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Das Recht des Kindes auf - Janusz Korczak-Wochen

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<strong>Das</strong> Kind ruft nach Befreiung<br />

Als <strong>Korczak</strong> am 22. April 1921 in einem überfüllten<br />

Warschauer Saal den Vortrag Der Frühling und das<br />

Kind hielt, stand er zum einen unter dem Eindruck<br />

der Gräuel <strong>des</strong> polnisch-sowjetischen Krieges<br />

(1919/20), andererseits hoffte er, dass der Frühling<br />

der Unabhängigkeit Polens zu einem gesellschaftlichen<br />

Neu<strong>auf</strong>bruch führen wird. Neben der Befreiung<br />

der Bauern, Arbeitenden und Frauen sei jetzt auch<br />

die Befreiung <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> angesagt. Mit Erstaunen<br />

nahm er demgegenüber den Beschluss der polnischen<br />

Pädagogen zur Kenntnis, «weiterhin den<br />

preussischen Rohstock zu verwenden». Dabei habe<br />

man doch gedacht, dass<br />

«nach diesem Krieg kein erwachsener Mensch<br />

mehr den Mut haben wird, ein Kind <strong>des</strong>halb zu<br />

schlagen, weil es eine Scheibe einschlug, oder<br />

die erhabene Atmosphäre <strong>des</strong> Schulunterrichts<br />

störte.“ „Man hatte angenommen, dass wir mit<br />

hängenden Köpfen und gesenkten Augen an den<br />

Kindern vorbeigehen würden – wir – verantwortlich<br />

für den entfachten Wahnsinn, <strong>des</strong>sen Hauch<br />

mehr Schaden angerichtet hat als alle Bälle und<br />

Streiche der Kinder, dieser ersten zu würdigenden<br />

Opfer <strong>des</strong> letzten Krieges.» 32<br />

Mit einer selbst erlebten Episode versuchte <strong>Korczak</strong><br />

seinen ZuhörerInnen klar zu machen, dass Kinder<br />

zu schlagen ein Unrecht ist:<br />

«In Utrat hält der Zug nur für eine Minute. Eine<br />

kleine Gesellschaft steigt ein: drei Frauen und ein<br />

fünfjähriges Kind. – Gedränge – Hast. ‚Steig ein –<br />

hier ist kein Platz – schneller – danke.’ Sie haben<br />

Plätze ergattert, jetzt lachen sie. ‚Bleib bei mir stehen<br />

– hörst du?’ ‚Warum heult sie?’ ‚Als der Zug<br />

einlief, ist sie <strong>auf</strong> einmal weggel<strong>auf</strong>en.’ ‚ ‚Ich wollte<br />

zur Tante.’ ‚Nein, du hast nichts zu wollen.’ An<br />

mehr kann ich mich nicht erinnern. – <strong>Das</strong> Kind<br />

wischt mit dem Taschentuch die blutende Lippe:<br />

Die Mama hat ihr eine Ohrfeige gegeben.<br />

Und sie führen das lustige Gespräch fort.<br />

Ich frage nun, was würde geschehen, wenn kein<br />

Kind, sondern ein Erwachsener, ein weniger Empfindlicher,<br />

der das Leben kennt, weil er sich tausendmal<br />

mit ihm herumschlagen musste und schon<br />

abgehärtet ist – ungerechtfertigt im Gedränge eins<br />

in die Fresse bekommen hätte? Ich frage mich,<br />

was würde der für einen Krach schlagen?» 33<br />

Dieses Beispiel bedenkend forderte <strong>Korczak</strong> in seiner<br />

Rede eindringlich,<br />

«endlich <strong>auf</strong>zuhören mit dem falschen Schein unseres<br />

zärtlichen und duseligen, geradezu gnädigen<br />

Verhältnisses zum Kind, statt<strong>des</strong>sen sollte man<br />

fragen, welche <strong>Recht</strong>e es hat.» 34<br />

Anschliessend forderte <strong>Korczak</strong> eine «durchdachte,<br />

konkrete, wissenschaftliche Definition» der Kinderrechte.<br />

Sein Ziel war es nicht, Mitleid zu wecken für das<br />

unterdrückte Kind, sondern er wollte <strong>des</strong>sen Befreiung.<br />

Den Erwachsenen müsse endlich klar werden:<br />

32 SW Bd. 5, S. 10.<br />

33 Ebd., S. 24.<br />

34 Ebd.<br />

«Kinder werden nicht erst zu Menschen – sie<br />

sind bereits welche.» 35<br />

Wie weit man von dieser Forderung immer noch<br />

entfernt ist, beschrieb er anhand einer Begegnung:<br />

«Ich sagte einmal im Gespräch mit einem Richter:<br />

‚Wenn ein Drittel der Warschauer Bevölkerung<br />

Kinder und Jugendliche sind, dann sollte je<strong>des</strong> dritte<br />

Haus, je<strong>des</strong> dritte Geschäft, jede dritte Strassenbahn<br />

zu ihrem Nutzen sein. (...) Der Hüter <strong>des</strong><br />

<strong>Recht</strong>s hörte <strong>auf</strong>merksam zu und antwortete nach<br />

kurzer Überlegung: „Wissen Sie: <strong>Das</strong> ist für mich<br />

neu. Ich habe noch nie daran gedacht, dass Kinder<br />

– auch Bevölkerung sind.» 36<br />

<strong>Das</strong> <strong>Recht</strong> <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> <strong>auf</strong> Achtung<br />

In seinem Buch <strong>Das</strong> <strong>Recht</strong> <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> <strong>auf</strong> Achtung<br />

(1929) hat <strong>Korczak</strong> die Idee der Kinderrechte weiter<br />

vertieft und ein Stück weit selbst geleistet, was er<br />

1921 in seinem Vortrag Der Frühling und das Kind<br />

gefordert hatte: Eine «durchdachte, konkrete, wissenschaftliche<br />

Definition» der Kinderrechte.<br />

Ausgehend von der Beobachtung, dass in unserer<br />

Gesellschaft, «Achtung und Bewunderung weckt,<br />

was gross ist» und dass wir im Bewusstsein <strong>auf</strong>wachsen,<br />

«dass das, was grösser ist, wichtiger ist<br />

als das Kleine», forderte <strong>Korczak</strong> ein radikales Umdenken:<br />

37 Leitgedanke für alles pädagogische Handeln<br />

müsse zukünftig sein, dass «das Kind ein ebenso<br />

wertvoller Mensch ist wie wir» und <strong>des</strong>halb<br />

wie alle andern Menschen einen Anspruch <strong>auf</strong> Achtung<br />

habe. 38<br />

Was <strong>Korczak</strong> unter dem <strong>Recht</strong> <strong>auf</strong> Achtung versteht,<br />

konkretisierte er in der Folge an verschiedenen Beispielen.<br />

Er forderte die LeserInnen dazu <strong>auf</strong> Achtung<br />

zu haben ...<br />

• ... «vor seiner Unwissenheit».<br />

• ... «vor der Erkenntnisarbeit».<br />

• ... «vor den Misserfolgen und Tränen. Nicht nur<br />

ein zerrissener Strumpf, sondern ein <strong>auf</strong>geschürftes<br />

Knie; nicht nur ein zerbrochenes Glas, sondern<br />

ein verletzter Finger, ein blauer Fleck, eine<br />

Beule, also ein Schmerz.»<br />

• ... «vor dem Eigentum <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> und vor seinem<br />

Budget (...) <strong>Das</strong> Eigentum <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong> – das<br />

ist kein Kram, sondern zusammengebetteltes<br />

Material, Werkzeug, Hoffnungen und Erinnerungen.»<br />

• ... «vor den Geheimnissen und den Schwankungen<br />

der schweren Arbeit <strong>des</strong> Wachsens.»<br />

• ... «vor der gegenwärtigen Stunde, dem heutigen<br />

Tag. Wie soll es morgen leben können, wenn wir<br />

ihm heute kein bewusstes, verantwortungsvolles<br />

Leben ermöglichen? Nicht niedertrampeln, nicht<br />

geringschätzen, nicht der Knechtschaft <strong>des</strong> Morgen<br />

überlassen, nicht stoppen, nicht hetzen, nicht<br />

antreiben.»<br />

35 Ebd., S. 25.<br />

36 Ebd.<br />

37 SW Bd. 4, S. 385.<br />

38 Ebd., S. 417.<br />

4

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