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Theater der Zeit - Mobile Academy

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Passion<br />

Menninghaus Aber was Tomasello beschreibt, sind alles Adaptionen, die<br />

weit über diese Zweitausend-Jahr-Grenze hinausgehen. Was er an Adaptionen<br />

beschreibt, die unsere Kulturen wesentlich bedingen, geht vielleicht<br />

sogar einige hun<strong>der</strong>ttausend Jahre zurück. Ich denke schon, dass<br />

man von den sechseinhalb bis sieben Millionen Jahren homini<strong>der</strong><br />

Geschichte nicht nur die letzten zwei Sekunden betrachten sollte.<br />

Weigel Die Frage ist, was man erklären will.<br />

Menninghaus Natürlich. Wenn man nur kulturelle Varianz erklären will,<br />

genügt es, wenn man einen <strong>Zeit</strong>punkt A mit einem <strong>Zeit</strong>punkt B vergleicht,<br />

aber da hat man keine Baseline. Man kann nicht erkennen, ob<br />

sich vielleicht beide aus einem Bezug zu einer gemeinsamen Vergangenheit<br />

erklären.<br />

Weigel Die Frage nach <strong>der</strong> Genese und <strong>der</strong> Möglichkeitsbedingung für<br />

Gefühle mag man zu einem bestimmten Anteil evolutionär beantworten<br />

können. Aber bei <strong>der</strong> Fragestellung vorhin ging es um die Unterschiede<br />

bestimmter Konnotationen, darum, ob wir über Passion o<strong>der</strong> compassio,<br />

über Pathos, Gefühle o<strong>der</strong> Affekte sprechen. Das eröffnet jeweils an<strong>der</strong>e<br />

Dimensionen von Emotionalität. Mit verschiedenen Begriffen verbinden<br />

sich auch unterschiedliche Register.<br />

Menninghaus Diese Register gehören zu den vielen emotionsrelevanten<br />

Aspekten <strong>der</strong> Sprachgeschichte. Wir reden letztlich primär über Nuancen<br />

von Worten, darüber, wie wir heute das Wort »Passion« wahrnehmen,<br />

was es einmal in früheren <strong>Zeit</strong>en und an<strong>der</strong>en Kulturen bedeutet<br />

hat usw.<br />

Weigel Mich interessiert nicht nur das Wort, mich interessiert auch die<br />

Geschichte von Bil<strong>der</strong>n und Musik, die für dieses Wort stehen. Das<br />

Wort lässt sich deshalb nicht vergessen, weil über dieses Wort sehr viel<br />

transportiert worden ist. Wie kann Musik, die dich weinen macht,<br />

funktionieren, welche Spuren <strong>der</strong> psycho-physiologischen Verfassung<br />

spricht Musik an? Warum hören viele Menschen, die heute je<strong>der</strong> Konfession<br />

vollkommen fernstehen, so wie auch ich, die MATTHÄUS-PASSI-<br />

ON, und es läuft ihnen ein Schau<strong>der</strong> über den Rücken. Ich meine diese<br />

elementare Berührtheit, die auch ein erotisches Moment besitzt und die<br />

durch Musik ausgelöst werden kann. Das kann man nicht aus <strong>der</strong> Evolutionsgeschichte<br />

erklären, damit kommt man <strong>der</strong> Sache nicht näher.<br />

Menninghaus Nicht <strong>der</strong> Frage, warum es für dich o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Personenkreisen,<br />

gerade die MATTHÄUS-PASSION ist, aber an<strong>der</strong>e Menschen aus<br />

an<strong>der</strong>en Zivilisationen erleben an an<strong>der</strong>er Musik die gleichen Gefühle.<br />

Hörer von klassischer Musik, alter Musik, Rock, Pop usw. wurden<br />

gebeten, aus ihrer Erinnerung Gefühlskorrelate ihrer Erlebnisse von<br />

Musik zu bilden. Diese Erlebnisse gleichen sich sehr, selbst über große<br />

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