75 Jahre Grundgesetz

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Editorial 75 Jahre Grundgesetz 75 Jahre Grundgesetz – Sicheres Fundament und kontinuierlicher Wandel Von Prof. Dr. Peter Michael Huber, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. Am 23. Mai 2024 jährt sich das Inkrafttreten des Grundgesetzes zum 75. Mal. Seit 1949 ist es die Grundlage unserer Rechtsordnung und das „supreme law of the land“. I. Konstitutionalisierung Auf der Basis des Grundgesetzes haben die Verfassungsorgane die – teilweise noch aus der Kaiserzeit stammende – Rechtsordnung zunächst an dessen Werten und Vorgaben und Werten neu ausgerichtet, sie gewissermaßen konstitutionalisiert. In diesem Sinne hat Fritz Werner das Verwaltungsrecht schon 1959 als „konkretisiertes Verfassungsrecht“ beschrieben. In den 1980er Jahren hat Claus Wilhelm Canaris diesen Effekt für das Zivilrecht vermessen, und auch im Strafrecht ist die Konstitutionalisierung heute jedenfalls im Grundsatz anerkannt. Zwar flackert in allen Fachbruderschaften über die Rechtsgebiete hinweg immer mal Widerstand auf, der den Selbstand des einfachen Rechts und seine Wertungen postuliert. Die Bürgenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die Qualifizierung von Mietern zu Eigentümern im verfassungsrechtlichen Sinne in den 1990er Jahren mögen Zivilrechtler noch immer zur Verzweiflung treiben; allein, sie sind eine Konsequenz des in Art. 1 2 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten Vorrangs der Verfassung, der letztlich dazu zwingt, auch die dunkelsten Winkel der Rechtsordnung mit der Fackel der Freiheit neu auszuleuchten. Dieser Prozess ist nicht am Ende. II. Herausforderungen und Krisen Das Grundgesetz war und ist auch die Grundlage, auf welcher Deutschland die Herausforderungen der letzten 75 Jahre gemeistert hat: Teilung und Wiedervereinigung – 1957 mit dem Saarland und 1990 mit den ostdeutschen Ländern. Auf der Basis von Art. 23 GG a. F. konnten diese schrittweise und ziemlich bruchlos in das Verfassungsgefüge des Grundgesetzes integriert werden. Dass dabei gerade im Falle der „neuen Länder“ auch Fehler gemacht wurden, dass die Betroffenen 40 Jahre Teilung nicht vergessen können und dass diejenigen, die eine erfolgreiche Revolution getragen haben, andere Erwartungen an Responsivität des politischen Systems haben mögen als in Westdeutschland Sozialisierte, stellt den grundsätzlichen Erfolg nicht in Frage. Zu den erfolgreich gemeisterten Krisen gehören die Wiederbewaffnung, die APO, der Terrorismus der Baader-Meinhof-Gruppe, Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, mehrere Wirtschafts- und Finanzkrisen, die Eurokrise, die COVID 19-Pandemie u. a. m. Keine von ihnen hat die Koordinaten der Republik verschoben. Alle wurden – trotz harter Auseinandersetzungen in der Sache – letztlich auf der Basis einer funktionierenden Gewaltenteilung bewältigt. III. Veränderte Rahmenbedingungen Die Ordnung des Grundgesetzes ist zukunftsoffen und in der Lage den Wandel in Gesellschaft, Wirtschaft und Umweltbedingungen zu verarbeiten. Die veränderten strafrechtlichen Bewertungen etwa der Homosexualität, des Schwangerschaftsabbruchs oder der Suizidbehihilfe belegen dies ebenso wie die „Erfindung“ neuer Grundrechte im Interesse des Datenschutzes - der Rechte auf informationelle Selbstbestimmung oder auf „Vertraulichkeit und Integrität informationstechnicher Systeme“. Bei Bahn und Post hat die Privatisierungseuphorie der 1990er Jahre Niederschlag gefunden, in Art 20a GG und im Beschluss des BVerfG vom 24. März 2021 der Klimaschutz. IV. EU und internationale Gemeinschaften Dem Auftrag der Präambel entsprechend ist Deutschland über die Jahrzehnte hinweg zu einem relevanten Glied-Land auf internationaler Ebene geworden und zu einem Teil des Staaten-, Verfassungs-, Rechtsetzungs-, Verwaltungs- und Rechtsprechungsverbundes der Europäischen Union. Ohne seine Souveränität aufgegeben zu haben, akzeptiert es den grundsätzlichen Anwendungsvorrang des Unionsrechts ebenso wie die Europäisierung des deutschen Rechts. Allerdings fehlt es den Bundesregierungen in diesem Prozess häufig an Gestaltungskraft und -willen, wie der Umstand zeigt, dass „German vote“ im Brüsseler Jargon für Enthaltung steht.
75 Jahre Grundgesetz Aktuelle Kommentare Aus der Feder führender Staatsrechtlerinnen und Staatsrechtler. NEU im März 2024 Huber/Voßkuhle (vormals v. Mangoldt/Klein/Starck) Grundgesetz-Kommentar 8. Auflage. 2024. CXCV, 8048 Seiten. In 3 Leinenbänden € 849,– ISBN 978-3-406-79230-4 Das große Traditionswerk bietet eine erstklassige Orientierungshilfe im Verfassungsrecht. Mehr als 75 renommierte Expertinnen und Experten verarbeiten die umfassende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die wesentliche Literatur zu einer wegweisenden Kommentierung für Praxis und Wissenschaft. Mit berücksichtigt sind das europäische Recht und das Völkerrecht. Die Neuauflage bietet eine ebenso umfassende wie hochaktuelle Erläuterung des Grundgesetzes einschließlich jüngster Änderungen: • durch Urteil des BVerfG v. 15.11.2023 zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 (Art. 115 GG) • elektronische Verkündung von Gesetzen (Art. 82 GG, in Kraft seit 1.1.2023) • Sondervermögen Bundeswehr (Art. 87a GG, in Kraft seit 1.7.2022), bzw. aktuell zu Überlegungen, Mittel für Ukrainehilfen und damit zweckwidrig zu verwenden • erhöhter Bundesanteil an den Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II (Art. 104 a GG, in Kraft seit 8.10.2020) Herausgegeben von Prof. Dr. Peter Michael Huber, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D., und Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts a.D. ... wieder eine zuverlässige, aktuelle und wissenschaftlich fundierte Kommentierung des gesamten Grundgesetzes, einschließlich der landesverfassungs- und europarechtlichen Bezüge einzelner Artikel. Es ist davon auszugehen, dass das Werk weiterhin in der Wissenschaft und in der Verfassungsrechtspraxis Gehör finden wird, zumal die Mehrheit der aktiven Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht als Herausgeber und Kommentatoren mitwirken. Dr. Manuel Ladiges, in: NZWehrr 6/18, zur Vorauflage Folgen Sie uns auf Mehr Infos: ch.beck.de/socialmedia 3
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