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Theater der Zeit - Mobile Academy

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passionierte Leidenschaften geworden sind. Mich interessiert dieser<br />

Übersetzungsvorgang von Leid in Leidenschaft, ein vermutlich sehr<br />

europäischer Vorgang. Ich untersuche die Spur von <strong>der</strong> christlichen Passio<br />

zu dem, was wir heute »passioniert sein« nennen, im Sinne von »leidenschaftlich<br />

an einer Sache hängen«. Das kann ja sehr verschieden ausgeprägt<br />

sein. Ich bin eine passionierte Operngängerin, aber es gibt auch<br />

begeisterte Sammler.<br />

Menninghaus Etwas an <strong>der</strong> »Passion« spielt in einem sehr hohen Register.<br />

»Pathos« im Sinne <strong>der</strong> griechischen Tradition haben eigentlich nur Menschen<br />

von Stand. Aristophanes hält das in seiner tragödientheoretischen<br />

Komödie DIE FRÖSCHE sehr scharf fest. Er lässt Aischylos sich darüber<br />

lustig machen, dass bei Euripides sogar ein einfacher Hausvater scheinbar<br />

»Leidenschaften« habe. Auch im Sinne <strong>der</strong> Homerischen ILIAS ist<br />

die Kategorie des Pathos an hohen Stand, große Affekte und letztlich an<br />

das Pathos des Kriegs auf Leben und Tod gebunden.<br />

Weigel Ja, »Passion« ist eine Übersetzung von »pathos«. Griechisch<br />

»pathos«, im Lateinischen »Passion«, in <strong>der</strong> Übersetzung in die neueren<br />

europäischen Sprachen gibt es dann diese Ausdifferenzierungen:<br />

Gemütsbewegung, Gefühl, Emotion usw.<br />

Menninghaus Ich möchte wissen, was die Passion von einer starken Variante<br />

des Gefühls unterscheidet. Wo siehst du in <strong>der</strong> Bedeutung die<br />

Abgrenzung zum einfachen Gefühlsbegriff?<br />

Weigel In <strong>der</strong> kulturellen Semantik entsteht <strong>der</strong> Gefühlsbegriff gleichzeitig<br />

mit einer Verbürgerlichung von Gefühlen. Insofern stimmt es, was<br />

du sagst – dass Pathos und Passion auch immer etwas mit hohen Gefühlen<br />

zu tun haben.<br />

Menninghaus Wenn wir Passionen haben, sind wir damit tendenziell aristokratisch?<br />

Weigel Aber die Passion hat auch immer etwas mit dem Exzess zu tun,<br />

das Pathos ist exzessiv. Die Pathosregeln <strong>der</strong> Antike sind Regeln, die<br />

sich auf die Exzesse <strong>der</strong> Gefühle beziehen. Und Passion hat etwas mit<br />

dem Berührtwerden zu tun, also mit etwas, das durchaus auch von<br />

außen kommt. Das kann man in <strong>der</strong> christlichen Geschichte <strong>der</strong> Passion<br />

sehr genau beschreiben: Es gibt die Idee eines compunctio, eines »göttlichen<br />

Einstichs«, <strong>der</strong> das Weinen initiiert, im Rahmen einer ausgeprägten<br />

Tränenkultur, bei <strong>der</strong> das Tränenopfer als Form einer »Nachfolge Christi«<br />

an die Stelle <strong>der</strong> Märtyrer getreten sind. Das ist die Vorgeschichte<br />

unserer europäischen Vorstellung davon, berührt zu werden. Insofern<br />

sind es nicht nur große Gefühle, son<strong>der</strong>n auch heilige Gefühle, die mit<br />

diesem Wort Passion beschrieben werden, bis heute.<br />

Menninghaus Aber ist es nicht so, dass heutige <strong>Zeit</strong>genossen sich schon an<br />

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