Arno Staudacher, Direktor am Schigymnasium ... - Wissen ist MANZ
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IntervIew<br />
„ Defizite werden größer“<br />
Interview. <strong>Arno</strong> <strong>Staudacher</strong>, <strong>Direktor</strong> <strong>am</strong> <strong>Schigymnasium</strong>/Handelsschule St<strong>am</strong>s über Körperkult, Förderung im Kindergartenalter und Sport als<br />
Grundbedürfnis<br />
Interview: Mag. Erika Hofbauer, Chefredakteurin wissenplus<br />
wissenplus: Die (schlechte) körperliche Verfassung der Schüler/innen in<br />
Österreich <strong>ist</strong> immer wieder Diskussionsthema in der Öffentlichkeit. Was<br />
stimmt an dieser „öffentlichen Sicht“?<br />
<strong>Staudacher</strong>: Ich denke, die öffentliche Sichtweise <strong>ist</strong> in diesem Zus<strong>am</strong>menhang<br />
ausnahmsweise richtig. Allerdings mit der Erweiterung,<br />
dass nicht nur Österreich davon betroffen <strong>ist</strong>. Vielmehr handelt<br />
es sich um ein Grundproblem der westlichen Industriestaaten:<br />
Das Leben in einer Gesellschaft mit absolutem Bewegungsmangel<br />
– speziell bei den Kindern und Jugendlichen. Aus Objektivitätsgründen<br />
müssen jedoch Unterschiede wie Stadt – Land oder<br />
Ost – West in der Beurteilung mitberücksichtigt werden.<br />
Was hat sich – sagen wir – in den vergangenen 10, 20 Jahren hinsichtlich<br />
des Gesundheitszustandes bei Österreichs Schülern/Schülerinnen Ihrer<br />
Meinung nach verändert? Was wird in den nächsten 10 Jahren zu erwarten<br />
sein?<br />
<strong>Staudacher</strong>: Ich verfüge dazu über keine stat<strong>ist</strong>ischen Zahlen, aber<br />
ich orte große Probleme in den Bereichen des aktiven und passiven<br />
Bewegungsapparats, schwache kardio-pulmonale Le<strong>ist</strong>ungsfähigkeit,<br />
Adipositas und psychische Probleme bis hin zu Verhaltensauffälligkeiten.<br />
Die Gründe sind immer wieder dieselben: falsche<br />
8 wissenplus 3–11/12<br />
Foto © privat<br />
Der 52-jährige Tiroler studierte Sport und Geografie an der Universität Innsbruck<br />
und absolvierte in dieser Zeit auch die staatlichen Ausbildungen zum<br />
Schilehrer und -trainer. In seiner Jugend war <strong>Staudacher</strong> selbst Le<strong>ist</strong>ungssportler<br />
in den Disziplinen Schi Alpin und Fußball. Von 1987 bis 1996 war er<br />
als Nachwuchstrainer der Alpin-Herren beim ÖSV verantwortlich, von 1996 bis<br />
2010 verantwortlicher Nachwuchsreferent Alpin für D<strong>am</strong>en und Herren beim<br />
ÖSV. Seit 1996 fungiert <strong>Staudacher</strong> auch als Mitglied beim Kinder- und Jugendkomitee<br />
im Internationalen Skiverband (FIS). Seit 1987 <strong>ist</strong> er <strong>am</strong> <strong>Schigymnasium</strong><br />
St<strong>am</strong>s zunächst als Trainer und Lehrer, später auch als Spartenleiter Alpin und<br />
sportlicher Leiter tätig. Seit 2005 führt er als <strong>Direktor</strong> das <strong>Schigymnasium</strong> St<strong>am</strong>s.<br />
bzw. übermäßige Ernährung in Kombination mit Bewegungsmangel,<br />
übermäßiger Fernseh- und Computerkonsum und die soziale<br />
Vereins<strong>am</strong>ung. Das Positive an dieser Situation <strong>ist</strong>, dass von vielen<br />
Seiten – der Schule, den Medien, der Politik – wesentlich mehr<br />
Aufklärung betrieben wird. Man versucht, punktuell zu fördern<br />
und zu unterstützen, um eine bewusstere und bessere Einstellung<br />
zu Gesundheit und zum eigenen Körper zu bekommen – nicht im<br />
Sinne des „Körperkults“ nach Barbie und Fitnessstudio!<br />
Was in 10 Jahren sein wird, vermag ich nicht vorherzusagen.<br />
Sollte sich aber der derzeitige Trend fortsetzen, wird nicht nur<br />
unser Gesundheitssystem kollabieren, sondern die ges<strong>am</strong>te Wirtschaft<br />
durch zahlreiche Arbeitsausfälle (hauptsächlich bedingt<br />
durch chronisch Erkrankte) vor nahezu unlösbare Probleme gestellt<br />
werden.<br />
Welche konkreten Beobachtungen können Sport(pflicht)Schulen bzw. Sie<br />
an Ihrer Schule diesbezüglich machen?<br />
<strong>Staudacher</strong>: An unserer Schule steht Le<strong>ist</strong>ungssport im Fokus, daher<br />
geht es um präventives Training im Sinne von Verletzungsprophylaxe<br />
und Vermeidung von Spätschäden. Da die allgemeinen<br />
motorischen Grundeigenschaften (Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit,<br />
Beweglichkeit) nicht mehr automatisch durch die tägliche<br />
Schule kann nur den Anstoß geben, dass Freude zur<br />
Bewegung entwickelt werden kann.<br />
Bewegung in Arbeit und Spiel gefordert sind, wird in unserem<br />
Bereich gezielt, d<strong>am</strong>it aber auch spezialisiert, auf Vereinsebene<br />
oder durch Eltern gefördert. Dies hat oft den Nachteil, dass es zu<br />
ein seitigen Belastungen kommen kann, im Sinne einer Frühspezialisierung,<br />
und somit gezielt mit orthopädisch-therapeutischen<br />
Mitteln gegengesteuert werden muss.<br />
Sportunterricht wird bzw. wurde in der Vergangenheit praktisch laufend<br />
gekürzt. Zugleich beklagt man den Bewegungsmangel und die gesundheitliche<br />
Beeinträchtigungen bei den Jungen. Wie sollte es gehen?<br />
<strong>Staudacher</strong>: Die motorische Entwicklung des Kindes <strong>ist</strong> maßgebend<br />
für die Entwicklung der kognitiven und ge<strong>ist</strong>igen Le<strong>ist</strong>ungsfähigkeit<br />
des Menschen verantwortlich. Daher muss bereits im
Kindergarten mit gezielten Maßnahmen gefördert werden – speziell<br />
im Bereich der koordinativen Fähigkeiten. Volksschule und<br />
Sekundarstufe 1 sind elementar wichtige Abschnitte, in denen der<br />
Umfang des Sportunterrichts dringend angehoben werden muss<br />
– ein regelmäßiges Kraft- und Ausdauerprogr<strong>am</strong>m wirkt sich positiv<br />
auf Knochen- und Organwachstum aus.<br />
Neben der institutionellen Verantwortung (Kinderhorte und<br />
Schulen), gibt es aber auch die vorrangige Verantwortung der Eltern.<br />
Schule kann nur den Anstoß geben, dass Freude an der Bewegung<br />
entwickelt werden kann. Gezielte Kooperationen mit Vereinen<br />
sind in diesem Zus<strong>am</strong>menhang sehr wichtig.<br />
Haben Sie Schwierigkeiten, geeignete Schüler/innen für Ihre Schule zu bekommen?<br />
<strong>Staudacher</strong>: Grundsätzlich nicht, da wir klar definierte Zielsetzungen<br />
haben. Es <strong>ist</strong> bei unseren Eignungsprüfungen aber klar<br />
ersichtlich, dass die mitgebrachten Defizite im motorischen sowie<br />
im intellektuellen Bereich größer werden. Das heißt, die Breite der<br />
Qualität <strong>ist</strong> eindeutig abnehmend.<br />
Welchen Beitrag sollten Lehrer/innen, Eltern, Politik, Gesetzgeber, Schüler/in<br />
nen – eben alle „Beteiligten“ – le<strong>ist</strong>en, d<strong>am</strong>it gesundheitliche Schäden<br />
hintangehalten werden können?<br />
<strong>Staudacher</strong>: Zunächst muss einmal klar gestellt werden, dass nicht<br />
jegliche Verantwortung, speziell wenn bei den jungen Menschen<br />
Probleme auftreten, bei der Schule gesucht wird bzw. der Schule<br />
zugeordnet wird. Darüber hinaus können Lehrer/innen vorhandene<br />
Talente und/oder Bedürfnisse im Bewegungsbereich zunächst<br />
erkennen und dann möglichst gezielt fördern – Vereinskooperationen<br />
sehe ich hier als wichtigen Schritt. Eltern müssen sicher<br />
Was nützen alle Appelle und Forderungen in<br />
Richtung mehr Bewegung und Sport bereits ab<br />
dem Kindergartenalter, wenn die notwendige<br />
Infrastruktur nicht vorhanden <strong>ist</strong>?<br />
die Grundlagen schaffen, d<strong>am</strong>it Sport und Bewegung, als gesundheitsfördernde<br />
Maßnahmen, bei den Kindern klar zugeordnet und<br />
im Grundbedürfnis verankert sind. Dies beginnt bekanntlich bereits<br />
im frühesten Kindesalter.<br />
D<strong>am</strong>it Sport, zeitlich und monetär, auch in Zukunft le<strong>ist</strong>bar <strong>ist</strong>,<br />
wird die Politik ihren Beitrag le<strong>ist</strong>en müssen. Ich denke dabei, gerade<br />
bei uns in Österreich, an die Traditionssportart Alpiner Schilauf.<br />
Wichtig wäre es zudem, gesetzliche Grundlagen zu schaffen,<br />
d<strong>am</strong>it Präventionsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen<br />
(eventuell auch im Erwachsenenalter) in Sozialversicherungsle<strong>ist</strong>ungen<br />
integriert werden. Dies würde auf lange Sicht die medizinischen<br />
Reparaturle<strong>ist</strong>ungen drastisch reduzieren.<br />
Hindert die aktuelle Schulstruktur den „natürlichen“ Bewegungsdrang<br />
der Kinder?<br />
<strong>Staudacher</strong>: In der ganzen Diskussion über die sogenannte Bildungsreform<br />
(Pisa & Co. lassen grüßen) vermisse ich eindeutig<br />
die Berücksichtigung des Faktums: mens sana in corpore sano! Es<br />
wird für meinen Geschmack zu viel über akademische Inhalte,<br />
auch wenn dies unabdingbar notwendig <strong>ist</strong>, und zu wenig über<br />
notwendige Voraussetzungen gesprochen, d<strong>am</strong>it diese Inhalte<br />
auch umgesetzt werden können. Was nützen alle Appelle und<br />
Forderungen in Richtung mehr Bewegung und Sport bereits ab<br />
dem Kindergartenalter, wenn die notwendige Infrastruktur nicht<br />
vorhanden oder eine entsprechende Ausbildung der Verantwortlichen<br />
nicht gegeben <strong>ist</strong>? Auch orte ich noch einiges an Potenzial<br />
im so wichtigen motorischen Lernalter der 6- bis 12-Jährigen.<br />
Meine Generation fand den Spaß an der Bewegung<br />
bzw. im Sport selbst.<br />
Mehr Lernen durch Handeln und Tun (z. B. erfahrungsbezogenes<br />
und szenisches Lernen) und weniger durch Frontalvortrag wäre<br />
ein wesentlicher Beitrag. Wichtig <strong>ist</strong> dabei auch, das Verhältnis<br />
von Input- und Übungszeit. Es <strong>ist</strong> aus der Hirnforschung schon lange<br />
bekannt, dass die Konzentrationsfähigkeit für Aufnahme von<br />
Neuem in gewissen Alterssegmenten sehr begrenzt <strong>ist</strong>. Auch weiß<br />
man, dass Gelerntes mit anschließender Bewegung wesentlich<br />
nachhaltiger verarbeitet wird als mit Fernsehen oder Ruhen. Die<br />
Schulstruktur hindert nicht, engt aber ein und sollte mehr Raum<br />
und Zeit investieren, um den natürlichen Bewegungsdrang der<br />
Kinder positiv in den Lernprozess miteinzubeziehen. Eine völlig<br />
neue Gestaltung des Stundenplans wäre der erste Schritt in diese<br />
Richtung.<br />
Wie kann man sich den Schulalltag an Ihrer Schule vorstellen?<br />
<strong>Staudacher</strong>: Gemäß unserem dualen Ausbildungsziel wird versucht,<br />
Schule und Sport die gleiche Bedeutung zu verleihen und<br />
demgemäß auch den gleichen Raum zu geben. Nach 5-6 Stunden<br />
Unterricht folgt ein tägliches Training, das zwischen 3 und 4<br />
Stunden umfasst. Dazwischen muss Studium und Soziales Platz<br />
finden. Im Jahreslauf wird auf die Bedürfnisse des Sports (Training<br />
und Wettk<strong>am</strong>pf) und des Unterrichts mit entsprechenden<br />
Schwerpunktsetzungen eingegangen. Dieses organisatorisch und<br />
inhaltlich abgestimmte Zus<strong>am</strong>menspiel von Sport, Unterricht und<br />
pädagogischer Betreuung soll unsere Schüler/innen zu Spitzenle<strong>ist</strong>ungen<br />
im Ski- bzw. Snowboardsport befähigen und parallel<br />
dazu zum Abschluss eines ORGs bzw. einer Handelsschule führen.<br />
Welche (positiven) Effekte hat Sport auf die (ge<strong>ist</strong>ige) Le<strong>ist</strong>ung?<br />
<strong>Staudacher</strong>: Der positive Effekt von regelmäßiger Bewegung bzw.<br />
Sport auf die ge<strong>ist</strong>ige Le<strong>ist</strong>ungsfähigkeit <strong>ist</strong> ja bereits seit der Antike<br />
bekannt und wird durch zahlreiche Studien eindeutig belegt.<br />
Sport trainiert nicht nur den Körper, sondern aktiviert das Nervenwachstum<br />
und sorgt, in gemäßigter Form praktiziert, auch für<br />
ein starkes Immunsystem. Auch für alte und erkrankte Menschen<br />
(z. B. Alzheimer oder Parkinson) bringt regelmäßige Bewegung<br />
und Sport klare Verbesserungen im Bereich der Hirnle<strong>ist</strong>ung.<br />
Wie haben Sie Ihren Sportunterricht in Erinnerung? Hätten Sie sich etwas<br />
anders gewünscht?<br />
<strong>Staudacher</strong>: Zu meiner Zeit war der Sportunterricht qualitativ und<br />
quantitativ noch in Ordnung. Wir brachten aber auch wesentlich<br />
mehr motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten mit. Zudem waren<br />
die Ablenkungen wesentlich geringer und das Bewegungsfeld<br />
weiter. Meine Generation fand den Spaß an der Bewegung bzw.<br />
im Sport selbst. Heute muss der Spaß hervorgehoben und durch<br />
zusätzliche Motivationsanstrengung vermittelt werden. Das Problem<br />
dabei <strong>ist</strong>, dass sich Spaß nicht verordnen lässt. Y<br />
wissenplus 3–11/12 9<br />
\<br />
interview