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Michael Weinrich<br />

Calvin und die an<strong>de</strong>re Äkumene 1<br />

1. Frankfurt am Main und die Äkumene<br />

Frankfurt am Main bietet alles fÅr einen guten Einstieg in unser<br />

Thema. Bereits im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt war die Reichsstadt Frankfurt<br />

ein wirtschaftlich und kulturell be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s Oberzentrum – Calvin<br />

spricht von „<strong>de</strong>r weitberÅhmten Stadt Frankfurt“ 2 . Auch in<br />

religionspolitischer Hinsicht verfÅgte die Stadt in <strong>de</strong>n vielschichtigen<br />

sensiblen Spannungslagen <strong>de</strong>r Reformation Åber ein soli<strong>de</strong>s<br />

Selbstbewusstsein 3 . Auf vergleichsweise engem Raum fin<strong>de</strong>n wir<br />

hier konkrete Veranschaulichungen fÅr beinahe alle Facetten <strong>de</strong>s<br />

Åberaus dramatischen Umbruchs, <strong>de</strong>n die Reformation be<strong>de</strong>utete<br />

– auch all seine Empfindlichkeiten und GefÖhrdungen. Die Reformation<br />

war nicht einfach nur ein Richtungswechsel o<strong>de</strong>r gar<br />

nur ein Mo<strong>de</strong>umschwung, son<strong>de</strong>rn ein dramatischer und weitreichen<strong>de</strong>r<br />

Einschnitt, <strong>de</strong>r mit vielen ErschÅtterrungen, Unsicherheiten<br />

und handgreiflichen Bedrohungen verbun<strong>de</strong>n war. Und es waren<br />

nicht nur ein paar unruhige Tage zu bestehen, son<strong>de</strong>rn weit<br />

mehr als eine Generation hatte sich direkt o<strong>de</strong>r indirekt mit diesem<br />

Umbruch auseinan<strong>de</strong>rzusetzen. Die ganze Existenz war unmittelbar<br />

betroffen, und kaum ein Lebensbereich blieb von <strong>de</strong>n<br />

VerÖn<strong>de</strong>rungen unberÅhrt. Wir kÜnnen uns das heute nicht mehr<br />

von ferne vorstellen.<br />

Was wir uns allerdings vorstellen kÜnnen, ist, dass auch bereits<br />

damals die groáe Geschichte sich ihren Weg durch allerlei<br />

menschliche Kleingeistigkeit, Wichtigtuerei, falsche RÅcksicht-<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Vortrag auf <strong>de</strong>r 64. Hauptversammlung <strong>de</strong>s Reformierten Bun<strong>de</strong>s vom 29. bis 31.<br />

Okt. 2009 in Frankfurt/M.<br />

So in <strong>de</strong>r Widmung <strong>de</strong>r Evangelienharmonie 1555 an die Stadt Frankfurt; vgl. G. W.<br />

Locher, Calvin. Anwalt <strong>de</strong>r Äkumene (ThSt 60), Zollikon 1960, 3.<br />

Vgl. dazu ausfÅhrlich K. Bauer, Der Bekenntnisstand <strong>de</strong>r Reichsstadt Frankfurt a.<br />

M., Teil I, in: Archiv fÅr Reformationsgeschichte 19 (1922), 194–251; Teil II, in:<br />

ARG 20 (1923), 127–174; Teil III u. IV, in: ARG 21 (1924), 1–36 u. 206–238; Teil<br />

V, in: ARG 22 (1925), 39–101. Bauer hebt hervor, dass die Stadt Frankfurt a.M.,<br />

„wie keine zweite, zu jener Zeit als Hauptstadt <strong>de</strong>s Reiches gelten konnte“ (Ebd.,<br />

Teil V, 39).


MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 2<br />

nahmen, Eitelkeit, elen<strong>de</strong>s Aufgespreize von NebensÖchlichkeiten,<br />

fehlen<strong>de</strong>s Augenmaá, Unempfindlichkeit und aufgeblasenes<br />

Pathos zu bahnen hatte. Dass auch Pfarrern eigenwilliger Profilierungsdrang,<br />

EifersÅchtelei und kurzsichtige KleinkrÖmerei nicht<br />

grundsÖtzlich fremd sind, kÜnnen wir, wenn wir das GlÅck haben<br />

sollten, es noch nicht selbst erfahren zu haben, hier in Frankfurt<br />

im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt in bedrÖngen<strong>de</strong>r Weise studieren. Insgesamt<br />

ist in dieser Hinsicht die Quellenlage so erdrÅckend, dass es keine<br />

kÅhne These ist, wenn <strong>de</strong>r ganze nachreformatorische Konfessionalismus<br />

nicht <strong>de</strong>r Theologie, son<strong>de</strong>rn diesem Konto menschlicher<br />

Eigenwilligkeit und Missgunst zur Last geschrieben wird 4 .<br />

Frankfurt ist da nur ein Beispiel allen dort gegebenen guten Voraussetzungen<br />

zum Trotz.<br />

Bekanntlich hatte Frankfurt seit 1554 nach <strong>de</strong>m Tod <strong>de</strong>s KÜnigs<br />

von England Edward VI FlÅchtlinge aus England – Wallonen,<br />

Flamen und EnglÖn<strong>de</strong>r – aufgenommen. Sie bil<strong>de</strong>ten dort<br />

eigene Gemein<strong>de</strong>n, auf welche die heutigen <strong>reformiert</strong>en Gemein<strong>de</strong>n<br />

in Frankfurt und Hanau zurÅckgehen. Die politisch<br />

weitsichtige GroázÅgigkeit <strong>de</strong>r Stadt Frankfurt, die auf eine Union<br />

perspektiviert war, konnte es allerdings nicht verhin<strong>de</strong>rn, dass sich<br />

die unterschiedlichen Gemein<strong>de</strong>n untereinan<strong>de</strong>r allzu bald in<br />

rechthaberisches und bockbeiniges GezÖnk verhakelten – eifernd<br />

angefacht von auáen, dann aber auch selbst leichtfertig und risikofreudig,<br />

um nicht zu sagen selbstgefÖhr<strong>de</strong>nd kurzsichtig, mit<br />

immer neuem Brennstoff versorgt, so dass es auch nicht ohne<br />

schmerzliche Explosionen abging.<br />

Zweimal war Calvin willkommener Gast in Frankfurt. Das erste<br />

Mal kam er 1539, lange bevor es dort die FlÅchtlingsgemein<strong>de</strong>n<br />

gab, um sich bei <strong>de</strong>n dort (zum Schmalkaldischen Bun<strong>de</strong>stag) versammelten<br />

FÅrsten fÅr die bedrÖngten franzÜsischen Glaubensgenossen<br />

einzusetzen. Der eigentliche Erfolg dieses Besuches war<br />

aber die Freundschaft, die Calvin bei dieser Gelegenheit mit Me-<br />

4<br />

Zu Recht hebt Chr. Strohm hervor: „Die bald einsetzen<strong>de</strong> Konfessionalisierung hat<br />

die bleiben<strong>de</strong> NÖhe Calvins zu Luther ver<strong>de</strong>ckt.“ (Johannes Calvin. Leben und<br />

Werk <strong>de</strong>s Reformators, MÅnchen 2009, 106) Die These, dass sich diese KonsensualitÖt<br />

auch im VerhÖltnis <strong>de</strong>s Calvinismus zum tri<strong>de</strong>ntinischen Katholizismus <strong>de</strong>r frÅhen<br />

Neuzeit feststellen lasse, (so Strohm, ebd., 115), scheint mir dagegen recht kÅhn<br />

zu sein. J.T. McNeill stellt fest, dass Calvin zu neun Zehnteln ein Lutheraner war;<br />

vgl. Calvin as an Ecumenical Churchman, in: Church History 32 (1963), 379–391,<br />

384.<br />

Datei: Vorträge / Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene.doc / Bearbeitung: 28. Okt. 2009 / Druck: 31.10.2009 /22:43.


MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 3<br />

lanchthon schloss, <strong>de</strong>m weitsichtigen und empfindsamen, gelegentlich<br />

allzu zurÅckhalten<strong>de</strong>n Reformator neben <strong>de</strong>m oft ungestÅmen<br />

und <strong>de</strong>shalb auch selbst von Melanchthon bisweilen gefÅrchteten<br />

Luther 5 . Aber auch mit an<strong>de</strong>ren Frankfurter PersÜnlichkeiten<br />

nahm Calvin Kontakt auf, <strong>de</strong>n er auf <strong>de</strong>n ReligionsgesprÖchen<br />

in Worms und Regensburg weiter vertiefen konnte, insbeson<strong>de</strong>re<br />

zu <strong>de</strong>m klugen Frankfurter Ratsherrn Johann von<br />

Glauburg 6 , <strong>de</strong>r spÖter noch eine beson<strong>de</strong>re Rolle spielen wird.<br />

Der zweite Besuch Calvins in Frankfurt – siebzehn Jahre spÖter,<br />

1556 – galt <strong>de</strong>r Schlichtung eines festgefahrenen Konflikts in<br />

<strong>de</strong>r <strong>reformiert</strong>en Gemein<strong>de</strong>. Es war schon damals wie heute: Je<br />

lÖnger in einem Konflikt an <strong>de</strong>n Verknotungen gezogen wird, umso<br />

fester wer<strong>de</strong>n sie. Nur wenn einmal locker gelassen wird, gibt<br />

es die Chance auf eine LÜsung, aber locker lassen ist offenkundig<br />

sehr viel schwerer als stÖndig an <strong>de</strong>m Knoten herumzuzerren, so<br />

dass er sich niemals wirklich auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n senkt, auf <strong>de</strong>m allein<br />

an eine LÜsung gedacht wer<strong>de</strong>n kÜnnte. Allerdings hat die von<br />

Calvin mo<strong>de</strong>rierte LÜsung nicht lange getragen. Wir wer<strong>de</strong>n darauf<br />

spÖter noch einmal zurÅckkommen.<br />

Frankfurt bleibt im Blick auf die Äkumene auch im 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

be<strong>de</strong>utend. Die Metropole war gewiss ein gut gewÖhlter<br />

Ort fÅr die Abfassung <strong>de</strong>s Entwurfs <strong>de</strong>s Barmer Bekenntnisses<br />

von 1934 und offenkundig auch fÅr <strong>de</strong>n Mittagsschlaf <strong>de</strong>r beteiligten<br />

Lutheraner 7 , immerhin heiát es auch, dass es <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>n<br />

Seinen im Schlaf gebe (Ps 127,2). Das Barmer Bekenntnis, <strong>de</strong>ssen<br />

75 jÖhriges JubilÖum wir in diesem Jahr begehen, ist <strong>de</strong>shalb beson<strong>de</strong>rs<br />

hervorzuheben, weil es ganz in <strong>de</strong>r Linie <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Äkumene liegt, wie sie uns von Calvin ans Herz gelegt wird. Und<br />

nicht genug damit: In Frankfurt hÖtten wir auch GÖste <strong>de</strong>r 19.<br />

Generalversammlung <strong>de</strong>s Reformierten Weltbun<strong>de</strong>s sein kÜnnen,<br />

die hier 1964 im Klima <strong>de</strong>r Ükumenischen Impulse <strong>de</strong>s Zweiten<br />

5<br />

6<br />

7<br />

Vgl. dazu H.J. Sel<strong>de</strong>rhuis, Calvin und Wittenberg, in: Ders. (Hg.), Calvin Handbuch,<br />

TÅbingen 2008, 57–63.<br />

Vgl. dazu K. Bauer, Die Beziehungen Calvins zu Frankfurt a. M. (Schriften <strong>de</strong>s Vereins<br />

fÅr Reformationsgeschichte 38. Jg., Nr. 133), Leipzig 1920, 8f.<br />

Vgl. C. Nicolaisen, Zur Entstehungsgeschichte <strong>de</strong>r Barmer Theologischen ErklÖrung,<br />

in: Die Barmer Theologische ErklÖrung. EinfÅhrung und Dokumentation, hg.<br />

v. M. Heimbucher u. R. Weth, Neukirchen-Vluyn 7 2009, 24f.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 4<br />

Vatikanischen Konzils abgehalten wur<strong>de</strong> 8 . Und schlieálich hat vor<br />

50 Jahren, also 1959, <strong>de</strong>r Schweizer Theologe Gottfried W. Locher<br />

hier in Frankfurt genau Åber unser heutiges Thema gesprochen<br />

9 , und ich kann nur hoffen, dass es die Ölteren Frankfurter<br />

nicht langweilt, wenn uns kein neues Thema eingefallen ist.<br />

2. Zweierlei Äkumene<br />

Da wir – wie immer – nicht alles besprechen kÜnnen, mÜchte ich<br />

uns heute auf zwei Aspekte konzentrieren. Von zweierlei Äkumene<br />

soll die Re<strong>de</strong> sein, und bei<strong>de</strong> Ükumenische Perspektiven haben<br />

in Calvin einen entschlossenen Anwalt. Die erste ergibt sich aus<br />

<strong>de</strong>n beklagenswerten Eigenwilligkeiten <strong>de</strong>r real existieren<strong>de</strong>n Kirchen<br />

und ihrem meist nur halbherzigen Einigungswillen aufgrund<br />

einer allzu undialektischen SelbstwertschÖtzung, um es einmal<br />

ganz vorsichtig auszudrÅcken. Hier geht es um die von uns zu<br />

verantworten<strong>de</strong> Äkumene, um die ernst zu nehmen<strong>de</strong> und<br />

gleichwohl stets auch nur relative menschliche Seite <strong>de</strong>r Kirche.<br />

In dieser Perspektive <strong>de</strong>r Äkumene geht es um <strong>unsere</strong> Verantwortung<br />

fÅr die Einheit <strong>de</strong>r Kirche. Trotz <strong>de</strong>r immer wie<strong>de</strong>r hinzunehmen<strong>de</strong>n<br />

Misserfolge hat Calvin in seinem entschlossenen Einsatz<br />

fÅr die Bewahrung und Herstellung <strong>de</strong>r Einheit nicht nachgelassen.<br />

Wer die Kirche wirklich wertschÖtzt, kommt an <strong>de</strong>r sichtbaren<br />

Gestalt, in <strong>de</strong>r sie in Erscheinung tritt, nicht vorbei.<br />

Ebenso <strong>de</strong>utlich gilt aber auch: Wer die sichtbare Kirche fÅr<br />

die wahre Kirche hÖlt, muss ein allzu beschei<strong>de</strong>nes Bild von <strong>de</strong>r<br />

Kirche haben. Hier kommt nun die an<strong>de</strong>re Perspektive auf die<br />

Äkumene in <strong>de</strong>n Blick, an <strong>de</strong>r in beson<strong>de</strong>rer Weise Calvins Herz<br />

hing. Sie beruft sich auf die immer schon gegebene Einheit, die<br />

von <strong>de</strong>n Kirchen in ihrer BedrÖngnis immer wie<strong>de</strong>r zu bekennen<br />

ist, um sich von <strong>de</strong>r Öuáeren BedrÖngnis und <strong>de</strong>n inneren Spannungen<br />

we<strong>de</strong>r auseinan<strong>de</strong>r treiben noch mit <strong>de</strong>r Getrenntheit<br />

Frie<strong>de</strong>n schlieáen zu lassen. Gott selbst beruft, sammelt und bewahrt<br />

seine Kirche. Von seiner lebendigen Begleitung lebt die<br />

wahre Kirche, die als solche nicht sichtbar wird, aber eben <strong>de</strong>shalb<br />

umso entschlossener zu bekennen ist.<br />

8<br />

Vgl. dazu O.P. Mateus, Nicht ohne <strong>de</strong>n Äkumenischen Rat, in: M. Weinrich/U.<br />

MÜller (Hg.), Calvin heute, Neukirchen-Vluyn 2009, 131–150, hier: 147–149.<br />

9<br />

G.W. Locher, Calvin. Anwalt <strong>de</strong>r Äkumene (s. Anm. 2).<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 5<br />

Die bei<strong>de</strong>n Ükumenischen Perspektiven sind zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Es ist auf <strong>de</strong>r einen Seite die Äkumene von Genf und auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Seite die Äkumene von Barmen, die Äkumene von Willem<br />

Visser’t Hooft und die Äkumene von Karl Barth. Das eine ist <strong>unsere</strong><br />

Äkumene, wie sie von <strong>unsere</strong>n historischen Anstrengungen<br />

in Szene gesetzt wird, und das an<strong>de</strong>re ist die von <strong>de</strong>r Lebendigkeit<br />

Gottes ausgehen<strong>de</strong> Äkumene, <strong>de</strong>r seine Kirche eben nicht allein<br />

lÖsst.<br />

Es kann nicht darum gehen, die eine gegen die an<strong>de</strong>re auszuspielen.<br />

Das kÜnnen wir lernen, wenn wir auf Calvin schauen. Er<br />

hat alles fÅr die eine getan, aber seine Kraft dazu, hat er stets aus<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Äkumene bezogen. Die eine Äkumene kommt<br />

schnell an ihr En<strong>de</strong>, wenn sie nicht von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren lebt. In und<br />

mit <strong>de</strong>r Kirche gerÖt man stets unweigerlich ins Abseits, wenn wir<br />

auf uns selbst und <strong>unsere</strong> MÜglichkeiten setzen. Lassen Sie es<br />

mich schon hier ganz pointiert sagen: Auch in <strong>de</strong>r Äkumene ist<br />

die Auferstehung nicht ohne das Kreuz zu haben. Unbuáfertige<br />

Äkumene kann nur ein Ausdruck von menschlichem Triumphalismus<br />

sein, aber eine solche bleibt abgeschnitten von <strong>de</strong>r von<br />

Gott ausgehen<strong>de</strong>n Äkumene. Freilich kÜnnen schnell auch solche<br />

Einsichten zu Deklamationen verkommen, und allzu hÖufig konnten<br />

wir dies bereits erleben. Dass die an<strong>de</strong>re Äkumene mehr als<br />

eine Deklamation sein kann, das mÜchte uns Calvin zeigen.<br />

Er kann es uns aber nur zeigen, wenn wir es uns wirklich zeigen<br />

lassen wollen. Der Rat <strong>de</strong>r Stadt Frankfurter damals mag Calvin<br />

freundlich behan<strong>de</strong>lt haben, aber die zerstrittenen Parteien in<br />

<strong>de</strong>n Gemein<strong>de</strong>n wollten sich nicht wirklich etwas zeigen lassen,<br />

was Åber die GegenstÖn<strong>de</strong> ihrer Kontroversen hinausging. Und<br />

eben dies erleben wir ja stÖndig – das ist die Krise <strong>de</strong>r Äkumene.<br />

Die Äkumene droht zu einer Episo<strong>de</strong> zu wer<strong>de</strong>n, wenn sie sich<br />

als zu schwach dazu erweisen sollte, sich Åber ihren vielfÖltigen<br />

Narzissmus zu erheben.<br />

Sie haben es schon gemerkt: ich mÜchte heute nicht lediglich<br />

über Calvin referieren, son<strong>de</strong>rn ich mÜchte mit Calvin ins GesprÖch<br />

eintreten als ein Mensch, <strong>de</strong>r heute von <strong>de</strong>r Ükumenischen<br />

Herausfor<strong>de</strong>rung beunruhigt wird. Mir geht es nicht allein darum,<br />

was Calvin seinerzeit gesagt hat, son<strong>de</strong>rn auch um das, was er<br />

wohl heute zu sagen hÖtte, und ich setze darauf, dass wir uns<br />

wirklich etwas sagen lassen wollen.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 6<br />

2.1. Unsere Äkumene<br />

Das sagen wir ja gerne: Reformiert sein, heiát Ükumenisch sein.<br />

Aber es wird heute auch keine Kirche mehr wi<strong>de</strong>rsprechen, wenn<br />

wir sagen wÅr<strong>de</strong>n: Christ sein, heiát Ükumenisch sein. Heute ist<br />

man Ükumenisch, und wer es nicht ist, ist fundamentalistisch o<strong>de</strong>r<br />

sektiererisch. Mag dies noch relativ klar sein, so wird es aber in<br />

<strong>de</strong>m Moment unversehens schwieriger, wenn gesagt wer<strong>de</strong>n soll,<br />

was es wirklich heiát, Ükumenisch zu sein, <strong>de</strong>nn we<strong>de</strong>r geben die<br />

Reformierten mit <strong>de</strong>r Feststellung ihrer ÄkumenizitÖt es auf, <strong>reformiert</strong><br />

zu sein, noch stellt irgend eine an<strong>de</strong>re Kirche ihre Konfession<br />

in Frage, wenn sie auf <strong>de</strong>n Glanz ihrer ÄkumenizitÖt verweist.<br />

Die ebenso gern wie allseits annoncierte ÄkumenizitÖt steht<br />

in einem merkwÅrdigen Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>de</strong>n BeharrungskrÖften,<br />

die das vermeintlich Eigene verteidigen. Wir haben aus guten<br />

GrÅn<strong>de</strong>n gelernt, ÄkumenizitÖt mit <strong>de</strong>r KonfessionalitÖt zusammen<br />

zu sehen, weil wir erkannt haben, dass die Äkumene kein<br />

kÅnstlich zu etablieren<strong>de</strong>s Abstraktum darstellt, son<strong>de</strong>rn dass ein<br />

Zugang zu ihr nur Åber die Konfessionen mÜglich ist 10 . Ein Bekenntnis<br />

zur âberkonfessionalitÖt kann niemals ein rechtes Bekenntnis<br />

zur Kirche sein, son<strong>de</strong>rn ist ein Wi<strong>de</strong>rspruch in sich<br />

selbst. UngeklÖrt ist allerdings die Frage, was aus <strong>de</strong>r Konfession<br />

wird, wenn dieser Zugang aus <strong>de</strong>r je eigenen Konfession tatsÖchlich<br />

einmal begangen ist.<br />

Das Konzept <strong>de</strong>r Äkumene, auf das sich das 20. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />

allen Unterschie<strong>de</strong>n zum Trotz geeinigt hat, geht von <strong>de</strong>r Gegebenheit<br />

von nebeneinan<strong>de</strong>r existieren<strong>de</strong>n Kirchen aus, die – ob<br />

sie wollen o<strong>de</strong>r nicht – faktisch als unterschiedliche Konfessionskirchen<br />

auftreten. Je<strong>de</strong> Kirche ist zunÖchst fÅr sich selbst Kirche,<br />

aber – und das gilt dann als Ükumenisch – es wird auch das GesprÖch<br />

zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren gesucht, die ihrerseits als Kirche in Erscheinung<br />

treten, ganz gleich, ob man <strong>de</strong>ren Anspruch teilt, teilweise<br />

teilt o<strong>de</strong>r eben auch nicht teilt. Bestimmend ist das gemeinsame<br />

GrundverstÖndnis, dass Kirche recht verstan<strong>de</strong>n mehr ist als<br />

das eigene verfasste Kirchesein. In <strong>de</strong>r berÅhmten Toronto-<br />

10 Vgl. dazu M. Weinrich, Die Einheit <strong>de</strong>r Kirche aus reformatorischer Perspektive.<br />

Ein Beitrag zum protestantischen ÄkumeneverstÖndnis, in: EvTh 65 (2005), 196–<br />

210; <strong>de</strong>rs., Die evangelisch-katholische Äkumene. Ermutigungen, Belastungen und<br />

ErnÅchterungen, in: Margot KÖámann (Hg.), Äkumene bewegt. Die Kirchen auf<br />

<strong>de</strong>m Weg zueinan<strong>de</strong>r (Zeitzeichen), Stuttgart 2006, 63–82.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 7<br />

ErklÖrung <strong>de</strong>s Zentralausschusses <strong>de</strong>s Äkumenischen Rates <strong>de</strong>r<br />

Kirchen von 1950 wird von <strong>de</strong>n Mitgliedskirchen anerkannt, „daá<br />

die Mitgliedschaft in <strong>de</strong>r Kirche Christi umfassen<strong>de</strong>r ist als die<br />

Mitgliedschaft in ihrer eigenen Kirche“ 11 .<br />

Aber schon <strong>de</strong>r nÖchste nahe liegen<strong>de</strong> Schritt kann nicht mehr<br />

gemeinsam getan wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn Åber die Konsequenzen, die dieses<br />

be<strong>de</strong>utungsvolle EingestÖndnis fÅr das eigene KirchenverstÖndnis<br />

mit sich bringt, besteht keine âbereinstimmung. Das<br />

trifft aber die einzelnen Kirchen nicht wirklich, weil sie ja auch so<br />

schon Kirchen sind. Hier sehe ich <strong>de</strong>n entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Grund fÅr<br />

die gegenwÖrtige Ükumenische Agonie, dass man immer schon ist,<br />

was eigentlich mehr ist als man selbst. Pointiert gesagt, stoáen wir<br />

hier auf eine Art Hochmut, <strong>de</strong>r sich durch eine weithin folgenlose<br />

Deklaration einer gewissen GroázÅgigkeit im Blick auf die an<strong>de</strong>ren<br />

aus <strong>de</strong>r Schusslinie <strong>de</strong>r Kritik zu retten versucht. Es gehÜrt<br />

zur Ironie <strong>de</strong>r Geschichte, dass von <strong>de</strong>n Kirchen im Ükumenischen<br />

Kontext bisweilen Eigenheiten aufgeboten und gepflegt<br />

wer<strong>de</strong>n, die jenseits <strong>de</strong>r Äkumene im kirchlichen Alltag keine Rolle<br />

(mehr) spielen, d.h. die Kirchen treten ausgerechnet im Ükumenischen<br />

Zusammenhang konfessionalistischer auf als es ihrem Alltagsbewusstsein<br />

entspricht.<br />

Wenn man fÅr sich selber schon ist, was fÅr die an<strong>de</strong>ren erst<br />

noch auszumachen bleibt, ist es ganz zwangslÖufig so, dass es im<br />

Blick auf die an<strong>de</strong>ren vor allem Defizite festzustellen gibt. Da<br />

wird dann unter Berufung auf einen registrierten Defekt von „getrennten<br />

Kirchen“ und von „kirchlichen Gemeinschaften“ gesprochen,<br />

wie in <strong>de</strong>r rÜmisch-katholischen Kirche 12 . O<strong>de</strong>r umgekehrt<br />

werfen die Protestanten dieser vor, nicht wirklich frei im<br />

Sinne <strong>de</strong>s Evangeliums zu sein, und zwar – das mag merkwÅrdig<br />

klingen, ist aber genau so gemeint –, weil sie die Freiheit <strong>de</strong>s<br />

menschlichen Willens lehren. Dieser freie Wille ist nÖmlich insofern<br />

unfrei, weil <strong>de</strong>r Mensch dazu gezwungen ist, ihn zu gebrauchen,<br />

wovon nach reformatorischem VerstÖndnis <strong>de</strong>r rechte<br />

11 Die Kirche, die Kirchen und <strong>de</strong>r Äkumenische Rat <strong>de</strong>r Kirchen, in: Die Einheit <strong>de</strong>r<br />

Kirche. Material <strong>de</strong>r Ükumenischen Bewegung, hg. v. L. Vischer (TB 30), MÅnchen<br />

12<br />

1965, 251–261, 257.<br />

So in <strong>de</strong>r âberschrift zum II. Abschnitt im dritten Kapitel <strong>de</strong>s Dekrets Åber <strong>de</strong>n<br />

Äkumenismus „Unitas redintegratis“, in: Kleines Konzilskompendium, hg. v. K.<br />

Rahner u. H. Vorgrimler, Freiburg 24 1993, 246; vgl. 233 (MÖngel = <strong>de</strong>fectus; DH<br />

4189).<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 8<br />

Christenmensch gera<strong>de</strong> frei sei. Wer die Freiheit <strong>de</strong>s Willens lehrt,<br />

beschnei<strong>de</strong>t nicht nur die Freiheit Gottes, son<strong>de</strong>rn hÖlt auch <strong>de</strong>n<br />

Menschen in <strong>de</strong>m GefÖngnis seiner Entscheidungen fest. So wie<br />

die rÜmisch-katholische Kirche von sich als <strong>de</strong>r Kirche im Vollsinn<br />

<strong>de</strong>s Wortes spricht 13 , sprechen wir von <strong>unsere</strong>r Kirche als <strong>de</strong>r<br />

„Kirche <strong>de</strong>r Freiheit“, und dazu gibt es weitaus bessere GrÅn<strong>de</strong><br />

als etwa die EKD in ihrer theologischen Beschei<strong>de</strong>nheit hat erkennen<br />

lassen.<br />

Das entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Problem aber liegt darin, dass <strong>de</strong>r Blick auf<br />

das Defizit <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren die Wahrnehmung <strong>de</strong>r eignen Defizite<br />

verdrÖngt – vor allem <strong>de</strong>s Defizits, ohne die an<strong>de</strong>ren zu sein. Wir<br />

sind schlicht und offenkundig eine <strong>de</strong>fizitÖre Kirche, weil wir ohne<br />

die an<strong>de</strong>ren nicht vollstÖndig sind, ja niemals vollstÖndig sein<br />

kÜnnen, auch wenn wir glauben, alles zu haben, was uns notwendig<br />

erscheint. Ohne die an<strong>de</strong>ren sind wir nicht eine Kirche, weil<br />

wir ohne die an<strong>de</strong>ren nicht die heilige Kirche sein kÜnnen, weil wir<br />

ohne die an<strong>de</strong>ren nicht die katholische d.h. universale Kirche im<br />

recht verstan<strong>de</strong>nen Sinn <strong>de</strong>s Wortes sind, weil wir ohne die an<strong>de</strong>ren<br />

nicht die apostolische Kirche sind – also Fehlanzeige auf <strong>de</strong>r<br />

ganzen Linie <strong>de</strong>ssen, was wir – Gott sei Dank – mit <strong>de</strong>r Alten<br />

Kirche in <strong>unsere</strong>m Bekenntnis Åber die Kirche sagen: wir glauben<br />

„die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ – so die<br />

vollstÖndige Formulierung im NizÖnischen Glaubensbekenntnisses.<br />

In <strong>unsere</strong>n Gottesdiensten bekennen wir immer noch mehr<br />

als wir sind, aber die implizite Mangelanzeige <strong>unsere</strong>s Bekenntnisses<br />

im Blick auf <strong>unsere</strong> geschichtliche Wirklichkeit nehmen wir<br />

nicht recht wahr. Das sagt auch etwas darÅber, wie ernst wir unser<br />

Bekenntnis nehmen.<br />

Solange das Engagement <strong>de</strong>r Kirchen in <strong>de</strong>r Äkumene keinem<br />

eigenen und gemeinsamen Mangel gilt, solange die Kirchen in <strong>de</strong>r<br />

Äkumene nichts suchen, was ihnen wirklich fehlt und somit ihr<br />

Kirchesein ernsthaft infrage stellt, so lange haben wir noch nicht<br />

erfasst, was mit <strong>de</strong>r Äkumene zur Debatte steht. Es fehlt genau<br />

das, was nur durch die an<strong>de</strong>ren – auf welche Weise auch immer –<br />

dazu kommen kann. Solange die Einsicht, dass Kirche jeweils<br />

mehr ist als man selber ist, nur <strong>de</strong>r Ausdruck <strong>de</strong>s Bedauerns ist,<br />

dass nicht schon mehr so sind, wie man selber ist, bleibt die Ä-<br />

13 Lumen Gentium 8, in: Kleines Konzilskompendium (s. Anm. 12), 131 (DH 4119).<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 9<br />

kumene ihre eigene Krise. Solange es in <strong>de</strong>r Äkumene nicht auch<br />

um uns selbst, son<strong>de</strong>rn vor allem um die mehr o<strong>de</strong>r weniger irren<strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren geht, verkÅmmert sie zu falsch verstan<strong>de</strong>ner Diakonie,<br />

die man dann in Krisenzeiten auch einmal ein wenig sparsamer<br />

betreiben kann.<br />

Was hat das nun mit Calvin zu tun? ZunÖchst einmal herzlich<br />

wenig, weil sich die Situation von heute grundlegend gegenÅber<br />

<strong>de</strong>r Situation im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt verÖn<strong>de</strong>rt hat. In seinen kÅhnsten<br />

TrÖumen bzw. AlbtrÖumen wird sich Calvin wohl kaum eine<br />

in so viele Bekenntnisse und Denominationen aufgesplitterte Kirche<br />

vorgestellt haben. Gewiss erkannte Calvin aus organisatorischen<br />

GrÅn<strong>de</strong>n eine Vielzahl von Kirchen an, aber diese hat ihn<br />

nicht an <strong>de</strong>m heiligen Singular <strong>de</strong>r einen Kirche zweifeln lassen.<br />

Es schmerzte ihn zutiefst, dass die Reformation, welche die wahre<br />

Einheit <strong>de</strong>r Kirche endlich wie<strong>de</strong>r freigelegt und zugÖnglich gemacht<br />

hat, sich auf innere FlÅgelkÖmpfe verlegte. Zunehmend<br />

verstrickten sich die verschie<strong>de</strong>nen Richtungen in Misstrauen und<br />

Eigenwilligkeiten und zeigten nur wenig Hemmungen, sich auf<br />

diese Weise selbst zu paralysieren. Die Revolution begann ihre<br />

eigenen Kin<strong>de</strong>r zu fressen und gefÖhr<strong>de</strong>te sich auf diese Weise<br />

selbst, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>m aufmerksamen Gegner in die HÖn<strong>de</strong> spielte,<br />

<strong>de</strong>r keineswegs erfolglos lÖngst damit begonnen hatte, seine Wi<strong>de</strong>rstandskraft<br />

zu sammeln und zu konzentrieren. Anstatt sich an<br />

die weit reichen<strong>de</strong>n Ermahnungen <strong>de</strong>s Paulus zum gegenseitigen<br />

Ertragen zu halten, nÖhrt sich aus „Hochmut, Aufgeblasenheit<br />

und falschem Heiligkeitswahn“ ein Eigensinn, <strong>de</strong>r sich prahlend<br />

hervorzutun versucht und mit <strong>de</strong>r Suche nach Gefolgschaft die<br />

Gemein<strong>de</strong> polarisiert 14 . Calvin zitiert Augustin gegen diese Eiferer:<br />

„Damit man ihnen nun aber nicht nachweisen kann, daá ihnen das<br />

Licht <strong>de</strong>r Wahrheit fehlt, so verstecken sie sich im Schatten einer<br />

rÅcksichtslosen Strenge. Und was nach <strong>de</strong>r Weisung <strong>de</strong>r Heiligen<br />

Schriften in recht glimpflicher Behandlung, unter Wahrung <strong>de</strong>r Lauterkeit<br />

<strong>de</strong>r Liebe und unter Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r Einheit <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns<br />

geschehen soll, um die brÅ<strong>de</strong>rlichen Gebrechen zu bessern, das<br />

14 Vgl. Inst. IV 1,16.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 10<br />

reiáen sie an sich, um <strong>de</strong>n Frevel <strong>de</strong>r Kirchenspaltung zu begehen und<br />

um eine Gelegenheit zum Abschnei<strong>de</strong>n zu haben.“ 15<br />

UnermÅdlich versucht Calvin zu vermitteln, er mahnt zur MÖáigung<br />

und ermutigt zu einer Gemeinschaft, die nicht durch je<strong>de</strong><br />

Kleinigkeit in Frage gestellt wer<strong>de</strong>n darf.<br />

Hier zeigt sich nun, dass Calvin durchaus auch etwas mit uns<br />

und <strong>unsere</strong>r Äkumene zu tun hat. In<strong>de</strong>m seine Lebensarbeit <strong>de</strong>r<br />

VersÜhnung <strong>de</strong>r Kirchen gegolten hat 16 , kann er zu Recht als ein<br />

Unionstheologe angesehen wer<strong>de</strong>n 17 . Sein Åberaus breit belegtes<br />

Engagement fÅr <strong>de</strong>n Zusammenhalt wurzelt in <strong>de</strong>r Einsicht in die<br />

FragilitÖt insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r vielen FlÅchtlingsgemein<strong>de</strong>n und impliziert<br />

als menschliche Anstrengung immer auch eine pragmatische<br />

bzw. kirchenpolitische Dimension 18 . Um nicht <strong>de</strong>r Gefahr<br />

einer allzu allgemeinen Betrachtung zu erliegen, bietet es sich an,<br />

dass wir uns exemplarisch auf Calvins BemÅhen um die Einheit in<br />

Frankfurt konzentrieren.<br />

a) Es sind drei Ebenen, auf <strong>de</strong>nen Calvin sich fÅr die Einheit<br />

<strong>de</strong>r Kirche einsetzt. Die erste Ebene ist bereits die einzelne Gemein<strong>de</strong>,<br />

<strong>de</strong>ren Zusammenleben schnell durch die Gefahr von ÅberschÖumen<strong>de</strong>n<br />

Streitereien empfindlich gestÜrt, ja ganz zerstÜrt<br />

wer<strong>de</strong>n kann. „Ich schreibe Euch so, weil ich ein angelegtes Feuer<br />

lÜschen will.“ Dieser Satz aus einem Brief vom 26. Dez. 1555 an<br />

die franzÜsische Gemein<strong>de</strong> in Frankfurt 19 ist ebenso charakteristisch<br />

fÅr das Anliegen zahlreicher Briefe Calvins in beinahe alle<br />

Himmelsrichtungen wie <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>: „Deshalb bitten und be-<br />

15<br />

Inst. IV 1,16 (âbersetzung nach O. Weber: J. Calvin, Unterricht in <strong>de</strong>r christlichen<br />

Religion, nach <strong>de</strong>r letzten Ausgabe von 1559 Åbers. u. bearb. v. O. Weber, hg. v. M.<br />

Freu<strong>de</strong>nberg, Neukirchen-Vluyn 2008, 575).<br />

16<br />

Vgl. G.W. Locher, Calvin. Anwalt <strong>de</strong>r Äkumene (s. Anm. 2), 21.<br />

17<br />

Vgl. auch G. Reichel, Calvin als Unionsmann, TÅbingen 1909. W. Nijenhuis zitiert<br />

O. Weber mit einem nicht verifizierbaren, aber sachlich zutreffen<strong>de</strong>n Zitat: „Calvin<br />

ist auf Grund seiner Lehre von <strong>de</strong>r Einheit <strong>de</strong>r Kirche ein Mann <strong>de</strong>r Innerevangelischen<br />

Union gewesen, und es ist nicht Åbertrieben, wenn man hinzusetzt, daá er einer<br />

<strong>de</strong>r Wegbereiter <strong>de</strong>r ‚Ükumenischen Bewegung’ war.“ Nijenhuis, Die Aufgabe<br />

<strong>de</strong>r <strong>reformiert</strong>en Kirchen in <strong>de</strong>r Ükumenischen Bewegung, in: J. Moltmann (Hg.),<br />

Calvin-Studien 1959, Neukirchen Kreis Moers 1960, 62–83, 62; vgl. auch O. Weber,<br />

Die Einheit <strong>de</strong>r Kirche bei Calvin, in: ebd., 130–143.<br />

18<br />

Einen kompakten âberblick vermitteln die entsprechen<strong>de</strong>n Kapitel im Calvin<br />

19<br />

Handbuch, hg. v. H.J. Sel<strong>de</strong>rhuis, TÅbingen 2008, 57–126.<br />

Johannes Calvins Lebenswerk in seinen Briefen. Eine Auswahl von Briefen Calvins<br />

in <strong>de</strong>utscher âbersetzung v. R. Schwarz, 2 B<strong>de</strong>., TÅbingen 1909, Bd. II, 121 (Bd. I<br />

und II im Folgen<strong>de</strong>n: Schwarz I u. II).<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 11<br />

schwÜren wir Euch im Namen Gottes, laát das lei<strong>de</strong>nschaftliche<br />

Streiten mit seiner Bitterkeit und nehmt Euch brÅ<strong>de</strong>rlich auf untereinan<strong>de</strong>r“<br />

20 . FÅr <strong>de</strong>n Frie<strong>de</strong>n zu sorgen, sei eine vorzÅgliche<br />

Aufgabe <strong>de</strong>r Pfarrer, und so ist es ein beson<strong>de</strong>res UnglÅck, wenn<br />

diese gegen gehÖssige Streitereien nicht nur nicht einschreiten,<br />

son<strong>de</strong>rn diese sogar selbst forcieren. „Denn wenn schon Zwistigkeit<br />

und Zank zwischen gewÜhnlichen Gemein<strong>de</strong>glie<strong>de</strong>rn ein<br />

Ver<strong>de</strong>rben <strong>de</strong>r Kirche ist, was ist erst, wenn die Boten <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns<br />

im Streite liegen?“ 21 Da ist dann die ganze Gemein<strong>de</strong> herausgefor<strong>de</strong>rt,<br />

damit nicht alles in Brand gerÖt. Calvin sieht, wie<br />

allseits unnÜtiger Scha<strong>de</strong>n durch Rechthaberei und Åbertriebenen<br />

Eifer angerichtet wird. So sehr er stets auf Klarheit in <strong>de</strong>r Sache<br />

gedrÖngt hat, so fundamental wusste er darum, dass die Form<br />

auch <strong>de</strong>m Inhalt entsprechen muss. Alles sollte auf die rechte<br />

Auferbauung <strong>de</strong>r Kirche ausgerichtet sein 22 , die nicht durch die<br />

Profilierungssucht einzelner gefÖhr<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n darf.<br />

Im Blick auf die <strong>reformiert</strong>e Gemein<strong>de</strong> in Frankfurt musste<br />

sich Calvin immer wie<strong>de</strong>r erhebliche Sorgen machen, <strong>de</strong>nn dort<br />

schwelte ein immer wie<strong>de</strong>r aufflackern<strong>de</strong>r Streit. Als die Stelle eines<br />

verstorbenen Pfarrers nach einiger Zeit neu besetzt wur<strong>de</strong>,<br />

mahnte Calvin dazu, diese Gelegenheit als einen Neuanfang zu<br />

nutzen, und schrieb an die Gemein<strong>de</strong> – ich lese einen lÖngeren<br />

Ausschnitt:<br />

„Ich bitte Euch um Gotteswillen, Euch bei<strong>de</strong>rseits <strong>de</strong>m anzupassen,<br />

was dazu dient, die Einigkeit unter Euch wie<strong>de</strong>r herzustellen; <strong>de</strong>nn es<br />

genÅgt nicht, daá Eure Zwistigkeiten beigelegt sind und ihr nicht<br />

mehr in Parteien gespalten seid, wie im offenen Kampf, son<strong>de</strong>rn die<br />

Hauptsache ist, daá Ihr untereinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n seid in herzlichem<br />

Verlangen, Gott zu dienen eintrÖchtig alle zusammen. Dazu ist es aber<br />

nÜtig, daá ihr alles Geschehene vergeát; <strong>de</strong>nn ich sehe wohl, die Erinnerung<br />

daran nÖhrt in einigen unter Euch immer noch einen bitteren<br />

Groll, <strong>de</strong>r von Tag zu Tag neue Bitterkeiten hervorbringt, wenn er<br />

nicht ganz ausgefegt wird. … Aber das kommt davon, wenn die Herzen<br />

vom Haá vergiftet sind, dann muá <strong>de</strong>r Argwohn herrschen und<br />

alles ins Schlimme ziehen, was die tun, die wir nicht gern haben, so<br />

daá wir ihnen zu leid das Weiáe schwarz nennen. Wenn man so fortfÖhrt,<br />

so wer<strong>de</strong>t Ihr Euch stetsfort neue Wun<strong>de</strong>n schlagen, und<br />

20 An die franzÜsische Gemein<strong>de</strong> in Frankfurt am 27.10.1562 – Schwarz II, 414.<br />

21 An die franzÜsische Gemein<strong>de</strong> in Frankfurt am 23.02.1559 – Schwarz II, 257.<br />

22 Vgl. Inst. IV 1,20.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 12<br />

schlieálich wird sich das âbel entzÅn<strong>de</strong>n und alles verzehren. Daher<br />

tut es Not, die Lei<strong>de</strong>nschaften besser zu bÖndigen, damit sie beherrscht<br />

und gemÖáigt wer<strong>de</strong>n, und nicht nur das, son<strong>de</strong>rn einer soll<br />

<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn in aller Mil<strong>de</strong> und Freundlichkeit ertragen und <strong>de</strong>n bisher<br />

Entzweiten Anlaá bieten zur Einigung … <strong>de</strong>nn so lange je<strong>de</strong>r nur darauf<br />

bedacht ist, seine Sache zu verteidigen, so lange gibt es immer<br />

wie<strong>de</strong>r Streit. Vielmehr soll je<strong>de</strong>r seine Fehler erkennen, und die, die<br />

gefehlt haben, sollen sich von selbst wie<strong>de</strong>r fÅgen, und dann soll man<br />

alles weitere Nachforschen lassen, das zu nichts dient als zu neuer<br />

Verletzung. Denn wenn wir nichts ertragen kÜnnen, was uns nicht behagt,<br />

so mÅáte je<strong>de</strong>r eine Welt fÅr sich haben, und wenn <strong>de</strong>shalb St.<br />

Paulus die Epheser ermahnen will, zu halten die Einigkeit im Geiste<br />

durch das Band <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns [4,3], so leitet er sie ausdrÅcklich an zur<br />

Demut, Sanftmut und Geduld [4,32], damit sie sich in Liebe ertragen<br />

lernen sollen. So vergeát <strong>de</strong>nn auch ihr, liebe BrÅ<strong>de</strong>r, daá Ihr gewonnen<br />

habt im Streite, damit ihr <strong>de</strong>n Kampf gegen <strong>de</strong>n Satan gewinnet,<br />

<strong>de</strong>r nichts lieber mÜchte, als er kÜnnte Euch getrennt halten, weil er<br />

wohl weiá, daá Euer Heil in rechter, frommer Eintracht lÖge.“ 23<br />

Doch alles Zure<strong>de</strong>n reicht nicht aus. Schlieálich wird unter Zustimmung<br />

<strong>de</strong>s Rates <strong>de</strong>r Stadt ein Schiedsgericht eingesetzt, <strong>de</strong>m<br />

Calvin vorsitzen soll 24 . So begab sich Calvin im Sept. 1556 nach<br />

Frankfurt, um mit <strong>de</strong>n Reformierten eine nachhaltige LÜsung zu<br />

suchen, was zunÖchst auch zu gelingen schien 25 . Aus spÖteren<br />

Briefen Calvins nach Frankfurt wissen wir, dass <strong>de</strong>r Schlichtungserfolg<br />

lei<strong>de</strong>r nur von kurzer Haltbarkeit war 26 .<br />

b) Die zweite Ebene <strong>de</strong>r Einheit <strong>de</strong>r Kirche kommt im Zusammenleben<br />

<strong>de</strong>r Ürtlichen Gemein<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Blick; es geht –<br />

wenn man so will – um die Äkumene vor Ort. Calvin agiert auf<br />

dieser Ebene als entschlossener Unionstheologe. Es gehÜrte zur<br />

Klugheit <strong>de</strong>r Reichsstadt Frankfurt, dass sie zunÖchst versucht<br />

hat, sich innerhalb <strong>de</strong>r reformatorischen Richtungsalternativen<br />

nicht auf eine Fraktion festlegen zu lassen, son<strong>de</strong>rn sich nach<br />

mehreren Seiten offen zu halten. Es gab durchaus AnsÖtze, die in<br />

die Richtung einer Union weisen, auch wenn <strong>de</strong>r lutherische<br />

Druck auf die Stadt zunahm 27 . Durch die Beteiligung an <strong>de</strong>r Wittenberger<br />

Konkordie (1536) und die Frankfurter Konkordie<br />

23<br />

24.06.1556 – Schwarz II, 149f.<br />

24<br />

Vgl. dazu K. Bauer, Die Beziehungen (s. Anm. 6), 46.<br />

25<br />

Vgl. dazu ebd., 48–51.<br />

26<br />

Vgl. u.a. <strong>de</strong>n Brief am 21.12.1556 an Johann von Glauburg – Schwarz II, 160f.<br />

27<br />

Vgl. dazu K. Bauer, Der Bekenntnisstand II (s. Anm. 3), 173f.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 13<br />

(1542) hatte Frankfurt zunÖchst einmal eine <strong>de</strong>utliche Option zur<br />

weiteren Integration <strong>de</strong>s Protestantismus signalisiert. Als Calvin<br />

1554 von <strong>de</strong>m Eintreffen <strong>de</strong>r FlÅchtlinge aus England in Frankfurt<br />

hÜrt, gratuliert er <strong>de</strong>m ihm als temperamentvoll bekannten<br />

Pfarrer <strong>de</strong>r wallonischen Gemein<strong>de</strong> Valårand Poullain (Polanus),<br />

in<strong>de</strong>m er ihm zugleich angesichts <strong>de</strong>s ‚traurigen und klÖglichen<br />

Schauspiels <strong>de</strong>r zerstreuten Gemein<strong>de</strong>n’ dazu ermahnt, ein „Beispiel<br />

beschei<strong>de</strong>ner MÖáigung zu geben“ 28 . Schon wenige Monate<br />

spÖter sieht sich Calvin dazu gedrÖngt, erneut nach Frankfurt zu<br />

schreiben, weil es Åber die Liturgie doch zu einer Spaltung zwischen<br />

<strong>de</strong>r franzÜsischen Gemein<strong>de</strong> und <strong>de</strong>n anglikanischen<br />

FlÅchtlingen gekommen war. Calvin schreibt an seine AnhÖnger:<br />

„Es quÖlt mich sehr und ist ganz absurd, daá unter BrÅ<strong>de</strong>rn, die um<br />

<strong>de</strong>sselben Glaubens willen aus ihrem Vaterland verbannt und flÅchtig<br />

sind, Uneinigkeit entsteht, und zwar um <strong>de</strong>swillen, was Euch allein<br />

schon in Eurer Zerstreuung als ein heiliges Band fest miteinan<strong>de</strong>r verknÅpfen<br />

sollte. Denn was solltet Ihr in dieser traurigen Lage eher tun,<br />

als, von Eurer Heimat losgerissen, Euch <strong>de</strong>r Kirche anzupassen, die<br />

Euch als an Gesinnung und Sprache Verwandte in ihrem mÅtterlichen<br />

Schoá aufnahm und hegte. Daá nun von einigen Åber Formeln <strong>de</strong>s<br />

Gebets und an<strong>de</strong>re Zeremonien ein Streit begonnen wird … und daá<br />

dadurch Eure Sammlung zu einer Kirchengemein<strong>de</strong> verhin<strong>de</strong>rt wird,<br />

das ist meines Erachtens recht unzeitgemÖá.“ 29<br />

Calvin beklagt „eine zu weit gehen<strong>de</strong> Strenge“, die „nicht zur Erbauung<br />

<strong>de</strong>r Kirche dient“ 30 . Und das hat dann auch noch eine politische<br />

Seite: „Ihr wohnt da in Frankfurt gleichsam zu Miete. Fin<strong>de</strong>t<br />

man nun, daá Ihr so schwer zu befriedigen seid, wird dann<br />

nicht diese unangenehme Art die guten Herren entmutigen, die<br />

Euch so freundlich aufgenommen haben?“ 31 Angesichts <strong>de</strong>r auch<br />

heimtÅckisch gefÅhrten Auseinan<strong>de</strong>rsetzungen „wÖre es ja besser<br />

gewesen“, so schreibt Calvin auch an die an<strong>de</strong>re Konfliktpartei,<br />

„im Vaterland zu bleiben als die Flamme <strong>de</strong>s ungerechten Hasses<br />

in frem<strong>de</strong> LÖn<strong>de</strong>r zu tragen, die auch die erfaát, die gar nicht wollen.<br />

… Denn es ist schon genug gesÅndigt wor<strong>de</strong>n, als daá die<br />

Zwietracht nun noch lÖnger sich hinschleppen dÅrfte.“ 32 Calvin<br />

28<br />

29<br />

30<br />

31<br />

32<br />

27.08.1554 – Schwarz II, 30.<br />

18.01.1555 – Schwarz II, 59f.<br />

26.12.1555 – Schwarz II, 120.<br />

26.12.1555 – Schwarz II, 121.<br />

31.05.1555 – Schwarz II, 85.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 14<br />

beklagt die „Gefallsucht“ und <strong>de</strong>n Drang, sich hervorzutun anstatt<br />

in Beschei<strong>de</strong>nheit unnÜtigen Anstoá zu vermei<strong>de</strong>n 33 – und<br />

zwar richtet er solche Klagen genau an die Adressaten, die es angeht,<br />

und nicht, wie es sonst eher Åblich ist, an die, die so gerne<br />

Åber Abwesen<strong>de</strong> die KÜpfe zusammenstecken. Und er teilt auch<br />

seine Trauer Åber die Erfolglosigkeit seiner BemÅhungen mit:<br />

„Wie sehr mich jetzt <strong>de</strong>r unglÅckliche Ausgang <strong>de</strong>r Sache, <strong>de</strong>n ich<br />

stets befÅrchtet habe, schmerzt, kann ich mit Worten gar nicht<br />

sagen.“ 34<br />

Im Hintergrund steht <strong>de</strong>r sich formieren<strong>de</strong> Wi<strong>de</strong>rstand in lutherischen<br />

Kreisen gegen <strong>de</strong>n vordringen<strong>de</strong>n Unionsprotestantismus<br />

im nordwestlichen Europa. In diesem Zusammenhang<br />

stoáen wir auch immer wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n lutherischen Hauptpastor<br />

von St. Katharinen in Hamburg, Joachim Westphal, <strong>de</strong>r ein beson<strong>de</strong>res<br />

Geschick darin entwickelte, auch in Gemeinsamkeiten<br />

Unterschie<strong>de</strong> und GegensÖtze zu konstruieren. Sein giftspeien<strong>de</strong>r<br />

Eifer, <strong>de</strong>r schon in DÖnemark und <strong>de</strong>n nord<strong>de</strong>utschen StÖdten<br />

dafÅr gesorgt hatte, dass die evangelischen GlaubensflÅchtlinge<br />

aus England, die er als „MÖrtyrer <strong>de</strong>s Satans“ bezeichnete, abgewiesen<br />

wur<strong>de</strong>n, konnte es nicht verwin<strong>de</strong>n, dass Frankfurt diese<br />

FlÅchtlinge aufgenommen hat. Die theologisch nur schlichten<br />

Mittel, die ihm zur VerfÅgung stan<strong>de</strong>n, wur<strong>de</strong>n kompensiert<br />

durch ein aufgeblasenes Treuepathos zu als heilsnotwendig ausgegebenen<br />

Einsichten Luthers, verbun<strong>de</strong>n mit einer gehÖssigen Diffamierungsrhetorik<br />

gegen je<strong>de</strong> Abweichung auch im Kleinen. Er<br />

empfahl sich <strong>de</strong>m Rat <strong>de</strong>r Stadt Frankfurt als Ratgeber zur Abwendung<br />

<strong>de</strong>r drohen<strong>de</strong>n geistlichen Ver<strong>de</strong>rbnis 35 .<br />

Es ging um das Abendmahl und insbeson<strong>de</strong>re um Calvins Einigung<br />

mit Bullinger im so genannten Consensus Tigurinus von<br />

1549, in <strong>de</strong>r in sachlich unmÖáig Åberreizter Weise <strong>de</strong>r konservierte<br />

Bazillus <strong>de</strong>r Zwinglischen HÖresie gewittert wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r nun<br />

auch die lutherischen Kirchen zu Fall bringen wer<strong>de</strong>. (Nebenbei<br />

gesagt, bleibt es fÅr mich unzugÖnglich, warum <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

um das Abendmahl bis heute immer wie<strong>de</strong>r eine so zentrale<br />

Be<strong>de</strong>utung zugemessen wird. Zumin<strong>de</strong>st auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n reformatorischer<br />

Theologie ist die GrundsÖtzlichkeit, die diesem<br />

33 Okt. 1555 – Schwarz II, 113.<br />

34 Okt. 1555 – Schwarz II, 114; vgl. 120.<br />

35 Vgl. K. Bauer, Der Bekenntnisstand V (s. Anm. 3), 42–44.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 15<br />

Konflikt zugewachsen ist, sachlich nicht wirklich nachvollziehbar.<br />

Wie <strong>de</strong>m auch sei:) 1555 wandte sich Westphal an <strong>de</strong>n Rat <strong>de</strong>r<br />

Stadt Frankfurt, wobei er nicht auf eine Lehrauseinan<strong>de</strong>rsetzung,<br />

son<strong>de</strong>rn gleich direkt auf die Vertreibung <strong>de</strong>r FlÅchtlinge setzt:<br />

„So jemand <strong>de</strong>r Obrigkeit anzeigte, es wÖren Brenner in <strong>de</strong>r Stadt o<strong>de</strong>r<br />

Vergifter, so Wasser und Wei<strong>de</strong> verunreinigten, … <strong>de</strong>r … verdiente<br />

wohl wegen seiner Treue ein lÜbliches Trinkgeld. Als verhoffe ich<br />

<strong>de</strong>mnach, es sei lobenswert, daá die von mir angezeigt wor<strong>de</strong>n, die ein<br />

viel Örgeres Feuer und schÖndlicheren Brand anstecken, mit Gift die<br />

Brunnen und heilsame Wei<strong>de</strong> <strong>de</strong>r gesun<strong>de</strong>n Lehre ver<strong>de</strong>rben, rauben<br />

und stehlen uns das Wort Gottes, die ewigen GÅter und ver<strong>de</strong>rben die<br />

Seelen. … Aus Antrieb <strong>de</strong>s heiligen Geistes hat diesen Rat <strong>de</strong>r Mann<br />

Gottes, Lutherus, gegeben, daá man die Sakramentierer mei<strong>de</strong>n und<br />

aus <strong>de</strong>r bÅrgerlichen Gemeinschaft sie verjagen soll.“ 36<br />

Gegen <strong>de</strong>n Einwand, dass die Vertriebenen um <strong>de</strong>r Barmherzigkeit<br />

willen aufzunehmen seien, erklÖrte Westphal in einem in<br />

mehr aus tausend Exemplaren in Frankfurt verteilten Brief, dass<br />

die Barmherzigkeit unter <strong>de</strong>m Vorbehalt stehe, dass sie nicht <strong>de</strong>n<br />

Glauben in Gefahr bringen dÅrfe. Schlieálich solle <strong>de</strong>r Rat, so<br />

fÖhrt <strong>de</strong>r Historiker Karl Bauer in seiner Darstellung fort, „nur<br />

fest und unbewegt bei <strong>de</strong>r Re<strong>de</strong> Christi verharren und <strong>de</strong>m Versucher<br />

nicht Raum geben und sich nicht durch <strong>de</strong>n Satan und seine<br />

LÅgenapostel verfÅhren lassen, die sich in Christi Apostel verwan<strong>de</strong>lten“<br />

37 , was nicht zuletzt auf Calvin gemÅnzt war.<br />

Es war nicht ohne Hintersinn, wenn Calvin nun seine Auslegung<br />

<strong>de</strong>r ersten drei Evangelien <strong>de</strong>m Rat <strong>de</strong>r Stadt Frankfurt widmet<br />

38 . Die Herren seien verstÖndig genug, in diesem Werk selbst<br />

in Erfahrung zu bringen, ob er ein Irrgeist o<strong>de</strong>r VerfÅhrer sei.<br />

Ohne an dieser Stelle weiter auf Westphal einzugehen – er hatte<br />

sich an an<strong>de</strong>rer Stelle bereits <strong>de</strong>utlich dazu erklÖrt 39 –, spricht er<br />

<strong>de</strong>m Frankfurter Rat seine Anerkennung dafÅr aus, dass die Stadt<br />

die Reste <strong>de</strong>r verwÅsteten Kirche sammle. Er setze auf <strong>de</strong>n Feinsinn<br />

<strong>de</strong>r verstÖndigen Leser, die sich von <strong>de</strong>n Narren und BÜsewichten<br />

unterschie<strong>de</strong>n, bei <strong>de</strong>ren GeklÖff er sich nicht aufhalten<br />

36 Zit. n. K. Bauer, Die Beziehungen (s. Anm. 6), 18f.<br />

37 Vgl. K. Bauer, Der Bekenntnisstand V (s. Anm. 3), 44.<br />

38 K. Bauer weist darauf hin, dass Calvin die Widmungen seiner exegetischen Schriften<br />

in mehreren FÖllen fÅr die UnterstÅtzung seiner Unionsbestrebungen verwandt hat;<br />

vgl. Der Bekenntnisstand V (s. Anm. 6), 40.<br />

39 Vgl. dazu in knapper Zusammenfassung Chr. Strohm, Johannes Calvin (s. Anm. 4),<br />

97f.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 16<br />

wolle. Diese Aktion hat zunÖchst ihre Wirkung nicht verfehlt. In<br />

<strong>de</strong>m von einem erheblichen Druckkostenzuschuss unterstrichenen<br />

Dank <strong>de</strong>r Stadt wird Calvin ausdrÅcklich als ein treuer Diener<br />

Christi und hervorragen<strong>de</strong>r Lehrer <strong>de</strong>r Kirche bezeichnet 40 .<br />

Doch schon begann die Saat <strong>de</strong>r Eiferer unter <strong>de</strong>r Geistlichkeit<br />

<strong>de</strong>r Stadt aufzukeimen. Calvin bemerkt in einem Brief an <strong>de</strong>n bereits<br />

erwÖhnten Frankfurter Ratsherrn Johann von Glauburg, dass<br />

die Art und Weise <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>r Unruhestifter nicht erwarten lasse,<br />

dass ihre Vertreter mit <strong>de</strong>n Menschen schonend umgehen wer<strong>de</strong>n<br />

41 . Unter ausdrÅcklicher ZÖhmung seines aufgebrachten Temperaments<br />

bietet Calvin eine offene und brÅ<strong>de</strong>rliche Aussprache<br />

mit <strong>de</strong>n lutherischen Pfarrern in Frankfurt an, fÅr die er die groáen<br />

Beschwer<strong>de</strong>n einer Reise nach Frankfurt nicht scheuen wolle.<br />

Er wolle sich nicht aufdrÖngen, mÜchte aber auch keine Gelegenheit<br />

zur Vermittlung ungenutzt lassen. An die lutherischen Pfarrer<br />

in Frankfurt schreibt Calvin:<br />

„Aber meine Sache beschÖftigt mich nicht so sehr wie das, daá Ihr <strong>de</strong>r<br />

frem<strong>de</strong>n BrÅ<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Herr in Eurer Stadt ein Asyl gegeben, in<br />

echter Liebe annehmen mÜget. Denn ich hÜre, daá sie irgendwelche<br />

ZÖnkereien und Schikanen befÅrchten … Ja, wenn Ihr auch einiges an<br />

Ihnen noch zu wÅnschen habt, wie sie ja wahrscheinlich auch unter<br />

ihren Fehlern zu lei<strong>de</strong>n haben, so wiát Ihr doch, daá Ihr sie gnÖdig<br />

und freundlich ertragen sollt. Eher als daá etwa bisher verborgene Eifersucht<br />

zu offenem Streit ausbreche, will ich selbst Åbernehmen, was<br />

Ihr mir in dieser Sache als meine Aufgabe zuweisen wollt. Ich wer<strong>de</strong><br />

bei<strong>de</strong>n Parteien treulich zum Frie<strong>de</strong>nsschluá raten und helfen. Lebt<br />

wohl, liebste, herzlich verehrte BrÅ<strong>de</strong>r. Der Herr leite Euch mit <strong>de</strong>m<br />

Geiste <strong>de</strong>r Klugheit, <strong>de</strong>r Kraft und <strong>de</strong>r Mil<strong>de</strong> und segne Euer Wirken.<br />

Amen. Euer Euch in Christus wahrhaft verbun<strong>de</strong>ner Bru<strong>de</strong>r und Kollege<br />

Johannes Calvin.“ 42<br />

Anstatt auf das GesprÖchsangebot Calvins einzugehen, fÅhlen sie<br />

sich von ihm bedrÖngt und unterstellen ihm List und Herrschsucht.<br />

Die VorwÅrfe, mit <strong>de</strong>nen sie sich Calvin verweigern, treffen<br />

ihn zutiefst, verdrehen sie doch sein Ansinnen auf schmÖhliche<br />

40<br />

Vgl. K. Bauer, Die Beziehungen (s. Anm. 3), 20–22; zu <strong>de</strong>n UmstÖn<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Widmung<br />

und <strong>de</strong>n Einfluss Calvin aus Frankfurt vgl. auch <strong>de</strong>rs., Der Bekenntnisstand<br />

V (s. Anm. 6), 39–53 u. D. Schellong, Calvins Auslegung <strong>de</strong>r synoptischen Evangelien<br />

(FGLP Reihe 10, Bd. 38), MÅnchen 1969, 29–34.<br />

41<br />

25.02.1556 – Schwarz II, 134.<br />

42<br />

02.03.1556 – Schwarz II, 137.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 17<br />

Weise in ihr Gegenteil, und so beklagt sich Calvin bei Johann von<br />

Glauburg zu Recht in einem Brief:<br />

„HÖtten sie nur meine Lehre geta<strong>de</strong>lt, so wÖre das ja zu ertragen; wenn<br />

sie aber in die Welt schleu<strong>de</strong>rn, … ich fÅhre ja auch in Genf ein tyrannisches<br />

Regiment, so entspricht das <strong>de</strong>m brÅ<strong>de</strong>rlichen Wohlwollen<br />

gar nicht, das die mir brieflich zusagten. Wie faul die Nachre<strong>de</strong> von<br />

meiner Tyrannei ist, das kann ich ruhig von meinen BrÅ<strong>de</strong>rn und Kollegen<br />

beurteilen lassen, die sich gewiá noch nie Åber meine drÅcken<strong>de</strong><br />

Herrschaft beklagt haben. Oft haben sie mir sogar vorgeworfen, ich<br />

sei zu Öngstlich und brauche meine Machtstellung, die sie alle billigten,<br />

im Notfall nicht offen genug. Wenn meine Gegner nur sÖhen, in wie<br />

schweren VerhÖltnissen ich mein Lehramt ausÅbe und dabei doch<br />

nichts fÅr mich beanspruche, sie mÅáten sich selbst ihres leichtsinnigen<br />

Gere<strong>de</strong>s schÖmen. … Ich mÜchte von ihnen, <strong>de</strong>nen meine Macht<br />

auf solche Distanz unangenehm ist, selbst hÜren, was ich <strong>de</strong>nn so Tyrannisches<br />

an mir habe? Etwa daá ich mich … ihnen zu lieb zu einer<br />

langen beschwerlichen Reise bereit erklÖrt habe …? Scheint das etwa<br />

Herrschsucht zu sein? Sie sind wirklich zu reizbar, wenn sie ein so<br />

freundschaftliches Angebot nicht nur schnÜ<strong>de</strong> ablehnen, son<strong>de</strong>rn sogar<br />

noch darÅber erbittert sind. Doch wird mich ihre Unfreundlichkeit<br />

nicht dazu bringen, je zu bereuen, daá ich diese Pflicht Åbernommen<br />

habe, aber es tut doch weh, daá sie Åber einen Bru<strong>de</strong>r so unbesonnen<br />

herfallen und sich nicht einmal davor hÅten, ihm grobes Unrecht zu<br />

tun.“ 43<br />

Offenkundig irritiert es, wenn ein Gegner auf einen Angriff<br />

freundlich reagiert. Dazu kÜnnten uns gewiss die Psychologen Einiges<br />

erklÖren. Nicht nur hier scheint das Entwaffnen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Freundlichkeit zu aggressiver VerhÖrtung zu fÅhren. Calvin berichtet<br />

in einem Brief an einen TÅbinger Theologen, dass einige<br />

sÖchsische Theologen sich allein <strong>de</strong>shalb ohne je<strong>de</strong>s Maá aufgebracht<br />

fÅhlten, weil er sie freundlicher angere<strong>de</strong>t habe als sie es<br />

gewollt hÖtten. Damit war dann auch bei Calvin das Maá Åberschritten,<br />

das ihn zu Geduld und Entgegenkommen anhielt, und<br />

er schreibt: „Nun da mir ihre UnverschÖmtheit je<strong>de</strong> Freundlichkeit<br />

untersagt, muá ich wohl grÜber mit ihnen umgehen. Aber <strong>de</strong>r<br />

heftige Ton soll mich nicht hin<strong>de</strong>rn, mich eifrig anzuschlieáen,<br />

wenn es einigen wirklich am Herzen liegt, daá Frie<strong>de</strong> wird.“ 44 Und<br />

so behielt er im Blick auf eine sachbezogene Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />

auch zu seiner eigenen Position eine lernbereite Distanz: Wenn<br />

43<br />

44<br />

24.06.1556 – Schwarz II, 148f.<br />

01.08.1557 – Schwarz II, 182.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 18<br />

„sich diese Meinungsverschie<strong>de</strong>nheit nur nicht zu persÜnlichem<br />

Haá auswÖchst, so wird uns Gott schlieálich schon offenbaren,<br />

was jetzt noch verborgen ist.“ 45<br />

Auch wenn sein zweiter Besuch in Frankfurt <strong>de</strong>r Schlichtungsaufgabe<br />

unter <strong>de</strong>n Reformierten gewidmet war, wollte Calvin<br />

nicht aus Frankfurt abreisen, ohne nicht auch die lutherischen<br />

Pfarrer noch einmal angesprochen zu haben. So lieá <strong>de</strong>r Rat nachfragen,<br />

ob sie nicht Calvin noch sehen wollten. In einem Brief an<br />

Wolfgang Musculus in Bern geht Calvin im RÅckblick kurz auf die<br />

Begebenheit ein: „Als <strong>de</strong>r Rat die Pfarrer auffor<strong>de</strong>rte, wenigstens<br />

vor meinem Abschied noch einmal mit mir zu re<strong>de</strong>n, antworteten<br />

sie, es sei ihnen zu gewagt; <strong>de</strong>nn sie hegten <strong>de</strong>n Verdacht, ich wolle<br />

nur Gelegenheit fin<strong>de</strong>n, mit ihnen zu disputieren; sie seien aber<br />

ungelehrte Leute und nicht stark genug, mir zu antworten.“ 46 Per<br />

Zufall trifft Calvin gleichsam im Vorbeigehen doch noch auf die<br />

lutherischen Pfarrer, was dann spÖter von ihnen in einem Bericht<br />

mit <strong>de</strong>r Bemerkung abgehan<strong>de</strong>lt wird, dass Calvin sie freundschaftlich<br />

gesegnet habe 47 . Calvin notiert in <strong>de</strong>m eben zitierten<br />

Brief zu dieser Begegnung:<br />

„Kurz darauf begab sichs, daá sie mir alle begegneten. Ich trat auf sie<br />

zu und sagte, es wun<strong>de</strong>re mich, daá sie in einer so klaren Sache so befangen<br />

seien; ich hÖtte nur vorgehabt, eine Art Einigung herbeizufÅhren;<br />

da sie aber das nicht zugÖben, so wolle ich nicht zudringlich sein,<br />

sie wi<strong>de</strong>r ihren Willen an <strong>de</strong>n Haaren herbeizuziehen.“ 48<br />

c) Neben <strong>de</strong>r Eintracht in <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong> und <strong>de</strong>r Äkumene vor<br />

Ort hat Calvin stets auch eine dritte Ebene mit im Blick gehabt,<br />

nÖmlich die ReligionsgesprÖche. Um sich irrational aufschaukeln<strong>de</strong><br />

Konflikte zu vermei<strong>de</strong>n, setzte Calvin auf die gegenseitige VerstÖndigung<br />

– doch hÖufig hat es eben dazu nicht einmal eine<br />

Chance gegeben. Er lobt <strong>de</strong>s Plan <strong>de</strong>s Erzbischofs von Canterbury<br />

Thomas Cranmer, ein evangelisches Konzil einzuberufen 49 .<br />

Angesichts <strong>de</strong>r Frankfurter VerhÖltnisse ermutigt er Melanchthon,<br />

<strong>de</strong>m ZÜgern <strong>de</strong>r FÅrsten zu einem ReligionsgesprÖch nicht weiter<br />

nachzugeben und nun mit eigenen KrÖften ein ReligionsgesprÖch<br />

45<br />

01.08.1557 – Schwarz II, 183.<br />

46<br />

26.10.1556 – Schwarz II, 159.<br />

47<br />

Vgl. K. Bauer, Die Beziehungen (s. Anm. 3), 33.<br />

48<br />

26.10.1556 – Schwarz II, 159.<br />

49<br />

Vgl. die Briefe an Bischof Thomas Cranmer in Canterbury En<strong>de</strong> April 1552 –<br />

Schwarz I, 441f. und im Dez. 1552 – Schwarz I, 460f.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 19<br />

auf die Beine zu stellen 50 . „Sucht man ein Mittel, Frie<strong>de</strong>n zu stiften,<br />

so ist die einzige Hoffnung ein ReligionsgesprÖch“ 51 – vorausgesetzt,<br />

es han<strong>de</strong>lt sich nicht um eine Begegnung verstockter<br />

ParteigÖnger. In gleichem Sinne schreibt er an Justus Jonas: „Die<br />

nÖchste Aufgabe ist, daá sich fromme und friedlieben<strong>de</strong> Gelehrte<br />

privatim zu einer freundschaftlichen Besprechung herbeilassen.“ 52<br />

Nur auf <strong>de</strong>m Weg einer soli<strong>de</strong> ausgehan<strong>de</strong>lten Union konnte<br />

sich Calvin eine sinnvolle Weiterentwicklung <strong>de</strong>r Reformation<br />

vorstellen, und es war ihm durchaus ein Stein <strong>de</strong>s Anstoáes, in<br />

welcher Weise sich auch das lan<strong>de</strong>sherrliche Kirchenregiment <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>utschen Kleinstaaterei immer wie<strong>de</strong>r aus politischen Motiven<br />

heraus als ein gravieren<strong>de</strong>s Hin<strong>de</strong>rnis auf <strong>de</strong>m Weg zu einem die<br />

verschie<strong>de</strong>nen NationalitÖten umfassen<strong>de</strong>n Protestantismus erwiesen<br />

hat 53 . Hier liegen die Wurzeln dafÅr, dass im Luthertum<br />

die nationale Komponente bis heute eine prÖgen<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung<br />

hat als bei <strong>de</strong>n Reformierten, die sich in <strong>de</strong>r Regel von <strong>de</strong>r sie<br />

betreffen<strong>de</strong>n Obrigkeit nichts Positives zu erhoffen hatten, son<strong>de</strong>rn<br />

ganz im Gegenteil allen Grund hatten, diese zu fÅrchten. Mit<br />

<strong>de</strong>m Nationalismus berÅhren wir ein Ükumenisch nach wie vor<br />

brisantes Thema, <strong>de</strong>m wir jetzt aber nicht weiter nachgehen kÜnnen<br />

54 , zu <strong>de</strong>m es aber von Calvin aus manches Kritische zu sagen<br />

gÖbe.<br />

So sehr Calvins Betonung <strong>de</strong>r politischen UnabhÖngigkeit <strong>de</strong>r<br />

Kirche ein beson<strong>de</strong>res Kennzeichen <strong>de</strong>s Ükumenischen Charak-<br />

50<br />

17.09.1556 – Schwarz II, 155f.<br />

51<br />

03.08.1557 – Schwarz II, 184.<br />

52<br />

17.09.1556 – Schwarz II, 156.<br />

53<br />

In<strong>de</strong>m sich Calvin gegen <strong>de</strong>n Nationalismus wandte, stemmte er sich gegen <strong>de</strong>n<br />

Trend seiner Zeit; vgl. G.W. Locher, Calvin. Anwalt <strong>de</strong>r Äkumene (s. Anm. 2), 17f.;<br />

vgl. G. Gloe<strong>de</strong>, Calvinus oecumenicus. Weg und Werk <strong>de</strong>s Reformators, in: Johannes<br />

Calvin 1509–1564. Eine Gabe zu seinem 400. To<strong>de</strong>stag, hg. v. J. Rogge, Berlin<br />

1963, 9–26, 9. In die gleiche Richtung blickt K. Holl, wenn er die aktuelle Ükumenische<br />

Be<strong>de</strong>utung Calvin hervorhebt: Die von Calvin „!vertretene Ausweitung <strong>de</strong>s<br />

partikularkirchlichen Horizonts zum Ükumenischen Bewuátsein: das ist alles heute<br />

noch so gÅltig und so notwendig wie ehemals.“ (Johannes Calvin [1909], in: Ders.,<br />

Gesammelte AufsÖtze zur Kirchengeschichte III, TÅbingen 1928, 254–284, 284)<br />

54<br />

Eine be<strong>de</strong>nkenswerte Bemerkung von W. Nijenhuis mag fÅr <strong>de</strong>n ganzen Problemkomplex<br />

stehen: „Wenn man sich klarmacht, welches Gewicht unter <strong>de</strong>n vielen<br />

nicht-theologischen Faktoren, die in <strong>de</strong>r Uneinigkeit <strong>de</strong>r Kirche eine Rolle spielen,<br />

<strong>de</strong>r Nationalismus hatte und noch hat, dann begreift man auch, wie segensreich es<br />

war, daá die Diasporakirchen im damaligen Europa an <strong>de</strong>r Durchbrechung dieses<br />

verhÖngnisvollen PhÖnomens mit gewirkt haben.“ (Die Aufgabe <strong>de</strong>r <strong>reformiert</strong>en<br />

Kirchen [s. Anm. 17], 66)<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 20<br />

ters seiner Theologie ist, so zeigt sich hier zugleich <strong>de</strong>r hohe Anspruch<br />

seiner Theologie, <strong>de</strong>r mit als ein Grund dafÅr angesehen<br />

wer<strong>de</strong>n kann, dass seinen BemÅhungen lÖngst nicht immer Erfolg<br />

beschie<strong>de</strong>n gewesen ist, <strong>de</strong>nn Calvin stellte sich mit seiner Erwartung<br />

gegen die sich ausbreiten<strong>de</strong> Stimmung, in welcher <strong>de</strong>r Aufschwung<br />

<strong>de</strong>s Nationalismus begrÅát wur<strong>de</strong>. Auch wenn dies mehr<br />

Åber die faktischen Bindungen <strong>de</strong>r Menschen aussagt als Åber eine<br />

KorrekturbedÅrftigkeit <strong>de</strong>s Ükumenischen Konzepts Calvins, so<br />

bleibt es doch als ein wirksamer Faktor zu registrieren. Theologisch<br />

mag es sich recht selbstverstÖndlich anhÜren, dass konsequent<br />

alles Han<strong>de</strong>ln in <strong>de</strong>r Kirche und fÅr die Kirche allein in die<br />

Perspektive <strong>de</strong>r Ehre Gottes zu stellen sei. Wird dies dann aber<br />

auch ernst genommen, so ist es tatsÖchlich sehr hoch gegriffen, so<br />

dass es schnell dazu kommen kann, dass Calvin mit seiner Konzentration<br />

allein dastand. Diese konsequente theologische Sachlichkeit,<br />

die sich immer wie<strong>de</strong>r vor allem gegen nahe liegen<strong>de</strong><br />

menschliche Neigungen stellte, mag auf eine vielleicht psychologisch<br />

nachvollziehbare, aber <strong>de</strong>shalb keineswegs schon ins Recht<br />

gesetzte Weise dazu beigetragen haben, dass man sich seiner immer<br />

wie<strong>de</strong>r nur durch Aversion glaubte erwehren zu kÜnnen, wozu<br />

dann eben auch <strong>de</strong>r unberechtigte Vorwurf <strong>de</strong>r Tyrannei zu<br />

zÖhlen ist 55 . Dass aber seine konsequente Sachlichkeit zutiefst geprÖgt<br />

war von menschlicher Empfindsamkeit und <strong>de</strong>m Wissen um<br />

die zerstÜrerischen KrÖfte <strong>de</strong>r selbstbeharrlichen menschlichen<br />

Eitelkeit, die er auch fÅr sich selbst nicht in Abre<strong>de</strong> stellte, bezeugt<br />

seine atemberauben<strong>de</strong> Korrespon<strong>de</strong>nz, in <strong>de</strong>r er in beeindrucken<strong>de</strong>r<br />

Weise als ein geschickter und weitsichtiger Diplomat<br />

und ein einfÅhlsamer Ratgeber in Erscheinung getreten ist.<br />

Wenn wir kurz auf <strong>de</strong>n Punkt zurÅckkommen, an <strong>de</strong>m wir uns<br />

hier an Calvin gewandt haben, so sind wir bei Calvin we<strong>de</strong>r auf<br />

eine Äkumene <strong>de</strong>r Selbstgewissheit noch eine Äkumene <strong>de</strong>r<br />

Selbstaufgabe gestoáen, son<strong>de</strong>rn auf ein VerstÖndnis <strong>de</strong>r Kirche,<br />

die ihrem Wesen nach auf <strong>de</strong>m Weg ist, immer noch zu wer<strong>de</strong>n,<br />

was sie ist. Entschie<strong>de</strong>n keine RÅckwÖrtsverteidigung, son<strong>de</strong>rn ein<br />

VorwÖrtsdrÖngen. Ob „Gottes Sein im Wer<strong>de</strong>n“ ist, wie Eberhard<br />

55 Diese EinschÖtzung fin<strong>de</strong>t sich bereits bei K. Bauer, Die Beziehungen (s. Anm. 3),<br />

75; vgl. auch M. Weinrich, Unbequeme, weil konsequente Theologie: Johannes Calvin<br />

und Karl Barth, in: M. Weinrich / U. MÜller (Hg.), Calvin heute. Impulse <strong>de</strong>r <strong>reformiert</strong>en<br />

Theologie fÅr die Zukunft <strong>de</strong>r Kirche, Neukirchen-Vluyn 2009, 79–95.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 21<br />

JÅngel meint, kÜnnen wir getrost dahin gestellt sein lassen, wenn<br />

wir darauf bauen kÜnnen, dass selbst aus <strong>unsere</strong>m Sein noch etwas<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Wenn Calvin zeitlebens immer wie<strong>de</strong>r auf die<br />

MÖáigung gesetzt hat, so war dies gera<strong>de</strong> nicht ein Ausdruck einer<br />

zu unterstellen<strong>de</strong>n Menschenfeindlichkeit, son<strong>de</strong>rn gera<strong>de</strong> umgekehrt<br />

eine weitsichtige und wirklichkeitsnahe Verteidigung <strong>de</strong>s<br />

Menschen gegen all die ganz konkreten Gefahren und ZerstÜrungen,<br />

die aus seiner Maálosigkeit, seiner SelbstÅberschÖtzung und<br />

Eigenwilligkeit erwachsen kÜnnen. Das ist noch etwas an<strong>de</strong>res als<br />

Freundlichkeit im Dialog und respektvoller Umgang miteinan<strong>de</strong>r.<br />

Es geht um die SolidaritÖt <strong>de</strong>rjenigen, die ihr Maá nicht in sich<br />

selbst fin<strong>de</strong>n und schon gar nicht in ihrer Regie haben, so dass sie<br />

an<strong>de</strong>re maáregeln kÜnnten. Es geht nicht um Tanzen und Kartenspielen,<br />

son<strong>de</strong>rn um die Unterscheidung zwischen <strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft dient und was ihr scha<strong>de</strong>t. Hier sind auch die Spielregeln<br />

fÅr <strong>unsere</strong> Äkumene zu suchen, einer Äkumene, die sich<br />

immer wie<strong>de</strong>r am Maá Gottes ausrichtet und nicht das eigene<br />

Maá zum Maástab erhebt. – Damit kommen wir nun von <strong>unsere</strong>r<br />

Äkumene zu <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Äkumene. Ich kann mich in diesem Abschnitt<br />

kÅrzer fassen.<br />

2.2. Die an<strong>de</strong>re Äkumene<br />

Der Vorwurf Calvins gegenÅber <strong>de</strong>r rÜmischen Kirche bestand<br />

darin, dass sie eine Kirche sei, die im Laufe ihrer geschichtlichen<br />

Entwicklung genau das aus <strong>de</strong>m Blick verloren habe, was essentiell<br />

im Zentrum <strong>de</strong>r Kirche stehen sollte. Zweifellos war es noch<br />

irgendwo vorhan<strong>de</strong>n, aber ihm wur<strong>de</strong> keine Be<strong>de</strong>utung mehr zugemessen,<br />

weil sich an<strong>de</strong>re Interessen in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgrund geschoben<br />

hatten. Die Selbstbezeichnung Kirche stand in Spannung<br />

zu <strong>de</strong>m, was die Kirche zur Kirche macht. Die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Substanz musste neu aufgesucht und wie<strong>de</strong>r in die Mitte gestellt<br />

wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r zur Gewohnheit gewor<strong>de</strong>nen Desorientierung, in<br />

<strong>de</strong>r alles durcheinan<strong>de</strong>r geraten war, sei es <strong>de</strong>r Reformation darum<br />

gegangen, die Kirche wie<strong>de</strong>r auf ihr lebendiges Zentrum zu konzentrieren,<br />

bzw. etwas martialischer mit <strong>de</strong>n Worten Calvins gesagt,<br />

„das Feldzeichen <strong>de</strong>s FÅhrers“ wie<strong>de</strong>r hochzuhalten, damit<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 22<br />

die notwendige Orientierung wie<strong>de</strong>r mÜglich wird 56 . Nicht im organisatorischen<br />

Zusammenhalt o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r gemeinsam formulierten<br />

Lehre ist die Einheit <strong>de</strong>r Kirche zu suchen, son<strong>de</strong>rn im HÜren<br />

auf die Stimme Christi 57 . In diesem Sinne kann die Reformation<br />

insgesamt mit Willem Nijenhuis als „ein Ükumenisches Geschehen<br />

ersten Ranges“ angesehen wer<strong>de</strong>n 58 .<br />

Es kann die Frage gestellt wer<strong>de</strong>n, ob Calvin angesichts <strong>de</strong>r<br />

heute anzutreffen<strong>de</strong>n Zersplitterung <strong>de</strong>r Kirche nicht eine Öhnliche<br />

NachlÖssigkeit <strong>de</strong>r Kirche sich selbst gegenÅber feststellen<br />

wÅr<strong>de</strong>, wie er sie seinerzeit in <strong>de</strong>r SelbstnachlÖssigkeit und Selbstvergessenheit<br />

<strong>de</strong>r romzentrierten Kirche annonciert hat – Kirchen,<br />

die sich selbst sehr wohl ernst nehmen, allzu ernst, aber eben<br />

nicht ihr theologisch zu verantworten<strong>de</strong>s Kirchesein. Mit<br />

Karl Barth gesprochen kÜnnte man die Frage stellen, ob nicht die<br />

Kritik, die im 16. Jh. einer „Kirche im Exzeá“ galt, heute mit<br />

durchaus vergleichbarer Deutlichkeit einer „Kirche im Defekt“ 59 –<br />

einer hinsichtlich ihrer Bestimmung selbstvergessenen Kirche gelten<br />

mÅsste? Und man mÅsste wohl noch hinzufÅgen, dass <strong>de</strong>r<br />

Defekt durchaus mit einem Exzess zusammenhÖngen kann, in<br />

<strong>de</strong>m die Kirchen trotz <strong>de</strong>r anerkannten Ükumenischen Herausfor<strong>de</strong>rung<br />

vor allem sich selbst wollen. Der amerikanische Theologe<br />

John T. McNeill hat die Frage gestellt, ob Calvin uns nicht gar als<br />

unbeabsichtigte Sektierer ansehen wÅr<strong>de</strong> 60 .<br />

Calvin hat Sadolet und somit <strong>de</strong>r rÜmischen Kirche einen<br />

Mangel an Theologie vorgeworfen – er hat auch von einer allzu<br />

gemÅtlichen Theologie gesprochen 61 –, weil sie vor allem <strong>de</strong>n<br />

Menschen mit sich selbst befasse und sich allein auf das eigene<br />

Seelenheil konzentriere; sie mÅsse sich schon ein wenig hÜher<br />

aufschwingen und <strong>de</strong>n Menschen auf Gott ausrichten 62 . KÜnnte<br />

56 Antwort an Kardinal Sadolet [1539], in: Calvin-Studienausgabe (CStA), hg. v. E.<br />

Busch u.a., Bd. 1.2, Neukirchen-Vluyn 1994, 337–429, 411.<br />

57 Vgl. Chr. Strohm, Johannes Calvin (s. Anm. 4), 58.<br />

58 Die Aufgabe <strong>de</strong>r <strong>reformiert</strong>en Kirchen (s. Anm. 17), 74; vgl. auch M. Beintker, Calvins<br />

theologisches Denken als Ükumenische Herausfor<strong>de</strong>rung, in: M. Weinrich /<br />

U.MÜller (Hg.), Calvin heute. Impulse <strong>de</strong>r <strong>reformiert</strong>en Theologie fÅr die Zukunft<br />

<strong>de</strong>r Kirche, Neukirchen-Vluyn 2009, 151–167.<br />

59 Vgl. K. Barth, Das christliche Leben, KD IV/4. Fragmente aus <strong>de</strong>m Nachlaá, hg. v.<br />

H.-A. Drewes und E. JÅngel (Karl Barth Gesamtausgabe), ZÅrich 1976, 224–231.<br />

60 Calvin as an Ecumenical Churchman, in: Church History 32 (1963), 379–391, 382.<br />

61 Antwort an Kardinal Sadolet [1539], CStA 1.2, 399.<br />

62 Antwort an Kardinal Sadolet [1539], CStA 1.2, 363.<br />

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MICHAEL WEINRICH: Calvin und die an<strong>de</strong>re Ökumene 23<br />

nicht heute <strong>de</strong>r Vorwurf einer allzu gemÅtlichen Theologie darauf<br />

zielen, dass sich die Kirchen vor allem mit sich selbst beschÖftigen<br />

und die Äkumene nur noch zu einer beson<strong>de</strong>ren Legitimation<br />

bzw. zur Tarnung dieses Narzissmus benutzt wird? Kann es sein,<br />

dass die Äkumene – insbeson<strong>de</strong>re die nach menschlicher Voraussicht<br />

bis auf St. Nimmerleinstag ausgebuchte berÅhmte Konsens-<br />

Ükumene – zu einer Behin<strong>de</strong>rung genau <strong>de</strong>ssen ausgewachsen ist,<br />

was sie eigentlich so wichtig und essentiell macht?<br />

NatÅrlich sind solche Urteile in ihrer Allgemeinheit immer<br />

falsch und leicht zu wi<strong>de</strong>rlegen, aber mÅssen wir nicht in etwas<br />

ernÅchterter Distanz zugeben, dass an dieser Frage etwas dran<br />

sein kÜnnte? Leben nicht in <strong>de</strong>r Äkumene alle Kirchen aus einem<br />

falsch verstan<strong>de</strong>nen Traditionsprinzip, in <strong>de</strong>m sie ihre BestÖn<strong>de</strong><br />

verteidigen und dafÅr nicht ohne intellektuelle Raffinesse das ganze<br />

ihnen zur VerfÅgung stehen<strong>de</strong> theologische Geschick mobilisieren?<br />

Sie leben nicht von <strong>de</strong>n mobilisieren<strong>de</strong>n Elementen ihrer<br />

Traditionen, son<strong>de</strong>rn mobilisieren vor allem die BeharrungskrÖfte<br />

<strong>de</strong>s Traditionalismus. MÅssten sie sich nicht, um ihren Namen zu<br />

Recht zu tragen, auch ein wenig hÜher aufschwingen und beim<br />

Wort Kirche auch einmal an die gemeinsame gÜttliche Berufung<br />

<strong>de</strong>nken? Wie kann es angehen, einerseits die Kirche theologisch<br />

als <strong>de</strong>n Leib Christi zu verstehen und zugleich an<strong>de</strong>rerseits doch<br />

mehr o<strong>de</strong>r weniger gelassen hinzunehmen, dass es entwe<strong>de</strong>r recht<br />

viele Leiber Christi zu akzeptieren gibt o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Leib Christi doch<br />

so zerstÅckelt ist, dass er nicht mehr von <strong>de</strong>r noch so groázÅgig<br />

ausgelegten paulinischen Lehre von <strong>de</strong>n unterschiedlichen Charismen<br />

sinnvoll zusammengehalten wer<strong>de</strong>n kann. Wie wollen wir<br />

Calvin erklÖren, dass heute von einem respektablen Äkumeniker<br />

ein Konzept fÅr die Äkumene unter <strong>de</strong>m Titel: „Äkumene in GegensÖtzen“<br />

63 vorgetragen wird? Kann da eigentlich so Verschie<strong>de</strong>nes<br />

o<strong>de</strong>r gar GegensÖtzliches drin sein, wo Kirche draufsteht? Ist<br />

„Kirche“ ein geschÅtztes Markenzeichen o<strong>de</strong>r ein frei verfÅgbares<br />

Label, das sich je<strong>de</strong>r anheften kann – mit und ohne Zusatz: „Kirche<br />

Jesu Christi <strong>de</strong>r Heiligen <strong>de</strong>r Letzten Tage“? Mit welchem<br />

Recht bezeichnet die Scientology-Organisation Teile ihrer Organi-<br />

63 E. Geldbach, Äkumene in GegensÖtzen (Bensheimer Heft 66), GÜttingen 1987. Es<br />

muss zugunsten von E. Geldbach darauf hingewiesen wer<strong>de</strong>n, dass die provokante<br />

Formulierung <strong>de</strong>s Titels die hier vorgetragene erwÖgenswerte Ükumenische Perspektive<br />

nicht wirklich zu erkennen gibt.<br />

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sation als „Kirche“ 64 ? Niemand wird es ihnen verbieten kÜnnen,<br />

diese Bezeichnung zu verwen<strong>de</strong>n. Die Frage ist nur, was sich da<br />

als Kirche in Szene setzt und auf welche Weise es sich i<strong>de</strong>ntifizieren<br />

lassen will.<br />

Calvin schreibt 1543 an Karl V: „Im Åbrigen genÅgt es nicht,<br />

mit <strong>de</strong>m Namen Kirche um sich zu werfen, son<strong>de</strong>rn man muá<br />

sich auch darÅber ganz klar sein, was eigentlich Kirche ist und worin<br />

ihre Einheit besteht.“ 65 In theologischem VerstÖndnis ist Kirche<br />

keine frei verfÅgbare Selbstbezeichnung – bei genauem Hinsehen<br />

ist es Åberhaupt keine Selbstbezeichnung, son<strong>de</strong>rn eine Berufung<br />

und eine Verheiáung. In seinem Schreiben an Karl V fÖhrt Calvin<br />

fort: „Dabei ist nun das Allererste, daá wir die Kirche nicht von<br />

Christus, ihrem Haupte, trennen.“ Kirche kann nur da sein, wo<br />

Christus obenan steht, und das muss gleich dazu gesagt wer<strong>de</strong>n:<br />

nicht wir sind es, die ihn obenan stellen und ihm seine Aufgaben<br />

zuweisen. Er ist kein leiten<strong>de</strong>r Angestellter <strong>de</strong>r Kirche o<strong>de</strong>r gar<br />

das stets gleich bleiben<strong>de</strong> Gesicht einer Anziehpuppe, Åber <strong>de</strong>ren<br />

Aussehen durch die Klei<strong>de</strong>r entschie<strong>de</strong>n wird, die ihr jeweils umgehÖngt<br />

wer<strong>de</strong>n, je nach Geschmack und Mo<strong>de</strong>. Die Kirche ist<br />

nicht die Designerin ihrer selbst. Schon wenn aus <strong>de</strong>m Haupt ein<br />

‚HauptsÖchlich’ wird, geht die Hauptsache verloren, weil das<br />

Haupt seinem Wesen nach keine Sache ist. Vielmehr kommt alles<br />

auf <strong>de</strong>n lebendigen Christus an. Calvin hebt die drei çmter <strong>de</strong>r<br />

Auferstan<strong>de</strong>nen hervor, in <strong>de</strong>nen er gegenwÖrtig wirkt und seine<br />

Kirche beruft, erhÖlt und sen<strong>de</strong>t. Dieses entspricht <strong>de</strong>m biblischen<br />

Universalismus <strong>de</strong>s in Christus offenbarten gÜttlichen Heilswillens<br />

66 . Das gilt es vital im Bewusstsein zu halten, wenn heute so<br />

gerne auch unter Berufung auf Calvin von <strong>unsere</strong>n çmtern gere<strong>de</strong>t<br />

wird. Ohne die drei çmter Christi verlieren <strong>unsere</strong> çmter ihren<br />

RealitÖtsbezug und wer<strong>de</strong>n zu problematischen ErmÖchtigungen<br />

o<strong>de</strong>r gar zu schrulligen Erscheinungen, so notwendig sie auf<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite sein mÜgen.<br />

Gleich zu Beginn seiner âberlegungen zur Kirche im IV. Buch<br />

seiner Institutio betont Calvin, dass die Kirche zu <strong>de</strong>n Glaubens-<br />

64 Vgl. Handbuch ReligiÜse Gemeinschaften und Weltanschauungen, im Auftrag <strong>de</strong>r<br />

VELKD hg. v. H. Krech u. M. Kleiminger, GÅtersloh 6 2006, 1019.<br />

65 Mahnschreiben an Karl V, in: Um Gottes Ehre. Vier kleinere Schriften Calvin, Åbers.<br />

u. hg. von M. Simon, MÅnchen 1924, 165–300, 274f.<br />

66 Vgl. G. Gloe<strong>de</strong>, Calvinus oecumenicus (s. Anm. 53), 17.<br />

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artikeln zu rechnen ist 67 . Es gehÜrt zum Wesen von Glaubensartikeln,<br />

dass das, was sie bekennen, nicht einfach vor Augen steht,<br />

son<strong>de</strong>rn bekannt wer<strong>de</strong>n muss.<br />

Was damit gemeint ist, lÖsst sich vielleicht zunÖchst an einem<br />

an<strong>de</strong>ren Beispiel erlÖutern. Wenn wir von <strong>de</strong>r SchÜpfung sprechen,<br />

geht es bei genauerem Hinsehen auch nicht um etwas, was<br />

wir sehen kÜnnen. Was uns vor Augen steht, ist die Natur; dass<br />

aber diese Natur einen SchÜpfer hat, ist nicht sichtbar: es kann<br />

nur im Glauben bekannt wer<strong>de</strong>n – wir bewegen uns nicht im Bereich<br />

<strong>de</strong>s Greifbaren, wenn wir von SchÜpfung sprechen, son<strong>de</strong>rn<br />

im Bereich <strong>de</strong>s Glaubens und <strong>de</strong>r geht dann auch <strong>de</strong>utlich Åber<br />

das hinaus, was uns das Auge je erschlieáen kann. Er kann nicht<br />

aufgewiesen, son<strong>de</strong>rn nur bekannt wer<strong>de</strong>n.<br />

Und das ist eben im Blick auf die Kirche ebenso: natÅrlich<br />

steht da auch etwas vor Augen, aber das, was es wirklich ist, ist<br />

nicht einfach sichtbar. Wir sehen die Kirche, und wir kÜnnen das,<br />

was wir sehen, auch kritischen Kriterien unterwerfen, um nicht<br />

einfach alles, was sich Kirche nennt, als eine solche ansehen zu<br />

mÅssen, so dass es zu einem qualifizierten Sehen kommt. In diesem<br />

Sinne erinnert Calvin <strong>de</strong>n Kaiser daran, dass „die oft wie<strong>de</strong>rholten<br />

Merkmale einer Kirche in gutem Zustand … gesun<strong>de</strong> Predigt<br />

<strong>de</strong>r Lehre und reiner Gebrauch <strong>de</strong>r Sakramente“ seien 68 . Aber<br />

das, was es Åber die Kirche zu sagen gibt, geht weit Åber unser<br />

Sehen hinaus – und da helfen dann auch die bei<strong>de</strong>n Kennzeichen<br />

<strong>de</strong>r Kirche nicht mehr weiter; es muss vom Glauben bekannt<br />

wer<strong>de</strong>n und lÖsst sich dann auch nicht einfach in <strong>de</strong>m verifizieren,<br />

was wir sehen. Es muss bei einem wirklichen Bekennen sein Bewen<strong>de</strong>n<br />

haben, ganz genau so wie bei <strong>de</strong>m Bekenntnis zum auferstan<strong>de</strong>n<br />

Christus. Aber so, wie in <strong>de</strong>m Bekenntnis zur Auferstehung<br />

<strong>de</strong>r ganze Glaube und die ganze Hoffnung zur Debatte stehen,<br />

verhÖlt es sich auch im Bekenntnis zu <strong>de</strong>r wahren Kirche,<br />

ohne die all unser Kirchesein im gÅnstigsten Fall ein relativ harmloser<br />

und gut gemeinter religiÜser Irrtum ist o<strong>de</strong>r im weniger<br />

gÅnstigen Fall aber eine von allen religiÜsen Betulichkeiten kaum<br />

ÅbertÅnchbare dreiste VerfÅhrung <strong>de</strong>r Menschen im innersten<br />

Kern ihrer Existenz.<br />

67 Vgl. Inst. IV 1,2.<br />

68 Mahnschreiben (s. Anm. 65), 275; vgl. Inst. IV 1,9 u.Ü.<br />

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Es kommt also entschei<strong>de</strong>nd auf das Bekenntnis zu <strong>de</strong>r von<br />

Gott erwÖhlten Kirche an. Dieses ist <strong>de</strong>r Trost <strong>de</strong>s Glaubens, um<br />

von <strong>de</strong>m, was wir sehen, nicht in allzu berechtigte Zweifel gezogen<br />

zu wer<strong>de</strong>n. Calvin drÅckt es so aus:<br />

„Mag nun auch solche traurige Ä<strong>de</strong>, wie sie uns von allen Seiten entgegentritt,<br />

mit lauter Stimme zu bezeugen scheinen, es sei von <strong>de</strong>r<br />

Kirche nichts mehr Åbrig, so sollen wir doch wissen, daá Christi Tod<br />

seine Frucht trÖgt und daá Gott seine Kirche auf wun<strong>de</strong>rsame Weise<br />

gleichsam in dunkler Verborgenheit bewahrt.“ 69<br />

Wenn es um die wahre Kirche geht, „so muá man Gott allein die<br />

Erkenntnis seiner Kirche Åberlassen, <strong>de</strong>ren Fundament ja seine<br />

verborgene ErwÖhlung ist.“ 70 Es war immer nur zum Ver<strong>de</strong>rben<br />

<strong>de</strong>r Kirche, wenn sie sich dazu autorisiert gefÅhlt hat, <strong>de</strong>n Weizen<br />

von <strong>de</strong>r Spreu zu trennen. Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite darf kein Zweifel<br />

daran bestehen, eben dieser wahren Kirche anzugehÜren, und so<br />

bekennen wir es je<strong>de</strong>n Sonntag in <strong>unsere</strong>m Glaubensbekenntnis,<br />

<strong>de</strong>nn – so schreibt Calvin – „wenn wir nicht mit allen Åbrigen<br />

Glie<strong>de</strong>rn zusammen unter <strong>unsere</strong>m Haupte, Christus, zu einer<br />

Einheit zusammengefÅgt sind, so bleibt uns keine Hoffnung auf<br />

das ZukÅnftige Erbe.“ 71<br />

Was wir bekennen, ist – wie gesagt – die „eine, heilige, katholische<br />

und apostolische Kirche“. Die vier Attribute <strong>de</strong>r wahren<br />

Kirche – Einheit, Heiligkeit, KatholizitÖt (UniversalitÖt) und ApostolizitÖt<br />

– gehÜren zusammen und ergÖnzen sich gegenseitig.<br />

Das Bekenntnis zur ZugehÜrigkeit zu dieser wahren, von Gott<br />

berufenen Kirche, zu dieser „Gemeinschaft <strong>de</strong>r Heiligen“, macht<br />

uns zu friedlieben<strong>de</strong>n und sammeln<strong>de</strong>n Glie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r sichtbaren<br />

Kirche, in <strong>de</strong>r es nach KrÖften eben diese Einheit <strong>de</strong>s Leibes<br />

Christi zu bezeugen gilt. Und Calvin bekennt:<br />

Es wÖre „doch wun<strong>de</strong>rlich, wenn Christus, <strong>de</strong>n wir als unsern Frie<strong>de</strong>n<br />

preisen, <strong>de</strong>r aller Fehd’ ein En<strong>de</strong> gemacht und Gott im Himmel uns<br />

gnÖdig gestimmt hat, nicht auch das bewirkte, daá wir auch auf Er<strong>de</strong>n<br />

brÅ<strong>de</strong>rlich Frie<strong>de</strong>n halten.“ 72<br />

Damit zeigt sich nun das, was ich die an<strong>de</strong>re Äkumene genannt<br />

habe: Einheit ist nicht nur ein essentieller Teil <strong>unsere</strong>s Glaubens-<br />

69<br />

70<br />

71<br />

72<br />

Inst. IV 1,2 (âbers. O. Weber; s. Anm. 15).<br />

Inst. IV 1,2 (âbers. O. Weber; s. Anm. 15).<br />

Inst. IV 1,2 (âbers. O. Weber; s. Anm. 15).<br />

05.01.1556 – Schwarz II, 129.<br />

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bekenntnisses, son<strong>de</strong>rn sie vollzieht sich auch in <strong>unsere</strong>m gemeinsamen<br />

Bekennen zu Christus als <strong>de</strong>m Haupt seines Leibes. Es ist<br />

das Bekenntnis zu Gott, durch das wir Åber <strong>unsere</strong> Selbstfixierung<br />

hinauswachsen.<br />

Das war genau die Erfahrung von Barmen. Wenn die Kirche<br />

ihre tatsÖchliche SchwÖche realisiert – und es tÖte ihr gut, dies in<br />

aller NÅchternheit von Zeit zu Zeit zu tun –, gehen alle SelbstbekrÖftigungsversuche<br />

unweigerlich daneben, solange sie sich nicht<br />

zu <strong>de</strong>r unerschÅtterlichen Verheiáung <strong>de</strong>r von Gott immer schon<br />

berufenen, bewahrten und weiterhin begleiteten Kirche bekennt.<br />

Die an<strong>de</strong>re Äkumene von Barmen bestand darin, dass die dort<br />

versammelten Kirchen mit unterschiedlichen Bekenntnissen erkannt<br />

haben, dass es jenseits ihrer BekenntnisstÖn<strong>de</strong> noch etwas<br />

zu bekennen gibt, worauf es im Entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n ankommt. Diese<br />

Einheit <strong>de</strong>r Kirche offensiv und Åber all <strong>unsere</strong> geschichtlichen<br />

KirchentÅmer hinaus zu bekennen, ist die Kraft <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Äkumene,<br />

ohne die <strong>unsere</strong> Äkumene ihre Orientierung verliert. Mit<br />

Calvin gesprochen gilt es auch hier an das „Feldzeichen“ zu erinnern,<br />

von <strong>de</strong>m allein tragfÖhige Orientierung zu erwarten steht.<br />

Ohne die klare Benennung <strong>de</strong>r fundamentalen theologischen<br />

Herausfor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Äkumene wird sie in all ihrer GeschÖftigkeit<br />

nicht wirklich Åber <strong>de</strong>n rÅckwÖrtsgewandten Traditionsabgleich<br />

hinauskommen, <strong>de</strong>ssen fa<strong>de</strong> Produkte von immer weniger noch<br />

als wirklich genieábar angesehen wer<strong>de</strong>n, weil die inzwischen un-<br />

Åbersichtlich gewor<strong>de</strong>ne Liste von all <strong>de</strong>n verwandten Zutaten auf<br />

<strong>de</strong>r Packung inzwischen mehr sagt als tatsÖchlich noch zu schmecken<br />

ist. Es ist die Chance <strong>de</strong>r Krise <strong>de</strong>r Äkumene, sich hier neue<br />

Orientierung ange<strong>de</strong>ihen zu lassen.<br />

5. Äkumene und Kirche – Eine Schlussbemerkung<br />

Von zweierlei Äkumene ist die Re<strong>de</strong> gewesen: von <strong>unsere</strong>r Äkumene,<br />

die wir zu gestalten haben, weil sie uns und unser Leben in<br />

<strong>de</strong>r Kirche meint, und von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Äkumene, die in <strong>de</strong>r gnÖdigen<br />

Zuwendung Gottes liegt und uns nicht nur zu <strong>unsere</strong>r Äkumene<br />

verpflichtet, son<strong>de</strong>rn eben auch ermutigt und befÖhigt.<br />

Bei Calvin, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Äkumene nicht verwen<strong>de</strong>t, wird<br />

das Thema unter <strong>de</strong>m Begriff „katholisch“ abgehan<strong>de</strong>lt: „Deshalb<br />

heiát die Kirche ‚katholisch’ o<strong>de</strong>r ‚allgemein’; <strong>de</strong>nn man kÜnnte<br />

nicht zwei o<strong>de</strong>r drei ‚Kirchen’ fin<strong>de</strong>n, ohne daá damit Christus in<br />

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StÅcke gerissen wird – und das kann doch nicht geschehen.“ 73<br />

Calvin hat dafÅr gekÖmpft, dass das rechte VerstÖndnis <strong>de</strong>r KatholizitÖt<br />

<strong>de</strong>r Kirche wie<strong>de</strong>r zur Geltung gebracht wird und nicht<br />

zu einem MachtkalkÅl <strong>de</strong>r PÖpste verkommt. Ganz einfach gesagt,<br />

steht die KatholizitÖt fÅr die UniversalitÖt <strong>de</strong>r Kirche als <strong>de</strong>r weltweite<br />

Raum, in <strong>de</strong>m das alle Menschen betreffen<strong>de</strong> Evangelium<br />

gehÜrt wird, und zwar nicht nur heute, son<strong>de</strong>rn eben auch durch<br />

alle Zeiten hindurch. Die recht verstan<strong>de</strong>ne KatholizitÖt <strong>de</strong>r Kirche<br />

<strong>de</strong>finiert ihre Einheit. In dieser Einheit steht sie auf <strong>de</strong>r Seite<br />

Gottes, sie ist also heilige Kirche; und eben eine solche Kirche<br />

haben die Apostel gemeint, als sie von <strong>de</strong>r Kirche sprachen, sie ist<br />

also auch apostolische Kirche. Wir kommen also wie<strong>de</strong>r bei <strong>unsere</strong>m<br />

Glaubensbekenntnis heraus.<br />

Daraus folgt – und eben dies sollten wir uns von Calvin sagen<br />

lassen: Von <strong>de</strong>r Äkumene zu re<strong>de</strong>n, heiát nichts an<strong>de</strong>res, als in<br />

rechter Weise von <strong>de</strong>r Kirche re<strong>de</strong>n. O<strong>de</strong>r pointierter gesagt: Nur<br />

da ist es nÜtig, von Äkumene zu re<strong>de</strong>n, wo nicht recht von <strong>de</strong>r<br />

Kirche gesprochen wird. Es kann nicht recht von <strong>de</strong>r Kirche gere<strong>de</strong>t<br />

sein, wenn zusÖtzlich noch von <strong>de</strong>r Äkumene gere<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n<br />

muss.<br />

Es ist also kein Zufall, dass Calvin als Äkumeniker ohne das<br />

Thema Äkumene auskommt. In seiner Re<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Kirche sind<br />

alle Aspekte <strong>de</strong>r Äkumene mit enthalten 74 . Dazu gehÜrt auch die<br />

Unterscheidung von zweierlei Äkumene, wie wir sie <strong>unsere</strong>n âberlegungen<br />

hier zugrun<strong>de</strong> gelegt haben. Wir fin<strong>de</strong>n sie in seiner<br />

Unterscheidung <strong>de</strong>r sichtbaren Kirche von <strong>de</strong>r wahren Kirche 75 .<br />

Die zwei Dimensionen <strong>de</strong>s ÄkumeneverstÖndnisses entsprechen<br />

<strong>de</strong>n zwei Dimensionen seines biblisch begrÅn<strong>de</strong>ten KirchenverstÖndnisses:<br />

Einerseits die Åber die ganze Welt verstreute Christenheit,<br />

die durch die Predigt <strong>de</strong>s Evangeliums und die Feier <strong>de</strong>r<br />

Sakramente erkennbar ist, in <strong>de</strong>r aber wohl gemerkt auch noch<br />

„sehr viele Heuchler gemischt“ sind, ebenso wie „viele EhrsÅchtige,<br />

Geizige, Neidische, sehr viele LÖsterer, auch Leute von unsau-<br />

73<br />

Inst. IV 1,2 (âbers. O. Weber; s. Anm. 15).<br />

74<br />

G.W. Locher hebt <strong>de</strong>n grundsÖtzlich Ükumenischen Charakter <strong>de</strong>r Theologie Calvins<br />

hervor: „Alles, was er sagt, schreibt, tut, steht im Licht <strong>de</strong>r Äkumene, im unausgesprochenen,<br />

aber bewuáten, also selbstverstÖndlichen Zusammenhang mit <strong>de</strong>r<br />

gesamten Kirche in <strong>de</strong>r ganzen Welt.“ (Calvin. Anwalt <strong>de</strong>r Äkumene [s. Anm. 2], 8)<br />

75<br />

Vgl. dazu auch Chr. Link, Die Einheit <strong>de</strong>r Kirche nach Calvin, in: Ders., PrÖ<strong>de</strong>stination<br />

und ErwÖhlung. Calvin-Studien, Neukirchen-Vluyn 2009, 196–212.<br />

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beren Lebenswan<strong>de</strong>l“ 76 , die aber im Respekt vor <strong>de</strong>m Urteil Gottes<br />

solange ertragen wer<strong>de</strong>n sollen, solange sie sich nicht ausdrÅcklich<br />

gegen die Grundlagen <strong>de</strong>s Bekenntnisses erheben. Das<br />

ist die sichtbare Kirche, mit <strong>de</strong>r wir Gemeinschaft zu halten und<br />

fÅr die wir mit <strong>unsere</strong>m Ükumenischen Engagement entschie<strong>de</strong>n<br />

einzutreten haben. Und an<strong>de</strong>rerseits die Kirche, „die in Wahrheit<br />

vor Gott Kirche ist, jene Kirche, in welche nur die aufgenommen<br />

wer<strong>de</strong>n, die durch die Gna<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Aufnahme in die Kindschaft<br />

Gottes Kin<strong>de</strong>r und die durch die Heiligung <strong>de</strong>s Geistes wahre<br />

Glie<strong>de</strong>r Christi sind. Und zwar umfaát die Kirche dann nicht allein<br />

die Heiligen, die auf Er<strong>de</strong>n wohnen, son<strong>de</strong>rn alle AuserwÖhlten,<br />

die seit Anbeginn <strong>de</strong>r Welt gewesen sind.“ 77 Diese unsichtbare<br />

Kirche, die allein von <strong>de</strong>n Augen Gottes wahrgenommen wer<strong>de</strong>n<br />

kann, ist zu glauben. Sie ist ein fundamentales Element <strong>de</strong>s<br />

Glaubensbekenntnisses, ohne das sowohl die Frie<strong>de</strong>nspflicht im<br />

Rahmen <strong>de</strong>r sichtbaren Kirche als auch Åberhaupt die Bindung an<br />

diese ihre BegrÅndung und ihren RÅckhalt verlÜren. Die sichtbare<br />

Kirche lebt aus <strong>de</strong>r Gewissheit <strong>de</strong>r wahren Kirche, sowie <strong>unsere</strong><br />

Äkumene von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Äkumene lebt. Damals konnte Calvin<br />

we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r einen noch <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Äkumene wirklich GehÜr verschaffen,<br />

aber vielleicht sind uns angesichts <strong>unsere</strong>r Erfahrungen<br />

nun die Ohren gegeben, ihn ein wenig <strong>de</strong>utlicher zu vernehmen.<br />

Das wÖre dann nicht nur ein wirkliches Calvin-JubilÖum.<br />

Lassen Sie mich schlieáen mit <strong>de</strong>n Worten, mit <strong>de</strong>nen Calvin<br />

seine Streitschrift gegen Sadolet beschlieát. Wenn wir dabei statt<br />

Sadolet uns selbst einsetzen, wer<strong>de</strong>n wir vernehmen, dass Calvin<br />

hier nicht schulmeisterlich von oben herab re<strong>de</strong>t, son<strong>de</strong>rn seine<br />

Ükumenische Lehre von <strong>de</strong>r Kirche noch einmal bekenntnisartig<br />

zusammenfasst:<br />

„So gebe <strong>de</strong>nn Gott, Sadolet, daá ihr mit all <strong>de</strong>n Euren doch noch<br />

einmal erkennt: es gibt kein an<strong>de</strong>res Band kirchlicher Einheit, als daá<br />

uns Christus, <strong>de</strong>r Herr, <strong>de</strong>r uns mit Gott, <strong>de</strong>m Vater, versÜhnt hat, aus<br />

<strong>unsere</strong>r Zerstreuung in die Gemeinschaft seines Leibes sammelt, damit<br />

wir so allein durch sein Wort und seinen Geist zu einem Herzen<br />

und zu einer Seele zusammenwachsen.“ 78<br />

76<br />

Vgl. auch zum folgen<strong>de</strong>n Inst. IV 1,7.<br />

77<br />

Inst. IV 1,7 (âbers. O. Weber; s. Anm. 15); vgl. auch die Definition, die Calvin in<br />

seiner ‚Antwort an Kardinal Sadolet’ [1539] formuliert: CStA 1.2, 369.<br />

78<br />

CStA 1.2, 429.<br />

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