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November 2011 - Deutsch-Polnische Gesellschaft der BRD eV

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Nr. 4/<strong>2011</strong> (98) - K 6045 - 3 EURO<br />

ZEITSCHRIFT FÜR DEUTSCH-POLNISCHE VERSTÄNDIGUNG<br />

Volldampf sieht an<strong>der</strong>s aus S. 3<br />

Prekarier aller Län<strong>der</strong> ... S. 5<br />

POLEN und wir 4/<strong>2011</strong><br />

1


EDITORIAL POLITIK<br />

Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

Polen hat gewählt. Und erstmals in <strong>der</strong><br />

Nachwende-Geschichte wurde eine Regierung<br />

bestätigt. Donald Tusk bleibt Ministerpräsident.<br />

Aber es gibt eine neue Partei. Der<br />

aus <strong>der</strong> PO ausgetretene „reichste Sejm-Abgeordnete“<br />

und Unternehmer Janusz Marian<br />

Palikot hat für seine Parteineugründung<br />

über 10 Prozent erreicht. Unser Warschauer<br />

Redaktionsmitglied Holger Politt hat für uns<br />

das Wahlergebnis analysiert.<br />

Einen beson<strong>der</strong>en Schwerpunkt haben<br />

wir <strong>der</strong> Ausstellung „Tür an Tür - Polen–<br />

<strong>Deutsch</strong>land - 1000 Jahre Kunst und Geschichte“<br />

gewidmet, die noch bis zum 9.<br />

Januar im Berliner Martin-Gropius-Bau zu<br />

sehen ist.<br />

In dieser Ausgabe müssen wir auch einiger<br />

Freunde gedenken, die nicht mehr unter<br />

uns weilen. Kurz vor Drucklegung des vergangenen<br />

Heftes kam die Nachricht über<br />

den Tod unseres Beiratsmitglieds Franz<br />

von Hammerstein. Christoph Koch, Vorsitzen<strong>der</strong><br />

unserer <strong>Gesellschaft</strong>, hat nun einen<br />

ausführlichen Nachruf verfasst. Ebenfalls<br />

verlassen hat uns <strong>der</strong> Präsident des Internationalen<br />

Auschwitz Komitees, Noach Flug.<br />

Er überlebte das Ghetto in Łódź und das KZ<br />

Auschwitz, doch in den 50er Jahren verließ<br />

er Polen, vermied aber bis zuletzt, die Ursachen<br />

deutlich zu benennen.<br />

Nach Fertigstellung dieser Ausgabe kam<br />

nun noch die Mitteilung, dass unser Kassenprüfer,<br />

Willi Sauerzapf, Anfang Oktober<br />

verstorben ist. Wir gedenken seiner in Dankbarkeit.<br />

Ihr Karl Forster<br />

Wir suchen dringend:<br />

Webdesigner/in<br />

zur Neueinrichtung <strong>der</strong> Webseite <strong>der</strong><br />

<strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land und <strong>der</strong><br />

Zeitschrift POLEN und wir.<br />

Wir wollen endlich eine Seite mit Terminkalen<strong>der</strong>,<br />

Newsletter, Linkliste und<br />

einem ordentlichen Archiv aller Zeitschriftenbeiträge,<br />

aber auch einem<br />

CMS für kurze redaktionelle Beiträge.<br />

Wordpress o<strong>der</strong> Jomla vorhanden,<br />

aber nicht eingerichtet.<br />

Wer kann uns helfen?<br />

Wenn Sie selbst nicht <strong>der</strong>jenige/diejenige<br />

sind, vielleicht kennen Sie jemanden,<br />

<strong>der</strong> einem gemeinnützigen<br />

Verein - deshalb lei<strong>der</strong> ohne Bezahlung<br />

- helfen kann.<br />

Kontakt über die Redaktion:<br />

Karl Forster, Tel. 030/89370650 o<strong>der</strong><br />

Mail: redaktion.puw@polen-news.de<br />

Unser Titel<br />

Unser Titelbild zeigt eine Installation aus Leinwand,<br />

Holz, Hafer und Neonröhren, 1987 von<br />

Mirosław Bałka geschaffen (300x300cm) mit<br />

dem Titel „Sw. Wojciech“ (Hl. Adalbert). Die Installation<br />

ist in <strong>der</strong> Ausstellung „Tür an Tür“ (siehe<br />

Bericht auf Seite 13) zu sehen.<br />

Der hl. Wojciech (hl. Adalbert von Prag), ein<br />

tschechischer Geistlicher, starb als Märtyrer<br />

während einer Bekehrungsmission von Heiden<br />

in den nordöstlichen Grenzgebieten Polens. Seine<br />

Mission und sein Tod waren von Bedeutung<br />

für die Bildung des polnischen Staates und die<br />

Beziehungen zwischen den polnischen und deutschen<br />

Herrschern – Bolesław I. <strong>der</strong> Tapfere und<br />

Otto III.<br />

Foto: Piotr Tomczyk<br />

© Muzeum Sztuki w Łodzi, Lodz<br />

Wichtige Adressen:<br />

Geschäftsführung <strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> e.V.:<br />

Manfred Feustel, Im Freihof 3, 46569 Hünxe, T: 02858/ 7137, Fax: 02858/ 7945<br />

Unsere <strong>Gesellschaft</strong> im Internet:<br />

www.polen-news.de - e-Mail: dpg-brd@polen-news.de<br />

Redaktion POLEN und wir: Karl Forster,<br />

neue Anschrift: Neue Grottkauer Str. 38, 12619 Berlin<br />

Telefon: 030/89370650 (Anrufbeantworter), e-Mail: redaktion.puw@polen-news.de<br />

<strong>Gesellschaft</strong> für gute Nachbarschaft zu Polen:<br />

c/o Klaus-Ulrich Göttner, Moldaustr. 21, 10319 Berlin,<br />

Fax: 01212-5-305-70-560, e-mail: vorstand@guteNachbarn.de<br />

<strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> Bielefeld e.V.:<br />

Theodor-Hürth-Str. 1, 33604 Bielefeld, Tel.: 0521-2705205,<br />

E-Mail: info@dpg-bielefeld.de, www.dpg-bielefeld.de<br />

DEUTSCH-POLNISCHE GESELLSCHAFT DER<br />

BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND E.V.<br />

1. Vorsitzen<strong>der</strong>: Prof. Dr. Christoph Koch,<br />

Sprachwissenschaftler, Berlin<br />

Stellv. Vorsitzen<strong>der</strong>: Dr. Friedrich Leidinger,<br />

Psychiater, Hürth<br />

Vorstand: Henryk Dechnik, Lehrer, Düsseldorf<br />

- Manfred Feustel, Steuerberater, Hünxe - Karl<br />

Forster, Journalist, Berlin - Dr. Klaus-Ulrich<br />

Goettner, Berlin - Dr. Egon Knapp, Arzt, Schwetzingen<br />

- Dr. Holger Politt, <strong>Gesellschaft</strong>swissenschaftler,<br />

Warschau - Wulf Schade, Slawist,<br />

Bochum<br />

Beirat: Armin Clauss - Horst Eisel - Prof. Dr. sc.<br />

Heinrich Fink - Prof. Dr. Gerhard Fischer - Dr.<br />

Franz von Hammerstein † - Christoph Heubner<br />

- Witold Kaminski - Dr. Piotr Łysakowski - Hans-<br />

Richard Nevermann - Eckart Spoo.<br />

Anschrift: <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land e.V., c/o Manfred<br />

Feustel, Im Freihof 3, 46569 Hünxe Tel.:<br />

02858/7137, Fax: 02858/7945<br />

IMPRESSUM:<br />

Zeitschrift für deutsch-polnische Verständigung<br />

ISSN 0930-4584 - K 6045<br />

Heft 4/<strong>2011</strong>, 28. Jahrgang (Nr. 98)<br />

Verlag u. Herausgeber: <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land<br />

e.V. in Zusammenarbeit mit <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong> Bielefeld e.V.<br />

Redaktion: Karl Forster (verantwortl.), Wulf<br />

Schade, Dr. Friedrich Leidinger, Dr. Holger Politt,<br />

Redaktionsbüro: POLEN und wir<br />

Karl Forster, Neue Grottkauer Str. 38,<br />

12619 Berlin, Tel.: 030 89370650<br />

e-mail: redaktion.puw@polen-news.de<br />

Layout: Kontaktpress Karl Forster<br />

Druck: Saxoprint Dresden<br />

Aboverwaltung: Manfred Feustel, Im Freihof 3,<br />

46569 Hünxe, Fax: 02858/7945<br />

Bezugspreis: Einzelheft 3,00 €, Jahres-Abonnement<br />

12 €. Inkl. Versand, Ausland: 10,00 €<br />

zuzgl. Versandkosten, Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>-<br />

<strong>Polnische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

<strong>Deutsch</strong>land e.V. und <strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> Bielefeld e.V. erhalten POLEN und<br />

wir im Rahmen ihrer Mitgliedschaft.<br />

Kontoverbindung: Konto 342 56-430<br />

Postbank Essen, BLZ 360 100 43<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge stimmen<br />

nicht immer mit <strong>der</strong> Meinung <strong>der</strong> Redaktion<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Herausgeberin überein. Für unverlangt<br />

eingesandte Manuskripte o<strong>der</strong> Fotos wird keine<br />

Haftung übernommen.<br />

Erscheinungstermin: 1. <strong>November</strong> <strong>2011</strong><br />

Erscheinungstag <strong>der</strong> nächsten Ausgabe:<br />

Montag, 1. Januar 2012<br />

Redaktionsschluss:15. <strong>November</strong> <strong>2011</strong><br />

Nach den Parlamentswahlen<br />

Volldampf sieht an<strong>der</strong>s aus<br />

Polens neue Regierung vor schwierigen Zeiten<br />

Von Holger Politt<br />

Im Januar 2010 erklärte Ministerpräsident Donald Tusk, er verzichte auf einen<br />

Start bei den Präsidentschaftswahlen, wolle sich auf sein Amt konzentrieren und<br />

ab Herbst <strong>2011</strong> erneut einer Regierung vorstehen. Das war vor Smolensk und unter<br />

dem Eindruck langanhalten<strong>der</strong> stabiler und günstiger Umfragewerte für die<br />

Regierungspartei PO. Jetzt ist er am Ziel seiner Wünsche, denn er ist überhaupt<br />

<strong>der</strong> erste Ministerpräsident im Nachwende-Polen, <strong>der</strong> nach Parlamentswahlen seine<br />

Aufgabe fortsetzen darf.<br />

Viele Beobachter meinen allerdings, dieser<br />

Sieg hänge vor allem mit den Konkurrenten<br />

zusammen, die nicht in <strong>der</strong> Lage gewesen<br />

seien, die Tusk-Regierung bei unverkennbaren<br />

Schwächen zu packen. Dieser Vorwurf<br />

zielt in erster Linie auf die Nationalkonservativen<br />

(PiS) und auf die Linksdemokraten<br />

(SLD), die im alten Sejm entscheidend die<br />

Oppositionsrolle spielten. Fangen wir deshalb<br />

mit diesen beiden Gruppierungen an.<br />

Die Nationalkonservativen hatten frühzeitig<br />

entschieden, wie<strong>der</strong>um Jarosław<br />

Kaczyński als Spitzenmann ins Rennen zu<br />

schicken. Wie bereits bei den vorgezogenen<br />

Präsidentschaftswahlen im Juni 2010<br />

kann <strong>der</strong> PiS-Vorsitzende auch dieses Mal<br />

für sich geltend machen, insgesamt die<br />

bessere, weil angriffslustigere Kampagne<br />

geführt zu haben. Das wird ihm eigentlich<br />

von allen Seiten bescheinigt.<br />

K.O. statt Kopf an Kopf<br />

Infolge <strong>der</strong> offensiven Kampagne sprachen<br />

Medien kurz vor dem Wahlgang gar von einem<br />

Kopf-an-Kopf-Rennen. Doch am Wahlabend<br />

erfolgte die Ernüchterung, denn die<br />

Konkurrenten <strong>der</strong> PO erhielten wie 2007<br />

wie<strong>der</strong>um fast 10 Prozent mehr Stimmen,<br />

weshalb an<strong>der</strong>ntags häufig <strong>der</strong> Boxsport<br />

zur Hilfe genommen wurde – des K.O.-<br />

Schlags wegen.<br />

Doch den gab es gar nicht, denn PiS hat<br />

verlässlich wie<strong>der</strong> das erstritten, was an<br />

politischem Rückhalt seit nunmehr sieben<br />

Jahren auf <strong>der</strong> Habenseite steht. Dass<br />

Jarosław Kaczyński mit mehr gerechnet<br />

hat, steht auf einem an<strong>der</strong>en Blatt. Denn<br />

tatsächlich ist es <strong>der</strong> Partei in den zurückliegenden<br />

vier Jahren nur schwerlich<br />

gelungen, an neue Wählerschichten heranzukommen.<br />

Zwar gab es maßvolle Fortschritte<br />

bei den Jungwählern, doch insge-<br />

samt – so scheint es – sind die Fronten<br />

zwischen PiS und <strong>der</strong> PO festgefahren.<br />

Von großen Wechselbewegungen zugunsten<br />

<strong>der</strong> Nationalkonservativen kann hier<br />

seit langem nicht die Rede sein. Dennoch<br />

meinte Kaczyński am Wahlabend, auch in<br />

Warschau werde spätestens in vier Jahren<br />

Budapest sein. Politisch nämlich – mit einer<br />

absoluten Mehrheit <strong>der</strong> Nationalkonservativen.<br />

Indem er so sprach, machte er<br />

zugleich seinen Führungsanspruch für die<br />

nächsten vier Jahre geltend.<br />

Den konnte SLD-Chef Grzegorz Napieralski<br />

nach den Wahlen nun in keinem Falle<br />

aufrechterhalten. Die Gruppierung fuhr<br />

überhaupt das schlechteste Ergebnis seit<br />

Bestehen ein. Viele sprachen von einer<br />

Katastrophe, manche – wie Ex-Präsident<br />

Aleksan<strong>der</strong> Kwaśniewski – gar von <strong>der</strong><br />

Gefahr eines völligen Untergangs für die<br />

Partei.<br />

Existenzkrise<br />

Das einst so stolze sozialdemokratische<br />

Flaggschiff <strong>der</strong> polnischen Politik ist jedenfalls<br />

in eine schwere Existenzkrise geraten.<br />

Sie wird im Sejm nun eine Randexistenz zu<br />

erdulden haben, denn eine tonangebende<br />

Rolle steht ihr im parlamentarischen Spiel<br />

nicht mehr zu. Napieralski und dessen<br />

Mannschaft haben an<strong>der</strong>s gerechnet; Ein<br />

möglichst hohes zweistelliges Ergebnis<br />

und somit Mehrheitsbeschaffer für die PO.<br />

Eine Rückkehr auf die Regierungssitze sollte<br />

es werden nach den vielen Jahren eher<br />

magerer Opposition.<br />

Hinzu kommt eine zweite Seite, die kurz angesprochen<br />

gehört. Offensichtlich hat die<br />

Partei Schwierigkeiten, sich in einer neuen<br />

Wirklichkeit zurechtzufinden, in <strong>der</strong> die Bezugspunkte<br />

zur Periode <strong>der</strong> Volksrepublik<br />

immer schwächer werden und kaum noch<br />

auf Wahlentscheidungen durchdringen.<br />

Das Stimmenpotential von Menschen, die<br />

sich biographisch bewusst mit dieser Ver-<br />

2 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 3<br />

Stimmenanteil<br />

<strong>2011</strong> in %<br />

S t i m m e n<br />

<strong>2011</strong><br />

Stimmenanteil<br />

2007<br />

in %<br />

Wahlsieger Donald Tusk, hier bei seinem Besuch<br />

im <strong>Deutsch</strong>en Bundestag.<br />

Foto: Bundestag/Lichtblick/Achim Melde<br />

Stimmen 2007 Sitze <strong>2011</strong> Sitze 2007<br />

PO 39,18 5.629.773 41,51 6.701.010 207 209<br />

PiS 29,89 4.295.016 32,11 5.183.477 157 166<br />

Palikot 10,02 1.439.490 -- -- 40 --<br />

PSL 8,36 1.201.628 8,91 1.437.638 28 31<br />

SLD 8,24 1.184.303 13,51 (LiD) 2.122.981(LiD) 27 53 (LiD)<br />

PO = Platforma Obywatelska (Bürgerplattform, konservativ-liberal); PiS = Prawo i Sprawiedliwość<br />

(Recht und Gerechtigkeit, national-konservativ); Palikot = Ruch Palikota (Palikot-Bewegung, linksliberal);<br />

PSL = Polskie Stronnictwo Ludowe (<strong>Polnische</strong> Bauernparei, gemäßigt konservativ); SLD = Sojusz<br />

Lewicy Demokratycznej (Bund <strong>der</strong> demokratischen Linken, War im letzten Sejm über das Wahlbündnis<br />

Linke und Demokraten LiD vertreten). (Anm. d. Red.)


POLITIK POLITIK<br />

gangenheit auseinan<strong>der</strong>setzen und gerade<br />

deshalb immer die Linksdemokraten gewählt<br />

hatten, ist allmählich aufgebraucht.<br />

Ein kleines Indiz dafür mag am Wahlabend<br />

die Anwesenheit Jerzy Urbans bei <strong>der</strong> politischen<br />

Konkurrenz gewesen sein, denn<br />

<strong>der</strong> legendäre Zeitungsmacher machte Janusz<br />

Palikot seine Aufwartung. Zu Beginn<br />

<strong>der</strong> 1990er Jahre steckte er allen an<strong>der</strong>en<br />

noch mutig die Zunge von den Wahlpartys<br />

<strong>der</strong> SLD heraus.<br />

Palikot<br />

Palikot ist überhaupt die große Überraschung<br />

<strong>der</strong> Wahl. Noch zu Beginn des Sommers<br />

hätte kein Beobachter auch nur einen<br />

Blumentopf auf ihn gesetzt. Der einstige<br />

PO-Abgeordnete, <strong>der</strong> im Dezember 2010<br />

Partei und Sejm verließ, schien den politische<br />

Mund zu voll genommen zu haben.<br />

Doch bei den Wahlen ist es nur <strong>der</strong> von<br />

ihm angeführten Liste gelungen, <strong>der</strong> schier<br />

übermächtigen PO Stimmen abspenstig<br />

zu machen. 650.000 Wähler, die vor vier<br />

Jahren ihr Kreuz noch bei <strong>der</strong> siegreichen<br />

Tusk-Partei machten, gaben ihm und seinen<br />

Leuten die Stimme. Die halbe Miete<br />

des glänzenden Erfolgs.<br />

In ersten Stellungnahmen bezeichnet er<br />

die Partei als eine linksliberale Kraft, die<br />

für die Einhaltung <strong>der</strong> Verfassung insbeson<strong>der</strong>e<br />

im Verhältnis Staat-Kirche eintrete,<br />

die das öffentliche Leben insgesamt<br />

liberalisieren wolle. Seine Abgeordneten<br />

sind eine kunterbunt zusammengesetzte<br />

Truppe, <strong>der</strong>en auffallend gemeinsames<br />

Merkmals allerdings ist, dass, den Chef<br />

ausgeklammert, niemand parlamentarische<br />

Erfahrung besitzt.<br />

Verteidigung <strong>der</strong> Mehrheit<br />

Bleiben noch die alten und neuen Regierungskoalitionäre<br />

– die große PO und die<br />

kleinere Bauernpartei PSL. Das Hauptziel,<br />

die Verteidigung <strong>der</strong> Regierungsmehrheit,<br />

wurde erreicht. Zwar verlieren sie zusammengerechnet<br />

fünf Sitze, doch die Mehrheit<br />

gilt weiter als komfortabel. Und <strong>der</strong><br />

kleine Koalitionspartner ist für den großen<br />

auch strategisch von Bedeutung. Wer auf<br />

dem Lande PSL wählt, zeigt Kaczyńskis PiS<br />

– die dort viel stärker als die PO ist – eben<br />

die kalte Schulter.<br />

Und die PO hat dennoch verloren – an<br />

Stimmenzahl nämlich und über eine Million,<br />

davon deutlich mehr als die Hälfte an<br />

die Palikot-Liste. Doch sie verbleibt, was<br />

Stimmenanteil, Abstand zur Konkurrenz<br />

„Kommt mit uns, wir siegen“,warb PiS auf ihren Plakaten. Polens Kämpfer für konservative Werte,<br />

Jarosław Kaczyński, umwarb im Wahlkampf beson<strong>der</strong>s die Jugend. So traute er sich sogar in die Unterwelt<br />

<strong>der</strong> Warschauer Clubszene. Hier stellte er sich unter Disco-Scheinwerfern den Fragen junger<br />

Männer und Frauen. Im Club Hybrydy, so vermeldet die renommierte Wochenzeitung DIE ZEIT, „beginnt<br />

<strong>der</strong> 62-Jährige unvermittelt einen kurzen Flirt mit einer jungen Dame, die seine Tochter o<strong>der</strong> Enkeltochter<br />

sein könnte. Den Augenaufschlag <strong>der</strong> 23-jährigen Sylwia Ługowska beantwortet Kaczyński<br />

mit einem Handkuss und einem schelmischen Lächeln“. Ługowska und ihre Mitstreiterinnen stammen<br />

aus dem Nachwuchs <strong>der</strong> Kaczyński-Partei und wurden in den Medien schnell „Engel“ getauft. kfo<br />

und Anzahl <strong>der</strong> Sitze anbelangt, auf dem<br />

sehr hohen Niveau von 2007. Zwar konnten<br />

1997 die SLD und 2007 PiS als Regierungsparteien<br />

Stimmen dazu gewinnen und<br />

den Stimmenanteil erhöhen, doch wurden<br />

sie beide vom jeweiligen Wahlsieger überflügelt<br />

und mussten die Regierungsmacht<br />

abgeben. Tusk hat es geschafft, die nationalkonservative<br />

Konkurrenz im Schach zu<br />

halten, kann auch die zahlenmäßig herben<br />

Verluste an Palikot gut verschmerzen, da<br />

die an<strong>der</strong>en wegen <strong>der</strong> geringeren Wahlbeteiligung,<br />

heuer 48,9 Prozent gegenüber<br />

53,9 Prozent vor vier Jahren, viele Stimmen<br />

an das gewaltige Lager <strong>der</strong> Nichtwähler<br />

verloren. Für seine zweite Amtszeit kündigte<br />

er an, dass nun in Ruhe diejenigen<br />

Dinge, die durch seine Regierung erfolgreich<br />

angeschoben worden seien, zu Ende<br />

gebracht werden könnten. In seiner Kampagne<br />

war viel vom „Bauen“ zu hören. Jetzt<br />

verwies er darauf, nun ganze drei Jahre von<br />

weiteren Wahlschlachten mit Kaczyński<br />

verschont zu bleiben. Ein dezenter Hinweis<br />

darauf, wie schwer ihm <strong>der</strong> diesjährige<br />

Wahlkampf gefallen ist. Und er warnte vor<br />

übertriebenen Hoffnungen, denn das Land<br />

müsse vor allem sehen, wie es die Klippen<br />

<strong>der</strong> weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise<br />

neuerlich umschiffe. <br />

Der Zug <strong>der</strong> 1000 nach Birkenau<br />

Schon zweimal fanden von Belgien ausgehend erfolgreiche Internationale Jugendtreffen<br />

in KZ-Gedenkstätten statt. 1995 fuhren 1000 belgische Jugendliche in Zusammenarbeit<br />

<strong>der</strong> Stadt Namur und <strong>der</strong> Auschwitz-Stiftung nach Polen und 2008 kamen<br />

auf Einladung des Instituts des Vétérans und <strong>der</strong> FIR in <strong>der</strong> Gedenkstätte Buchenwald<br />

über 1000 europäische Jugendliche aus 22 Nationen zusammen.<br />

Nun planen die Auschwitz-Stiftung, die FIR (Internationale För<strong>der</strong>ation <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>standskämpfer)<br />

und das Institut des Vétérans für Mai 2012 einen gemeinsamen „Zug<br />

<strong>der</strong> 1000“ von Brüssel nach Auschwitz mit Zusteigemöglichkeit in an<strong>der</strong>en europäischen<br />

Län<strong>der</strong>n. In dem Zug werden auch Überlebende <strong>der</strong> Lager und an<strong>der</strong>e Veteranen<br />

des antifaschistischen Kampfes mitfahren, um im direkten Kontakt mit den<br />

Jugendlichen Auskunft geben zu können.<br />

Am Sonntag, den 5. Mai 2012 werden gut 700 belgische Jugendliche und knapp 200<br />

Jugendliche aus an<strong>der</strong>en europäischen Län<strong>der</strong>n von Brüssel mit dem Zug nach Polen<br />

starten. Zudem werden gut 100 Jugendliche erwartet, die aus an<strong>der</strong>en Regionen direkt<br />

nach Polen zu diesem Treffen anreisen. In Polen wird es ein intensives Programm<br />

mit Führungen durch die Gedenkstätte, Gespräche mit Zeitzeugen, Gedenkveranstaltungen,<br />

Begegnungen zwischen den Jugendlichen und Eindrücke vom heutigen Polen<br />

geben.<br />

Wäsche trocknen im Hinterhof. Aufgenommen in Darlewo an <strong>der</strong> Ostseeküste. Foto: CFalk/pixelio<br />

Polityka auf <strong>Deutsch</strong>:<br />

Prekarier aller Län<strong>der</strong> ...<br />

Von Wawrzyniec Smoczynski<br />

Serielle Praktikanten, Zeitarbeitnehmer, junge Arbeitslose. In Europa wächst<br />

eine neue soziale Klasse ohne Perspektiven auf Wohlstand und Aufstieg. Auch in<br />

Polen gibt es sie, und sie hat schon einen eigenen Namen: Prekariat.<br />

In Polen ist die erste satte Generation herangewachsen.<br />

Wie aus dem Regierungsbericht<br />

„Młodzi <strong>2011</strong>“ [Jugend <strong>2011</strong>] hervorgeht,<br />

werden die Polen zwischen dem<br />

15. und 34. Lebensjahr ihren Altersgenossen<br />

in Westeuropa immer ähnlicher: Sie<br />

sind offene Hedonisten und leidenschaftliche<br />

Konsumenten von Gütern, sie haben<br />

ein lockeres Verhältnis zur Institution<br />

<strong>der</strong> Ehe, leben ihren Individualismus aus,<br />

möchten aber auch nützlich für die Allgemeinheit<br />

sein. Beziehungen zu Menschen<br />

sind ihnen ebenso wichtig wie ein hoher<br />

Lebensstandard. Sie haben große Ambitionen:<br />

Sie möchten viel Geld, eine gute<br />

Ausbildung und ein hohes Sozialprestige<br />

haben, aber auch eine interessante Arbeit,<br />

wertvolle Freundschaften, ein buntes Leben<br />

und nach einiger Zeit auch eine wohlgeratene<br />

Familie. Schon jetzt schöpfen sie<br />

das Leben aus dem Vollen, erwarten von<br />

ihm aber noch erheblich mehr.<br />

Arbeit halten sie für einen Stützpfeiler des<br />

künftigen Wohlstands und Glücks, doch<br />

es fällt ihnen zunehmend schwer, eine<br />

Beschäftigung und finden und eine gute<br />

Stelle zu bekommen. Junge Polen zwischen<br />

dem 18. und 34. Lebensjahr stellen die<br />

Hälfte <strong>der</strong> registrierten Arbeitslosen, und<br />

die Jugendarbeitslosigkeit ist doppelt so<br />

hoch wie <strong>der</strong> Durchschnitt. Die Hälfte <strong>der</strong><br />

Beschäftigten unter ihnen arbeitet nicht im<br />

erlernten Beruf, und ein Hochschulstudium<br />

ist kein Garant mehr für eine gute soziale<br />

Stellung. 62 Prozent <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

jobbt mit Zeitverträgen, Berufsanfänger<br />

steigen in den Arbeitsmarkt mit unbezahlten<br />

Praktika ein, die häufig Festanstellungen<br />

ähneln. Wie die Autorin des Berichts,<br />

Prof. Krystyna Szafraniec, schreibt, „sind<br />

die jungen Leute in <strong>der</strong> Falle temporärer<br />

Beschäftigungsformen gefangen“.<br />

Was dadurch droht, zeigt das Beispiel<br />

Westeuropas. Während junge Polen immer<br />

noch die Hoffnung auf Wohlstand und Aufstieg<br />

haben, geben ihre Altersgenossen in<br />

Frankreich, Spanien und Griechenland sie<br />

allmählich auf. Über den entwickelten Län-<br />

<strong>der</strong>n schwebt die Gefahr einer verlorenen<br />

Generation, <strong>der</strong> ersten seit dem Zweiten<br />

Weltkrieg, <strong>der</strong> er schlechter ergehen könnte<br />

als <strong>der</strong> vorangegangenen. Ein Vorbote<br />

<strong>der</strong> sozialen Krise sind die Unruhen mit<br />

Beteiligung von Jugendlichen, die seit einigen<br />

Jahren ausbrechen: brennende Pariser<br />

Vorstädte, Straßenschlachten im Zentrum<br />

von Athen, Massendemonstrationen in<br />

Madrid und jüngst die Ausschreitungen in<br />

London. Warschau drohen solche Szenen<br />

noch nicht, aber Polen biegt in dieselbe<br />

Sackgasse ein.<br />

Unsicher über die Zukunft<br />

Die Jungen sind die größten Opfer <strong>der</strong><br />

Wirtschaftskrise. Arbeitslos sind heute<br />

20,4 Prozent <strong>der</strong> Europäer zwischen 15 und<br />

24 Jahren, die gerne eine Anstellung finden<br />

möchten, ein Drittel mehr als 2008. Über<br />

fünf Millionen junge Leute finden gar nicht<br />

erst einen Einstieg in den Arbeitsmarkt,<br />

und die Arbeitslosigkeit in dieser Gruppe<br />

hält sich auf einem Rekordniveau, trotz <strong>der</strong><br />

schon zwei Jahre andauernden wirtschaftlichen<br />

Belebung. Der EU-Durchschnitt ist<br />

ohnehin zu optimistisch, verstellt er doch<br />

den Blick auf die extremen Indikatoren einzelner<br />

Län<strong>der</strong>: In Spanien sind 42 Prozent<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen arbeitslos, in den baltischen<br />

Län<strong>der</strong>n, Griechenland und <strong>der</strong> Slowakei<br />

über 30 Prozent, in Polen, Ungarn,<br />

Italien und Schweden über 20.<br />

Wenn Jugendliche eine Arbeit finden, ist<br />

4 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 5


POLITIK POLITIK<br />

sie immer öfter temporär. Hierbei stehen<br />

Slowenien und Polen an <strong>der</strong> Spitze, wo über<br />

60 Prozent <strong>der</strong> beschäftigten unter 25-Jährigen<br />

mit Zeitverträgen arbeiten. Nicht viel<br />

besser ist es in Frankreich, <strong>Deutsch</strong>land,<br />

Schweden, Spanien und Portugal, wo dieser<br />

Prozentsatz über 50 liegt. Zeitarbeit ist<br />

zu Beginn einer beruflichen Karriere verständlich,<br />

aber diese Beschäftigungsform<br />

wird zur Norm für Jugendliche, unabhängig<br />

von <strong>der</strong> Beschäftigungsdauer. Nach Ablauf<br />

eines Vertrags bietet <strong>der</strong> Arbeitgeber den<br />

nächsten an und zwingt geradezu dazu, im<br />

Austausch gegen nebelhafte Versprechungen<br />

einer Festanstellung ein niedriges Gehalt<br />

zu akzeptieren. So verlängern sich die<br />

Probezeiten und Praktika, die eine Form<br />

unentgeltlicher Arbeit sind.<br />

Die Absenkung <strong>der</strong> Gehälter von Jugendlichen<br />

ist weit verbreitet in Spanien,<br />

Frankreich und Portugal. Die in Spanien<br />

arbeitenden 16-19-Jährigen erhalten 45,5<br />

Prozent des Gehalts von Erwachsenen,<br />

die 20-24-Jährigen 60,7 Prozent. Das Ergebnis<br />

<strong>der</strong> Niedriglöhne ist <strong>der</strong> steigende<br />

Prozentsatz <strong>der</strong> arbeitenden Armen, die<br />

trotz Beschäftigung nicht imstande sind,<br />

den eigenen Unterhalt zu bestreiten. Am<br />

höchsten ist er in Rumänien (17,9 %) und<br />

Griechenland (13,8 %), gefolgt von Spanien<br />

(11,4 %), Lettland (11,1 %) und Polen (11<br />

%). Überall wächst <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> zeitweise<br />

o<strong>der</strong> nicht Vollzeit-Beschäftigten. 27,6<br />

Prozent <strong>der</strong> jungen Europäer arbeiten nicht<br />

Vollzeit, weil sie keine ganze Stelle finden<br />

konnten.<br />

Diese heterogene Gruppe von Menschen<br />

verbindet die Unsicherheit darüber, was<br />

die Zukunft bringen wird, wodurch jedwede<br />

Planung unmöglich gemacht wird, und<br />

eine so miserable Entlohnung, dass sie<br />

sich ein menschenwürdiges Leben nicht<br />

leisten können. Precarius bedeutet auf<br />

Latein, „auf Bitten o<strong>der</strong> Gnade angewiesen“<br />

zu sein, und ein Prekarier ist in <strong>der</strong><br />

heutigen Soziologie ein Mensch in <strong>der</strong><br />

Schwebe zwischen Wohlstand und Armut,<br />

<strong>der</strong> keine materielle Absicherung hat und<br />

ständig von sozialem Abstieg bedroht ist.<br />

„Vor unseren Augen entsteht eine neue<br />

globale soziale Klasse“, sagt Guy Standing,<br />

Professor für wirtschaftliche Sicherheit an<br />

<strong>der</strong> Universität Bath und Autor des Buches<br />

„The Precariat“.<br />

Vor fünf Jahren gab die deutsche Linke<br />

[i.e. die Friedrich-Ebert-Stiftung, Anm.<br />

d. Red.] eine demographische Untersuchung<br />

in Auftrag, die dabei helfen sollte,<br />

ihre Wählerschaft zu erfassen. „Die alten<br />

Unterteilungen in Klassen und Schichten<br />

beschreiben die Wirklichkeit nicht mehr<br />

präzise, also begannen wir, die Befragten<br />

nach den Werten, zu denen sie sich bekennen,<br />

und ihren Lebenseinstellungen zu<br />

gruppieren,“ sagt Rita Müller-Hilmer von<br />

TNS Infratest in Berlin. Resultat <strong>der</strong> Studie<br />

war ein Bericht, dessen Ergebnisse auf die<br />

Titelseiten <strong>der</strong> Zeitungen gelangten: Die<br />

Forscher entdeckten eine breite Gruppe,<br />

die schon Arbeitslosigkeit erlebt hat, sich<br />

marginalisiert fühlt und Angst davor hat,<br />

weiter abzurutschen. Sie bezeichneten sie<br />

als abgehängtes Prekariat und schätzten<br />

sie auf 8 Prozent <strong>der</strong> <strong>Gesellschaft</strong>. Und das<br />

alles im reichsten Land Europas.<br />

In <strong>Deutsch</strong>land war gerade eine Debatte<br />

über die „neue Unterschicht“ im Gange,<br />

wie damals Personen genannt wurden, die<br />

Sozialleistungen ausnutzten und einen untätigen<br />

Lebensstil führten. Der Bericht bestätigte<br />

einerseits die Existenz einer neuen<br />

Gruppe, was die Linke lieber bestritt, an<strong>der</strong>erseits<br />

zeigte sie, dass diese für eine<br />

Unterschicht im Sinne eines Lumpenproletariats,<br />

auf das die Rechte sie reduzieren<br />

wollte, zu groß ist. Die Wissenschaftler<br />

wiesen nach, was Durchschnittsbürger<br />

schon selbst bemerkt hatten, nämlich dass<br />

Armut nicht mehr ausschließlich die untere<br />

Klasse betrifft und dass Arbeitslosigkeit<br />

die Mittelklasse unterhöhlt. 63 Prozent <strong>der</strong><br />

<strong>Deutsch</strong>en haben Angst vor permanenten<br />

Verän<strong>der</strong>ungen, und 61 Prozent sind <strong>der</strong><br />

Meinung, dass es keine soziale Mitte mehr<br />

gibt, son<strong>der</strong>n nur noch unten und oben übrig<br />

geblieben sind.<br />

Diese Diagnose wird von ökonomischen<br />

Untersuchungen zum Teil bestätigt. 2008<br />

gab das <strong>Deutsch</strong>e Institut für Wirtschaftsforschung<br />

erstmals bekannt, dass die<br />

Mittelschicht schrumpft: Innerhalb eines<br />

Jahrzehnts sei sie um 8 Prozent zusammengeschmolzen,<br />

wovon fast 7 Prozent<br />

in die Unterschicht abstiegen, während<br />

nicht ganz 2 Prozent in die Oberschicht<br />

aufstiegen. Die Mittelschicht macht noch<br />

immer mehr als die Hälfte <strong>der</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

aus, aber schon mehr als 25 Prozent <strong>der</strong><br />

Bürger befinden sich in <strong>der</strong> armutsgefährdeten<br />

Gruppe. „Früher stieg man in <strong>der</strong><br />

deutschen <strong>Gesellschaft</strong> immer nur auf.<br />

Selbst wenn es <strong>der</strong> aktuellen Generation<br />

schlechter ging, sollten es die Kin<strong>der</strong> besser<br />

haben“, sagt Müller-Hilmer. „Heute ist<br />

dieses Versprechen nicht mehr bindend,<br />

zumindest nicht in <strong>der</strong> Unterschicht.“<br />

Das Beispiel <strong>der</strong> Bundesrepublik ist symptomatisch<br />

für ganz Europa. Ludwig Erhard<br />

hatte den <strong>Deutsch</strong>en in den fünfziger Jahren<br />

„Wohlstand für alle“ und Vollbeschäf-<br />

tigung im Rahmen <strong>der</strong> sozialen Marktwirtschaft<br />

versprochen, die ökonomische<br />

Freiheit mit sozialer Gerechtigkeit miteinan<strong>der</strong><br />

verband. Und er hielt Wort: Mit<br />

dem Schmierstoff des Marshallplansund<br />

angetrieben vom Wie<strong>der</strong>aufbau nach dem<br />

Krieg erlebte <strong>Deutsch</strong>land ein Wirtschaftswun<strong>der</strong>.<br />

Auf das deutsche Wirtschaftswun<strong>der</strong><br />

folgten die französischen Les Trente<br />

Glorieuses, die glorreichen drei Jahrzehnte<br />

des Aufschwungs nach dem Krieg. In ganz<br />

Westeuropa erlebten die Volkswirtschaften<br />

eine zweite Industrialisierung, die ihnen 30<br />

Jahre ununterbrochenen Wachstums sicherten.<br />

Das größte Wun<strong>der</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit<br />

war die Entstehung <strong>der</strong> Mittelklasse. Innerhalb<br />

weniger Jahrzehnte wuchs eine breite<br />

soziale Gruppe heran, die zuerst die Fabriken<br />

mit Arbeitskräften versorgte und danach<br />

eine Armee von Konsumenten stellte,<br />

die massenhaft Autos, Waschmaschinen<br />

und Fernseher erwarb. Arbeit ermöglichte<br />

nicht nur, den eigenen Unterhalt zu bestreiten,<br />

son<strong>der</strong>n auch auf die Gesundheit<br />

zu achten, die Ausbildung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu<br />

bezahlen und für das Alter vorzusorgen.<br />

In Frankreich stieg <strong>der</strong> Durchschnittslohn<br />

zwischen 1945 und 1975 auf das Dreifache,<br />

erstmals nahmen in <strong>der</strong> Geschichte<br />

Europas die sozialen Ungleichheiten ab<br />

anstatt zu, man sprach sogar von einer<br />

„Moyenisierung“, also einer Mittelstandisierung<br />

<strong>der</strong> <strong>Gesellschaft</strong>.<br />

Doch die Mittelklasse war mehr als nur<br />

eine Gemeinschaft <strong>der</strong> Satten und mit sich<br />

Zufriedenen. Sie war ein sozialer Lift, <strong>der</strong><br />

neue Generationen von Unterschichten<br />

nach oben hievte. Die <strong>Gesellschaft</strong>en des<br />

industriellen Zeitalters waren ausgesprochen<br />

durchlässig, wer lernen wollte, hatte<br />

den Aufstieg schon in <strong>der</strong> Tasche. Für<br />

den Bedarf <strong>der</strong> Mittelklasse entstand <strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>ne Wohlfahrtsstaat, <strong>der</strong> nicht mehr<br />

nur Krankenund Rentenversicherungen,<br />

son<strong>der</strong>n ein ganzes Sortiment an Leistungen<br />

zum Chancenausgleich von schlechter<br />

Situierten. Dieser Erfolg <strong>der</strong> Mittelklasse<br />

sicherte Europa ein halbes Jahrhun<strong>der</strong>t an<br />

Stabilität, und es war die Aufgabe <strong>der</strong> Politiker,<br />

dafür zu sorgen, dass die Maschinerie<br />

<strong>der</strong> Vollbeschäftigung und des ununterbrochenen<br />

Wachstums nie ins Stottern geriet.<br />

Sie hatte schon einmal gehakt, 1973,<br />

als die Ölkrise die erste Nachkriegsrezession<br />

in <strong>der</strong> entwickelten Welt auslöste.<br />

Der Ausbruch von Massenarbeitslosigkeit<br />

und Stagflation führte zu einer Wende in<br />

<strong>der</strong> ökonomischen Theorie: Innerhalb eines<br />

Jahrzehnts wurde <strong>der</strong> keynesianische<br />

Glaube an den Staat von Friedmans Kult<br />

des Marktes abgelöst. Das Rezept für die<br />

Wie<strong>der</strong>belebung <strong>der</strong> Volkswirtschaften<br />

sollte in <strong>der</strong> Befreiung <strong>der</strong> Unternehmen<br />

von <strong>der</strong> Last übermäßiger Regulierung und<br />

Besteuerung bestehen, und zum neuen<br />

Ziel <strong>der</strong> Regierenden wurde die Jagd nach<br />

Wirtschaftswachstum. Die Liberalisierung<br />

<strong>der</strong> achtziger Jahre ebnete <strong>der</strong> Globalisierung<br />

<strong>der</strong> neunziger den Weg und diese<br />

wie<strong>der</strong>um <strong>der</strong> Prekarisierung, dem folgenschwersten<br />

sozialen Phänomen des vergangenen<br />

Jahrzehnts.<br />

Ein Wettlauf nach unten<br />

Als Polen vor 20 Jahren von einer Mittelklasse<br />

zu träumen begann, beendeten<br />

die Vereinigten Staaten und Großbritannien<br />

gerade die erste Runde <strong>der</strong> Demontage<br />

ihrer middle classes. Ronald Reagan<br />

und Margaret Thatcher hatten eine Epoche<br />

neoliberaler Reformen eingeleitet, die<br />

nicht nur den Staat privatisierten und die<br />

Wirtschaft liberalisierten, son<strong>der</strong>n auch<br />

die Natur <strong>der</strong> Beschäftigung verän<strong>der</strong>ten.<br />

Die entwickelten Län<strong>der</strong>n leiteten den<br />

Prozess <strong>der</strong> sogenannten Flexibilisierung<br />

des Arbeitsmarkts ein, das heißt des Abschieds<br />

von festen Stellen auf unbestimmte<br />

Zeit zugunsten temporärer Arbeit, Teilzeitarbeit,<br />

befristeter Arbeit und Schritt für<br />

Schritt hin zur Ich-AG. Und alles, um dem<br />

internationalen Wettbewerb <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

gewachsen zu sein.<br />

„Eine <strong>der</strong> Folgen <strong>der</strong> Globalisierung war<br />

eine Verdreifachung des Arbeitsangebots“,<br />

erläutert Prof. Standing. Der Untergang<br />

des Sozialismus in <strong>der</strong> ehemaligen UdSSR,<br />

vor allem aber Chinas und Indiens Übergang<br />

zum Kapitalismus führten dazu, dass<br />

die Weltwirtschaft innerhalb von 20 Jahren<br />

an<strong>der</strong>thalb Milliarden neue Arbeitskräfte<br />

gewann. Das senkte die globalen Arbeitskosten,<br />

vor allem aber setzte es eine<br />

massenhafte Abwan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Industrie<br />

aus den entwickelten Län<strong>der</strong>n in Gang:<br />

Erst wurden Bergwerke, dann Hütten und<br />

schließlich Fabriken gen Osten „outgesourced“.<br />

Und als ob das noch nicht genug gewesen<br />

wäre, brachen Wellen von Migranten,<br />

die bereit waren, für weniger Lohn zu<br />

arbeiten, in die entgegengesetzte Richtung<br />

auf. Um die Beschäftigung zu aufrechtzuerhalten,<br />

gaben Regierungen dem Druck von<br />

Arbeitgebern nach und begannen, das Risiko<br />

auf die Arbeitnehmer abzuwälzen.<br />

In den neunziger Jahren machte das<br />

noch niemandem Sorgen. Der Westen triumphierte<br />

gerade, die Mittelschichten beschäftigten<br />

die Immigranten gern für nied-<br />

rige Arbeiten und konsumierten die Güter,<br />

die in <strong>der</strong>en Heimatlän<strong>der</strong>n produziert worden<br />

waren. Die Regierungen glaubten, das<br />

postindustrielle Zeitalter werde noch größere<br />

prosperity bringen, weil es den entwickelten<br />

Volkswirtschaften ermöglicht, eine<br />

Zuflucht in den einträglichsten Sektoren,<br />

wie etwa den Finanzdienstleistungen zu suchen.<br />

In Wirklichkeit setzten die neoliberalen<br />

Reformen einen doppelten Wettbewerb<br />

nach unten in Gang: Die Lockerung <strong>der</strong><br />

Regeln für die Beschäftigung min<strong>der</strong>te die<br />

Qualität <strong>der</strong> neuen Arbeitsplätze, und die<br />

sinkenden Steuern begrenzten die Aufwendungen<br />

für die Sozialpolitik. So wurde <strong>der</strong><br />

Same <strong>der</strong> heutigen Ungleichheiten gesät.<br />

Auf den BIP-Diagrammen wurde die Leere,<br />

die die schwindende Industrie hinterlassen<br />

hatte, von Dienstleistungen gefüllt,<br />

doch auf dem Arbeitsmarkt war die Transformation<br />

weit davon entfernt, in Fluss<br />

zu sein. Auf <strong>der</strong> einen Seite wuchsen die<br />

Massen ehemaliger Arbeiter ohne Chancen<br />

auf eine Beschäftigung in <strong>der</strong> Serviceökonomie,<br />

auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en die Scharen <strong>der</strong><br />

Hochqualifizierten, die um die begrenzte<br />

Zahl fester Stellen wetteiferten o<strong>der</strong> sich<br />

mit einer Zeitarbeit zufrieden geben mussten.<br />

Erstere fielen aus <strong>der</strong> Mittelklasse heraus,<br />

letztere können nie in sie hineingelangen,<br />

während die, die noch darin sind, ins<br />

Prekariat abzurutschen fürchten. Der Weg<br />

nach unten ist leicht, <strong>der</strong> nach oben erheblich<br />

schwieriger: Hand in Hand mit <strong>der</strong> zunehmenden<br />

Ungleichheit <strong>der</strong> Einkommen<br />

ging die abnehmende Durchlässigkeit <strong>der</strong><br />

Klassen.<br />

Der Teufelspakt<br />

Über 20 Jahre gelang es den westlichen<br />

Regierungen, die Prekarisierung <strong>der</strong> Mittelklassen<br />

zu verschleiern. Die USA und<br />

Großbritannien stockten die Gehälter <strong>der</strong><br />

Geringstverdienenden mithilfe des Steuersystems<br />

auf. In Dänemark, <strong>Deutsch</strong>land<br />

und den Nie<strong>der</strong>landen wurde die Sozialpolitik<br />

von <strong>der</strong> Auszahlung von Leistungen<br />

auf Anreize zur Arbeit umgestellt, damit die<br />

Menschen nur ja aus den Arbeitslosenstatistiken<br />

verschwanden. In Frankreich, Italien<br />

und Spanien bezuschusst <strong>der</strong> Staat indirekt<br />

die Jungen über die Renten <strong>der</strong> Eltern,<br />

die für den Unterhalt arbeitsloser Kin<strong>der</strong><br />

aufkommen. „Die Regierungen <strong>der</strong> entwickelten<br />

Staaten sind einen Pakt mit dem<br />

Teufel eingegangen. Dieses System konnte<br />

nicht ewig funktionieren“, sagt Standing.<br />

Und es hat soeben zu funktionieren aufgehört.<br />

Die Finanzkrise hat die Gefahr von<br />

Staatspleiten über Europa gebracht, und<br />

die Regierungen können es sich ganz einfach<br />

nicht mehr leisten, das Prekariat weiter<br />

zu verstecken. Zugleich hat die Rezession<br />

2009 die Arbeitslosigkeit vergrößert<br />

und eine weitere Prekarisierungswelle<br />

ausgelöst. 97 Prozent <strong>der</strong> letztes Jahr in<br />

Großbritannien geschaffenen Stellen sind<br />

Zeitverträge. In <strong>Deutsch</strong>land basiert schon<br />

fast die Hälfte <strong>der</strong> neuen Arbeitsplätze auf<br />

befristeten Verträgen, und über sieben Millionen<br />

Menschen arbeiten bereits auf sogenannten<br />

Minijobs, für weniger als 400 Euro<br />

monatlich. In Portugal sind 300.000 Menschen<br />

in Teilzeit beschäftigt. In Frankreich<br />

leben 20 Prozent <strong>der</strong> Studenten unterhalb<br />

<strong>der</strong> Armutsgrenze.<br />

Laut Standing setzt sich das europäische<br />

Prekariat heute aus drei Gruppen<br />

zusammen. Die erste ist das Pendant zum<br />

industriellen Lumpenproletariat, eine gewaltbereite,<br />

oft kriminelle Min<strong>der</strong>heit, wie<br />

sie vor einigen Wochen auf den Straßen<br />

Londons tobte. Die zweite Gruppe sind gut<br />

ausgebildete junge Leute, die Arbeit haben<br />

sollten, aber keine Möglichkeiten für sich<br />

sehen, romantische Idealisten, die von einer<br />

besseren Welt träumen. „Die haben wir<br />

im Mai auf den Straßen Madrids gesehen“,<br />

sagt Standing. Doch die größte Gruppe ist<br />

die dritte: ältere körperlich Arbeitende, die<br />

mit ihren Stellen auch ihre materielle Sicherheit<br />

und ihren sozialen Status verloren<br />

haben, die sich heute marginalisiert fühlen<br />

und Fremden die Schuld daran geben.<br />

„Sie sind gefährlich für die bestehende<br />

Ordnung, weil sie zu einem Nährboden für<br />

extreme Parteien werden können“, warnt<br />

<strong>der</strong> Wirtschaftswissenschaftler. Wenn<br />

das Prekariat irgendeine Gefahr für Europa<br />

in sich birgt, dann nicht in Form von<br />

Ausschreitungen, obwohl es davon in den<br />

kommenden Jahren ohne Zweifel immer<br />

mehr geben wird, son<strong>der</strong>n eben <strong>der</strong> zunehmenden<br />

Unterstützung von Populisten, die<br />

gegen die Zuwan<strong>der</strong>ung und gegen Europa<br />

sind. Auf dem Rücken des alten Prekariats<br />

machen Marine Le Pen in Frankreich, Geert<br />

Wil<strong>der</strong>sin den Nie<strong>der</strong>landen, die Wahren<br />

Finnenin Finnland und die Schwedendemokratenin<br />

Schweden Karriere. Das junge<br />

Prekariat wird sich, wenn es sich mit <strong>der</strong><br />

Zeit politisiert, eher von <strong>der</strong> extremen Linken,<br />

neokommunistischen o<strong>der</strong> anarchistischen<br />

Bewegungen vereinnahmen lassen.<br />

Beides verheißt Europa kein friedliches<br />

Jahrzehnt. In Anbetracht <strong>der</strong> Hilflosigkeit<br />

<strong>der</strong> führenden Politiker gegenüber <strong>der</strong><br />

Wirtschaftskrise ist kaum zu erwarten,<br />

dass sie mit <strong>der</strong> aufkommenden sozialen<br />

6 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 7


POLITIK<br />

Krise besser fertig werden. Und hier wird<br />

es nicht mehr um nationale, son<strong>der</strong>n um<br />

Generationeninteressen gehen: Die Konflikte<br />

werden innerhalb <strong>der</strong> <strong>Gesellschaft</strong>en<br />

ausgetragen werden, zwischen Jung<br />

und Alt. Heute verteidigen die in die Jahre<br />

gekommenen politischen Eliten Europas<br />

hauptsächlich die Interessen <strong>der</strong> eigenen<br />

Generation, was die Frustration <strong>der</strong> jungen<br />

Arbeitslosen nur vertieft.<br />

Eine neue Linke?<br />

In Polen sind die Prekarisierungsprozesse<br />

ein Jahrzehnt später in Gang gekommen als<br />

in Westeuropa, aber sie werden unweigerlich<br />

ihre Ernte einfahren. Schlechter Ausgebildete<br />

werden prekäre Arbeitsverhältnisse<br />

in Telephonzentren, Einkaufszentren<br />

und Fastfoodrestaurants annehmen, und<br />

viele von ihnen werden noch schlechtere<br />

Jobs in <strong>der</strong> Emigration ausüben. Schwere<br />

Zeiten sind auch für die besser Ausgebildeten<br />

im Anzug: Der Regierungsbericht stellt<br />

unumwunden fest, dass <strong>der</strong> Arbeitsmarkt<br />

für Hochschulabsolventen mittlerweile gesättigt<br />

ist und die Qualifikationen <strong>der</strong> Übrigen<br />

den Erfor<strong>der</strong>nissen <strong>der</strong> Wirtschaft<br />

nicht entsprechen. Die jungen Polen sind<br />

nicht durch eine Kindheit in <strong>der</strong> Mittelklasse<br />

verwöhnt wie ihre Altersgenossen<br />

in Frankreich o<strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>land, aber <strong>der</strong><br />

Verzicht auf ihre Träume wird für sie ebenso<br />

schmerzlich sein.<br />

Die Prekarisierung <strong>der</strong> Senioren erfolgte<br />

durch die wirtschaftliche Transformation,<br />

und sie stellen heute die Wähler <strong>der</strong> Partei<br />

„Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), während<br />

das junge Prekariat noch keine eigene<br />

Vertretung hat. Der Bericht „Die Jungen<br />

<strong>2011</strong>“ zeigt die Sorge <strong>der</strong> Regierung um<br />

diese Altersgruppe, doch er geht <strong>der</strong> Prekarisierung<br />

nicht tiefer auf den Grund, und<br />

seine Empfehlungen gehen in die Richtung<br />

einer weiteren Flexibilisierung des Arbeitsmarkts.<br />

Demgegenüber kann man aus<br />

den Erfahrungen Westeuropas leicht den<br />

Schluss ziehen, dass gerade die Jungen,<br />

wenn es in Polen schließlich zur ersten<br />

Rezession kommt, <strong>der</strong>en zahlenstärksten<br />

Opfer sein werden.<br />

Die Autoren des Regierungsberichts<br />

möchten, dass die Jungen die Initiative von<br />

<strong>der</strong> Solidarnosc-Generation übernehmen.<br />

Heute führt das einzige wahrscheinliche<br />

Szenario einer <strong>der</strong>artigen Rochade üer<br />

eine Rezession, die Politisierung des jungen<br />

Prekariats und die Geburt einer neuen<br />

Linken. Nicht einer postkommunistischen<br />

o<strong>der</strong> sozialdemokratischen, son<strong>der</strong>n einer<br />

postindustriellen, aus <strong>der</strong> Erfahrung<br />

<strong>der</strong> <strong>Gesellschaft</strong>en von unten gewachsenen<br />

Linken. Je länger die Wirtschaftskrise<br />

dauert, desto dringen<strong>der</strong> braucht man<br />

eine neue Vision des Kapitalismus, und je<br />

tiefer die soziale Krise, desto größer wird<br />

die Sehnsucht nach einer neuen sozialen<br />

Ordnung und schließlich einer Politik, die<br />

fähig ist, beides miteinan<strong>der</strong> zu verbinden.<br />

Der Westen als Privatier<br />

Ehe es dazu kommt, werden die entwickelten<br />

Län<strong>der</strong> jedoch versuchen, um jeden<br />

Preis Verän<strong>der</strong>ungen zu vermeiden.<br />

Die europäischen Regierungen versuchen<br />

einan<strong>der</strong> gegenseitig mit Einsparungen<br />

zu überbieten, um wie<strong>der</strong> zu ausgeglichenen<br />

Haushalten zu kommen, doch dieser<br />

Wettlauf wird mit <strong>der</strong> Demontage <strong>der</strong> Sozialstaaten<br />

und dem Abdrängen weiterer<br />

Massen von Menschen ins Prekariat enden.<br />

Einige Staaten erhöhen die Steuern<br />

für die Reichsten, aber nicht etwa, um die<br />

Leistungen für die Armen zu erhöhen, son<strong>der</strong>n<br />

allein um sie weiter auf dem bisherigen,<br />

wenn nicht einem niedrigeren Niveau<br />

halten zu können. Wo sich die Konjunktur<br />

schon wie<strong>der</strong> abgeschwächt hat, wird als<br />

Methode zur Bekämpfung <strong>der</strong> Arbeitslosigkeit<br />

die Teilung von Arbeitsplätzen mit<br />

entsprechen<strong>der</strong> Gehaltskürzung erwogen.<br />

All das sind jedoch Lösungen im Rahmen<br />

des bestehenden Systems, das nicht<br />

nur soziale Sicherheit, son<strong>der</strong>n auch wirtschaftliches<br />

Wachstum nicht mehr garantieren<br />

kann. Noch in den neunziger Jahren<br />

wurden Visionen an die Wand gemalt, wonach<br />

neue Stellen im bürgerschaftlichen<br />

Sektor entstehen und soziale Dienstleistungen<br />

ebenso einträglich würden wie die<br />

Arbeit im staatlichen o<strong>der</strong> privaten Sektor.<br />

Dank des Produktivitätszuwachses sollten<br />

die Menschen für dasselbe Geld kürzer<br />

arbeiten. Die Wirklichkeit entpuppte sich<br />

als eine ganz an<strong>der</strong>e: Der bürgerschaftliche<br />

Sektor verdient nicht, <strong>der</strong> staatliche<br />

schrumpft und <strong>der</strong> private hat den übrigen<br />

die Logik des ungezügelten Marktes aufgezwungen.<br />

Laut Standing steuert die Welt<br />

auf eine große Transformation nach dem<br />

Muster <strong>der</strong>jenigen zu, die im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

die Marktwirtschaft und den Nationalstaat<br />

hervorgebracht hat. Der Schwund<br />

<strong>der</strong> Vollbeschäftigung in den entwickelten<br />

Län<strong>der</strong>n ist ein natürlicher Prozess, denn<br />

in einem globalen System können sie von<br />

den Zinsen des angehäuften Kapitals leben.<br />

Nach Ansicht des Wissenschaftlers ist<br />

ein Mittel, um die Explosion des Prekariats<br />

zu stoppen, diese Kapitalzinsen in Form eines<br />

Grundeinkommens auszuzahlen, einer<br />

niedrigen, ständigen Pension für alle Bürger,<br />

die diese durch Gelegenheitsarbeiten<br />

ergänzen könnten. Ein exotischer Gedanke:<br />

Denn ein kleine Schwierigkeit besteht darin,<br />

dass sich dieses Kapital heute in privater<br />

Hand befindet. Aber gibt es irgendwelche<br />

an<strong>der</strong>en Ideen? <br />

Der Text erschien unter dem Originaltitel<br />

„Prekariusze wszystkich krajow“<br />

in <strong>der</strong> Polityka Nr. 37 vom 7.09.<strong>2011</strong>.<br />

Übersetzung: Silke Lent. Redaktion: Paul-<br />

Richard Gromnitza.<br />

Na zdrowje Bar Convention<br />

mit Gastland Polen<br />

Seit 2007 gibt es in Berlin eine Bar-<br />

und Spirituosenmesse. In diesem Jahr<br />

gab es erstmals ein Gastland: Polen.<br />

An <strong>der</strong> „Bar Poland“ präsentieren an<br />

zwei Tagen bekannte polnische Barten<strong>der</strong><br />

die Cocktail- und Spirituosenkultur<br />

ihrer Heimat. Dabei wurde allerdings<br />

deutlich, daß die meisten polnischen<br />

Wodkahersteller im Besitz internationaler<br />

Unternehmen sind.<br />

Żubrówka beispielsweise, ein Markenname<br />

<strong>der</strong> sich gleichzeitig auch<br />

als Gattungsname <strong>der</strong> Wodkavarianten<br />

mit Büffelgrashalm durchgesetzt<br />

hat. Es hätte auch Wodka mit dem<br />

„Duftenden Mariengras“ o<strong>der</strong> Wodka<br />

mit dem „Vanillegras“ heißen können,<br />

denn das sind ebenfalls Namen die <strong>der</strong><br />

genutzten Pflanze zuteil werden. Hier<br />

in <strong>Deutsch</strong>land wird er „Grasovka“ genannt.<br />

Ein Name, den ihm seine Besitzer<br />

„Un<strong>der</strong>berg“ gegeben haben.<br />

Doch auf <strong>der</strong> Messe sind auch Produkte<br />

aus Łańcut (Biała Dama) im Südosten<br />

Polens o<strong>der</strong> die Produkte des<br />

jungen Familienunternehmens Kozuba<br />

aus Nidzica in den Masuren den Besuchern<br />

angenehm aufgefallen.<br />

Eine gute Idee <strong>der</strong> Messeleitung: An<br />

einer langen Tafel sind bekannte und<br />

unbekannte Wodkasorten aus Polen<br />

aufgereiht, nicht nur zum Anschauen:<br />

Probierbecher stehen gleich bereit.<br />

Karl Forster<br />

Ministerium finanziert Verfasser rechtsextremer Thesen<br />

Vom slawischen<br />

Drang nach Westen<br />

Umstrittene Broschüren an Schulen verschickt<br />

Die Regierung des Bundeslandes Hessen<br />

beliefert Lehreinrichtungen mit rechtslastigen<br />

Publikationen über die Umsiedlung<br />

<strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>en. Eine Broschüre, die das<br />

hessische Sozialministerium im Juli an<br />

450 Institutionen versandt hat, darunter<br />

Studienseminare und Abendgymnasien,<br />

ist von einem prominenten Interviewpartner<br />

rechtslastiger Medien verfasst worden.<br />

Der Völkerrechtler Alfred de Zayas<br />

schreibt darin, die Umsiedlung nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg weise zumindest partiell<br />

„Völkermordcharakter“ auf. Den „Vertriebenen“<br />

stehe daher die Rückgabe ihres<br />

früheren Eigentums o<strong>der</strong> Entschädigung<br />

zu. Über den einstigen tschechoslowakischen<br />

Staatspräsidenten Edvard Beneš behauptet<br />

<strong>der</strong> Autor, Beneš habe politische<br />

Ziele „in Analogie zur Ideologie des deutschen<br />

Nationalsozialismus“ verfolgt. Die<br />

Broschüre enthält heftige Attacken auch<br />

gegen Polen sowie die Westalliierten. Ihre<br />

Verbreitung durch das Sozialministerium<br />

ist <strong>der</strong> vorläufige Höhepunkt einer bereits<br />

seit gut zehn Jahren andauernden Initiative<br />

<strong>der</strong> hessischen Landesregierung, die darauf<br />

abzielt, den Stellenwert <strong>der</strong> Umsiedlung<br />

im öffentlichen Diskurs zu stärken.<br />

Wie eine Sprecherin des hessischen Sozialministeriums<br />

auf Anfrage bestätigt, hat<br />

ihr Haus im Sommer rund 450 Exemplare<br />

<strong>der</strong> Broschüre „50 Thesen zur Vertreibung“<br />

von Alfred de Zayas verschickt. Empfänger<br />

seien verschiedenste Institutionen in ganz<br />

Hessen gewesen, darunter Studienseminare.<br />

Wie Dokumente zeigen, die dieser<br />

Redaktion vorliegen, wurde die Broschüre<br />

auch an Abendgymnasien versandt. Die<br />

Bezahlung sei aus dem Haushalt des Sozialministeriums<br />

erfolgt, bestätigt die Sprecherin.<br />

Der Preis <strong>der</strong> Broschüre wird vom<br />

Verlag, etwaige Rabatte nicht eingerechnet,<br />

mit 7 Euro pro Stück beziffert.<br />

Nicht unumkehrbar<br />

In <strong>der</strong> Broschüre behauptet Autor de Zayas,<br />

zumindest in <strong>der</strong> Tschechoslowakei<br />

und Jugoslawien habe die „Vertreibung“<br />

<strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>en „Völkermordcharakter“ erkennen<br />

lassen. (*1) Daraus ergebe sich „ein<br />

absolutes Anerkennungsverbot auch <strong>der</strong><br />

dabei durchgeführten Enteignungen“. Die<br />

„Vertriebenen“ könnten also mit Recht<br />

„Rückkehr und Eigentumsrückgabe“ verlangen,<br />

wenngleich man, weil Rückgabe<br />

wohl oft kaum noch möglich sei, auch Entschädigungen<br />

in Betracht zu ziehen habe.<br />

Jedenfalls müsse jetzt „im politischen<br />

Bereich (...) die Suche nach gangbaren<br />

Wegen für (...) einen gerechten Ausgleich<br />

auch in <strong>der</strong> schwierigen Eigentumsfrage<br />

intensiviert werden“. Weiter heißt es in <strong>der</strong><br />

Broschüre: „Die Vorstellung, vollzogene<br />

Vertreibungen seien unumkehrbar, ist weit<br />

verbreitet, aber nicht zutreffend.“ So seien<br />

etwa Vertreibungen im früheren Jugoslawien<br />

„zum Teil wie<strong>der</strong>gutgemacht“ worden.<br />

„Dieser Befund“ könne etwa den „Ost- und<br />

Sudetendeutschen (...) Hoffnung machen“.<br />

"Massensterben in Kauf genommen"<br />

Über diese Behauptungen hinaus enthält<br />

de Zayas' Broschüre heftige Angriffe<br />

gegen mehrere Nachbarstaaten. So heißt<br />

es etwa, die „weit verbreitete Vorstellung<br />

eines gewaltsamen (deutschen, d. Red.)<br />

Drangs nach Osten“ sei nicht haltbar (*2) ;<br />

„vielmehr existierte ein allmählicher Drang<br />

nach Westen <strong>der</strong> Slawen“. In Polen habe<br />

„die Diskriminierung <strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>en“ schon<br />

in den Jahren von 1919 bis 1924 „Züge<br />

einer Vertreibung“ angenommen. Der<br />

tschechoslowakische Staatspräsident Edvard<br />

Beneš habe einen „rein slawische(n)<br />

tschechisch(n) Nationalstaat“ angestrebt<br />

– „durchaus in Analogie zur Ideologie des<br />

deutschen Nationalsozialismus“. Nicht<br />

etwa <strong>der</strong> NS-Vernichtungskrieg, son<strong>der</strong>n<br />

„die Vertreibung <strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>en“ habe „ein<br />

8 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 9<br />

POLITIK<br />

in Jahrhun<strong>der</strong>ten gewachsenes Zusammenleben<br />

von Slawen und <strong>Deutsch</strong>en zerstört“.<br />

Auch die Westalliierten treffe schwere<br />

Schuld: Sie hätten, als sie <strong>der</strong> Umsiedlung<br />

zustimmten, angesichts <strong>der</strong> desolaten Ernährungslage<br />

im befreiten <strong>Deutsch</strong>land<br />

„die Gefahr eines Massensterbens in Kauf“<br />

genommen.<br />

„Verharmlosung“ als Verbrechen<br />

Zusätzlich lässt <strong>der</strong> Autor erkennen, dass<br />

er abweichende Ansichten über die „Vertreibung“<br />

nicht zu dulden bereit ist. So sei,<br />

erklärt de Zayas, schon die Benennung<br />

<strong>der</strong> „Vertreibung“ als „Umsiedlung“ „verharmlosend“.<br />

(*3) „Die schwere und anhaltende<br />

Verharmlosung <strong>der</strong> Vertreibung <strong>der</strong><br />

<strong>Deutsch</strong>en“ stelle jedoch, heißt es weiter,<br />

ihrerseits „eine Menschenrechtsverletzung<br />

dar“.<br />

Sudetendeutsche, Juden, Tutsi<br />

Der Autor <strong>der</strong> Broschüre, die das hessische<br />

Sozialministerium verbreitet, ist unter<br />

an<strong>der</strong>em aus Interviews mit rechtslastigen<br />

Medien bekannt. Im Gespräch mit <strong>der</strong> ultrarechten<br />

Wochenzeitung „Junge Freiheit“<br />

etwa behauptete de Zayas, die Sudetendeutschen<br />

seien „aus rassistischen Gründen<br />

vertrieben“ worden, es handele sich<br />

also um „Völkermord“: „Um als Völkermord<br />

zu gelten, ist es nicht nötig, dass alle Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Gruppe massakriert werden.<br />

Auch nicht alle Armenier, nicht alle Juden,<br />

nicht alle Tutsis wurden ausgerottet.“ (*4) In<br />

Kreisen <strong>der</strong> äußeren Rechten wird gegenwärtig<br />

Zayas' jüngstes Buch gefeiert („Völkermord<br />

als Staatsgeheimnis“), in dem er<br />

die These vertritt, die NS-Vernichtungspolitik<br />

sei vor <strong>der</strong> Befreiung 1945 im <strong>Deutsch</strong>en<br />

Reich allenfalls Insi<strong>der</strong>n, nicht jedoch allgemein<br />

bekannt gewesen. Verleger <strong>der</strong> vom<br />

hessischen Sozialministerium versandten<br />

Broschüre ist <strong>der</strong> Chefredakteur <strong>der</strong> Preußischen<br />

Allgemeinen Zeitung, Konrad Ba-<br />

In einem Interview mit <strong>der</strong> Jungen Freiheit 9 JUNI 2006, SEITE 6, erklärte de Zayas u.a.:<br />

Die Sudetendeutschen waren Opfer eines virulenten Rassismus, <strong>der</strong> bereits viele Jahre<br />

vor dem Zweiten Weltkrieg Tote und Verletzte for<strong>der</strong>te. … Nach <strong>der</strong> Völkermordkonvention<br />

von 1948 ist die „Absicht“ das entscheidende Moment. Völkermord bedeutet also<br />

Handlungen, die in <strong>der</strong> Absicht begangen werden, „eine nationale, ethnische, rassische<br />

o<strong>der</strong> religiöse Gruppe als solche ganz o<strong>der</strong> teilweise zu zerstören“. Die Benesch-Dekrete,<br />

die Internierung Tausen<strong>der</strong> Sudetendeutscher in Konzentrationslagern, <strong>der</strong> Raub<br />

des Privateigentums und die Art und Weise <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Vertreibung belegen<br />

die Absicht Beneschs und <strong>der</strong> tschechoslowakischen Regierung, die sudetendeutsche<br />

Volksgruppe zu zerstören. Wichtig dabei ist die Tatsache, daß die gesamte Volksgruppe<br />

aus rassistischen Gründen vertrieben wurde, also nur weil sie <strong>Deutsch</strong>e waren. Um als<br />

Völkermord zu gelten, ist es nicht nötig, daß alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gruppe massakriert<br />

werden. Auch nicht alle Armenier, nicht alle Juden, nicht alle Tutsis wurden ausgerottet.


POLITIK PERSONALIEN<br />

denheuer. In <strong>der</strong> Preußischen Allgemeinen<br />

Zeitung hieß es etwa zur „Kriegsschuldfrage<br />

1939“, die aktuellen „ernst zu nehmenden<br />

Darstellungen des Zweiten Weltkrieges“<br />

seien „zu dem Schluß“ gekommen,<br />

„daß von einer Alleinschuld <strong>Deutsch</strong>lands<br />

am Kriegsausbruch nicht die Rede sein<br />

könne“.(*5) Badenheuer hat vor Jahren<br />

eine Ausstellung konzipiert, in <strong>der</strong> es hieß,<br />

das „Sudetenland“ habe „als besetztes Gebiet<br />

interpretiert werden“ können, „das nie<br />

legitim zur ČSR gehört hat“. Daher gefährde<br />

die Tatsache, dass das Münchner Diktat<br />

vom 30. September 1938 ohne Mitwirkung<br />

<strong>der</strong> betroffenen Tschechoslowakei zustande<br />

gekommen sei, „nicht die Gültigkeit des<br />

Abkommens“.<br />

Eine hessische Initiative<br />

Die hessische Landesregierung hat vor<br />

rund zehn Jahren eine Initiative zugunsten<br />

<strong>der</strong> deutschen „Vertriebenen“ gestartet,<br />

in welche die Verschickung <strong>der</strong> Broschüre<br />

von de Zayas einzuordnen ist. So hat sie<br />

das Amt eines Landesbeauftragten für Heimatvertriebene<br />

und Spätaussiedler eingerichtet,<br />

eine Patenschaft für die Stiftung<br />

Zentrum gegen Vertreibungen des Bundes<br />

<strong>der</strong> Vertriebenen (BdV) übernommen, einen<br />

„Tag <strong>der</strong> Vertriebenen“ im Rahmen des<br />

jährlichen „Hessentags“ etabliert sowie<br />

Vertretern des BdV jeweils einen Sitz im<br />

Rundfunkrat des Hessischen Rundfunks<br />

beziehungsweise in <strong>der</strong> Landesanstalt für<br />

den privaten Rundfunk verschafft. Auch<br />

hat die hessische Landesregierung Wert<br />

darauf gelegt, den Stellenwert des Themas<br />

"Vertreibung" in den schulischen Lehrplänen<br />

höher als zuvor anzusiedeln. In diesem<br />

Kontext hat das hessische Kultusministerium<br />

BdV-Materialien an die hessischen Medienstellen<br />

versandt, um sie für die Schulen<br />

verfügbar zu machen. Zuletzt hat die<br />

hessische Landesregierung mit Beschluss<br />

vom 8. <strong>November</strong> 2010 einen „Hessischen<br />

Preis 'Flucht, Vertreibung, Einglie<strong>der</strong>ung'“<br />

gestiftet, <strong>der</strong> alle zwei Jahre für „hervorragende<br />

kulturelle, literarische o<strong>der</strong> wissenschaftliche<br />

Leistungen“ zum Thema „Vertreibung“<br />

verliehen wird. Er ist mit 7.500<br />

Euro dotiert.<br />

Ehrenplakette<br />

Der ehemalige hessische Ministerpräsident<br />

Roland Koch, unter dessen Ägide die<br />

Initiative in Sachen „Vertreibung“ gestartet<br />

wurde, hat dafür am 27. August die<br />

BdV-Ehrenplakette erhalten - während <strong>der</strong><br />

Feierlichkeiten zum diesjährigen „Tag <strong>der</strong><br />

Heimat“. Bei <strong>der</strong> Veranstaltung hatte BdV-<br />

Präsidentin Erika Steinbach Äußerungen<br />

getätigt, die in mancher Hinsicht de Zayas'<br />

Thesen recht nahekommen. So hatte sie<br />

behauptet, die „Wurzeln <strong>der</strong> Vertreibung“<br />

reichten bis in die „Mitte des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts“<br />

zurück und dürften nicht „ahistorisch<br />

an den Beginn des Zweiten Weltkriegs<br />

geknüpft“ werden. Auch bei de Zayas heißt<br />

es in einer Relativierung <strong>der</strong> Bedeutung<br />

des deutschen Vernichtungskriegs: „Auch<br />

<strong>der</strong> dynamische slawische Nationalismus<br />

des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts und die Beschlüsse<br />

<strong>der</strong> Verträge von Versailles, St. Germain<br />

und Trianon (...) müssen als Ursachen mit<br />

berücksichtigt werden.“ (*6) <br />

Aus: Informationen zur <strong>Deutsch</strong>en Außenpolitik.<br />

www.german-foreign-policy.com<br />

--------------------------------------------------------------<br />

(*1) Alfred de Zayas: 50 Thesen zur Vertreibung,<br />

London/München 2008<br />

(*2) Alfred de Zayas: 50 Thesen zur Vertreibung,<br />

London/München 2008<br />

(*3) Alfred de Zayas: 50 Thesen zur Vertreibung,<br />

London/München 2008<br />

(*4) „Historische und menschliche Tragödie“;<br />

Junge Freiheit 24/2006<br />

(*5) Neuer Überblick zur Kriegsschuldfrage<br />

1939; Preußische Allgemeine Zeitung 05/2007<br />

(*6) Alfred de Zayas: 50 Thesen zur Vertreibung.<br />

<strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>r Preis für Pöttering und Buzek<br />

Dr. Hans-Gert Pöttering (EVP/CDU), ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments<br />

und Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Konrad-Adenauer-Stiftung, ist gemeinsam mit dem Präsidenten des<br />

Europäischen Parlaments, Jerzy Buzek, in Warschau mit dem <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n Preis<br />

ausgezeichnet worden. Damit würdigte das aus deutschen und polnischen Mitglie<strong>der</strong>n<br />

bestehende Preiskomitee die „beson<strong>der</strong>en Verdienste um die Entwicklung <strong>der</strong> deutschpolnischen<br />

Beziehungen“ <strong>der</strong> beiden Europa-Politiker. Die jährliche Vergabe des <strong>Deutsch</strong>-<br />

<strong>Polnische</strong>n Preises wurde im <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n Vertrag über gute Nachbarschaft und<br />

freundschaftliche Zusammenarbeit vom 17. Juni 1991 vereinbart. Das Preisgeld von insgesamt<br />

20.000 Euro möchten Hans-Gert Pöttering und Jerzy Buzek für die För<strong>der</strong>ung von<br />

weißrussischen und moldawischen Studenten am Europa-Kolleg in Natolin bei Warschau<br />

zur Verfügung stellen.<br />

Bielefeld - Rzeszów<br />

Zwanzig Jahre<br />

Partnerschaft<br />

Mit einem umfangreichen Festprogramm<br />

wurde im Oktober das Jubiläum<br />

<strong>der</strong> Städtepartnerschaft Bielefeld mit<br />

Rzeszów begangen. Vor zwanzig Jahren<br />

wurde diese Partnerschaft in überraschend<br />

kurzer Zeit realisiert. Doch die<br />

Bemühungen um eine solche Partnerschaft<br />

reichten schon viele Jahre zurück.<br />

Die <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

Bielefeld hatte sich schon seit ihrer<br />

Gründung mit dem Thema Städtepartnerschaft<br />

befasst. Mitte <strong>der</strong> 80er Jahre<br />

wurde dann unter dem Vorsitz des<br />

SPD-Bundestagsabgeordneten Kurt<br />

Vogelsang ein neuer Vorstoß unternommen.<br />

Doch das Problem: Bielefeld<br />

hatte mit Vertriebenenorganisationen<br />

„Patenschaften“ vereinbart, <strong>der</strong>en<br />

Formulierungen Hin<strong>der</strong>nisse beim Verständigungsprozess<br />

bildeten. DPG-Vorstandsmitglied<br />

Karl Forster verhandelte<br />

mit allen Ratsfraktionen und konnte<br />

mit einem Ergebnis nach Warschau ins<br />

polnische Aussenministerium fahren:<br />

Der Stadtrat erklärt die Formulierungen<br />

„aus <strong>der</strong> Zeit ihrer Entstehung“ bedingt<br />

und betont, auf dem Vertrag von Warschau<br />

zu stehen. Im Ministerium war<br />

man zufrieden und den Kontakten zu<br />

polnischen Städten (Vorschläge waren<br />

Lublin und Rzeszów) stand fast nichts<br />

mehr im Wege. Bis <strong>der</strong> damalige Oberbürgermeister<br />

Bielefelds beim Vertriebenenverband<br />

groß tönte „Wir lassen an<br />

den Patenschaften nicht rütteln“.<br />

Da war erst mal wie<strong>der</strong> Sendepause.<br />

1990 dann ein neuer Anlauf <strong>der</strong><br />

<strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong>. Man<br />

wollte Kontakt nach Rzeszów aufnehmen,<br />

da die Stadt ähnliche Strukturen<br />

(Industrie, Universität etc.) aufwies, wie<br />

Bielefeld. Eine Woche lang wurden bei<br />

einer Messe Unterschriften gesammelt,<br />

die dem Stadtrat vorgelegt wurden.<br />

Und ausgerechnet <strong>der</strong> CDU-Oberbürgermeister<br />

konnte sich schnell dafür erwärmen,<br />

Kontakte nach Polen zu knüpfen.<br />

Schon ein Jahr später (Herbst<br />

1991) wurde <strong>der</strong> Vertrag vereinbart, im<br />

Mai 1992 wurde er in Rzeszów feierlich<br />

unterzeichnet.<br />

Karl Forster<br />

Dr. Andrzej Cechnicki<br />

Überbrückung eines<br />

historischen Abgrundes<br />

Laudation anlässlich <strong>der</strong> Verleihung des Bundeverdienstkreuzes<br />

Von Friedrich Leidinger<br />

Anlässlich <strong>der</strong> Auszeichnung von Herrn<br />

Doktor Andrzej Cechnicki mit dem Bundesverdienstkreuz<br />

bin ich gebeten worden,<br />

Ihnen den Ordensträger vorzustellen und<br />

die Gründe für diese Auszeichnung darzulegen.<br />

Nun ist kaum anzunehmen, dass in diesem<br />

Saal jemand sitzt, <strong>der</strong> nicht weiß, wer<br />

Andrzej Cechnicki ist, und wohl je<strong>der</strong> wäre<br />

in <strong>der</strong> Lage, mindestens drei gewichtige<br />

Gründe zu nennen, warum eine Auszeichnung<br />

für Andrzej Cechnicki überfällig ist.<br />

Eine Würdigung <strong>der</strong> Person und Verdienste<br />

des heute Ausgezeichneten erscheint<br />

mir dennoch nicht überflüssig, und ich will<br />

versuchen, zu dem persönlichen Bild, das<br />

die meisten von Ihnen von ihm haben, den<br />

einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Strich o<strong>der</strong> Farbton<br />

hinzuzufügen.<br />

Das Bundesverdienstkreuz wird deutschen<br />

und ausländischen Männern und<br />

Frauen „verliehen für Leistungen, die im<br />

Bereich <strong>der</strong> politischen, <strong>der</strong> wirtschaftlichsozialen<br />

und <strong>der</strong> geistigen Arbeit dem Wie<strong>der</strong>aufbau<br />

des Vaterlandes dienten, und<br />

soll eine Auszeichnung all <strong>der</strong>er bedeuten,<br />

<strong>der</strong>en Wirken zum friedlichen Aufstieg <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land beiträgt.“ So<br />

heißt es in dem Erlass, den Bundespräsident<br />

Theodor Heuss, Bundeskanzler Konrad<br />

Adenauer und <strong>der</strong> Bundesinnenminister<br />

Robert Lehr am 7. September 1951<br />

unterzeichneten, also fast auf den Tag genau<br />

vor 60 Jahren.<br />

Wie hat <strong>der</strong> Krakauer Psychiater Andrzej<br />

Cechnicki zum friedlichen Aufstieg<br />

<strong>Deutsch</strong>lands beigetragen?<br />

Zur Beantwortung dieser Frage sei mir erlaubt,<br />

mich zunächst an die deutschen Teilnehmer<br />

dieser Feier zu wenden. Sie haben<br />

alle eine ziemlich weite Anreise bis hierher<br />

gehabt. Wir sind also mitten in Polen - und<br />

doch sind wir an einem deutschen Ort, am<br />

ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz.<br />

Welche Spannung liegt in diesem Ereignis:<br />

die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes<br />

an einen Polen, im Schatten von<br />

Auschwitz!<br />

Es war <strong>der</strong> ausdrückliche Wunsch Andrzej<br />

Cechnickis, das Bundesverdienstkreuz<br />

an diesem Ort, an dem auch Angehörige<br />

seiner Familie ermordet wurden, aus <strong>der</strong><br />

Hand des deutschen Generalkonsuls in<br />

Krakau zu empfangen.<br />

Hätten sich die politischen Führer <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik <strong>der</strong> frühen Nachkriegsjahre<br />

solch eine Szene vorstellen können?<br />

Selbst im Akt <strong>der</strong> Überreichung wird das<br />

Anliegen, das sie mit dem Bundesverdienstkreuz<br />

verbanden, verwirklicht<br />

nämlich: <strong>Deutsch</strong>land<br />

möge aus dem Abgrund<br />

des nationalsozialistischen<br />

Zivilisationsbruchs aufsteigen<br />

und wie<strong>der</strong> einen Platz<br />

unter den europäischen Nationen<br />

einnehmen.<br />

Andrzej Cechnicki ist kein<br />

Politiker. Er ist Psychiater<br />

mit Leib und Seele. Er hat<br />

sich <strong>der</strong> Arbeit mit den empfindsamsten,<br />

verletzlichsten<br />

Menschen in unserer <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

den Schizophrenen,<br />

verschrieben. Seit über 35<br />

Jahren ist er <strong>der</strong> Krakauer<br />

Psychiatrischen Universitätsklinik<br />

verbunden, seit<br />

fast zwanzig Jahren koordiniert<br />

er das integrierte Versorgungssystem<br />

für Schizophreniekranke<br />

und ihre Angehörigen in<br />

<strong>der</strong> Stadt Krakau. Erst vor wenigen Monaten<br />

wurde seine jahrzehntelange Arbeit<br />

als Wissenschaftler, Hochschullehrer und<br />

Arzt mit <strong>der</strong> Erteilung <strong>der</strong> Venia Legendi,<br />

<strong>der</strong> Habilitation, durch die Medizinische<br />

Fakultät <strong>der</strong> Jagiellonen-Universität Krakau<br />

belohnt. Als Landeskoordinator <strong>der</strong> polnischen<br />

Antistigma-Kampagne „Schizofrenia<br />

- Otwórzcie Drwi“ (Open the Door) ist er<br />

seit vielen Jahren einer breiteren Öffentlichkeit<br />

bekannt. Er gehört zu denjenigen,<br />

die in ausländischen Fachkreisen <strong>der</strong> polnischen<br />

Psychiatrie seit Jahren ein Gesicht<br />

geben.<br />

Andrzej Cechnicki wurde 1950 in Warschau<br />

geboren. Die Menschen in Polen<br />

waren befreit, aber sie lebten nicht in Freiheit,<br />

sie gehörten zum Reich <strong>der</strong> formalen<br />

und materiellen Gleichheit. Die Folgen <strong>der</strong><br />

deutschen Besatzung, des Terrors und <strong>der</strong><br />

Zerstörung waren noch überall sichtbar.<br />

Die Menschen redeten dennoch wenig<br />

über die Vergangenheit, die Vergangenheit<br />

schien nur noch in Denkmälern und Feiertagsreden<br />

vorzukommen - o<strong>der</strong> in Albträumen.<br />

Andrzej Cechnicki wuchs in einer<br />

Welt voller Tabus auf, in <strong>der</strong> seine Sensibilität<br />

für die verdrängten und abseitigen<br />

Dinge geweckt wurde – und für beson<strong>der</strong>e,<br />

randständige Menschen.<br />

1967 ging Andrzej zum Studium <strong>der</strong><br />

Medizin nach Krakau. Hier herrschte in<br />

relativer Abgeschiedenheit ein außerordentlich<br />

anregendes intellektuelles und<br />

künstlerisches Klima: Theater, Jazz, bildende<br />

Kunst, Literatur und Philosophie. Der<br />

Psychiater Antoni Kępiński erreichte mit<br />

Prof. Dr. Andrzej Cechnicki. Foto: Leidinger<br />

seinen existenzphilosophischen Vorlesungen<br />

und Büchern eine breite Öffentlichkeit.<br />

1974 trat Andrzej Cechnicki als Volontär<br />

in die Psychiatrische Universitätsklinik ein.<br />

Hochschullehrer, Assistenten und Studenten<br />

begegneten einan<strong>der</strong> in fast familiärer<br />

Weise. Seinen Lehrern Adam Szymusik und<br />

Maria Orwid blieb Andrzej ein Leben lang<br />

verbunden. Gemeinsam arbeiten, lernen,<br />

forschen, die Probleme des Alltags meistern,<br />

feiern – alles vermischte sich zu einem<br />

intensiven Lebensgefühl. Je<strong>der</strong> neue<br />

Kollege hatte etwas beizutragen.<br />

Andrzej Cechnickis Beitrag war, die Türen<br />

nach draußen, vor allem nach Westdeutschland<br />

zu öffnen. Natürlich gab es<br />

Kontakte <strong>der</strong> Krakauer Hochschullehrer<br />

ins Ausland. Doch wirkten diese Kontakte<br />

kaum über den Rahmen persönlicher<br />

Bekanntschaft hinaus. Andrzej Cechnicki<br />

10 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 11


PERSONALIEN KULTUR/GESCHICHTE<br />

trachtete danach, eine Basis für offenen<br />

Dialog und Begegnung zu schaffen. Das<br />

war we<strong>der</strong> selbstverständlich noch risikolos.<br />

Erinnern wir uns: 1966 hatten Polens<br />

katholische Bischöfe ihren deutschen Brü<strong>der</strong>n<br />

einen offenen Brief geschrieben, den<br />

diese eher verständnislos aufnahmen. Bis<br />

in die siebziger Jahre lag über <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> <strong>der</strong><br />

Mehltau <strong>der</strong> Verleugnung und Verdrängung.<br />

Erst nach 1979, nach <strong>der</strong> Ausstrahlung<br />

des amerikanischen Fernsehfilms<br />

Holocaust, interessierte sich eine breitere<br />

Öffentlichkeit dafür, wie weit die deutschen<br />

Eliten – Ärzte, Juristen, Verwaltungsleute,<br />

Ökonomen, Wissenschaftler - in die NS-<br />

Verbrechen verstrickt waren.<br />

Dieselben Eliten bildeten nach dem Krieg<br />

die Pfeiler <strong>der</strong> bundesrepublikanischen <strong>Gesellschaft</strong>,<br />

sie garantierten die politische<br />

Integration <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> in den Westen. Und<br />

Polen spielte keine Rolle. Wer interessierte<br />

sich damals in <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> für Polen? Wem<br />

würde ein junger polnischer Psychiater damals<br />

in Westdeutschland begegnen?<br />

<strong>Polnische</strong> Ärzte pflegten damals, ihr Gehalt<br />

durch Jobs im Ausland aufzubessern.<br />

Von ihren Reisen brachten sie Geld nach<br />

Hause. Andrzej Cechnicki brachte neue<br />

Ideen und Adressen mit.<br />

Seine erste Reise führte ihn 1979 in die<br />

Schweiz, wo er mit Luc Ciompi und Ambros<br />

Uchtenhagen zwei Vordenker einer<br />

neuen Psychiatrie kennenlernte. Dann<br />

kam Süddeutschland. Formell arbeitete er<br />

in einer Privatklinik als „Milieutherapeut“,<br />

tatsächlich hatten die Patienten einen<br />

kompetenten Psychiater vor sich. Von Besuch<br />

zu Besuch reiste Cechnicki durch die<br />

<strong>BRD</strong>, wuchs das Netzwerk, füllte sich sein<br />

Adressbuch, hatte seine Klinik in Krakau<br />

einen weiteren Partner gefunden.<br />

Aber noch fehlte diesen Beziehungen <strong>der</strong><br />

Inhalt, fanden die deutschen Partner nicht<br />

nach Polen, gab es kein Thema für einen<br />

Dialog.<br />

Schließlich Krakau, April 1985: Der Internationale<br />

Kongress „Krieg, Okkupation und<br />

Medizin“ unter Vorsitz von Professor Józef<br />

Bogusz. Hier trifft Andrzej Cechnicki Klaus<br />

Dörner und seine Mitarbeiter. Ihr Interesse<br />

ist die Aufklärung <strong>der</strong> Morde an psychisch<br />

Kranken durch die <strong>Deutsch</strong>en in Polen.<br />

Mit dem 1. September 1939, dem Tag des<br />

deutschen Überfalls auf Polen, begann<br />

auch Krieg gegen die psychisch Kranken.<br />

<strong>Deutsch</strong>e Psychiater, deutsche Soldaten<br />

und Polizisten haben überall im deutschen<br />

Machtbereich hun<strong>der</strong>ttausende psychisch<br />

Kranker als „lebensunwert“ ermordet, in<br />

Polen wurden nicht selten ganze Krankenhäuser<br />

„liquidiert“, manchmal das Personal<br />

gleich dazu.<br />

40 Jahre nach dem Krieg verlangte die<br />

psychiatrische Versorgung in beiden deutschen<br />

Staaten, und auch in Polen, dringend<br />

nach einer Verbesserung. Die Lage<br />

<strong>der</strong> Psychiatrie war eine politische. Es ging<br />

um die Überwindung von Isolation und<br />

Ausgrenzung, um Menschenrechte. Eine<br />

Reform konnte nur in Gang kommen, wenn<br />

diese entsetzlichen Ereignisse nicht länger<br />

verdrängt wurden. Psychiatrie ist vielleicht<br />

nicht für jeden eine wichtige Sache, aber<br />

<strong>der</strong> Umgang mit den schwächsten Menschen<br />

in einer <strong>Gesellschaft</strong> ist ein Gradmesser<br />

für den zivilisatorischen Zustand<br />

dieser <strong>Gesellschaft</strong>, dafür, ob sie an allgemeingültige<br />

humanistische Werte gebunden<br />

ist. Was lag näher, als diese Werte in<br />

einem deutsch-polnischen Dialog auf dem<br />

Gebiet <strong>der</strong> Psychiatrie mit allen Beteiligten<br />

zu begründen.<br />

Die Tür war offen. Andrzej Cechnickis<br />

Vorarbeit machte es möglich, dass 1987<br />

dreißig Psychiater aus <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> auf den<br />

Spuren <strong>der</strong> ein halbes Jahrhun<strong>der</strong>t zuvor<br />

aus deutschen Anstalten in den Osten verlegten<br />

Patienten durch Polen reisten, als<br />

erste <strong>Deutsch</strong>e seit dem Ende des Krieges<br />

in Meseritz, Gnesen o<strong>der</strong> Warta mit ihren<br />

polnischen Kollegen zusammentrafen und<br />

über die Schicksale <strong>der</strong> Deportierten, die<br />

Ereignisse des Kriegs und <strong>der</strong> Besatzung<br />

und über die Probleme <strong>der</strong> heutigen Psychiatrie<br />

diskutierten.<br />

<strong>Deutsch</strong>-polnischer Dialog<br />

Der Dialog polnischer und deutscher<br />

Psychiater über Vergangenheit, Zukunft<br />

und Gegenwart ist Lehrstück bürgerlicher<br />

grenzüberschreiten<strong>der</strong>, internationaler Zusammenarbeit.<br />

Er hat längst auch Freunde<br />

und Kollegen in Israel – viele von ihnen<br />

aus Polen stammend – und in <strong>der</strong> Ukraine<br />

einbezogen. Er beteiligt Fachleute und<br />

Betroffene – Patienten und Angehörige –<br />

freie Vereinigungen und Institutionen <strong>der</strong><br />

Gesundheitsversorgung.<br />

Andrzej Cechnicki hat diese Bewegung<br />

mit unermüdlichem Engagement vorangetrieben,<br />

begleitet und gelegentlich auch in<br />

ihrer Richtung beeinflusst. Er brachte Menschen<br />

zusammen, die sich nie begegnet<br />

wären, und die sich nun zu gemeinsamer<br />

Aktion zusammenschlossen. Er lieferte die<br />

Stichworte, um den Dialog im Fluss zu halten.<br />

Wenn ihm die Worte fehlten, so holte<br />

er sich Rat bei seiner Frau Maria, die den<br />

verschütteten und verborgenen Dingen<br />

wie<strong>der</strong> Namen gab. Wie sehr Maria Cechnicka<br />

mit scharfsinniger Intuition und poetischer<br />

Kreativität zu seiner Arbeit beigetragen<br />

hat, kann nicht überschätzt werden.<br />

Andrzej Cechnicki tat dies nicht ohne<br />

persönliche Opfer, er verzichtete auf materiellen<br />

Erfolg und Karrieremöglichkeiten, er<br />

war niemals auf einen persönlichen Vorteil<br />

bedacht, er machte nicht viel Aufhebens<br />

um mögliche persönliche Nachteile o<strong>der</strong><br />

die Gefahr des Scheiterns. Ein solches Verhalten<br />

mag man als irgendwie altmodisch<br />

empfinden. Ich nenne es aristokratisch und<br />

finde, Andrzej Cechnicki zeigt sich hierin<br />

als „typisch polnisch“. Denn in <strong>der</strong> Zeit, als<br />

die Polen ihren Staat verloren hatten, lebte<br />

das Polentum im polnischen Adel weiter,<br />

und seine Werte wurden für alle mo<strong>der</strong>nen<br />

Polen beispielhaft: Ehre, Uneigennützigkeit,<br />

Opferbereitschaft, Mut, Freiheit (nicht<br />

als Instrument <strong>der</strong> Selbstverwirklichung,<br />

son<strong>der</strong>n als Teilnahme an <strong>der</strong> kollektiven<br />

Souveränität).<br />

Dem ritterlichen Handeln Andrzej Cechnickis<br />

verdanken wir <strong>Deutsch</strong>en die Überbrückung<br />

eines historischen Abgrundes,<br />

<strong>der</strong> uns nicht allein von unserem östlichen<br />

Nachbarn trennte, son<strong>der</strong>n von <strong>der</strong> universellen<br />

Wertegemeinschaft. Über diese<br />

Brücke erhielten wir die Möglichkeit,<br />

unserem Nachbarn wie<strong>der</strong> zu begegnen.<br />

Mehrere Tausend Menschen aus Polen und<br />

<strong>Deutsch</strong>land, aus Israel, aus <strong>der</strong> Ukraine<br />

haben im zurückliegenden Vierteljahrhun<strong>der</strong>t<br />

diese Möglichkeit genossen. Heute ist<br />

für uns <strong>der</strong> Weg zum Nachbarn fast selbstverständlich.<br />

Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes<br />

an Dr. Andrzej Cechnicki ist ein<br />

Zeichen <strong>der</strong> längst fälligen Anerkennung<br />

und des Dankes. Und, dass er dieses Kreuz<br />

angenommen hat, dafür möchte ich ihm<br />

ebenfalls danken.<br />

In fast allen deutsch-polnischen Reden<br />

gibt es das Leitmotiv <strong>der</strong> „Versöhnung“,<br />

und viele von Ihnen werden sich wun<strong>der</strong>n,<br />

warum dieses Wort nicht längst gefallen<br />

ist.<br />

Ich will als Antwort mit wenigen Zeilen<br />

aus dem Vermächtnis des Herrn Cogito<br />

von Zbigniew Herbert schließen:<br />

Und übe keine vergebung wahrlich es<br />

liegt nicht an dir nachsicht zu üben im<br />

namen <strong>der</strong>er die in <strong>der</strong> frühe verraten<br />

wurden<br />

hüte dich dennoch vor überflüssigem<br />

hochmut betrachte dein narrengesicht<br />

im spiegel und wie<strong>der</strong>hole: ich wurde berufen<br />

– gab’s denn nicht bessre <br />

Beachtenswerte Ausstellung in Berlin:<br />

Brautschatz und Splitter<br />

Tür an Tür - Polen-<strong>Deutsch</strong>land 1000 Jahre Kunst und Geschichte<br />

Von Daniela Fuchs-Frotscher<br />

Das historisch nicht immer unkomplizierte<br />

Beziehungsgeflecht <strong>der</strong> deutschpolnischen<br />

Nachbarschaft wird in <strong>der</strong> Ausstellung<br />

»Tür an Tür Polen – <strong>Deutsch</strong>land.<br />

1000 Jahre Kunst und Geschichte« durch<br />

eine originelle Perspektive betrachtet.<br />

Kunstwerke, Dokumente, aber auch Bücher,<br />

Filme, Musik zeigen, dass die Geschichte<br />

bei<strong>der</strong> Nachbarlän<strong>der</strong> nicht nur<br />

Konflikte, son<strong>der</strong>n auch Gemeinsamkeiten<br />

bieten. Die Frage, ob <strong>der</strong> berühmte Bildschnitzer<br />

des Spätmittelalters Veit Stoß<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> geniale Astronom Nikolaus Kopernikus<br />

<strong>Deutsch</strong>e o<strong>der</strong> Polen waren, stellt<br />

sich heute nicht mehr. Sowohl das Leben<br />

und Schaffen des Künstlers als auch des<br />

Herzogin Hedwig, um 1530, Mischtechnik auf<br />

Pergament auf Leinwand übertragen, 69,5 x 54,5<br />

cm © Bayerische Schlösserverwaltung.<br />

Wissenschaftlers hoben bereits zu ihrer<br />

Zeit Grenzen auf.<br />

Kupferstiche und Skulpturen des Nürnberger<br />

und Krakauer Meisters Stoß und<br />

die Erstausgabe des 1543 erschienenen<br />

Hauptwerks »De Revolutionibus Orbium<br />

Coelestium« von Kopernikus gehören zu<br />

den 800 Exponaten, die aus ganz Europa<br />

zusammengetragen wurden. Der Direktor<br />

des Warschauer Königsschlosses Professor<br />

Andrzej Rottermund spricht von einer<br />

logistischen Meisterleistung, die seine<br />

Mitarbeiter und die Berliner Partner vom<br />

Martin-Gropius-Bau bewältigen mussten,<br />

um die seit 2006 geplante Ausstellung zu<br />

realisieren. Zu den Höhepunkten gehören<br />

Werke u.a. von Dürer, Cranach d.Ä., Uecker<br />

und Beuys.<br />

Der historische Teil <strong>der</strong> Ausstellung beginnt<br />

mit Gnesen, dem Ort des ersten<br />

deutsch-polnischen Gipfeltreffens zwischen<br />

den Königen Otto III. und Boleslaw<br />

I. im Jahre 1000. Beide Monarchen frönten<br />

nicht nur dem Kult um den heiligen Adalbert,<br />

son<strong>der</strong>n es kam dort zur Anerkennung<br />

<strong>der</strong> politischen Souveränität des frühen<br />

polnischen Staates. Zum Reiz <strong>der</strong> Ausstellung<br />

gehört, dass immer wie<strong>der</strong> Arbeiten<br />

zeitgenössischer Künstler hinzugefügt<br />

wurden. Diese erfrischende Mischung erschließt<br />

dem Besucher neue Perspektiven<br />

<strong>der</strong> Betrachtung historischer Ereignisse.<br />

Ein Beispiel wäre die 1987 geschaffene Installation<br />

»Heiliger Adalbert« von Miroslaw<br />

Balka, die aus Leinwand, Holz, Hafer und<br />

Neonröhren besteht. Diese Art <strong>der</strong> Präsentation<br />

trägt deutlich die Handschrift <strong>der</strong><br />

international renommierten Chefkuratorin<br />

Anda Rottenberg aus Warschau, die sich<br />

bisher mit mo<strong>der</strong>nen Kunstausstellungen<br />

einen Namen gemacht hat.<br />

»Das Magazin <strong>der</strong> Geschichte« eine Stahlgitterkonstruktion,<br />

präsentiert<br />

im Lichthof des<br />

Gropius-Baus,<br />

hat <strong>der</strong> Künstler<br />

Jaroslaw Kozakiewicz<br />

extra für<br />

diese Ausstellung<br />

geschaffen.<br />

Sie steht als Metapher<br />

für das<br />

G e f a n ge n s e i n<br />

<strong>der</strong> deutschpolnischenGe-<br />

schichte, die<br />

immer wie<strong>der</strong><br />

Stereotype vom<br />

jeweils An<strong>der</strong>en hervorbringt. Realität<br />

und Mythos werden hier am Beispiel <strong>der</strong><br />

Schlacht bei Grunwald/Tannenberg gezeigt,<br />

wo <strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>e Orden von einem<br />

polnisch-litauischen Heer 1410 vernichtend<br />

geschlagen wurde. (sh. Seite 14)<br />

Neben Trennendem wie die Weltkriege<br />

und Besatzung gehören zum Miteinan<strong>der</strong><br />

auch vielfältige Verbindungen von Königs-<br />

und Adelshäusern. So heiratete 1642 Anna<br />

Katharina Konstanze Wasa, eine polnische<br />

Prinzessin, Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg.<br />

Einzelstücke ihres Brautschatzes,<br />

<strong>der</strong> 70 Wagenladungen umfasste, lassen<br />

Reichtum und Pracht erahnen. In diesem<br />

Kontext darf August <strong>der</strong> Starke nicht fehlen,<br />

<strong>der</strong> als König von Polen politisch eher<br />

glücklos agierte, aber Spuren in <strong>der</strong> Kunst<br />

und in Bauwerken hinterließ.<br />

1831 erfasste deutsche Demokraten<br />

eine echte Polenbegeisterung, als sie nach<br />

<strong>der</strong>en misslungenem <strong>November</strong>aufstand<br />

den Geschlagenen Unterstützung und Solidarität<br />

auf ihrer Flucht nach Westeuropa<br />

zukommen ließen. Zu den Sympathisanten<br />

gehörte Richard Wagner, <strong>der</strong> seine Polonia-<br />

Ouvertüre als Hommage an Polens Freiheitswillen<br />

komponierte.<br />

Der zweite Teil <strong>der</strong> Ausstellung ist jüngerer<br />

Geschichte gewidmet. <strong>Deutsch</strong>-polnische<br />

Künstlernetzwerke <strong>der</strong> 20er Jahre<br />

des vergangenen Jahrhun<strong>der</strong>ts begehrten<br />

gegen Nationalismus und Krieg auf. Als<br />

Mittler gilt Jankel Adler, dessen Bild »Meine<br />

Eltern« zu sehen ist. Die Darstellung des<br />

Neubeginns <strong>der</strong> deutsch-polnischen Beziehungen<br />

nach dem Krieg zeigt schmerzliche<br />

Wahrheiten, reizt auch zum Wi<strong>der</strong>spruch.<br />

Das Aufbegehren <strong>der</strong> Solidarnosc-Bewegung<br />

in den 1980er Jahren in Polen und<br />

<strong>der</strong>en Folgen für die Welt animierte Künstler<br />

zur Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem realen<br />

Sozialismus. Belegt in <strong>der</strong> Ausstellung u.a<br />

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Władysław Bartoszewski ist Vorsitzen<strong>der</strong> des wissenschaftlichen<br />

Beirats <strong>der</strong> Ausstellung. Foto: Ulrike Höck<br />

durch Günther Ueckers »Splitter für Polen«.<br />

Ein umfangreiches Begleitprogramm will<br />

das Nachdenken über das deutsch-polnische<br />

Miteinan<strong>der</strong> för<strong>der</strong>n. <br />

Die Ausstellung ist noch bis zum 9. Januar im<br />

Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen.<br />

Wir danken <strong>der</strong> Tageszeitung „Neues <strong>Deutsch</strong>land“<br />

für die Nachdruckerlaubnis.<br />

12 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 13


KULTUR/GESCHICHTE KULTUR/GESCHICHTE<br />

Anmerkung zu einem Bild:<br />

Patriotische Kreuzstiche<br />

Von Thomas Wilms<br />

„Schlacht bei Tannenberg“ übersetzen<br />

die Ausstellungsmacher im Martin Gropius<br />

Bau in Berlin (sh. Bericht auf Seite<br />

11) fälschlich die gestickte Kopie des<br />

berühmten Matejko-Gemäldes „Bitwa<br />

pod Grunwaldem - Schlacht bei Grunwald“.<br />

Damit will man <strong>der</strong> deutschen<br />

historischen Sicht nahekommen. Thomas<br />

Willms hat sich Original in Warschau<br />

und Kopie in Berlin angesehen<br />

und seine Anmerkungen zu Bild und Geschichte<br />

für POLEN und wir zu Papier<br />

gebracht.<br />

Das Warschauer Nationalmuseum ist so<br />

ehrfurchtgebietend wie alle alten Kunsthallen.<br />

Knarrende Holzdielen, monströse<br />

dunkle Türen, Le<strong>der</strong>polster und dann gestrenge<br />

Adelsporträts, dicke Engel, malträtierte<br />

Heilige und Mätressen mit tiefen<br />

Dekolletes, die auf einen hernie<strong>der</strong> blicken.<br />

Und doch erwartet einen in Warschau etwas<br />

Beson<strong>der</strong>es. In einem riesigen Saal<br />

tritt man vor ein nationales Heiligtum: „Bitwa<br />

pod Grunwaldem“, die „Schlacht von<br />

Grunwald“, unglaubliche 9 mal 4,5 Meter<br />

groß.<br />

Der Eindruck muss im Jahre <strong>der</strong> Enthüllung<br />

1878 noch gewaltiger gewesen sein<br />

als heute, wo man durch ähnlich dimensionierte<br />

Shampoo-Werbung doch etwas<br />

abgestumpft ist.<br />

Der Künstler Jan Matejko wäre mit diesem<br />

Arrangement zweifellos zufrieden<br />

gewesen, denn das Gemälde war nie dafür<br />

gedacht eine Kaufmannsstube zu zieren,<br />

son<strong>der</strong>n von vornherein ein Mittel im<br />

Kampf um nationale Selbstbehauptung.<br />

Begonnen 1872, kurze Zeit nachdem das<br />

<strong>Deutsch</strong>e Reich sich kriegerisch etabliert<br />

hatte, sah es für nationalbewusste Polen<br />

wahrlich nicht gut aus. Keine Armee, kein<br />

Staat, keine Triumphe. Da musste <strong>der</strong> Sieg<br />

eben aus <strong>der</strong> Vergangenheit geborgt werden.<br />

Die Bildsprache ist so einfach wie durch-<br />

35 Stickerinnen und Sticker haben 18 Monate an einer 1:1-Kopie des berühmten Matejko-Gemäldes Schlacht bei Grunwald gestickt. Das Werk ist in <strong>der</strong><br />

Ausstellung „Tür an Tür“ im Berliner Martin-Gropius-Bau bis zum 9. Januar zu sehen. Grzegorz Żochowski (Entwurf <strong>der</strong> Stickvorlage) Działoszyn, 2008-<br />

2010 Mouliné, Kanevas, Kreuzstickerei, 920 x 405 cm © 35 twórców pasjonatów malarstwa Jan Matejki, Działoszyn. Foto: Urszula Czapla<br />

schlagend: Im Zentrum <strong>der</strong> siegreiche bekrönte<br />

König, im Brokatgewand und vor<br />

siegreich wehendem polnischen Adler,<br />

links von ihm <strong>der</strong> Verlierer – Hochmeister<br />

Ulrich von Jungingen - im Moment <strong>der</strong> Katastrophe,<br />

die <strong>Deutsch</strong>ordens-Fahne sinkend,<br />

einfachen Fußsoldaten ausgeliefert.<br />

Der Rest des Gemetzels, auf dem man übrigens<br />

keinen Tropfen Blut sieht, tritt hinter<br />

dieser Kernaussage zurück.<br />

Was hier ins Jahr 1410 verlegt wurde,<br />

steht außer Frage: „Wir haben es euch<br />

schon mal gezeigt und wir werden es euch<br />

wie<strong>der</strong> zeigen!“ Exakt so wurde das Gemälde<br />

über Jahrzehnte auf beiden Seiten auch<br />

empfunden, auf polnischer Seite teilweise<br />

bis in die Gegenwart. <strong>Deutsch</strong>erseits saß<br />

<strong>der</strong> Ärger so tief, dass man noch 1914<br />

meinte „die Schmach tilgen“ zu müssen,<br />

indem man den Sieg über die russische<br />

(!) Armee in Ostpreußen als „Schlacht bei<br />

Tannenberg“ bezeichnete, um auf diese<br />

Weise nicht nur die 500 Jahre zurückliegende<br />

Nie<strong>der</strong>lage zu egalisieren, son<strong>der</strong>n<br />

auch gleich den „falschen“ Namen.<br />

Die Ideologisierung spitzte sich im Folgenden<br />

immer weiter zu: <strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>ordensritter<br />

wurde zum Vorläufer des ostwärts<br />

ziehenden SS-Mannes stilisiert und<br />

Tannenberg/Grunwald zum Heldenkampf<br />

zwischen Germanen und Slawen, hüben<br />

wie drüben, eine Art Stalingrad des Mittelalters.<br />

Das tatsächliche mittelalterliche Geschehen<br />

ist hinter all dem nahezu verschwunden.<br />

Wer kämpfte hier überhaupt gegeneinan<strong>der</strong>?<br />

Der noch heute mit Sitz in Wien<br />

existierende „<strong>Deutsch</strong>e Orden“ war ein<br />

Mönchsorden wie Johanniter und Malteser<br />

und hatte wie diese eine merkwürdige karitativ-kriegerische<br />

Doppelrolle. Nach dem<br />

Verlust des Heiligen Landes an die Muslime<br />

richteten seine Hochmeister ihr Augenmerk<br />

auf die Bekehrung an<strong>der</strong>er „Heiden“<br />

östlich des deutschen Siedlungsgebietes<br />

14 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 15


POLITIK NACHRUF<br />

und errichtete dort eine eigene Herrschaft.<br />

Dieser Orden war tatsächlich in allererster<br />

Linie katholisch (!), nicht deutsch, seine<br />

höchste Autorität <strong>der</strong> Papst (!), nicht <strong>der</strong><br />

Kaiser, seine Leitheilige die Jungfrau Maria<br />

(!), nicht <strong>der</strong> Reichsadler und seine Angehörigen<br />

waren Mönche (!), nicht preußische<br />

Junker.<br />

Aggression und Intrige<br />

Seine Expansion beruhte selbstverständlich<br />

auf Aggression, Intrige und was <strong>der</strong><br />

damalige Politbetrieb so zu bieten hatte.<br />

Keineswegs aber betrieb er eine Vertreibungspolitik.<br />

Wozu auch: Im dünn besiedelten<br />

Europa war Land ohne Menschen<br />

nämlich fast nichts wert. Solange die Abgaben<br />

flossen, Hand- und Spanndienste, sowie<br />

Heeresfolge geleistet wurde, war alles<br />

an<strong>der</strong>e nicht so wichtig. Und so dämmert<br />

die Erkenntnis herauf, dass 1410 die wenigen<br />

hun<strong>der</strong>t deutschsprachigen katholischen<br />

Mönche in ihrem Gefolge mit hoher<br />

Wahrscheinlichkeit tausende polnischsprachige<br />

Untertanen hinter sich hatten<br />

o<strong>der</strong> was auch immer vor 600 Jahren unter<br />

„<strong>Deutsch</strong>“ und „Polnisch“ zu verstehen gewesen<br />

ist.<br />

Umgekehrt handelt es sich beim schwertschwingenden<br />

König mitnichten um den<br />

polnischen König, den nicht einmal Matejko<br />

zum Kriegshelden machen mochte, und<br />

<strong>der</strong> ihn vielmehr rechts hinten ins Gestrüpp<br />

verfrachtete, son<strong>der</strong>n um den litauischen<br />

Fürsten Vytautas. Der wie<strong>der</strong>um hatte in<br />

seinem Gefolge Tataren und an<strong>der</strong>e Steppenbewohner,<br />

<strong>der</strong>en Christianität mindestens<br />

zweifelhaft war.<br />

Heidnische Tartaren<br />

Der amerikanische Schriftsteller und Polenfreund<br />

James A. Michener ließ es sich in<br />

seiner Romandarstellung („Poland“) dieser<br />

Schlacht denn auch nicht nehmen, ausgerechnet<br />

heidnische Tataren den entscheidenden<br />

Schlag gegen die katholischen<br />

Mönche führen zu lassen.<br />

Untergegangen ist <strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>e Orden<br />

übrigens nach Grunwald nicht, ebenso wenig<br />

wie Rom nach Cannae. Der <strong>Deutsch</strong>ordensstaat<br />

kollabierte als Mo<strong>der</strong>nisierungsverlierer<br />

erst ein Jahrhun<strong>der</strong>t später<br />

als sein letzter Hochmeister in einer Art<br />

Management-Buy-out das Gebiet in ein<br />

protestantisches Fürstentum umwandelte,<br />

das von seiner Herkunft die nächsten Jahrhun<strong>der</strong>te<br />

möglichst wenig wissen wollte:<br />

Preußen. <br />

Rassistische Angriffe mehren sich:<br />

Die „Arische Horde“ marschiert<br />

Evangelisch-Reformierte Kirche reagiert mit Erklärung<br />

Von Karl Forster<br />

Lange wurde es geleugnet, dass Rassismus<br />

und Antisemitismus auch in Polen<br />

Raum greift. Jetzt ist auch die evangelische<br />

Kirche in Polen mit einer Erklärung<br />

an die Öffentlichkeit gegangen.<br />

Anfang August wurde die Synagoge in<br />

Orla, einem Ort, in dem viele Polen weißrussischer<br />

Herkunft wohnen, mit faschistischen<br />

und rassistischen Parolen besprüht:<br />

„Juden ins Gas“, „Ganz Polen den Polen“<br />

und „White Power“.<br />

Ende August drangen unbekannte Täter<br />

in das „Zentrum für Islamische Kultur“ in<br />

Krynki ein, demolierten große Teile <strong>der</strong> Inneneinrichtung<br />

und steckten die Toilettenräume<br />

in Brand.<br />

In <strong>der</strong> gleichen Nacht wurden in 14 Orten<br />

<strong>der</strong> Gemeinde Puńsk litauische Gedenktafeln<br />

und ein Denkmal zerstört. Auf das<br />

Denkmal wurde das Zeichen <strong>der</strong> nationalistischen<br />

Organisation „Falanga“ gemalt.<br />

Am 24. August wurde in <strong>der</strong> Gemeinde Bubele<br />

bei Sejny ein Obelisk zum Gedenken<br />

an einen litauischen Dichter beschädigt<br />

und mit Farbe beschmiert. Zwei Tage zuvor<br />

wurde die Wohnung eines pakistanischen<br />

Ehepaares in einer Siedlung in Białystok<br />

angezündet.<br />

Am 31. August wurden in Jedwabne antisemitische<br />

Parolen „Ich entschuldige mich<br />

nicht für Jedwabne“, „Sie waren gut brennbar“<br />

und das Hakenkreuz auf das Denkmal<br />

für die ermordeten Juden gesprüht.<br />

Nazis im Stadion<br />

Schon länger waren in Fußballstadien<br />

Nazigruppen offen und ungestört aufgetreten.<br />

Eine von <strong>der</strong> Europäischen Fußball-<br />

Union (UEFA) in Auftrag gegebene Studie<br />

hatte bestätigt, dass bei Fußballspielen in<br />

den beiden EM-Ausrichterlän<strong>der</strong>n Polen<br />

und Ukraine Neonazi-Gruppen oft völlig<br />

ungehin<strong>der</strong>t auf den Rängen faschistische<br />

Symbole zeigen können und Hasstiraden<br />

gegen Schwarze, Juden, Muslime o<strong>der</strong><br />

Homosexuelle zunehmen. Fans von Legia<br />

Warschau johlten bei einer Party in Łodź<br />

„Juden in die Gaskammern!“ Im Stadion<br />

von Resovia Rzeszów wurde die „Wie<strong>der</strong>holung<br />

<strong>der</strong> Kristallnacht“ angekündigt, und<br />

ein Hooligan aus <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> „White<br />

Patriots“ im schlesischen Czestochowa<br />

trägt das eintätowierte Hakenkreuz auf <strong>der</strong><br />

blanken Brust: „Wir hassen Nigger, Schwule<br />

und Juden“, sagt er. Durch Rzeszóws<br />

Straßen zogen einige Tausend Fussballfans<br />

hinter dem Transparent „Hier marschiert<br />

die Arische Horde“ und im Stadion hing ein<br />

Transparent „Tod den Krummnasen“. Alles<br />

ohne Einschreiten <strong>der</strong> Ordnungskräfte.<br />

Inzwischen reagieren wenigstens die Medien.<br />

In einem offenen Brief hat nun auch<br />

die Evangelisch-Reformierte Kirche die Behörden<br />

aufgerufen, gegen die rassistischen<br />

Aktionen vorzugehen. <br />

Erklärung:<br />

Die Evangelisch-Reformierte Kirche in <strong>der</strong><br />

Republik Polen möchte hiermit ihre tiefe<br />

Beunruhigung über die Anstoß erregenden<br />

Vorfälle ausdrücken, die in letzter Zeit in<br />

Jedwabne, Białystok, Puńsk und Orla stattgefunden<br />

haben.<br />

An den genannten Orten kam es zu schändlichen<br />

Taten. Man entweihte das Denkmal<br />

für die ermordeten Juden in Jedwabne,<br />

zündete das Zentrum <strong>der</strong> Islamischen Kultur<br />

in Białystok an, hinterließ beleidigende<br />

Aufschriften auf den Mauern <strong>der</strong> Synagoge<br />

in Orla und übermalte legale Aufschriften in<br />

litauischer Sprache in Puńsk.<br />

Alle diese Ereignisse geben uns heute<br />

Anlass zu Befürchtungen hinsichtlich <strong>der</strong><br />

moralischen Verfassung eines Teiles unserer<br />

Bürger, die Hass gegenüber unseren<br />

Mitbrü<strong>der</strong>n hegen. Mitbrü<strong>der</strong>n, die sich zu<br />

einer an<strong>der</strong>e Religion als die Mehrheit <strong>der</strong><br />

Polen bekennen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e ethnische und<br />

nationale Wurzeln als die Mehrheit <strong>der</strong> Polen<br />

haben.<br />

Wir appelieren an die polnischen Behörden,<br />

verstärkte Anstrengungen zur Aufdeckung<br />

<strong>der</strong> Verursacher dieser unwürdigen<br />

Vorfälle zu unternehmen. Wir solidarisieren<br />

uns mit allen, die diese Akte des Vandalismus<br />

und <strong>der</strong> Gewalt persönlich berührt o<strong>der</strong><br />

ebenso wie uns betroffen gemacht haben.<br />

Wir drücken die Hoffnung aus, dass wir,<br />

die polnische <strong>Gesellschaft</strong>, noch die Kraft<br />

aufbringen, uns über alle Unterschiede hinweg<br />

solch ungerechten Taten zu wi<strong>der</strong>setzen,<br />

die sich gegen unsere Nächsten richten.<br />

Priester Marek Izdebski, Bischof,<br />

am 13.9.<strong>2011</strong><br />

Zum Tod unseres Beiratsmitglieds:<br />

Versöhnen und Wi<strong>der</strong>stehen:<br />

Franz von Hammerstein (1921–<strong>2011</strong>)<br />

Von Christoph Koch<br />

Sein Eingang und sein Ausgang war ein<br />

unverbrüchliches protestantisches Christentum,<br />

ein quellklares, vorbehaltloses<br />

und vor keiner Konsequenz zurückschreckendes<br />

Christentum, das den So zialismus<br />

als seinen na türlichen Nachfahren auszumachen<br />

vermochte. Das Christentum war<br />

die Brücke, über die er mit <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Wirklichkeit seiner Tage verkehrte.<br />

Es war zugleich die feste Burg, die ihm den<br />

Rückzug auf die für diesen Verkehr erfor<strong>der</strong>liche<br />

Distanz er laubte und ihm sicheren<br />

Stand auf durch die Zeitumstände aufgewühltem<br />

Grund ge währte. Die Fe stigkeit<br />

<strong>der</strong> Burg schien seinem Charakter etwas<br />

Erratisches mit zu tei len. In Wirk lichkeit<br />

war das Erratische ererbt. Zu ihm hatten<br />

sich das Bewußtsein <strong>der</strong> Über stän dig keit<br />

und <strong>der</strong> dagegen aufbegehrende Stolz <strong>der</strong><br />

Beständigkeit <strong>der</strong> vorigen Generation des<br />

deutschen Adels verdichtet, dem mit dem<br />

Untergang <strong>der</strong> Monarchie unter den Füßen<br />

die Republik ausgebrochen war und <strong>der</strong>,<br />

so weit er nicht die Seiten wechselte, aus<br />

<strong>der</strong> überkommenen Perspektive des Militärs<br />

o<strong>der</strong> des di plomatischen Dienstes zusah,<br />

wie eine längst im Feudalstaat eingerichtete<br />

Bourgeoisie die un gewollte Gabe<br />

<strong>der</strong> Republik vertat, die ihr die Revolution<br />

an<strong>der</strong>er gesellschaftlicher Kräfte, de rer<br />

sie sich schämte, in die Hand gedrückt<br />

hatte. Aus dem Wi<strong>der</strong>spruch von Selbstachtung<br />

und Resignation resultiert das<br />

Hammerstein’sche Schweigen, mit dem<br />

<strong>der</strong> Vater nicht allein den Bruch <strong>der</strong> älteren<br />

Töchter mit den Traditionen des Standes<br />

quittierte. Der Sohn, dem weit aus geringere<br />

Zumutungen ins Haus standen, hat es<br />

in die eigene Familie hinübergerettet. Daß<br />

auch das Christentum eine Rückzugsposition<br />

war – er war zu klug, es nicht zu wissen,<br />

doch hat er mit um so stärkerer Zuversicht<br />

darüber hinweggesehen.<br />

Franz von Hammerstein wurde 1921<br />

in Berlin als Sohn des Freiherrn Kurt von<br />

Hammerstein-Equord und Maria Freiin<br />

von Lüttwitz geboren. Die Mutter war die<br />

Tochter des Generals Walther von Lüttwitz,<br />

<strong>der</strong> 1919 als Oberbefehlshaber <strong>der</strong><br />

Reichswehr den Spartakusaufstand nie<strong>der</strong>schlug<br />

und 1920 die treibende Kraft<br />

des Kapp-Putsches war. Der Vater, aus ge-<br />

meinsamem Militärdienst Freund des späteren<br />

Reichskanzlers Kurt von Schleicher,<br />

war maß geblich an <strong>der</strong> bis zum Juli 1933<br />

anhaltenden geheimen Zusammenarbeit<br />

von Reichswehr und Roter Ar mee beteiligt.<br />

In <strong>der</strong> Weimarer Republik stieg er als<br />

Chef <strong>der</strong> Heeresleitung in die oberste Führungsposition<br />

<strong>der</strong> Reichswehr auf (1930).<br />

Nachdem sein Vorstoß bei Hin denburg,<br />

die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler<br />

zu verhin<strong>der</strong>n, gescheitert war und er sich<br />

die Vergeblichkeit seines Wi<strong>der</strong>stands gegen<br />

die Nationalsozialisten eingestehen<br />

mußte, reich te er Ende 1933 sein Entlassungsgesuch<br />

ein. Von Anfang stand er in<br />

Kontakt mit dem militärischen Wi<strong>der</strong>stand<br />

gegen Hitler, und es heißt, daß er im Zuge<br />

seiner vorübergehenden Reaktivierung zu<br />

Beginn des Zweiten Weltkriegs geplant<br />

habe, Hitler zu beseitigen. Seine beiden<br />

ältesten Söhne, Kunrat und Ludwig, waren<br />

am Putschversuch gegen Hitler vom 20.<br />

Juli 1944 beteiligt. Die drei älteren Töchter<br />

hatten dem elterlichen Milieu bereits früher<br />

den Rücken gekehrt und teils revolutionärere<br />

Wege eingeschlagen. Marie Luise<br />

trat im ersten Semester ih res Jurastudiums<br />

in die Kommunistische Partei ein; Maria<br />

Therese hatte ein intensives Interesse für<br />

das Judentum entwickelt, bewahrte mit Hilfe<br />

von Vater und Schwester Juden vor <strong>der</strong><br />

Verhaftung und wan<strong>der</strong>te nach einem mißglückten<br />

Aufenthalt in einem israelischen<br />

Kibbuz 1935 mit ihrem Mann nach Japan<br />

aus; Helga kam in jungen Jahren durch<br />

ihren polnisch-jüdischen Freund Leo Roth<br />

mit <strong>der</strong> illegalen Arbeit <strong>der</strong> KPD in Berührung,<br />

<strong>der</strong> sie 1930 beitrat. Erst unlängst<br />

hat man in Moskau Dokumente gefunden,<br />

die aus <strong>der</strong> Schreibtischschublade ihres<br />

Vaters stammen. In <strong>der</strong> engeren Familie<br />

Hammerstein hat es keinen Nationalsozialisten<br />

gegeben.<br />

Welch ein Umfeld! Die Jugend Franz von<br />

Hammersteins glie<strong>der</strong>t sich in zwölf Jahre<br />

Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> Wei marer Republik und<br />

zwölf Jahre Aufstieg und Fall des Dritten<br />

Reiches. Wegen eines Sehfehlers vor <strong>der</strong><br />

Einberufung bewahrt, wurde er zur Arbeit<br />

in <strong>der</strong> Rüstungsindustrie dienstverpflichtet<br />

und absolvierte eine Ausbildung als<br />

Industriekauf mann. Nach dem 20. Juli<br />

1944 wurden im Zuge <strong>der</strong> Suche nach den<br />

flüchtigen Brü<strong>der</strong>n er, seine Mutter und<br />

seine Schwestern Helga und Hildur – <strong>der</strong><br />

Vater war 1943 gestorben – in Sippenhaft<br />

genommen. Mutter, Franz und Hildur trafen<br />

sich in <strong>der</strong> Grünen Minna wie<strong>der</strong>, die sie als<br />

Son<strong>der</strong>häftlinge Himmlers auf die Reise in<br />

die weitgehend inexistente „Alpenfestung“<br />

schickte. In den Wirren des Kriegsendes<br />

endet die Irrfahrt für Mutter und Tochter<br />

in den Südtiroler Bergen, für den Sohn auf<br />

dem Fußmarsch von Dachau in den Süden,<br />

ehe die Familienmitglie<strong>der</strong> von den Amerikanern<br />

befreit werden.<br />

Das mit geringfügiger Verspätung angetretene<br />

erwachsene Leben Franz von<br />

Hammersteins beginnt mit einem Fazit.<br />

Er bezieht Position sowohl im Gefüge <strong>der</strong><br />

Familie als auch ge genüber <strong>der</strong> Geschichte<br />

seines Landes, indem er sich zum Studium<br />

<strong>der</strong> Theologie entschließt. Der Keim zu<br />

dem Entschluß ist früh gelegt. Ein Umzug<br />

<strong>der</strong> Familie hatte es gefügt, daß <strong>der</strong> katholisch<br />

Getaufte 1937 in <strong>der</strong> Dahlemer<br />

Bekenntnisgemeinde den Konfirmationsunterricht<br />

von Martin Niemöller besuchte<br />

und von diesem konfirmiert wurde, ehe<br />

Niemöller drei Wochen später als „persönlicher<br />

Gefangener“ Hitlers in das Konzentrationslager<br />

Sachsenhausen eingeliefert<br />

wurde. Hammersteins Entscheidung für<br />

die Theologie ist nicht die Entscheidung<br />

einer gläubigen anima candida, son<strong>der</strong>n<br />

über den Glauben hinaus ein politischer<br />

Entschluß. Seither steht sein Leben unter<br />

dem Motto <strong>der</strong> Begriffe „Versöhnen“ und<br />

„Wi<strong>der</strong>stehen“, die kluge Leute – lei<strong>der</strong> in<br />

umgekehrter Reihenfolge – über die Festschrift<br />

zu seinem 85. Geburtstag gesetzt<br />

haben. Tatsächlich steht von beiden Zielen<br />

das erstere voran. Der Versöhnung <strong>der</strong><br />

vor allem von deutscher Seite nicht erst<br />

durch den beispiellosen Zivilisationsbruch<br />

des Nationalsozialismus unter den Völkern<br />

ebenso wie im eigenen Volk aufgerissenen<br />

Trennungen und Gegensätze und dem Wi<strong>der</strong>stand<br />

gegen alle Versuche, den Prozeß<br />

16 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 17


NACHRUF NACHRUF<br />

Ein Foto <strong>der</strong> Skulptur „Franz von Hammerstein“<br />

des Berliner Bildhauers und Grafikers Christian<br />

Theunert (1899-1981), dem im Dritten Reich die<br />

Berufsausübung verboten war, steht im Wohnzimmer<br />

<strong>der</strong> Hammersteins. Theunerts Nachlass<br />

wurde 1996 dem Archiv <strong>der</strong> Akademie <strong>der</strong> Künste<br />

vermacht. Foto: Privatarchiv Hammerstein<br />

<strong>der</strong> Befreiung des westlichen Teils des aus<br />

tiefstem Fall hervorgegangenen Nachkriegsdeutschlands<br />

aus den Verfehlungen<br />

<strong>der</strong> Vergangenheit zu hin<strong>der</strong>n, dient fortan<br />

nicht allein sein berufliches, son<strong>der</strong>n sein<br />

ganzes Leben mit zunehmen<strong>der</strong>, bisweilen<br />

auch rücksichtsloser Ausschließlichkeit.<br />

Dabei geht es auch im Falle größter Aufrichtigkeit<br />

naturgemäß nicht ohne Unvollkommenheiten<br />

ab, sei es, daß das Herz<br />

den Kopf (niemals umgekehrt) vom letzten<br />

Durchdringen des Gegenstandes zurückhält,<br />

sei es, daß das Verständnis des Gegenstands<br />

an<strong>der</strong>er und umfangreicherer<br />

Instrumente bedarf, als sie <strong>der</strong> theologische<br />

Zugang bereithält, sei es endlich, daß<br />

ein für die Sache relevanter Gegenstand<br />

scheinbar außerhalb des Anliegens <strong>der</strong><br />

Versöhnung liegt.<br />

Noch während seiner Studienzeit beginnt<br />

Hammerstein mit unerschöpflicher Energie<br />

und mit unerschütterlicher Standfestigkeit<br />

eine nachgerade gigantisch anmutende<br />

Aktivität, <strong>der</strong>en Breitenwirkung heute<br />

kaum mehr überschaubar ist. Die folgenden<br />

Zeilen vermögen davon nur ein grobes<br />

Bild zu zeichnen.<br />

An vor<strong>der</strong>ster Stelle des gewählten Lebensvorsatzes<br />

steht die Versöhnung zwischen<br />

Ju den und <strong>Deutsch</strong>en, die eine<br />

kritische Solidarität mit dem Staat Israel<br />

einschließt. Mit jüdischer Geschichte und<br />

Kultur war Franz von Hammerstein vor<br />

allem während eines Studienaufenthalts<br />

in den USA vertraut geworden, wo er auf<br />

jüdische Emigranten aus <strong>Deutsch</strong>land traf.<br />

Während dieser Zeit war er zusammen mit<br />

Eberhard Bethge, dem Betreuer des Nachlasses<br />

von Dietrich Bonhoeffer, an <strong>der</strong><br />

Gründung <strong>der</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für Christlich-<br />

Jü di sche Zusammenarbeit beteiligt, die seit<br />

1951 die jährliche „Woche <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit“<br />

organisiert. In den USA wurden auch<br />

die Grundlagen seiner Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit Leo Baeck und Martin Buber gelegt.<br />

Bereits 1951 schenkt er seiner späteren<br />

Frau das Hauptwerk „Ich und Du“ des jüdischen<br />

Religionsphilosophen. Sieben Jahre<br />

später erscheint seine Dissertation „Über<br />

das Messiasproblem bei Martin Buber“.<br />

Im gleichen Jahr gründete Hammerstein<br />

mit dem Magdeburger Kirchenrechtler Lothar<br />

Kreyssig, <strong>der</strong> als Richter seine Stimme<br />

gegen das nationalsozialistischen Euthanasieprogramm<br />

erhoben hatte, Harald<br />

Poelchau, dem Gefängnisseelsorger <strong>der</strong><br />

nationalsozialistischen Hinrichtungstätte<br />

Plötzensee, und den Pfarrern <strong>der</strong> Bekennenden<br />

Kirche Martin Niemöller und Ernst<br />

Wilm die Aktion Sühnezeichen, die seither<br />

Hun<strong>der</strong>te junger Freiwilliger nach Israel<br />

und in die von <strong>Deutsch</strong>land unterworfenen<br />

und vom Krieg betroffenen Län<strong>der</strong><br />

geschickt hat, wo sie an <strong>der</strong> Aufarbeitung<br />

<strong>der</strong> Vergangenheit, <strong>der</strong> Betreuung <strong>der</strong> Opfer,<br />

<strong>der</strong> Pflege <strong>der</strong> Gedenkstätten und in<br />

sozialen Einrichtungen mitarbeiten. Internationale<br />

Begegnungsstätten in Jerusalem,<br />

Oświęcim (Auschwitz), Paris und Coventry,<br />

die von Aktion Sühnezeichen initiiert und<br />

errichtet wurden, sind lediglich die herausragenden<br />

Orte ungezählter von ihr organisierter<br />

Begegnungen von ehemaligen<br />

Häftlingen, Verfolgten, Zwangsarbeitern,<br />

Kriegsgefangenen, von Wi<strong>der</strong>standsgruppen<br />

aus allen betroffenen Län<strong>der</strong>n, von<br />

Franz von Hammerstein Foto: ASF<br />

KZ-Insassen und ihren Befreiern, von Zeitzeugen<br />

und Angehörigen nachgeborener<br />

Generationen, die die Erinnerung an das<br />

Geschehen wachhalten, das Verständnis<br />

seiner Geschichte vertiefen und das Bewußtsein<br />

<strong>der</strong> Zusammengehörigkeit über<br />

nationale, religiöse und weltanschauliche<br />

Unterschiede hinaus bestärken.<br />

Die Arbeit von Aktion Sühnezeichen stieß<br />

bei den Opfervölkern des Nationalsozialismus<br />

anfangs auf Mißtrauen und Skepsis, in<br />

weiten Teilen des Tätervolkes auf teils gehässige<br />

Ablehnung. Die Diffamierungen als<br />

Nestbeschmutzer und Va ter landsverräter<br />

trafen die Mitarbeiter und die Freiwilligen<br />

von Aktion Sühnezeichen wie die Träger<br />

an<strong>der</strong>er Initiativen, die sich die Überwindung<br />

<strong>der</strong> nationalsozialistischen Hinterlassenschaft<br />

zur Aufgabe machten, und waren<br />

in den Jahren, in denen Hammerstein<br />

die Arbeit <strong>der</strong> Organisation als ihr Generalsekretär<br />

leitete (1968 – 1975), noch kaum<br />

verstummt.<br />

Im Anschluß an diese Tätigkeit war Franz<br />

von Hammerstein beim Weltkirchenrat in<br />

Genf mit <strong>der</strong> Betreuung des christlich-jüdischen<br />

Dialogs befaßt. Für sein Eintreten<br />

für die christlich-jü dische Verständigung<br />

wurde er 2001 mit dem Bundesverdienstkreuz<br />

ausgezeichnet. Zwei Jah re später<br />

erhielt er zusammen mit Günter Särchen,<br />

dem katholischen Mitbegrün<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ak tion<br />

Sühnezeichen <strong>der</strong> DDR, den Lothar-Kreyssig-Friedenspreis.<br />

Die Arbeit für Aktion Sühnezeichen bot<br />

den Anstoß und die Grundlage für das<br />

zweite große Anliegen Franz von Hammersteins:<br />

den Dialog über die Gräben des Kalten<br />

Krieges hinweg. In all seinen Funktionen<br />

hat er unter dem Leitstern <strong>der</strong> Versöhnung<br />

auf unzähligen Wegen und auf allen Ebenen<br />

das Gespräch mit Partnern aus den sozialistischen<br />

Län<strong>der</strong>n Osteuropas, allen voran<br />

aus Polen, <strong>der</strong> Sowjetunion und <strong>der</strong> Tschechoslowakei,<br />

die als Territorien <strong>der</strong> Ausweitung<br />

des deutschen „Lebensraums“ und<br />

als Lieferstätten <strong>der</strong> Rohstoffversorgung<br />

des <strong>Deutsch</strong>en Reiches ausersehen waren,<br />

gesucht und geführt. Die Hypothek, die auf<br />

den Gesprächen lag, war weitaus größer<br />

als die aktuellen politischen und ideologischen<br />

Gegensätze <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />

<strong>Gesellschaft</strong>ssysteme. Alle drei Län<strong>der</strong><br />

waren Schauplatz deutscher Kriegsverbrechen,<br />

Polen und die Tschechoslowakei<br />

waren zudem die Ursprungslän<strong>der</strong> <strong>der</strong> im<br />

Zuge <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage des Dritten Reiches<br />

geflüchteten, vertriebenen und ausgesiedelten<br />

deutschen Bevölkerung und hatten<br />

von den Alliierten <strong>der</strong> Antihitlerkoalition<br />

Franz von Hammerstein mit Ehefrau Verena Foto: Aktion Sühnezeichen / Friedensdienste<br />

große Teile des <strong>Deutsch</strong>en Reiches zugesprochen<br />

bekommen, Polen endlich war<br />

überdies <strong>der</strong> hauptsächliche Schauplatz<br />

<strong>der</strong> Vernichtung <strong>der</strong> jüdischen Bevölkerung<br />

aus allen Teilen Europas. Der Dialog<br />

mit Polen verband Franz von Hammerstein<br />

mit <strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land. Länger,<br />

als ich zurückdenken kann, gehörte er mit<br />

an<strong>der</strong>en Vertretern von Aktion Sühnezeichen<br />

dem Beirat unserer <strong>Gesellschaft</strong> an,<br />

und beharrlich hat er auf die hartnäckigen<br />

Fragen von Freunden, die uns das Erstgeburtsrecht<br />

neiden, ob er diese Zugehörigkeit<br />

mit seinem Gewissen vereinbaren<br />

könne, geantwortet: ja, das könne er sehr<br />

wohl. Umgekehrt habe ich unsere <strong>Gesellschaft</strong><br />

lange Jahre im Kuratorium <strong>der</strong> Aktion<br />

Sühnezeichen vertreten, in dem er<br />

als Ehrenvorsitzen<strong>der</strong> keine passive Rolle<br />

spielte.<br />

Seinen beruflichen Lebensweg hat Franz<br />

von Hammerstein in harmonischer Folgerichtigkeit<br />

beschlossen. Als Direktor <strong>der</strong><br />

Evangelischen Akademie zu Berlin blieb er<br />

<strong>der</strong> rastlose Mittler des Dialogs. 1986 trat<br />

er in einen ebenso rastlosen Ruhestand.<br />

In <strong>der</strong> Konsequenz seines Lebensentwurfs<br />

war er in zahlreichen Organisationen, die<br />

sich die Überwindung von <strong>der</strong> Geschichte<br />

gezogener Gräben zum Ziel setzten, ein<br />

meist aktives Mitglied. So in <strong>der</strong> Gedenkstätte<br />

<strong>Deutsch</strong>er Wi<strong>der</strong>stand und in <strong>der</strong><br />

Stiftung Topographie des Terrors, in <strong>der</strong><br />

Internationale <strong>der</strong> Kriegsdienstverweigerer<br />

und im Martin-Niemöller-Friedenszentrum.<br />

Sein Einsatz für die osteuropäischen Län<strong>der</strong><br />

hat den Zusammenbruch des Sozialismus,<br />

den er als Tragödie verstand, überdauert.<br />

So hat er 1992 Starthilfe für die<br />

Initiative <strong>Deutsch</strong>-Russischer Austausch<br />

e. V. geleistet, die sich die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Zivilgesellschaft in Rußland, Weißrussland<br />

und <strong>der</strong> Ukraine zur Aufgabe macht.<br />

In Rußland unterstützte er die Arbeit von<br />

Memorial, das sich <strong>der</strong> Geschichte und <strong>der</strong><br />

juristischen und sozialen Lage <strong>der</strong> Opfer<br />

<strong>der</strong> deutschen Okkupation und des Stalinismus<br />

annimmt, und wurde 1993 Mitglied<br />

seiner deutschen Sektion. 1994 stellte<br />

er sich für die Überführung <strong>der</strong> Hinterlassenschaft<br />

<strong>der</strong> <strong>Gesellschaft</strong> für deutschso<br />

wjetische Freundschaft <strong>der</strong> DDR in<br />

die Stiftung West-Östliche Begegnungen<br />

zur Verfügung, die sich den deutschrussischen,<br />

deutsch-weiß rus sischen und<br />

deutsch-ukrainischen Beziehungen und<br />

dem Aufbau demokratischer Strukturen<br />

in den ostslavischen Nachfolgestaaten <strong>der</strong><br />

UdSSR widmet und <strong>der</strong>en Vorsitz er zehn<br />

Jahre lang inne hatte.<br />

Welch ein Lebensweg und welche Distanz,<br />

die er durchmessen hat! Das Lebenswerk<br />

Franz von Hammersteins verkörpert<br />

exemplarisch die mögliche Ankunft des<br />

deutschen Adels auf dem Boden <strong>der</strong> Republik,<br />

<strong>der</strong> deutschen freilich, d. h. einer<br />

schwierigen Republik, die in beson<strong>der</strong>em<br />

Maße die Entscheidung für ihre freiheitlichen<br />

und befreienden Möglichkeiten for<strong>der</strong>t,<br />

die als Möglichkeiten zur Verwirklichung<br />

aufgegeben sind. Das Leben Franz<br />

von Hammersteins ist dieser Aufgabe in<br />

denkbar vollkommener Weise gerecht geworden.<br />

Franz von Hammerstein ist am 15. August<br />

<strong>2011</strong> gestorben. Seine Frau Verena, die<br />

dieses Leben getragen und ermöglicht hat,<br />

meint, daß er auch Fehler hatte. Man sollte<br />

es nicht für möglich halten. <br />

Wenn Sie uns<br />

helfen wollen...<br />

... gibt es verschiedene Möglichkeiten..<br />

1. Auf <strong>der</strong> Webseite<br />

www.spendenportal.de finden<br />

Sie unter dem Stichwort „PO-<br />

LEN und wir“ unser Projekt.<br />

Hier können Sie online einen<br />

Betrag Ihrer Wahl per Lastschriftverfahren<br />

für uns spenden.<br />

Der Betrag kommt ohne<br />

Verwaltungskosten o<strong>der</strong> Gebühren<br />

in voller Höhe unserer<br />

Zeitschrift zu Gute.<br />

2. Sie können uns abonnieren.<br />

Für nur 12 Euro im Jahr frei<br />

Haus. Einfach eine Mail an:<br />

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<strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

<strong>Deutsch</strong>land e.V. (Jahresbeitrag<br />

62 €, ermäßigt 31€)<br />

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POLEN und wir<br />

Zeitschrift für deutsch-polnische<br />

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18 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 19


TOURISMUS BÜCHER<br />

Premiere im grenzüberschreitenden Bahnverkehr:<br />

Reisen ohne Lokwechsel<br />

Lokführer erlernen die polnische Sprache<br />

Von Ulrike Höck<br />

Europa rückt stetig näher zusammen,<br />

aber die Fahrt mit <strong>der</strong> Bahn zum Nachbarn<br />

Polen ist noch immer beschwerlich. Zeitraubende<br />

Lokwechsel, Unterbrechungen<br />

<strong>der</strong> Elektrifizierung o<strong>der</strong> eingleisige Bahnstrecken<br />

schmälern das Reisevergnügen.<br />

Umso erfreulicher ist, dass nun eine entscheidende<br />

Hürde genommen wurde: Die<br />

Bahntöchter DB Regio und Arriva Polen haben<br />

die Zulassung für die Triebwagen <strong>der</strong><br />

Baureihe VT646 für den Einsatz in ganz Polen<br />

und <strong>Deutsch</strong>land erhalten. Damit wird<br />

hier erstmals auch im Regionalverkehr <strong>der</strong><br />

grenzüberschreitende Schienenverkehr<br />

ohne Lokwechsel, <strong>der</strong> vor kurzem beim<br />

Warschau-Berlin-Express realisiert wurde,<br />

möglich.<br />

Erster Ausflug<br />

Am 26. August <strong>2011</strong> war es endlich soweit:<br />

DB-Regio Nordost und Arriva RP starteten<br />

den ersten Ausflug mit dem neuen<br />

Triebwagen ins Nachbarland Polen, begleitet<br />

von führenden Vertretern <strong>der</strong> Wojewodschaft<br />

Lubuskie, des Landes Brandenburg<br />

und <strong>der</strong> beiden DB-Konzerntöchter. Der<br />

Premierenzug nahm auch 90 Touristen aus<br />

Berlin mit auf die Reise ins nahegelegene<br />

polnische Międzyrzecz.<br />

Während die Touristen die Fahrt durch<br />

Brandenburg und die Wojewodschaft Lubuskie<br />

genossen, erläuterten Vertreter aus<br />

Polen und <strong>Deutsch</strong>land <strong>der</strong> mitreisenden<br />

Presse die Bedeutung <strong>der</strong> Neuerung. „Wir<br />

brauchen gute Verbindungen zwischen<br />

Brandenburg und Polen“ so <strong>der</strong> brandenburgische<br />

Verkehrsminister Jörg Vogelsänger.<br />

„Die Zulassung <strong>der</strong> Triebwagen<br />

für beide Län<strong>der</strong> ist ein wichtiger Schritt.“<br />

Der Zug verfügt nun über die <strong>Polnische</strong><br />

Zugsicherung SHP und die Sicherungseinrichtung<br />

Funkstopp, die Displays wurden<br />

angepasst und sind komplett zweisprachig<br />

gestaltet. Die technischen Voraussetzungen<br />

für den grenzüberschreitenden Verkehr<br />

sind nun erfüllt. Der früher notwendige<br />

Lokwechsel kann entfallen und die<br />

gewonnene Zeitersparnis macht Bahnfahren<br />

zwischen <strong>Deutsch</strong>land und Polen beson<strong>der</strong>s<br />

im Nahverkehr attraktiver.<br />

Der Bahnbevollmächtigte Dr. Joachim<br />

Trettin ist erfreut über den überwältigen<br />

Zuspruch <strong>der</strong> Ausflügler für diese erste angebotene<br />

Tagestour zum polnischen Nachbarn<br />

und sieht darin das Interesse an einer<br />

Verbesserung des grenzüberschreitenden<br />

Verkehrs bestätigt. Dies gilt auch für polnische<br />

Fahrgäste, für die Berlin und Umgebung<br />

attraktive Reiseziele darstellen, so<br />

<strong>der</strong> Marschall <strong>der</strong> Wojewodschaft Lubuskie<br />

Maciej Szykuła. Und „unsere polnischen<br />

Städte und Gemeinden freuen sich, wenn<br />

die Gäste aus Berlin künftig mit <strong>der</strong> Bahn<br />

anreisen können“<br />

Besuch in Gorzów<br />

Hiervon konnten sich auch die Berliner<br />

Ausflügler überzeugen. Eine Stadtvisite in<br />

Gorzów führte sie an die Westuferprome-<br />

nade <strong>der</strong> Warta, wo Bahnbögen ähnlich den<br />

Berliner S-Bahnbögen umgestaltet werden<br />

und Cafés zum Verweilen einladen. Neue<br />

Spielplätze und Wasserspiele begeistern<br />

die Kin<strong>der</strong>, Sonnenkollektoren zeugen von<br />

umweltfreundlicher Planung. Beim Besuch<br />

auf dem Marktplatz boten sich kurze Einblicke<br />

in die neuere Geschichte. Mit Bahn und<br />

Bus ging es weiter nach Międzyrzecz und<br />

zur Burg an <strong>der</strong> Obra. Gut gestärkt von traditioneller<br />

polnischer Küche, erkundeten<br />

die Reisenden die Burganlage. Sie wurden<br />

von Rittern in glänzen<strong>der</strong> Rüstung empfangen<br />

und durften sich im Bogenschießen<br />

üben o<strong>der</strong> im Folterkeller gruseln. Beim<br />

Museumsbesuch faszinierte beson<strong>der</strong>s<br />

die hervorragende Sammlung wertvoller<br />

Sargporträts, von denen einige zurzeit in<br />

<strong>der</strong> Ausstellung im Martin-Gropius-Bau zu<br />

sehen sind. Mit Renaissancemusik und<br />

Tanzdarbietungen des jungen preisgekrönten<br />

Ensembles „Antiquo More“ fand <strong>der</strong><br />

Besuch einen stimmungsvollen Ausklang.<br />

Sprachkurse gefragt<br />

Für die Zukunft sind weitere Touren geplant,<br />

jedoch wird gerade erst das Netz<br />

neu ausgeschrieben. DB-Regio dürfte gute<br />

Chancen mit <strong>der</strong> Baureihe VT646 bei <strong>der</strong><br />

Ausschreibung <strong>der</strong> Strecke für 2014 haben.<br />

In <strong>der</strong> Zwischenzeit werden in einem<br />

Schulungszentrum in Szczecin die Lokführer<br />

aus <strong>Deutsch</strong>land ausgebildet. Auch aus<br />

Sicherheitsgründen wird hier beson<strong>der</strong>er<br />

Der neue Triebwagenzug besucht erstmals einen polnischen Bahnhof. Foto: Höck<br />

Wert auf die polnischen Sprachkenntnisse<br />

gelegt. „Die Nachfrage übersteigt bei weitem<br />

die Zahl angebotener Ausbildungsplätze,<br />

wir sind selbst darüber erstaunt“ so ein<br />

Sprecher <strong>der</strong> Bahn. Für die Lokführer heißt<br />

es jetzt also: die Schulbank drücken, polnische<br />

Schienenverkehrsregeln lernen und<br />

Vokabeln pauken. <br />

Jan Karskis Bericht an die Welt<br />

Geschichte eines Staates<br />

im Untergrund<br />

Von Renate Weiß<br />

In diesem Jahr erschien in <strong>Deutsch</strong>land Jan Karskis „Mein Bericht an die Welt“. Als<br />

„Geschichte eines Staates im Untergrund“ war <strong>der</strong> Bericht in vierhun<strong>der</strong>tausend<br />

Exemplaren 1944 in USA herausgegeben, und war sofort vergriffen. Daraufhin erschien<br />

dieser Bericht in England, Schweden, Norwegen und Frankreich. 1999 wurde<br />

das Buch in Polen verlegt und nun eben bei uns.<br />

Was beeindruckt den Leser heute an<br />

diesem Bericht, da doch bereits viele Publikationen<br />

über die polnische Untergrundbewegung<br />

von 1939 bis 1945 erschienen<br />

sind? Das ist vor allem die Authentizität<br />

dieses Buches.<br />

Mich haben zwei Ereignisse beson<strong>der</strong>s<br />

beschäftigt. Die zweite Reise Karskis nach<br />

Frankreich bzw. nach London als Kurier <strong>der</strong><br />

Exilregierung. Er gelangte über viele Umwege<br />

und schwierige Fahrten mit dem Zug,<br />

zu Fuß, und per Schiff 1943 nach London.<br />

Er berichtete den Vertreten <strong>der</strong> polnischen<br />

Exilregierung und auch Vertretern <strong>der</strong> englichen<br />

Regierung über seine Erlebnisse und<br />

über die Situation in Warschau, Lublin und<br />

Krakau, über sein illegales Eintauchen in<br />

das Ghetto und das KZ Bełżec; über seine<br />

eigene Inhaftierung und die Folter (1940 ),<br />

sowie seine Befreiung aus dem Gestapogefängnis,<br />

dem Krankenlager. Die Rettungsaktion<br />

für Jan Karski erfolgte auf Anweisung<br />

von Józef Cyrankiewicz (Vorsitzen<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Sozialdemokratischen Partei) unter<br />

Anleitung von Staszek Rosa (Stasnisław<br />

Rosieński, 1943 ermordet), den er aus Krakau<br />

kannte, aber nicht wusste, dass er zum<br />

Untergrund gehört. Eine ganze Gruppe von<br />

Kämpfern <strong>der</strong> PPS (Sozialdemokratische<br />

Partei Polens) war an dieser Befreiung beteiligt.<br />

Er charakterisiert Józef Cyrankiewicz<br />

(später Ministerpräsident in <strong>der</strong> Volksrepublik<br />

Polen) im Zusammenhang mit ihrer<br />

bei<strong>der</strong> Arbeit im Untergrund. „Während<br />

meines Aufenthalts in Krakau wohnte ich<br />

bei einem Mann namens Józef Cyna, mit<br />

dem ich schon vor dem Krieg befreundet<br />

war. Er war Anführer <strong>der</strong> Sozialistischen<br />

Partei und ein erstklassiger Journalist ... .<br />

Von den zahlreichen Vertretern <strong>der</strong> politischen<br />

Führung, denen ich begegnete, war<br />

er offenbar <strong>der</strong> Einzige, <strong>der</strong> erkannte, dass<br />

es ein fataler Fehler war, sich auf die Stärke<br />

Frankreichs zu verlassen.” Bereits hier erkannte<br />

Cyrankiewicz die eigennützige Rolle<br />

<strong>der</strong> Alliierten bei <strong>der</strong> Befreiung Polens vom<br />

Faschismus. Obwohl die polnischen Soldaten<br />

an fast allen Fronten kämpften und<br />

an <strong>der</strong> Befreiung Berlins teilnahmen, wurde<br />

Polen nicht zu den Verhandlungen zum<br />

Potsdamer Abkommen hinzugezogen.<br />

20 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 21<br />

Analysen<br />

Karski schreibt nicht nur über Persönlichkeiten<br />

des Untergrunds, son<strong>der</strong>n analysiert<br />

auch gesellschaftliche Bewegungen.<br />

„Von den vier Bewegungen, die am tiefsten<br />

im polnischen Bewusstsein verankert<br />

waren, besaß die Sozialistische im Kampf<br />

um die Unabhängigkeit die wahrscheinlich<br />

stärkste und ungebrochene Tradition. Sie<br />

hatte großen Einfluss bei den polnischen<br />

Arbeitern erlangt, die Vorreiter im Kampf<br />

um die Unabhängigkeit gewesen waren.<br />

Aus ihren Reihen stammen die mutigsten,<br />

unerbittlichsten und aufopfeungsvollsten<br />

Kämpfer.“ Zusammenfassend betont er<br />

„Die Arbeiter spielten eine maßgebliche<br />

Rolle bei <strong>der</strong> Verteidigung Warschaus...“<br />

„Die Nationalbewegung hatte ebenfalls<br />

tiefe Wurzeln in <strong>der</strong> Bevölkerung. Die<br />

Grundidee ‚Alles für die Nation‘ war von<br />

enormer Bedeutung für den Kampf Polens<br />

um die Selbsterhaltung als Nation und um<br />

die zahllosen Tragödien und Nie<strong>der</strong>lagen zu<br />

überstehen. Diese politisch starke Partei<br />

hatte Zulauf aus allen Klassen und Schichten.“<br />

„Historisch gesehen war die Bauernpartei<br />

die jüngste <strong>der</strong> vier Organisationen.“<br />

„Die vierte Kraft , die christliche Arbeiterbewegung,<br />

ist infolge ihrer ideologischen<br />

Orientierung ähnlich demokratisch ausgerichtet“<br />

Er analysiert die parlamentarischen Verhältnisse<br />

im Vorkriegspolen, zeigt die<br />

Verän<strong>der</strong>ungen, die sich im Untergrund<br />

entwickelten und die Rolle <strong>der</strong> Parteien<br />

für eine demokratische Entwicklung. „Die<br />

politischen Parteien repräsentierten die<br />

überwiegende Mehrheit <strong>der</strong> polnischen Bevölkerung<br />

im Untergrundstaat“.<br />

Wer war Jan Karski?<br />

Es ist die Geschichte eines polnischen<br />

Patrioten. Er lebte mit seiner Familie in einer<br />

großen interkulturellen Stadt, in Łódź.<br />

Er stammt aus einer Familie <strong>der</strong> polnischen<br />

Mittelschicht, hatte selbst den Ehrgeiz in<br />

die Diplomatie einzusteigen, Kariere zu<br />

machen. Dieser Ehrgeiz bedeutete harte<br />

Arbeit. Der Krieg brachte ihn auf einen an<strong>der</strong>en<br />

Weg, <strong>der</strong> nicht nur diplomatisches<br />

Geschick, son<strong>der</strong>n Mut, analytische Fähigkeiten<br />

und eine bedingungslose Liebe zu<br />

seinem Land erfor<strong>der</strong>te.<br />

Er wurde Kurier <strong>der</strong> Untergrundregierung<br />

Polens, <strong>der</strong> nicht nur Informationen<br />

Jan Kozielewski wurde 1914 in Łodź geboren,<br />

1942 nahm er den Namen Karski an.<br />

Foto: Verlag Antje Kunstmann<br />

nach Frankreich bzw. England vom Untergrundkampf<br />

<strong>der</strong> Exilregierung übermittelte,<br />

son<strong>der</strong>n selbst zum großen Teil die Nachrichten<br />

von den verschiedenen Kämpfern,<br />

Organisationen und Strukturen des Untergrundstaates<br />

erarbeitete.<br />

Es wird in seinen Berichten die Vielfalt <strong>der</strong><br />

Untergrundbewegung deutlich. Er übermittelte<br />

nicht nur Instruktionen <strong>der</strong> Parteien,<br />

son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> jüdischen Vertreter die<br />

nicht zu den Parteien gehörten, aber als<br />

jüdische Min<strong>der</strong>heit in Polen, Vertreter im<br />

Nationalrat in London hatten.<br />

Bevor Karski in geheimer Mission 1943<br />

nach London abreiste, hatte er noch eine<br />

Aussprache mit den jüdischen Vertretern<br />

des Untergrunds. Die jüdische Bevölkerung<br />

stand vor ihrer völligen Ausrottung. Die bei-


INACHRUF<br />

den jüdischen Vertreter des Untergrunds<br />

waren sich dieser schrecklichen aussichtslosen<br />

Lage bewusst. Sie waren <strong>der</strong> Ansicht<br />

Hilfe könne nur von den Alliierten kommen.<br />

Karski sollte diese Botschaft nach London,<br />

in die USA und zu den Vereinten Nationen<br />

bringen, damit keiner sagen könne,<br />

<strong>der</strong> Ernst <strong>der</strong> Situation sei nicht erkannt.<br />

Karski erhielt einen umfassenden Bericht<br />

über die Lage im Ghetto und in den Konzentrationslagern.<br />

Er wollte sich trotzdem<br />

davon selbst ein Bild machen. Es wurde die<br />

Möglichkeit organisiert, dass er sich selbst<br />

von <strong>der</strong> Situation überzeugt.<br />

Seine Erlebnisse, die Grausamkeiten im<br />

Ghetto und im Lager sind kaum zu ertragen.<br />

Diese Erlebnisse verfogten ihn bis an<br />

sein Lebensende.<br />

In London berichtete Karski vor allen<br />

möglichen Gremien, gab Pressekonferenzen.<br />

„Aus britischer Sicht zählte das alles<br />

nicht viel.“ ( S: 535) schreibt er enttäuscht.<br />

Generell entstand bei ihnen <strong>der</strong> Eindruck,<br />

dass er zwar überall berichten musste,<br />

aber letztlich doch ein gewisser Unglauben<br />

zu spüren war.<br />

„Mir wurde bald klar, dass die Außenwelt<br />

die beiden wichtigsten Prinzipien des polnischen<br />

Wi<strong>der</strong>standes nicht nachvollziehen<br />

konnten. Sie würden nie verstehen<br />

und würdigen können, welche Opfer und<br />

welcher Heldenmut darin lagen, dass sich<br />

unsere gesamte Nation weigerte, mit den<br />

<strong>Deutsch</strong>en zu kollaborieren. … Die Tatsache,<br />

dass ein Staatsapparat im Untergrund<br />

normal funktionieren konnte, mit einem<br />

Parlament, einer Regierung, einem Justizwesen<br />

und einer Armee, war für sie reine<br />

Fantasie“. (S. 536 )<br />

Im Mai 1943 wurde Karski in die USA<br />

beor<strong>der</strong>t. Dort traf er mit amerikanischen<br />

Persönlichkeiten zusammen, auch mit dem<br />

Präsidenten Roosevelt. Dieser wollte alles<br />

wissen, über den Untergrund, über die<br />

Vernichtung <strong>der</strong> Juden. Aber auch er hatte<br />

zwar großes Interesse gezeigt aber die<br />

Hilferufe <strong>der</strong> jüdischen Untergrundkämpfer<br />

wurden nicht gehört.<br />

Heute wird oft einseitig die Rolle einzelner<br />

Personen und Parteien hervorgehoben,<br />

nicht aber die gesamte Untergrundbewegung<br />

gewürdigt, wie es Karski in seinem<br />

Bericht an die Welt 1944 in USA tat . <br />

Jan Karski: Mein Bericht an die Welt<br />

Geschichte eines Staates im Untergrund<br />

Übersetzt von Franka Reinhart, Ursel Schäfer<br />

Erschienen <strong>2011</strong> im Antje Kunstmann Verlag,<br />

624 Seiten, 28,00€<br />

ISBN 978-3-88897-705-3<br />

Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees verstorben<br />

Abschied von Noach Flug<br />

Roman Kent wurde zum Nachfolger gewählt<br />

Mit einem beeindruckenden Gedenkakt<br />

haben Freunde und politische Weggefährten<br />

Abschied vom Präsidenten des Internationalen<br />

Auschwitz Komitees Noach Flug<br />

genommen, <strong>der</strong> am 11. August verstarb.<br />

Bundespräsident Christian Wulff betonte<br />

in seiner Rede: „Noach Flug hat uns<br />

<strong>Deutsch</strong>en sein Vertrauen geschenkt. Er<br />

war überzeugt, dass wir uns mit unserer<br />

Vergangenheit auseinan<strong>der</strong>setzen und<br />

Antisemitismus und Rechtsextremismus<br />

bekämpfen, heute wie morgen. <strong>Deutsch</strong>land<br />

verliert in Noach Flug einen großartigen<br />

Freund und ein echtes Vorbild an<br />

Menschlichkeit. Seine Botschaften waren<br />

Wahrhaftigkeit, Verständigung und Versöhnung.“<br />

Der israelische Gesandte, Emmanuel<br />

Nahshon, schil<strong>der</strong>te in seiner Rede<br />

Noach Flugs Wirken als israelischer Diplomat<br />

und als Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Organisation<br />

Holocaust-Überleben<strong>der</strong> in Israel.<br />

Marian Turski aus Warschau und Roman<br />

Kent aus New York erinnerten in ihren<br />

Reden an die gemeinsamen Jugendjahre<br />

mit Noach Flug im Ghetto von Lodz und<br />

die ersten Aktionen ihres gemeinsamen<br />

Wi<strong>der</strong>standes gegen Hunger und Demütigung,<br />

als sie im Ghetto von Arbeitsstelle<br />

zu Arbeitsstelle zogen, und von jedem in<br />

eine Schüssel einen o<strong>der</strong> zwei Löffel Suppe<br />

erbaten, um sie an die weiterzugeben,<br />

die nichts zu essen hatten. Boaz Levin, <strong>der</strong><br />

Enkel Noach Flugs, <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeit in Berlin<br />

studiert, erinnerte in bewegenden Worten<br />

an seinen Großvater und Ratgeber, <strong>der</strong> ihm<br />

auch den Weg nach <strong>Deutsch</strong>land und nach<br />

Berlin gewiesen habe. Christoph Heubner<br />

schil<strong>der</strong>te den Freund und Präsidenten des<br />

Internationalen Auschwitz Komitees als<br />

großherzigen und weitsichtigen Menschen,<br />

<strong>der</strong> die Entwicklung und den Weg des Internationalen<br />

Auschwitz Komitees über Jahre<br />

geprägt und geför<strong>der</strong>t habe.<br />

Als Nachfolger Flugs wurde Anfang Oktober<br />

<strong>der</strong> 1929 in Łódź geborene Roman<br />

Kent gewählt. Der heute in New York lebende<br />

Kent ist Vorsitzen<strong>der</strong> <strong>der</strong> „American<br />

Gathering of Jewish Holocaust Survivors“<br />

und Schatzmeister <strong>der</strong> „Jewish Claims<br />

Conference“. Seit 2003 war er als Vizepräsident<br />

des Internationalen Auschwitz-<br />

Komitees aktiv. <br />

Albert Mangelsdorf Foto: Kumpf<br />

Albert Mangelsdorffs Auftritt 1957 in Sopot wirkt bis heute nach<br />

Diplomatie mit Jazz<br />

Von Hans Kumpf<br />

Nach den politischen Umwälzungen in<br />

Europa vor über zwei Jahrzehnten gehört<br />

beim Jazz ein stimmiges Wechselspiel<br />

zwischen Polen und dem nun vereinigten<br />

<strong>Deutsch</strong>land längst zur Normalität. Die<br />

brisant-prickelnde Atmosphäre vom polnischen<br />

Katakomben- und Un<strong>der</strong>ground-<br />

Jazz ist längst passé. Nach wie vor kommt<br />

man in <strong>der</strong> gemeinsamen Geschichte <strong>der</strong><br />

swingenden Art aber trotzdem oft auf anno<br />

1957 zurück. Und Namen wie die <strong>der</strong> deutschen<br />

Brückenbauer Werner Wun<strong>der</strong>lich<br />

(Baden-Baden) und Bert Noglik (Leipzig)<br />

sowie die in <strong>Deutsch</strong>land lebenden polnischen<br />

Musiker Vitold Rek (Kontrabass), Janusz<br />

Stefanski (Schlagzeug), Vladislav Sendecki<br />

(Piano) und Leszek Zadlo (Saxofon)<br />

tauchen immer wie<strong>der</strong> auf. Die Vokalistin<br />

Urszula Dudziak und <strong>der</strong> Trompeter Tomasz<br />

Stanko, in seinem Heimatland vielmals<br />

zum „Jazzmusiker des Jahres“ gewählt,<br />

genießen im Westen geradezu Kultstatus.<br />

Zwei Fachzeitschriften informieren seit<br />

Jahrzehnten in Wort und Schrift ausführlich<br />

von <strong>der</strong> Szene im jeweiligen Nachbarland,<br />

nämlich das „Jazz Forum“ (Warschau) und<br />

das „Jazz Podium“ (Stuttgart).<br />

Ganz groß an die polnische Öffentlichkeit<br />

- und wortwörtlich auf die Straße - gelangte<br />

<strong>der</strong> Jazz 1956 beim ersten nationalen Festival<br />

im Seebad Sopot. Für den internationalen<br />

Touch sorgten dabei eine tschechoslowakische<br />

und eine englische Formation.<br />

Dank des überwältigenden Erfolgs wagten<br />

es die studentischen Organisatoren, im<br />

Folgejahr die Festivität erheblich auszuweiten.<br />

Nun dienten dem wie<strong>der</strong> einwöchigen<br />

„II Festiwal Muzyki Jazzowej“ vom 14. bis<br />

21. Juli 1957 als Veranstaltungsorte sowohl<br />

die berühmte Waldoper als auch ein<br />

Sportstadion und eine Werfthalle in <strong>der</strong><br />

Nachbarstadt Danzig.<br />

Gleich mehrere Bands aus <strong>Deutsch</strong>land<br />

wurden hierzu eingeladen, und dies kam<br />

zwölf Jahre nach Ende <strong>der</strong> furchtbaren Okkupation<br />

und des Krieges einer politischen<br />

Sensation gleich, nämlich die West-Berliner<br />

„Spree City Stompers“ und unabhängig<br />

davon diverse Musiker aus Frankfurt,<br />

dominiert von den Bläsern Albert und Emil<br />

Mangelsdorff sowie Joki Freund. Eingefädelt<br />

hatte den hessischen Beitrag, <strong>der</strong><br />

unter den Namen „Two Beat Stompers“,<br />

„Emil Mangelsdorff Swingtett“, „Joki<br />

Freund Quintett“ und „Frankfurt All Stars“<br />

firmierte, Jazz-Experte Werner Wun<strong>der</strong>lich.<br />

Wun<strong>der</strong>lich hatte während seiner Kriegsgefangenschaft<br />

in Warschau die Sprache des<br />

22 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 23<br />

KULTUR<br />

Landes erlernt und dann rege Verbindungen<br />

mit <strong>der</strong> dortigen Jazzszene gehalten.<br />

Keine Frage: 1957 geriet zu einem markanten<br />

Neuanfang in <strong>der</strong> deutsch-polnischen<br />

Jazzgeschichte. Auch nach mehr als einem<br />

halben Jahrhun<strong>der</strong>t bleibt dieses Meeting<br />

mit <strong>der</strong> damals begonnenen gegenseitigen<br />

Zuneigung stets präsent – so musiziert <strong>der</strong><br />

nimmermüde Saxofonist Emil Mangelsdorff<br />

(geboren 1925) in seinem Quartett<br />

aktuell mit zwei seit den 80er Jahren in<br />

<strong>Deutsch</strong>land lebenden Polen, nämlich mit<br />

dem Bassisten Vitold Rek und dem Schlagzeuger<br />

Janusz Stefanski.<br />

Als im Februar 1997 das Festival in Olsztyn/Allenstein<br />

40 Jahre Jazz-Partnerschaft<br />

zwischen den beiden Län<strong>der</strong>n würdigen<br />

und feiern wollte, wurde dieses honorige<br />

Ansinnen von den deutschen Kulturbürokraten<br />

nicht adäquat unterstützt. Stargast<br />

sollte Posaunist Albert Mangelsdorff sein.<br />

In <strong>der</strong> finanziellen und organisatorischen<br />

Unsicherheit kamen als Repräsentanten<br />

<strong>der</strong> im Sommer 1957 an <strong>der</strong> Ostsee aufgetretenen<br />

deutschen Formationen dann<br />

immerhin Emil Mangelsdorff und <strong>der</strong> Posaunist<br />

Hans Wolf Schnei<strong>der</strong>. Mit dabei<br />

wie<strong>der</strong> im völkerverbindenden Einsatz war<br />

auch Werner Wun<strong>der</strong>lich. Seine polnischen<br />

Freunde erinnerten sich noch lebhaft an<br />

die „Geheimgespräche“, welche seinerzeit<br />

in Sopot die bei<strong>der</strong>seitigen Jazzaktivitäten<br />

weiter in die Wege geleitet hatten. Für<br />

seine „Verdienste um die polnische Kultur“<br />

ist Wun<strong>der</strong>lich später – sogar in <strong>der</strong><br />

schwierigen Ära <strong>der</strong> doppelten Kaczynski-<br />

Regentschaft! - mit dem „Ehrenorden des<br />

polnischen Kulturministers“ ausgezeichnet<br />

worden. Mit Genugtuung registrierte Werner<br />

Wun<strong>der</strong>lich, <strong>der</strong> noch in seinem neunten<br />

Lebensjahrzehnt per Radiosendungen<br />

über die Jazzaktivitäten in Polen informiert,<br />

dass ihn das „Jazz Forum“ auf <strong>der</strong> Titelseite<br />

<strong>der</strong> Septembernummer 2000 als „ambasador<br />

polskiego jazzu“, als „Botschafter des<br />

polnischen Jazz“, würdigte.<br />

An<strong>der</strong>seits verteilten auch deutsche Diplomaten<br />

bedeutungsvolle Orden. Dem<br />

Multiinstrumentalisten und Komponisten<br />

Andrzej Kurylewicz (1932-2007), wie seine<br />

singende Ehefrau Wanda Warska 1956 und<br />

1957 in Sopot dabei, wurde im April 2001<br />

von <strong>Deutsch</strong>lands Mann in Warschau mit<br />

dem „Verdienstkreuz 1. Klasse“ bedacht.<br />

2007, zum 50jährigen Jubiläum <strong>der</strong> polnisch-deutschen<br />

Sopot-Begegnung, geglückte<br />

das „Jazz Forum“ seine Leser nicht<br />

nur mit einem Reprint des Programmhefts<br />

von 1957, son<strong>der</strong>n wartete noch mit einer<br />

CD mit historischen Tondokumenten auf –


KULTUR KULTUR<br />

14 Tracks von 75 Minuten Gesamtdauer.<br />

In die deutsche Sopot-Delegation von<br />

1957 integrierte sich neben dem farbigen<br />

New-Orleans-Klarinettisten Albert Nicholas<br />

als weiterer Amerikaner <strong>der</strong> professionell<br />

gut gelaunte Bill Ramsey, <strong>der</strong> ja nicht<br />

nur billige Schlager zu singen vermag. Von<br />

seiner Wahlheimat aus brach er wie<strong>der</strong>holt<br />

nach Polen auf, um dort zu konzertieren.<br />

2001 tat sich Bill Ramsey bei einem Festival<br />

mit dem renommierten „Jazz Band Ball<br />

Orchestra“ zusammen, und das klingende<br />

Resultat gab es alsbald als CD-Beilage vom<br />

„Jazz Forum“. Zuvor hatte bei dem 1962 in<br />

Krakau gegründeten Ensemble als singen<strong>der</strong><br />

Gast aus <strong>Deutsch</strong>land Sylvia Droste<br />

fungiert.<br />

Aber auch in <strong>Deutsch</strong>land erinnerte man<br />

sich konzertant und dezidiert an das markante<br />

Jazztreffen von Sopot, zwar nicht in<br />

einem „runden“ Jubiläumsjahr, son<strong>der</strong>n am<br />

26. Mai 2005 aus Anlass des binational<br />

ausgerufenen „<strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n Jahres“.<br />

In Frankfurt am Main ist längst <strong>der</strong><br />

Schlagzeuger Janusz Stefanski heimisch<br />

geworden, und er initiierte die in <strong>der</strong> Alten<br />

Oper durchgeführte Veranstaltung mit dem<br />

englischen Titel „German Polish Jamboree.<br />

Three Jazz Generations 1957-2005“. Die<br />

ergrauten Brückenbauer <strong>der</strong> 50er Jahre<br />

trafen sich ebenso wie die „mittlere“ Generation<br />

und <strong>der</strong> hoffnungsvolle Nachwuchs.<br />

Nun wurden von polnischer Seite<br />

u.a. Adam Pieronczyk, das Wasilewski Trio<br />

und Anna Serafinska sowie die Sopot-Veteranen<br />

Jan Ptaszyn Wroblewski und Roman<br />

Dylag gewonnen. Podiumsgespräche<br />

und die Präsentation von Filmdokumenten<br />

vertieften den Blick zurück. Das deutsche<br />

„Jazz Podium“ brachte über dieses „Geman<br />

Polish Jamboree“ einen zweiseitigen Vorbericht,<br />

und das polnische „Jazz Forum“<br />

protokollierte die Veranstaltung gar auf<br />

sechs Seiten.<br />

Schon im Jahre 2000 wurde in <strong>der</strong> Alten<br />

Oper ausgiebig polnisch gejazzt, da damals<br />

bei <strong>der</strong> Internationalen Buchmesse<br />

als „Gastland“ Polen diente. Jazzmusik aus<br />

Polen erfreut sich in <strong>Deutsch</strong>land längst<br />

eines wohlklingenden Namens. Fielen in<br />

den 60er Jahren beson<strong>der</strong>s agile Oldtime-<br />

Bands auf, die gerne auch in kleinen Lokalen<br />

spielten, so überraschen mittlerweile<br />

die Gäste aus dem Osten mit eigenständigem<br />

zeitlosem Jazz, oft mit Rockeinflüssen<br />

vermengt.<br />

Am 19. Juli 1998 widmete das Festival<br />

„Jazz Open Stuttgart“ dem vielseitig aktiven<br />

Joachim-Ernst Berendt zum (fast verjährten)<br />

75. einen ganzen Abend. Der deut-<br />

sche „Jazzpapst“ reiste 1957 im Tross von<br />

Werner Wun<strong>der</strong>lich nach Sopot mit (und<br />

verbreitete im Nachhinein gerne die schaurige<br />

Mär, die Eisenbahnwagen seien – wie<br />

einst bei Lenins Trip von <strong>der</strong> Schweiz zur<br />

Oktoberrevolution – verplombt gewesen,<br />

lernte dort den Pianisten und später als<br />

Palanskis Filmkomponist berühmt gewordenen<br />

Krzysztof Komeda kennen – und lud<br />

diesen dann wie<strong>der</strong>holt nach <strong>Deutsch</strong>land<br />

zu Rundfunk-, TV- und Plattenproduktionen<br />

ein. Ein ausgedehnter Programmpunkt <strong>der</strong><br />

Berendt-Feierlichkeiten war hier Polen vorbehalten.<br />

Pawel Brodowski, Chefredakteur<br />

<strong>der</strong> Zeitschrift „Jazz Forum“, und die Sängerin<br />

Urszula Dudziak, die zusammen mit<br />

dem trompetenden (Komponisten-Filius)<br />

Markus Stockhausen musizierte, bedankten<br />

sich in aller (Fernseh-)Öffentlichkeit für<br />

die Bemühungen Berendts um die polnische<br />

Jazzszene. Mittlerweile sind wichtige<br />

Konzertteile mittels DVD nachzuerleben<br />

(„Best of Jazz Open Stuttgart 1998“), dabei<br />

auch das Robert Majewski Quintett.<br />

Ökonomisch ergiebig und künstlerisch<br />

för<strong>der</strong>nd schien <strong>der</strong> deutsche Markt für<br />

viele polnische Jazzmusiker allemal. So erklärte<br />

einst Urszula Dudziak, dass es für sie<br />

und ihren (damaligen) Ehemann Michal Urbaniak<br />

wichtig gewesen sei, frühzeitig von<br />

dem Stuttgarter Intercord-Label „Spiegelei“<br />

produziert worden zu sein. Inzwischen<br />

hatte sie längst mit ihrer (oftmals raffiniert<br />

elektronifizierten) Stimme Weltruhm erlangt<br />

und ihre Wohnsitze in die USA und<br />

nach Schweden verlegt. Die Idee zum Projekt<br />

„Vocal Summit“, in dem sie auch mit<br />

dem späteren Pop-Hitparaden-Star Bobby<br />

McFerrin kooperierte, ging gleichfalls von<br />

<strong>Deutsch</strong>land aus.<br />

Noch in bester Erinnerung ist für den<br />

Trompeter Tomasz Stanko, dass er 1964<br />

vom Norddeutschen Rundfunk zu ausgedehnten<br />

Aufnahmen nach Hamburg verpflichtet<br />

wurde. Die in München ansässige<br />

Plattenfirma ECM stellte den individuell<br />

herzhaft-herb intonierenden Blechbläser<br />

immer wie<strong>der</strong> groß heraus, sei es zusammen<br />

mit dem Trio des Pianisten Marcin<br />

Wasilewski o<strong>der</strong> seinem „nordischen“<br />

Quintett. Außerdem sorgte das wie ECM<br />

in München ansässige Label ACT dafür,<br />

dass sich polnische Pianisten wie Pawel<br />

Kaczmarczyk, Vladyslav alias Wladyslaw<br />

alias Vladislav alias Adzik Sendecki (in<br />

<strong>der</strong> Schweiz wohnhaft und in Hamburg als<br />

Keyboar<strong>der</strong> <strong>der</strong> NDR Big Band tätig) und<br />

Leszek Mozdzer auf dem Weltmarkt (noch)<br />

besser positionieren konnten.<br />

Von 1966 bis 2002 gab es in Nürnberg<br />

alle zwei Jahre das Festival „Jazz Ost West“,<br />

kontinuierlich wurde dieses mit polnischen<br />

Musikern bestückt - ständiger Stammgast<br />

sozusagen war Tomasz Stanko. Zudem<br />

sorgt <strong>der</strong> unverwechselbare Stanko bei<br />

„JazzBaltica“, <strong>der</strong> swingenden Festivität in<br />

Kiel und Salzau, für eine hochwertige Konstante.<br />

Nicht zu unterschätzen war zu Zeiten<br />

des Kalten Krieges das „Jazz Jamboree“ in<br />

Warschau. Ähnlich wie Nürnberg diente es<br />

früh als Drehscheibe und Informationsbörse.<br />

Das polnische Festival ermöglichte vor<br />

dem Wendejahr 1989 unzählige deutschdeutsche<br />

Kontakte - bei Musikern, Journalisten<br />

und angereisten Zuhörern. Christoph<br />

Dieckmann übrigens beschrieb im Oktober<br />

2005 bei <strong>der</strong> Eisenacher Tagung „Jazz in<br />

<strong>der</strong> DDR – Jazz in Osteuropa“ humorvoll<br />

seine aufregenden „Wallfahrtgeschichten“<br />

nach Warschau zum „Jazz Jamboree“. Polen<br />

und <strong>der</strong> Jazz gerieten für die Ostdeutschen<br />

damals für ein Sinnbild <strong>der</strong> Freiheit.<br />

Zum Bindeglied <strong>der</strong> internationalen Jazzgemeinde<br />

und beson<strong>der</strong>s auch zwischen<br />

<strong>der</strong> <strong>BRD</strong> und <strong>der</strong> DDR avancierte die in<br />

<strong>der</strong> polnischen Hauptstadt editierte Zeitschrift<br />

„Jazz Forum“. 1967 (ein Jahrzehnt<br />

nach Sopot!), als auf polnische Initiative<br />

die Europäische Jazzfö<strong>der</strong>ation entstand,<br />

wurde diese in einer englischen Version<br />

zum systemübergreifenden Organ einer<br />

sich frei und unabhängig fühlenden Jazz-<br />

Welt. Fünf Jahre lang - bis zur Einführung<br />

des Kriegsrechts 1981 - gelang es zudem,<br />

eine deutschsprachige Ausgabe herauszubringen.<br />

Experten wie Bert Noglik und Rolf<br />

Reichelt reisten zum Übersetzen regelmäßig<br />

aus <strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>en Demokratischen<br />

Republik an.<br />

Mit <strong>der</strong> Doppelnummer 5/6-1992, 66<br />

Seiten im DIN-A-4-Format, ausgeliefert<br />

erst Anfang 1993, verabschiedete sich<br />

das „Jazz Forum“ in <strong>der</strong> englischen und somit<br />

weltweit verstandenen Version. Wirtschaftliche<br />

Zwänge machten diesen Schritt<br />

notwendig - eben eine Kehrseite <strong>der</strong> politischen<br />

Öffnung. Im Untertitel nennt sich die<br />

polnische Monatspostille jedoch bis heute<br />

im internationalen Englisch „The European<br />

Jazz Magazine“.<br />

Auch das „Jazz Jamboree“ in Warschau<br />

verlor in den letzten Jahren an (internationaler)<br />

Bedeutung. Dafür wurde 2008 in<br />

<strong>Deutsch</strong>land nach polnischem Namensvorbild<br />

das „European Jazz Jamboree Berlin“<br />

ins Leben gerufen. Allerdings: Eine äußerst<br />

breite Palette län<strong>der</strong>übergreifen<strong>der</strong> Jazzbegegnungen<br />

gab es Ende Mai 2009 bei<br />

dem ebenfalls von Uli Blobels „Jazzwerkstatt<br />

Berlin-Brandenburg“ organisierten<br />

<strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n Festival „Sounds – No<br />

Walls – Friends & Neighbours in Jazz“. Zum<br />

20jährigen Jubiläum des Mauerfalls wurden<br />

bedeutende Bands aus Vergangenheit<br />

und Gegenwart eingeladen sowie viel miteinan<strong>der</strong><br />

improvisiert und diskutiert. Die<br />

umfangreiche Liste <strong>der</strong> beteiligten Musiker<br />

umfasste das Marcin Wasilewski Trio,<br />

das polnische Quintett Kattorna mit dem<br />

deutschen Gastkollegen Ernst-Ludwig Petrowsky<br />

(Saxofon), das Silke Eberhard Trio<br />

mit Adam Pieronczyk, Mateusz Kolakowski<br />

(Solo-Piano), das Zbigniew Namyslowski<br />

Quintett, das Friedhelm Schönfeld Trio plus<br />

Lev Shpigel (Trompete), die Ulrich Gumpert<br />

Workshop Band, Vitold Rek als Solobassisten,<br />

das amerikanisch-polnische Billy<br />

Harper - Piotr Wojtasik Quintet, das Kayla<br />

Quintett sowie den Klarinettisten Theo Jörgensmann<br />

mit den Oles-Zwillingen Marcin<br />

am Bass und Barolomej am Schlagzeug.<br />

Bereits mehrere CDs hat dieses län<strong>der</strong>übergreifende<br />

Trio vorgelegt.<br />

An <strong>der</strong> Planung dieses von <strong>der</strong> Öffentlichen<br />

Hand wesentlich unterstützten Festivals<br />

beteiligt war <strong>der</strong> vielfältig engagierte<br />

Leipziger Publizist Bert Noglik, <strong>der</strong> am 10.<br />

September 2008 im <strong>Polnische</strong>n Institut seiner<br />

Heimatstadt das „Silberne Verdienstkreuz<br />

<strong>der</strong> Republik Polen“ erhielt. „Mit dem<br />

Verdienstkreuz werden Bürger geehrt, die<br />

sich beson<strong>der</strong>e Verdienste um den polnischen<br />

Staat und seine Bürger mit Taten erworben<br />

haben, die nicht zu ihren sowieso<br />

zu erledigenden Pflichten gehören“, hieß<br />

es in <strong>der</strong> offiziellen Presseerklärung.<br />

Zahlreiche Jazz-Aktivitäten entfalteten<br />

bereits 1997/98 die „Baden-württembergisch/<br />

<strong>Polnische</strong>n Kulturbegegnungen“.<br />

„Kin<strong>der</strong>kreuzzug“, „Children Song“,<br />

„Oberek“ und „W olszynie“ - so heißen<br />

einige Stücke, die in den Ludwigsburger<br />

„Bauer Studios“ digital auf Band gebannt<br />

wurden. Bernd Konrad, Professor an <strong>der</strong><br />

Stuttgarter Musikhochschule, bekam vom<br />

Land Baden-Württemberg Geldmittel zugewiesen,<br />

um ein deutsch-polnisches Jazzensemble<br />

zu formieren. Vor einem Auftritt<br />

bei Stuttgarts „Südpool-Sommer-Festival“<br />

bewerkstelligte das binationale Quintett<br />

digitale Aufnahmen, die dann im Radio gesendet<br />

wurden. Zu einer spekulierten Plattenproduktion<br />

kam es lei<strong>der</strong> nicht.<br />

Als prominenteste Persönlichkeit <strong>der</strong><br />

Gruppe fungierte die aus den USA angereiste<br />

Urszula Dudziak. Zwei folkloristische<br />

Lie<strong>der</strong> ihres Geburtslandes steuerte<br />

Urszula Dudziak zum gemeinsamen Unternehmen<br />

bei. Bei „Oberek“ handelt es sich<br />

um einen rhythmisch verspielten Tanz im<br />

Dreivierteltakt, und die eigentlich simple<br />

Dur-Tonleiter abwärts arrangierte sie bei<br />

„W olszynie“ („Wäldchen“) sehr lieblich und<br />

harmonisch anheimelnd. Die Bassklarinette<br />

von Bernd Konrad und das Flügelhorn<br />

von Herbert Joos gelangten mit <strong>der</strong> instrumental<br />

geführten Stimme zu einer homogenen<br />

Innigkeit.<br />

Bei dem Werk „Kin<strong>der</strong>kreuzzug“ erinnerte<br />

sich Saxofonist Konrad des gleichnamigen<br />

Gedichts von Bertolt Brecht. Dieses erschütternde<br />

Poem beginnt mit den Worten:<br />

„In Polen, im Jahr Neununddreißig/ War<br />

eine blutige Schlacht/ Die hatte viele Städte<br />

und Dörfer/ Zu einer Wildnis gemacht./<br />

Die Schwester verlor den Bru<strong>der</strong>/ Die Frau<br />

den Mann im Heer/ Zwischen Feuer und<br />

Trümmerstätte/ Fand das Kind die Eltern<br />

nicht mehr.“ Den Inhalt und die Atmosphäre<br />

<strong>der</strong> Brecht-Lyrik wollte Bernd Konrad dabei<br />

nachzeichnen.<br />

„Statt mit Chopin im Programm nach<br />

Berlin zu reisen, brachte Polens Präsident<br />

einen aufregenden jungen Pianisten mit.<br />

Mit ebenso wilden wie virtuosen Improvi-<br />

sationen begeisterte <strong>der</strong> 33-jährige Leszek<br />

Mozdzer sein Publikum. Da konnte nicht<br />

einmal <strong>der</strong> Applaus für die Umarmung von<br />

Köhler und Kwasniewski mithalten“ – So<br />

berichtete euphorisch die ansonsten kritische<br />

„taz“ über die feierlich-prominente Eröffnungsveranstaltung<br />

des „<strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>s<br />

Jahres“ im April 2005. Auch zum<br />

fulminanten Abschluss vom „<strong>Polnische</strong>n<br />

Mai“ wenige Wochen später in Stuttgart<br />

war <strong>der</strong> aus Danzig stammende Tastenkünstler<br />

zur Stelle. Sein Bassist Olo Walicki<br />

und <strong>der</strong> in München geborene und <strong>der</strong>zeit<br />

in Berlin lebende Schlagzeuger Maurice de<br />

Martin schlugen im Theaterhaus-Konzert<br />

gleichfalls filigran sehr melodiöse und weiche<br />

Töne an. Letztendlich ein homogenes<br />

Trio, bei dem – trotz des reichhaltigen Notenmaterials<br />

– komponierte Parts und Improvisationen<br />

fließend ineinan<strong>der</strong> übergingen.<br />

Lyrische Balladen waren bestimmend.<br />

Leszek Mozdzer auf die Frage nach seinen<br />

Erfahrungen in <strong>Deutsch</strong>land: „Ich habe<br />

mit vielen deutschen Musikern zusammengearbeitet.<br />

Die Musiker sind wie eine<br />

riesige Familie, wir haben eine glänzende<br />

Kommunikation miteinan<strong>der</strong>. Ich mag die<br />

Der Bassist Vitold Rek Foto: Kumpf<br />

Art und Weise, wie in <strong>Deutsch</strong>land Musik<br />

organisiert wird. Es stehen ziemlich gute<br />

Pianos zur Verfügung, es gibt grandiose<br />

Konzertsäle.“<br />

Mit mehreren Performances bereicherte<br />

das von <strong>der</strong> Philologin und Übersetzerin<br />

Katarzyna Kumpf angeführte Projekt<br />

„<strong>Polnische</strong> Lyrik & Jazz“ die Kulturbegegnungen<br />

1997/98 im Südweststaat. Musikalisch<br />

unterstützt wurde die Rezitatorin<br />

24 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 25


KULTUR KULTUR<br />

von ihrem Ehemann Hans Kumpf (Klarinette,<br />

Theremin) und dem bereits erwähnten<br />

Vitold Rek. Unter seinem eigentlichen<br />

Namen Witold Szczurek hatte <strong>der</strong> Kontrabassist<br />

seine Karriere in Polen begonnen,<br />

in <strong>Deutsch</strong>land erhoffte sich <strong>der</strong> in Krakau<br />

(unter Pen<strong>der</strong>ecki) ausgebildete Saitenvirtuose<br />

jedoch mehr künstlerische Anregungen.<br />

Längst hat er sich hierzulande als<br />

Virtuose, als Dozent und als Festivalleiter<br />

in Frankfurt etabliert.<br />

Auf Initiative von Bert Noglik formierte<br />

Rek - in Anlehnung dessen erfolgreichen<br />

Quartetts „East West Wind“ - eigens für<br />

die Leipziger Jazztage am 8. Oktober 1998<br />

eine „Polish German Jazz Connection“.<br />

Mit dabei waren wie<strong>der</strong>um <strong>der</strong> Saxofonist<br />

Adam Pieronczyk sowie Janusz Stefanski<br />

(Schlagzeug) und Corinna Danzer (Saxofon).<br />

Die Kritik lobte sodann die enorme<br />

Spielfreude des län<strong>der</strong>übergreifenden Unternehmens.<br />

2005 (im <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n<br />

Jahr!) gar hatte das Festival in <strong>der</strong> Bach-<br />

Stadt das jazzende Polen zum dominierenden<br />

Thema.<br />

Unzählig sind inzwischen die deutschpolnischen<br />

Jazz-Aktivitäten geworden. Und<br />

dies spricht für sich. Grazyna Wanat beispielsweise<br />

entwickelte erstmals 2008 die<br />

kompakte Konzertreihe „Polen-Allergie“,<br />

welche mit hochwertigem Jazz etwaige<br />

Vorurteile gegenüber dem Nachbarland<br />

bekämpfen will. Das in <strong>der</strong> Franken-Metropole<br />

sehr aktive Kulturzentrum „Krakauer<br />

Haus“ zeichnet für diese Veranstaltung verantwortlich.<br />

Tomasz Stanko (aufgewachsen<br />

in Nürnbergs Partnerstadt Krakau),<br />

Pink Freud, Aga Zaryan, Filip Wisniewski,<br />

Leszek Mozdzer und weitere Künstler aus<br />

Polen gaben sich bislang ein swingendes<br />

Stelldichein.<br />

In Darmstadt hat nicht nur das <strong>Deutsch</strong>e<br />

Polen-Institut seinen Sitz, son<strong>der</strong>n auch<br />

das auf das Joachim-Ernst-Berendt-Archiv<br />

zurückgehende Jazzinstitut. Es lag natürlich<br />

nahe, interdisziplinär zu kooperieren.<br />

So wurden dort beispielsweise Mitte 2010<br />

Ausstellungen mit jazzimpressionistischen<br />

Malereien von Mira und Alex Fleischer<br />

sowie eine Festivaldokumentation von<br />

Breslaus „Jazz nad Odra“ gezeigt. Schon<br />

1985 hatte es im kulturell stets aktiven<br />

Darmstadt eine konzertmäßige Neuauflage<br />

<strong>der</strong> Berendt-Produktion mit polnischer<br />

Lyrik (meisterhaft rezitiert von Gert Westphal)<br />

und Jazz gegeben. Als Interpreten<br />

<strong>der</strong> aufgefrischten Komeda-Kompositionen<br />

beteiligten sich jetzt u.a. Leszek Zadlo,<br />

Krzesimir Debski, Janusz Stefanski und<br />

Adzik Sendecki. Der LP-Veröffentlichung<br />

folgte 1997 die CD-Version „Der Walzer<br />

vom Weltende“, erschienen bei „Litraton“<br />

in Hamburg.<br />

Bei diversen Partnerschaften, seien sie<br />

bezogen auf (Hoch-)Schulen o<strong>der</strong> Kommunen,<br />

werden auch innige Jazzbeziehungen<br />

gepflegt. Seit 1998 existiert zwischen<br />

Neustrelitz und Szczecinek (Neustettin)<br />

eine Städtepartnerschaft. Bei einem Festkonzert<br />

zum 700jährigen Bestehen von<br />

Szczecinek taten sich auf dem dortigen<br />

Marktplatz am 21. Juni 2010 gar 130 Jugendliche<br />

aus den beiden Regionen zusammen,<br />

um das extra arrangierte Auftragswerk<br />

„Rhythmi urbani“ unter dem Dirigat<br />

des Komponisten Krzesimir Debski uraufzuführen.<br />

In den 80er Jahren tourte Jazzgeiger<br />

Debski viel in <strong>Deutsch</strong>land mit seiner<br />

Formation „String Connection“, und er<br />

erinnert sich sehr gerne an diese aufregenden<br />

Zeiten. Mittlerweile ist er beson<strong>der</strong>s<br />

als universeller Filmkomponist bekannt.<br />

Nach dem Vorbild <strong>der</strong> jugendlichen<br />

deutsch-französischen Big Band wurde<br />

auch ein <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>s Jugendjazzorchester<br />

gegründet. Der Landesmusikrat<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen ist bei diesem völkerverbindenden<br />

Projekt maßgeblich verantwortlich.<br />

Professor Bernhard Mergner leitet seit<br />

2004 das Großensemble, die in Würzburg<br />

lebende Würzburg lebenden Komponistin<br />

und Vokalistin Sylwia Bialas arbeitete<br />

schon tonschöpferisch für den Klangkörper.<br />

In Würzburg an <strong>der</strong> Musikhochschule<br />

tätig war bis zu seiner Pensionierung <strong>der</strong><br />

1945 in Krakau geborene Saxofonist Leszek<br />

Zadlo. 2003 wurde <strong>der</strong> Jazzvirtuose<br />

zum Professor ernannt, an seinem Wohnort<br />

München übt Zadlo das Ehrenamt des<br />

Vorsitzenden <strong>der</strong> „<strong>Gesellschaft</strong> zur För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> deutsch-polnischen Verständigung<br />

e.V.“ aus. 1986 galt <strong>der</strong> Pole mit dem<br />

deutschen Pass sogar als <strong>der</strong> „erste offizielle<br />

Jazzlehrer in Bayern“. Außerhalb von<br />

Musikhochschulen bewährte sich Zadlo als<br />

erfahrener Dozent bei freien Jazzkursen,<br />

sowohl in <strong>Deutsch</strong>land als auch in Polen.<br />

Dass immer wie<strong>der</strong> gemeinsame instrumentale<br />

Fortbildungen stattfinden, dient<br />

erst recht <strong>der</strong> Völkerverständigung. Aber<br />

<strong>der</strong> Jazz gilt eo ipso als eine internationale<br />

Musik, als eine Sprache weitgehend ohne<br />

Kommunikationsschwierigkeiten.<br />

Es gibt freilich einen polnischen „Exportüberschuss“<br />

in punkto Gastspielreisen zu<br />

verzeichnen. Weit mehr polnische Musiker<br />

jazzen in <strong>Deutsch</strong>land als dass deutsche<br />

Jazzer in Polen auftreten. Immerhin: Im<br />

Chopin-Jahr 2010 wurde dem gefeierten<br />

National-Komponisten eine ganz beson-<br />

<strong>der</strong>e Ehre zuteil - <strong>der</strong> Kölner Trompeter<br />

Markus Stockhausen, jazzen<strong>der</strong> Sohn des<br />

avantgardistischen Tonschöpfers Karlheinz<br />

Stockhausen, interpretierte zusammen mit<br />

dem Pianisten Adzik Sendecki am 4. August<br />

im Warschauer Lokal „Palladium“ etliche<br />

Werke des Romantikers. 13 Tage später<br />

konzertierte Sendecki mit deutschen<br />

Kollegen nochmals in Warschau. Als regulärer<br />

Tastenmann <strong>der</strong> Big Band des Norddeutschen<br />

Rundfunks beteiligte er sich im<br />

Sala Kongresowa bei dem Programm „Bobby<br />

meets Chopin“ mit dem populären Vokalsolisten<br />

Bobby McFerrin. Im Mai 1911<br />

wurde Sendecki mit dem Hamburger Musikpreis<br />

ausgezeichnet, was natürlich auch<br />

in seiner Heimat vermerkt wurde.<br />

Nicht zum ersten Mal hatte dabei das experimentierfreudige<br />

Jazzorchester des NDR<br />

mit Polen zu tun. So führte es 2006 mit<br />

dem Saxofonisten Jan Ptaszyn Wroblewski<br />

als Stargast die Produktion „Jazz from<br />

Poland“ durch. Neben Wroblewski-Kompositionen<br />

wurden auch Stücke von Tomasz<br />

Stanko und Krzysztof Komeda gespielt.<br />

Von dem legendären Komeda (1931-1969)<br />

kam nochmals „Astigmatic“ zum Zuge. Die<br />

Originalversion mit dem Quintett des großen<br />

Filmkomponisten wird in Polen als die<br />

beste einheimische Plattenproduktion aller<br />

Zeiten gewertet. Und hierbei beteiligt war<br />

auch ein <strong>Deutsch</strong>er: Günter Lenz, <strong>der</strong> als<br />

Mitglied des Albert Mangelsdorff Quintetts<br />

1965 beim „Jazz Jamboree“ gerade einen<br />

Auftritt absolviert hatte, konnte kurzfristig<br />

als Aushilfsbassist gewonnen und ins Studio<br />

geholt werden. Die Abonnenten vom<br />

„Jazz Forum“ bekamen die am 25. Mai<br />

2006 in Hamburg gefertigten Tonaufzeichnungen<br />

von „Jazz from Poland“ auf CD verewigt<br />

kostenlos mit dem September-Heft<br />

des gleichen Jahres geliefert.<br />

„Polen tut Europa gut“ konstatierte Anfang<br />

Dezember 2010 in Warschau Bundespräsident<br />

Christian Wulff. Für den Jazz<br />

bedeutet Polen längst ein Glücksfall, darf<br />

man hinzufügen. Zu Zeiten des Kalten Krieges<br />

wurden beson<strong>der</strong>s in und von Warschau<br />

aus die swingenden Bande zwischen<br />

Ost und West geknüpft und gepflegt. Heutzutage<br />

ist unaufgeregte Normalität eingetreten.<br />

In Zeiten vom gemeinsamen Europa<br />

und des Schengen-Abkommens können<br />

auch Jazzer unbeschwert hin- und herreisen<br />

– dies eben ohne lästige Visumspflicht<br />

und ohne Ärger mit argwöhnischen Zollbehörden,<br />

wenn es um den leidigen Instrumententransport<br />

geht. <br />

Kunstperformance im und am Zug<br />

Kraków-Berlin XPRS<br />

Von Karl Forster<br />

Stellen Sie sich einmal vor, sie sitzen bequem<br />

im Eurocity Wawel von Kraków nach<br />

Berlin. Plötzlich stürmen einige Maskierte<br />

ind den Zug, machen Lärm, o<strong>der</strong> Musik,<br />

tanzen. Da kann es schon etwas dauern,<br />

bis sie verstehen: Das ist eine Kunstaktion.<br />

Die Landschaft, die sie auf dieser Fahrt<br />

durchqueren, die Orte wie Katowice/Kattowitz,<br />

Gliwice/Gleiwitz, Opole/Oppeln,<br />

Wroclaw/Breslau, Legnica/Liegnitz haben<br />

für Polen wie auch für <strong>Deutsch</strong>land<br />

eine beson<strong>der</strong>e historische, politische<br />

und kulturelle Bedeutung. Sie bilden einen<br />

Fundus an Geschichten, die ein polnischdeutsches<br />

Team im Auftrag des Maxim<br />

Gorki Theaters Berlin und des Narodowy<br />

Stary Teatr Kraków über mehrere Monate<br />

zusammengetragen hat.<br />

Unter <strong>der</strong> künstlerischen Leitung des Regisseurs<br />

und Intendanten des Maxim Gorki<br />

Theaters Berlin, Armin Petras, wurden die<br />

Ergebnisse dieser Recherche von Schauspielern<br />

bei<strong>der</strong> Ensembles gemeinsam<br />

mit lokalen Partnern und Kulturinitiativen<br />

während einer Fahrt mit dem EC 340 von<br />

Kraków nach Berlin im Sommer zur Aufführung<br />

gebracht.<br />

Bahnhof Źary: Siegerehrung im Armdrücken-<br />

Wettbewerb. Foto: Natascha von Steiger<br />

„Wir hoffen, dass Sie auf dieser Reise we<strong>der</strong><br />

eine Verspätung noch eine Beschleunigung<br />

erleben“, so Michał Olszewski, Autor,<br />

Schriftsteller und Mitorganisator des<br />

Projekts zu den Reisenden, als sich <strong>der</strong><br />

Bahnhof Bolesławiec: <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Glinoludy“<br />

Bogdan Nowak. Foto: Natascha von Steiger<br />

Zug am Samstag um 7.30 auf seinen Weg<br />

machte. Verabschiedet wurde er dabei von<br />

Orchesterklängen… Kaiser Franz und <strong>der</strong><br />

Schauspielerin Helena Modrzejewska.<br />

Ungewöhnliche, beson<strong>der</strong>e Gäste, traf<br />

man auf dieser ungewöhnlichen Zugfahrt<br />

eine ganze Menge. Meist verkörperten<br />

Schauspieler Rollen aus bekannten literarischen<br />

Vorlagen.<br />

Literarisch und sportlich ging es in einem<br />

an<strong>der</strong>en Wagen zu, in welchem Thomas Urban<br />

sein Buch über die deutsch-polnischen<br />

Beziehungen im Fußball präsentierte. Mit<br />

unglaubwürdigem Staunen hörten die Versammelten<br />

über das abgesprochene Spiel<br />

im Jahre 1927, als wenig fehlte, und eine<br />

deutsche Mannschaft polnischer Meister<br />

geworden wäre.<br />

Plötzlich lautes Getöse, als <strong>der</strong> Zug am<br />

Transparent „Zabrze begrüßt den General<br />

De Gaulle“ vorbeifuhr.<br />

Dieser Charles De Gaulle stieg kurz zuvor<br />

in den Zug, wo <strong>der</strong> Gefeierte den Zugführer<br />

begrüßte, welchen er an seinen früheren<br />

Besuch erinnerte, wo er die bis heute bekannten<br />

Worte über die beson<strong>der</strong>e Polenheit<br />

<strong>der</strong> Schlesier äußerte. Im Zug fanden<br />

weitere, unzählige Attraktionen statt: ein<br />

Armdrückerturnier, Treffen mit <strong>der</strong> Jugend<br />

aus Kędzierzyn-Kożle, welche sich für die<br />

Menschenrechte einsetzt, Workshops bei<br />

welchem man aus Niveadosen Kameras<br />

bauen konnte, Recital <strong>der</strong> Lie<strong>der</strong> aus Opole,<br />

Filmvorführungen und Modevorführungen<br />

und noch viele an<strong>der</strong>e Vorstellungen.<br />

Eine unterhaltsame Zugfahrt, wenn auch<br />

mit kleinen „Störungen“. Eine Schulklasse<br />

hatte wohl wenig Interesse für die laufende<br />

Performance und störte beim Einstieg die<br />

Veranstaltung. Schließlich wollten sie einfach<br />

nur Zug fahren. Und die Performance<br />

<strong>der</strong> Bahn passte auch nicht so ganz: 45 Minuten<br />

Verspätung, so ganz ohne Unterhaltungsprogramm.<br />

Doch Schade, daß eine<br />

solche Kunstaktion wohl einmalig bleibt.<br />

Unser Tipp:<br />

Erstmals erscheint auf dem deutschen<br />

Markt ein Sprachkalen<strong>der</strong> zur polnischen<br />

Sprache.Die Blätter dieses abwechslungsreich<br />

gestalteten Abreißkalen<strong>der</strong>s präsentieren<br />

Dialoge, Redewendungen, Sprichwörter<br />

o<strong>der</strong> Zitate, kurze Grammatik- o<strong>der</strong><br />

Wortschatzübungen sowie wissenswerte<br />

Fakten zur Landeskunde. Zudem sind die<br />

Namenstage und Sternzeichen in den Kalen<strong>der</strong><br />

eingetragen.<br />

Diese Mischung aus Information, Unterhaltung<br />

und Übung bietet täglich eine<br />

Gelegenheit, das Sprachvermögen o<strong>der</strong><br />

die Kenntnisse über Land und Leute spielerisch<br />

und zugleich systematisch zu erweitern.<br />

Übersetzungen, Lösungen und<br />

Vokabelhilfen auf den Blattrückseiten garantieren<br />

einen effektiven Lernerfolg.<br />

Aleksandra Malchow / Erik Malchow<br />

Sprachkalen<strong>der</strong> Polnisch 2012<br />

640 Seiten. ISBN 978-3-87548-597-4. 14.90€<br />

26 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> POLEN und wir 4/<strong>2011</strong> 27


K 6045<br />

DPAG Pressepost Entgelt bezahlt<br />

Verlag <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land<br />

c/o Manfred Feustel<br />

im Freihof 3, 46569 Hünxe<br />

28 POLEN und wir 4/<strong>2011</strong><br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Wenn an dieser Stelle kein Versandetiket klebt,<br />

sind Sie vielleicht noch kein Abonnent<br />

unserer Zeitschrift. Das sollte sich än<strong>der</strong>n.<br />

Für nur 12 Euro pro Jahr erhalten Sie<br />

POLEN und wir frei haus.<br />

Bestellung an nebenstehende Anschrift.<br />

Terminvormerkung:<br />

War die „Vertreibung“ Unrecht?<br />

Freitag, 17. Februar – Samstag, 18. Februar 2012<br />

Die Umsiedlungsbeschlüsse des Potsdamer Abkommens<br />

und ihre Umsetzung in ihrem völkerrechtlichen<br />

und historischen Kontext sind das Thema<br />

einer Tagung an <strong>der</strong> Freien Universität Berlin.<br />

Noch fehlt die endgültige Bestätigung <strong>der</strong> Finanzierung<br />

<strong>der</strong> Tagung. Geht alles klar, veröffentlichen<br />

wir in <strong>der</strong> Januar-Ausgabe das ausführliche Programm<br />

und die Anmeldemöglichkeiten.<br />

Bitte merken Sie sich jedoch bereits den Termin<br />

vor.<br />

<strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>der</strong><br />

Bundesrepublik <strong>Deutsch</strong>land e.V.<br />

Bitte helfen Sie uns:<br />

Drei Klicks im Internet für POLEN und wir<br />

Die ING-DiBa Bank för<strong>der</strong>t Engagement<br />

im Verein! Von Sport<br />

über Kultur bis Jugendarbeit. Sie<br />

spendet je 1.000 Euro an die beliebtesten<br />

1.000 Vereine. Welche<br />

das sind, bestimmen Sie mit Ihrer<br />

Stimme!<br />

Auch die <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

<strong>Deutsch</strong>land e.V. ist einer von bereits<br />

über 10.000 Vereinen, die sich um eine Spende beworben<br />

haben.<br />

Jetzt sind Sie gefragt. Wenn wir im Internet genug<br />

Stimmen erhalten und unter die 1000 besten aufrücken,<br />

erhalten wir eine Spende <strong>der</strong> Bank in Höhe<br />

von 1000 Euro. Damit können wir eine Ausgabe<br />

unserer Zeitschrift finanzieren.<br />

Und so geht es: Je<strong>der</strong> Internetnutzer darf drei<br />

Stimmen vergeben. Man kann seine drei Stimmen<br />

auch nur einem Verein geben – wir freuen uns,<br />

wenn Sid uns mit allen drei Stimmen unterstützen.<br />

Gehen Sie auf unsere Webseite<br />

www.polen-news.de, Hier finden<br />

Sie den Link zur Abstimmungsseite.<br />

Hier tragen Sie Ihre Mailadresse<br />

ein und tippen einen<br />

vorgegebenen Code ein (Sicherungsmaßnahme<br />

um automatische Systeme auszuschließen).<br />

Sie erhalten dann eine Bestätigungsmeil<br />

mit einem Link. Wenn sich die Seite öffnet<br />

können Sie endgültig abstimmen. Erst jetzt ist ihre<br />

Stimme gezählt. Sie sehen nun, wieviele bereits für<br />

uns gestimmt haben, und auf welchem Platz wir<br />

sind.<br />

Nun können Sie das nochmal wie<strong>der</strong>holen. Bis<br />

zu 3 Stimmen je e-mail-adresse können vergeben<br />

werden. Achtung: Am 15. <strong>November</strong> ist Aktionsende.<br />

Also sofort abstimmen<br />

Wenn wir es unter die ersten 1000 geschafft haben,<br />

dann haben Sie einen wichtigen Anteil geleistet,<br />

dass wir diese Spende erhalten. Vielen Dank.

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