artensuite Schweizer Kunstmagazin November <strong>20</strong>11 | 14 Louise Bourgeois, The Waiting Hours (Detail), <strong>20</strong>07, 12 Bilder, Stoff, jedes Blatt ca. 38,4 x 31,1 cm, Privatsammlung, courtesy Cheim & Read und Hauser & Wirth, Foto: Christopher Burke. © Louise Bourgeois Trust / <strong>20</strong>11, ProLitteris, Zürich Im Gewebe der Erinnerungen Von Monique Meyer ■ Die monumentale Bronzespinne von Louise Bourgeois kennen nun wohl viele Menschen in der Schweiz, hat doch die bedeutende Skulptur, bevor sie in den Park der Fondation Beyeler zu stehen kam, die Städte Bern, Zürich und Genf mit ihrer Anwesenheit auf prominenten Plätzen beehrt. «Maman» – so der Titel der Skulptur – war Werbeträger und Auftakt zugleich für die Ausstellung in der Fondation Beyeler, die zum 100. Geburtstag von Louise Bourgeois (1911–<strong>20</strong>10) eingerichtet wurde. Zwar sind bisher keine Werke Bourgeois’ in der Beyeler-Sammlung vertreten, jedoch wurden sie mehrfach ausgestellt und nicht zuletzt könnte man ihre Werke als Bindeglied zu den hauseigenen Sammlungsbeständen ansehen. In dieser Weise werden die Werke der französisch-amerikanischen Künstlerin jedenfalls nun präsentiert: Rund zwanzig Exponate aus fast allen Lebensphasen werden Gemälden und Skulpturen der Sammlung gegenübergestellt – Werken, die für Bourgeois prägend waren oder zu deren Künstlern sie eine besondere Beziehung hatte, u. a. Paul Cézanne, Fernand Léger, Francis Bacon, Pablo Picasso oder Alberto Giacometti. Einerseits wünschte man sich manchmal, Bourgeois’ Werke stünden alleine im Raum, oft verstellen die gewünschten Dialoge den Blick auf das Wesentliche in ihren feinen, oft rätselhaften Arbeiten. Andererseits wird in diesen Begegnungen ersichtlich, dass Bourgeois’ Œuvre eine vermittelnde Rolle zwischen der klassischen Moderne und der Gegenwartskunst einnimmt. Es sind die grossen Fragen des Le- Louise Bourgeois. A l'infini Fondation Beyeler, Baselstrasse 101, 4125 Riehen / Basel www.fondationbeyeler.ch Täglich 10:00–18:00 h, mittwochs 10:00–<strong>20</strong>:00 h Bis 8. Januar <strong>20</strong>12. Mit Katalog bens – Sehnsucht, Erinnerung, Liebe, Sexualität, Tod –, denen sich Bourgeois zeitlebens widmete und denen sie in verschiedenen Techniken eine Form, eine ganz persönliche Perspektive gab. Zu Beginn der Ausstellung treffen wir auf Werke, die in ihrer Komposition abstrakt und auf wenige Formen reduziert sind. «Red Fragmented Figure» (1953), eine Stelenfigur aus der Werkgruppe der «Personages», zeigt die formale Verwandtschaft zu Fernand Léger, der Bourgeois’ Lehrer war und ihr das räumliche Denken und sodann den Weg zur Bildhauerei bereitete. Mit «The Blind Leading the Blind» (1947–1949), einer aus schwarz und rot bemalten Holzkeilen zusammengesetzten Skulptur, schaffte Bourgeois ein wichtiges Werk des abstrakten Expressionismus. Hier wird es Barnett Newmans Gemälde «Uriel» (1955) beigestellt. Wo es bei Newman um die Reduzierung auf Fläche und Farbe ging, beschränkte sich Bourgeois auf das räumliche Zusammenspiel von trigonometrischen Formen. In einer anderen Stelenfigur aus dem Jahr <strong>20</strong>00, die auf den ersten Blick ebenfalls abstrakt wirkt, stapelte die Künstlerin kleine Kissen aus verschiedenen Stoffen übereinander und stellte damit eine Reminiszenz an die Tapisserie- <strong>Galerie</strong> ihrer Eltern her. Bourgeois erinnerte sich auch in den späten «Fabric Works» ihrer Herkunft, wo sie wie in «The Waiting Hours» (<strong>20</strong>07) aus Stoffen ihrer getragenen Kleider eine Art textile Tagebücher erarbeitete. Die vierzehn grossformatigen bemalten Radierungen, «A l’infini» (<strong>20</strong>08), die erstmals öffentlich präsentiert werden, sind ein zentrales Werk in der Ausstellung. Zwei jeweils sich begegnende Linien beruhen auf dem Prinzip des Lebens, das durch verschiedene Begegnungskonstellationen bestimmt ist. Das Leben erscheint als ein Gewebe bestehend aus Erinnerungsfäden. Das Fadenspinnen ist ein starkes und wichtiges Symbol in Bourgeois’ Schaffen und tritt in verschiedenen Arbeiten auf, nicht zuletzt in der oben bereits erwähnten Bronzeplastik «Maman» (1999). Diese ist nicht nur eine Hommage an ihre Mutter, die, wie die Spinnen, immer wieder Gewebe, oder eben Tapisserien, erneuerte, sondern auch ein übergeordnetes Gleichnis des Lebens, das sich immer wieder erneuern und weiterbestehen muss. Louise Bourgeois drückte dies so aus: «Ich kam aus einer Familie von Reparateuren. Die Spinne ist ein Reparateur. Wenn man in das Spinnennetz ein Loch schlägt, wird sie nicht irr. Sie webt und repariert es.» Die Spinne als Mutter beschützt ihre Kinder und gibt ihnen Leben. In diesem Kontext ist auch die 2<strong>20</strong>-teilige Folge der «Insomnia Drawings» (1994/95) anzusiedeln. Die während der Nacht – Louise Bourgeois litt an Schlaflosigkeit – entstandenen Zeichnungen und Notizen kreisen um die Fragen ihres Lebens, ihrer Geschichte, ihrer Erinnerungen sowie ihrer inneren Konflikte. Den Schluss der Ausstellung macht die grösste ihrer berühmten «Cells», die «Passage dangereux» (1997), eine Art Käfig, in den man aber nicht eintreten, sondern nur von aussen Einblick auf verschiedene Gegenstände erhaschen kann. Der aus Drahtzaun gefertigte Käfig mit einem langen Gang und kleineren Seitenabteilen beinhaltet persönliche, zum Teil bizarre Gegenstände, die eng mit ihrer Kindheit und Pubertät in Zusammenhang stehen. Der Betrachter blickt voyeuristisch in eine unheimliche Rumpelkammer mit beinahe sakraler Ausstrahlung und nimmt teil an Bourgeois’ rätselhaftem, beängstigendem, aber auch humorvollem Universum.
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