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Theater der Zeit - Mobile Academy

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Passion<br />

gehst. Der Emotionspsychologe Nico Frijda 4 sieht darin die Essenz aller<br />

Emotionen: Sie bewirken ein an<strong>der</strong>es Handeln.<br />

Weigel Ich halte mich eher an Michel Poizat, <strong>der</strong> eine wun<strong>der</strong>bare<br />

Geschichte <strong>der</strong> Oper geschrieben hat: LE CRI DE L’ANGE, also »Der<br />

Schrei des Engels« 5 . Dort leitet er die Entstehung <strong>der</strong> Oper auch religionsgeschichtlich<br />

her und stellt die Stimme ins Zentrum: die Stimme,<br />

die einerseits versucht, das Physische, die Gebundenheit an das Leibliche<br />

bzw. Kreatürliche <strong>der</strong> menschlichen Existenz zu überschreiten hin<br />

zur Transzendenz, und an<strong>der</strong>erseits das Diabolische zum Ausdruck<br />

bringt. Diese Dialektik zwischen Eros, Transzendenz und Diabolischem<br />

hat in <strong>der</strong> Musik eine elementare Ausdrucksform. Im Film funktioniert<br />

es über Bil<strong>der</strong>. Manchmal brauchen wir nur ein Bild und sind im Inners -<br />

ten getroffen. Das sind starke Wirkungen, die insbeson<strong>der</strong>e durch Artefakte<br />

ausgelöst werden.<br />

Menninghaus Da wäre ich wie<strong>der</strong> versucht, an Darwins Kapitel über die<br />

Wirkung <strong>der</strong> Stimme zu erinnern. Es ist heute sehr gut belegt, dass allein<br />

die prosodische und melodische Modifikationsmöglichkeit <strong>der</strong> Stimme<br />

un abhängig von einer semantischen Fracht ein unerhört reiches Signal<br />

mit durchschlagen<strong>der</strong> emotionaler Wirkung ist. Die Oper ist vielleicht<br />

die ex tremste Inszenierung dieser Macht melodischer, dynamischer und<br />

metrischer Stimmmodulation. Ich wollte allerdings etwas ganz an<strong>der</strong>es<br />

fragen.<br />

Weigel Gehst du in die Oper?<br />

Menninghaus Ich gehe in die Oper.<br />

Weigel Aber so kann man darüber doch nicht reden!<br />

Menninghaus Zurück zu Nico Frijda. Ich wollte als Ordnungsfanatiker ein<br />

bisschen Semantik in den Begriff <strong>der</strong> Passion bekommen. Man kann<br />

durch Selbsterfahrung die Passion als beson<strong>der</strong>s intensives Gefühl<br />

beschreiben, aber man kann immer auch fragen, ob eine Passion einen<br />

latenten o<strong>der</strong> offenen Handlungsantrieb hat. Bei <strong>der</strong> erotischen Passion,<br />

würde ich behaupten, gibt es so etwas, man erleidet sie nicht nur, sie<br />

motiviert auch ein Handeln.<br />

Weigel Passion steht in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne für ein exzessives Verfolgen von mit<br />

Begehren besetzten Gefühlen. Sehnsucht nach Gefühlen. Also eigentlich:<br />

das Gefühl des Gefühls.<br />

Menninghaus Aber eben auch Verfolgung – man lässt sich nicht nur darauf<br />

ein, man geht auch aktiv darauf ein.<br />

4 Nico Frijda, The Emotions. Studies in Emotion and Social Interaction, Cambridge:<br />

Cambridge University Press, 1987; The Laws of Emotion, Mahwah, New Jersey:<br />

Lawrence Erlbaum Associates 2007.<br />

5 Michel Poizat, L’opéra ou Le cri de l’ange. Essai sur la jouissance de l’amateur d’opéra,<br />

Paris Paris: Métailié, 1986.<br />

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