28.12.2012 Aufrufe

Gedanken zur Fehler- und Sicherheitskultur in deutschen - Medical ...

Gedanken zur Fehler- und Sicherheitskultur in deutschen - Medical ...

Gedanken zur Fehler- und Sicherheitskultur in deutschen - Medical ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

kennung von latenten <strong>Fehler</strong>n geeignet. Allerd<strong>in</strong>gs<br />

ist trotz der sche<strong>in</strong>baren Anonymität<br />

e<strong>in</strong>e positive E<strong>in</strong>stellung <strong>in</strong> der Abteilung<br />

notwendig, damit <strong>Fehler</strong> <strong>und</strong> unerwünschte<br />

Ereignisse überhaupt gemeldet<br />

werden. Dass ke<strong>in</strong>e <strong>Fehler</strong> gemeldet werden,<br />

muss nicht bedeuten, dass ke<strong>in</strong>e gemacht<br />

wurden, sondern es kann auch darauf<br />

h<strong>in</strong>weisen, dass die Mitarbeiter negative<br />

Folgen befürchten <strong>und</strong> daher ke<strong>in</strong>e unerwünschten<br />

Ereignisse melden (sog. „report<strong>in</strong>g<br />

bias“; [29]). Die genannten Instrumente<br />

s<strong>in</strong>d dabei weniger gut <strong>zur</strong> Erkennung<br />

aktiver <strong>Fehler</strong> e<strong>in</strong>setzbar. Hierfür sollte<br />

<strong>in</strong> der Abteilung e<strong>in</strong>e offene <strong>Fehler</strong>kultur<br />

herrschen, die auch gegen die Hierarchie<br />

gerichtete sachliche Kritik im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es<br />

konstruktiven Feedbacks erlaubt <strong>und</strong> deshalb<br />

gefördert werden sollte. Das vorliegende<br />

Fallbeispiel muss offensiv aufgearbeitet<br />

werden, um die Mitarbeiter für mögliche<br />

<strong>Fehler</strong>quellen <strong>und</strong> Ursachen zu sensibilisieren.<br />

Die Besprechung des konkreten Falls<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Qualitätszirkel oder e<strong>in</strong>er M&M-<br />

Konferenz zusammen mit der Theorie von<br />

<strong>Fehler</strong>n nach James Reason werden das<br />

Bewusstse<strong>in</strong> für <strong>Fehler</strong> <strong>und</strong> Sicherheit <strong>in</strong><br />

der Notaufnahme unterstützen. Bezogen<br />

auf das vorliegende Fallbeispiel könnten<br />

die fachlichen Fähigkeiten der Mitarbeiter<br />

<strong>zur</strong> Beurteilung von EKGs durch Maßnahmen<br />

der Fort- <strong>und</strong> Weiterbildung als Elemente<br />

der Arbeitskultur geschärft werden.<br />

Weiterh<strong>in</strong> kann durch die Sensibilisierung<br />

für <strong>Fehler</strong> <strong>und</strong> kritische Ereignisse bei allen<br />

Beteiligten das Bewusstse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er positiven<br />

Kommunikationskultur gestärkt werden,<br />

wodurch Unklarheiten bei der EKG-<br />

Interpretation offen zwischen Kollegen diskutiert<br />

werden können.<br />

Bei der E<strong>in</strong>führung von Maßnahmen<br />

<strong>zur</strong> <strong>Fehler</strong>anonymisierung oder zum Auff<strong>in</strong>den<br />

latenter <strong>Fehler</strong> sollte die Entwicklung<br />

e<strong>in</strong>er No-Blame-Kultur <strong>in</strong> ihren Gr<strong>und</strong>zügen<br />

auch <strong>in</strong> Deutschland unterstützt werden.<br />

Trotzdem dürfen e<strong>in</strong>zelne Mitarbeiter,<br />

die aktiv gegen bestehende Leitl<strong>in</strong>ien oder<br />

Standards agieren, nicht aus ihrer persönlichen<br />

Verantwortung genommen werden.<br />

Die Balance zwischen <strong>in</strong>dividueller Verantwortlichkeit<br />

<strong>und</strong> systematischer <strong>Fehler</strong>kultur<br />

zu f<strong>in</strong>den, stellt e<strong>in</strong>e zentrale Herausforderung<br />

<strong>und</strong> Führungsaufgabe für die Notaufnahmen<br />

der Zukunft dar [21]. Die <strong>in</strong>dividuelle<br />

Behandlungsfreiheit wiegt <strong>in</strong><br />

Deutschland augenblicklich mehr als Leit-<br />

8 | Notfall + Rettungsmediz<strong>in</strong> 2011<br />

Leitthema<br />

l<strong>in</strong>ien oder Behandlungsstandards. Dieser<br />

Zustand ist nicht nur negativ zu betrachten,<br />

sollte aber auch nicht e<strong>in</strong>er kategorischen<br />

Ablehnung jeder Art von Standardisierung<br />

den Weg bereiten.<br />

Sich <strong>in</strong> der gefühlten Behandlungsfreiheit<br />

e<strong>in</strong>schränken zu lassen, fällt vielen<br />

ärztlichen Mitarbeitern/-<strong>in</strong>nen <strong>in</strong><br />

Deutschland, aber auch anderen Ländern,<br />

schwer. Unwissenheit über die Verwendung<br />

<strong>und</strong> den Nutzen von Standards<br />

<strong>und</strong>/oder <strong>in</strong>dividuelle Unwilligkeit <strong>zur</strong><br />

Veränderung s<strong>in</strong>d mögliche Gründe für<br />

die mangelnde Implementierung von<br />

Standards. Wir schlagen deshalb die Etablierung<br />

von Mechanismen vor, welche die<br />

Entscheider am Ende der Handlungskette<br />

<strong>in</strong> die Verantwortung nehmen.<br />

Betrachtet man hierzu beispielsweise<br />

die Häufigkeit der hygienischen Händedes<strong>in</strong>fektion<br />

<strong>in</strong> den USA, die trotz diverser<br />

Kampagnen noch immer nur zwischen<br />

30 <strong>und</strong> 70% liegt [21], so wird vermutet,<br />

dass es sich hierbei nicht mehr um<br />

e<strong>in</strong> Problem des Systems, sondern vielmehr<br />

um e<strong>in</strong> Problem der Verantwortlichkeit<br />

handelt [7]. Es liegt <strong>in</strong> der Verantwortung<br />

jedes E<strong>in</strong>zelnen, rout<strong>in</strong>emäßig<br />

die Händedes<strong>in</strong>fektion durchzuführen.<br />

Um dies flächendeckend sicherzustellen<br />

ist auch <strong>in</strong> Zukunft viel Überzeugungsarbeit<br />

notwendig. Diese kann nicht alle<strong>in</strong><br />

durch organisatorische Maßnahmen erreicht<br />

werden, sondern muss auch durch<br />

persönliche Verantwortung der <strong>in</strong>dividuell<br />

Handelnden sowie durch beispielhaftes<br />

Agieren der Vorgesetzten erzielt werden.<br />

Ausblick<br />

Wir s<strong>in</strong>d überzeugt, dass die Voraussetzung<br />

für jegliche Veränderung der <strong>Sicherheitskultur</strong><br />

<strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong> im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> der Notaufnahme im Speziellen<br />

die Schaffung von Transparenz auf allen<br />

Ebenen der Patientenversorgung ist.<br />

Damit ergeben sich sek<strong>und</strong>är weitere Perspektiven<br />

<strong>zur</strong> Qualitätsverbesserung. Warum<br />

werden <strong>in</strong> <strong>deutschen</strong> Notaufnahmen<br />

nicht rout<strong>in</strong>emäßig Qualitäts<strong>in</strong>dikatoren<br />

gemessen, evaluiert <strong>und</strong> transparent gemacht?<br />

Offensichtlich liegen Werkzeuge <strong>in</strong><br />

Form von Literatur <strong>und</strong> Leitl<strong>in</strong>ien vor, deren<br />

Nutzen nachgewiesen werden konnte.<br />

Es stellt sich für den Außenstehenden die<br />

berechtigte Frage, warum gerade im sen-<br />

siblen Bereich der Notaufnahme die Thematik<br />

Risiko- <strong>und</strong> <strong>Fehler</strong>management bisher<br />

e<strong>in</strong> Schattendase<strong>in</strong> führt.<br />

Wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Leitartikel po<strong>in</strong>tiert formuliert,<br />

werden <strong>zur</strong> Zeit wertschöpfende<br />

Prozesse <strong>in</strong> der Mediz<strong>in</strong> im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

<strong>und</strong> der Notfallmediz<strong>in</strong> im Speziellen<br />

noch nach vor<strong>in</strong>dustriellen Mustern bearbeitet<br />

[28]. Die positive Wandlung von<br />

Arbeitsprozessen außerhalb des Ges<strong>und</strong>heitswesens<br />

hat bisher nur e<strong>in</strong>geschränkt<br />

E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> die professionelle Versorgung<br />

von Patienten gehalten <strong>und</strong> wird wegen<br />

e<strong>in</strong>er verme<strong>in</strong>tlich fehlenden Individualität<br />

als Kochbuchmediz<strong>in</strong> negativ bewertet<br />

[28]. Prozessoptimierung <strong>und</strong> Benchmark<strong>in</strong>g<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Industrie seit Jahrzehnten<br />

wichtiger Motor von Wettbewerb <strong>und</strong> Optimierung<br />

<strong>und</strong> zwischenzeitlich aus dem<br />

Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Projekte<br />

des Aktionsbündnisses Patientensicherheit<br />

e.V. <strong>und</strong> das Patientensicherheits-Optimierungs-System<br />

für Anästhesie,<br />

Intensivtherapie, Notfallmediz<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />

Schmerztherapie (PaSOSa<strong>in</strong>s) s<strong>in</strong>d erste<br />

Schritte im <strong>deutschen</strong> Ges<strong>und</strong>heitswesen,<br />

die allerd<strong>in</strong>gs noch nichts über den Durchdr<strong>in</strong>gungsgrad<br />

im Alltag deutscher Notaufnahmen<br />

aussagen. Die Verbesserungen<br />

durch Qualitätsmanagement <strong>und</strong> „best<br />

practice“ müssen allerd<strong>in</strong>gs im kl<strong>in</strong>ischen<br />

Alltag wirksam werden. Nur wenn die <strong>in</strong><br />

der Notaufnahme tätigen Ärzte den Stellenwert<br />

von Basismaßnahmen wie Anamnese<br />

<strong>und</strong> körperlicher Untersuchung ver<strong>in</strong>nerlicht<br />

haben <strong>und</strong> diagnostische Maßnahmen<br />

zielgerichtet dort gesetzt werden, wo<br />

sie notwendig s<strong>in</strong>d, ist die Qualitäts- <strong>und</strong><br />

Prozessverbesserung beim Patienten angekommen.<br />

Hierfür ersche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e strukturierte<br />

Fort- <strong>und</strong> Weiterbildung <strong>in</strong> kl<strong>in</strong>ischer<br />

Notfallmediz<strong>in</strong>, welche e<strong>in</strong>e breite Notfallkompetenz<br />

ermöglicht <strong>und</strong> <strong>in</strong> angelsächsischen<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>igen europäischen Ländern<br />

zwischenzeitlich Standard ist, unabd<strong>in</strong>gbar.<br />

> E<strong>in</strong>e strukturierte Fort- <strong>und</strong><br />

Weiterbildung <strong>in</strong> kl<strong>in</strong>ischer<br />

Notfallmediz<strong>in</strong> ist unabd<strong>in</strong>gbar<br />

E<strong>in</strong>e Gr<strong>und</strong>voraussetzung für die Optimierung<br />

von Abläufen <strong>und</strong> die Verbesserung<br />

der Versorgungsqualität <strong>in</strong> Notaufnahmen<br />

ist die E<strong>in</strong>führung <strong>und</strong> Erfassung geeigneter<br />

Indikatoren <strong>und</strong> Kennzahlen, denn<br />

was nicht gemessen wird, kann auch nicht

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!