Friedrich Nietzsche : Zur Genealogie der Moral (1887) - Umlaufoviny
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Gedanken; eine gute Luft, dünn, klar, frei, trocken, wie die Luft auf Höhen ist, bei <strong>der</strong> alles<br />
animalische Sein geistiger wird und Flügel bekommt; Ruhe in allen Souterrains; alle Hunde<br />
hübsch an die Kette gelegt; kein Gebell von Feindschaft und zotteliger Ranküne; keine<br />
Nagewürmer verletzten Ehrgeizes; bescheidne und untertänige Eingeweide, fleißig wie<br />
Mühlwerke, aber fern; das Herz fremd, jenseits, zukünftig, posthum, - sie denken, alles in<br />
allem, bei dem asketischen Ideal an den heitern Asketismus eines vergöttlichten und flügge<br />
gewordnen Tiers, das über dem Leben mehr schweift als ruht. Man weiß, was die drei<br />
großen Prunkworte des asketischen Ideals sind: Armut, Demut, Keuschheit: und nun sehe<br />
man sich einmal das Leben aller großen fruchtbaren erfin<strong>der</strong>ischen Geister aus <strong>der</strong> Nähe an<br />
- man wird darin alle drei bis zu einem gewissen Grade immer wie<strong>der</strong>finden.<br />
III, 10<br />
Das Inaktive, Brütende, Unkriegerische in den Instinkten kontemplativer Menschen legte<br />
lange ein tiefes Mißtrauen um sie herum: dagegen gab es kein andres Mittel als entschieden<br />
Furcht vor sich erwecken. Und darauf haben sich zum Beispiel die alten Brahmanen<br />
verstanden! Die ältesten Philosophen wußten ihrem Dasein und Erscheinen einen Sinn,<br />
einen Halt und Hintergrund zu geben, auf den hin man sie fürchten lernte: genauer erwogen,<br />
aus einem noch fundamentaleren Bedürfnisse heraus, nämlich um vor sich selbst Furcht und<br />
Ehrfurcht zu gewinnen. Denn sie fanden in sich alle Werturteile gegen sich gekehrt, sie<br />
hatten gegen »den Philosophen in sich« jede Art Verdacht und Wi<strong>der</strong>stand<br />
nie<strong>der</strong>zukämpfen. Dies taten sie, als Menschen furchtbarer Zeitalter, mit furchtbaren<br />
Mitteln: die Grausamkeit gegen sich, die erfin<strong>der</strong>ische Selbstkasteiung - das war das<br />
Hauptmittel dieser machtdurstigen Einsiedler und Gedanken-Neuerer, welche es nötig<br />
hatten, in sich selbst erst die Götter und das Herkömmliche zu vergewaltigen, um selbst an<br />
ihre Neuerung glauben zu können.<br />
(...)<br />
Drücken wir den ganzen Tatbestand in kurze Formeln zusammen: <strong>der</strong> philosophische Geist<br />
hat sich zunächst immer in die früher festgestellten Typen des kontemplativen Menschen<br />
verkleiden und verpuppen müssen, als Priester, Zauberer, Wahrsager, überhaupt als<br />
religiöser Mensch, um in irgendeinem Maße auch nur möglich zu sein: das asketische Ideal<br />
hat lange Zeit dem Philosophen als Erscheinungsform, als Existenz-Voraussetzung gedient -<br />
er mußte es darstellen, um Philosoph sein zu können, er mußte an dasselbe glauben, um es<br />
darstellen zu können. Die eigentümlich weltverneinende, lebensfeindliche,<br />
sinnenungläubige, entsittlichte Abseits- Haltung <strong>der</strong> Philosophen, welche bis auf die neueste<br />
Zeit festgehalten worden ist und damit beinahe als Philosophen-Attitüde an sich Geltung<br />
gewonnen hat - sie ist vor allem eine Folge des Notstandes von Bedingungen, unter denen<br />
Philosophie überhaupt entstand und bestand: insofern nämlich die längste Zeit Philosophie<br />
auf Erden gar nicht möglich gewesen wäre ohne eine asketische Hülle und Einkleidung,<br />
ohne ein asketisches Selbst-Mißverständnis. Anschaulich und augenscheinlich ausgedrückt:<br />
<strong>der</strong> asketische Priester hat bis auf die neueste Zeit die widrige und düstere Raupenform<br />
abgegeben, unter <strong>der</strong> allein die Philosophie leben durfte und herumschlich... Hat sich das<br />
wirklich verän<strong>der</strong>t? Ist das bunte und gefährliche Flügeltier, jener »Geist«, den diese Raupe<br />
in sich barg, wirklich, dank einer sonnigeren, wärmeren, aufgehellteren Welt, zuletzt doch<br />
noch entkuttet und ins Licht hinausgelassen worden? Ist heute schon genug Stolz, Wagnis,