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Harold in Italien - Akademisches Orchester Berlin

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Auch se<strong>in</strong>e zweite Symphonie mit dem Titel „<strong>Harold</strong> en Italie“ steht unter byronschem E<strong>in</strong>fluss. Das<br />

Versepos „Childe <strong>Harold</strong>’s Pilgrimage“ 4 gibt allerd<strong>in</strong>gs nur den Titel. Berlioz vertont ke<strong>in</strong>eswegs das<br />

literarische Vorbild sondern sieht und empf<strong>in</strong>det sich selbst als „Childe <strong>Harold</strong>“ und verarbeitet <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Werk eigene Empf<strong>in</strong>dungen und Erlebnisse se<strong>in</strong>es <strong>Italien</strong>aufenthaltes der Jahre 1831/32. „Berlioz als<br />

<strong>Harold</strong> <strong>in</strong> <strong>Italien</strong>“ wäre daher wohl der treffendere Titel. In Entsprechung zum literarischen Vorbild<br />

beschreibt er musikalisch die Reise e<strong>in</strong>es jungen Mannes, der aus Enttäuschung über se<strong>in</strong> Luxusleben<br />

Zerstreuung <strong>in</strong> fremden Ländern sucht. Er br<strong>in</strong>gt die Melancholie und die E<strong>in</strong>samkeit des Künstlers zum<br />

Ausdruck, e<strong>in</strong>e Attitüde, die er sehr geliebt hatte oder kokettiert mit der Rolle e<strong>in</strong>es veritablen Briganten<br />

(Räubers) und umgibt sich so mit e<strong>in</strong>er Aureole des Verruchten, die Byron salonfähig gemacht hatte. Wie<br />

<strong>in</strong> vielen se<strong>in</strong>er Werke steht dah<strong>in</strong>ter der Wunschtraum des existenziell e<strong>in</strong>samen Künstlers aus der<br />

Isolation auszubrechen, <strong>in</strong> die ihn e<strong>in</strong>e kalte, profitorientierte Gesellschaft verbannt hat. Die Leitfigur des<br />

missverstandenen, leidenden, gequälten Künstlers, wie sie <strong>in</strong> der „Symphonie fantastique“, <strong>in</strong> „Harald en<br />

Italie“ oder im „Faust“ gestaltet wird, entspr<strong>in</strong>gt allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>er literarischen Tradition, nicht der Realität<br />

se<strong>in</strong>er Lebensumstände und ist typisch für Berlioz. Er changierte stets zwischen e<strong>in</strong>er oft narzistisch<br />

überhöhten künstlerischen Ebene und e<strong>in</strong>er durchaus lebenstüchtigen, wirklichkeitsbezogenen Position.<br />

Die Entstehungsgeschichte liegt – obwohl von Berlioz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Memoiren detailliert beschrieben – etwas<br />

im Dunkeln. Die Berlioz-Forschung hat bezüglich des Wahrheitsgehaltes mancher Passagen begründete<br />

Zweifel. Nach Berlioz Schilderung habe ihn Pagan<strong>in</strong>i um e<strong>in</strong> Werk für e<strong>in</strong>e kürzlich erworbene Stradivari-<br />

Viola gebeten, da es für dieses Instrument kaum Literatur gebe, die se<strong>in</strong>en Fähigkeiten angemessen sei.<br />

Berlioz willigte nach e<strong>in</strong>igem Zögern e<strong>in</strong>, weil er die Probleme, e<strong>in</strong> Werk für diesen Ausnahmevirtuosen zu<br />

schreiben, ahnte. Er entwarf e<strong>in</strong>e Reihe von <strong>Orchester</strong>szenen mit obligater Viola als Solo<strong>in</strong>strument. Als<br />

Pagan<strong>in</strong>i das Exposé des ersten Satzes sah, soll er ausgerufen haben: „So geht das nicht – Ich habe viel<br />

zu lange Pausen – Ich muss ununterbrochen spielen!“<br />

Berlioz zog sich daraufh<strong>in</strong> von dem Auftrag zurück und vollendete das Werk <strong>in</strong> Eigenregie. In se<strong>in</strong>en<br />

Memoiren schreibt er: „…me<strong>in</strong>e Absicht war, e<strong>in</strong> Folge von <strong>Orchester</strong>szenen zu schreiben, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e<br />

Solobratsche mit ihrer unverwechselbaren Klangsprache e<strong>in</strong>en mehr oder weniger aktiven Part übernehmen<br />

sollte. Sie sollte den melancholischen Träumer <strong>in</strong> der Art von Byrons Childe-<strong>Harold</strong> darstellen und die<br />

poetischen Bilder kommentieren, die ich selbst auf me<strong>in</strong>en Wanderungen <strong>in</strong> den Abruzzen aufgenommen<br />

habe.“ Dass er e<strong>in</strong>iges Material e<strong>in</strong>er zuvor verworfenen Ouvertüre zu „Rob Roy“ „recycled“ hatte, bleibt<br />

hierbei unerwähnt.<br />

Der erste Satz „<strong>Harold</strong> <strong>in</strong> den Bergen – Szenen der Melancholie, des Glückes und der Freude” stellt zwei<br />

Themen vor, von den sich e<strong>in</strong>es zur idée fixe der gesamten Symphonie entwickelt. Die Grundstimmung ist<br />

verhalten-melancholisch und entspricht der o.a. Berliozschen Attitude.<br />

Im zweiten Satz – „Pilgerzug, das Abendgebet s<strong>in</strong>gend“ - beobachtet der Protagonist e<strong>in</strong>e Schar Pilger,<br />

die mit religiösen Gesängen an ihm vorbeiziehen. Der religiöse Cantus und die durch Pizzicati der<br />

Streicher markierte Marschbewegung bilden e<strong>in</strong>en bee<strong>in</strong>druckenden Kontrast. Die Viola begleitet das<br />

Ganze durch ruhelose Arpeggien.<br />

Im dritten Satz – Serenade e<strong>in</strong>es Bergbewohners der Abruzzen an se<strong>in</strong>e Geliebte – greift Berlioz<br />

volkstümliche Themen und Rhythmen auf und verb<strong>in</strong>det sie gekonnt mit der idée fixe des Stückes.<br />

Wie bei Beethoven im 4. Satz se<strong>in</strong>er 9.S<strong>in</strong>fonie, beg<strong>in</strong>nt auch Berlioz den vierten Satz von <strong>Harold</strong> <strong>in</strong> <strong>Italien</strong><br />

mit Rem<strong>in</strong>iszenzen an die vorangegangenen Sätze. Berlioz war von Beethovens Musik im Übrigen<br />

ungeheuer bee<strong>in</strong>druckt und ließ sich von dessen Kompositionsweise oft <strong>in</strong>spirieren. Die sich an diese<br />

Rem<strong>in</strong>iszenzen anschließende Orgie der Briganten lässt den unbeteiligten Betrachter nun zum aktiven<br />

Teilnehmer werden. In e<strong>in</strong>er rasenden Orgie, wo der Rausch des We<strong>in</strong>es, des Blutes, der Freude und des<br />

Zornes zusammenwirken, wo der Rhythmus bald zu stolpern, bald wild vorwärts zu drängen sche<strong>in</strong>t,…, wo<br />

man lacht, tr<strong>in</strong>kt, schlägt, tötet, schändet und sich amüsiert – <strong>in</strong> dieser bacchantischen Umgebung stirbt<br />

Berlioz‘ alter ego <strong>Harold</strong>.<br />

4 Die Pilgerfahrt des Knappen <strong>Harold</strong>

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