation? Wie werden die Marken positioniert?<br />
− Wie ist der Stil/die Tonalität der Kommunikation?<br />
Dabei wurde bei der Datensammlung neben den Quellen Mitarbeiterzeitungen<br />
und Fach-/Presseartikel maßgeblich auf den Internetauftritt und die Mediendatenbank<br />
der Unternehmen zurückgegriffen.<br />
4.2 Fallbeispiele des EWE-Konzerns: EWE, EWE TEL und nordcom<br />
4.2.1 EWE<br />
„Als fünftgrößtes deutsches Energieunternehmen ist EWE in der Ems-Weser-Elbe-Region,<br />
in Brandenburg, auf der Ostseeinsel Rügen und in Westpolen<br />
tätig. Der EWE-Konzern bietet ein breites Spektrum an Dienstleistungen<br />
rund um Strom, Erdgas, Telekommunikation, Informationstechnologie
341<br />
und Umwelt. Zum Konzern gehören neben der EWE AG mit Hauptsitz in<br />
Oldenburg weitere Tochter- und Beteiligungsunternehmen22 . Der EWE-<br />
Konzern beschäftigt mehr als 5 400 Mitarbeiter und setzte im Geschäftsjahr<br />
2005 7,4 Mrd. Euro um. Eigentümer der EWE AG sind die Landkreise und<br />
Städte zwischen Ems, Weser und Elbe über den Ems-Weser-Elbe Versorgungs-<br />
und Entsorgungsverband. (…) EWE gehört zu den großen Unternehmen<br />
in der Region und trägt deshalb Verantwortung nicht nur als Energiedienstleister,<br />
sondern auch als bedeutender Arbeitgeber, Auftraggeber,<br />
Investor und Partner der Kommunen und Landkreise. Gegen den Trend<br />
schafft EWE neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze und bildet über den eigenen<br />
Bedarf hinaus aus. Mehr als 200 Jugendliche absolvieren im Konzern eine<br />
gewerblich-technische oder kaufmännische Berufsausbildung. Auch gesellschaftlich<br />
übernimmt EWE Verantwortung und fördert sinnvolle Aktivitäten,<br />
attraktive Veranstaltungen und talentierte Menschen in und aus der Region.<br />
Die EWE Stiftung unterstützt weitere Projekte aus Kunst und Kultur, Wissenschaft<br />
und Forschung, Bildung und Erziehung.“ 23<br />
Mit diesen einleitenden Worten stellt sich der EWE-Konzern auf seiner Internetpräsenz<br />
vor. Dabei wird sofort deutlich, dass die Regionalität neben<br />
Versorgungssicherheit durch ein hochwertiges Leitungsnetz sowie Kunden-,<br />
Familien-, Mitarbeiter- und Umweltorientierung zentraler Bestandteil der<br />
Markenidentität der Dachmarke EWE ist. Hier werden geographische, kulturelle<br />
als auch institutionelle Markenherkünfte eingesetzt, um die Dachmarke<br />
EWE regional aufzuladen. Im EWE-Leitbild steht die Region sogar auf gleicher<br />
Höhe neben Kunden, Markt und Mitarbeiter. 24<br />
Auch in der übrigen Markenkommunikation finden sich eindeutige Hinweise<br />
im Aussagen- und Argumentationskonzept darauf, dass die Dachmarke EWE<br />
auf ihre regionale Markenherkunft hinweist (im hier geltenden Verständnis<br />
von Brand Identity Origin). Die folgende Abbildung 5 gibt einen Einblick<br />
über die aktuelle Imagekampagne anlässlich des 75-jährigen Firmenjubiläums<br />
von EWE.<br />
22 u.a. IuK-Töchter EWE TEL und nordcom (Anmerkung J.H.)<br />
23 EWE 2006a.<br />
24 Vgl. EWE 2006b.
342<br />
Positionierungsargument Tradition/Historie Positionierungsargument Sicherheit<br />
Positionierungsargument Norddeutschland Positionierungsargument Nähe<br />
Abb. 5 Imagekampagne Print EWE 2005: „In der Region <strong>–</strong> für die Region!“ 25<br />
Quelle: EWE 2006c.<br />
Die Positionierungsargumente in der regionalen Markenführung spiegeln<br />
sich in der Dachmarke EWE idealtypisch wider: Tradition/Historie, Sicherheit,<br />
Norddeutschland/Heimat, Nähe/Geborgenheit sowie Leistungsfähigkeit,<br />
Innovation und Nachhaltigkeit. Zu diesem Zweck wird zwischen dem Regionenimage<br />
und dem Leistungsbündel eine Passung hergestellt, indem die<br />
Facetten der norddeutschen Region „energiegeladen“ dargestellt werden<br />
(Wind, Wasser, Sonne und Umwelt). Hierdurch ist im Akzeptanzkonzept der<br />
Marke eine Markentonalität angelegt, die einen positiven symbolisch-emotionalen<br />
Imagetransfer der natürlichen Umweltressourcen auf die Versorgung<br />
mit Strom, Erdgas, Wasser und IT-Lösungen beim Konsumenten vorbereitet.<br />
Das Gelingen dieser Irradiation gilt zweifelsohne als eine notwendige Voraussetzung<br />
zur regionalen Aufladung von Marken in der Kommunikation.<br />
Abgerundet wird diese regionale Markenidentität einerseits durch die Förderung<br />
von erdgasbetriebenen Fahrzeugen und die EWE-NaturWatt GmbH.<br />
25 Vernachlässigt wird an dieser Stelle die Darstellung der Imagekampagne für die Region<br />
Brandenburg/Rügen Nord-Vorpommern.
343<br />
Seit 1998 liefert EWE-NaturWatt ausschließlich Strom aus Sonne, Wind und<br />
Wasser für gut zwei Euro mehr im Vergleich zum allgemeinen Tarif. Andererseits<br />
wird mit einem Demarketing-Ansatz 26 auf die Schonung der natürlichen<br />
und finanziellen Ressourcen hingewiesen: Das EWE-Energie-Sparbuch<br />
für Verbraucher bietet dafür zahlreiche Tipps zum Energiesparen.<br />
Eine im Frühjahr 2005 durchgeführte Markenstudie 27 kam zu dem Ergebnis,<br />
dass die Dachmarke EWE als sehr vertraut und nah am Kunden wahrgenommen<br />
wird. Diese Nähe werde vor allem durch zahlreiche EWE-Service-<br />
Punkte in der Region, durch die seit Anfang des Jahres 2006 an alle Haushalte<br />
im EWE-Gebiet verteilten EWE-Infobriefe sowie eine Vielzahl von<br />
Sponsoringaktivitäten im Bereich Kultur, Sport, Bildung und Wissenschaft<br />
erzielt (vgl. Abbildung 6). Die meisten Kunden schätzten diese Aktivitäten,<br />
würden ihren Förderungsgedanken für die Region erkennen und dankten es<br />
dem Unternehmen mit einer positiven Markenbewertung. EWE wird sogar in<br />
Zukunft noch intensiver als bisher den Kunden in den Fokus aller Überlegungen<br />
mit einer Neuausrichtung der Marketing- und Vertriebsstrategie<br />
stellen. 28 Darunter fiele z.B. ein strategisches Vertriebssteuerungskonzept,<br />
welches es erlauben soll, noch effektiver auf Privat- und Geschäftskunden<br />
akquisitorisch und bindend zuzugehen. Den unterschiedlichen Bedürfnissen<br />
beider Geschäftsbereiche solle somit mehr Rechnung getragen werden.<br />
26 Das Demarketing zielt auf eine Reduzierung der Nachfrage nach bestimmten Gütern ab<br />
(z.B. Tabakwaren, Rohöl oder Strom).<br />
27 Vgl. EWE 2006d, S. 14 u.15.<br />
28 Vgl. EWE 2006e, S. 6-8.
344<br />
Kundenorientierung/-information<br />
(Bsp. u.a. ServicePunkte und Infobrief)<br />
Soziales Engagement<br />
Sucht- und Gewaltprävention in Schulen<br />
(EWE-Cup)<br />
Kultur<br />
(Bsp. Filmfest Oldenburg)<br />
Sport<br />
(Bsp. u.a. [Spitzen]-Sportler im<br />
Bereich Segeln, Surfen,<br />
Basketball [EWE-Baskets],<br />
Handball sowie Kinderfußball)<br />
Wissenschaft<br />
(Bsp. Trendforum<br />
Interne Kommunikation)<br />
Nachhaltigkeit<br />
(Bsp. u.a. EWE-NaturWatt, Förderung von<br />
Erdgasfahrzeugen u. Energiesparbuch)<br />
Abb. 6 Auswahl von Präsenz und Förderung in der Region<br />
Quelle: EWE 2006f, Hunte Report 2006, S. 11 und eigene.
345<br />
4.2.2 EWE TEL und nordcom<br />
Analog zur Muttermarke EWE haben sich die IuK29-Tochtermarken EWE<br />
TEL und nordcom ähnlich markenstrategisch regional aufgestellt.<br />
„Die EWE TEL GmbH ist der junge Telekommunikations-Dienstleister mit<br />
Sitz im Nordwesten. Das 100-prozentige Tochterunternehmen der EWE<br />
Aktiengesellschaft ist mit einem klaren Ziel angetreten: schneller, besser und<br />
näher zu sein. Schneller bei den Kunden, besser in den Lösungen und näher<br />
an den Bedürfnissen der Menschen in der Region. Gestartet im September<br />
1996 ist EWE TEL mit 910 Mitarbeitern heute ein wichtiger Arbeitgeber in<br />
der Region. Zu EWE TEL gehört auch die starke Bremer Marke nordcom30<br />
.“ 31<br />
Bei der Gründung der EWE TEL GmbH 1996 ging es vor allem darum, für<br />
einen vollständigen Telekommunikationswettbewerb in einer Region zu<br />
sorgen, in der andere Telekommunikations-Unternehmen vielleicht erst spät<br />
oder auch gar nicht investiert hätten. 32Aufbauend auf dem Steuerungs- und<br />
Überwachungsnetz der Strom- und Gasleitungen der EWE konnte schon<br />
damals auf ein eigenes Netz zurückgegriffen werden, das bis heute stetig<br />
ausgebaut wird. An diesem Ansatz der Dynamik und Schnelligkeit nach der<br />
Liberalisierung des Telekommunikations-Marktes entfaltet sich ein besonderes<br />
regionales Alleinstellungsmerkmal: Wir tun Gutes für die Region. Produktpolitisch<br />
drückt sich die regionale Verbundenheit z.B. durch den Telefontarif<br />
„Hallo Nachbar“ aus, der mittlerweile auch markenübergreifend<br />
kostenfreie Gespräche zwischen EWE TEL- und nordcom-Kunden ermöglicht.<br />
Im Gegensatz zum Wettbewerb wurde damit ein besonders einfaches<br />
und transparentes Tarifmodell entwickelt und kommuniziert. Das Engagement<br />
für die Region zeigt sich u.a. in dem Sponsoring für den Fußballverein<br />
SV Werder Bremen, dem Evangelischen Krankenhaus in Oldenburg, den<br />
EWE TEL Speedy´s und zahlreichen anderen geförderten Institutionen (vgl.<br />
Abbildung 7). Bei der Analyse der EWE TEL-Kommunikationsinhalte fiel<br />
insgesamt jedoch auf, dass die Marke mit Regionalität nicht in dem Maß<br />
29 IuK = Information- und Kommunikationstechnologie.<br />
30 Hinzu kommen im Portfolio noch die regionalen Marken BREKOM, osnatel, htp und<br />
teleos.<br />
31 EWE TEL 2006a.<br />
32 Vgl. EWE TEL 2006b, S. 2. Allein in dieser kurzen Zielformulierung wird zweimal ein<br />
regionaler Bezug hergestellt.
346<br />
aufgeladen ist, wie es bei der Marke EWE der Fall ist. Aus markenstrategischer<br />
Sicht erscheint eine Verstärkung der Betonung auf die regionale Ausrichtung<br />
der Marke EWE TEL empfehlenswert, gerade wenn für die Zukunft<br />
folgendes Ziel definiert ist: „EWE TEL wird sicher weiter eine Vorreiterrolle<br />
in der regionalen Telekommunikations-Branche einnehmen; längerfristig<br />
verfolgen wir das Ziel, die Telekom zu überholen und stärkster Anbieter in<br />
der Region zu werden.“ 33<br />
Hallo Nachbar-Tarif<br />
(kostenfreies Telefonieren<br />
zwischen EWE TEL-Kunden,<br />
auch markenübrgreifend zu<br />
nordcom-Kunden)<br />
Positionierungsargument:<br />
Vertrauen und Nähe<br />
Relaunch Oktober 2006<br />
(Logo jetzt in Bremer<br />
Landesfarben rot und weiß)<br />
Sponsoring (Bsp. u.a. SV Werder Bremen) EWE TEL Speedy´s beim<br />
Drachenbootrennen<br />
vermittelt durch<br />
besseren<br />
Kundenservice<br />
und<br />
Engagement in<br />
Bremen<br />
Neue Shopgestaltung<br />
(ebenfalls in Bremer<br />
Landesfarben rot und weiß<br />
mit Stehplatzberatung u.<br />
Infodisplays für mehr<br />
Kundennähe)<br />
EWE TEL<br />
nordcom<br />
Sponsoring<br />
(u.a. Bremen Roosters<br />
[Basketball] und Viertelfest)<br />
Abb. 7 Einblick in die regionale Verankerung von EWE TEL und nordcom<br />
Quelle: EWE TEL 2006c, S. 4, 6, 12 u. 13, Pressehaus Bremen und eigene.<br />
Die regionale Bremer und Bremerhavener Marke nordcom 34 bekam im Oktober<br />
2006 sogar aus Gründen einer stärkeren regionalen Aufwertung ein<br />
neues Gesicht. Das Corporate Design wurde verändert. Aus der bisherigen<br />
Erkennungsfarbe blau/sand wurde ein rot/weiß. Somit finden sich nun auch<br />
33 EWE TEL 2006d, S. 5.<br />
34 Der Markenname allein macht den regionalen Geltungsbereich schon deutlich.
347<br />
die Bremer Landesfarben in dem neuen Markenauftritt (vgl. Abbildung 7).<br />
Alles in allem sollte mehr Dynamik und regionale Verbundenheit in den<br />
Bremer Markt gebracht werden. Sogar in den Shops wurden dafür die Sitzgelegenheiten<br />
in der Beratung durch Stehtische abgelöst und mehr Möglichkeiten<br />
der Kundeninformation auf großflächigen Displays an den Wänden<br />
geschaffen. Die Positionierungsargumente, die hinter diesem Markenrelaunch<br />
stecken, sind mehr Nähe und Vertrauen, um auf dem Bremer Markt<br />
der Lokalmatador in der Telekommunikation zu werden. Hierfür bekam die<br />
Marke nordcom eine deutlich symbolisch-emotionalere Markenidentität nach<br />
dem Identity Brand Origin-Ansatz: Eine Marke, die zu Bremen gehören soll.<br />
Der neue Claim unterstreicht diesen tieferen regionalen Anspruch: „Vertrauen<br />
verbindet.“ In der Relaunchkampagne heißt es: „Darüber spricht ganz<br />
Bremen: die neue nordcom und Ihre Leistungen!“ 35 Die auch bisher in Bremen<br />
präsente Marke EWE TEL (Shops, etc.) wurde dafür mehr in der Kommunikation<br />
nach außen auf dem Bremer Markt zurückgenommen. Die Rollenverteilung<br />
der Marken im EWE- Markenportfolio wurde dadurch für<br />
mehr Durchschlagskraft am Markt konsistenter. 36 nordcom bietet zudem<br />
seine Leistungspakete zu geringen Preisen am Bremer Markt an.<br />
4.3 Fallbeispiel Haake-Beck<br />
„Ein weiter Horizont, klare Konturen und eine frische Brise <strong>–</strong> erleben Sie die<br />
Ursprünglichkeit des Nordens! Hier kommt man zur Ruhe, kann sich zurücklehnen<br />
und den Augenblick genießen. Haake Beck <strong>–</strong> das ist der Genuss<br />
des Nordens: ehrlich, offen und frisch. Entdecken Sie den Geschmack einer<br />
Landschaft, die so ehrlich ist wie ihre Menschen. Ein Geschmack, den man<br />
kennt und den man mag. Trotzdem kommt keine Langeweile auf, denn das<br />
Angebot von Haake-Beck ist so individuell und einzigartig wie die Menschen<br />
im Norden. Was sie verbindet, ist der Genuss...“. 37<br />
Mit dieser Aussage stellt das Unternehmen InBev Deutschland (Bremen)<br />
seine regionale Biermarke Haake-Beck im Rahmen einer neuen Kampagne<br />
seit Mai 2006 vor und positioniert sie damit als ein „echtes“ Urgestein aus<br />
35 nordcom 2006.<br />
36 Vgl. dazu auch allgemein zur konsistenten Markenportfolioplanung Raabe 2004,<br />
S. 853-877.<br />
37 InBev 2006b.
348<br />
dem Norden in einzigartiger „Steinie“-Flasche mit den Markenwerten Echtheit,<br />
Ehrlichkeit und Authentizität (vgl. Abbildung 8). 38<br />
Auch dieses eher in Bezug auf Tonalität emotional als funktional angelegte<br />
Aussagen- und Argumentationskonzept der Marke macht deutlich, dass<br />
Norddeutschland mit seiner Kultur und seinen Institutionen die Markenherkunft<br />
zentral prägen (entsprechend dem Brand Identity Origin-Ansatz). So<br />
greift die Marke im Rahmen von vielen speziellen Events den Torfkahn oder<br />
die Weser auf (vgl. Abbildung 8).<br />
Event<br />
Haake-Beck-<br />
BadeinselRegatta®<br />
auf der Weser<br />
Kampagne „Echt“<br />
Positionionierungsargumente:<br />
Echtheit, Ehrlichkeit und Authentizität<br />
Abb. 8 Kampagne der Regionalbiermarke Haake-Beck<br />
Quelle: InBev 2006a u. 2006b, S. 26.<br />
Sponsoring des regionalen<br />
Sympatieträgers SV Werder Bremen<br />
Event<br />
Haake-Beck-<br />
TorfkahnRennen®<br />
an Land<br />
Auch ist die Marke auf vielen bekannten Festen in Norddeutschland präsent,<br />
wie z.B. auf dem Stoppelmarkt in Vechta, den Stadtfesten in Aurich und<br />
Oldenburg sowie dem Brokser Heiratsmarkt in Bruchhausen-Vilsen oder<br />
dem Freimarkt Bremen.<br />
38 Vgl. InBev 2006c, S. 26.
349<br />
4.4 Fallbeispiel Rügenwalder Mühle<br />
Die Rügenwalder Mühle ist eine nationale Dachmarke, unter der deutschlandweit<br />
verschiedene Monomarken vertrieben werden: Rügenwalder Teewurst,<br />
Schinkenspicker, Pommersche und Pommern Spiess (vgl. Abbildung<br />
9). Die Marke gehört zu der Klasse der Konsumgüter. Die Wurzeln des Unternehmens<br />
befinden sich in Rügenwalde, einem kleinen Ort in Pommern.<br />
Dort wurde 1834 der Betrieb „Rügenwalder Mühle“ von Carl Müller gegründet.<br />
Sein Sohn entwickelte schließlich 1903 die bekannte Streichmettwurst.<br />
39 Bis 1945 konnte sich in Rügenwalde eine Fleischwarenindustrie<br />
etablieren, deren bekanntestes Produkt die Teewurst war. 1927 wurde der<br />
Begriff Rügenwalder Teewurst als geographische Herkunftsbezeichnung<br />
rechtlich geschützt. Nach dem zweiten Weltkrieg begann sich der Betrieb in<br />
Niedersachsen neu anzusiedeln: 1946 erst in Westerstede, dann 1956 in Bad<br />
Zwischenahn, wo das Unternehmen bis heute produziert. Mit einem Umsatz<br />
von 135 Millionen Euro (2005) ist die Rügenwalder Mühle einer der größten<br />
Arbeitgeber in der Region neben EWE. Rund 400 Beschäftigte arbeiteten<br />
Ende 2005 für Rügenwalder. 40<br />
Diese Unternehmenshistorie macht deutlich, dass die Markenidentität der<br />
Marke Rügenwalder Mühle stark durch ihre geschichtliche Markenherkunft<br />
geprägt ist. Das Unternehmen beruft sich heute noch auf seine Wurzeln und<br />
bewirbt seine Historie, damit es sich von anderen Fleischfabrikanten durch<br />
regionale Aufladung der Marken distanzieren und absetzen kann.<br />
In der Markenkommunikation finden sich dementsprechend deutliche Hinweise<br />
darauf, dass Rügenwalder kontinuierlich auf seine Historie hinweist.<br />
Nimmt man z.B. die Fernsehspots, so kann man in jedem dieser Spots deutliche<br />
Beispiele regionaler Aufladung erkennen. So ist die „Rügenwalder Mühle“<br />
im Mittelpunkt der Werbung (vgl. Abbildung 9): Es wird eine typisch<br />
ländliche und idyllische Landschaft in der Markenkommunikation mit aufgenommen,<br />
in der die Menschen außerdem historische Landkleidung tragen.<br />
Diese ländliche, natürliche Umgebung, die mit dem Ort Rügenwalde in Verbindung<br />
gebracht wird, soll dem Konsumenten Vertrauen in die Marke geben<br />
<strong>–</strong> in die gute heile Welt von früher. Das natürliche und ländliche Umfeld<br />
wird in der Kommunikation betont und soll auf das Produkt übertragen wer-<br />
39 Vgl. Rügenwalder 2006.<br />
40 Vgl. Gerber 2006, S. 36.
350<br />
den, damit der Konsument automatisch Qualität und Natürlichkeit mit dieser<br />
Marke assoziiert. Dies wird mit dem Hinweis auf die lange Tradition des<br />
Unternehmens verstärkt. Hier werden also auch bewusst geographische,<br />
kulturelle und auch institutionelle Markenherkünfte symbolisch-emotional<br />
vermischt und genutzt, um die Marke regional aufzuladen.<br />
Dachmarkenstrategie<br />
Bsp. für Innovation<br />
Posititionierungsargumente: von natürlich und traditionell über hausgemachte Qualität bis hin zur heilen Welt<br />
und den schönen Kindheitserinnerungen an die „gute, alte Zeit“ in „Rügenwalde“<br />
Abb. 9 Markenstrategie und -kommunikation Rügenwalder Mühle<br />
Quelle: Rügenwalder 2006, Absatzwirtschaft 2003, S. 78, Gerber 2006,<br />
S. 37 und Lebensmittelzeitung 2006, S. 1.<br />
Eine weitere Bestätigung findet sich auf der Internetpräsenz des Unternehmens<br />
und mit Blick auf die Verpackungsgestaltung. Auch hier wird bewusst<br />
mit der Geschichte und der Qualität des Unternehmens geworben. Die „Rügenwalder<br />
Mühle“ ist überall deutllich als Key Visual zu erkennen. Sie<br />
transportiert neben der regionalen Verortung ins idyllischen Rügenwalde als<br />
„heile Welt-Dorf von früher“ zugleich das Positionierungsargument einer<br />
handwerklichen, traditionellen und hausgemachten Qualität, schöne Kindheitserinnerungen<br />
und Natürlichkeit.
351<br />
Das wirklich interessante an diesem Beispiel ist im Vergleich zu den oben<br />
aufgeführten Beispielen des EWE-Konzerns, dass Rügenwalder mit keiner<br />
real existierenden Region wirbt, sondern mit einer Region, die in der heutigen<br />
Zeit namentlich nur noch in Vorstellungsbildern gegenwärtig ist. Durch<br />
die gemeinsame Markentonalität der Dachmarke Rügenwalder Mühle über<br />
alle Monomarken hinweg wird ein identischer funktionaler und emotionaler<br />
Nutzen aufgebaut und wiederum die Dachmarke konsequent gespeist. An<br />
diesem Fallbeispiel zeigt sich eine weitere Anforderung bei der regionalen<br />
Markenführung: die ständige Aktualisierung der Marke durch integrierte<br />
Markenkommunikation und Innovation. Für die Rügenwalder Mühle sei an<br />
dieser Stelle das Beispiel „Frische-Becher“ (September 2005 mit Line Extension<br />
Oktober 2006) für die Marke Rügenwalder Teewurst oder die Rügenwalder<br />
Teewurst „Aktiv“ für Gesundheitsbewusste (Juli 2006) genannt<br />
(vgl. Abbildung 9). Das Unternehmen hat für seine konsequente Dachmarkenstrategie<br />
bisher diverse Marken-Awards erhalten.<br />
5 Synthese der Kommunikationsanalyse und Abstraktion<br />
von Herkunftstypen für die regionale Markenführung<br />
Die oben aufgeführten Beispiele zeigen einen Ausschnitt von Differenzierungsmöglichkeiten,<br />
die für die regionale Markenführung vorstellbar sind.<br />
Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, diese zu strukturieren<br />
und allgemeingültige Anforderungen für die regionale Markenführung abzuleiten.<br />
41<br />
Das vorangehende Fallbeispiel des Unternehmens EWE mit den vorgestellten<br />
regionalen Marken EWE, EWE TEL und nordcom zeigt, dass hier eine<br />
regionale Markenaufladung im Sinne eines regionengebundenen Herkunftskonzepts<br />
(Typ I) vorliegt. Die Marke ist mit der Region fest verankert und<br />
kommuniziert diese Verbundenheit unmissverständlich durch intensive<br />
Kommunikation und Engagement für die Region. Elemente der Region werden<br />
in die Marke transferiert und finden sich in dem Markenauftritt wieder.<br />
Die geographische Lage sowie kulturelle, institutionelle und historische<br />
Eigenheiten der Region fließen in die Marke mit ein - sind hier sozusagen<br />
41 Vgl. zu Vorarbeiten Gerlach 2006, S. 63 ff.
352<br />
„eins“ mit der Marke. Dieses regionengebundene Herkunftskonzept ist eher<br />
auf regionalen und nationalen Absatzmärkten sinnvoll - allein schon aufgrund<br />
eines vorgegebenen regional beschränkten Geltungsbereichs. Das<br />
Konzept kann generell auf alle Gütergruppen angewandt werden. Als besonders<br />
geeignet erscheinen z.B. versorgungsnahe Gebrauchsgüter mit Vertrauens-<br />
und Erfahrungseigenschaften für das Wohnen/den Haushalt.<br />
Das Fallbeispiel Haake-Beck kann unter einem unspezifischen Herkunftskonzept<br />
(Typ II) subsumiert werden. Hiernach gibt es keine spezifischen<br />
geographischen Abgrenzungen einer Region. Hier wird nur mit allgemeinen<br />
Regionentypen geworben, z.B. der Norden wie in diesem Fall. Der Geltungsbereich<br />
der Marke ist durch das Produkt nicht a priori technisch und<br />
ökonomisch eingeschränkt. Durch ein solches Konzept wird es dem Konsumenten<br />
möglich gemacht, sich mit dem Produkt oder der Marke allgemein<br />
zu identifizieren. Er kann seine persönlichen Erfahrungen beispielsweise<br />
über die norddeutsche Region auf die Marke übertragen und in seinem persönlichen<br />
Wahrnehmungsraum konkret verorten. Der Konsument kann dadurch<br />
die Marke mit der eigenen kleineren Heimregion verbinden. Ein Beispiel<br />
hierfür ist auch die Marke „Landliebe“. Das Konzept kann grundsätzlich<br />
auf Konsumgüter jeglicher Art angewandt werden, insbesondere in Produktgruppen,<br />
die eine besondere regionale Verbindung aufbauen können,<br />
etwa Ernährungsprodukte. Auf der anderen Seite können aber nicht alle<br />
Produkte mit jeder beliebigen unspezifischen Region verbunden werden.<br />
Den Erfolg des Fallbeispiels Rügenwalder Mühle kann man einem nostalgiegebundenen<br />
Herkunfts-Konzept (Typ III) zuordnen: Das Konzept beruht<br />
auf vor allem nur in Vorstellungsbildern existenten Regionen, die oftmals<br />
einen historischen Bezug aufweisen und in der Gegenwart nicht mehr in<br />
dieser Form real zuzuordnen sind. Neben der Rügenwalder Mühle ist dafür<br />
das Markenkonzept von Marlboro ein Beispiel („Der wilde Cowboy-Westen“).<br />
Die Markenherkunft ist hauptsächlich in der guten, alten Vergangenheit<br />
verankert. Aus dieser stammen auch die Werte und Bilder, die genutzt<br />
werden, um die Marke regional zu unterfüttern. Verbrauchern wird es dadurch<br />
möglich, sich mit Marken vergangenheitsbezogen zu identifizieren<br />
und sich die „Heimat von früher“ heute im persönlichen Wahrnehmungsraum<br />
zu Eigen zu machen. Tradition wird im positiven Sinn mit Erfahrung<br />
und Qualität verbunden. Für ein solches Konzept eignen sich vornehmlich<br />
Fast Moving Consumer Goods mit entsprechend großem Werbedruck und<br />
regelmäßig neuen Produkten, die nicht nur in einer bestimmten Region „ver-
353<br />
standen“ werden. Das ist nach Musiol unabdingbar und er schildert zugleich,<br />
was im entgegensetzten Fall passieren kann: „Denken Sie nur an den Bären<br />
von Bärenmarke. Der dachte auch einmal, dass ihm die wunderschöne Alpenwelt<br />
ganz allein gehört und seine Heimat ist. Dann kam eine lila Kuhl mit<br />
großem Portemonnaie und schon gehörten ihr die Alpen.“ 42<br />
Komplettierend zu diesen möglichen Typen von regionalen Markenkonzepten<br />
muss noch ein kompetenzbezogenes Herkunftsverständnis (Typ IV)<br />
genannt werden. Bei diesem Konzept wird das Wissen und die Erfahrung<br />
einer bestimmten Region ganz speziell für die Markenkompetenz genutzt. Es<br />
handelt sich dabei in erster Linie um Gebiete mit einer langen Tradition in<br />
bestimmten unternehmerischen Bereichen. So genießt Solingen Kompetenz<br />
in der Stahlverarbeitung oder Meißen in der Porzellanmanufaktur. Es kann<br />
sich dabei um eine kleine Region, z.B. eine Stadt oder ein Ballungszentrum<br />
handeln, aber auch um größere Regionen wie das Silicon Valley, das für<br />
erstklassiges Computer-Know-How steht. Das Konzept kann auf jegliche Art<br />
von Gütern angewandt werden. Allerdings muss die Regionenkompetenz<br />
breit bekannt sein. Erfreuen sich diese Regionen auch internationaler Bekanntheit,<br />
kann dieses Konzept auch international bzw. global angewandt<br />
werden. Die französische Region Champagne ist sehr bekannt für ihren besonderen<br />
Sekt: den Champagner. Die Region Oldenburg-Bremen ist beispielsweise<br />
bekannt für ihren Grünkohl und dem Kohl- und Pinkelessen in<br />
der kühleren Jahreszeit, der/das jedoch schon in Hannover kaum mehr geläufig<br />
ist.<br />
Folgende Abbildung 10 fasst die Systematisierung der Differenzierungspotenziale<br />
durch regionale Markenführung im Kontinuum zwischen dem Pol<br />
„Aus der Region <strong>–</strong> für die Region“ und „regionales und überregionales Spezialitätenmarketing“<br />
zusammen.<br />
Diese in diesem Rahmen nur kurz erläuterbaren Herkunftskonzepte können<br />
nicht ganz trennscharf voneinander betrachtet bzw. genutzt werden. Es wird<br />
bei allen auf eine regional aufgeladene Marke aufgebaut. Auch können unter<br />
Umständen mehrere Konzepte gleichzeitig genutzt werden.<br />
42 Musiol 2006, S. 2.
354<br />
Regionale Marke i.e.S.<br />
„Aus der Regionfür<br />
die Region“<br />
Regionengebundener<br />
Markenherkunfts-Typ I<br />
Regionenunspezifischer<br />
Markenherkunfts-Typ II<br />
Abb. 10 Klassifizierung von regionalen Marken <strong>–</strong> Teil 2<br />
Quelle: Eigene.<br />
6 Fazit<br />
Nostalgieorientierter<br />
Markenherkunfts-Typ III<br />
Kompetenzorientierter<br />
Markenherkunfts-Typ IV<br />
Regionale Marke i.w.S.<br />
Regionales und<br />
überregionales<br />
Spezialitätenmarketing<br />
Für den Aufbau starker Marken ist ein zielgerichtetes Markenmanagement<br />
notwendig. Ein erfolgreiches Markenmanagement zeichnet sich durch die<br />
Schaffung eines positiven, relevanten und unverwechselbaren Image einer<br />
Marke bei den Konsumenten aus. Zu dem Aufbau starker Marken gibt es<br />
verschiedene Ansätze. Im vorliegenden Artikel wurde der identitätsbasierte<br />
Ansatz als Möglichkeit zum strategischen Aufbau starker Marken thematisiert.<br />
Die Herkunft steht dabei im Mittelpunkt der Untersuchung. Anhand<br />
dieser Herkunft wurden über die Analyse von Fallbespielen aus der Metropolregion<br />
Bremen-Oldenburg Möglichkeiten aufgezeigt, wie Marken regional<br />
eingefärbt werden können und dazu genutzt werden, um sie von anderen<br />
Marken dadurch erfolgreich zu differenzieren. Gerade in Zeiten zunehmender<br />
Globalisierung und globaler Marken liegt in der regionalen symbolisch-
355<br />
emotionalen Markenführung ein großes Potenzial. Von Seiten der Medien<br />
bieten sich hierfür mittlerweile gute Möglichkeiten an, seine Marke „nur“<br />
oder speziell in einem regional begrenzten Raum zu bewerben, z.B. mit dem<br />
Angebot für Nordrhein-Westfalen „Ganz groß raus kommen“ der ARD Werbung<br />
Sales & Services43 oder durch Möglichkeiten der Regionalbelegungen<br />
im Stern nach den Nielsen-Gebieten44 . Auch langjährig in der Region verankerte<br />
Werbeagenturen können sehr gute Impulse bei der regionalen Aufladung<br />
einer Marke schöpfend aus langer Erfahrung geben.<br />
Wer markenstrategisch „König“ sein möchte, sollte nicht nur das ganze Land<br />
oder die Welt im Blick haben, sondern an die Kraft in und aus der Region<br />
denken. Versteht man Marketing im Sinne einer konsequenten Marktorientierung<br />
mit gesellschaftlicher Verantwortung, so ist das eingangs verwendete<br />
Motto dieses Artikels „Daheim bin ich König“ natürlich nicht aus Unternehmenssicht<br />
zu interpretieren. Der Kunde ist der König. Diese einzige<br />
Quelle für den ökonomischen Erfolg eines Unternehmens muss man sich<br />
stets vor Augen halten - gerade bei einer rein regional ausgerichteten Marke.<br />
Die Menschen richten sich immer in einer Region ein und suchen darin nach<br />
Orientierungshilfen, die insbesondere auch von regionalen Marken auf vielfältige<br />
Art ausgehen können. Aber auch darüber hinaus liefert ein regionaler<br />
Bezug für überregional distribuierte Marken strategische Differenzierungsvorteile.<br />
Literatur<br />
Aaker, D.A. (1996): Building Strong Brands. New York.<br />
Absatzwirtschaft (2003): Schinkenspicker macht Appetit auf mehr. In: Absatzwirtschaft<br />
marken 2003, S. 78.<br />
Adjouri, N. (2002): Die Marke als Botschafter <strong>–</strong> Markenidentität bestimmen<br />
und entwickeln. Wiesbaden.<br />
ARD Werbung Sales & Services (2006): Groß rauskommen mit regionaler<br />
TV-Werbung. Internet: http://www.wdr-mediagroup.com/ showfile.phtml/bro_tvregional_rz.pdf?foid=3596.<br />
Zugriff am 18.09.2006.<br />
43 Vgl. dazu ARD Werbung Sales & Services 2006.<br />
44 Vgl. dazu G+J media 2005.
356<br />
Blinda, L. (2003): Relevanz der Markenherkunft für die identitätsbasierte<br />
Markenführung. In: Burmann, C.: (Hrsg.): LiM-Arbeitspapiere Nr. 2.<br />
Lehrstuhl für innovatives Management. Bremen. 2003.<br />
Enke, M./Geigenmüller, A. (2004): Markenführung für regionale Marken.<br />
In: Bruhn, M. (Hrsg.): Handbuch Markenführung, 2. Aufl., Bd. 3,<br />
Wiesbaden, S. 2376-2390.<br />
EWE (2006a): EWE-Folder zum Leitbild. Oldenburg.<br />
EWE (2006b): EWE-Unternehmensporträt. Internet: http://www.ewe.de/<br />
3165_1170.php. Zugriff am 15.09.2006.<br />
EWE (2006c): EWE-Imagekampagne Print 2005 „In der Region- für die<br />
Region!“. Internet: http://www.ewe.de/3165_3714.php. Zugriff am<br />
15.09.2006.<br />
EWE (2006d): EWE <strong>–</strong> eine starke Marke in der Region (verfasst von Katja<br />
Kramer). In: EWE (Hrsg.): InTeam: Das Magazin von uns für uns. Nr.<br />
1, Februar 2006, S. 14-15.<br />
EWE (2006e): EWE überarbeitet Vertriebs- und Marketingstrategie. In:<br />
EWE (Hrsg.): InTeam: Das Magazin von uns für uns. Nr. 6, Juli 2006,<br />
S. 6-8.<br />
EWE (2006f): EWE-Internetauftritt insgesamt. Internet: http://www.ewe.de.<br />
Zugriff am 15.09.2006.<br />
EWE TEL (2006a): EWE TEL <strong>–</strong> starker Partner rund um Telefonie und<br />
Internet. Internet:<br />
http://www.ewetel.de/tel/unternehmen/ewetel_gk_5517.php. Zugriff<br />
am 16.09.2006.<br />
EWE TEL (2006b): Herzlichen Glückwunsch, EWE TEL! (verfasst von<br />
Gerd Lottmann). In: EWE TEL (Hrsg.): HOTLINE: Das Mitarbeitermagazin<br />
von EWE TEL, nordcom, osnatel, BREKOM und htp. Nr. 4,<br />
September 2006, S. 2-3.<br />
EWE TEL (2006c): HOTLINE: Das Mitarbeitermagazin von EWE TEL,<br />
nordcom, osnatel, BREKOM und htp. Nr. 4, September 2006. Oldenburg.<br />
EWE TEL (2006d): Interview mit Heiko Harms zu: EWE TEL feiert den<br />
zehnten Geburtstag. In: EWE (Hrsg.): InTeam: Das Magazin von uns<br />
für uns. Nr. 7, August/September 2006, S. 4-5.
357<br />
G+J media (2005): Regionalbelegungen im stern 2005. Internet:<br />
http://www.gujmedia.de/_content/20/26/202691/Regionalbelegung_ste<br />
rn_2006.pdf, Zugriff 22.10.2006.<br />
Geigenmüller, A. (2003): Regionale Marken und Konsumentenverhalten:<br />
Konsequenzen für die Markenführung. In: Enke, M. (Hrsg.): Integratives<br />
Marketing: Wissenstransfer zwischen Theorie und Praxis. Wiesbaden<br />
2003.<br />
Gerber, R. (2006): Das Geheimnis der Teewurst. In: Werben & Verkaufen,<br />
Nr. 31, 2006, S. 36-37.<br />
Gerlach, M. (2006): Möglichkeiten zur Differenzierung durch regional aufgeladene<br />
Marken (Diplomarbeit). Oldenburg.<br />
Hunte Report (2006): VfL ist für richtungsweisende Woche gerüstet. In:<br />
Hunte Report, 18.10.2006, S. 11.<br />
IKEA (2006): Daten und Fakten 2006: Der IKEA Konzern 2006. Internet:<br />
http://www.ikea.com/ms/de_CH/about_ikea/facts_figures/Figures06/F<br />
F06_DE_low.pdf, Zugriff am 16.01.2007, S. 1-16.<br />
InBev (2006a): Internationale Bieretiketten. Internet.<br />
http://www.becks.de/unternehmen/index.asp?m1=0&m2=2, Zugriff am<br />
01.09.2006.<br />
InBev (2006b): Marke Haake-Beck. Internet: http://www.beckundco.de/<br />
unternehmen/index.asp?m1=3. Zugriff am 17.09.2006.<br />
InBev (2006c): Der Sommer mit Haake-Beck. In: InBev (Hrsg.): Einblicke.<br />
Magazin für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von InBev Deutschland,<br />
Nr. 1, 2006, S. 26-27.<br />
Kapferer, J.-N. (1992): Die Marke <strong>–</strong> Kapital des Unternehmens. Landsberg/<br />
Lech.<br />
Lebensmittelzeitung (2006): Anzeige Rügenwalder: Erfolg im Becher, Teil<br />
2! In. Lebensmittelzeitung, Nr. 41, 13. Oktober 2006, S. 1.<br />
Meffert, H./Burmann, C. (2002a): Wandel in der Markenführung <strong>–</strong> vom<br />
instrumentellen zum identitätsorientierten Markenverständnis. In: Meffert,<br />
H./Burmann, C../Koers, M. (Hrsg): Markenmanagement <strong>–</strong> Grundfragen<br />
der identitätsorientierten Markenführung. Wiesbaden, S.17-33.<br />
Meffert, H./Burmann, C. (2002b): Theoretisches Grundkonzept der identitätsorientierten<br />
Markenführung In: Meffert, H./Burmann, C./Koers, M.
358<br />
(Hrsg): Markenmanagement <strong>–</strong> Grundfragen der identitätsorientierten<br />
Markenführung. Wiesbaden, S.35-72.<br />
Musiol, K.G. (2005): Heimat <strong>–</strong> und wo sind Sie zu Hause? Beitrag für Musiols<br />
Kolumne in Markenartikel Januar 2005. Internet: http://www.iconadded-value.de/deutsch/presse/pdf/musiol_2005/heimat_und_wo_sind_sie_zu_h<br />
ause.pdf. Zugriff am 09.07.2006, S. 1-2.<br />
nordcom (2006): nordcom-Citycard “Reden ist Silber. Schweigen ´schön<br />
blöd!“. Bremen.<br />
Raabe, T. (2004): Markenbereinigungsstrategie. In: Bruhn, M. (Hrsg.):<br />
Handbuch Markenführung, 2. Aufl., Bd. 1, Wiesbaden, S. 853-877.<br />
Rügenwalder (2006): Rügenwalder Internetauftritt insgesamt. Internet:<br />
http://www.ruegenwalder.de, Zugriff am 18.09.2006.
Autorinnen und Autoren<br />
Bonn, Udo, Dipl.- Oec.<br />
Udo Bonn ist seit September 2001 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand<br />
an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Volkswirtschaftslehre,<br />
Fachgebiet <strong>Wirtschaft</strong>stheorie bei Prof. Dr. H. Welsch.<br />
Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Geldpolitik,<br />
sowie der Entwicklung der EU-Länder nach der einheitlichen Geldpolitik.<br />
Hierbei liegt der Fokus auf konvergente/divergente ökonomische Entwicklungen<br />
und deren Messbarkeit.<br />
Kontakt: udo.bonn@uni-oldenburg.de, URL://www.uni-oldenburg.de/wt-<br />
/403.html. Institut für Volkswirtschaftslehre und Statistik, Carl von Ossietzky<br />
Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg<br />
Chege, Victoria LL.M, LL.M Eur.<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Europäisches <strong>Wirtschaft</strong>srecht<br />
an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten<br />
Gleichheit und Diskriminierung im <strong>Recht</strong> der EG; Europäisches<br />
<strong>Wirtschaft</strong>srecht. Studium der <strong>Recht</strong>swissenschaften <strong>–</strong> Schwerpunkt<br />
Völkerrecht.<br />
Kontakt: victoria.chege@uni-oldenburg.de, Institut für <strong>Recht</strong>wissenschaften,<br />
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg<br />
Duensing, Martin, Dip.-Vw.<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Volkswirtschaftslehre und<br />
Statistik, AB Finanzwissenschaft, an der Carl von Ossietzky Universität<br />
Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten Besteuerung und Familienökonomie.<br />
Studium der Volkswirtschaftslehre. Berufliche Erfahrungen als<br />
Mitarbeiter an HWWA in Hamburg in Kooperation mit der Gesellschaft für<br />
Technische Zusammenarbeit (GTZ).
360<br />
Kontakt: martin.duensing@uni-oldenburg.de, URL://www.uni-oldbenburg.de/fiwi,<br />
Institut für Volkswirtschaftslehre und Statistik, Carl von Ossietzky<br />
Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg<br />
Eiselt, Andreas, Dipl.-Kfm.<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen<br />
der Universität Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten<br />
nationale und internationale Rechnungslegung, Bilanzpolitik<br />
und Jahresabschlussanalyse. Studium der Betriebswirtschaftslehre mit juristischem<br />
Schwerpunkt. Berufliche Erfahrungen als Prüfungsassistent bei einer<br />
mittelständischen <strong>Wirtschaft</strong>sprüfungsgesellschaft.<br />
Kontakt: andreas.eiselt@uni-oldenburg.de, www.uni-oldenburg.de/rewe,<br />
Institut für Betriebswirtschaftslehre und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik, Universität<br />
Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg<br />
Fink, Matthias, Dr. rer. soc. oec.<br />
Universitätsassistent und Habilitand am Institut für Betriebswirtschaftslehre<br />
der Klein- und Mittelbetriebe und Senior Researcher am RiCC <strong>–</strong> Forschungsinistitut<br />
für Kooperationen und Genossenschaften der <strong>Wirtschaft</strong>suniversität<br />
Wien. Lehrbeauftragter am Lehrstuhl für Entrepreneurship an der Carl von<br />
Ossietzky Universität Oldenburg. Studium der Betriebswirtschaftslehre an<br />
der <strong>Wirtschaft</strong>suniversität Wien. Stipendiat der Österreichischen Akademie<br />
der Wissenschaften.<br />
Kontakt: matthias.fink@wu-wien.ac.at, URL: http://www.wuwien.ac.at/kmb/.<br />
Institut für Betriebswirtschaftslehre der Klein- und Mittelbetriebe,<br />
<strong>Wirtschaft</strong>suniversität Wien, Augasse 2-6, A-1090 Wien, Österreich<br />
Graue, Bettina, Dr. jur.<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Arbeitsrecht der Carl von<br />
Ossietzky Universität Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten Arbeitsrecht,<br />
Öffentliches Dienstrecht, Europarecht, Gleichstellungsrecht. Studium<br />
der <strong>Recht</strong>swissenschaften an der Universität Bremen. Tätigkeiten in der<br />
Gerichtsbarkeit und Lehre an der Universität Bremen, Fachhochschule für
361<br />
öffentliche Verwaltung Bremen und im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen<br />
für Betriebs- und Personalräte, Frauenbeauftragte und Mitarbeiter/<br />
innen.<br />
Kontakt: bettina.graue@uni-oldenburg.de; Institut für <strong>Recht</strong>swissenschaften,<br />
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Uhlhornsweg, 26111 Oldenburg<br />
Hammermeister, Jörg, Dipl.-Oec.<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Absatz und Marketing an<br />
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit dem Forschungsschwerpunkt<br />
Integrierte Markenführung. Studium der <strong>Wirtschaft</strong>swissenschaften<br />
und Betriebswirtschaftslehre. Berufliche Erfahrungen als Angestellter der<br />
BMW AG, als Mitarbeiter der ecco Unternehmensberatung GmbH und als<br />
Lehrbeauftragter in diversen Studiengängen.<br />
Kontakt: joerg.hammermeister@uni-oldenburg.de, URL://www.uni-oldbenburg.de/marketing,<br />
Institut für Betriebswirtschaftslehre und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik,<br />
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111<br />
Oldenburg<br />
Heinicke, Thomas, Dr. iur., LL.M.<br />
<strong>Recht</strong>sreferendar beim OLG Oldenburg und Tutor an den Lehrstühlen für<br />
Arbeitsrecht und für Öffentliches <strong>Wirtschaft</strong>srecht an der Universität Oldenburg.<br />
Studium der <strong>Recht</strong>swissenschaft in Düsseldorf, Köln und Kapstadt.<br />
Promotion an der Universität zu Köln zu einem umweltverfassungsrechtlichen<br />
Thema.<br />
Kontakt: heinickes@web.de, URL:www.uni-oldenburg.de/fk2/InstRW/arre/-<br />
18958.html, Institut für <strong>Recht</strong>swissenschaften, Postfach 2503, 26111 Oldenburg<br />
Höner, Dirk, Dipl.-Kfm.<br />
Doktorand am Lehrstuhl für Unternehmensführung und betriebliche Umweltpolitik<br />
an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Studium der<br />
Betriebswirtschaftslehre an der Universität Oldenburg und der University of<br />
Calgary, Kanada. Praktische Erfahrungen in der externen Unternehmensbe-
362<br />
ratung und in der Meta-Beratung sowie Lehrbeauftragter im Bereich Unternehmensführung.<br />
Mitglied der Forschergruppe Consulting Research (CORE)<br />
an der Universität Oldenburg.<br />
Kontakt: dirk.hoener@consulting-research.de<br />
Kastrup, Julia, Diplom-Oecotrophologin<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Berufs- und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik<br />
der Universität Hamburg; von Februar 2002 bis Mai 2006 am Fachgebiet<br />
Berufs- und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik an der Carl von Ossietzky Universität<br />
Forschungsschwerpunkte: Berufliche Umweltbildung und Umweltkommunikation<br />
in Unternehmen, Berufsbildung für eine nachhaltige Entwicklung<br />
sowie Bedarfsanalysen in der beruflichen Bildung. Studium der<br />
Oecotrophologie an der Fachhochschule Münster. Berufliche Erfahrungen<br />
als wissenschaftliche Beraterin bei der Behörde für Stadtentwicklung und<br />
Umwelt der Freien und Hansestadt Hamburg im Rahmen der Initiative<br />
„Hamburg lernt Nachhaltigkeit“ sowie als persönliche Assistentin des geschäftsführenden<br />
Vorstandes und Mitarbeiterin im Projektmanagement beim<br />
Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management e. V.<br />
(B.A.U.M.).<br />
Kontakt: jkastrup@ibw.uni-hamburg.de, URL:// http://www.ibw.uni-hamburg.de<br />
/personen/mitarbeiter/Kastrup/index_kastrup.html, Institut für Berufs- und<br />
<strong>Wirtschaft</strong>spädagogik, Universität Hamburg, Sedanstraße 19, 20146 Hamburg<br />
König, Susanne, Dr. rer. Pol. (Dipl.-Kffr./Dipl.-Hdl.)<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Organisation und Personal an<br />
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Sie hat sich in mehreren empirischen<br />
Forschungsprojekten mit Fragen der Personalauswahl und -entwicklung<br />
beschäftigt. Weitere Forschungsschwerpunkte: Verhandlungskulturen,<br />
industrielle Beziehungen, psychologische Vertragsforschung, Gleichstellungspolitik,<br />
Folgen des demographischen Wandels für den Arbeitsmarkt.<br />
Kontakt: susanne.koenig@uni-oldenburg.de, URL://www.uni-oldenburg.de-<br />
/orgpers/, Institut für Betriebswirtschaftslehre und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik,<br />
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg
363<br />
Kraus, Sascha, Dr. rer. soc. oec.<br />
Assistent und Habilitand am Lehrstuhl für Entrepreneurship an der Carl von<br />
Ossietzky Universität Oldenburg. Studium der Betriebswirtschaftslehre an<br />
den Universitäten Köln und Siegen, der University of California, Los Angeles<br />
(USA) und der Hogeschool Zeeland (NL). Promotion an der Universität<br />
Klagenfurt. Lehrbeauftragter an der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder,<br />
der <strong>Wirtschaft</strong>suniversität Wien und der Hochschule Vechta.<br />
Kontakt: sascha.kraus@uni-oldenburg.de, URL: http://www.uni-oldenburg.de/fk2/entrepreneurship.<br />
Institut für Betriebswirtschaftslehre und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik,<br />
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503,<br />
26111 Oldenburg<br />
Mahlmann, Heidemarie, Dipl. Pädagogin<br />
Mitarbeiterin im Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung (ZWW) und<br />
in der Stabsstelle Personal- und Organisationsentwicklung der Universität<br />
Oldenburg.<br />
Kontakt: heidemarie.mahlmann@uni-oldenburg.de<br />
Menz, Tobias, Dipl.-Vw.<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für <strong>Wirtschaft</strong>stheorie am Institut<br />
für Volkswirtschaftslehre und Statistik der Carl von Ossietzky Universität<br />
Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten Demographischer Wandel und<br />
Umweltökonomie. Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität<br />
Konstanz inklusive zweier Austauschsemester an der Université du Québec à<br />
Montréal in Kanada.<br />
Kontakt: tobias.menz@uni-oldenburg.de, URL:www.uni-oldenburg.de-<br />
/wt/12164.html, Institut für Volkswirtschaftslehre und Statistik, Carl von<br />
Ossietzky Universität Oldenburg, 26111 Oldenburg<br />
Mester, Britta Alexandra, Ass. jur.<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches <strong>Recht</strong>, Handels-<br />
und Gesellschaftsrecht sowie <strong>Recht</strong>sinformatik an der Carl von Os-
364<br />
sietzky Universität Oldenburg. Referentin im Rahmen des Erasmus/Sokrates<br />
Programms „Dozentenmobilität“ an der Partneruniversität Le Havre in<br />
Frankreich, Lehrveranstaltungen, Veröffentlichungen und Vorträge bei nationalen<br />
und internationalen Konferenzen u.a. zu den Themen: Datenschutz,<br />
individuelles und kollektives Arbeitsrecht, Wettbewerbsrecht, Online-<strong>Recht</strong>.<br />
Vorsitzende des Fachausschusses Arbeitsrecht der Deutschen Gesellschaft<br />
für <strong>Recht</strong> und Informatik (DGRI), 2003-2005 Frauenbeauftragte des Institut<br />
für <strong>Recht</strong>swissenschaften, seit 9/2003 Datenschutzbeauftragte der Carl von<br />
Ossietzky Universität Oldenburg..<br />
Kontakt: britta.mester@uni-oldenburg.de, URL://www.uni-oldbenburg.de,<br />
Institut für <strong>Recht</strong>swissenschaften, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg,<br />
Postfach 2503, 26111 Oldenburg<br />
Meyerholt, Ulrich, Dr. jur., Diplom Kaufmann<br />
Akademischer Rat am Lehrstuhl für Öffentliches <strong>Wirtschaft</strong>srecht. Arbeitsschwerpunkte<br />
liegen im Umweltrecht, im <strong>Wirtschaft</strong>sverwaltungsrecht, im<br />
Allgemeinen und Besonderen Verwaltungsrecht und im Presserecht. Forschungsthemen<br />
liegen im Bereich Umweltrecht, <strong>Wirtschaft</strong>srecht und Presserecht.<br />
Kontakt: Ulrich.Meyerholt@uni-oldenburg.de. Institut für <strong>Recht</strong>swissenschaften<br />
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503,<br />
26111 Oldenburg.<br />
Morana, Romy, Dr.rer.pol.<br />
Freiberuflich tätig mit den Forschungsschwerpunkten Kreislaufwirtschaft,<br />
Produktkreisläufe und Betriebliches Nachhaltigkeitsmanagement. Nach einer<br />
Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau Studium der Betriebswirtschaft<br />
an der Technischen Universität Berlin sowie eines interdisziplinären<br />
Aufbaustudium Umweltwissenschaften an der Freien Universität Berlin.<br />
Berufliche Erfahrungen in der Umweltberatung kleiner und mittelständischer<br />
Unternehmen und als Lehrbeauftragter in diversen Studiengängen und Hochschulen.<br />
Kontakt: Morana @gruen-der-zeit.de
365<br />
Müller, Sarah, Dipl.-Hdl.<br />
Ausbildung zur Bankkauffrau. Studium des Lehramts an berufsbildenden<br />
Schulen (<strong>Wirtschaft</strong>swissenschaften, Englisch). Seit September 2005 wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin und Doktorandin im Fachgebiet Berufs- und<br />
<strong>Wirtschaft</strong>spädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.<br />
Arbeitstitel der Promotion: Methoden zur Erfassung epistemologischer Überzeugungen<br />
von Studierenden <strong>–</strong> eine empirische Vergleichsstudie.<br />
Kontakt: sarah.mueller@uni-oldenburg.de, URL://www.uni-oldenburg.de/bwp,<br />
Institut für Betriebswirtschaftslehre und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik, Carl<br />
von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg<br />
Rehling, Mette, Dipl.-Kffr.<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Organisation und Personal an<br />
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Lehr- und Forschungsschwerpunkte:<br />
Personalentwicklung, insbesondere Evaluation und Controlling<br />
von Personalentwicklung, Organisationstheorien.<br />
Kontakt: mette.rehling@uni-oldenburg.de, URL://www.uni-oldenburg.de/orgpers/,<br />
Institut für Betriebswirtschaftslehre und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik,<br />
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111<br />
Oldenburg<br />
Reich, Bettina, Dipl.-Oec./Dipl.-Kffr.<br />
Studium der <strong>Wirtschaft</strong>swissenschaften und Betriebswirtschaftslehre mit<br />
juristischem Schwerpunkt an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg<br />
sowie Auslandsstudium an der Universität Paris-Sorbonne im Rahmen eines<br />
Programms mit der Industrie- und Handelskammer Paris. Seit 2000 Mitarbeiterin<br />
und seit 2002 Doktorandin am Fachgebiet Öffentliches <strong>Wirtschaft</strong>srecht<br />
von Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Götz Frank an der Carl von Ossietzky<br />
Universität Oldenburg. Stipendiatin der Heinz-Neumüller-Stiftung im Jahre<br />
2004. Forschungsschwerpunkte: Markenführung und <strong>Recht</strong>.<br />
Kontakt: bettina.reich@artis.uni-oldenburg.de, http://www.uni-oldenburg.de/<br />
fk2/InstRW/oeffwr/1225.html, Institut für <strong>Recht</strong>swissenschaften, Carl von<br />
Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg
366<br />
Rubens-Laarmann, Anne, Dipl.-Kauffr.<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Weiterbildung, Lehrstuhl<br />
für Organisationsforschung, Weiterbildungs- und Sozialmanagement, Universität<br />
Dortmund. Studium der Betriebswirtschaftslehre mit juristischem<br />
Schwerpunkt; Forschungsschwerpunkte: Medienmarketing, Unternehmenskommunikation,<br />
Marketing und Gesellschaft. Berufliche Erfahrung als wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am Fachgebiet Marketing der Carl von Ossietzky<br />
Universität Oldenburg, im Bereich Marktforschung, Marketingberatung<br />
und Verlagswesen sowie als Lehrbeauftragte in der Weiterbildung an den<br />
Universitäten Oldenburg und Vechta.<br />
Kontakt: anne.rubens@uni-dortmund.de; URL://www.zfw.uni-dortmund.de,<br />
Zentrum für Weiterbildung, Universität Dortmund, Hohe Str. 141, 44139<br />
Dortmund<br />
Schulz, Ann-Christine, Dipl.-Vw.<br />
Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Stiftungsprofessur<br />
für Entrepreneurship der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Studium<br />
der Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und<br />
an der University of Glasgow (Schottland). Beratende Tätigkeiten für das<br />
Ministerium für <strong>Wirtschaft</strong>, Arbeit und Verkehr des Landes Schleswig-<br />
Holstein. Lehraufträge in Volkswirtschaftslehre und Entrepreneurship.<br />
Kontakt: ann.c.schulz@uni-oldenburg.de, URL://www.uni-oldenburg.de/fk2/<br />
entrepreneurship/<br />
Schulze, Herbert, Dr.rer.pol<br />
Wissenschaftlicher Angestellter im Bereich Organisation und Personal, Carl<br />
von Ossietzky Universität Oldenburg. Lehr- und Forschungsschwerpunkte:<br />
Human Resource Management, Internationales und interkulturelles Personalmanagement.<br />
Studium der Volks- und Betriebswirtschaftslehre in Bremen<br />
und Hamburg. Mehrjährige Tätigkeit in einem deutschen Großkonzern,<br />
mehrjährige Erfahrung mit zahlreichen studentischen Projekten in Unternehmen.<br />
Kontakt: herbert.schulze@uni-oldenburg.de
367<br />
Siehlmann, Günter, Dr. phil.<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Berufs- und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik<br />
an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten<br />
Bildung für nachhaltige Entwicklung, Schulentwicklung,<br />
betriebliche Weiterbildung und Beratung. Studium der <strong>Wirtschaft</strong>swissenschaften<br />
und Erziehungswissenschaften. Berufliche Erfahrungen als Geschäftsführer<br />
einer Bildungseinrichtung, Trainer und Berater für Unternehmen<br />
und Schulen.<br />
Kontakt: guenter.siehlmann@uni-oldenburg.de, URL://www.uni-oldenburg.de/bwp,<br />
Institut für Betriebswirtschaftslehre und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik,<br />
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111 Oldenburg<br />
Simmel, Annika, (Ass. jur.; Dipl. Kauffrau cand.)<br />
Referentin beim Senator für <strong>Wirtschaft</strong> und Häfen in Bremen mit den Arbeitschwerpunkten<br />
Bilanz- und Finanzrecht, Aufsicht nach dem Börsen- und<br />
dem Unternehmensbeteiligungsgesetz, Betreuung von Aufsichtratsmandaten,<br />
<strong>Recht</strong>sangelegenheiten und betriebswirtschaftliche Beratung. Bis Juli 2006<br />
wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Weiterbildung und Bildungsmanagement<br />
(we.b), Prof. Dr. Anke Hanft und dem Institut für Bürgerliches<br />
<strong>Recht</strong> und Handels- und Gesellschaftsrecht, Prof. Dr. Jürgen Taeger<br />
an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Projekt Mawest.<br />
Kontakt: annikasimmel@gmx.de<br />
Tredop, Dietmar, Dipl.-Hdl.<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Berufs- und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik<br />
an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten<br />
Weiterbildungs-Controlling, Schulautonomie, <strong>Wirtschaft</strong>sdidaktik.<br />
Studium der <strong>Wirtschaft</strong>swissenschaften, Soziologie und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik/-didaktik.<br />
Kontakt: dietmar.tredop@uni-oldenburg.de, URL://www.uni-oldenburg.de/bwp/7488.html,<br />
Institut für Betriebswirtschaftslehre und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik,<br />
Fachgebiet BWP Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach<br />
2503, 26111 Oldenburg
368<br />
Wengelowski, Peter, Dr. rer. pol.<br />
Lehrbeauftragter an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Fakultät<br />
II, Institut für Betriebswirtschaftslehre und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik, Professur<br />
für Organisation und Personal. Hauptamtlicher Dozent und Projektmanager<br />
an der Leibniz-Akademie Hannover. Freiberuflicher Berater in vielfältigen<br />
Change-Projekten. Forschungsgebiete: Human and Organization Development,<br />
Wissensmanagement, internationales Management und kontextorientierte<br />
Unternehmenssteuerung.<br />
Kontakt: peter.wengelowski@uni-oldenburg.de.<br />
Westhaus, Magnus, Dr. rer. pol.<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt an<br />
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg mit den Forschungsschwerpunkten<br />
Supply Chain Controlling, Supply Chain Management und Controlling.<br />
Studium der <strong>Wirtschaft</strong>swissenschaften und Betriebswirtschaftslehre.<br />
Berufliche Erfahrungen als Angestellter im logistischen Dienstleistungsbereich<br />
und als Lehrbeauftragter in diversen Studiengängen.<br />
Kontakt: magnus.westhaus@uni-oldenburg.de, URL://www.uni-oldenburg.de/produktion,<br />
Institut für Betriebswirtschaftslehre und <strong>Wirtschaft</strong>spädagogik,<br />
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Postfach 2503, 26111<br />
Oldenburg<br />
Wulf, Inge, Dr. rer. pol.<br />
Vertreterin der Professur „Betriebswirtschaftslehre/Unternehmensrechnung“<br />
an der Technischen Universität Clausthal. Nach kaufmännischer Ausbildung<br />
und Praxis in der Industrie, Studium der <strong>Wirtschaft</strong>swissenschaften in Oldenburg<br />
und Exeter (1990-1995), anschließend Promotion zum Thema „Stille<br />
Reserven im Jahresabschluss nach US-GAAP und IAS“ im Jahr 2001 an<br />
der Universität Oldenburg (Univ.-Prof. Dr. Laurenz Lachnit), seit 2001 Wissenschaftliche<br />
Assistentin bei Univ.-Prof. Dr. Laurenz Lachnit an der Professur<br />
für Betriebswirtschaftslehre/Rechnungswesen der Carl von Ossietzky<br />
Universität Oldenburg. Die Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen<br />
Konzernbilanzierung und Internationale Rechnungslegung einschließlich<br />
Abschlusspolitik und <strong>–</strong>analyse sowie Wissensbilanzierung; derzeit Habi-
369<br />
litationsvorhaben zum Thema „Abbildung von immateriellen Potenzialen<br />
und Managemententscheidungen“.<br />
Kontakt: inge.wulf@tu-clausthal.de, Tel. (05323) 72-7646, URL://www.ingewulf.de.