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Landverheißung und Zionismus in der Theologie Friedrich-Wilhelm ...

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LandverheiÄung <strong>und</strong> <strong>Zionismus</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Theologie</strong> <strong>Friedrich</strong>-<strong>Wilhelm</strong> Marquardts -<br />

e<strong>in</strong>e Problemanzeige<br />

Von Tobias Kriener<br />

Als "SchÅler" Marquardts beleuchtet Kriener dessen Auslegung <strong>der</strong> biblischen<br />

LandverheiÄung <strong>in</strong> Bezug auf den heutigen Staat Israel. Er kritisiert das Ausblenden<br />

realpolitischer Fakten des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Diese seien mit <strong>der</strong> biblischen Landnahme<br />

im E<strong>in</strong>zelnen nicht zu vergleichen. Kriener selbst plÇdiert fÅr e<strong>in</strong>e „konsequent<br />

uneschatologische Sicht Israels <strong>in</strong>mitten <strong>der</strong> Juden <strong>in</strong> aller Welt <strong>und</strong> <strong>in</strong>mitten <strong>der</strong><br />

VÑlker <strong>der</strong> Welt“, die auch das „Heimatrecht“ <strong>der</strong> PalÇst<strong>in</strong>enser umfasse. Zu dieser<br />

Sicht habe Marquardt selbst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er den Eschatologie-BÇnden folgenden „Utopie“<br />

(1997) die TÅr geÑffnet.<br />

<strong>Friedrich</strong>-<strong>Wilhelm</strong> Marquardt ist me<strong>in</strong> wichtigster theologischer Lehrer. Das hat im<br />

Wesentlichen zwei GrÄnde.<br />

Der e<strong>in</strong>e: Zu Beg<strong>in</strong>n me<strong>in</strong>es <strong>Theologie</strong>studiums beschÅftigte ich mich - veranlaÇt durch den<br />

rabiaten Atheismus me<strong>in</strong>er Schulfre<strong>und</strong>e - sehr <strong>in</strong>tensiv mit <strong>der</strong> Religionskritik von Feuerbach<br />

<strong>und</strong> Marx <strong>und</strong> mit Barths Aufnahme <strong>und</strong> Durcharbeitung dieser Kritik. Trotz aller<br />

BemÄhungen aber gelangte ich nicht zu solcher GewiÇheit, wie ich sie vor allem von<br />

Kommiliton<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Kommilitonen pietistischer Herkunft kannte. Das war fÄr mich e<strong>in</strong>e<br />

gr<strong>und</strong>legende Anfechtung: Kann ich Theologe se<strong>in</strong> <strong>und</strong> Pfarrer werden wollen, wenn ich mir<br />

<strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Glauben nicht ganz sicher b<strong>in</strong>? Beim NÄrnberger Kirchentag 1979 hÉrte ich dann<br />

Marquardts Vortrag ÑChristse<strong>in</strong> nach AuschwitzÖ. Er endete mit e<strong>in</strong>em doppelten<br />

ÑVielleichtÖ: ÑRobert Raphael Geis sagte auf dem Kirchentag <strong>in</strong> Hannover 1967: ‚Das Wort<br />

des Glaubens <strong>in</strong> unserer Zeit kann <strong>und</strong> will nicht mehr pompÉs-deklamatorisch se<strong>in</strong>, es ist das<br />

‚vielleicht’ e<strong>in</strong>es zaghaften Hoffens. Doch auch das Wort von Gottes erbarmen<strong>der</strong> Liebe<br />

heiÇt: vielleicht.’ Vielleicht? ... Vielleicht.Ö (1) Dieses ÑVielleichtÖ war fÄr mich e<strong>in</strong> echtes<br />

Evangelium, denn es machte mich frei von dem Zwang, GewiÇheit gew<strong>in</strong>nen zu mÄssen. Von<br />

da ab konnte ich mit Zweifeln als Bestandteil me<strong>in</strong>er Theologenexistenz leben.<br />

Das Zweite: Zeitweise vertrat ich damals e<strong>in</strong>en sturen Barth-Dogmatismus. Im Rahmen e<strong>in</strong>es<br />

studentischen Sem<strong>in</strong>ars <strong>in</strong> Jerusalem berichtete uns Marquardt von Barths Ausspruch ihm<br />

gegenÄber: ÑSei e<strong>in</strong> Mann <strong>und</strong> folge mir - nicht!Ö Und tatsÅchlich. An Marquardt ist<br />

beson<strong>der</strong>s fasz<strong>in</strong>ierend, wie er - von Barth herkommend - doch entschieden <strong>und</strong> frei e<strong>in</strong>en<br />

eigenen Denkweg weitergeht. Se<strong>in</strong> Beispiel half mir, mich von me<strong>in</strong>em Barth-Dogmatismus<br />

allmÅhlich freizuschwimmen. Trotz des Gebots, nicht zu folgen, gibt es e<strong>in</strong>em ‚SchÄler’<br />

natÄrlich zu denken, wenn er se<strong>in</strong>em wichtigsten Lehrer nicht folgen kann. Das ist bei mir <strong>der</strong><br />

Fall h<strong>in</strong>sichtlich Marquardts Haltung <strong>und</strong> àuÇerungen zum Staat Israel <strong>und</strong> zum israelischpalÅst<strong>in</strong>ensischen<br />

Konflikt. Ich mÉchte im folgenden: 1. versuchen, Marquardts Auffassung<br />

zu verstehen, 2. darlegen, warum ich zu diametral entgegengesetzten E<strong>in</strong>schÅtzungen komme,<br />

3. begrÄnden, <strong>in</strong>wiefern me<strong>in</strong>e Auffassungen Marquardt <strong>in</strong>s Angesicht theologisch Bestand<br />

haben kÉnnen. In alledem setze ich darauf, daÇ me<strong>in</strong> Lehrer me<strong>in</strong>e âberlegungen im S<strong>in</strong>ne<br />

<strong>der</strong> zitierten ÑâberlieferungÖ unseres geme<strong>in</strong>samen groÇen Lehrers als Versuch zu werten<br />

vermag, eben gerade so SchÄler zu se<strong>in</strong>.<br />

I.


Das Nachdenken Äber die theologische Bedeutung <strong>der</strong> GrÄndung des Staates Israel im Jahre<br />

1948 hat Marquardt be<strong>in</strong>ahe von Anfang se<strong>in</strong>er theologischen Arbeit an beschÅftigt. Der -<br />

vorlÅufige - Endpunkt dieses Nachdenkens liegt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Dogmatik vor. (2)<br />

Die GrÄndung des Staates Israel wirkt als hermeneutischer Katalysator: Ñ... daÇ wir e<strong>in</strong>e<br />

These vom gekÄndigten B<strong>und</strong> Gottes mit Israel <strong>in</strong> unserer Generation nicht mehr wie<strong>der</strong>holen<br />

kÉnnen, ... ist Folge brutaler historischer UmstÅnde - <strong>der</strong> Schoah <strong>und</strong> <strong>der</strong> Rettung e<strong>in</strong>es<br />

jÄdischen Volksteils aus ihr <strong>und</strong> vor ihr - <strong>und</strong> <strong>der</strong> damit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em engen Zusammenhang<br />

stehenden neuen Selbstidentifizierung <strong>der</strong> Geretteten <strong>und</strong> Verschonten mit dem biblischen<br />

Volk Israel. Zu ihr gehÉrt auch die neue Identifizierung zuerst mit <strong>der</strong> adamat JiÇrael, seit<br />

Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen zionistischen Siedlung im Lande, - dann mit Erez JiÇrael <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

StaatengrÄndung dortzulande. ... FÄr uns als Christen ist es ... diese unerhÉrte<br />

‚Geschichtswahrheit’, die uns nÉtigt, die Bibel mit ihren entsprechenden Partien <strong>in</strong><br />

ZusammenhÅngen dieser neuen RealitÅt zu lesen, vor allem sie auch neu historisch zu<br />

identifizieren mit diesem Volk, se<strong>in</strong>em SelbstverstÅndnis, zu dem <strong>in</strong>tegral jene ‚ewige’<br />

Beziehung auf das Land gehÉrt ...Ö (3) Dem entsprechen die biblischen Texte von <strong>der</strong><br />

LandverheiÇung Gottes an Israel <strong>und</strong> von <strong>der</strong> Landnahme Israels.<br />

Entscheidend ist e<strong>in</strong>e theologische Erkenntnis im engsten S<strong>in</strong>ne: Die LandverheiÇung ist nicht<br />

irgende<strong>in</strong> zeitlich weit zurÄckliegendes <strong>und</strong> darum Äberholtes Geschehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte<br />

Israels, son<strong>der</strong>n sie ist e<strong>in</strong> Kennzeichen Gottes: ÑSo wie die Bibel es sieht, hat Gott sich selbst<br />

auf Gedeih <strong>und</strong> Ver<strong>der</strong>b an das Volk Israel ... <strong>und</strong> damit zugleich auch an se<strong>in</strong> VerhÅltnis zum<br />

Lande engagiert.Ö (4) Zwei PhÅnomene vor allem sprechen dafÄr: die Rede davon, daÇ Gott<br />

das Land zuschwÉrt <strong>und</strong> <strong>der</strong> Zusammenhang von Erstem Gebot <strong>und</strong> Land. (5) Ersteres zeigt,<br />

daÇ es <strong>in</strong> <strong>der</strong> LandverheiÇung um e<strong>in</strong> Element des B<strong>und</strong>es geht. Weil Gott <strong>in</strong> <strong>der</strong> VerheiÇung<br />

von Nachkommen zugesagt hat, daÇ Israel durch die Zeiten leben <strong>und</strong> schlieÇlich im Land,<br />

wo Milch <strong>und</strong> Honig flieÇen, ruhig wohnen wird, hÅngt se<strong>in</strong>e VerlÅÇlichkeit <strong>und</strong> also se<strong>in</strong><br />

Gottse<strong>in</strong> daran, daÇ sich das Zugesagte ereignet: ÑE<strong>in</strong> gesegnetes Israel im Lande wÅre also<br />

das hÉchste Allgeme<strong>in</strong>e fÄr die Erkennbarkeit dieses Gottes.Ö (6) Den Zusammenhang<br />

zwischen Erstem Gebot <strong>und</strong> Land beschreibt Marquardt folgen<strong>der</strong>maÇen: ÑWenigstens e<strong>in</strong><br />

kle<strong>in</strong>es StÄckchen Erde ... wÅhlt er, um e<strong>in</strong> Beispiel zu geben dafÄr, was es fÄr alle heiÇen<br />

kÉnnte: Gott regiert auf Erden.Ö (7) In e<strong>in</strong>em Land wenigstens soll schon jetzt ke<strong>in</strong> Raum<br />

mehr se<strong>in</strong> fÄr GÉtzendienst, son<strong>der</strong>n Gott alle<strong>in</strong> gedient werden.<br />

DaÇ <strong>der</strong> biblische Gott sich ausgerechnet an se<strong>in</strong>e VerheiÇung e<strong>in</strong>es bestimmten Landes fÄr<br />

e<strong>in</strong> bestimmtes Volk b<strong>in</strong>det, macht se<strong>in</strong>e ÑAbson<strong>der</strong>lichkeit, UnangepaÇtheit, ‚An<strong>der</strong>sheit’Ö<br />

aus. (8) Durch die LandverheiÇung macht Gott sich gegen-stÅndlich, weil sie nÅmlich Ñ<strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Welt nur Wi<strong>der</strong>stand, Ablehnung, GegenbewegungÖ erzeugt. (9) Diese Gegen-StÅndlichkeit<br />

ist wie nichts sonst Antidot gegenÄber dem Projektionsverdacht <strong>der</strong> Religionskritik: E<strong>in</strong> so<br />

massiv gegen alle MaÇstÅbe <strong>der</strong> ÑaufgeklÅrten VernunftÖ (10) handeln<strong>der</strong> Gott kann nicht<br />

Produkt von E<strong>in</strong>bildung se<strong>in</strong>.<br />

Marquardt ist sich dessen bewuÇt, daÇ gerade die LandverheiÇung fÄr die ÑaufgeklÅrte<br />

VernunftÖ anstÉÇig ist: Ñ(Gott) verheiÇt dieser bodenlosen Menschengruppe e<strong>in</strong> StÄck ihm<br />

ursprÄnglich .fremden Landes.Ö (11) ÑDas verheiÇene Land war schon damals nicht ‚leer’ -<br />

sowenig wie zur Zeit <strong>der</strong> neuzeitlichen zionistischen Siedlungen dort, so wenig wie bei den<br />

heutigen jÄdischen Landnahmebewegungen auf <strong>der</strong> Westbank am Ende des 20. christlichen<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts.Ö (12) Ja-Sagen zur LandverheiÇung bedeutet aber, daÇ man den sich aus ihr<br />

ergebenden Konflikt als unvermeidlich akzeptiert: ÑAn<strong>der</strong>e VÉlker lebten <strong>und</strong> herrschten dort,<br />

<strong>und</strong> so bedeutete die LandverheiÇung - wie heute schon damals - e<strong>in</strong>en unvermeidlichen<br />

ZusammenstoÇ zwischen den StÅmmen Israels <strong>und</strong> den Bewohnern des Landes.Ö (13) Die


ÑWurzelÖ des ÑunlÉsbar sche<strong>in</strong>ende(n) Konflikts um das Land heuteÖ liegen Ñnicht zuletzt <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung am Gottes LandverheiÇung an IsraelÖ. (14)<br />

Es ist unausweichlich, daÇ dieser Konflikt auch kriegerisch ausgetragen wird. Auch dem stellt<br />

sich Marquardt mit aller Konsequenz: ÑVor alle sozialen Utopien hat Gott die Infragestellung<br />

je<strong>der</strong> MÉglichkeit von Gerechtigkeit gesetzt: das Elend, daÇ LandverheiÇung sich an<strong>der</strong>s nicht<br />

als <strong>in</strong> Landnahme verwirklichen lÅÇt. E<strong>in</strong> f<strong>und</strong>amentales Unrechttun ist die Basis, an <strong>der</strong><br />

soziales Recht <strong>und</strong> hÉhere Gerechtigkeit ... erst gelernt, erarbeitet werden mÄssen.Ö (15) In<br />

dieser Ñnackten RelitÅtÖ hat sich Tora, das jÄdische Recht zu bewÅhren. (16) Marquardt geht<br />

daher auch ausfÄhrlich auf die Kriegsgesetze <strong>in</strong> Dtn 20, das Fe<strong>in</strong>desrecht <strong>in</strong> Ex 23,4f. <strong>und</strong> das<br />

Fremdenrecht <strong>in</strong> Num 15,15f.; Lev 24,22 <strong>und</strong> Lev 19,33f. e<strong>in</strong>, um zu zeigen, daÇ die gÉttliche<br />

Rechtssetzung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tora am Ñallerschwersten FallbeispielÖ des Krieges begrenzend wirkt.<br />

(17).<br />

Auch auf das biblische PhÅnomen des Heiligen Krieges kommt Marquardt zu sprechen. Se<strong>in</strong><br />

Fazit: ÑDar<strong>in</strong> (<strong>in</strong> den Texten, die von Heiligem Krieg berichten, d. Verf.) muÇ wirkliche<br />

Erfahrung aufgehoben se<strong>in</strong>: Es gab Situationen e<strong>in</strong>es unerklÅrlichen Ausweichens, sogar<br />

ZurÄckweichens von Gegnern vor e<strong>in</strong>em Nimbus, <strong>der</strong> Israel vorang<strong>in</strong>g.Ö (18) Diesen Nimbus<br />

sieht Marquardt auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Geschichte des <strong>Zionismus</strong> wirken: ÑDas PhÅnomen<br />

gehÉrt <strong>in</strong> die umstrittene ... Geschichtser<strong>in</strong>nerung <strong>der</strong> VorgÅnge von 1947 auf 1948 h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>: ...<br />

die Israelis br<strong>in</strong>gen immer wie<strong>der</strong> Beweise fÄr von ihnen gar nicht erzwungene<br />

Fluchtbewegungen von PalÅst<strong>in</strong>ensern aus dem Land h<strong>in</strong>aus. ... freiwillige Massenflucht ohne<br />

Ausweisung. E<strong>in</strong> PhÅnomen des heiligen Krieges war es wohl wirklichÖ. (19)<br />

Konsequenz <strong>der</strong> LandverheiÇung <strong>in</strong> <strong>der</strong> geschichtlichen RealitÅt ist aber vor allem die Ñbittere<br />

EnterbungÖ <strong>der</strong> bisherigen Bewohner des Landes. (20) Marquardt legt Wert darauf zu<br />

betonen, daÇ es sich nicht um Vertreibung handelt, son<strong>der</strong>n um e<strong>in</strong>en ÑBesitzwechselÖ,<br />

wodurch die Vorbesitzer nicht ÑrechtlosÖ werden, son<strong>der</strong>n ihnen das Recht Ñ<strong>der</strong>er, die nicht<br />

mehr ‚Erben’ s<strong>in</strong>d im Land, son<strong>der</strong>n AbhÅngigeÖ, e<strong>in</strong>gerÅumt wird. (21)<br />

Von diesen Aussagen ausgehend versucht Marquardt nun, auch den unvermeidlichen<br />

ÑOpfernÖ gerecht zu werden: ÑAlle Weltgeschichte, auch alle Befreiungsgeschichte, ist<br />

Opfergeschichte ... Wenn Gottesgeschichte im Medium von Weltgeschichte geschieht, wird<br />

auch sie belastet mit dem Elend, das auch sie dann erzeugt.Ö (22) Marquardt weicht nicht aus,<br />

son<strong>der</strong>n unternimmt den Versuch - sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en PalÅst<strong>in</strong>enser versetzend <strong>und</strong> all dessen<br />

bittere GefÄhle nachvollziehend - dennoch e<strong>in</strong>e Glaubenshaltung zu imag<strong>in</strong>ieren, die<br />

palÅst<strong>in</strong>ensisches Weichen vor Israel bejahen kann. Johannes <strong>der</strong> TÅufer <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Ausspruch:<br />

ÑJener muÇ wachsen, ich aber abnehmenÖ (Joh 3,30) ist ihm Vorbild fÄr e<strong>in</strong>e solche<br />

Glaubenshaltung. (23) FÄr den miÇglÄcktesten Gedanken <strong>in</strong> diesem ganzen Zusammenhang<br />

schlieÇlich erachte ich folgenden: Marquardt entnimmt <strong>der</strong> Lutherschen Schrift gegen die<br />

aufstÅndischen Bauern den berÄchtigten Satz ÑLeiden, Leiden, Kreuz, Kreuz ist des Christen<br />

RechtÖ <strong>und</strong> regt, auf ihm aufbauend, fÄr PalÅst<strong>in</strong>enser e<strong>in</strong>e Ñnegative <strong>Theologie</strong>. <strong>Theologie</strong><br />

<strong>der</strong> Kehrseite Gottes. <strong>Theologie</strong> des Ausweichens. ... Befreiungstheologie <strong>der</strong> EnterbtenÖ an.<br />

(24)<br />

An ke<strong>in</strong>er Stelle gibt Marquardt vor, e<strong>in</strong>e ‚ausgewogene Position’ beziehen zu wollen. Se<strong>in</strong>e<br />

Haltung umreiÇt er mit dem Begriff ÑMitlÅufertumÖ: Die Christen s<strong>in</strong>d Ñd(ie)jenigen<br />

Nichtjuden, die sich ... zu (Israels) MitlÅufern gemacht habenÖ. (25)<br />

lnteresseleitend ist fÄr Marquardt auch nicht die âberlegung, wie e<strong>in</strong> Ñgerechter <strong>und</strong><br />

dauerhafter Friede im Nahen OstenÖ auszusehen habe. Vielmehr hegt er gegen die


Vertragswerke <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Politik e<strong>in</strong>e abgr<strong>und</strong>tiefe Skepsis: Die VÉlker Ñbedrohen<br />

sich ..., unterwerfen e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>und</strong> bilden Imperien. StÄtzen sich freilich auch gegenseitig<br />

durch Warentausch, Handel, Blockbildungen <strong>und</strong> Unionen, politische VertrÅge: solange sie<br />

halten. (Hervorhbg. durch d. Verf.) Sie fÄhren lange Kriege, genieÇen kurzen Frieden <strong>und</strong><br />

s<strong>in</strong>d wie Subjekte so auch das groÇe UnglÄck <strong>der</strong> WeltgeschichteÖ. (26) Und im Speziellen<br />

gilt das auch fÄr alle Friedenspolitik, denn schon die Propheten Israels verkÄndigten die<br />

Urteile Gottes Ñnicht selten gegen jeden Augensche<strong>in</strong> <strong>und</strong> durchaus contre coeur des<br />

AlltagsbewuÇtse<strong>in</strong>s, das immer wÄnscht, sich beruhigen <strong>und</strong> tÅuschen zu kÉnnen Äber den<br />

Ernst <strong>der</strong> Lage: ‚Friede! Friede! doch wo ist Friede?’Ö (27) Der Erfolg von Friedenspolitik,<br />

<strong>der</strong> AbschluÇ von Vertragswerken ist fÄr ihn also nicht MaÇstab zur Beurteilung des<br />

Verhaltens <strong>der</strong> ÑVÉlkerÖ, weil solche Vere<strong>in</strong>barungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> weiteren historischen<br />

Perspektive sehr relative <strong>und</strong> ÅuÇerst brÄchige Arrangements s<strong>in</strong>d, auf die sich e<strong>in</strong>e<br />

gr<strong>und</strong>legende Beurteilung nicht stÄtzen lÅÇt. Bleiben<strong>der</strong> MaÇstab fÄr das Verhalten <strong>der</strong><br />

VÉlker - fÄr die Beurteilung <strong>in</strong>ternationaler Politik <strong>und</strong> dar<strong>in</strong> auch <strong>der</strong> Nahostpolitiken - ist<br />

alle<strong>in</strong> ihr Verhalten gegenÄber Israel: ÑIsrael das MaÇ, an dem Gott die VÉlker miÇt.Ö (28)<br />

II.<br />

Marquardts Entwurf besticht durch se<strong>in</strong>e tiefe F<strong>und</strong>ierung im biblischen Text <strong>und</strong> durch die<br />

KohÅrenz <strong>und</strong> Str<strong>in</strong>genz des ArgumentationsgebÅudes, das er auf diesem F<strong>und</strong>ament errichtet.<br />

Der Gedanke <strong>der</strong> ÑGegenstÅndlichkeitÖ Gottes, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> PartikularitÅt <strong>der</strong> ErwÅhlung Israels<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Geb<strong>und</strong>enheit an dieses konkrete StÄck Land anschaulich wird, ist mir theologisch<br />

beson<strong>der</strong>s wertvoll, weil er e<strong>in</strong> religionskritisches Christse<strong>in</strong> ermÉglicht.<br />

Warum aber kann ich Marquardt dennoch nicht folgen? B<strong>in</strong> ich <strong>in</strong>konsequent, weil zu sehr <strong>in</strong><br />

<strong>der</strong> Ñallgeme<strong>in</strong>en MenschenvernunftÖ (29) befangen?<br />

Ich kann Marquardt vor allem <strong>der</strong> Erfahrungen wegen nicht folgen, die ich <strong>in</strong> drei Jahre<br />

Leben <strong>in</strong> Israel gemacht habe. In me<strong>in</strong> erstes Israel-Jahr fiel <strong>der</strong> Besuch des Ågyptischen<br />

PrÅsidenten Anwar el Sadat, <strong>der</strong> enorme Auswirkungen hatte, weit Äber den AbschluÇ e<strong>in</strong>es<br />

Friedensvertrags mit Israel h<strong>in</strong>aus: Erstmals kam e<strong>in</strong> arabischer Staatschef, e<strong>in</strong>er von denen,<br />

die als neuer Hitler bezeichnet worden waren, nach Israel, redete vor <strong>der</strong> Knesset, besuchte<br />

Jad Vashem. Dieser Besuch hat e<strong>in</strong>er ganzen Ontologie <strong>der</strong> ewigen Fe<strong>in</strong>dschaft zwischen<br />

Juden <strong>und</strong> Arabern den Boden entzogen.<br />

1981 erlebte ich den Wahlkampf fÄr die Knesset mit, <strong>der</strong> von e<strong>in</strong>er demagogisch gefÄhrten<br />

HaÇkampagne des damaligen M<strong>in</strong>isterprÅsidenten Beg<strong>in</strong> gegen Schimon Peres geprÅgt war.<br />

Es herrschte Lynchstimmung Äberall, wo <strong>der</strong> sozialdemokratische Kandidat auftauchte. Der<br />

Mord an Jizchak Rab<strong>in</strong> sechszehn Jahre spÅter ist schon damals von nachdenklichen<br />

Kommentatoren vorausgesehen worden.<br />

Was heiÇt ÑMitlÅufertumÖ angesichts solcher <strong>in</strong>nerisraelischen Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzungen? Mit<br />

wem mitlaufen? Der Begriff ÑMitlÅuferÖ hÉrt sich m. E. fatal nach Ausschalten des eigenen<br />

Denkens an, als solle <strong>der</strong> ÑMitlÅuferÖ jede Wendung, die von oben vorgegeben wird,<br />

mitmachen <strong>und</strong> das eigene kritische Denken <strong>und</strong> PrÄfen ausschalten. Dazu b<strong>in</strong> ich nicht<br />

bereit. Ich stehe dazu, daÇ ich auch <strong>in</strong> Bezug auf Israel zwischen e<strong>in</strong>er besseren <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er<br />

schlechteren Politik unterscheide.<br />

In das dritte Jahr me<strong>in</strong>es Aufenthalts <strong>in</strong> Israel fiel <strong>der</strong> Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Intifada, die <strong>der</strong> israelischen<br />

äffentlichkeit mit e<strong>in</strong>em Schlag bewuÇt machte, was es bedeutet, e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Volk zu<br />

beherrschen. Die Intifada stellte die Israelis vor die entscheidende Frage: Wollen wir die


Besetzung - mit allen Konsequenzen, die das für uns als demokratische Gesellschaft wie für<br />

uns als ethisch handelnde Individuen hat - o<strong>der</strong> wollen wir sie nicht?<br />

Me<strong>in</strong>e gleichaltrigen israelischen Fre<strong>und</strong>e - darunter nicht- o<strong>der</strong> antireligiöse ebenso wie<br />

orthodox-religiöse - beantworteten diese Frage mit »Ne<strong>in</strong>«. Sie wollten ke<strong>in</strong>eswegs, daß auch<br />

noch ihre Söhne dazu gezwungen se<strong>in</strong> würden, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Konfrontation mit Paläst<strong>in</strong>ensern etwa<br />

gewalttätig zu werden, was sie selbst verabscheuten. Sie traten <strong>und</strong> treten deshalb für die<br />

Rückgabe von »Judäa <strong>und</strong> Samaria« e<strong>in</strong> <strong>und</strong> müssen sich deshalb den Vorwurf gefallen<br />

lassen, Verräter <strong>und</strong> eigentlich ke<strong>in</strong>e Juden zu se<strong>in</strong>.<br />

Die Marquardtsche Auslegung <strong>der</strong> <strong>Landverheißung</strong> aber gelangt zu Positionen, wie sie solche<br />

politischen Kräfte vertreten, die me<strong>in</strong>e israelischen Fre<strong>und</strong>e als »Verräter« bezeichnen:<br />

Positionen des Gusch Emunim <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er parlamentarischen Vertreter <strong>in</strong> Likud, National-<br />

Religiöser Partei <strong>und</strong> Moledet. (30) Wenn ihre E<strong>in</strong>stellung tatsächlich die Konsequenz <strong>der</strong><br />

biblischen <strong>Landverheißung</strong> ist, wenn sie die authentischen politischen Interpreten des Willens<br />

Gottes s<strong>in</strong>d - dann müßte ich vom Glauben abfallen. In <strong>der</strong> Konsequenz solcher<br />

Argumentation müßte ich die arabische Propaganda, die dem Staat Israel expansionistische<br />

Gelüste bis an den Euphrat unterstellt, <strong>und</strong> die mir bislang als Ausdruck von Paranoia galt. für<br />

glaubwürdig halten, <strong>und</strong> könnte verstehen, daß die Araber sich mit allen Mitteln, <strong>der</strong>er sie<br />

habhaft werden können, dieser Bedrohung ihrer Existenz entgegenstemmen.<br />

III.<br />

Aber so ist es - Gottlob - nicht!<br />

Marquardt erklärt es für e<strong>in</strong> Kennzeichen <strong>der</strong> B<strong>und</strong>esbeziehung zwischen Gott <strong>und</strong> Israel,<br />

»daß er mit se<strong>in</strong>em Volk im anstößigsten S<strong>in</strong>ne real-politisch kommuniziert« (31) Er begeht<br />

aber nun m. E. den gr<strong>und</strong>legenden Fehler, daß er die Bibel f<strong>und</strong>amentalistisch liest, das heißt:<br />

ohne realpolitisch zu reflektieren, ob die Situation <strong>der</strong> ersten Landnahme Israels <strong>der</strong> Situation<br />

gleicht, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die zionistische Bewegung ihr Projekt <strong>der</strong> Ansiedlung <strong>in</strong> Paläst<strong>in</strong>a durchführte,<br />

o<strong>der</strong> wie sie sich von letzterer unterscheidet.<br />

Vollzog sich die erste Landnahme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em rechtsfreien, anarchischen, <strong>in</strong>ternationalen<br />

Rahmen, <strong>in</strong> dem nur das Recht des Stärkeren galt, so spielte sich die mo<strong>der</strong>ne »Landnahme«<br />

im völkerrechtlichen Rahmen des Völkerb<strong>und</strong>mandats über Paläst<strong>in</strong>a ab, das <strong>der</strong><br />

dom<strong>in</strong>ierenden Weltmacht Großbritannien den Auftrag erteilte, für die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>er<br />

nationalen Heimstätte für das jüdische Volk zu sorgen. (Die Balfour-Deklaration war<br />

Bestandteil des Mandatsauftrags.) Auf diese Weise erübrigte sich Krieg als Mittel <strong>der</strong><br />

Landnahme: Sie vollzog sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne teils durch Bodenkauf, weitaus wirksamer war<br />

jedoch <strong>der</strong> Beschluß <strong>der</strong> UNO von 1947, mehr als die Hälfte des Mandatsgebiets für e<strong>in</strong>en<br />

jüdischen Staat vorzusehen. Die folgenden Kriege wurden - zum<strong>in</strong>dest aus israelischer Sicht -<br />

zur Sicherung des völkerrechtlich zugesagten Gebiets geführt <strong>und</strong> waren nicht etwa Mittel <strong>der</strong><br />

Landnahme.<br />

Abgesehen von <strong>der</strong> Frage, wie haltbar Friedensverträge s<strong>in</strong>d, ermöglicht <strong>der</strong><br />

Entwicklungsstand <strong>der</strong> <strong>in</strong>ternationalen Institutionen e<strong>in</strong>e Konfliktaustragung mit Mitteln <strong>der</strong><br />

Diplomatie. So unvermeidbar <strong>der</strong> Konflikt um das historische Paläst<strong>in</strong>a war <strong>und</strong> so<br />

»unlösbar« er auch ist, so gibt es doch <strong>in</strong>ternationale Verfahrensregeln, die die Mittel zur<br />

Austragung dieses Konflikts e<strong>in</strong>grenzen. Ich denke dabei an den Teilungsbeschluß <strong>der</strong> UNO<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Reihe von UNO-Resolutionen zur Flüchtl<strong>in</strong>gsfrage, dem Status Jerusalems, dem<br />

Status okkupierter Territorien bis h<strong>in</strong> zur Genfer Konvention, die versucht, die schlimmen<br />

Auswirkungen von tatsächlich geführten Kriegen zu begrenzen.


Dem Gott Israels, <strong>der</strong> se<strong>in</strong>em Volk e<strong>in</strong> StÄck Land zuschwÉrt, stehen also <strong>in</strong>zwischen an<strong>der</strong>e<br />

Instrumente zur Umsetzung se<strong>in</strong>es B<strong>und</strong>esratschlusses zu Gebote, die er <strong>in</strong> <strong>der</strong> zionistischen<br />

Bewegung bereits genutzt hat. Jene Mittel, die zur ersten Landnahme notwendig waren, waren<br />

dagegen <strong>in</strong> <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Geschichte <strong>der</strong> zionistischen Landnahme ÄberflÄssig: Der Terror<br />

<strong>der</strong> Untergr<strong>und</strong>gruppen <strong>der</strong> Revisionisten bis h<strong>in</strong> zum Massaker von Deir Jass<strong>in</strong> 1947, das<br />

den ÑSchreckenÖ verbreitete, <strong>der</strong> dann zu <strong>der</strong> Ñfreiwilligen Massenflucht ohne AusweisungÖ<br />

fÄhrte, aber auch die Vertreibungsaktionen <strong>der</strong> israelischen Armee, hatten nur das e<strong>in</strong>e Ziel,<br />

e<strong>in</strong> demographisch mÉglichst homogenes Territorium herzustellen. Sie als PhÅnomene des<br />

ÑHeiligen KriegesÖ zu werten, geht am biblischen Sachverhalt vorbei, <strong>der</strong>, wie Marquardt ja<br />

zeigt, von ÑEntwurzelungÖ spricht <strong>und</strong> nicht von Vertreibung. Das Entscheidende <strong>der</strong><br />

LandverheiÇung, daÇ nÅmlich das Volk des B<strong>und</strong>es e<strong>in</strong> StÄck Land erhÅlt, um die Tora des<br />

Landes tun zu kÉnnen (33) <strong>und</strong> Gott Ñals Nation durch Institutionen dienen (zu) kÉnnenÖ (34),<br />

ist durch den TeilungsbeschluÇ von 1947 erfÄllt. Die Vertreibung <strong>der</strong> PalÅst<strong>in</strong>enser hat hierzu<br />

nicht nur nichts beigetragen, son<strong>der</strong>n im Gegenteil HaÇ <strong>und</strong> RevanchegelÄste genÅhrt, die bis<br />

heute e<strong>in</strong>en Interessenausgleich so schwer machen.<br />

Wenn Marquardt die SiedlungsaktivitÅten nach 1967 dennoch als Ñneue messianische<br />

Verb<strong>in</strong>dlichkeiten auch fÄr politisches HandelnÖ (35) e<strong>in</strong>ordnet, ist damit e<strong>in</strong> zweites Problem<br />

gegeben: das <strong>der</strong> theologischen Verortung <strong>der</strong> LandnahmeverheiÇung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Eschatologie.<br />

Zwar ist <strong>der</strong> Paragraph, <strong>in</strong> dem Marquardt se<strong>in</strong>e AusfÄhrungen Äber <strong>Zionismus</strong> <strong>und</strong> Staat<br />

Israel macht, Äberschrieben: Ñde antecedentibusÖ, also: ‚Von den vorletzten D<strong>in</strong>gen’. Sie<br />

gelten ihm aber doch als PhÅnomene, die auf das Ende zulaufen <strong>und</strong> als ÑAnfang <strong>der</strong><br />

ErlÉsungÖ. Auch damit f<strong>in</strong>det Marquardt sich bei <strong>der</strong> Auffassung nationalreligiÉser Kreise <strong>in</strong><br />

Israel wie<strong>der</strong>. Dort ist er aber unter die falschen Propheten geraten. Das Ende <strong>der</strong> Welt ist<br />

noch nicht gekommen; es genÄgt, daÇ <strong>der</strong> Staat Israel als ZufluchtsstÅtte fÄr Juden <strong>in</strong> aller<br />

Welt da ist. DaÇ er sich <strong>der</strong>zeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ProzeÇ <strong>der</strong> RÄckgabe von Teilen des<br />

zugeschworenen Landes bef<strong>in</strong>det, ist so gesehen geradezu heilvoll, weil er messianische<br />

Hoffnungen stutzt <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e uneschatologische Interpretation Israels stÄtzt.<br />

Marquardt ist sich <strong>der</strong> Anfechtbarkeit se<strong>in</strong>es Versuchs gelegentlich sehr wohl bewuÇt. Dies<br />

zeigt m. E. e<strong>in</strong>e Bemerkung am SchluÇ se<strong>in</strong>er Dogmatik, <strong>in</strong> <strong>der</strong> ÑUtopieÖ, die noch e<strong>in</strong>mal<br />

e<strong>in</strong>e ganz an<strong>der</strong>e Perspektive auf Israel erÉffnet. Zu den VerÅn<strong>der</strong>ungsprozessen, die die<br />

israelische Gesellschaft <strong>der</strong>zeit durchmacht, schreibt er: ÑVielleicht, daÇ Israel beg<strong>in</strong>nt, sich -<br />

nicht zuletzt um se<strong>in</strong>es Friedens <strong>in</strong>mitten <strong>der</strong> VÉlker willen - zu historisieren, se<strong>in</strong><br />

Ausnahmehaftes, damit aber auch se<strong>in</strong> qualitativ Beson<strong>der</strong>es e<strong>in</strong>zuschrÅnken. Das wertet die<br />

nie beendete Existenz <strong>der</strong> Gola, <strong>der</strong> jÄdischen Diaspora unter den an<strong>der</strong>en VÉlkern <strong>der</strong> Welt,<br />

neu auf... Noch ist es nicht so weit, aber wir kÉnnen nicht ausschlieÇen, daÇ wir irgendwann<br />

e<strong>in</strong>mal die Gesellschaft Israels ansehen mÄssen <strong>und</strong> ansehen werden wie nur irgende<strong>in</strong>e<br />

Gesellschaft sonst.Ö (35)<br />

Mit se<strong>in</strong>er Bemerkung stÉÇt Marquardt die TÄr auf zur Entwicklung e<strong>in</strong>er konsequent<br />

uneschatologischen Sicht Israels <strong>in</strong>mitten <strong>der</strong> Juden <strong>in</strong> aller Welt <strong>und</strong> <strong>in</strong>mitten <strong>der</strong> VÉlker <strong>der</strong><br />

Welt. In dieser uneschatologischen Perspektive hÅtte auch e<strong>in</strong> Heimatrecht <strong>der</strong> PalÅst<strong>in</strong>enser<br />

<strong>in</strong> PalÅst<strong>in</strong>a Platz - als Er<strong>in</strong>nerung daran, daÇ die ErlÉsung noch nicht da ist; <strong>und</strong> - wenn sich<br />

e<strong>in</strong> friedlicher Interessenausgleich zwischen Israelis <strong>und</strong> PalÅst<strong>in</strong>ensern ergeben sollte - als<br />

Angeld auf die prophetische Utopie, <strong>der</strong>zufolge sogar WÉlfe bei LÅmmern weiden werden.<br />

Wie es sich <strong>der</strong>e<strong>in</strong>st mit dem ÑReich fÄr IsraelÖ verhalten wird, das bleibt bis zur letzten<br />

Offenbarung als ÑGeheimnisÖ (RÉ 11,25) unserem Zugriff entzogen. Allerd<strong>in</strong>gs gehÉrt nach<br />

me<strong>in</strong>em DafÄrhalten zu christlicher Eschatologie auch die Hoffnung auf Abbruch <strong>der</strong> (Grenz-<br />

)ZÅune, auf Beendigung <strong>der</strong> Fe<strong>in</strong>dschaft (Eph 2,14). Christliches Handeln darf sich schon


jetzt entsprechend dieser Hoffnung stark machen für Versuche, unter den Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong><br />

Realpolitik zur E<strong>in</strong>dämmung von Fe<strong>in</strong>dschaft <strong>und</strong> damit zum Durchlässigwerden von<br />

Grenzen beizutragen.<br />

1. Fr.-W. Marquardt/A. Friedlän<strong>der</strong>, Das Schweigen <strong>der</strong> Christen <strong>und</strong> die Menschlichkeit<br />

Gottes. Gläubige Existenz nach Auschwitz, München 1980, S.34.<br />

2. Vgl.: <strong>Friedrich</strong>-<strong>Wilhelm</strong> Marquardt, Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürften. E<strong>in</strong>e<br />

Eschatologie, Bd. 2, Gütersloh 1994. S. 187 - 285 <strong>und</strong> S. 382 - 386.<br />

3. A. a. O., S. 266 f., vgl. auch a. a. O., S. 312.<br />

4. A. a. O., S. 243.<br />

5. Vgl. a. a. O., S. 243-259.<br />

6. A. a. 0., S. 247.<br />

7. A. a. 0., S. 253.<br />

8. A. a. O., S. 243.<br />

9. Ebd.<br />

10. A. a. O., S. 268. 11. A. a. O., S. 187.<br />

12. A. a. O S. 199.<br />

13. Ebd.<br />

14. A. a. O.. S. 198.<br />

15. A. a. O., S. 228.<br />

16. Ebd.<br />

17. Ebd.<br />

18. A. a. O., S. 262 f.<br />

19. A. a. 0., S. 263.<br />

20. A. a. 0., S. 202.<br />

21. A. a. O.. S. 207.<br />

22. A. a. O., S. 275.<br />

23. A. a. O., S. 285.<br />

24. Ebd.<br />

19. A. a. 0., S. 263.<br />

20. A. a. 0., S. 202.<br />

21. A. a. O.. S. 207.<br />

22. A. a. O., S. 275.<br />

23. A. a. O., S. 285.<br />

24. Ebd.<br />

25. A. a. 0., S. 135; vgl. auch S. 161, 163.<br />

25. A. a. 0., S. 135; vgl. auch S. 161, 163.<br />

26. Fr.-W. Marquardt, Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürften`? E<strong>in</strong>e Eschatologie,<br />

Bd. 3, Gütersloh 1996, S. 257.<br />

27. A. a. O., S. 263. 28. A. a. O., S. 269.<br />

29. Eschatologie, Bd. 2, S. 270.<br />

30. Rechtsradikale Partei, die sich für den »Transfer« aller Paläst<strong>in</strong>enser e<strong>in</strong>setzt - natürlich<br />

nicht unter Anwendung von Zwang, son<strong>der</strong>n als freiwilliges »Weichen«, unterstützt allenfalls<br />

durch F<strong>in</strong>anzhilfen. Ich weiß natürlich, wie sehr ich Marquardt Unrecht tue, wenn ich ihn <strong>in</strong><br />

dieser Ecke sehe, denn er hat selber öffentlich se<strong>in</strong>e Sympathie für die Arbeitspartei erklärt:<br />

Vgl. Zwischenruf »Wenn ich Israeli wäre ...«, <strong>in</strong>: Junge Kirche ll/88, S. 597.<br />

31. Eschatologie, Bd. 2, S. 187.<br />

32. Eschatologie, Bd. 2, S. 210-228.<br />

33. A. a. O., S. 227.<br />

34. A. a. O., S. 384.<br />

35. Fr.-W. Marquardt, Eia, wärn wir da - e<strong>in</strong>e theologische Utopie, Gütersloh 1997,S.576.


Quelle: Tobias Kriener, <strong>Landverheißung</strong> <strong>und</strong> <strong>Zionismus</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong> <strong>Friedrich</strong>-<strong>Wilhelm</strong><br />

Marquardts - e<strong>in</strong>e Problemanzeige, <strong>in</strong>: Wendung nach Jerusalem. <strong>Friedrich</strong>-<strong>Wilhelm</strong><br />

Marquardts <strong>Theologie</strong> im Gespräch, hrsg. von Hanna Lehm<strong>in</strong>g, Joachim Liß-Walther,<br />

Matthias Loerbroks <strong>und</strong> Rien van <strong>der</strong> Vegt, Gütersloh 1999, 217-226.<br />

©Dr. Tobias Kriener

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