art - Ensuite
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das Essentielle. Sicher, der Unterschied zur Arbeit mit<br />
meinem Riga-Ensemble ist, dass du mehr Zeit und Energie<br />
brauchst, um gegenseitiges Vertrauen und ein<br />
gemeinsames Vokabular aufzubauen. Aber eigentlich<br />
sind Schauspieler überall auf der Welt gleich. Es ist eine<br />
spezielle Bruderschaft, eine Nationalität für sich.»<br />
Die Arbeit mit den Schauspielern variiere jedoch von<br />
Produktion zu Produktion. «Ich arbeite nie in <br />
Stil. Alle meine Produktionen sind völlig verschieden.<br />
Mein Stil ist, dass ich keinen Stil habe. Ich will immer<br />
etwas Neues ausprobieren, ich versuche laufend mich<br />
selbst zu überraschen. Ich halte mich nur an eine Regel:<br />
Mach nie etwas noch einmal, bei dem du bereits weisst,<br />
wie du es machen kannst.»<br />
«Du musst eine unverbrauchte Einstellung<br />
zum Leben beibehalten.»<br />
Ist Wiederholung auch für einen von Kreativität<br />
sprühenden Künstler wie Hermanis die grösste Angst?<br />
«Wenn du jahrelang in deinem Beruf arbeitest, wird es<br />
immer schwieriger, dich selbst zu motivieren. Es kommt<br />
ein Punkt, an dem du dich entscheiden musst, was deine<br />
Motivation ist. Du musst Geld verdienen, hast eine Familie,<br />
dies ist deine Arbeit. Aber das kann plötzlich nicht<br />
mehr genügen, dann musst du etwas für dich selbst fi nden,<br />
um frisch zu bleiben, denn alle Probleme beginnen,<br />
wenn du dich wiederholst, das ist dann nur noch traurig.»<br />
Wie schafft er es, sich trotzdem immer wieder zu<br />
motivieren? Hermanis greift auf ganz rudimentäre Mittel<br />
zurück: Er trinkt für sich alleine eine Flasche Jack<br />
Daniels oder versucht ganz einfach, das Theater für ein<br />
halbes Jahr komplett zu vergessen. «Je mehr Erfahrung<br />
du in deinem Beruf sammelst, desto mehr werden<br />
künstlerische Probleme zu eigentlichen technischen<br />
Problemen. Ich glaube, so ist es in jedem Beruf. Es ist,<br />
wie wenn du ein sehr geschickter Liebhaber bist, du<br />
bist erfahren und weisst, wie du eine Frau überzeugen<br />
kannst, mit dir zu gehen. Du weisst, wie die Mechanismen<br />
funktionieren, es wird jedoch immer schwieriger,<br />
dich richtig zu verlieben.» Kein Verständnis hat Hermanis<br />
für Künstler, die sich mit jeder Produktion wiederholen,<br />
weil sie einmal damit Erfolg hatten. «Mir geht es<br />
nicht so sehr um Anerkennung, sondern mehr um private<br />
Gefühle. Das Leben läuft, die Zeit läuft, du musst<br />
lebendig bleiben, eine unverbrauchte Einstellung zum<br />
Leben beibehalten. Neue Dinge ausprobieren.»<br />
Hermanis wünscht sich in seiner Arbeit und seinem<br />
Leben vermehrt solche Adrenalinkicks, wie den, den er<br />
vor kurzem in den Schweizer Bergen erlebt hat. Durch<br />
ein Missverständnis konnte er nicht mehr bei der Mittelstation<br />
aussteigen und landete auf der schwarzen Piste.<br />
Es gab keinen anderen Weg hinunter als auf den Skiern.<br />
«Also fuhr ich runter. Es gab einen dramatischen Sturz,<br />
aber ich tat es für mich und es war ein Gefühl, wie ich es<br />
zuletzt als Teenager erlebt hatte. Es ging mir nicht um<br />
die sportliche Leistung, es ging darum, über mich selbst<br />
hinauszuwachsen; dasselbe Gefühl in deiner Arbeit zu<br />
erzeugen, ist sehr schwierig.»<br />
Was erw<strong>art</strong>et einer, der so hohe Ansprüche an sich<br />
selbst stellt, eigentlich von seinem Publikum? In den<br />
letzten Jahren sei er mit seinem Riga-Ensemble so viel<br />
umhergereist, er habe in so vielen Ländern an Festivals<br />
gastiert, dass er sich unbewusst an ausgesprochen<br />
raffi nierten Zuschauern orientiere, wie sie häufi g an<br />
Festivals anzutreffen seien. Provokation erfülle ihn<br />
mittlerweile nicht mehr mit spezieller Befriedigung – er<br />
sei ja immerhin schon vierzig Jahre alt, betont er. «Mein<br />
Interesse an Theater ist letztlich, dass ich mindestens<br />
mich selbst unterhalten will. Wichtig ist mir die Imagination,<br />
die das Publikum selber mitbringt. Ich will nicht<br />
alles auf einem Teller servieren, ich möchte mit offenen<br />
Menschen zu tun haben und nicht mit marinierten Gurken.»<br />
«Das Eis - Kollektives Lesen eines Buches<br />
mit Hilfe der Imagination in Frankfurt»<br />
Nach dem Roman «Ljod» von Vladimir Sorokin,<br />
Deutsch von Andreas Tretner<br />
Regie, visuelle Gestaltung und<br />
Bearbeitung: Alvis Hermanis<br />
Visuelle Gestaltung, Kostüme<br />
und Fotos: Monika Pormale<br />
Dramaturgie: Brigitte Fürle<br />
Comiczeichnungen: Harijs Brants<br />
Licht: Frank Kraus<br />
Ton: Josef Rennert und Oliver Blohmer<br />
Mit Hannelore Albus, Susanne Buchenberger, Katrin<br />
Grumeth, Friederike Kammer, Christian Kuchenbuch,<br />
Andreas Leupold, Jan Neumann, Joachim Nimtz, Moritz<br />
Peters, Georgia Stahl, Mila Kuznetskaya<br />
Alvis Hermanis<br />
geb. 1965 in Riga, Lettland<br />
Ausbildung zum Schauspieler<br />
Seit 1997 Leiter des Neuen Theaters Riga<br />
Kulturhallen Dampfzentrale Turbinensaal<br />
Samstag 6.5., 19:00 h<br />
Sonntag 7.5., 19:00 h<br />
www.auawirleben.ch<br />
www.schauspielfrankfurt.de<br />
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Bild: zVg.