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– Leseprobe –<br />

Dass zum Zwecke<br />

Wasser fließe<br />

Geschichte der 100-jährigen Wasserver- und Abwasserentsorgung<br />

zwischen Strausberg und Erkner<br />

Aus Anlass des 20-jährigen Bestehens des Wasserverbandes Strausberg-Erkner


Kapitel 1<br />

BLITZ LICHT<br />

Profiteur der Stadtflucht<br />

Der Kreis Niederbarnim<br />

existierte mehr als 130 Jahre<br />

von 1818 bis 1952. Er umfasste<br />

beinahe das ganze Umland<br />

Berlins nördlich der Spree.<br />

Bis zur Gründung von<br />

Groß-Berlin am 1. Oktober 1920<br />

gehörten zahlreiche heutige<br />

Stadtteile Berlins zu dieser<br />

Verwaltungseinheit. Sein<br />

Pendant auf der südlichen<br />

Spreeseite war der Kreis Teltow.<br />

Beide profitierten in extremem<br />

Maße von der Suburbanisierung<br />

(Stadtflucht) der in enge Grenzen<br />

eingezwängten Hauptstadt.<br />

Die Gemeinden im Umland<br />

wuchsen in wenigen Jahren von<br />

Dörfern zu Vorstädten mit<br />

fünfstelliger Einwohnerzahl heran.<br />

Die Einwohnerentwicklung<br />

im Kreis Niederbarnim belegt<br />

dies. Lebten im Jahr 1890 exakt<br />

188.297 Menschen hier,<br />

waren es zehn Jahre später<br />

schon 293.025 und gar 445.265<br />

im Jahr 1910. Fünf Jahre nach<br />

der Gründung Groß-Berlins<br />

hatte Niederbarnim noch<br />

138.783 Einwohner.<br />

Der Bau des Kreiswasserwerkes<br />

Niederbarnim mit all seinen<br />

Nebenanlagen (wie dem Hochbehälter<br />

auf den Kranichbergen<br />

in Woltersdorf) markierte die<br />

Geburtsstunde der zentralen<br />

Wasserversorgung in der<br />

Region. Exakte und geradezu<br />

liebevoll gezeichnete Pläne<br />

bildeten dabei die ingenieurtechnische<br />

Grundlage.<br />

„Walle! Walle manche Strecke,<br />

dass zum Zwecke Wasser fl ieße<br />

und mit reichem, vollem Schwalle zu dem Bade sich ergieße.“<br />

Aus „Der Zauberlehrling“ von JOHANN WOLFGANG VON GOETHE (1749–1832), deutscher Dichter<br />

Wie fließendes Wasser<br />

in die Häuser kommt<br />

Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges<br />

Großstädte wie Paris (1802), London (1808) oder auch Wien (1813) hatten bereits zu Beginn des<br />

19. Jahrhunderts auf Nummer sicher gesetzt – auf eine zentrale Wasserversorgung ihrer Bevölkerung.<br />

In Berlin musste noch einmal ein halbes Jahrhundert vergehen, bis schließlich ab dem 1. Juli 1856<br />

Trinkwasser über ein zentrales Werk am Stralauer Tor in die Leitungen der Häuser floss. Die Diskussion<br />

um den Wasserwerksbau hatte im Vorfeld so manche „Blüte“ hervorgebracht. So schlug beispielsweise<br />

Ökonomierat Albrecht Philipp Thaer im Jahre 1846 vor, das Wasser aus dem in der Nähe von<br />

Hennickendorf gelegenen Stienitzsee zu nutzen. Von dort aus sollte ein Aquädukt bis ins Berliner<br />

Zentrum gebaut werden. Doch weder die Wassermenge noch die Druckverhältnisse hätten den Bedarf<br />

Berlins decken können. Das Projekt wurde verworfen – nicht zuletzt wegen unüberschaubarer<br />

Kosten. Diese Geschichte ist zumindest ein Beleg dafür, dass die Qualität der Gewässer<br />

ein hohes Ansehen genoss. In der Region östlich von Berlin versorgte man sich Mitte des<br />

19. Jahrhunderts noch immer über Brunnen mit dem kostbaren Nass. An dieser Situation<br />

hatte sich auch Jahrzehnte später nicht viel geändert. Dennoch spürte man den Berliner<br />

Fortschritt auch zwischen Strausberg und Erkner deutlich – allerdings sehr zum<br />

Leidwesen des Landrats im Kreis Niederbarnim.<br />

Zwischen 1904 und 1912 wendeten sich die jeweils amtierenden Landräte<br />

regelmäßig schriftlich mit Mahnungen an die Vorsteher der Gemeinden im Kreis.<br />

Darin hieß es unter anderem: „Für verschiedene Gemeinden sind dadurch große<br />

Schädigungen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse entstanden, dass sie fremden<br />

Gemeinden, insbesondere der Stadt Berlin, ohne jedes Aequivalent und ohne<br />

Zeitbeschränkung das Recht eingeräumt haben, Wasserleitungs-, Kanalisations-,<br />

Gas-Röhren oder ähnliche Leitungen in ihren Strassen zu verlegen. Hierdurch haben<br />

sie sich der freien Verfügung über ihr Strassennetz zu Gunsten anderer Gemeinden<br />

begeben und das Gemeindeeigentum ohne gesetzlichen Grund belastet.“ Der Kreis<br />

Niederbarnim verwies dringend darauf, dass seine Erlaubnis zu derlei Verträgen<br />

unabdingbar sei. Im Jahr 1912 erreichte diese Misslichkeit dann eine neue Stufe.<br />

Einige Orte hatten Versorgungsverträge mit „fremden Werken“ geschlossen, ohne<br />

den Landrat vorher zu informieren. Der zeigte sich vor allem wegen der langen<br />

Bindungsdauer aufgebracht und riet davon ab, „Verträge auf länger als etwa<br />

40 Jahre abzuschließen.“<br />

Ein holpriger Start. Jedenfalls war die Zeit ab 1900 gerade für die<br />

Daseinsvorsorge von entscheidender Bedeutung. Das fließende Wasser<br />

kam in die Häuser und machte das Leben (ein wenig) einfacher.<br />

Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges | KAPITEL 1<br />

Neuenhagen: Anschluss gesucht – und gefunden<br />

Was die zentrale Trinkwasserver- und Abwasserentsorgung<br />

anging, wurde beispielsweise die<br />

Gemeinde Neuenhagen ab 1911 massiv umworben.<br />

Die Verkehrsanbindung an Berlin ab dem Jahr 1867<br />

und der sich parallel entwickelnde Pferdesport ließ<br />

die Einwohnerzahl schnell ansteigen. Lebten im Jahre<br />

1885 noch 748 Menschen in Neuenhagen, erhöhte<br />

sich die Zahl innerhalb von 20 Jahren um beinahe<br />

das Dreifache auf exakt 2.209. Eine lohnende<br />

Investition für die Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke<br />

der Stadt Lichtenberg (heute ein Berliner Bezirk),<br />

die die komplette Wasser- und Gasversorgung<br />

der Gemeinde sowie der Villenkolonie Hoppegarten<br />

übernehmen wollten. Sie stellten einen dreijährigen<br />

Vertrag mit Lichtenberger Versorgungspreisen sowie<br />

die Übernahme der Kosten für die Rohrverlegung in<br />

Aussicht. Ein entsprechendes Schreiben schließt mit<br />

den Worten: „... wir empfehlen, sich diese Gelegenheit<br />

nicht entgehen zu lassen.“<br />

Die Offerte beeindruckte die Neuenhagener allerdings<br />

wenig. Ein jahrelanges Kopf-an-Kopf-Rennen<br />

um die Trinkwasserversorgung entspann sich dort<br />

zwischen zwei anderen Parteien. Zum einen bot ein<br />

Darmstädter Ingenieur namens Heyd – der später übrigens<br />

auch für die Projektierung der zentralen Kanalisation<br />

in Altlandsberg zuständig war – die Möglich-<br />

keit an, für die Gemeinde den Aufbau eines eigenen<br />

Wasser- und Abwassersystems inklusive örtlichem<br />

Wasserwerk zu planen und auszuführen. Zum anderen<br />

wollte der Kreis Niederbarnim ein eigenes Wasserwerk<br />

errichten, das auch Neuenhagen mitversorgen<br />

sollte.<br />

In einem Schreiben vom 22. Mai 1911 an den Gemeindevorstand<br />

stellte sich Ingenieur Heyd erstmals<br />

vor und nannte eine Summe von 3.500 Mark allein<br />

für die Projektierung des Vorhabens. Er wies darauf<br />

hin, dass er bereits viele Gemeinden beim Entwerfen<br />

und Realisieren von Kanalisations- und Wasserleitungsprojekten<br />

beraten hatte und auf Empfehlungen<br />

verweisen könne, unter anderem von der königlichen<br />

Regierung. Nach einem Besuch in Neuenhagen<br />

reichte er am 1. Juli desselben Jahres ein offizielles<br />

Angebot ein. Es enthielt Pläne, Berechnungen,<br />

Erläuterungen und Einzelzeichnungen zum Bau von<br />

Wasserleitungen, Wasserwerk und Kanalisation, Entwürfe<br />

für eine Gebührenordnung, eine Polizeiverordnung<br />

und ein Statut für Hausentwässerungsanlagen.<br />

Für die veranschlagten 3.500 Mark wollte er obendrein<br />

die Genehmigung des Projekts durch die Regierung<br />

erwirken. Anderthalb Monate später verkündete<br />

der Vorsteher von Neuenhagen, dass die Gemeinde<br />

ein Projekt für Wasserleitung und Kanalisation an-<br />

14 15<br />

Eine rund 50 Jahre alte<br />

Postkarte zeigt die schönsten<br />

Seiten Neuenhagens – der<br />

Wasserturm (oben rechts)<br />

gehört auch dazu.<br />

ZEIT ZEUGE<br />

Pionier für moderne Zeiten<br />

Felix Busch (1871–1938)<br />

war ein preußischer Beamter.<br />

Er besuchte von 1885 bis 1890<br />

die Königliche Landesschule im<br />

sachsen-anhaltinischen Pforta,<br />

die er mit dem Abitur abschloss.<br />

Danach folgte das Studium der<br />

Rechtswissenschaften. Im Jahr<br />

1893 legte Busch in Heidelberg<br />

sein juristisches Doktorexamen<br />

ab. Am 7. Dezember 1911 wurde<br />

er als Geheimer Oberregierungsrat<br />

zum Landrat von Niederbarnim<br />

berufen. In dieser Funktion<br />

bekämpfte er vehement das<br />

Groß-Berlin-Gesetz und förderte<br />

auf der anderen Seite die<br />

Verbesserung der Gas-, Wasser-<br />

und Energieversorgung.<br />

Eine wahre Pionierleistung für<br />

diese Region zur damaligen Zeit.<br />

Infolge seiner monarchistischen<br />

Einstellung wurde er am<br />

16. April 1920 wegen Illoyalität<br />

in den einstweiligen Ruhestand<br />

versetzt. Busch erkrankte<br />

an einer Gehirnsklerose und<br />

nahm sich am 16. August 1938<br />

durch einen Sprung aus einem<br />

fahrenden Zug das Leben.<br />

Felix Busch


BAU WERK<br />

Das Herz des Wassers<br />

pulsierte in Erkner<br />

Ein historisches Zeitungsbild<br />

des Kreiswasserwerkes<br />

in Erkner. Nach jahrelanger<br />

Planung ging es im Sommer<br />

des Jahres 1914 in Betrieb.<br />

Auch heute noch ist es<br />

das größte Werk des <strong>WSE</strong>.<br />

Im Maschinenhaus:<br />

Die beiden Kolbenpumpen<br />

für die Förderung des Wassers<br />

wurden über Treibriemen<br />

und langsam laufende<br />

Elektromotoren betrieben.<br />

Bei strengem Frost brach<br />

in früherer Zeit immer wieder<br />

die Versorgung zusammen.<br />

Beliefert wurden die Menschen<br />

(wie hier in Erkner) dann aus<br />

dem mobilen Wasserwagen.<br />

KAPITEL 1 | Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges<br />

gehen will. Er lud die Bevölkerung zu einem Vortrag<br />

des Darmstädter Projektanten ins „Wolter’sche<br />

Lokale“ am Bahnhof ein. Nur zwei Tage darauf, am<br />

28. August, beschloss die Gemeindevertretung während<br />

einer Sitzung das Bauprojekt „für Kanalisation<br />

und Wasserleitung“ nach längerer Diskussion mit<br />

acht Befürwortern, einer Gegenstimme und sechs<br />

Enthaltungen. Eine Kommission, bestehend aus Gemeindeverordneten,<br />

wurde gebildet, um die Arbeiten<br />

zu begleiten. Der umtriebige Ingenieur Heyd begann<br />

noch im Herbst mit den ersten Vorbereitungen.<br />

Während die Neuenhagener also bereits dabei<br />

waren, ihr Glück selbst in die Hand zu nehmen, keimten<br />

bei den Verantwortlichen des Kreises erst noch<br />

eigene Vorstellungen für eine moderne Trinkwasserversorgung.<br />

Sie nahmen dann im Frühjahr 1912<br />

aber rasch Gestalt an. Am 30. März des Jahres erhielt<br />

die Gemeinde Neuenhagen Post von Landrat Felix<br />

Busch. Der bat den Gemeindevorstand zu einer Besprechung,<br />

die die Versorgung des östlichen Teils des<br />

Kreises „mit gutem Wasser“ zum Inhalt hatte. Wenig<br />

später forderte das Kreisbauamt Lagepläne der Gemeinde<br />

bei selbiger an.<br />

Die Neuenhagener wägten ihre Möglichkeiten<br />

allerdings noch einmal ab. Ingenieur Heyd erhielt<br />

vom Gemeindevorstand eine Anfrage, welcher Versorgungsmöglichkeit<br />

denn sinnvollerweise der Vorzug<br />

zu geben sei: einer Gruppen- oder Einzelwasserversorgung?<br />

Heyd antwortete (kaum verwunderlich),<br />

dass es klüger sei, autark von Dritten eine eigene<br />

Trinkwasseranlage vorzuhalten. Der Darmstädter sah<br />

wohl schon seine Felle hinsichtlich der Bauausführung<br />

davonschwimmen und wies explizit darauf hin,<br />

dass billiges Wasser für alle Neuenhagener mit einer<br />

Gruppenversorgung nicht möglich wäre, da die<br />

Gemeinde als Zwischenhändler für die Abnahmemengen<br />

an den Kreis zahlen müsste. Damit das Wasser<br />

bezahlbar würde, sei Neuenhagen gezwungen, das<br />

begehrte Nass in diesem Fall zum Selbstkostenpreis<br />

an seine Bürger zu liefern.<br />

NEUENHAGENER SOLLEN<br />

DURCH DATENSCHWALL INS PARADIES<br />

Die Neuenhagener zeigten sich von Heyds Argumentation<br />

zunächst überzeugt und trieben ihr eigenes<br />

Projekt voran. Allerdings gab der Kreis Niederbarnim<br />

Formulare an die Bürger aus, die über<br />

die Errichtung eines gemeinsamen Wasserwerkes<br />

informierten. Für eine Wirtschaftlichkeitsberechnung<br />

wurden den Einwohnern auf Vordrucken persönliche<br />

Daten abverlangt. Wie viele Personen bewohnen<br />

das Haus und wie viele Monate im Jahr?<br />

Sollen auch im Stall Wasserleitungen gelegt wer-<br />

den und wenn ja, für wie viel Stück welchen Viehs?<br />

Wie viele Toiletten mit Spülung und Bademöglichkeiten<br />

sind für das Haus gewünscht? Wieviel Gartenfläche<br />

muss aus der Wasserleitung gesprengt<br />

werden? Wie viel Wasser wird täglich gewerblich<br />

oder industriell genutzt? All diese Fragen hatten<br />

die Neuenhagener zu beantworten. Datenschützer<br />

würden sich heutzutage die Haare raufen! Bedenkt<br />

man ihre bisherige mühsame Wasserversorgung<br />

über Brunnen sowie die rustikale Abwasserentsorgung<br />

über Gruben und Rinnsteine möchte man<br />

meinen, sie müssten sich gefühlt haben, als öffnete<br />

sich ihnen ein Tor zum „Paradies“.<br />

ZWEI VARIANTEN – ABER AUCH<br />

ZWEI SEHR UNTERSCHIEDLICHE PREISE<br />

Im Januar 1913 ließ der Kreis die Gemeinde Neuenhagen<br />

wissen, dass sich die Mehrzahl der Kommunen<br />

im Osten des Kreises Niederbarnim für die Beteiligung<br />

an einer zentralen Wasserversorgung ausgesprochen<br />

hätte. Im Sommer und Herbst begannen<br />

Vorprojektierungen, die Grundwasservorkommen<br />

wurden an verschiedenen Stellen mit Bohr- und<br />

Pumpversuchen getestet. Das Ergebnis: Im hiesigen<br />

Boden befand sich Wasser in ausreichender Menge<br />

und guter Qualität. Vorschläge zur praktischen Umsetzung<br />

des Ver- und Entsorgungsprojektes wurden<br />

umgehend vom Kreis unterbreitet. Dieser erklärte<br />

sich bereit, auf seine Kosten Wassergewinnungsanlage,<br />

Hauptrohrleitungen und Hochbehälter zu bauen<br />

und zu betreiben.<br />

Zur Versorgung der Städte und Gemeinden wurden<br />

zwei Möglichkeiten skizziert. Erstens: Die Kommunalverbände<br />

beziehen das Wasser vom Kreis als<br />

Großkonsumenten zum Preis von 15 Pfennig pro<br />

Kubikmeter und verteilen es auf eigene Rechnung<br />

und Gefahr an ihre Einwohner. Den Bau des örtlichen<br />

Versorgungssystems müsste jede Gemeinde<br />

selbst tragen. Ausgegangen wurde von einem Konsum<br />

von 40 Litern pro Tag und Einwohner. Außerdem<br />

müssten die Gemeinden ihren Einwohnern auf<br />

den Tarif von 15 Pfennig zirka 8 Pfennig aufschlagen,<br />

um Zinsen, Tilgung und Verwaltungskosten zu<br />

decken. Zweitens: Gemeinden, die sich nicht am Bau<br />

und an der Verteilung des Wassers beteiligen wollen,<br />

können dem Kreis Niederbarnim die Belieferung bis<br />

in die Haushalte überlassen. Dann würde der reguläre<br />

Tarif aber 30 Pfennig pro Kubikmeter kosten –<br />

laut Kreis ein in Berliner Vororten üblicher Preis. Außerdem<br />

wurde den Gemeinden angeboten, das Verteilnetz<br />

zu einem späteren Zeitpunkt zum Buchwert<br />

übernehmen zu können. Während sich der Kreisausschuss<br />

daran machte, Verträge zu entwerfen und für<br />

Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges | KAPITEL 1<br />

sein Projekt eine Genehmigung<br />

beim Kreistag einzuholen,<br />

stand der Darmstädter<br />

Ingenieur Heyd Ende November<br />

1911 in Neuenhagen<br />

vor ersten großen Problemen.<br />

Er kritisierte den<br />

Bebauungsplan für die Kanalisation,<br />

der wegen einer<br />

ungeschickten Straßenführung<br />

nun unvorhergesehene<br />

hohe Folgekosten nach<br />

sich ziehe. Um das Abwasser<br />

überhaupt noch ableiten<br />

zu können, müsse man<br />

Kanalgräben in einer TieTiefe von 9,50 Metern (!) anlegen,<br />

was aufwendiger<br />

und teurer sei. Auch die<br />

Kläranlage sei nach neusten<br />

Erkenntnissen auf<br />

dem Gebiet der Gemarkung<br />

Dahlwitz am dortigen<br />

Fließ besser aufgehoben.<br />

Heyd bat die<br />

Gemeinde zu prüfen,<br />

ob vor Ort ein Grundstück<br />

angekauft werden<br />

könne. Der Union-<br />

Klub als Eigentümer verweigerte<br />

dies jedoch.<br />

Anfang des Jahres<br />

1913 wurden unter<br />

Heyds Leitung eine<br />

Pumpstation sowie die<br />

Baupläne der Wasserversorgung<br />

und Kanalisation<br />

fertiggestellt. Er<br />

entschuldigte sich für<br />

die Verzögerungen, die<br />

wegen des unsachgemäßen Bebauungsplans aufgetreten<br />

seien, und betonte, dass er durch den Mehraufwand<br />

eine beträchtliche finanzielle Schädigung<br />

erlitten habe.<br />

Gleichzeitig erhöhte der Kreis seinen Druck auf<br />

die Neuenhagener. Landrat Felix Busch beklagte in<br />

einem Schreiben vom 1. März 1913, dass Neuenhagen<br />

die einzige Gemeinde im Kreis Niederbarnim<br />

sei, die sich nicht an das Kreiswasserwerk anschließen<br />

wolle – abgesehen von Vogelsdorf, das<br />

wegen seiner Abgelegenheit und der zu geringen<br />

Einwohnerzahl ohnehin nicht für einen Anschluss<br />

infrage komme. Er wies auch darauf hin, dass Ge-<br />

Die Gemeindevertretung Neuenhagens ging akribisch<br />

auf jeden Antrag zur Wasserversorgung ein.<br />

meinden, die ans zentrale Wasserversorgungsnetz<br />

angeschlossen seien, große Vorteile beim Ansiedeln<br />

von Unternehmen und im Tourismus hätten. Anbei<br />

fanden die Neuenhagener einen Wasserlieferungsvertrag<br />

mit der dringenden Aufforderung zu unterschreiben.<br />

Zudem ersuchte der Kreis um die Erlaubnis,<br />

Rohre für das Kreiswasserwerk in der Gemeinde<br />

verlegen zu dürfen.<br />

Derweil wurde der Darmstädter Ingenieur im<br />

Ton immer ungehaltener. Das „Kanalisationspro-<br />

16 17<br />

ZEIT ZEUGE<br />

Technik im Wandel der Zeit<br />

Zeitzeuge Eberhard Hendschke,<br />

Wasserwerker in Erkner ab 1939,<br />

erinnerte sich in einem Brief<br />

vom 21. Juni 1994: „In den Jahren<br />

bis 1914 wurde das Kreiswasserwerk<br />

Erkner mit Bauten und technischer<br />

Ausrüstung gebaut und<br />

am 14. August 1914 in Betrieb<br />

genommen. Im Maschinenhaus<br />

wurden zwei Kolbenpumpen für<br />

Roh- und Reinwasser zweiseitig<br />

mittels Treibriemen und langsam<br />

laufenden Elektromotoren in Betrieb<br />

gesetzt. Eine Vakuumpumpe,<br />

die von vier Tiefbrunnen durch<br />

zwei Heberleitungen mit einem<br />

Sammelbrunnen verbunden waren.<br />

Für das Rohwasser gab es ein<br />

Gebäude mit Vordüsungsanlage,<br />

darunter lag die Filteranlage. Eine<br />

Reinwasserkammer (300 m3 ) und<br />

ein Hochbehälter (300 m3 ) wurden<br />

in Woltersdorf auf dem Kranichberg<br />

errichtet. Im Jahr 1932 wurden<br />

das Maschinenhaus erweitert<br />

und drei Kreiselpumpen installiert.<br />

Eine 3.000 m3 fassende Reinwasserkammer<br />

wurde errichtet.<br />

1955 wurden die zwei Kolbenpumpen<br />

ausgebaut und durch<br />

Kreiselpumpen ersetzt.<br />

Anfang 1963 wurden eine Trafostation<br />

für drei Trafos gebaut und<br />

die Schaltstation im Maschinenraum<br />

errichtet, da sich die alte<br />

außerhalb am Maschinenhaus<br />

befand. Im Jahr 1970 wurden<br />

acht Filterkessel aufgestellt.<br />

1974 wurde eine Reinwasserkammer<br />

für 5.000 m3 errichtet …“<br />

(Bei der Inbetriebnahme des Werkes<br />

hat Hendschke sicherlich Recht.<br />

Aus offiziellen Unterlagen geht zwar<br />

hervor, dass die feierliche Eröffnung<br />

am 26. Juni 1914 stattfand. In Betrieb<br />

ging das Werk dann aber in der Tat<br />

erst zwei Monate später.)


WISSENS WERT<br />

Des Trinkwassers<br />

Lebensgeister<br />

(Ur- und Frühgeschichte)<br />

Bereits vor mehr als<br />

4.500 Jahren verfügte man<br />

in Mesopotamien über ein<br />

erstaunliches wasserwirtschaftliches<br />

Know-how und<br />

Management für Brunnen.<br />

Ein Machtzentrum in dieser Zeit<br />

bildete das am Euphratufer<br />

gelegene Habuba Kabira mit bis<br />

zu 8.000 Einwohnern.<br />

Hier fanden Archäologen<br />

Rohrleitungen zur Wasserversorgung<br />

sowie ein einzigartiges<br />

Abwassersystem aus offenen<br />

Rinnen und Muffenröhren.<br />

Die Wasseranlagen bildeten<br />

wichtige Nervenstränge<br />

des Staatswesens im Zweistromland.<br />

In der politischen<br />

Hierarchie Mesopotamiens<br />

standen Wasserbauingenieure<br />

übrigens sehr weit oben.<br />

Im Codex des babylonischen<br />

Königs Hammurapi<br />

(zirka 1792–1750 v. Chr.)<br />

ging es auch um die Regeln<br />

für die Unterhaltung und den<br />

Gebrauch der Wasseranlagen.<br />

KAPITEL 1 | Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges<br />

jekt musste ein fünftes Mal umgearbeitet werden,<br />

aufgrund der unglaublichen Straßengestaltung ...,<br />

um eine einigermaßen brauchbare Lösung erzielen<br />

zu können“, schrieb er in einem Brief an<br />

den Gemeindevorsteher vom 2. Mai 1913. Mitte<br />

Juni übermittelte er den kompletten Entwurf für<br />

die Kanalisation und ein Statut für die Wasserversorgungsanlage.<br />

In letzterem wurde der Wasserpreis<br />

bei einem vierteljährlichen Verbrauch bis<br />

200 m 3 pro Wasserzähler auf 25 Pfennig je Kubikmeter<br />

beziffert, wer mehr als 500 m 3 verbrauchte,<br />

sollte nur noch 15 Pfennig pro Kubikmeter<br />

zahlen. Heyd reichte auch eine Polizeiverordnung<br />

für die Kanalisation ein. Darin hieß es zum Beispiel:<br />

„Pissbecken sind aus Steinzeug, ähnlichem Material,<br />

oder emailliertem Gusseisen mit Spülrand und<br />

Sicherheitsüberlauf herzustellen.“<br />

NEUENHAGENER<br />

REISSEN DAS RUDER RUM<br />

Im August der Eklat: Über die vereinbarten 3.500<br />

Mark hinaus forderte Heyd Auslagen ein, die ihm<br />

wegen des „unvorhergesehen großen Umfangs der<br />

Projektierung und der besonderen Schwierigkeiten“<br />

entstanden seien. 845,18 Mark sollte die Gemeinde<br />

zusätzlich zahlen. Diese bot stattdessen an,<br />

die noch ausstehende Restzahlung des ursprünglichen<br />

Betrages vorab zu übermitteln und sieht damit<br />

alle legitimen Forderungen beglichen. Heyd<br />

lehnte das ab. Nach dem Erbringen einer erheblichen<br />

Eigenleistung, sei er nun nicht mehr in der<br />

Lage, weitere Einbußen zu übernehmen. Die Gemeinde<br />

trage selbst Schuld an den höheren Kosten,<br />

da sie wirtschaftlich und technisch unsinnige<br />

Forderungen gestellt habe. Und der Darmstädter<br />

legt noch einen drauf: „Ich wäre deshalb sehr wohl<br />

berechtigt, eine Nachforderung zu stellen, die mindestens<br />

ebenso gross ist als das vereinbarte Honorar.“<br />

Außerdem hätte er erwartet, dass die Gemeinde<br />

ihm die Bauleitung überträgt, um wieder einiges<br />

an Verlusten wettzumachen. Da dies jedoch nicht<br />

geschah, erhoffe er sich ein zusätzliches Honorar<br />

von 1.500 Mark als Entschädigung.<br />

Die Neuenhagener waren pikiert. Neben der Aussicht,<br />

mehr und mehr zu zahlen, erschien ein Anschluss<br />

ans Kreiswasserwerk plötzlich doch nicht<br />

mehr so unattraktiv. Die Gemeinde berief am<br />

13. September 1913 eine Einwohnerversammlung<br />

ein, bei der mehrere Bürger ihre Meinungen zum<br />

Bau eines eigenen Wasserwerkes und zum Anschluss<br />

an das Kreiswasserwerk diskutierten.<br />

Es wurden unbequeme Fragen gestellt, etwa<br />

warum die Mitglieder der Gemeindevertretung,<br />

insbesondere Gemeindevorsteher Schmäcke, plötzlich<br />

so für das Kreiswasserwerk eingenommen seien.<br />

Schmäcke begründete das mit den enormen<br />

Kosten, die ein Wasserwerk in eigener Regie nach<br />

den Plänen von Ingenieur Heyd mit sich brächten.<br />

Man sei zu der Einsicht gelangt, dass sich das für<br />

die Gemeinde kaum auszahlen würde. Ein Gemeindeverordneter<br />

fügte hinzu, dass beim Bau eines eigenen<br />

Wasserwerkes laut Heyds Plänen nicht alle<br />

Straßenzüge in Neuenhagen eine zentrale Wasserversorgung<br />

erhalten würden, bei Versorgung durch<br />

das Kreiswerk voraussichtlich schon.<br />

Die Gemeinde Neuenhagen korrigierte den<br />

Vertragsentwurf des Kreises noch einmal und erweiterte<br />

ihn pfiffigerweise unter anderem um die<br />

Klausel, dass die 3.500 Mark für die Heydsche Projektierung<br />

sofort bei Vertragsabschluss vom Kreis<br />

an die Gemeinde erstattet werden. Eine Erhöhung<br />

des in den Wasserlieferungsbedingungen festgesetzten<br />

Mindestverbrauchs und des Wasserpreises<br />

darf außerdem nicht stattfinden. Ende Oktober<br />

1913 billigte der Landrat des Kreises Niederbarnim<br />

einige der Korrekturen und relativierte die Mehrzahl.<br />

Bei den Projektierungskosten für Heyd stimmte<br />

er der Übernahme zu, sagte jedoch, man müsse<br />

noch einmal über die Höhe verhandeln. Schließlich<br />

willigte der Kreis ein, 2.334 Mark zu zahlen, und<br />

gab an, eine Erhöhung des Mindestverbrauchs und<br />

des Wasserpreises sei nicht „beabsichtigt“.<br />

Am 10. November 1913 beschloss die Gemeindevertretung<br />

Neuenhagen einstimmig den Anschluss<br />

an das Kreiswasserwerk. Anfang Dezember<br />

wurde auf dem Landratsamt der Wasserlieferungsvertrag<br />

mit dem Kreis unterschrieben. Dieser sicherte<br />

dem Kreis für eine Dauer von 40 Jahren das<br />

Versorgungsmonopol zu. Im Gegenzug verpflichtete<br />

er sich, sämtliche Versorgungsinfrastrukturen –<br />

abgesehen von den Zuleitungen zu den einzelnen<br />

Häusern und Grundstücken – auf seine Kosten zu<br />

schaffen. Vorgesehen war, dass die Gemeinde Neuenhagen<br />

das Wasser vom Kreis als Großabnehmerin<br />

Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges | KAPITEL 1<br />

erhält und es an ihre Einwohner auf eigene Rechnung<br />

verteilt. Der Kreis Niederbarnim behielt sich<br />

vor, Großgewerbe mit mehr als 12.000 Kubikmeter<br />

jährlichem Wasserverbrauch unmittelbar zu besonderen<br />

Konditionen zu versorgen. Für jeden Kubikmeter<br />

Wasser sollte die Gemeinde 15 Pfennig an<br />

den Kreis bezahlen.<br />

Im April 1914 hatten sich 371 Neuenhagener<br />

Haushalte für einen Anschluss an das Kreiswasserwerk<br />

am Dämeritzsee in Erkner angemeldet, dessen<br />

Bau sich zu dieser Zeit in den letzten Zügen<br />

befand. Feierlich eröffnet wurde es schließlich am<br />

26. Juni 1914. Gut einen Monat später begann der<br />

erste Weltkrieg. Seine Folgen ließen nicht lange auf<br />

sich warten. Schon im Oktober 1914 appellierte der<br />

Neuenhagener Gemeindevorsteher an das Kreisbauamt,<br />

die im Leitungsplan vorgesehenen Straßen<br />

so schnell wie möglich zu berohren, damit die<br />

dortigen Einwohner ans Wasserwerk angeschlossen<br />

werden könnten. Obwohl das Wasserwerk in Betrieb<br />

sei, wartet der Ortsteil Niederheide noch immer<br />

auf seine Wasserleitungen, ebenso fehlt diese<br />

noch in zwei Straßen des Ortsteils Hoppegarten.<br />

Es gebe vielfache Beschwerden der Grundstückseigentümer.<br />

Deshalb „bitte ich dringend, dass der<br />

Kreis die vertraglich übernommenen Pflichten umgehend<br />

erfüllt. Die Einrede, dass durch den ausgebrochenen<br />

Krieg kein Material herangeschafft werden<br />

kann, kann jetzt, nachdem der Güterverkehr<br />

seit längerer Zeit wieder aufgenommen ist, nicht<br />

mehr gelten. Außerdem war auch vor dem Ausbruch<br />

des Krieges genügend Zeit zur Hinanschaffung<br />

der Röhren und deren Verlegung“, so der Gemeindevorsteher.<br />

TURMBAU SOLL DEN<br />

WASSERDRUCK ERHÖHEN<br />

Über die Aktivitäten zum Wasser und Abwasser in<br />

den Kriegsjahren bis 1918 enthält das Archiv keine<br />

bedeutenden <strong>Dokument</strong>e und Aufzeichnungen.<br />

Erst im Januar 1918 fragte das Kreisbauamt<br />

bei Gemeindevorsteher Schmäcke an, ob er schon<br />

etwas bezüglich des Grundstückes für den Wasserturm<br />

veranlasst habe. Schmäcke antwortete,<br />

dass das zunächst angedachte Grundstück nicht<br />

erworben werden könne, und stellte den Erwerb<br />

einer Parzelle vom Handschuhfabrikanten Fried-<br />

rich Theuerkauf in Aussicht. Der Wasserturm kam<br />

ins Gespräch nachdem der Wasserdruck der 62 Kilometer<br />

langen Druckrohrringleitung, die die Gemeinde<br />

mit dem Kreiswasserwerk verband, nicht<br />

mehr ausreichte. Ursache war die stark gestiegene<br />

Zahl an Abnehmern, die sich aus dem enormen<br />

Einwohnerzuwachs in den Gemeinden am<br />

Ost- und Nordostrand Berlins ergab. Der Wasserturm<br />

sollte die Versorgung der Neuenhagener stabilisieren.<br />

Da die Gemeinde ohnehin ein Rathaus<br />

brauchte, dachte man aus Sparsamkeitsgründen<br />

daran, beides in einem Bau unterzubringen. Dazu<br />

aber in Kapitel 2 mehr …<br />

WIR BITTEN ERGEBENST,<br />

DIE DIEBE ZU MELDEN<br />

Im März 1918 fanden die Verantwortlichen dann<br />

auch wieder die Zeit, sich den alltäglichen Problemen<br />

der Wasserversorgung zu widmen. Die Betriebsverwaltung<br />

der Kreiswasserwerke Niederbarnim schrieb<br />

an die Gemeindeverwaltung Neuenhagen: „Immer<br />

wieder müssen wir feststellen, dass Hydranten unerlaubter<br />

Weise geöffnet werden und Wasser gestohlen<br />

wird. Wir bitten ergebenst Ihre Amtsdiener anzuweisen,<br />

dass sie uns solche Fälle zur Anzeige bringen.<br />

In jedem Falle, wo der Name uns so angegeben wird,<br />

dass wir den Dieb bestrafen lassen können, bezahlen<br />

wir eine Belohnung von 10 Mark.“<br />

Nach Kriegsende meldete sich übrigens auch ein<br />

alter Bekannter bei der Gemeinde. Ingenieur Heyd<br />

fragte an, ob die Neuenhagener nicht auch die derzeit<br />

wegen der hohen Arbeitslosigkeit erheblichen<br />

Regierungszuschüsse für größere Bauprojekte nutzen<br />

wollen, um die von ihm projektierte Abwasserkanalisation<br />

zu realisieren. Die Gemeinde hätte sozusagen<br />

nur die Materialkosten aufzubringen, den<br />

Bau würde quasi die Regierung bezahlen. Als Bauleiter<br />

schlägt er sich selbst vor und ist sicher: „Es ist<br />

ausgeschlossen, dass später je wieder unter so günstigen<br />

Bedingungen gebaut werden kann, und es ist<br />

sehr die Frage, ob nach einem Jahr dem Staat und<br />

den Gemeinden überhaupt noch Mittel zur Verfügung<br />

stehen, Bauarbeiten durchzuführen.“ Neuenhagen<br />

antwortet knapp, dass derzeit kein Interesse<br />

bestehe, die von ihm entworfene Kanalisation zu<br />

verwirklichen. Die Staatszuschüsse benötige man für<br />

dringendere Notstandsarbeiten.<br />

ZEIT ZEUGE<br />

Zahl der Seuchenherde<br />

ging zurück<br />

„Der Gesundheitszustand der<br />

Berliner Bevölkerung hat von den<br />

Einrichtungen der Stadtentwässerung<br />

direkt profitiert. Mit der<br />

steigenden Zahl der Anschlüsse<br />

von Grundstücken an die Kanalisation<br />

ging die Zahl der Seuchenherde<br />

zurück. Die noch vor 1880<br />

vorhandene hohe Typhussterblichkeit<br />

verringerte sich mit der<br />

wachsenden Kanallänge drastisch<br />

und hörte nach Fertigstellung der<br />

Kanalisation auf, eine Rolle in der<br />

Gesundheitsstatistik zu spielen.“<br />

Hilmar Bärthel,<br />

„Geklärt! 125 Jahre<br />

Berliner Stadtentwässerung“<br />

Auch wenn der Putz am altehrwürdigen<br />

Wasserturm schon ein<br />

wenig bröckelt – das Neuenhagener<br />

Wahrzeichen wurde gerade<br />

um einen wunderbar geschwungenen<br />

Rathausneubau erweitert<br />

(siehe Doppelseite 26 / 27).


Strausberger Mief<br />

1891 Große Straße und Wilhelmstraße<br />

erhielten Abflussröhren<br />

für Regen- und Traufwasser.<br />

1899 Endstation Mühlenfließ: Ins<br />

Fließ entsorgten viele Hausbesitzer<br />

der Nordstadt ihre<br />

Abwässer. Wegen übler Gerüche<br />

beantragte Gerbermeister<br />

Marzahn die Verlegung des<br />

Mühlenfließes unter die Erdoberfläche.<br />

Ein Leser schrieb an die<br />

Strausberger Zeitung: „Wer jetzt<br />

abends die Straßen der Stadt<br />

passiert, dessen Geruchsorgane<br />

werden unangenehm berührt.“<br />

1900 Ein Teil der städtischen<br />

Abwässer floss über einen Graben<br />

im Garten der Landarmenund<br />

Korrigentenanstalt in den<br />

Straussee. Dieser Graben wurde<br />

„Stadtkloak“ genannt.<br />

Fäkalien gelangten über das<br />

Mühlenfließ zum Herrensee und<br />

verunreinigten diesen.<br />

1901 Das „Ortsstatut über die<br />

Kanalisation in Strausberg“<br />

wurde von den Stadtverordneten<br />

verabschiedet. Es legte die unterirdische<br />

Regenwasserableitung<br />

in der Altstadt fest.<br />

1902 Die Tagespresse plädierte<br />

dafür, auch das Abwasser unterirdisch<br />

abzuleiten. Mit einem<br />

„Patentsauger“ wurden die<br />

Fäkalien nun aus den Gruben<br />

abgefahren. Für die Abfuhr erließ<br />

die Polizei eine Anordnung,<br />

die den Einsatz nur nachts<br />

bis früh 9 Uhr erlaubte.<br />

30. April 1914 Der Entwurf einer<br />

Kanalisation wurde landespolizeilich<br />

genehmigt. Die<br />

Abwasserkanalisationsleitung<br />

sollte unter dem Gleiskörper der<br />

Bahnstrecke Berlin–Cüstrin<br />

bei Kilometer 28,86 hindurchgeführt<br />

werden. Eine Kläranlage<br />

ging in Strausberg allerdings erst<br />

15 Jahre später in Betrieb.<br />

KAPITEL 1 | Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges<br />

Der lange Weg zum Glück in Strausberg<br />

Wie sah es nun rund 20 Kilometer weiter östlich<br />

von Neuenhagen, in Strausberg, aus? Die<br />

Stadt hatte bereits 1911 ein funkelnagelneues eigenes<br />

Wasserwerk in Betrieb genommen. Was fortschrittlich<br />

klingt, war jedoch das gute Ende eines sich über ein<br />

Jahrzehnt zäh hinziehenden Ringens mit der Skepsis<br />

und Verschuldungsangst der Einwohner. Zur Jahrtausendwende<br />

gab es zwei Versorgungswege in Strausberg.<br />

Hausbesitzer, Gewerbetreibende und Landwirte<br />

unterhielten eigene Brunnen auf ihren Privatgrundstücken,<br />

deren Wasser zum Teil von schlechter Qualität<br />

war. Zusätzlich existierte eine öffentliche Wasserversorgung,<br />

wobei das Lebenselixier von Quellen<br />

durch hölzerne Rohrleitungen zu öffentlichen Brunnen<br />

in der Stadt floss. Das dort zwischengespeicherte<br />

Nass stand als Trink- und Löschwasser für die Bevölkerung<br />

bereit.<br />

Einige Modernisierer hätten dies gern geändert.<br />

In einem Vortrag über „Wasserleitung und Kanalisation“<br />

erläuterte der Berliner Stadtbauinspektor<br />

Max Knauff am 30. Oktober 1901 im Strausberger<br />

„Städtefeld’schen Saal“ die Möglichkeiten einer zentralen<br />

Wasserversorgung vor Ort. So könne man dafür<br />

Seewasser verwenden oder Tiefbrunnen bohren.<br />

Hingerissen waren die einheimischen Zuhörer davon<br />

nicht gerade. Zwar sahen viele von ihnen die<br />

Notwendigkeit eines Wasserwerkes, zumal die Brunnen<br />

in einen immer schlechteren Zustand gerieten<br />

und sowohl die Wilhelm- als auch die Große Straße<br />

mit einer neuen Kanalisation für Regen-, Traufund<br />

Wirtschaftsabwässer ausgestattet wurde, die<br />

über das Straussee-Mühlenfließ in den Herrensee<br />

abflossen. Die Kosten für das Mammutprojekt einer<br />

zentralen Trinkwasserversorgung schreckten die<br />

Strausberger aber ab. Zwar erhielten die städtischen<br />

Behörden den Auftrag, Bohrversuche anzustellen,<br />

die Anschlussbereitschaft der Gebäudebesitzer zu<br />

recherchieren sowie einen Kostenvoranschlag und<br />

einen Tarif für die Wasserversorgung zu errechnen.<br />

Anschließend wurde das Projekt allerdings erst einmal<br />

auf Eis gelegt.<br />

Dringlicher schien doch die Lösung für das Problem<br />

der Abwasser- und Fäkalienentsorgung. Denn<br />

zu den rund 8.000 Einwohnern Strausbergs produzierten<br />

hunderte Nutztiere täglich übel riechende<br />

Exkremente. Schweine, Rinder, Schafe und Pferde<br />

lebten auf den Gehöften ihrer Besitzer. Abhilfe sollte<br />

neuste Technik schaffen. Am 17. April 1902 traf<br />

ein von der Maschinenfabrik Hermann Wegener<br />

aus Britz entwickelter „Patentsauger“ in Strausberg<br />

ein. Dieser Kesselwagen sollte zur Entleerung von<br />

Dung- und Fäkalgruben genutzt werden und fasste<br />

ein Volumen von 1.200 Litern. Sein Inhalt wurde<br />

mit einem Schlauch aus den Gruben der Haushalte<br />

entnommen. Er konnte auf den Ackerflächen<br />

rund um Strausberg zur Düngung abgelassen oder<br />

auch durch Verbrennung mithilfe des von den Fäkalien<br />

produzierten Biogases im Inneren des Kessels<br />

dezimiert werden. Nur zwei Jahre betrieb die Stadt<br />

das fahrende Entsorgungsgerät selbst, dann verkaufte<br />

sie es für 2.100 Mark an den Ackerwirt Witthuhn<br />

aus Hohenstein, der nun die Entleerungsdienstleistung<br />

auf eigene Kappe weiter anbot. Die Abfuhrkosten<br />

diktierte ihm die Stadt. Für die Leerung einer<br />

städtischen Grube am Tage sollte er 2,50 Mark<br />

pro Kubikmeter kassieren, bei Nacht 3 Mark und in<br />

der Vorstadt 5 Mark.<br />

Von solchem Service konnten die Strausberger<br />

dagegen bei der Wasserversorgung nur träumen,<br />

wenngleich sich der Magistrat der Stadt nach der<br />

Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges | KAPITEL 1<br />

BLITZ LICHT WISSENS WERT<br />

Diese Ansicht nach Merian (um 1650) gab die Stadt als Postkarte im Jahre 1957 heraus. Zu sehen sind von links<br />

nach rechts die Ratsmühle, die Ratsziegelei am heutigen Lindenplatz, die St. Nikolauskirche, die St. Marienkirche,<br />

das alte Rathaus, das Wriezener Doppeltor und das Dominikanerkloster.<br />

20 21<br />

Der Konkurs<br />

des Maurermeisters<br />

Maurermeister Liesegang erhielt<br />

am 12. März 1910 den Zuschlag<br />

für den Bau des Strausberger<br />

Wasserturms. Er hatte ein<br />

Angebot über 34.793 Mark<br />

abgegeben und damit mehr als<br />

1.000 Mark weniger als sein<br />

Mitbewerber Baumeister Schürbel<br />

verlangt. Ein halbes Jahr danach<br />

musste Liesegang Konkurs<br />

anmelden, was in Strausberg für<br />

großen Aufruhr sorgte. Denn er<br />

hatte bei der hiesigen Spar- und<br />

Darlehensbank, ohne eine Absicherung<br />

vorweisen zu können,<br />

hohe Kredite aufgenommen.<br />

Die Bank geriet so sehr in<br />

Bedrängnis, dass Strausberger<br />

Bürger um ihr Erspartes fürchteten.<br />

Kassenführer Freithoff,<br />

zugleich Stadtverordnetenvorsteher,<br />

wurde als Bankvorstand<br />

entlassen, da er die Kredite ohne<br />

Rücksprache genehmigt hatte.<br />

Am 2. Oktober 1910 setzte nun<br />

Baumeister Schürbel die Bauarbeiten<br />

am Turm fort. Auch er<br />

löste während der Bauphase<br />

gewissermaßen einen finanziellen<br />

Eklat aus. Weil er den Tariflohn<br />

seiner Arbeiter kurzerhand<br />

um 10 Pfennig kürzte, traten<br />

diese in Streik. Seine Bestimmung<br />

erfüllte der Turm übrigens<br />

bis kurz nach der Wende fast<br />

reibungslos, dann wurde er<br />

zugunsten modernerer<br />

Technik stillgelegt.<br />

Der imposante Wasserturm<br />

auf dem Marienberg<br />

symbolisiert auch heute<br />

noch Kraft und Stärke der<br />

städtischen Versorgung.<br />

Seit Mitte der 90er wird der<br />

35 Meter große Koloss nicht<br />

mehr für den nötigen<br />

Wasserdruck gebraucht.


ZEIT ZEUGE<br />

Ignoriertes „Lumpennest“<br />

Preußenkönig Friedrich der<br />

Große schalt Strausberg auf<br />

einer Durchreise im Jahre 1765<br />

„Lumpennest“. Übrigens<br />

(und kaum zu glauben) blieb<br />

der Name des Städtchens<br />

auf 2.468 Seiten von Theodor<br />

Fontanes „Wanderungen durch<br />

die Mark Brandenburg“<br />

(die fünf Kapitel erschienen<br />

zwischen 1862 und 1889)<br />

gänzlich unerwähnt.<br />

Friedrich II. (Mitte) beobachtet<br />

die Trockenlegung des Oderbruchs.<br />

WISSENS WERT<br />

Wohlhabende Bierbrauer<br />

Die Markgrafen Johann und<br />

Otto III. machten Strausberg zu<br />

einer Stadt, die das lokale<br />

Handels- und Gewerbezentrum<br />

für den südöstlichen Barnim<br />

bildete. Die ersten urkundlich<br />

erwähnten Handwerker waren<br />

die Fleischer (1309). Mitte des<br />

14. Jahrhunderts kamen die<br />

Tuchmacher und Schuhmacher<br />

hinzu. Sie zählten zu den ältesten<br />

Gewerben der Stadt.<br />

Zu ihnen gesellten sich neben<br />

Bäckern noch Böttger,<br />

Stellmacher, Weber, Färber und<br />

Tuchscherer. In alten Chroniken<br />

kann man lesen, dass die<br />

wirklich Wohlhabenden um<br />

1500 aber andere waren –<br />

nämlich die Bierbrauer.<br />

KAPITEL 1 | Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges<br />

Ablehnung der zentralen Wasserversorgung eifriger<br />

um die Instandhaltung und Säuberung der vorhandenen<br />

Brunnen kümmerte. Für jeweils ein Jahr wurde<br />

damit – nach Ausschreibung – ein Handwerksmeister<br />

betraut. 1903 war das Brunnenmacher Schulz, der<br />

für seine Dienste insgesamt 175 Mark erhielt. Arbeiten<br />

rund um die Wasserversorgung der Strausberger<br />

Bürger verrichtete regelmäßig auch das „Brunnenbau-<br />

und Installationsgeschäft Alfred Bugge“ mit Sitz<br />

Müncheberger Straße / Ecke Lindenplatz. Der Besitzer<br />

erlaubte der Strausberger Feuerwehr oft, sein Haus<br />

für Übungen zu nutzen.<br />

2.000 MARK? ABGELEHNT!<br />

1.000 MARK? NA, GUT!<br />

Trotz aller Bemühungen, das in die Jahre gekommene<br />

Brunnensystem zu verbessern, kam es immer wieder<br />

zu Bürgerbeschwerden über das schlechte Wasser<br />

der privaten und öffentlichen Brunnen. Ebenfalls<br />

wurden im Jahre 1903 Teile der alten hölzernen Brunnenzuleitungsrohre<br />

erneuert. Das Holz dafür lieferten<br />

die städtischen Forsten. Die alten Rohre versteigerte<br />

der Magistrat. Doch das Ärgernis mit dem unhygienischen<br />

Wasser wollte nicht enden. Die Zwangsstilllegung<br />

eines privaten Brunnens in der Wilhelmstraße<br />

erregte 1904 die Gemüter und gab der Diskussion<br />

um eine zentrale städtische Wasserversorgung wieder<br />

Auftrieb. Nur Tage später startete der Magistrat<br />

erste Vorarbeiten für deren Projektierung. Allerdings<br />

wurden dafür 2.000 Mark benötigt. Die Mehrheit der<br />

Stadtverordneten schüttelte wiederum mit den Köpfen<br />

– Antrag abgelehnt. Eine zentrale städtische Wasserversorgung<br />

über eine zehn Kilometer lange Strecke<br />

vom Ostbahnhof bis zum Krankenhaus sei zu kostenintensiv<br />

und die Stadt noch nicht reif für ein Projekt<br />

dieser Größenordnung. Dass man kleineren Bauvorhaben<br />

rund ums Wasser jedoch durchaus zugeneigt war,<br />

bewiesen die Strausberger Stadtverordneten trotzdem.<br />

Statt der 2.000 Mark für das Wasserwerk bewilligten<br />

sie 600 Mark für ein Schwanenhaus am Strausseeufer<br />

hinter dem Schießstand der Schützengilde.<br />

Ungeachtet aller Rückschläge ließ der Magistrat<br />

nicht locker und erreichte, dass die Firma David Grove<br />

aus Berlin die Planung für die zentrale Wasserlieferung<br />

und Kanalisation kostenlos anbot, wenn sie die<br />

sich anschließende Bauausführung zugesagt bekäme.<br />

Andernfalls fielen 1.000 Mark dafür an. Diese Summe<br />

gaben die Stadtverordneten am 14. September<br />

1905 frei. Eine Wasserbaukommission aus drei Mitgliedern<br />

des Magistrats und sechs Stadtverordneten<br />

wurde gegründet, doch der bisherige Stillstand hatte<br />

damit noch kein glückliches Ende gefunden. Nächster<br />

Stolperstein war die Einigung auf ein Gelände, das<br />

sich für Bohrversuche für die benötigten Tiefbrunnen<br />

eignete. Angedacht war, in unmittelbarer Umgebung<br />

des soeben erbauten neuen Elektrizitätswerkes am<br />

Igelpfuhl zu bohren, denn so hätte man bereits eine<br />

Energiequelle für den Betrieb der späteren Tiefbrunnen<br />

parat und müsste diese dringend benötigte Infrastruktur<br />

nicht noch zusätzlich stemmen. Der Magistrat<br />

fasste ein 9,5 Morgen (entspricht etwa der Fläche<br />

von 24 Fußballfeldern) großes Grundstück dafür ins<br />

Auge, dessen Besitzer 5.000 Mark dafür verlangten.<br />

Wieder einmal hielten die Stadtverordneten das Gemeindesäckel<br />

zusammen und sagten nein zu dieser<br />

aus ihrer Sicht viel zu teuren Anschaffung. Man ließ<br />

den Magistrat wissen, die sich ohnehin im städtischen<br />

Eigentum befindliche Liegenschaft direkt am<br />

Elektrizitätswerk sei groß genug für das Vorhaben.<br />

Nichtsdestotrotz ging es von da an voran. Der<br />

historische Beschluss der Stadtverordneten zum Bau<br />

einer zentralen Wasserversorgung für Strausberg fiel<br />

am 21. Februar 1907. In die engere Auswahl für die<br />

Vorarbeiten kamen die beiden Berliner Firmen Grove<br />

und Smreker. Nach Sichtung der Kostenvoranschläge<br />

erhielt Grove mit einer Gesamtsumme von<br />

31.890 Mark den Zuschlag.<br />

Zwei Probebohrungen östlich des Igelpfuhls in<br />

66,5 und 68,5 Metern Tiefe verliefen erfolgreich.<br />

„Auch ergab eine chemische Untersuchung, dass<br />

das geförderte Wasser in gesundheitlicher Hinsicht<br />

vorzüglich ist, nur enteisent zu werden braucht“,<br />

geht aus dem Untersuchungsbericht hervor. Das<br />

Institut für Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung<br />

beschied eine gute Wasserqualität. Spätere<br />

Dauerpumpversuche zeigten, dass zudem genügend<br />

Wasser für eine Versorgung in der Strausberger<br />

Größenordnung vorhanden war. Der einzige Wermutstropfen<br />

dieser Aktion ergab sich daraus, dass<br />

die Verantwortlichen das frisch gepumpte Wasser<br />

munter in den Igelpfuhl einleiteten. Folge war ein<br />

starker Wasserspiegelanstieg und die Überschwemmung<br />

eines Teils des anliegenden Grundstücks eines<br />

Gärtners namens – nomen est omen – Böse. Schadensersatz<br />

von 500 Mark forderte selbiger gleich,<br />

einigte sich dann aber mit den Stadtverordneten<br />

auf 100 Mark.<br />

STRAUSBERGER DEBATTIEREN –<br />

BAU BEGINNT ERST 1910<br />

Im Februar 1909 beschloss das Strausberger Stadtparlament,<br />

dass auch die Projektierung des Wasserwerkes<br />

an die Firma David Grove geht. Zugleich stellte<br />

die Stadt beim Regierungspräsidenten in Potsdam den<br />

Antrag auf Genehmigung eines Kredites über 550.000<br />

Mark für das Versorgungswerk. Kreditaufnahme und<br />

Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges | KAPITEL 1<br />

Wer mit offenen Augen den Naturlehrpfad im Anatal entlangpilgert, trifft auf so manche Sehenswürdigkeit –<br />

zum Beispiel auf die Schlagmühle. Hier ein Wandgemälde der 1247 erstmals erwähnten „Mühle am Hermannsee“.<br />

Wasserwerksprojekt erhielten den behördlichen Segen.<br />

Zudem nahm sich der Kreisarzt des Kreises Oberbarnim<br />

der Wasserproben an und hatte auf der Basis sei-<br />

nes medizinischen Gutachtens keine BeanBeanstandungen. Trotzdem wurde die Strausberger<br />

Bevölkerung des des Debattierens Debattierens nicht<br />

müde. Nun waren es ortsansässige<br />

Vereine, die ihrer geballten Fachkenntnis<br />

Gehör verschaffen wollten.<br />

Unter anderem konfrontierte<br />

der Haus- und Grundbesitzerverein<br />

die Firma Grove mit der Annahme, dass<br />

viel mehr Druck auf den Leitungen lasten<br />

werde als bislang berechnet. Rohrbrüche wurden<br />

befürchtet. Sehr engagiert zum Thema<br />

Wasserversorgung waren auch ein Bürgerverein<br />

und der Vorstadt- und Verschönerungsverein.<br />

Die Vereinigung für Heimatschutz und Pflege<br />

der historischen und natürlichen Denkmäler unterbreitete<br />

bereits öffentlich Namensvorschläge für den auf<br />

dem Marienberg geplanten Wasserturm, als für diesen<br />

noch nicht einmal der Grundstein gelegt war.<br />

WASSER MARSCH!<br />

1911 GEHT WASSERWERK IN BETRIEB<br />

Erst am 15. März 1910 begannen die Bauarbeiten für<br />

das Strausberger Wasserwerk am Igelpfuhl. Bestand-<br />

Der Mühlstein<br />

im Jahr 2011.<br />

teil waren neben dem Werk selbst vier Brunnen, ein<br />

Rohrleitungssystem und der Wasserturm. Er ist heute<br />

eines der Strausberger Wahrzeichen, damals sorgte<br />

der Turm mit seinem 400 Kubikmeter Wasser<br />

fassenden Hochbehälter dafür, dass<br />

das Lebensmittel Nummer 1 auch in<br />

den höher gelegenen Ortsteilen von<br />

Strausberg mit konstantem Druck<br />

ankam. Das Wasserwerk wurde direkt<br />

an der Ostseite des Elektrizi-<br />

tätswerkes angebaut. Am 10. Ap-<br />

ril 1911 verkündete Bürgermeister<br />

Goedel, dass „die Inbetriebsetzung<br />

des Wasserwerks nunmehr erfolgt ist“.<br />

Der 5. Mai 1911 ging schließlich als historischer<br />

Tag in die Geschichte Strausbergs<br />

ein. „Durch eine Kommission des Potsdamer<br />

Regierungspräsidenten erfolgte die Besichtigung<br />

und behördliche Abnahme aller Einrichtungen“,<br />

notierte Stadtschreiber Dr. Rolf Apel in seinem<br />

Aufsatz „Aus der Geschichte der Strausberger<br />

Wasserversorgung“. Bemerkenswert ist die Tatsache,<br />

dass das Elektrizitäts- und Wasserwerk bereits 1913<br />

immerhin elf Angestellte hatte. Der Betrieb erzielte<br />

damals einen Überschuss von 6.981,82 Mark für<br />

das Stadtsäckel. Aus alten Preistabellen geht hervor,<br />

dass der Wasserpreis in Strausberg fünf Jahre später<br />

30 Pfennig pro Kubikmeter betrug.<br />

22 23<br />

BAU WERK<br />

Eine antike Erfindung<br />

Wasserräder haben sich im<br />

Laufe der Jahrhunderte kaum<br />

verändert und dienten zu allen<br />

Zeiten (in verschiedenen<br />

Konstruktionsvarianten)<br />

als Antriebsmaschinen.<br />

Bereits im dritten Jahrhundert<br />

vor unserer Zeitrechnung<br />

wurden im Mittelmeerraum<br />

neben den mit einfacher<br />

Muskelkraft betriebenen<br />

auch mit einem Wasserrad<br />

betriebene Mühlen benutzt.<br />

Mahlsteine<br />

Rumpf<br />

Kammrad<br />

Stockgetriebe<br />

Darstellung einer Getreidemühle<br />

um 25 vor Christus.<br />

VOLKS MUND<br />

„Steht dir das Wasser<br />

bis zum Hals,<br />

solltest du den Kopf<br />

nicht hängen lassen.“


BAU WERK<br />

Der Lokus im Fokus<br />

(Ur- und Frühgeschichte)<br />

Älteste Toilettenanlagen wurden<br />

auf den Orkney-Inseln nördlich<br />

von Caithness in Sichtweite der<br />

schottischen Küste gefunden.<br />

Hier waren Nischen in Steinwände<br />

gehauen, von denen<br />

Abzugsgräben wegführten.<br />

In Pakistan/Indien existierten<br />

erste Sitztoiletten im „westlichen“<br />

Stil. Jede Toilette hatte<br />

eine senkrechte Abflussrinne,<br />

durch welche die Exkremente in<br />

einen öffentlichen Straßenkanal<br />

oder in eine Senkgrube geleitet<br />

wurden. Toilette und Baderäume<br />

verfügten über eine Wasserversorgung<br />

und Abflussgräben<br />

entlang der Gasse.<br />

Das Wasser wurde aus dem<br />

Indus mit Rohrleitungen zugeführt.<br />

Selbst gegen die<br />

Verschmutzung des in<br />

öffentlichen Brunnen<br />

gesammelten Trinkwassers<br />

war Vorsorge getroffen.<br />

Zirka 5.000 Jahre alte Toilette<br />

mit „Wasserspülung“<br />

aus Mohenjo-Daro im<br />

heutigen Pakistan.<br />

KAPITEL 1 | Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges<br />

In Altlandsberg stinkt es zum Himmel<br />

Schon beim Gedanken daran möchte man sich die<br />

Nase zuhalten: Gruben, Misthaufen, Dungstätten,<br />

Rinnsteine und Gullys waren Ende des 19. Jahrhunderts<br />

die Abwasser- und Fäkalentsorgungsstätten<br />

in Altlandsberg. In einem Gutachten über die<br />

Verbesserung des Stadtgrabens ist zu lesen, dass<br />

Geruchsbelästigung und Gesundheitsgefährdung<br />

herrschten, weil die Rinnsteine der Stadt unterirdisch<br />

in einen offenen Graben entwässerten. Oft lag<br />

ein waberndes Gemisch aus Fäulnisprodukten und<br />

Ammoniak in der Luft. Den Ortsansässigen stank das<br />

gewaltig und im Jahr 1898 begannen sie, eine Kanalisation<br />

für die Stadt zu planen.<br />

Bei einer technischen Überprüfung der Hofanschlüsse<br />

zur Straßenkanalisation durch die Stadt<br />

fielen 33 Höfe durch. Die Schlammfänge entsprachen<br />

nicht der vorgeschriebenen Tiefe von 50 Zentimetern.<br />

Um weiteren unliebsamen Überraschungen<br />

vorzubeugen, erließ die Stadt eine polizeiliche<br />

Verfügung. Sie verpflichtete die Grundstückseigentümer<br />

die Schlammfänge ihrer Kanalisationsschächte<br />

wöchentlich gründlich vom Schlamm zu reinigen.<br />

Das wurde regelmäßig kontrolliert und im Ergebnis<br />

akribisch und fein säuberlich mit Datum und Unterschrift<br />

dokumentiert.<br />

ENDLICH: BESCHLUSS ZUM BAU<br />

EINER KLÄRANLAGE!<br />

1905 tauchte ein anderes Problem auf. Berlin wollte<br />

seine Rieselfelder bis Altlandsberg ausdehnen. Der<br />

hiesige Magistrat war davon alles andere als begeistert,<br />

es regte sich Widerspruch. Rieselfelder waren<br />

damals ein bevorzugtes Verfahren der Abwasserentsorgung.<br />

Denn das Ausbringen des Abwassers<br />

auf landwirtschaftliche Felder galt als optimal. Zum<br />

einen mussten die Fäkalien nicht mehr von anderen<br />

Abwässern getrennt werden, denn sie dienten<br />

der Landwirtschaft als Dung. Zum anderen konnte<br />

man das Abwasser abseits der Wohnstätten reinigen.<br />

Verständlicherweise erschien es jedoch den<br />

Altlandsbergern nicht sehr verlockend, Massen an<br />

unliebsamen Hinterlassenschaften der preußischen<br />

Hauptstädter zu klären. Der Kelch ging an Altlandsberg<br />

vorbei, zwei Jahre später erwarb Berlin Bauernländereien<br />

in Münchehofe und errichtete dort<br />

ein Rieselfeld.<br />

Die Idee einer zentralen Abwasserentsorgung<br />

in Altlandsberg mit dafür konzipierter Kläranlage<br />

nahm allerdings erst 1911 Gestalt an. Einen ersten<br />

Entwurf für Kanalisation und Abwasserklärung wies<br />

der Minister des Inneren noch als unzureichend zu-<br />

Rinnsteine in der Parochialstraße in Berlin-Mitte –<br />

ein Gemälde von Eduard Gaertner aus dem Jahr 1831.<br />

rück. Zwei Jahre später, am 4. September 1913, fasste<br />

der Magistrat der Stadt Altlandsberg den Beschluss,<br />

das Projekt der Landespolizeibehörde zur<br />

Genehmigung erneut vorzulegen. Den erforderlichen<br />

Geldbetrag bezifferten die Stadtväter auf<br />

150.000 Mark – eine erhebliche Summe zur damaligen<br />

Zeit. Der Beginn des ersten Weltkrieges 1914<br />

verzögerte die Planung und den Bau der Kläranlage<br />

jedoch. Im Februar 1915 erhielt der Darmstädter<br />

Ingenieur Heyd, eben jener, der bereits in Neuenhagen<br />

seine Spuren hinterlassen hatte, den Auftrag für<br />

die Projektierung. Wenige Wochen danach legte er<br />

erste Entwürfe für eine mechanische Kläranlage vor.<br />

BERLINER ABWÄSSER AUFS LAND –<br />

DIE RIESELFELDER IN MÜNCHEHOFE<br />

Der Bau lief wohl recht reibungslos, denn am 27. Juli<br />

1917 schrieb der Altlandsberger Magistrat an den Regierungspräsidenten:<br />

Die Kanalisationsanlage sei fertiggestellt,<br />

es fehle nur noch die elektrische Zuleitung<br />

zum Zwecke der Inbetriebsetzung der Pumpe<br />

am Klärbrunnen, die den Schlamm auf die dazugehörigen<br />

Beete befördern soll. Jedenfalls: Der Magistrat<br />

verkündete am 3. Mai 1918, dass der Bau der Kläranlage<br />

vollendet sei. Sie funktionierte im Zusammenwirken<br />

von zweiteiligem Sandfang mit Großrechen, einem<br />

Schlammfaulraum, einem Schlammtrockenbeet<br />

und einem biologischen Tropfkörper mit Nachklärbrunnen.<br />

Drei Jahre später besaß die Hälfte der Bewohner<br />

Altlandsbergs einen Anschluss an die zentrale<br />

Schmutzwasserkanalisation. Eine bedeutende Rolle<br />

Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des ersten Weltkrieges | KAPITEL 1<br />

in der Abwasserentsorgung dieser Zeit kam Münchehofe<br />

zu. Davon profitierten jedoch eher die Berliner<br />

als die Einwohner im direkten Umkreis. Die Hauptstadt<br />

hatte dort 1907 landwirtschaftliche Flächen<br />

aufgekauft, um auf zunächst 25, später 200 Hektar<br />

ein Rieselfeld zu errichten. Galt doch das Ausbringen<br />

der Abwässer auf diesen speziellen Äckern zu<br />

dieser Zeit als besonders innovativ. Nicht alle Böden<br />

waren geeignet, wasserdurchlässig mussten sie<br />

sein und möglichst eben, damit sich das Abwasser<br />

nirgends staute. Dabei durchrieselte das Abwasser<br />

den Boden und seine Inhalte setzten sich je nach<br />

Beschaffenheit an den unterschiedlichen Bodenschichten<br />

ab. Das Ganze funktionierte wie eine Art<br />

Filter, wobei die im Boden vorhandenen Mikroorganismen<br />

große Teile der Abwasserfracht biologisch<br />

reinigten, indem sie sich davon „ernährten“. Die In-<br />

EX KURS<br />

Die städtebauliche Entwicklung Berlins wurde<br />

ganz entscheidend durch das von James<br />

Hobrecht entwickelte System der radialen Entwässerung<br />

in Kombination mit den Rieselfeldern<br />

bestimmt. Die ersten Rieselfelder errichtete die<br />

Stadt 1875 auf dem Gelände von ehemaligen Rittergütern.<br />

Rieselfelder waren ein Weg der Abwasserentsorgung,<br />

der sich allerdings nur in wenigen<br />

deutschen Städten durchsetzte. Neben Berlin entstanden<br />

zwar in schneller Reihenfolge insgesamt<br />

37 weitere Rieselfelder – die Zahl der Rieselfeldanlagen<br />

erhöhte sich danach aber nicht mehr wesentlich.<br />

Prof. Dr. Andreas Dix schrieb in seinem Aufsatz<br />

„Kontaminierte Landschaften“: „Im Rahmen der<br />

‚Aptierung’ (Einrichtung) der Rieselfelder wurden<br />

zunächst in schachbrettartiger Anordnung sogenannte<br />

Rieseltafeln in einer Größe von 0,25 ha eingerichtet,<br />

verebnet und mit Dämmen umgeben. Jeweils<br />

zehn bis zwanzig solcher Rieseltafeln bildeten<br />

einen Schlag, der durch einen Weg für die landwirtschaftlichen<br />

Arbeiten, zum Beispiel das Reinigen<br />

der Rieseltafel von Schlick usw., erschlossen wurde.<br />

Die Tafeln konnten durch Furchengräben von<br />

jeder Seite mit Wasser beschickt werden. Nach ersten<br />

schlechten Erfahrungen mit starker Verschlammung<br />

der Felder wurden später Absetzbecken vorgeschaltet.<br />

Das Wasser wurde durch Druckleitungen<br />

zunächst zum höchsten Punkt einer Rieselfeldein-<br />

frastruktur rund um diesen Vorgang war nicht unbeträchtlich.<br />

So führte im Falle Münchehofes ein<br />

50 Zentimeter breites Abwasserdruckrohr unter<br />

der Berliner Chaussee von Friedrichsfelde-Ost zum<br />

Rieselfeld, um das Abwasser über eine Strecke von<br />

13 Kilometern zu transportieren. Außerdem benötigte<br />

man in der Regel Pumpstationen, Erdbecken,<br />

die den groben Schlamm abfingen, sowie einen Vorfluter,<br />

der Dränagewasser aufnahm. Weil selbst sehr<br />

durchlässige Böden die Masse an Abwasser, die die<br />

Berliner produzierten, nicht ohne technischen Eingriff<br />

bewältigen konnten, leiteten es Dränagerohre<br />

bis zu 1,50 m tief in den Boden.<br />

Neben Münchehofe wurden im bzw. in der Nähe<br />

des heutigen <strong>WSE</strong>-Verbandsgebiets später auch Rieselfelder<br />

in Falkenberg und den Hönower Parzellen<br />

zur Behandlung des Berliner Abwassers angelegt.<br />

Die „Aptierung“ der Rieselfelder um Berlin<br />

heit gepumpt. Von hier konnte das Wasser dann in<br />

die einzelnen Gräben verteilt werden. Der Boden der<br />

Rieseltafeln, der möglichst wasserdurchlässig sein<br />

sollte, bildete den biologischen Reinigungskörper.“<br />

Beim Rieselfeldsystem wurden die Fäkalien einerseits<br />

rasch aus der Stadt geschwemmt und andererseits<br />

wurde dem kargen Sandboden Dünger<br />

zugeführt. Damit war die Entsorgung der Stadt<br />

an eine Intensivierung der Landwirtschaft gekoppelt.<br />

Dies entwickelte sich aber auch zur Kehrseite<br />

der Medaille, denn Früchte oder Gemüse waren<br />

als fäkaliengenährte Lebensmittel schnell stigmatisiert.<br />

Außerdem wurden eine zunehmende Verschlickung<br />

und Verdichtung des Bodens beobachtet,<br />

die wiederum zu sinkenden Erträgen führten.<br />

Schließlich verdrängten die Kläranlagen das mit<br />

etlichen Nachteilen behaftete Rieselfeldsystem. In<br />

erster Linie sind es aber nicht diese Aspekte, die<br />

das System ins Zwielicht brachten. Vielmehr war<br />

das Rieselfeldsystem den industriellen Belastungen<br />

nicht gewachsen. Chemikalien, deren Toxizität<br />

erst viel später erkannt wurde, lagerten sich im<br />

Boden ab. Besonders die hohen Schwermetalleinträge<br />

machten die Flächen der ehemaligen Rieselfelder<br />

zu kontaminierten Landschaften. So muss<br />

heute leider auch für diese von den Zeitgenossen<br />

als ideal empfundene Lösung des Verschmutzungsproblems<br />

konstatiert werden, dass sie zu Langzeitschäden<br />

führte.<br />

24 25<br />

ZEIT ZEUGE<br />

Städtebaulicher Visionär<br />

James Friedrich Ludolf<br />

Hobrecht (1825–1902) war ein<br />

preußischer Stadtplaner und für<br />

Berlins ersten perspektivischen<br />

Bebauungsplan, den sogenannten<br />

Hobrecht-Plan, von 1862<br />

verantwortlich. Als Stadtbaurat<br />

organisierte er die Einführung<br />

der Stadtentwässerung und<br />

machte sich damit um die<br />

Gesundheit der Berliner<br />

Bevölkerung verdient.<br />

Mit Unterstützung seines Bruders<br />

Arthur Johnson Hobrecht, der<br />

1872 Berliner Oberbürgermeister<br />

wurde, und des Arztes Rudolf<br />

Virchow wurde er 1869 mit der<br />

Umsetzung seiner Pläne einer<br />

Kanalisation für Berlin mit<br />

12 Radialsystemen betraut.<br />

In jedem dieser 12 Gebiete gab<br />

es eigenständige unterirdische<br />

Kanäle und Abwassersammler,<br />

die zu jeweils einer Pumpstation<br />

führten. Von dort wurden das<br />

Hausabwasser und das Regenwasser<br />

über Druckleitungen<br />

nach außen zu den ebenfalls neu<br />

angelegten Berliner Rieselfeldern<br />

gepumpt. Diese von 1873 bis<br />

1893 fertig gestellten Radialsysteme<br />

machten Berlin damals<br />

zur Stadt mit der modernsten<br />

Entwässerung und zur<br />

saubersten Stadt der Welt.<br />

James Friedrich Ludolf<br />

Hobrecht um 1890.

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