Interview mit Dr. Jürgen Wettke
Interview mit Dr. Jürgen Wettke
Interview mit Dr. Jürgen Wettke
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Tätigkeit bei der Unternehmensberatung McKinsey<br />
Apotheker sollten auf dem breiten Markt<br />
der Möglichkeiten ihre Chancen nutzen<br />
Wer kennt sie nicht?<br />
McKinsey – die Topmanagement-Beratung,<br />
die<br />
1926 in Chicago von<br />
James O. McKinsey gegründet<br />
wurde. Sein Ziel: Nicht nur<br />
begrenztes Expertenwissen wie etwa<br />
juristischen Rat anzubieten, sondern für<br />
alle unternehmerischen Herausforderungen<br />
als kompetenter Berater zur<br />
Seite zu stehen. Im Mittelpunkt stehen<br />
dabei die professionelle Unabhängigkeit,<br />
beste Ergebnisse abzuliefern, das<br />
Prinzip „Client first - Firm second - Self<br />
third”, die „one Firm”-Partnerschaft und<br />
schließlich die „obligation to dissent” –<br />
die Verpflichtung zum Widerspruch.<br />
Heute sind im globalen Netzwerk von<br />
McKinsey weltweit rund 6.200 Beraterinnen<br />
und Berater in 83 Büros in 45<br />
Ländern tätig. Kammer im Gespräch hat<br />
<strong>mit</strong> dem Director im Düsseldorfer Büro<br />
von McKinsey, <strong>Dr</strong>. <strong>Jürgen</strong> <strong>Wettke</strong>, gesprochen.<br />
Der 50-jährige Apotheker ist<br />
Leiter des europäischen Gesundheitssektors<br />
von McKinsey. Schwerpunkte<br />
seiner Tätigkeit sind gesetzliche und private<br />
Krankenversicherungen, Pharmaunternehmen,<br />
Medizingerätehersteller<br />
sowie Leistungserbringer. Außerdem<br />
hat <strong>Dr</strong>. <strong>Jürgen</strong> <strong>Wettke</strong> einen Lehrauftrag<br />
an der Medizinischen Fakultät der<br />
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf<br />
im Bereich Public Health.<br />
SERIE<br />
Kammer im Gespräch:<br />
Wie sind Sie als Apotheker zu einer international<br />
tätigen Unternehmensberatung<br />
gekommen?<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Jürgen</strong> <strong>Wettke</strong>:<br />
Meine beruflichen Wurzeln sind klassisch<br />
pharmazeutisch: Pharmazie-Studium in<br />
Braunschweig, Promotion in Pharmazeutischer<br />
Chemie, danach zwei Jahre selbstständiger<br />
Apotheker. Doch ich habe von<br />
Anfang an nicht nur die öffentliche Apotheke<br />
im Blickfeld gehabt, sondern sehr<br />
genau beobachtet, welche anderen Möglichkeiten<br />
sich als Apotheker noch bieten.<br />
Ausschlaggebend für den Schritt weg von<br />
der Apotheke hin zur Pharmazeutischen In-<br />
14<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Jürgen</strong> <strong>Wettke</strong><br />
dustrie war die Internationalität und meine<br />
Begeisterung für ökonomische Zusammenhänge.<br />
So kam ich zur Bayer AG, wo ich<br />
mehrere Jahre zuerst als internationaler<br />
Product Manager und zum Schluss als Leiter<br />
Marketing/Sales im Ausland beschäftigt<br />
war. Im Rahmen der Tätigkeit im Pharmaunternehmen<br />
bin ich auch <strong>mit</strong> Unternehmensberatern<br />
in Kontakt gekommen und habe<br />
einen Einblick in deren Tätigkeit gewonnen.<br />
Ausschlaggebend für den Wechsel, der mir<br />
nicht leicht gefallen ist, waren schließlich die<br />
Personen, die mich interviewt haben. Die<br />
Mischung von fachlicher Kompetenz sowie<br />
Persönlichkeit fasziniert mich auch heute<br />
nach 17 Jahren bei McKinsey jeden Tag<br />
aufs Neue. Dazu kommen der intellektuelle<br />
Anspruch, die täglich neuen Herausforderungen,<br />
keine Langeweile, nie Routine. Mit<br />
jedem Tag entwickelt man sich beruflich und<br />
persönlich weiter und ist gezwungen, immer<br />
wieder aufs Neue zu lernen.<br />
Kammer im Gespräch:<br />
Kann man Sie als Apotheker, der bei<br />
McKinsey arbeitet, als Exot bezeichnen?<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Jürgen</strong> <strong>Wettke</strong>:<br />
Auch wenn die absolute Zahl an Apothekern<br />
im Unternehmen nicht besonders groß<br />
ist, sind wir keine Exoten. Hinter der Frage<br />
steckt vielleicht das häufige Missverständnis,<br />
dass man in Unternehmensberatungen nur<br />
als Wirtschaftswissenschaftler oder Jurist<br />
Platz findet. McKinsey sucht aber Studierende<br />
und Doktoranden aller Fachrichtungen.<br />
Bei uns arbeiten Naturwissenschaftler und<br />
Mathematiker ebenso wie Wirtschaftswissenschaftler,<br />
Geisteswissenschaftler, Mediziner<br />
und Juristen. Gegenwärtig hat bereits<br />
mehr als ein <strong>Dr</strong>ittel unserer Beraterinnen und<br />
Berater als Erststudium einen naturwissenschaftlichen<br />
Studienhintergrund.<br />
Die Bezeichnung „Exot” bringt mich auch<br />
noch auf einen anderen Gedanken: Apothekerinnen<br />
und Apotheker scheinen sich<br />
überwiegend nur als Offizin-Apotheker zu<br />
sehen. Gerade für die Zukunft unseres Berufes<br />
kann diese vollkommen ungerechtfertigte<br />
Selbstbeschränkung fatale Folgen haben.<br />
Pharmazeuten müssen sich aus meiner<br />
Sicht bezüglich ihres Studiums und ihrer<br />
Qualifikation überhaupt nicht verstecken. Sie<br />
brauchen auch nicht den Vergleich <strong>mit</strong> anderen<br />
Naturwissenschaftlern oder auch Medizinern<br />
zu scheuen. Was leider vielen jungen<br />
Absolventen auch heute noch fehlt, ist<br />
das Bewusstsein und vielleicht auch die Risikofreude,<br />
sich außerhalb der bekannten beruflichen<br />
Pfade zu bewegen. Sicherlich: Traditionell<br />
genießt der Offizin-Apotheker ein<br />
sehr hohes Sozialprestige, nicht selten existieren<br />
familiäre Bindungen und auch die finanziellen<br />
Anreize waren bislang vorhanden.<br />
Aber gerade in diesem Punkt zeigt die Entwicklung<br />
der vergangenen Jahre, dass sich<br />
die Zeiten vehement ändern. Ich kann also<br />
nur daran appellieren, sich auf dem breiten<br />
Markt der Möglichkeiten umzusehen und<br />
seine sicherlich vorhandenen Chancen zu<br />
nutzen. Dann wird auch bald der Begriff<br />
„Exot” für Apotheker wie mich und die Kolleginnen<br />
und Kollegen, die bisher in dieser<br />
<strong>Interview</strong>serie vorgestellt wurden, nicht mehr<br />
gewählt werden.<br />
Kammer im Gespräch:<br />
Wie sieht Ihr Arbeitstag üblicherweise<br />
aus?<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Jürgen</strong> <strong>Wettke</strong>:<br />
Mein typischer Arbeitstag beginnt um fünf<br />
Uhr morgens. Gegen 6.30 Uhr sitze ich<br />
meist schon im Flugzeug auf dem Weg in<br />
irgendeine europäische Stadt. Nehmen wir<br />
mal London als Beispiel. Gegen neun Uhr
Tätigkeit bei der Unternehmensberatung McKinsey<br />
Meeting <strong>mit</strong> einem Vorstand, Besprechung<br />
von Problemen, Strategien, Reflexion der Arbeit<br />
des Beraterteams. Dann Meeting <strong>mit</strong><br />
unserem Vor-Ort-Beraterteam. Wenn ich<br />
Glück habe, kann ich dann am Nach<strong>mit</strong>tag<br />
an einer Sitzung <strong>mit</strong> dem Team und dem<br />
Klienten teilnehmen. Aber häufig geht es um<br />
14 Uhr bereits zum nächsten Termin in eine<br />
andere Stadt. Ganze Tage im Düsseldorfer<br />
Büro sind die absolute Ausnahme. Bei den<br />
jüngeren Kolleginnen und Kollegen sieht es<br />
ein wenig anders aus. Diese arbeiten an<br />
einem kontinuierlichen Projekt, fliegen montags<br />
zum Kunden und bleiben in der Regel<br />
die ganze Woche vor Ort. Freitage werden<br />
häufig für Fortbildungsveranstaltungen, Seminare<br />
oder andere Aktivitäten zur persönlichen<br />
Weiterqualifikation der Mitarbeiter<br />
genutzt, aber auch hier gilt: „Client first”.<br />
Kammer im Gespräch:<br />
Die Approbation als Apotheker war<br />
sicherlich nicht das Entscheidungskriterium<br />
für Ihren Einstieg bei McKinsey. Welche<br />
Qualifikationen sind für Ihre Tätigkeiten<br />
entscheidend?<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Jürgen</strong> <strong>Wettke</strong>:<br />
Warum wird man bei McKinsey angestellt?<br />
Eine gute Frage. Sicherlich muss erst einmal<br />
die Form stimmen: Gute Leistungen und<br />
Noten in Schule, Studium oder Promotion,<br />
sehr gute analytische und kommunikative<br />
Fähigkeiten, Englischkenntnisse. Das sind<br />
aber keinesfalls die einzigen Kriterien. Ich<br />
hatte am Anfang von meiner Faszination für<br />
die Menschen in unserem Unternehmen gesprochen,<br />
das heißt, die Persönlichkeit ist<br />
ebenfalls von ausschlaggebender Bedeutung.<br />
Wir möchten interessante Menschen<br />
<strong>mit</strong> außergewöhnlichen Werdegängen für<br />
uns gewinnen. Auslandsaufenthalte, musisches<br />
Engagement, sportliche Aktivitäten,<br />
Einsatz für karitative oder christliche Einrichtungen,<br />
auch solche Dinge zählen. Und natürlich<br />
die Fähigkeit, Probleme zu lösen. Ist<br />
man in der Lage, sich an eine Frage heranzutasten,<br />
<strong>mit</strong> der man noch nie konfrontiert<br />
wurde, aus einer Branche, die einem vollständig<br />
fremd ist? Und ist man in der Lage,<br />
strukturiert vorzugehen und Ergebnisse klar<br />
zu kommunizieren? Mir ist wichtig darauf<br />
hinzuweisen, dass das hier beschriebene<br />
Profil natürlich nicht nur für Unternehmensberatungen<br />
gilt, sondern auch in der Industrie<br />
oder in anderen Bereichen gefordert wird.<br />
Kammer im Gespräch:<br />
Wie sind Ihre Kontakte zu den anderen<br />
Leistungserbringern im Gesundheitssystem,<br />
zur Politik, zu Verbänden und<br />
ähnlichem? Warum sind diese Kontakte<br />
so wichtig?<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Jürgen</strong> <strong>Wettke</strong>:<br />
Ein Blick in die Zeitung genügt, um diese<br />
Frage zu beantworten. Fragen zur Ausgestaltung<br />
des Gesundheitssystems oder zur<br />
zukünftigen Sicherung des Sozialstaates<br />
werden schon lange nicht mehr auf den hinteren<br />
Seiten für wenige Spezialisten kommentiert,<br />
sondern finden sich als Headline<br />
auf Seite eins. Jede gesetzliche Änderung<br />
hat Auswirkung auf die Leistungserbringer<br />
und Patienten, dass erleben die Apotheker<br />
ja gerade sehr schmerzlich. Für uns ist es<br />
daher wichtig, frühzeitig die Strömungen in<br />
der Gesundheitspolitik zu erfassen, die Gesetzesentwürfe<br />
schon im Entstehen zu kennen<br />
und dementsprechend engen Kontakt zu<br />
den Entscheidungsträgern zu halten. Dieser<br />
Informationsfluss darf aber nicht einseitig<br />
sein. Wir geben auch zurück, indem wir <strong>mit</strong><br />
unserem politischen Know-how berechnete<br />
Einsparpotenziale oder angenommene Veränderungen<br />
in der Demografie, bei Krankheitsverläufen<br />
und so weiter kritisch hinterfragen.<br />
Dementsprechend positiv und wichtig<br />
sind solche Gespräche für beide Seiten.<br />
Politikberatung im eigentlichen Sinne ist aber<br />
nicht Schwerpunkt unserer Zielsetzung.<br />
Kammer im Gespräch:<br />
Der bisherige Weg der Arznei<strong>mit</strong>telversorgung<br />
und da<strong>mit</strong> auch die öffentliche<br />
Apotheke stehen zurzeit auf dem Prüfstand.<br />
Wie beurteilen Sie die aktuelle<br />
pharmapolitische Diskussion?<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Jürgen</strong> <strong>Wettke</strong>:<br />
Die aktuelle Diskussion ist aus meiner Sicht<br />
ein Ergebnis der Versäumnisse der vergangenen<br />
zehn Jahre. Ich nenne es mal das<br />
Jahrzehnt der verpassten Chancen. Die<br />
Apothekerschaft, da<strong>mit</strong> meine ich auch die<br />
Standesvertreter, haben eine „Festung Apotheke”<br />
aufgebaut und darauf gebaut, dass<br />
diese Festung uneinnehmbar ist. Darin<br />
haben sie sich dann so sicher gefühlt, dass<br />
die sicherlich vorhandenen Möglichkeiten<br />
zur aktiven Gestaltung, Neuausrichtung und<br />
Sicherung der apothekerlichen Zukunft verpasst<br />
wurden. Übersehen wurde auch, dass<br />
die Fundamente der Burg auf Sand gebaut<br />
waren und die Gegner <strong>mit</strong> nicht für möglich<br />
gehaltenen Rammböcken dabei sind, die<br />
Festung seit geraumer Zeit zu stürmen. Den<br />
kurzfristigen aktionistischen Maßnahmen<br />
räume ich wenig Erfolgschancen ein. Bestes<br />
Beispiel: Das Honorarmodell hätte man bereits<br />
vor Jahren thematisieren sollen und<br />
nach sorgfältiger Analyse der da<strong>mit</strong> verbun-<br />
denen wirtschaftlichen Veränderungen einführen<br />
sollen. Auch kann ich mich des Eindrucks<br />
nicht erwähren, dass man in einer Art<br />
Vogelstrauß-Politik glaubt, was nicht kommen<br />
darf, kommt auch nicht. Siehe Versandhandel<br />
oder Fremd- und Mehrbesitzverbot.<br />
Diese Strukturveränderungen werden kommen,<br />
vielleicht nicht so kurzfristig wie sich<br />
das manche in der Politik wünschen. Allerdings<br />
glaube ich auch, dass Apotheken und<br />
insbesondere Apothekerinnen und Apotheker<br />
als hochqualifizierte Berufsgruppe noch<br />
Zukunftsperspektiven haben. Jedoch nicht<br />
mehr als Einzelkämpfer, in einer „head to<br />
head”-Konfrontation wie der Amerikaner<br />
sagen würde, sondern in leistungsfähigen<br />
Kooperationen.<br />
Kammer im Gespräch:<br />
Auf der Basis Ihrer langjährigen Erfahrungen:<br />
Was empfehlen Sie den Kolleginnen<br />
und Kollegen für ihre berufliche Zukunft?<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Jürgen</strong> <strong>Wettke</strong>:<br />
Erstes wichtiges Kriterium: Sorgfältige und<br />
fundierte pharmazeutische Ausbildung.<br />
Zweites Kriterium – sicherlich geprägt durch<br />
meinen beruflichen Werdegang: Erlangung<br />
eines sauberen und vernünftigen betriebswirtschaftlichen<br />
Basisgrundwissens. Das<br />
dürfte übrigens auch heute für die Offizin-<br />
Apotheke unabdingbar sein. Pharmazeuten<br />
müssen sich breiter aufstellen, deshalb ist für<br />
mich eine betriebswirtschaftliche Zusatzausbildung<br />
entscheidend. Es gibt genug<br />
Möglichkeiten, international oder national<br />
solche Qualifikationen zu erreichen. Auch<br />
sollte man sich bewusst sein, egal was man<br />
gelernt hat, Technologe, Analytiker oder<br />
Pharmakologe, will man in den stark hierarchischen<br />
Strukturen außerhalb der Apotheke<br />
weiterkommen, will man ins Management,<br />
gehören betriebswirtschaftliche Kenntnisse<br />
zur Pflicht. Unverzichtbar ist auch das Prinzip<br />
des „Long-Life-Learning”, darauf muss man<br />
sich einfach einstellen. Fort- und Weiterbildung<br />
sind Pflicht und Chance zugleich.<br />
McKinsey in Deutschland<br />
� 1964 Eröffnung des ersten McKinsey-Büros in Deutschland/Düsseldorf<br />
<strong>mit</strong> vier Beratern<br />
� Inzwischen liegt die Zahl der Berater bei rund 1.100<br />
� Neben Düsseldorf hat McKinsey Deutschland Büros in Hamburg, Berlin,<br />
Köln, Frankfurt, Stuttgart und München sowie in Wien und Zagreb.<br />
� Zu den Kunden gehören Spitzenunternehmen aller Branchen, wachstumsstarke<br />
kleinere Firmen, Finanzdienstleister, Regierungsstellen,<br />
private und öffentliche Institutionen.<br />
� Fachwissen ist bei McKinsey in sogeannten „Practices” angesiedelt. In<br />
Deutschland gibt es 19 Industry und Functional Practices darunter<br />
auch das Practice Healthcare.<br />
� Das Healthcare Practice berät die Hauptakteure des deutschen Gesundheitssystems<br />
(Versicherungen, Krankenhäuser, Pharmaindustrie)<br />
bei der Erarbeitung innovativer, implementierungsfähiger Lösungen.<br />
� Mehr Informationen unter: www.mckinsey.de<br />
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