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Mixology Issue #120 – REIS, BABY!

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6/ 2/ 2023 2024 — 21. — 22. Jahrgang<br />

Einzelverkaufspreis: [D] [D] 12,00 12,00 € — € [A, — [A, LUX] LUX] 13,00 13,00 € — € [CH] — [CH] 14,00 14,00 CHF CHF<br />

DAS<br />

COCKTAIL<br />

PHANTOM<br />

<strong>BABY</strong>!<br />

REIS,<br />

DER EIGENARTIGE<br />

WEG DES SPANISCHEN<br />

BRANDY<br />

ES GIBT<br />

ABER NUR<br />

POLIERT.<br />

SAKE GALORE.<br />

PLUS: Der beste Winzersekt<br />

PLUS: Die große Scotch-Analyse


ZEHN<br />

DIE GEHEIME<br />

PISCOTHEK<br />

20


Irgendwie ist Pisco immer<br />

da, aber außer einem Pisco<br />

Sour oder hin und wieder<br />

einmal einem Pisco Punch<br />

findet man die Spirituose<br />

ziemlich selten in Barkarten.<br />

Dabei hat Pisco eigentlich<br />

alles, was Bartender:innen<br />

Spaß macht: interessante<br />

Geschichte, eine leicht<br />

spezielle Herstellung und<br />

vor allem eine sehr prägnante<br />

Aromatik. Daher also an<br />

dieser Stelle zehn Drinks mit<br />

Pisco, die es wert sind, einmal<br />

ausprobiert zu werden<br />

und hoffentlich dazu inspirieren,<br />

mehr mit dieser tollen<br />

Spirituose zu arbeiten.<br />

Text Marco Beier<br />

Fotos Sarah Swantje Fischer<br />

1<br />

Yerba-Mate Sour<br />

Ein leichter Einstieg. Bei diesem Drink handelt<br />

es sich schlicht und ergreifend um einen<br />

Pisco Sour, bei dem der Pisco mit Tee infusioniert<br />

wird. Natürlich nicht irgendein Tee,<br />

sondern passenderweise der südamerikanische<br />

Mate-Tee. Die leicht erdigen, rauchigen Noten<br />

sind eine tolle aromatische Ergänzung zum bekannten<br />

Klassiker und geben obendrein noch<br />

einen kleinen Energiekick.<br />

5,5 cl Mate-Pisco*<br />

3 cl frischer Limettensaft<br />

2,5 cl Zuckersirup<br />

Eiweiß oder Eiweißalternative<br />

Alle Zutaten auf Eiswürfeln im Shaker kalt schütteln.<br />

Doppelt in eine vorgekühlte Coupette abseihen<br />

und mit ein paar Tropfen Bitters garnieren.<br />

* 4 Löffel Mate-Tee für 2 Stunden in 500 ml Pisco<br />

ziehen lassen. Filtrieren und abfüllen.<br />

2<br />

Der<br />

»Yerba- Mate-Sour«<br />

vereint Pisco mit<br />

traditionell peruanischem<br />

Mate<br />

El Capitan<br />

Diese Abwandlung eines Manhattan ist tatsächlich<br />

eine aromatisch hochspannende Geschichte.<br />

Natürlich geht es dabei nicht um<br />

die Fassnoten, die ein Rye oder Bourbon mitbringt,<br />

aber die tollen Fruchtnoten eines Pisco<br />

harmonieren einfach großartig mit Wermut<br />

und bringen genau so viel Spannung in den<br />

Drink. Probiert hier gern einmal einen sortenreinen<br />

Pisco aus nur einer Rebsorte aus.<br />

6 cl Pisco<br />

3 cl roter Wermut<br />

2 Dashes Aromatic Bitters<br />

Alle Zutaten auf Eiswürfeln kaltrühren und in<br />

ein vorgekühltes Nick&Nora-Glas abseihen. Mit<br />

2 Weintrauben garnieren.<br />

3<br />

Dulce de Higo<br />

In der Pariser Bar »Castor club« wird stets der<br />

Cocktail der Woche gekürt. Im November ging<br />

der Titel an diese entfernte Verwandte des »À<br />

La Louisiane«. Hierbei handelt es sich um ein<br />

Gemeinschaftsprojekt der Bartender Krennen<br />

Martinez, Thomas Codsi und Louis Bonnevie.<br />

2,5 cl Pisco<br />

1,5 cl Blanco Tequila mit Feigenblatt-Infusion*<br />

1 cl Pommeau<br />

1 cl Nut Wine (von Chartreuse)<br />

1 cl D.O.M. Bénédictine<br />

1 Dash Angostura Bitters<br />

2 Dashes Peychaud’s Bitters<br />

Alle Zutaten auf Eiswürfeln kaltrühren und in<br />

ein vorgekühltes, mit Absinth ausgesprühtes<br />

Nick&Nora-Glas abseihen.<br />

* Feigenblätter in ein neutrales Speiseöl einlegen<br />

und 2 bis 3 Tage ziehen lassen, bis das Öl<br />

einen intensiven Geschmack hat. Mit diesem<br />

Öl ein klassisches Fatwashing mit dem Tequila<br />

machen.<br />

4<br />

The Laotong<br />

Pisco, Tee und ein Shrub. Manch einer mag<br />

an dieser Stelle befürchten, dass die feinen<br />

Aromen des Traubendestillats da nicht hervorstechen.<br />

Aber weit gefehlt: Erdbeere und<br />

Tomate passen in diesem Shrub toll zusammen,<br />

die Kamille wirkt als Bindeglied zwischen allen<br />

Komponenten und die Kohlensäure bringt die<br />

nötige Frische mit. Ungewöhnlich, aber mit ein<br />

wenig Vorbereitung ein wirklich feiner Drink.<br />

5,5 cl Pisco-Kamille-Infusion*<br />

6 cl Erdbeer-Tomaten-Shrub**<br />

3 cl Soda (nach Geschmack auch mehr)<br />

Alle Zutaten in ein Highball-Glas auf Eis geben<br />

und leicht verrühren. Mit einer essbaren Blüte<br />

garnieren.<br />

* 5 g getrocknete Kamillenblüten in eine<br />

700-ml-Flasche Pisco geben und 1 bis 2 Stunden<br />

ziehen lassen. Filtern.<br />

** 125 ml frischen Tomatensaft, 125 ml frischen<br />

Erdbeersaft, 250 g Zucker, 125 ml Sherry-Essig,<br />

60 ml Reiswein-Essig und 60 ml Rotweinessig<br />

in einem sauberen, verschließbaren Glasgefäß<br />

vermischen, bis der Zucker aufgelöst ist. 6 bis 8<br />

Wochen haltbar.<br />

21


»<br />

AUF EIN GLAS MIT …<br />

ICH BIN<br />

KEIN<br />

Das ist sicher richtig. Er<br />

würde sich auch selbst<br />

nicht als Conférencier<br />

bezeichnen. Wer allerdings<br />

einmal zu Markus Blattner<br />

durchgedrungen ist, will<br />

das dem aufmerk samen,<br />

leisen und unaufdringlichen<br />

Handwerker gerne<br />

wider legen. Der gebürtige,<br />

vielgereiste Küttigener<br />

aus dem Aargau ist ein<br />

Grandseigneur und einer<br />

der am längsten dienenden<br />

Bartender Zürichs.<br />

Doch zum alten Eisen zählt<br />

der Betreiber der The Old<br />

Crow Bar keineswegs.<br />

ZIRKUS -<br />

26<br />

DIREKTOR<br />

»


Markus Blattner ist in seiner Berufspassion als<br />

Bartender länger als ein Vierteljahrhundert<br />

aktiv und derjenige, der das Renommée von<br />

Zürichs Widder Bar und das Fundament der<br />

viel zitierten »Library of Spirits« 13 Jahre lang<br />

als Chef de Bar geprägt hat. Ursprünglich ist<br />

der Wahlzürcher gelernter Kaufmann, aber das<br />

liegt schon lange zurück. Genauso wie der Bar<br />

Convent Berlin der ersten Stunde mit »Boutique-Charakter«,<br />

den er gerne erinnert. Oder<br />

seine Mitwirkung als Juror der <strong>Mixology</strong> Bar<br />

Awards in damals kleinerer Runde. Seit zehn<br />

Jahren betreibt er nun mit seiner Frau Petra<br />

das »The Old Crow« in der Zürcher Altstadt.<br />

Dort treffen wir die unprätentiöse Branchenpersönlichkeit,<br />

starten vor dem Ansturm, ruhig<br />

und mit einem Softdrink. Selbstredend bleibt es<br />

in Blattners American Bar mit mehr als 1700<br />

Spirituosen- und Getränkequalitäten sowie 900<br />

raren wie gängigen Whisk(e)ys, teils aus der<br />

Privatsammlung des Spirituosenliebhabers und<br />

-kenners, nicht alleine dabei. Und hätte in der<br />

buntgemischten Gäste-Klientel noch mehr sein<br />

können, denn seine in Leder gebundenen Karten<br />

sprechen Bände aus alten und neuen Zeiten.<br />

Aber sie verraten nicht, dass The Old Crow<br />

Ende des Vorjahres ihr zehntes Jubiläum hatte.<br />

Text Mia Bavandi<br />

Fotos Steven Kohl<br />

<strong>Mixology</strong>: Lieber Markus, fast hätte ich<br />

wieder nicht zu dir gefunden, so verwinkelt ist<br />

es hier.<br />

Markus Blattner: Als wir eröffnet haben,<br />

sagten viele, dass uns in dieser verlorenen<br />

Gasse keiner finden wird. Ich wollte noch ein<br />

Schild anbringen, aber die Auflagen in Zürichs<br />

Altstadt sind hoch, es gilt Denkmalschutz,<br />

und irgendwann hab’ ich das vergessen. Jetzt<br />

finde ich es gut. Man blickt von draußen auf<br />

die Menschen im Inneren des Lokals und ist<br />

überrascht. Aber man muss schon wissen, wo<br />

wir sind, durch Zufall läuft selten jemand dran<br />

vorbei.<br />

Du bist vor langer Zeit ins Barfach quereingestiegen.<br />

Kannst du deinen Weg kurz skizzieren?<br />

Vermutlich gehöre ich wie auch Stefan Gabányi<br />

schon zum alten Eisen, aber ich bin auch<br />

erst relativ spät mit 27 Jahren nach meiner Tätigkeit<br />

als Bankkaufmann und vielen Reisen in<br />

die Gastronomie eingestiegen. Bartending war<br />

immer mein Hobby, das ich schon bei diversen<br />

Vereinsaktivitäten in meiner Heimatstadt<br />

Aarau übernommen und folglich auch einige<br />

wenige Kurse belegt habe. Mit 24 Jahren ging<br />

ich dann auf längere Reisen nach Asien und<br />

Australien, dann arbeitete ich in Genf, weil<br />

mir damals Zürich zu engstirnig erschien. 1996<br />

fing ich erstmals als Commis de Bar in der<br />

gerade eröffneten Widder Bar an. Doch das<br />

Fernweh trieb mich noch auf Kreuzfahrt- und<br />

Expeditionsschiffe, wo Petra und ich einander<br />

auch kennengelernt haben. Die Widder Bar<br />

behielt ich immer im Hinterkopf. Schlussendlich<br />

kam auf dem Kreuzfahrtschiff der Anruf<br />

aus dem Widder. Das war im Jahr 2000, als ich<br />

folglich für 13 Jahre als Chef de Bar die Widder<br />

Bar geleitet habe.<br />

The Old Crow feierte Ende vergangenen Jahres<br />

ihr zehnjähriges Jubiläum. War es damals<br />

zwingend die Idee, die Widder Bar zu verlassen<br />

und hier eure American Bar zu etablieren?<br />

Auf keinen Fall. Das hat sich mit der Location<br />

ergeben und war eine erschwingliche Glückssache<br />

in Zürich. Wir hatten zwar schon länger<br />

die Idee einer eigenen Bar im Hinterkopf, aber<br />

es war nicht eilig. Doch als wir dieses Lokal<br />

durch Zufall gesehen haben, ging es ziemlich<br />

schnell. Petra, damals Betriebsleiterin, war<br />

eher die treibende Kraft, als wir auf das Lokal<br />

gestoßen sind, und dann ging auch alles innerhalb<br />

von vier Monaten sehr schnell. Jvan<br />

Paszti, Petra und ich haben The Old Crow als<br />

gleichberechtigte Partner gegründet, als Partner<br />

ist Jvan nun aber schon seit vier Jahren<br />

nicht mehr operativ tätig.<br />

Es war kein vorgefasster Plan, den Widder zu<br />

verlassen. Der richtige Schritt?<br />

Definitiv eine glückliche Entscheidung. Ich<br />

liebe Zürich als Melting Pot aus internationalen<br />

und vielen nicht Deutsch sprechenden<br />

Menschen. Das ist fantastisch. Ich habe auch<br />

meine Arbeit im Widder geliebt. Es ist eine der<br />

schönsten Bars und hat einen der schönsten<br />

Tresen der Welt, wo ich unendlich viel Spielraum<br />

hatte, um mich selbst zu verwirklichen.<br />

Wir haben im Jahr 2000 mit 120 Whiskys begonnen,<br />

der teuerste kostete 45 Franken. Ich<br />

bin Jäger und Sammler, meine Leidenschaft<br />

galt schon immer Spirituosen und vor allem<br />

Whisk(e)y. Binnen kurzer Zeit konnte ich das<br />

Portfolio mit 1000-Franken-Positionen und<br />

zig-jährig gereiften Qualitäten verdoppeln und<br />

andere Kategorien weiter ausbauen. Ich musste<br />

sogar ein Sicherheitskonzept für Aufbewahrung<br />

und Zutritt der exklusiven Qualitäten<br />

vorstellen. In kurzer Zeit waren wir eine der<br />

bekanntesten Whisky Bars, vielleicht weltweit.<br />

Doch so sehr ich den Widder und die Fünf-<br />

Sterne-Gastro nomie geliebt habe, war es nicht<br />

leicht oder einfach, junge Vorgesetzte oder<br />

F&B-Manager in ihrer Vorstellung von der Leitung<br />

und Bestückung einer Bar zu verstehen.<br />

Doch dann kam das Glück der Location.<br />

Die nach einem Bourbon benannt ist. Mochtest<br />

du diesen Old Crow besonders?<br />

Nein! Er war damals eine Big Brand in Amerika.<br />

Bei der Namensgebung waren wir uns alle<br />

einig mit unserem Konzept, einen zeitlosen,<br />

charmanten Ort zu stiften, an dem wir uns alle<br />

wohlfühlen. Unsere Vorgabe war eine American<br />

Bar mit open doors und Musiklautstärke,<br />

bei der man sich unterhalten kann. Um hier<br />

diesen Traum zu leben, braucht es internationale<br />

Gäste, hier auch glücklicherweise viele<br />

Amerikaner, die dich wirklich suchen. Mein<br />

schönstes Kompliment kam von ihnen: Ihr<br />

seid die älteste Bar der Schweiz.<br />

Es wirkt sehr gemütlich, ein wenig wie ein Irish<br />

Pub. War es von Anfang an so konzipiert?<br />

Ich habe mich gerne von jahrhundertealten,<br />

cozy Pubs in Irland inspirieren lassen, das war<br />

Absicht. Meine Leidenschaft ist mein Job, in<br />

dem ich die meiste Zeit verbringe. Daher ist<br />

das Umfeld sehr wichtig. Um diese Leistung<br />

zu erbringen, muss ich mich, müssen wir uns<br />

wohlfühlen. Für ein Komplettdesign fehlten<br />

der reiche Patenonkel und die Zeit. Dafür<br />

wollten wir, dass unser Lokal wachsen und sich<br />

entwickeln darf. Wenn ich mir die damaligen<br />

Bilder anschaue, finde ich vieles nicht so sexy.<br />

Die Wand im hinteren Raum war anfangs komplett<br />

leer und ohne Bilder, aber genauso sollte<br />

sich das Old Crow entwickeln.<br />

Was fasziniert dich an deinem Beruf?<br />

Primär ist es die Leidenschaft zum faszinierenden<br />

Handwerk. Klar, man muss Gäste,<br />

Menschen mögen. Aber ich behaupte nicht,<br />

der beste Gastgeber zu sein. Ich bin es sehr<br />

gerne, aber ich bin kein Conférencier oder<br />

Zirkus direktor. Ich bediene meine Gäste gerne,<br />

möchte sie aber nicht unterhalten. Small<br />

Talk oder das Halten von Vorträgen finde ich<br />

furchtbar. Hinter dem Tresen fühle ich mich<br />

wohl, er bildet ein kleines Versteck und sicher<br />

keine Bühne, auf der ich mich darstellen<br />

möchte. Ich bin Handwerker und mag es auch,<br />

Leute mit dieser Arbeit in den Bann zu ziehen,<br />

aber einen Witz würde ich nie erzählen.<br />

Das klingt zurückhaltend, anders als viele<br />

Bartender es heute machen. Ist Gastgeben<br />

nicht das Schlagwort der jungen Generation?<br />

Das glaube ich auch. Natürlich muss man gerne<br />

Gastgeber und Dienstleister sein. Ich versuche<br />

meinen Mitarbeitern mitzugeben, dass<br />

wir aufmerksam, aber unaufdringlich sind. Es<br />

gibt nichts Schlimmeres als Startender. Gesprä-<br />

27


STADTGESCHICHTEN<br />

LITSCHI IN<br />

L O N<br />

JA, LONDON IST THE CONNAUGHT,<br />

SCARFES UND DIE AMERICAN BAR<br />

IM SAVOY. ES IST ABER AUCH SO VIEL<br />

MEHR. EINE BESTANDSAUFNAHME<br />

JENER BARLANDSCHAFT, DIE SEIT<br />

JEHER AUF DER ÜBERHOLSPUR IST;<br />

UND NICHT EINMAL DAMIT ANGIBT.<br />

Text Juliane E. Reichert<br />

30


D O N<br />

Foto: Rosewood London<br />

31


ALCHEMIST<br />

K<br />

K<br />

O<br />

I<br />

U<br />

M<br />

Illustrationen: Editienne<br />

44


Text Reinhard Pohorec<br />

Aus Japan kommt – mal<br />

wieder – der Begriff für<br />

eine mehr oder wenige<br />

neue Entdeckung, die<br />

im kulinarischen Raum<br />

ebenso bahnbrechend<br />

sein könnte wie einst<br />

»Umami«. Diesmal geht<br />

es um »Kokumi«. Was<br />

sich dahinter verbirgt, ist<br />

erst schwer zu beschreiben,<br />

bei detaillierter<br />

chemisch-physikalischer<br />

Beschreibung aber<br />

absolut plausibel. Und<br />

für die Bar vielleicht eine<br />

neue Geheimwaffe.<br />

Umami ist keine fernöstliche Kampfsportart.<br />

Mit »auf die Fresse« hat es sprichwörtlich dennoch<br />

zu tun. Vereinzelt trifft man noch auf<br />

entgeisterte Blicke und dicke Fragezeichen<br />

in den Augen jener, die bei süß, sauer, salzig<br />

und bitter mit ihrem Geschmackslatein am<br />

Ende sind. Seit der Chemiker Kikunae Ikeda<br />

1908 erstmalig behauptet hatte, eine neue Geschmackskomponente<br />

gefunden zu haben, ist<br />

viel passiert. Doch kaum ist Umami halbwegs<br />

im Genussmainstream angekommen – immerhin<br />

hat es knapp über hundert Jahre gedauert<br />

–, stolpert mit Kokumi () die nächste<br />

Sensorik-Wunderwaffe aus Japan um die Ecke.<br />

Wem nicht jetzt schon der Kopf raucht, aber<br />

immerhin das Wasser im Munde zusammenläuft,<br />

der möge uns über die nächsten Zeilen<br />

gewogen bleiben.<br />

Was ist Kokumi?<br />

Eine schnelle Suchmaschinenanfrage spült eine<br />

Definitionsflut für den Begriff über den Bildschirm,<br />

darunter »Vollmundigkeit«, »Köstlichkeit«<br />

und Ähnliches. So weit, so schwammig.<br />

Die wörtliche Übersetzung aus dem Japanischen<br />

lautet: »reicher (koku) Geschmack (mi)«.<br />

Der Komplexität menschlicher Sensorik ist mit<br />

einer einfachen Ein-Wort-Definition jedoch<br />

kaum Rechnung getragen. Schmecken wir etwas<br />

genauer hin.<br />

Während Umami heute mit Fug und Recht<br />

als fünfte Geschmackskomponente kategorisiert<br />

wird, betrifft Kokumi vor allem die Mundfülle.<br />

Zwar hat es nicht zwingend eine eigene<br />

Aromatik oder gustatorische Qualität, modifiziert,<br />

ergänzt oder verstärkt aber die Wahrnehmung<br />

anderer Eindrücke, was zu einem vollmundigen<br />

und vielschichtigen Erlebnis führt.<br />

Kokumi ist eng an die Umamigeschmacksbildung<br />

gekoppelt, hat aber per se nichts damit<br />

zu tun. Umami wird immer über entsprechende<br />

und eindeutige Geschmacksrezeptoren<br />

wahrgenommen; Kokumi nicht, sondern über<br />

sogenannte Calciumsensitive Rezeptoren.<br />

Der küchenaffine deutsche Physiker Thomas<br />

Vilgis klärt auf: »Für Kokumi sind vor allem<br />

Gamma-Glutamylpeptide verantwortlich, also<br />

kurze Proteinbruchstücke, an denen eine<br />

Glutaminsäure am einen Ende sitzt, gefolgt von<br />

zwei bis drei wasserunlöslichen Aminosäuren.<br />

Allerdings muss, um Kokumi auszulösen, die<br />

übliche alpha-Peptidbindung enzymatisch in<br />

eine gamma-Peptidbindung geändert werden.<br />

Okay, das klingt jetzt recht biochemisch-theoretisch«,<br />

schmunzelt er. Der Professor für Theoretische<br />

Physik an der Universität Mainz leitet<br />

die Arbeitsgruppe »Molekulare Lebensmittelwissenschaften«<br />

am Max-Planck-Institut für<br />

Polymerforschung. Als begeisterter Koch hat<br />

er die Erkenntnisse seiner Forschung in mehreren<br />

Büchern zur Wissenschaft des Kochens<br />

publiziert.<br />

In seinem Buch Aroma – Die Kunst des Würzens<br />

beschreibt Vilgis Kokumi unter der Überschrift<br />

»Geschmacksmodulation und Mundfülle«.<br />

Dabei assoziiert er diese Rundheit am<br />

Gaumen nicht unbedingt mit dem cremig-fettigen<br />

Gefühl, beispielsweise einer Panna Cotta.<br />

Vielmehr könne eine große Mundfülle ebenso<br />

durch sehr lange gekochte Hühnerbrühen oder<br />

andere Fleischfonds erzeugt werden. Auch ein<br />

Gulasch, eine einfache Bolognese oder ein<br />

herzhafter Bohneneintopf besitzen eine solche<br />

Vollmundigkeit. Es ist folglich wichtig zu<br />

unterscheiden: Der Kokumi-Eindruck ist keine<br />

texturelle Qualität, sondern molekular bedingt.<br />

Ein verbindender Aspekt obiger Gerichte<br />

ist die überdurchschnittlich lange Kochzeit<br />

und Reife. Im Zuge des dabei stattfindenden<br />

Prozesses der Hydrolyse zerfallen die in allen<br />

Lebensmitteln vorkommenden Proteinketten<br />

langsam zu immer kleineren Teilchen. Bruchstücke,<br />

die aus zwei oder drei Aminosäuren<br />

und einer Glutaminsäure bestehen, werden<br />

Gamma-Glutamylpeptide (auch γ-Glutamilpeptide)<br />

genannt. Diese Peptide sind unter anderem<br />

für den Kokumi-Effekt verantwortlich.<br />

Vilgis doziert weiter: »Das Zerlegen der Proteine<br />

in diese ›kokumisierenden‹ Glutamylpeptide<br />

kann sowohl durch Fermentation als<br />

auch durch Enzyme, pH-Wert-Änderungen<br />

oder, wie in den bereits genannten Beispielen,<br />

durch Hitze vonstatten gehen. Bei der Herstellung<br />

von Sojasauce etwa werden zum Zerlegen<br />

der Proteine enzymatische Fermentationsprozesse<br />

eingesetzt. Auch die lange Reifung von<br />

Käse lässt neben vielen anderen Reaktionen<br />

solche Proteinbruchstücke entstehen, die für<br />

die große Mundfülle von reifem Käse sorgen.«<br />

45


56<br />

MIXOLOGY TASTE FORUM


MAIS<br />

SPACE<br />

Text & Tastingleitung<br />

Maria Gorbatschova<br />

Illustration Constantin Karl<br />

An Bourbon führt kein<br />

Weg vorbei. So ist es nur<br />

recht und billig, dass er<br />

die erste Spirituosenkategorie<br />

ist, die bereits zum<br />

dritten Mal den Weg ins<br />

Taste Forum findet. Unser<br />

Expertengremium bewertet<br />

das aktuelle Angebot<br />

und findet ein klares, wenn<br />

auch knappes Urteil.<br />

An Bourbon kommt niemand vorbei, der in<br />

einer Bar arbeitet. In etwas über 300 Jahren<br />

Geschichte erlebte die Kategorie viele Höhen<br />

und Tiefen: Whiskey der Frontiers, verbotene<br />

Spirituose, Trendgetränk der Cocktail-Renaissance.<br />

Heute ist Bourbon so präsent und vielfältig<br />

wie nie.<br />

Seine Ursprünge sind, wie so häufig bei Spirituosen,<br />

nicht ganz klar. Etwa ab den 1770ern<br />

siedelten sich in Kentucky Siedler an. Destillation<br />

war zu dieser Zeit in den USA bereits<br />

weit verbreitet. Bauern machten durchs Brennen<br />

aus einem verderblichen Produkt – dem<br />

Getreide – ein unverderbliches und leicht<br />

verkäufliches, ob holzgereift oder nicht. Die<br />

Amerikaner destillierten den gesamten Mash,<br />

statt das Getreide vorher herauszufiltern, wie<br />

es in Schottland üblich ist. Die in der Brennblase<br />

verbleibenden Überreste eignen sich bei<br />

dieser Methode hervorragend als Tierfutter. Im<br />

Frühling wiederum dient der Kuhdung dazu,<br />

die Felder für das Getreide zu düngen. Als Vorbild<br />

für diese Destillationsmethode diente u. a.<br />

die deutsche Kornherstellung. Ein Kreislauf,<br />

der die Siedler an den abgelegenen westlichen<br />

Frontiers der noch jungen Nation unabhängig<br />

vom Handel machte.<br />

Deutsche Spuren<br />

Nach heutigem Kenntnisstand ist das Knowhow<br />

des US-amerikanischen Brennerhandwerks<br />

zu guten Teilen deutschen und auch jüdischen<br />

Einwanderern aus dem osteuropäischen<br />

Raum zu verdanken. Während sich deutsche<br />

und jüdische Immigranten zwar traditionell<br />

eher im Nordosten und Norden des Landes<br />

ansiedelten, schlug sich ihr Wissen um die<br />

Erzeugung von Kornbrand im Lauf der Jahrzehnte<br />

landesweit nieder. Hinter einem der bekanntesten<br />

Namen im Bourbon-Business, Jim<br />

Beam, steckt beispielsweise ein 1750 emigrierter<br />

Deutscher: Johannes Jakob Boehm. Eine<br />

weitere einflussreiche Gruppe in der Whiskeyherstellung<br />

sind Einwanderer aus Irland.<br />

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen<br />

fast fünf Millionen Iren in die USA. Der<br />

Grund, warum amerikanischer Whiskey noch<br />

heute mit einem »e« geschrieben wird, ist das<br />

Vorbild Irish Whiskey. Während Rye Whiskey<br />

bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in seiner<br />

Stilistik stark durch europäischen Korn beeinflusst<br />

war, stand bei der Entstehung von Bourbon<br />

von Anfang an milder irischer Whiskey<br />

Pate – auf der überwiegenden Basis von Mais.<br />

Bereits in den 1820ern war Bourbon in den<br />

USA geläufig. Vor allem in Chicago, im Mittleren<br />

Westen und den Frontiers entwickelte sich<br />

eine Vorliebe für Bourbon, während man in<br />

New Orleans und dem Nordosten Rye bevorzugte.<br />

Ende des 19. Jahrhunderts, als durch die<br />

Reblaus-Epidemie Port, Sherry und Cognac<br />

rar wurden, wurde Bourbon auch in Europa<br />

populär. Während der Prohibition in den USA<br />

wurde jede Kategorie amerikanischer Spirituosen<br />

fast gänzlich zerstört. Nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg erholte sich die Industrie etwas<br />

und erreichte in den 1970er-Jahren eine kurze<br />

Hochphase. In den folgenden Jahrzehnten war<br />

Vodka die bevorzugte Spirituose der Amerikaner.<br />

Um die Jahrtausendwende begannen einige<br />

Hersteller, handwerklich hergestellte Premium-Bourbons<br />

auf den Markt zu bringen und<br />

damit neue Zielgruppen zu erschließen. Mit<br />

der Cocktail-Renaissance stieg das Interesse an<br />

traditionell amerikanischen Spirituosen und<br />

qualitativ hochwertigen Produkten deutlich<br />

an. Zwischen 2000 und 2020 wuchs der Markt<br />

für Bourbon allein in den USA um 167 %. Weltweit<br />

ist die Spirituose aus kaum einer Bar wegzudenken.<br />

739 Whiskey- und Bourbon-Destillerien<br />

gibt es 2023 in den USA, eine Steigerung<br />

um 11,6 % zum Vorjahr. Noch nie konnte man<br />

aus so vielen Brands und Qualitäten wählen<br />

wie heute.<br />

Mais & Fass<br />

Wenn an der Bar (und auch sonst) von gutem<br />

Bourbon die Rede ist, ist stets »Straight<br />

Bourbon« gemeint. So auch in unserem Fall.<br />

Bourbon darf nur Bourbon heißen, wenn er in<br />

den USA hergestellt wurde. Die Mash Bill, auf<br />

Deutsch etwas unelegant mit »Brei-Rechnung«<br />

oder »-Formel« übersetzt, gibt den Anteil verschiedener<br />

Getreidearten in der Maische eines<br />

American Whiskeys an. Bei Bourbon muss er<br />

mindestens 51 % Mais enthalten. Dazu kommen<br />

meist zwischen 5 und 15 % gemälzte Gerste, um<br />

die Fermentation anzukurbeln, außerdem Roggen<br />

und/oder Weizen. Andere Getreide sind<br />

seltener, aber ebenfalls zugelassen. In unserem<br />

Tasting fällt zum Beispiel Koval Bourbon aromatisch<br />

auf, der aus 51 % Bourbon und 49 %<br />

Hirse hergestellt wird.<br />

57


TRINKWELT<br />

P E R U<br />

62


Text Markus Orschiedt<br />

Illustrationen Inga Israel<br />

PERUPUR<br />

Von Peru, diesem be sonderen Andenstaat<br />

am Pazifik, ging schon immer<br />

ein Zauber aus. Die Inka-Hochkultur<br />

hatte hier ihr Zentrum. Den spanischen<br />

Eroberern war es als unerschöpfliches<br />

Goldland verheißen. Die vergangenen<br />

Jahre wiederum haben das Interesse<br />

an peruanischer Kulinarik global<br />

in die Höhe schnellen lassen. Doch<br />

Moment: Zur Kulinarik gehört ja wohl<br />

auch Trinken. Eine Wanderung.<br />

Erinnern Sie sich noch an die Kult-Serie Miami<br />

Vice? An Don Johnson, der als blondmähnige<br />

Nemesis Sonny Crockett, zusammen mit seinem<br />

Partner Rico Tubbs, in Miami Beach die<br />

Finsterlinge der Kokainbanden in ihren Clubs<br />

aufspürte und über den Ocean Drive oder zu<br />

Wasser nachsetzte? In schnellen Autos und<br />

noch schnelleren Schnellbooten, mit dunklen<br />

Sonnenbrillen und pastellgewandet, wurden<br />

Recht und Gesetz noch nie mit so viel Stil –<br />

style over substance, bemängelten Kritiker – in<br />

Szene gesetzt.<br />

Das können wir auch, dachte sich wahrscheinlich<br />

Nancy »Donna« Faeser und ließ sich<br />

kürzlich auf einem Boot der Küstenwache<br />

in Perus Metropole Lima ablichten. Ganz in<br />

Schwarz, aber auch blondwehend und mit<br />

dunkler Sonnenbrille im simulierten Kampf<br />

gegen die Koksfluten, die sonst irgendwann an<br />

den Docks des Hamburger Hafens anbranden.<br />

Wem es wohl eher mit einer seit Jahrzehnten<br />

dysfunktionalen Antidrogenstrategie an den<br />

Kragen geht: prekären Campesinos oder brutalen<br />

Narcos-Kartellen? Beinahe gleichzeitig<br />

hatten die Medien, flankiert vom Lärm des<br />

asozialen Empöriums, es fertiggebracht, das<br />

öffentliche Bild von Peru abzurunden: die<br />

Radwege im Moloch Lima, bezahlt von unserem<br />

Steuergeld! Damit war die Kakophonie<br />

in Gang gesetzt. Eine Mixtur aus harten Fake<br />

News, Halbwahrheiten, Ignoranz, Missachtung<br />

internationaler Abkommen und langfristiger<br />

Strategien gegen Armut und Klimawandel.<br />

Deutschland und Europa investieren in die<br />

Probleme, China holt sich die industriellen<br />

Rohstoffe, wir bekommen das Koks – so der<br />

Plot. Ein einziges kommunikatives Desaster.<br />

Schmackhaft gemacht von den verkaterten Framing-Sommeliers<br />

der TV-Morgenmagazine bis<br />

zu den hauptamtlichen Hassbewirtschaftern<br />

in Politik und Digitalmedien. Umso beschämender,<br />

arrogant und geschichtsvergessen, vor<br />

dem Hintergrund der großen Bedeutung und<br />

des deutschen Ansehens seit Alexander von<br />

Humboldts großer Andenexpedition von Cartagena<br />

nach Lima. Dort gelang ihm die valide<br />

Bestimmung des Längengrades von Lima, der<br />

heute noch als Richtwert für das südwestliche<br />

Teilstück des Kontinents Gültigkeit hat.<br />

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