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Theorieteil Diplomarbeit - bewusst-sign.

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DIPLOMARBEIT/<strong>Theorieteil</strong> und Konzeption<br />

Eine Arbeit von Hanna Martus.<br />

Betreut durch Prof. Dr. Markus Rathgeb<br />

BA Ravensburg / Mediende<strong>sign</strong>


Graphic de<strong>sign</strong> is a meta-language that<br />

can be used to magnify, obscure,<br />

dramatize or re-direct words and images.<br />

It can be powerfull, elegant, banal or<br />

irrelevant. It‘s not inherently anything<br />

at all, but pure potential.<br />

J. ABBOTT MILLER


Sustainable De<strong>sign</strong> (sinngemäß übersetzt verantwortungs<strong>bewusst</strong>es<br />

De<strong>sign</strong>) ist keine idealistische Weltrettung, sondern versucht, mit den<br />

Projekten, die auf unseren Schreibtischen landen und deren konkrete<br />

Inhalte wir De<strong>sign</strong>er kaum beeinflussen können, ‚gutes‘ De<strong>sign</strong>,<br />

will heißen, De<strong>sign</strong> im Einklang mit den reellen Bedürfnissen der<br />

Menschen und der Zukunft unserer Welt, zu schaffen.<br />

Sustainable De<strong>sign</strong> meint somit nichts Unmögliches oder übermäßig<br />

Idealistisches. Es geht um die Schaffung eines Bewusstseins für<br />

die Gesellschaft, in der der De<strong>sign</strong>er agiert und die Wahrnehmung<br />

der Verantwortung für die Impulse, die er durch seine Arbeit an<br />

die Gesellschaft aussendet. Es geht weiterhin um die Kreation und<br />

Vermittlung von reeller Normalität und einem gesunden Menschen-<br />

und Weltbild frei von disneylandartigen Traumwelten und ‚Mein<br />

Haus, mein Auto, mein Boot‘-Mentalitäten. Sustainable De<strong>sign</strong> will<br />

informieren und Meinungen zeigen, um die Menschen zu mündigen<br />

Bürgern zu erziehen. Es will sensibilisieren und für Problematiken<br />

öffnen, optimieren und materiellen und geistigen Müll reduzieren.<br />

KOnzEPTIOnsAnsATz<br />

Angefangen bei der Frage, welchen Einfluss Grafikde<strong>sign</strong> auf die<br />

Menschen und unsere Kultur hat, möchte ich mich in meiner Arbeit<br />

letztendlich damit auseinandersetzen, ob und wie De<strong>sign</strong> – bzw. wir<br />

als De<strong>sign</strong>er mit unserer Arbeit – in der Lage ist, die Welt positiv<br />

zu beeinflussen. Ich möchte aufzeigen, welche Macht in den Bildern<br />

steckt, die wir manchmal so gedankenlos auf die Menschheit loslassen<br />

und wie wir diese Kraft verantwortungsvoller benutzen können.<br />

Welche Rolle kann De<strong>sign</strong> dabei spielen, unsere Welt zu formen und<br />

wie könnte dies konkret aussehen?<br />

Ziel ist es, das Bewusstsein des De<strong>sign</strong>ers – und über ihn auch<br />

das seiner Kollegen, Klienten und Zulieferer und schließlich der<br />

Zielgruppe – zu schärfen und zu zeigen, dass eine ausgewogene<br />

Verteilung zwischen ökonomischem und ökologischen bzw. sozialem<br />

Gewinn nicht zwangsweise ein Verzicht darstellen muss, sondern<br />

vielmehr eine fruchtbare Symbiose mit Gewinn auf allen Seiten<br />

darstellen kann.<br />

Im praktischen Teil soll es dann darum gehen, diese Gedankengänge<br />

zu visualisieren und anderen zugänglich zu machen. Dazu sollen<br />

Funktionsabläufe und Prozesse erläutert, Problemstellungen und<br />

Konflikte aufgezeigt und Anregungen und Problemlösungsansätze<br />

erörtert werden. Aufbauend auf einem Grundrepertoire an<br />

Informationen soll – speziell auf die Zielgruppe De<strong>sign</strong>er zugeschnitten<br />

(d.h. Fokus auf die Ästhetik, emotionale Ansprache, Visualisierung<br />

statt langer Fließtexte sowie Reduktion auf die Kerninhalte) – ein<br />

Gesamtkonzept erarbeitet werden, das dem Leser Werkzeuge in die<br />

Hand gibt, um das Thema weiterführend zu promoten und so andere<br />

Menschen dafür zu interessieren und in den Prozess zu integrieren.<br />

x.1<br />

abstract


If I’m able to give ideas<br />

[with my work], that would<br />

be a good reason to get out<br />

of bed in the morning.<br />

sTEfAn sAGMEIsTER


Bereits die äußere Erscheinung des Buches ‚Perverse Optimist‘ erzeugt<br />

einen ehrfurchteinflößenden Eindruck: Den vier Finger breiten<br />

Buchrücken schmücken fünf simple, aber beängstigend selbst<strong>bewusst</strong><br />

gesetzte Buchstaben: TIBOR. Einfach nur Tibor. Weiß auf schwarz,<br />

versall gesetzt. Sonst nichts. Diese Souveränität gepaart mit der<br />

Wuchtigkeit des Werkes lässt bereits auf den ersten Blick erkennen,<br />

dass hier jemand selbst<strong>bewusst</strong> für seinen Überzeugungen einsteht.<br />

Obwohl ich oft mehrmals täglich an diesem enorm dicken Buch<br />

vorbeilief, dauerte es fast zwei Jahre, bis ich in sein Inneres vordrang.<br />

Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich gerade in einer Phase, in der ich<br />

an meinem Beruf, ja an meiner Zukunft in diesem Beruf zu zweifeln<br />

begonnen hatte. Keine Frage – ich liebte das Gestalten an sich. Aber<br />

ich hatte immer mehr Probleme, die Auffassung von De<strong>sign</strong> in unserer<br />

Welt und sein Wirken in unserer Gesellschaft zu teilen. Es schien, als<br />

ob De<strong>sign</strong> die überflüssigste Sache dieser Welt darstellte. Eine riesige<br />

Luftblase, die uns mit einer konstanten Dosis Lügen versorgt und<br />

mit der Kreation einer disneylandartigen Welt die eigentliche Realität<br />

überdeckt. Ein bisschen wie die Matrix, die den Menschen ein erfülltes<br />

Leben vorgaukelt.<br />

Es gab keine Verbindung mehr zwischen dem, für das ich mich früher<br />

leidenschaftlich eingesetzt hatte – Regenwald retten, Castor stoppen<br />

und Atomtests verhindern – und dem, was heute mein Leben bestimmte<br />

– Logos für Autohändler, Geschäftsberichte für die Industrie und<br />

Imageprospekte für Tiefkühlprodukte entwerfen.<br />

Und dann kam Tibor und zeigte mir – auf seine eigene, ganz spezielle<br />

Art – dass es möglich war, neuen visuellen Boden zu ergründen und<br />

dabei einen leidenschaftlichen Einsatz für soziale Anliegen zu zeigen.<br />

My quandary was that de<strong>sign</strong>ers have been taught to be<br />

liars. They have been taught to use their skills – just like<br />

lawyers and accountants – to distort information. I was not<br />

against anyone personally, I just had all these questions<br />

about what we were doing. 01<br />

Er suchte einfallsreiche Wege, das Geld seiner Kunden zu nutzen, um<br />

die Menschen zum Denken zu bringen.<br />

Bei seinen Arbeiten ging es ihm weniger um die Entwicklung eines<br />

Styles, als viel mehr einer Position. Er zielte nicht vorrangig darauf<br />

ab zu verkaufen, sondern mit seinem Publikum zu kommunizieren<br />

und versuchte so zu zeigen, dass der De<strong>sign</strong>er sowohl für den<br />

Inhalt der Botschaft, den er vermittelt, als auch dessen Präsentation<br />

verantwortlich sein kann oder viel mehr sogar muss.<br />

Nach dem Verschlingen der 420 Seiten hatte ich meine Motivation<br />

wieder gefunden. Tibor war radikal und extrem. Er war ein<br />

Provokateur, der es liebte, die Leute aufzumischen und zu<br />

verunsichern und damit zum Denken zu bringen. Und wenn seine Art<br />

sicherlich niemals die meine werden wird, so hat er mir doch dabei<br />

geholfen, meine Position wiederzufinden und meinen Job nicht nur<br />

wieder zu lieben, sondern auch zu leben. Meine Vergangenheit und<br />

meine Zukunft haben wieder zueinander gefunden und der Gegenwart<br />

damit eine neue Motivation gegeben.<br />

x.2<br />

VOrWOrt<br />

01 Pete Hall/Michael Bierut<br />

(1998)<br />

Tibor Kalman: Perverse Optimist


Teil A<br />

Teil B<br />

Teil c<br />

Teil D<br />

Teil E<br />

THEMEnEInfüHRunG<br />

Abschnitt 1 . Begriffsdefinition<br />

Abschnitt 2 . Analyse der Ausgangssituation<br />

Abschnitt 3 . Geschichtliche Analyse<br />

Abschnitt 4 . Fazit der Ausgangssituation<br />

THEORETIscHER TEIL<br />

Abschnitt 1 . Der Nachhaltigkeitsgedanke<br />

Abschnitt 2 . Analyse bestehender Definitionen<br />

und Modelle<br />

a . 3-Säulenmodell<br />

b . Sustainable Issue Mapping<br />

c . Redirective Practice<br />

d . De<strong>sign</strong> Can Change<br />

e . Manifesto for Sustainability<br />

in De<strong>sign</strong><br />

EnTwIcKLunG EInEs EIGEnEn GEDAnKEnMODELLs<br />

Abschnitt 1 . Grundaufbau<br />

Abschnitt 2 . Netzwerkgedanke<br />

Abschnitt 3 . Knotenpunktposition<br />

Abschnitt 4 . Verbindungen<br />

uMsETzunG<br />

Abschnitt 1 . Zielfestlegung<br />

Abschnitt 2 . Inhaltliche Umsetzung<br />

Abschnitt 3 . Gestalterische Umsetzung<br />

Abschnitt 4 . Mediale Umsetzung<br />

DOKuMEnTATIOn<br />

a . Ausstellung<br />

b . Faltplan<br />

c . Website<br />

Abschnitt 1 . Dokumentation des Gestaltungsprozesses<br />

Abschnitt 2 . Literaturverzeichnis


x.3<br />

InhaltE


De<strong>sign</strong>ers are to our<br />

information age<br />

what engineers were<br />

to the age of steam,<br />

what scientists were<br />

to the age of reason.<br />

KALLE LAsn


Themeneinführung<br />

Es läuft auf eine Überdehnung des De<strong>sign</strong>begriffs<br />

hinaus, wenn wir eine Kombinatorik von Denken und<br />

Handeln, die auf Verbesserung einer gegebenen Situation<br />

zielt, als De<strong>sign</strong> identifizieren. Damit ließe sich fast<br />

jedwede zielgerichtete, menschliche Aktivität als De<strong>sign</strong><br />

beschreiben – was wenig hilfreich wäre. 02<br />

Was also definiert professionelles De<strong>sign</strong> bzw. speziell Grafikde<strong>sign</strong>?<br />

ABscHnITT 1 . BEGRIffsKLäRunG<br />

Im Artikel ‚What is Graphic De<strong>sign</strong>‘ des American Institut of Graphic<br />

Arts (AIGA) wird unsere Disziplin folgendermaßen definiert:<br />

Graphic de<strong>sign</strong> is complex combinations of words<br />

and pictures, numbers and charts, photographs and<br />

illustrations that, in order to succeed, demands the clear<br />

thinking of a particularly thoughtful individual who can<br />

orchestrate these elements so they all add up to something<br />

distinctive, or useful, or playful, or surprising, or<br />

subversive or somehow memorable. 03<br />

Zwei Worte erscheinen mir im Hinblick auf die reell existierende<br />

Praxis als durchaus betonenswert: ‚thougthful individual‘ und<br />

‚subversive or memorable‘. Der De<strong>sign</strong>er sollte also ein selbstständig<br />

denkender Mensch sein, der seine Arbeit wohlüberlegt und<br />

verantwortungs<strong>bewusst</strong> erledigt und dabei etwas bemerkenswertes<br />

erschafft, das einen gewissen Mehrwert für die Menschheit, die Welt<br />

und die Gesellschaft bedeutet.<br />

De<strong>sign</strong> ist dabei keineswegs gleichzusetzen mit Kunst. Im Gegensatz<br />

zu ebendieser erfüllt es immer einen Sinn und Zweck und ist durch die<br />

vom Kunden gesetzten Grenzen eingeschränkt. Während die Kunst in<br />

der Regel Unikate oder limitierte Editionen hervorbringt, spielen bei<br />

De<strong>sign</strong> im Normalfall Reproduzierbarkeit und industrielle Fertigung<br />

eine entscheidende Rolle.<br />

A.1<br />

EInführung<br />

02 Meyer Voggenreiter<br />

de<strong>sign</strong> report 1+2/2007<br />

02 Jessica Helfand<br />

what is Graphic de<strong>sign</strong>?


De<strong>sign</strong> kann verschiedene Aufgaben übernehmen: Identifikation (was<br />

etwas darstellt, z.B. Logos oder Schilder), Information und Instruktion<br />

(in welcher Beziehung Dinge zueinander stehen, z.B. Karten oder<br />

Diagramme), Präsentation und Promotion (über Eycatcher-Effekte<br />

Aufmerksamkeit erregen und sich in der Erinnerung manifestieren,<br />

z.B. Werbung). Grundsätzlich lassen sich diese Aufgaben auf 04 zwei<br />

Basisfunktionen reduzieren: die informative Funktion (d.h. es werden<br />

zuerst einmal ganz wertneutral Fakten vermittelt und dem Rezipienten<br />

Informationen zur Verfügung gestellt) und die persuasive Funktion<br />

(durch die der Rezipient zu einem bestimmten Verhalten oder einer<br />

bestimmten Reaktion veranlasst werden soll). An dieser Stelle wird<br />

das De<strong>sign</strong> stark tendenziös und somit machtbeladen.<br />

ABscHnITT 2 . AnALysE DER AusGAnGssITuATIOn<br />

Im oben genannten Artikel heißt es weiter:<br />

Graphic de<strong>sign</strong> is everywhere, touching everything we<br />

do, everything we see, everything we buy: we see it on<br />

billboards and in Bibles, on taxi receipts and on websites,<br />

on the folded circulars inside jars of aspirin and on the<br />

thick pages of children’s chubby board books. Graphic<br />

de<strong>sign</strong> is the boldly directional arrows on street <strong>sign</strong>s and<br />

the blurred, frenetic typography on the title sequence to<br />

E.R. It is hang-tags in clothing stores, postage stamps and<br />

food packaging, fascist propaganda posters and brainless<br />

junk mail. 05<br />

Bei genauer Überlegung scheint es also nicht übertrieben zu sagen,<br />

dass sich De<strong>sign</strong>er eigentlich mit der Gestaltung der gegenwärtigen<br />

visuellen Realität beschäftigen. Sie haben einen wesentlichen Anteil<br />

an der Prägung unserer Kultur. Kaum etwas, das wir wahrnehmen,<br />

ist frei von Grafikde<strong>sign</strong>. Aber es ist so selbstverständlich anwesend,<br />

dass wir es überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Es ist einfach da und<br />

entfaltet als Teil unseres Alltags unbemerkt seine enorme Macht.<br />

In der heutigen Zeit, in der jedem die technischen Möglichkeiten<br />

zur Verfügung stehen, kann sich jeder als De<strong>sign</strong>er sehen (und<br />

im weiteren Sinne sind wir ja auch alle De<strong>sign</strong>er). Trotzdem – oder<br />

vielleicht auch gerade deshalb – ist den meisten Menschen nicht klar,<br />

was Grafikde<strong>sign</strong> bzw. professionelles Grafikde<strong>sign</strong> eigentlich genau<br />

ist. Es wird immer noch stark mit Kunst in Verbindung gebracht und<br />

scheint – weder im Verständnis der Gesellschaft, noch innerhalb der<br />

eigenen Branche – eine greifbare Identität entwickelt zu haben.<br />

Bezogen auf die Gesellschaft liegt dies wohl zu einem Großteil daran,<br />

dass Grafikde<strong>sign</strong>, obwohl es deutlich stärker in unser Alltagsleben<br />

interferiert als beispielsweise teure De<strong>sign</strong>ermöbel oder -klamotten,<br />

wesentlich weniger 06 in den Medien vertreten ist.


Auch in der eigenen Branche ist die Selbstdefinition sehr unkonkret<br />

und einseitig. Fachpresse und De<strong>sign</strong>wettbewerbe setzen vorallem auf<br />

‚hype and pretty pictures‘ statt auf Inhalte und die kultur-bildende<br />

Komponente.<br />

The problem is […], the fact that they address and serve a<br />

professional audience of de<strong>sign</strong>ers must inherently limit<br />

their ability to criticize their subject matter. 07<br />

Fehlende Kritik(fähigkeit) erzeugt elitäre Werte und unrealistische<br />

Maßstäbe. Eine gesunde Kritikkultur ist Grundlage für eine<br />

reflektierte und <strong>bewusst</strong>e Entwicklung eines Prozesses.<br />

De<strong>sign</strong> criticism—what is needed to understand and<br />

interpret present ways of being, and critical de<strong>sign</strong>—what<br />

is needed to ensure that our actions lead to sustainable<br />

future ways of being. 08<br />

ABscHnITT 3 . GEscHIcHTLIcHE AnALysE<br />

In seiner Geschichte ist das Grafikde<strong>sign</strong> eng mit dem Fortschritt<br />

unserer Kultur 09 verbunden. Vor allem in der ersten Hälfte des<br />

vergangenen Jahrhunderts fand eine starke Wechselwirkung zwischen<br />

der gesellschaftlichen Entwicklung (Technik, Kultur, Politik,<br />

Wirtschaft u.ä.) und der Gestaltung statt, die sich in symbiotischen<br />

Enflüssen zeigt und eine klare Trennung ebendieser somit völlig<br />

unmöglich macht.<br />

Heutzutage ist die Verwebung vorallem – bzw. fast ausschließlich – mit<br />

Industrie und Kommerz zu Beobachten – dort liegt aber auch der<br />

eigentliche Ursprung des Berufes: Die Industrialisierung brachte<br />

die Notwendigkeit der Herstellung eines Prototyps mit sich. Aus der<br />

Fusion von Handwerk und freiem Künstler wurde ein neues Berufsbild<br />

geschaffen, das sich in der Mittlerposition zwischen den konträren<br />

Welten der Kunst und der Industrie positionierte und schöpferische<br />

Eigenschaften mit einem konkreten praktischen Zweck verband.<br />

Doch dies war nicht immer und nicht überall so: In anderen Ländern,<br />

die wegen ihres politischen Systems nicht der Marktwirtschaft<br />

verpflichtet waren (China, Kuba, Russland, Polen), hatten Gestalter<br />

die Möglichkeit, Grafikde<strong>sign</strong> vor allem als kulturelle Aufgabe<br />

aufzufassen.<br />

Auch in der westlichen Welt führten soziale und politische Unruhen<br />

immer wieder zu <strong>bewusst</strong> stellungnehmenden Arbeiten einzelner<br />

Gestalter oder zur Entstehung von ganzen Bewegungen, die sich mit<br />

Bestrebungen zur Neudefinition der Aufgaben und Werte von De<strong>sign</strong><br />

auseinandersetzten. In Deutschland waren dies der Werkbund, das<br />

Bauhaus und die Fachhochschule Ulm. Alle drei hatten eine effiziente<br />

und alltags-funktionale Material- und Produktgestaltung und die<br />

Integration des realen Umfeldes zur obersten Prämisse.<br />

Damals in Ulm mussten wir zu den Sachen, zu den<br />

Dingen, zu den Produkten, zur Straße, zum Alltag, zu<br />

den Menschen, wir mussten umkehren, es ging nicht<br />

um eine Ausweitung der Kunst in die Alltäglichkeit,<br />

in die Anwendung, es ging um eine Gegenkunst, um<br />

Zivilisationsarbeit, um Zivilisationskultur. 10<br />

A.2+3<br />

EInführung<br />

04 Gui Bonsiepe (1964)<br />

Erziehung zur visuellen<br />

Gestaltung<br />

05 Jessica Helfand (1993)<br />

what is Graphic De<strong>sign</strong>?<br />

06 Patrick Burgoyne (2006)<br />

A world without De<strong>sign</strong>?<br />

„Compared to other kinds of de<strong>sign</strong>,<br />

it‘s virtually invisible, when in fact it<br />

touches everybody‘s lifes and is all<br />

around us, perhaps to a degree far<br />

greater than, say, the very expensive<br />

chairs that are far more visible in the<br />

national media.“<br />

0 Rick Poynor (2001)<br />

Time for being against<br />

08 Eli Blevis (2006)<br />

Advancing sustainable<br />

Interaction De<strong>sign</strong><br />

09 John A. walker (1989)<br />

De<strong>sign</strong> History and the<br />

History of De<strong>sign</strong><br />

“The existence of de<strong>sign</strong>ers as a<br />

particular occupational group<br />

is, of course, the consequence<br />

of centuries of development,<br />

the division of labour, and the<br />

specialisation of function associated<br />

with the growth of human knowledge,<br />

industry and the emergence of ever<br />

more complex societies.” (S. 53f)<br />

10 Herbert Lindinger (1987)<br />

Die Moral der Gegenstände<br />

Zitat von Otl Aicher


Nicht die schnelle Vermarktung war das Ziel, sondern die Erhöhung<br />

des Gebrauchswertes, das Entwerfen von dauerhaften Gütern und eine<br />

Reduzierung von Materialverschwendung.<br />

Zu zeigen, das De<strong>sign</strong> viel mehr kann, als nur dekorieren, versuchten<br />

auch viele Einzelpersonen. Ken Garland beispielsweise ging dabei mit<br />

dem von ihm federführend inszenierten „First Things First Manifesto“<br />

sogar über die eigenen Arbeiten hinaus und versuchte Kollegen<br />

zu überzeugen, ihre Talente nicht mehr (nur) an die trivialen und<br />

minderwertigen Ziele der Werbung verschwenden und statt immer nur<br />

trendiger auch bedeutende Dinge zu schaffen. Im Manifesto heißt es:<br />

In a world in which the techniques and apparatus of<br />

advertising have persistently been presented to us as the<br />

most lucrative, effective and desirable means of using our<br />

talents, […] we think there are other things more worth<br />

using our skill and experience on. [... and] media through<br />

which we [can] promote our trade, our education, our<br />

culture and our greater awareness of the world. 11<br />

Auch Tibor Kalman zeigte – besonders effektiv mit das Colors Magazin<br />

von Beneton – dass Werbung durchaus ein Großartiges Medium<br />

sein kann, um zu Menschen zu sensibilisieren und Bewusstsein zu<br />

erzeugen.<br />

Die Diskussion um eine nachhaltige Berufspraxis mit ethischen<br />

und ökologischen Werten ist also keine neue Idee, sondern begleitet<br />

De<strong>sign</strong>er bereits seit Beginn an.<br />

ABscHnITT 4 . fAzIT DER AusGAnGssITuATIOn<br />

Grafikde<strong>sign</strong> besitzt in der heutigen Zeit wird vorallem eine<br />

konsumorientierte Bedeutung und bedient fast ausschließlich formalästhetischen<br />

Grundsätze. Es hat keine gesellschaftliche Bedeutung,<br />

außer der, des Verkaufens.<br />

Die allgegenwärtige Bilderflut hat nur einen Zweck: immer<br />

neue Bedürfnisse zu schaffen, die letztendlich nur dem<br />

Systemerhalt dienen. 12<br />

Gutes De<strong>sign</strong> muss jedoch mehr können als nur das. Neben dem<br />

gestalterischen Selbstzweck sollte De<strong>sign</strong> – denn diese Macht hat<br />

es – zusätzlich Informationen über Dinge, Prozesse und Wissen<br />

verständlich und für die breite Masse zugänglich machen, d.h. ‚zur<br />

Demokratisierung unserer Wissensgesellschaft zu befördern. Der<br />

De<strong>sign</strong>er muss in de Rolle eines Entrepreneur – ein in der Wirtschaft<br />

gerne benutzen Begriffs – schlüpfen und kritisch nachfragen, grenzen<br />

aufzeigen, Positionen einnehmen, Opposition beziehen, Mythen<br />

wiederlegen… Er muss als Kritiker die Rolle des Unterstützers und<br />

Anwalts übernehmen und als Interpreteur verborgene Aspekte<br />

erklären.


Um diese Aspekte in unsere Arbeit zu integrieren, fehlt ein<br />

übergeordnetes System, das neben den formalen Kriterien ebendiese<br />

Dimensionen miteinbezieht. Die grundlegende Problematik hierbei<br />

ist die fehlende greifbare Identität und Selbstdefinition. Bereits in der<br />

Ausbildung müssten die unterschiedlichen Kräfte, die auf De<strong>sign</strong><br />

wirken – und auf die De<strong>sign</strong> wirkt – aufgezeigt und ein Diskurs<br />

angeregt werden, wie sich De<strong>sign</strong>er in diesem Zerrspiel zu bewegen<br />

kann.<br />

Durch keine Art von Theorieunterricht werden wir diese<br />

Dilemmata beseitigen, durch Schweigen liefern wir uns<br />

ihnen jedoch aus. 13<br />

Zusammenfassung . Um Glaubwürdigkeit und ein positives Fremdbild<br />

zu schaffen, müssen De<strong>sign</strong>er eine greifbare Selbstdefinition formen<br />

und eine Kritikkultur entwickeln, die nicht nur formal-ästhetische<br />

Kriterien berücksichtigt, sondern auch Inhalte integriert.<br />

A.3+4<br />

EInführung<br />

11 Ken Garland (1964)<br />

first Things first Manifesto<br />

12 Pina Lewandowsky (2006)<br />

Grafik-De<strong>sign</strong><br />

13 sarah Hillebrecht (2007)<br />

Gutes oder schlechtes De<strong>sign</strong><br />

– eine frage der Moral?


Graphic de<strong>sign</strong> – which fulfills<br />

esthetic needs and complies<br />

with the laws of form [...] – is not<br />

good de<strong>sign</strong>, if it is irrelevant.<br />

PAuL RAnD


Theoretischer Teil<br />

Im Rahmen der Klimadebatte und ähnlichen Brennpunktthemen<br />

gewinnt das Konzept der Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle<br />

in der Politik und der Wirtschaft. Steigende Macht und wachsender<br />

Einfluss der Wirtschaft auf die Kultur und die Gesellschaft<br />

und im Gegenzug das fortschreitende Gefühl der politischen<br />

Ohnmacht, lassen den Druck auf die Unternehmen steigen, mehr<br />

Verantwortlichkeit und Transparenz zu zeigen.<br />

Der Faktor ‚Corporate Social Responsability‘ (CSR) ist in der<br />

heutigen Wirtschaftswelt ein wichtiger Faktor geworden.<br />

Vision- und Valuestatements gehören bereits zum Standard der<br />

Imagepräsentationen, da viele Unternehmen sich <strong>bewusst</strong> sind,<br />

dass eine erfolgreiche Präsenz in den obengenannten Sektoren<br />

ein einflussreicher Teil der Corporate Identity sein kann. Immer<br />

mehr Unternehmen veröffentlichen jedoch neben dem normalen<br />

Geschäftsbericht auch einen CSR-Report.<br />

Wir De<strong>sign</strong>er arbeiten vornehmlich für die Wirtschaft. Für<br />

Unternehmen, die u.a. mit Hilfe des De<strong>sign</strong>s ihren Platz im Markt<br />

verteidigen müssen. Die Frage ist also: Widerspricht eine ethische und<br />

ökologische De<strong>sign</strong>praxis zwangsweise ökonomischen Interessen?<br />

Oder kann ein nachhaltiges De<strong>sign</strong> vielleicht sogar dazu beitragen,<br />

den Markt zu einem ethisch und moralisch wertvolleren Ort zu<br />

wandeln?<br />

Bisher findet das Konzept der Nachhaltigkeit vor allem im Bereich<br />

Produktde<strong>sign</strong> Beachtung, das Grafikde<strong>sign</strong> hingegen fängt erst<br />

zaghaft an, in die Diskussion einzugreifen. Dabei hat Grafikde<strong>sign</strong><br />

vielleicht sogar die größere Macht – und damit Verantwortung:<br />

Es prägt und kommuniziert unsere Werte und Vorstellungen und<br />

hat somit nicht nur Einfluss auf die Produktionskette an sich,<br />

sondern – auf einer inhaltlich-kommunikativen Ebene – auch auf sein<br />

Zielpublikum. Grafikde<strong>sign</strong> könnte helfen, das Thema überhaupt erst<br />

zum Thema für die breite Masse zu machen.<br />

B.0<br />

thEOrIE


ABscHnITT 1 . DER nAcHHALTIGKEITsGEDAnKE<br />

Definition . Eine der bekanntesten und verbreitetsten Definitionen für<br />

das Konzept der Nachhaltigkeit entstammt dem ‚Our Common Future<br />

Report‘ von Dr. Gro Harlem Brundtland (1987), in dem es heißt:<br />

Sustainable development is development that meets the<br />

needs of the present without compromising the ability of<br />

future generations to meet their own needs. 14<br />

Der Nobelpreisträger Murray Gell-Mann formuliert es metaphorischer<br />

und griffiger, wenn er sagt<br />

Sustainability means living on nature’s income rather<br />

than its capital. 14<br />

Nachhaltigkeit ist also ein langfristig angelegtes Konzept, das<br />

nicht auf den schnellen Erfolg abzielt, sondern ein langfristig<br />

– auch über unseren Gedankenhorizont hinausgehend – gesehenes<br />

Optimum durch effektiven Einsatz der Mittel anstrebt. Es ist eine<br />

komplexe Herangehensweise mit vielen Facetten und weitreichenden<br />

Auswirkungen auf alle möglichen Bereiche der Wirtschaft, Kultur und<br />

Gesellschaft – und mit erheblichen Konsequenzen für die Zukunft.<br />

Nachhaltigkeit ist ein multidisziplinäres Konzept, d.h. es muss von<br />

Anfang bis Ende der Produktionskette an einem Strang gezogen und<br />

Hand in Hand gearbeitet werden.<br />

Übersetzung . Das Wort ‚Nachhaltigkeit‘ an sich ist ein in der<br />

heutigen Zeit inflationär benutztes Wort. Somit widerfährt ihm<br />

dieselbe Abwertung zur leeren Worthülse, wie es mit ‚De<strong>sign</strong>‘<br />

geschieht. Hinzu kommt, dass das Wort ‚Nachhaltigkeit” nicht<br />

vollständig 15 kongruent mit dem englischen Originalbegriff<br />

‚Sustainability” ist.<br />

Ich schlage deshalb vor, statt des nichtssagenden, sehr politisch<br />

geprägten Begriffes ‚nachhaltig‘ den intuitiv verständlichen und<br />

wesentlich emotionaleren Begriff ‚verantwortungs<strong>bewusst</strong>es De<strong>sign</strong>‘<br />

als Übersetzung zu verwenden. Dieser impliziert bereits auf einer<br />

intuitiven Ebene die elementaren Bestandteile der Idee.


ABscHnITT 2 . DIE nAcHHALTIGKEIT IM DEsIGn<br />

Was bedeutet es nun aber konkret, das Konzept der Nachhaltigkeit in<br />

den De<strong>sign</strong>bereich zu übertragen? Die meisten De<strong>sign</strong>er stellen dabei<br />

vor allem die materiellen Elemente in den Mittelpunkt ihrer Bedenken.<br />

Sie benutzen das Wort ‚nachhaltig‘ als Synonym für ‚umweltfreundlich‘.<br />

Recyclingpapier ja, Plastifizierung nein – das ist die voreilige<br />

Definition von ‘gutem’ De<strong>sign</strong>. Dabei geht es bei Sustainable De<strong>sign</strong><br />

um etwas völlig anderes – etwas viel globaleres. Brian Dougherty<br />

erklärt dies folgendermaßen:<br />

The ‚stuff‘ aspect of green de<strong>sign</strong> (is like) the outer layer of<br />

an onion. (...) This ist the most visible aspect (…).<br />

If you peel back the onion, you can get to a deeper sort<br />

of green graphic de<strong>sign</strong> where the „message‘ promotes<br />

positve social and environmental change. This involves<br />

a value judgment on the contens of whatever is being<br />

de<strong>sign</strong>ed. 16<br />

Viel wichtiger als die Produkte, die wir de<strong>sign</strong>en, ist die Weltansicht,<br />

die wir durch sie vermitteln: Moral und Werte, Wünsche und<br />

Standards, Prioritäten und Thesen.<br />

Die meisten Dinge, die wir gestalten sind dazu bestimmt, auf eine<br />

effektive Weise Informationen und Botschaften an ein bestimmtes<br />

Zielpublikum zu kommunizieren. Wir müssen also nur die uns zur<br />

Verfügung stehenden Kanäle nutzen, um der kommerziellen Botschaft<br />

Werte mit auf den Weg zu geben. Dabei lautet das vorderste Prinzip<br />

17 ‚do no harm‘. Wünschenswert ist es jedoch, einen Schritt weiter zu<br />

gehen.<br />

I reserve a special place - the very core oft that onion<br />

– for de<strong>sign</strong>ers that truly go beyond the status quo and<br />

re-imagine how we approach graphic de<strong>sign</strong>. Ideally the<br />

exercise of green de<strong>sign</strong> can be a springboard for solving<br />

problems in fresh ways. 16<br />

Wie genau kann ein ‘verantwortungs<strong>bewusst</strong>es De<strong>sign</strong>‘ aussehen? Im<br />

folgenden stelle ich sechs Definitionen vor, die auf unterschiedliche<br />

Weise versuchen, Anhaltspunkte für die Umsetzung zu geben.<br />

B.1+2<br />

thEOrIE<br />

14 AIGA center for sustainable<br />

De<strong>sign</strong><br />

15 Katrin wullenweber (2000)<br />

wortfang. was die sprache<br />

über nachhaltigkeit verrät.<br />

“Für den Begriff ‘sustainable<br />

development’ gibt es in der<br />

deutschen Sprache insgesamt über<br />

70 Übersetzungsvarianten.”<br />

16 Rebecca Bedrossian (2005)<br />

Green De<strong>sign</strong><br />

Zitat von Brian Dougherty<br />

17 Allan chochinov (2007)<br />

A Manifesto for sustainability<br />

in De<strong>sign</strong>


a.<br />

Tripple-Bottom-Line<br />

BEATRIcE K OTTO (DEsIGn cOuncIL)<br />

„Sustainable de<strong>sign</strong> is everything good de<strong>sign</strong> ought to be,<br />

delivering the best (social, environmental and economic)<br />

performance or result for the least (social, environmental<br />

and economic) cost. It is the strategic use of de<strong>sign</strong> to meet<br />

and integrate current and future human needs without<br />

compromising the environment.“ 18


Die Basis der Nachhaltigkeitsidee in der Unternehmenswelt bildet<br />

ein Drei-Säulen-Modell (im Englischen auch Tripple-Bottom-Line<br />

bzw. 3BL genannt). Diese drei Säulen stehen für soziale Faktoren,<br />

Umweltfaktoren und Profitfaktoren, oder schlagkräftiger ausgedrückt<br />

‚people, planet, profit‘ und können nur durch eine ausgeglichene<br />

Bedienung die dauerhafte Stabilität gewährleisten. Durch eine<br />

ganzheitliche Betrachtung der Auswirkungen eines Produktes oder<br />

einer Dienstleistung in diesen drei Sektoren soll ein ausgewogenes<br />

Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen gefunden werden – jetzt und<br />

in der Zukunft.<br />

The triple bottom line seeks to expand the conventional<br />

economic or financial focus of the ‘bottom line’ to include<br />

social and environmental calculations. 18<br />

Diese Definition ist Teil der Corporate-Responsability-Idee. Die<br />

traditionelle ‚bottom line‘, die die finanzielle Performance eines<br />

Unternehmens aufzeigt, wird hierbei um soziale und ökologische<br />

Faktoren erweitert.<br />

In der Anwendung im Bereich De<strong>sign</strong> bedeutet dies, nicht nur bei<br />

der Ausführung der eigenen Geschäftspraktiken auf diese Stabilität<br />

zu achten, sondern vor allem inhaltlich in der Gestaltung darauf<br />

einzugehen.<br />

Aus Sicht der Wirtschaftlichkeit muss die Tripple-Bottom-Line<br />

keineswegs als Nachteil gesehen werden.<br />

Sustainable de<strong>sign</strong> is about minimising negative impacts<br />

on the environment and society while optimising<br />

performance and well-being. It can therefore have a lot to<br />

do with competitiveness. 18<br />

Fazit . Die Idee einer Ausgewogenheit zwischen den drei Faktoren<br />

ist prinzipiell ein wichtiger Gedanke, um eine gesunde Zukunft für<br />

unsere Erde und ihre Bewohner zu gewährleisten. Das Modell bleibt<br />

dabei aber sehr wirtschaftlich und abstrakt. Es bietet keine konkreten<br />

Handlungsanweisungen oder Hilfsmaßstäbe an.<br />

B.2a<br />

thEOrIE<br />

18 Beatrice K Otto (2006)<br />

Emerging Issues. About:<br />

sustainable De<strong>sign</strong>


.<br />

sustainable Issue Mapping<br />

RuPERT BAssET unD LynnE ELVIns (A420)<br />

„We believe the de<strong>sign</strong> industry is in a uniquely powerful<br />

position to create a more sustainable future for everyone<br />

and that every de<strong>sign</strong>er has the potential to produce more<br />

sustainable de<strong>sign</strong> with every project they tackle.“ 19<br />

„De<strong>sign</strong> does not operate in isolation.“<br />

‚cOnTExTs‘<br />

„Sustainability is all about conflict.“<br />

‚AGEnDAs‘<br />

„De<strong>sign</strong>ers must negotiate complexity.“<br />

‚IssuEs‘


Statt einen weiteren 100-Seiten-Wälzer zu schreiben, wollten Rupert<br />

Basset und Lynne Elvins eine Möglichkeit finden, De<strong>sign</strong>ern das<br />

komplexe Thema Nachhaltigkeit auf eine intuitivere Art näher zu<br />

bringen. Dazu entwickelten sie im Rahmen ihrer zu diesem Ziel<br />

gegründeten ‚Forschungseinheit zur Führung der De<strong>sign</strong>industrie<br />

durch das komplexe Gebiet der Nachhaltigkeit‘ A420 das ‚Sustainable<br />

Issue Mapping‘ – ein Raster zur Analyse von grafischen Arbeiten<br />

bzw. der Arbeitsweise von De<strong>sign</strong>ern unter dem Gesichtspunkt einer<br />

ausgewogenen Interessensbefriedigung. Als Grundlage diente auch<br />

ihnen das Tripple-Bottom-Line-Modell.<br />

In order to produce more sustainable de<strong>sign</strong>, de<strong>sign</strong>ers<br />

need to identify the contexts, agendas and issues involved<br />

in their de<strong>sign</strong>work. 20<br />

Zur Analyse werden vorgegebene und ggf. selbst hinzugefügte ‚issues‘<br />

in Form kleiner Quadrate auf einem Plakat angeordnet, das vier<br />

Dimensionen der ‚agendas‘ zeigt. Diese setzen sich zusammen aus<br />

finanziellen, sozialen und ökologischen Gesichtspunkten, der Tripple-<br />

Bottom-Line, die in ihrem Modell durch die persönliche Dimension<br />

erweitert werden. Als ‚issues‘ bezeichnen Basset und Elvins dabei die<br />

konkreten Themen.<br />

By dealing with issues in relation to all four agendas,<br />

de<strong>sign</strong>ers will not only gain a better understanding of<br />

sustainability, they will also gain a better understanding<br />

of de<strong>sign</strong>. 19<br />

Den Rahmen stecken schließlich die ‚contexts‘, in denen sich der<br />

De<strong>sign</strong>er bewegt, denn der Kontext bestimmt jeweils den Inhalt bzw.<br />

Betrachtungswinkel. De<strong>sign</strong>er arbeiten in verschiedenen Kontexten:<br />

sie arbeiten für Kunden, die sich in der Wirtschaft bewegen.<br />

More sustainable de<strong>sign</strong> will contribute to the creation of<br />

more sustainable business, which in turn will help create a<br />

more sustainable world. 19<br />

In drei Stufen werden zuerst auf der ‚global context map‘ und danach<br />

auf der ‚business context map‘ die generelle Position und Gesinnung<br />

des De<strong>sign</strong>ers analysiert, um schließlich auf der ‚de<strong>sign</strong> context map‘<br />

die Ausrichtung seiner inhaltlich-gestalterischen Arbeit zu skizzieren.<br />

Am Ende ergibt sich daraus ein Gesamtbild, dessen Verteilung<br />

Aufschluss über die Gewichtung der vier Bedürfnissbereiche und<br />

somit den Grad der Nachhaltigkeit der Arbeit des De<strong>sign</strong>ers gibt.<br />

Fazit . Das Modell bietet eine gute Grundlage zur Analyse der eigenen<br />

Arbeit. Dabei gibt es zwar kaum konkrete Handlungsanweisungen,<br />

das Verfahren regt jedoch zur intensiven Selbstreflexion an. Diese<br />

<strong>bewusst</strong>e Auseinandersetzung, die durch kleine Gedankenanstöße<br />

geführt wird, bleibt – bei entsprechendem Interesse an dem Thema –<br />

mit Sicherheit im Kopf und findet so einen Weg in den Arbeitsalltag.<br />

B.2b<br />

thEOrIE<br />

19 Rupert Basset/Lynne Elvins<br />

(2007)<br />

An introduction to<br />

sustainability in De<strong>sign</strong><br />

20 Lucienne Roberts (2007)<br />

Good: An introduction to<br />

Ethics in Graphic De<strong>sign</strong>


c.<br />

Redirective Practice<br />

TOny fRy (TEAM D/E/s)<br />

„For de<strong>sign</strong> ‘redirective practice’ has three areas of<br />

focus: adaptation in face of what has to change to<br />

counter the unsustainable; the elimination of what<br />

threatens sustainment by de<strong>sign</strong>ing ‘things’ away; and<br />

prefiguration, which is de<strong>sign</strong>ing in order to redirectively<br />

deal with what is coming.“ 21


Die Basis dieses Modells bilden die beiden Fragen 22 ‘What should<br />

and should not be imposed?’ und ‘What should be created, redirected<br />

or eliminated?’.<br />

Neben zahlreichen Schriften zur Analyse der reellen Macht und<br />

Möglichkeiten und der Funktionsweise des Arbeitsalltags, definiert er<br />

in seinem Essay ‚Sustainable Interaction De<strong>sign</strong>‘ drei Schritte für eine<br />

‚Redirective Practice‘.<br />

The first move is reflective and requires gaining an<br />

historical understanding of what has structured one’s<br />

practice and oneself as (in the case of de<strong>sign</strong>) a de<strong>sign</strong>ing<br />

subject. 22<br />

Es geht also im ersten Schritt um Selbstreflexion. Antrainierte<br />

Konventionen und Gewohnheiten sollen in Frage gestellt und<br />

ggf. überdacht werden. Wodurch wird mein Alltag bestimmt? Wo stehe<br />

ich als De<strong>sign</strong>er in Bezug zu dem De<strong>sign</strong>ten und der Welt?<br />

The second move, informed by knowledge gained from<br />

the first, is to start to redirect one’s existing practice<br />

towards a continuous engagement with the immediacy<br />

of one’s omnipresent habitus – this as it structures the<br />

unsustainable, materiality and immateriality, as it is<br />

directly encountered. 22<br />

Der Zweite Schritt ist also die Konsequenz aus der Selbstreflexion, die<br />

Umsetzung der Überlegungen in die eigene Praxis.<br />

The third move is to bring one’s redirected practice more<br />

generally into engagement with the world in which one<br />

practices with specifically directed transformative intent. 22<br />

Schließlich soll die neue Sicht- und Handlungsweise weitergetragen<br />

werden. Der De<strong>sign</strong>er selbst übernimmt hierbei nicht die Rolle des 21<br />

‚primary change agents‘, sondern gibt lediglich Impulse ab, um diesen<br />

Willen bei seinem Zielpublikum anzuregen.<br />

In other words, ‘ontological de<strong>sign</strong> (the redirected habitus<br />

and all that flows from it)’ cannot come into existence<br />

without that agent (redirective practice) that then becomes<br />

redundant. 22<br />

Fazit . Frys Versuch, einen Weg zu einer verantwortungs<strong>bewusst</strong>eren<br />

De<strong>sign</strong>praxis aufzuweisen, setzt einen starken idealistischen<br />

Ansatzpunkt des De<strong>sign</strong>ers voraus. Durch Selbstreflexion soll<br />

er erkennen, dass – und wie – er unangemessene Gewohnheiten<br />

zukunftfähiger gestalten kann und so durch seine eigene<br />

Arbeitsweise Nachhaltigkeit bzw. Bewusstsein für Nachhaltigkeit im<br />

Allgemeinen generiert.<br />

B.2c<br />

thEOrIE<br />

21 Eli Blevis (2006)<br />

Advancing sustainable<br />

Interaction De<strong>sign</strong><br />

22 Tony fry (2007)<br />

Redirective Practice:<br />

an elaboration


d.<br />

A Manifesto for<br />

sustainability in De<strong>sign</strong><br />

ALLAn cHOcHInOV (cORE77)<br />

„De<strong>sign</strong>ers are feeding and feeding this cycle, helping to<br />

turn everyone and everything into either a consumer or<br />

a consumable. And when you think about, this is kind of<br />

grotesque. ‚Consumer‘ isn‘t a dirty word exactly, but it<br />

probably oughta be.“ 23<br />

1. Hippocratic Befor Socratic<br />

2. Stop Makin crap<br />

3. Systems Before Artifacts<br />

4. Teach Sustainabliliy Early<br />

5. Screws Better Than Glues<br />

6. De<strong>sign</strong> For Impermanence<br />

7. Balance Befor Talents<br />

8. Metrics Before Magic<br />

9. Climates Bevore Primates<br />

10. Context Before Absolutely Everything


Das nicht ganz ernst gemeinte, aber doch sehr funktionelle Manifesto<br />

zeigt 10 witzige, aber nicht weniger scharfsinnige Gedanken auf:<br />

‚hippocratic before socratic‘ – In seiner Rolle als Massenproduktion<br />

potenziert sich jede noch so kleinste Entscheidung.<br />

‚stop makin crap‘ – Eine eigentlich recht einfache und<br />

selbstverständliche Annahme. Und doch:<br />

We are suffocating, drowning, and poisoning ourselves<br />

with the stuff we produce. […] It gets into our bodies […]<br />

and our minds. And de<strong>sign</strong>ers are feeding and feeding<br />

this cycle. 23<br />

‚systems before artifacts‘ – Bevor wir etwas Neues de<strong>sign</strong>en, sollten wir<br />

überlegen, wie wir das bereits Existierende effizienter benutzen können.<br />

‚teach sustainabliliy early‘ – Studenten sollten Potenzial, Möglichkeiten<br />

und Verantwortung von De<strong>sign</strong> nahegebracht werden, statt sich<br />

ausschließlich auf formale Aspekte zu beschränken.<br />

‚screws better than glues‘ – Dinge müssen flexibel und wiederverwertbar<br />

gestaltet werden, statt zum Wegwerfen produziert werden.<br />

‚de<strong>sign</strong> for impermanence‘ – Wir sind die einzige Spezie, die für die<br />

Ewigkeit de<strong>sign</strong>t und nicht für ein zyklisches System.<br />

Our ways and means are completely antithetical to how<br />

planet earth manufactures, tools, and recycles things. We<br />

choose inorganic materials precisely because biological<br />

organisms cannot consume them, while the natural world<br />

uses the same building blocks over and over again. 23<br />

‚balance before talents‘ – Nicht, weil wir in der Lage dazu sind, müssen<br />

wir alles produzieren, was wir produzieren können. Wir müssen<br />

anfangen, nicht nur clever, sondern auch intelligent zu denken.<br />

‚metrics before magic‘ – Auch wenn wir De<strong>sign</strong>er selbst keine großen<br />

Zahlen- und Faktenkünstler sind: es gibt andere, die Ahnung haben.<br />

‚climates bevore primates‘ – Ein grundlegender Gedanke für eine<br />

gesunde Zukunft, schließlich gibt es keine Zukunft für den Menschen,<br />

ohne sein Zuhause, die Erde.<br />

Our anthropocentric worldview is literally killing us.<br />

„De<strong>sign</strong> serves people“? Well, I think we‘ve got bigger<br />

problems right now. 23<br />

‚context before absolutely everything‘ – Wir sehen meistens nicht<br />

das ‚bigger picture‘ eines Projekts, sondern nur unser De<strong>sign</strong>. Dabei<br />

existiert De<strong>sign</strong> niemals nur für und mit sich selbst.<br />

Fazit . Auch wenn keine konkreten Wertemaßstäbe vermittelt werden,<br />

so hilft dieses Manifesto doch, unser Bewusstsein zu schärfen und<br />

uns an ein paar grundlegende Aspekte zu erinnern, die eigentlich<br />

selbstverständlich sein sollten, es im Alltag aber keineswegs sind.<br />

B.2d<br />

thEOrIE<br />

23 Allan chochinov (2007)<br />

A Manifesto for sustainability<br />

in De<strong>sign</strong>


e.<br />

De<strong>sign</strong> can change Pledge<br />

DEsIGncAncHAnGE.ORG<br />

„Some may ask why de<strong>sign</strong>ers should be concerned with<br />

change. Isn‘t this the domain of elected officials and<br />

social groups? We propose that de<strong>sign</strong>ers are so close<br />

to the issue that they are uniquely positioned to make a<br />

difference.“ 24<br />

I believe in the de<strong>sign</strong> community‘s<br />

power to encourage sustainable practices.<br />

I will do my best to adhere to the pledge<br />

as it is outlinde here and spread the word.<br />

1. Learn<br />

Engage in the topic and<br />

seek to understand the issue<br />

2. Think<br />

Make a sustainable mindset<br />

second nature<br />

3. Act<br />

Put my knowledge to use<br />

in my daily work<br />

4. Inform<br />

Share information and<br />

build awareness for sustainability<br />

5. Unite<br />

Spark change through<br />

collective strength


‚De<strong>sign</strong> Can Change‘ ist eine nichtkommerzielle Initiative und<br />

Onlineplattform, die aus dem Gedanken entstanden ist, dass De<strong>sign</strong>er<br />

einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Welt haben können,<br />

wenn sie <strong>bewusst</strong> und gemeinsam daran arbeiten. Mit ausführlichen,<br />

gut gegliederten Hintergrundinfos schafft ‚De<strong>sign</strong> Can Change‘ eine<br />

gute Plattform für den Einstieg in das Thema.<br />

Die Website hangelt sich an einem fünfstufigen Plan entlang, dessen<br />

Endziel es ist, das Thema Nachhaltigkeit in die Gesellschaft zu<br />

implantieren. Eine sogenannte ‚pledge‘ – übersetzt ein Gelöbnis – zeigt<br />

dem De<strong>sign</strong>er fünf Stufen auf, wie er ein ‚sustainable de<strong>sign</strong>er‘ werden<br />

kann:<br />

‚Learn‘ – Die Idee des Sustainable De<strong>sign</strong>s verstehen.<br />

‚Think‘ – Den Gedanken der Nachhaltigkeit verinnerlichen und zur<br />

Denkweise machen. Sich der eigenen Rolle <strong>bewusst</strong>werden – nicht das<br />

Zentrum der Welt zu sein, aber eine Masche im Netz, die mit über die<br />

Stabilität des Ganzen entscheidet.<br />

‚Act‘ – Das Wissen im Alltag umsetzen.<br />

‚Inform‘ – Das Wissen teilen und helfen, Bewusstsein zu bilden.<br />

‚United‘ – Gemeinsam mit anderen vereinte Impulse aussenden.<br />

Fazit . Das Modell soll helfen, die neuen Denkansätze zu etablieren<br />

und im Alltag umzusetzen. Es soll dazu anregen, Wissen und<br />

seine Gedanken zu teilen, weiter zu lernen und Kollegen, Zulieferer<br />

und Kunden zu ermutigen und zu unterstützen. Dabei bleibt es<br />

jedoch relativ unkonkret, was zwar durch die umfangreichen<br />

Hintergrundinformationen ausgeglichen wird, das Modell selbst<br />

jedoch sehr idealistisch erscheinen lässt.<br />

B.2e<br />

thEOrIE<br />

24 De<strong>sign</strong> can change<br />

www.de<strong>sign</strong>canchange.com


netzwerk<br />

GAnzHEITLIcHEs DEnKEn<br />

Knotenpunkt<br />

KATALyTIscHE KRAfT<br />

Verbindungen<br />

DEsIGn ALs KuLTuRELEMEnT<br />

we must understand how<br />

our products are produced<br />

and function in society.<br />

De<strong>sign</strong> is not a free foating art<br />

form without consequences.<br />

sTEVEn HELLER<br />

Dimensionen des verantwortungs<strong>bewusst</strong>en De<strong>sign</strong>s<br />

KOntExt und führung<br />

rElEVanz und EffIzIEnz<br />

De<strong>sign</strong>ers are cultural<br />

intermediaries who work<br />

at the interface between<br />

production and consumption.<br />

PAuL DuGAy<br />

sEnsIbIlIsIErung und ImpulsgabE<br />

we shape our de<strong>sign</strong>, and thereafter<br />

our de<strong>sign</strong> shapes us.<br />

De<strong>sign</strong> both reflects and creates<br />

relationships of power and<br />

authority.<br />

JEnnIE wInHAL


Gedankenmodell C.1+2<br />

Aufbauend auf der Analyse der Rolle und Position von De<strong>sign</strong> (siehe<br />

Teil A . 1) und der Analyse vorhandener Definitionen und Modelle<br />

für ein verantwortungs<strong>bewusst</strong>es De<strong>sign</strong> (siehe Teil C . 2) habe<br />

ich nun ein eigenes Gedankenmodell entwickelt, das zum einen<br />

Zusammenhänge aufdecken und erklären, dem Betrachter aber<br />

gleichzeitig auch Handlungsdimensionen aufzeigen soll.<br />

ABscHnITT 1 . GRunDGEDAnKE<br />

Das Modell orientiert sich an der Darstellung eines Netzwerkes und<br />

untersucht auf drei Stufen die Einzelteile ebendieses. Dabei werden<br />

sowohl die Charakteristika des entsprechenden Bausteins erörtert, als<br />

auch die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind.<br />

Die drei Dimensionen sind das Netzwerk an sich, die Knotenpunkte<br />

sowie die Verbindungen.<br />

ABscHnITT 2 . nETzwERKGEDAnKE<br />

Unsere Gesellschaft ist ein –mehr oder weniger gut funktionierendes –<br />

Netz aus den verschiedensten, untereinander verknüpften<br />

Gemeinschaften. Alles hängt zusammen, jede Bewegung wird nicht<br />

nur an den direkten Nachbarn weitergegeben, sondern breitet sich<br />

impulsartig darüber hinaus auf das Netz aus. Gerade wir als De<strong>sign</strong>er<br />

bilden nicht nur eine Gemeinschaft unter uns, sondern greifen vor<br />

allem ständig in andere Bereiche – unsere Zielgruppen – ein. Das bringt<br />

die Notwendigkeit mit sich, sich darüber <strong>bewusst</strong> zu werden, wie<br />

unsere Produkte hergestellt werden und wie später in der Gesellschaft<br />

funktionieren.<br />

De<strong>sign</strong> kann nicht isoliert am Rande der Gesellschaft<br />

existieren, einzig allein als Standard für sich selbst. 25<br />

mOdEll<br />

25 Hans-Horst Möbes (2006)<br />

De<strong>sign</strong> und Verantwortung


Neben der ästhetisch-formalen Dimension gibt es weitreichende<br />

Konsequenzen. Nicht nur die materiellen Auswirkungen unseres<br />

Tuns, sondern auch die Kommunikation mit der Gesellschaft, in deren<br />

Entwicklung wir direkt eingreifen. Wir versorgen sie mit Impulsen,<br />

Standards und Trends; wir halten das Netz in einem konstanten<br />

Schwingen und massieren so ständig neue Botschaften in die Köpfe<br />

der Menschen.<br />

Anstatt diesen Prozess immer weiter mit noch mehr und noch neueren<br />

– unrelevanten – Informationen zu füttern, sollten wir uns verstärkt<br />

damit auseinandersetzen, wie wir bedeutungsvollere Inhalte schaffen<br />

können. Kontexte miteinbinden und nicht nur das Objekt selbst sehen.<br />

In times of information overload it is more important to<br />

de<strong>sign</strong> the means of access to information and navigation<br />

through it than the form of individual messages. 26<br />

Fazit . Stilistische und strukturelle Klarheit der Sache an sich<br />

reichen nicht alleine, es müssen die Beziehungen zu anderen Dingen<br />

mitbetrachtet werden. Wo lebt und agiert das De<strong>sign</strong> später wirklich<br />

und wie wird es benutzt?<br />

Handlungsansätze . Kontext und Führung<br />

ABscHnITT 3 . KnOTEnPunKTPOsITIOn<br />

In unseren Händen vereint sich die Wirtschaft mit der Gesellschaft,<br />

Michael Bierut bezeichnet es als 27 ‚nexus of money, power and<br />

communication‘ . Diese Verbindungsposition stattet uns mit einer<br />

katalytischen Kraft aus, die jede kleinste unserer Entscheidungen<br />

potenziert.<br />

Die Menschen glauben direkt mit den Produkten zu<br />

kommunizieren, dabei steht immer das De<strong>sign</strong> als<br />

Mediator dazwischen und steuert die Wahrnehmung. 28<br />

Doch nicht nur im Kommunikationsprozess, sondern auch im<br />

Produktionsprozess sitzen wir an einer einflussreichen Position:<br />

Als Schöpfer stehen wir außerdem meistens relativ am Anfang der<br />

Produktionskette. Entscheidungen, die wir treffen, können den<br />

gesamten nachfolgenden Produktions- und Kommunikationsprozess<br />

beeinflussen.<br />

Fazit . Die Position an der Verbindungsstelle zwischen Wirtschaft<br />

und Gesellschaft verleiht uns konzentrierte Impulskraft. Jede<br />

Entscheidung – d.h. aber auch jedes bisschen ‚mehr‘ oder ‚weniger‘<br />

– wird tausend- bzw. millionenfach potenziert.<br />

Handlungsansätze . Relevanz und Effizienz


ABscHnITT 4 . VERBInDunGEn<br />

De<strong>sign</strong> hat und wird auch weiterhin starken Einfluss auf unsere<br />

Gewohnheiten, unsere Prioritäten und unser tägliches Leben haben<br />

– und damit auf unsere Kultur.<br />

De<strong>sign</strong> is an expression of what (and who) we believe are<br />

‚normal‘ of how much we value certain costs over others<br />

– financial, social, and political. 29<br />

Das bedeutet zum einen, dass wir diesbezüglich eine Verantwortung<br />

wahrzunehmen haben, und unsere Handlungen dementsprechend<br />

überdenken sollten. Zum anderen zeigt diese Überlegung aber auch,<br />

welche riesigen Möglichkeiten und Werkzeuge wir in der Hand halten,<br />

um einen positiven Wandel voranzutreiben.<br />

Ganz simpel ausgedrückt sollte jeder als Mitglied der Gesellschaft<br />

seinen Pflichten und Verantwortungen nachkommen. Dabei geht<br />

es nicht darum eine Vorbild- und Vorreiterposition einzunehmen<br />

(auch wenn das natürlich wünschenswert wäre), sondern zunächst<br />

erst einmal darum, zumindest nicht durch negative Einflüsse dem<br />

Strom zu folgen. Statt auf schriller Provokation (z.B. „Geiz ist geil“)<br />

sollte der Fokus in Zukunft auf einer humaneren Kommunikation<br />

liegen, bei der auch die Werbebranche eine gesellschaftliche<br />

Verantwortung übernimmt. Das betrifft selbstverständlich nicht<br />

nur dargestellte Motive und Verhaltensmuster, sondern genauso<br />

die Produktionsbedingungen und implizierten bzw. ausgelösten<br />

psychologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer Arbeit.<br />

Fazit . De<strong>sign</strong> ist nicht nur ein Mittel zur Verkaufsförderung, sondern<br />

ein elementarer Baustein unserer Industrie- und Mediengesellschaft.<br />

Zwar kann Grafikde<strong>sign</strong> nicht unsere sozialen und politischen<br />

Probleme lösen, aber wir können mit unserer Arbeit das geistige<br />

Umfeld für einen positiven Wandel kultivieren.<br />

Handlungsansätze . Sensibilisierung und Impulsgabe<br />

C.3+4<br />

mOdEll<br />

26 Max Brunisma (1998)<br />

Rescue Meaning<br />

27 Katrina Perekrestenko (2002)<br />

De<strong>sign</strong> and social<br />

Responsability, are they<br />

mutually incompatible?<br />

28 Kalle Lasn (2005)<br />

culture Jamming<br />

29 Jennie winhall (2005)<br />

Humanism


Gestaltung beginnt mit<br />

vielen fragen – und löst<br />

im besten fall beim<br />

Betrachter welche aus.<br />

unBEKAnnT


umsetzung D.0<br />

Verantwortungs<strong>bewusst</strong>es De<strong>sign</strong> ist kein Zustand mit festen<br />

Gesetzen, sondern ein flexibler Prozess. Das Produkt meiner Arbeit<br />

muss also dem De<strong>sign</strong>er einen Ausgangspunkt in diesem Prozess<br />

anbieten und ihm einen groben Überblick über Zusammenhänge<br />

verschaffen. Basis hierfür ist die Bereitschaft zu einer <strong>bewusst</strong>en<br />

Auseinandersetzung mit dem Thema. Erst dann kann die Aneignung<br />

bzw. Vermittlung von konkretem Fachwissen folgen.<br />

Aus diesem Grund soll mein Endprodukt keine logische Herleitung<br />

nach dem Push‘-Prinzip ausbreiten, das den Betrachter stolpernd<br />

vor sich her treibt (‚wir haben die Verantwortung, deswegen müssen<br />

wir‘). Vielmehr soll der Leser auf einer emotionalen, evtl. provokativen<br />

Schiene nach dem ‚Pull‘-Prinzip zur Bewegung angeregt werden,<br />

so dass die Aktivität aus seinem Inneren kommt. Denn schließlich<br />

ist der Grundgedanke von verantwortungs<strong>bewusst</strong>em De<strong>sign</strong> das<br />

Denken und Handeln nach eigenen Werte- und Moralmaßstäben.<br />

Die zu vermittelnden Inhalte können – und sollen sogar – <strong>bewusst</strong><br />

subjektiv aufgebaut sein: keine Anleitung, sondern Impulse und<br />

Gedankenanstöße.<br />

Die Zielgruppe sind primär De<strong>sign</strong>er, im weiteren Sinne auch ihre<br />

Kunden und Zulieferer. Der Begriff ‚Sustainable De<strong>sign</strong>‘ soll klar<br />

definiert und von Social Spots, Umweltschutz und übermäßigem<br />

Idealismus abgegrenzt werden. Ethik und Moral stehen im<br />

Vordergrund – nichts Übertriebenes, sondern eigentlich etwas ganz<br />

Verständliches.<br />

umsEtzung


ABscHnITT 1 . zIELsETzunGEn<br />

Ziel 1 . Die Vermittlung des Wissens soll auf eine vorwiegend<br />

visuelle Art geschehen, um so einen einfachen Einstieg in das<br />

Thema zu ermöglichen, ohne gleich mit seitenlangen, theoretischen<br />

Erklärungen zu erschlagen. Das bedeutet, dass die Inhalte kurz<br />

und knapp dargestellt und Zusammenhänge und Funktionsabläufe,<br />

so weit es geht, visualisiert werden. Ein optionales Angebot an<br />

Hintergrundinformationen soll den selbstverantwortlichen Einstieg<br />

in das Thema erleichtern und dem Betrachter einen Startpunkt im<br />

Informationsnetzwerk geben.<br />

Ziel 2 . Die Inhalte an sich sollen zum einen griffig und einfach<br />

dargeboten werden, damit sie leicht aufnehmbar sind, zum anderen<br />

benötigt das grafische Gesamtkonzept eine emotionale Basis, auf<br />

der sich der betrachtende Grafiker den Inhalten verbinden und sich<br />

wiederfinden kann – denn funktionales De<strong>sign</strong> beinhaltet neben<br />

der formalen auch eine emotionale Basis: Der Betrachter muss nicht<br />

nur verstehen können, sondern vor allem verstehen wollen. Er muss<br />

integriert werden bzw. sich integrieren wollen.<br />

Ziel 3 . De<strong>sign</strong>er lassen sich in ihrer ‚Kreativität‘ nicht gerne<br />

einschränken, weswegen das Produkt keinesfalls ein Manifesto<br />

oder gar eine Checkliste für ‚gutes‘ De<strong>sign</strong> abgeben darf. Das ist<br />

auch gar nicht nötig, denn verantwortungs<strong>bewusst</strong>es De<strong>sign</strong> basiert<br />

weniger auf konkreten Handlungsanweisungen, als vielmehr auf dem<br />

Bewusstsein und der damit verbundenen Bereitschaft, seine Denk- und<br />

Handlungsweisen zu überdenken und ggf. zu verändern.<br />

Um Kunden, Zulieferer und Kollegen zu überzeugen, sollen die<br />

richtigen Argumente dargeboten werden. Es sollen anhand von<br />

Beispielen mögliche Ansätze aufzeigt werden, um ein Weiterdenken<br />

– bzw. Denken überhaupt – anzuregen.<br />

Ziel 4 . Es soll natürlich auch ganz klar das umgesetzt werden, was<br />

inhaltlich vermittelt wird. Das bedeutet zum einen adäquate und<br />

effiziente Materialwahl und eine gewisse Offenheit bzw. Flexibilität,<br />

um Aktualität zu gewährleisten. Zum anderen soll auch die soziale<br />

Komponente beachtet werden: Verantwortungs<strong>bewusst</strong>es De<strong>sign</strong><br />

basiert auf der Idee, dass De<strong>sign</strong>er durch ihre Rolle in der Gesellschaft<br />

bzw. ihre Position in der Produktionskette ein hohes Potential an<br />

Kommunikationsmacht besitzen und damit nicht nur ihre eigene<br />

Arbeitsweise verändern, sondern – vor allem – diese Gedanken auch<br />

weiterverbreiten können.


ABscHnITT 2 . InHALTLIcHE uMsETzunG (IDEE)<br />

Statt einer Pseudo-Neudefinition des Themas, d.h. der Reproduktion<br />

gleicher Informationseinheiten in anderem Format, bietet es sich an,<br />

auf die bereits vorhandenen Materialien zurückzugreifen und als<br />

eine Art dynamische Schnittstelle zu anderen Informationen und<br />

Informationsnetzen zu fungieren. (=>verknüpfen). Diese Überlegung<br />

folgt der Forderung von Deleuze und Guatari ‚Karten, nicht Kopien‘ zu<br />

machen!‘<br />

Die Karte reproduziert nicht ein in sich geschlossenes<br />

Un<strong>bewusst</strong>es, sondern konstruiert es. Die Karte ist<br />

offen, sie kann in allen ihren Dimensionen verbunden,<br />

demontiert und umgebaut werden (=>verweben), sie ist<br />

ständig modifizierbar. 30<br />

Eine collagenartige Kombination von Originalmaterialien kann so<br />

also einen Gesamtüberblick geben, während gleichzeitig Knotenpunkte<br />

entstehen (Bekanntmachung mit Literaturquellen, Personenprofilen<br />

und angrenzenden Themenbereichen), die als Einstiegsmöglichkeit in<br />

das Wissensnetzwerk fungieren.<br />

Mit Hilfe der darstellenden Geometrie wird ein<br />

Projektionssystem abstrakter Orte angelegt, die Karte als<br />

ursprünglicher Gesamtschauplatz und Projektionsfläche<br />

disparater Elemente wird zur Darstellung akkumulierter<br />

Informationen. 31<br />

Die kartographische Anordnung der Inhalte innerhalb eines Rasters,<br />

basierend auf dem entwickelten Gedankenmodell, fügt dabei eine<br />

strukturierte Führungsebene hinzu, die sortiert und Beziehungen<br />

sowie logische Zusammenhänge aufdeckt.<br />

Dramaturgie . Im Gegensatz zu einem Buch, das linear gestaltet<br />

ist, zeichnet sich eine Karte dadurch aus, dass sie viele 30 Ein- und<br />

Ausgänge bereitstellt (=>verzweigen), die eine unzählige Anzahl an<br />

Zugangs- und Verknüpfungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen.<br />

Dadurch befreit sich die Karte von vordefinierten Hierarchien und<br />

lässt die freie Verkettung vieler Perspektiven und Ansätze zu. Statt<br />

dem passiven Lesen eines in sich geschlossenen Textes wird der<br />

Betrachtungsprozess zu einem 30 ‚fluktuierenden Schreib-Lesen‘ in<br />

dem sich Produktion und Rezeption verbinden.<br />

Verkettungen von Links führen zu Erzählweisen und<br />

Wissenskonglomerationen, die als eine Rhetorik der<br />

Pfade selbst das suchende Durchqueren (=>finden) von<br />

Wissenslandschaften wieder als eine aktive semiotische<br />

Tätigkeit erscheinen läßt. [vergleichbar mit] Filmen, die in<br />

Realzeit von den Benutzern geschnitten werden. 31<br />

Die physikalische Isolation des Einzelbuches wird aufgehoben, der<br />

herkömmliche Absolutheitsanspruch des gedruckten Wortes und die<br />

Kontrolle durch den Verfasser verschwinden. Übrig bleibt ein offener<br />

Prozess, in den der Betrachter direkt einsteigen kann<br />

D.1+2<br />

umsEtzung<br />

30 Gilles Deleuze/félix Guattari<br />

(1977)<br />

Rhizom<br />

31 norbert Bolz/friedrich Kittler/<br />

christoph Tholen (1994)<br />

computer als Medium,<br />

München 1994, s.245-266)<br />

aus: Bild-Schirm-Denken. Manual für<br />

hypermediale Diskurstechniken


Elemente des Gedankenmodells<br />

VERKnüPfEnDE EBEnE<br />

Originalzitate<br />

wAHRnEHMEnDE EBEnE<br />

Subjektive Anmerkungen<br />

füHRunGsEBEnE<br />

Klusterbildung und Vernetzung der Themenschwerpunkte


ABscHnITT 3 . GEsTALTERIscHE uMsETzunG<br />

Wie bei einer Karte, die mit Farb-, Form- und Zeichencodes arbeitet,<br />

unterliegt meine Karte einem gewissen formalen Raster. Sie ist in Form<br />

von drei übereinanderliegende, formal getrennten Ebenen angelegt.<br />

Zitierende Ebene (Fremddefinitionen) . Zitate und Textausschnitte<br />

informieren und vermitteln – potentielle – Fakten. Diese Ansammlung<br />

von Fragmenten bildet die Basisinhalte und -informationen für<br />

das zu vermittelnde Gesamtbild. Zwar wird durch eine dreistufige<br />

Größendarstellung eine subjektive Gewichtung der Ausschnitte erzielt,<br />

formal jedoch werden die Texte gleichermaßen starr und einheitlich<br />

in das Raster eingepasst. Für die Darstellung wird die serifenbetonte<br />

Clarendon im Schriftschnitt regular und light verwendet.<br />

Ordnende Ebene (Eigendefinitionen) . Dient als Handlauf zur<br />

Führung und Orientierung. Mit Hilfe des Gedankenmodells soll<br />

versucht werden, Gedanken und Zusammenhänge zu verknüpfen und<br />

in eine logische Anordnung zu bringen.<br />

Zu den drei inhaltlichen Stufen des Gedankenmodells kommen zwei<br />

formale Stilmittel der Gliederung: Zum einen werden Kernpunkte<br />

der Gedankengänge und -verknüpfungen durch eine Vernetzung in<br />

Form eines Linienstrangnetzes nachvollziehbar gemacht, zum anderen<br />

werden durch flächige Unterlegung thematische Cluster gebildet,<br />

die inhaltliche Grundthesen zusammenhalten und den Einstieg<br />

erleichtern. Randaspekte werden Aspekte dabei durch Aufgreifen<br />

der äußeren Gestalt in Form von Aussparungen in der Fläche, in<br />

Verbindung zu den Clusterzentren gesetzt. Formal zeichnet sich diese<br />

Ebene durch die Verwendung der serifenlose Benton Sans aus.<br />

Kommentierende Ebene . Visuell organische Ebene, die meinen<br />

eigenen Prozess des Verarbeitens und Interpretierens wiedergibt.<br />

Sie ist Illustration meiner ‚Leserichtung‘, um die Problematiken zu<br />

fokussieren und emotionaler und provokativer zu kommunizieren.<br />

Damit wirkt sie wie eine Art ordnende Hand, die sich jedoch über ihre<br />

formalen Charakteristika <strong>bewusst</strong> als subjektiv zu erkennen gibt.<br />

Dadurch bekommt die Karte einen prozesshaft-offenen Charakter:<br />

Zwar sind die zitierten Texte schwarz auf weiß gedruckt – wie es im<br />

‚This is a printing office‘-Manifest heißt: 32 ‚fixed in time having<br />

been verified in proof‘ – doch die handgeschriebene Ebene durchbricht<br />

diesen Absolutheitsanspruch und lässt die Karte so wie ein unfertiges<br />

Workfile erscheinen, das zur Partizipation und Veränderung einlädt.<br />

Ein intuitiv zu erfassender Farbcode verbindet die beiden<br />

ersten Ebenen durch Verwendung der Farbe Schwarz. Diese<br />

Zusammenfassung steht für den Prozess der puren Aufnahme von<br />

Informationen (‚Sehen‘) gegenüber der kommentierenden Ebene, die in<br />

einem abgedunkelten Magenta angelegt ist und die Verarbeitung der<br />

Informationen darstellt (‚Wahrnehmen‘).<br />

Auszeichnungen auf der ‚Sehen‘-Ebene ergeben sich durch<br />

Aufrasterung der Grundfarben, um eine hierarchisierte und<br />

mehrstufige Führung zu erreichen.<br />

D.3<br />

umsEtzung<br />

32 Beatrice warde<br />

This is a printing office


Betrachtende Ebene . Das Informationsnetzwerk wird erst richtig<br />

aufgebaut, wenn die vierte Ebene hinzu kommt: Der Betrachter. Er<br />

bewegt sich durch die Karte, interpretiert und wandelt dadurch meine<br />

wahrnehmende Ebene in ein weiteres Zitat auf der ‘Sehen‘-Ebene. Die<br />

‚Wahrnehmen‘-Ebene verschiebt sich in den Kopf des Betrachters.<br />

ABscHnITT 4 . MEDIALE uMsETzunG<br />

Die Grundidee der kartographischen Definitionsskizze lässt sich<br />

in verschiedenen Medien adaptieren. Diese können dabei sowohl<br />

im Zusammenspiel (Betrachtungsreihenfolge), als auch lose<br />

zusammenwirken, wobei jedes Medium durch individuelle Vor-<br />

und Nachteile eine ganz eigene Rolle spielt und damit eine eigene<br />

Berechtigung hat. Durch die Anpassung der Informationsdichte und<br />

die Funktionsweise des Mediums ergibt sich trotz verwandtem Aufbau<br />

weniger eine Dopplung, als vielmehr eine Ergänzung.<br />

Gedruckter Plan . Die Umsetzung in einen gedruckten Plan ist die<br />

naheliegenste Lösung. Sie ist in ihrer Materialität momentunabhängig<br />

und erinnernd – der Aktivierungsimpuls wird durch die pure<br />

Anwesenheit des Objektes gesetzt –, wodurch eine intensive bzw.<br />

wiederholte Bearbeitung wahrscheinlicher wird.<br />

Der grafische Aufbau gliedert sich in die Grundelemente,<br />

d.h. die drei formalen Ebenen. Hinzu kommt die Einbettung<br />

in eine Umschlagsvorrichtung, in der ein integriertes<br />

Ausklappliteraturverzeichnis die verwendeten Texte auflistet und<br />

neben den Zugangsdaten zu den Quellen eine kleine Beschreibung des<br />

Gegenstandes bereithält.<br />

Die Karte selbst ist durch die patentierte Falkfaltung sowohl<br />

buchartig durch Auf- und Umklappen betrachtbar (d.h. geführt),<br />

gleichzeitig erlaubt eine Steckvorrichtung die Herausnahme der Karte<br />

aus dem Umschlag und somit das Komplettöffnen, um frei auf der<br />

ausgebreiteten Karte zu stöbern. Dies ermöglicht die Verwendung<br />

der Karte als erinnerndes und ermahnendes Plakat, während das<br />

Literaturverzeichnis in seiner Funktion als informationsvermittelndes<br />

Medium im Bücherregal verbleiben kann.<br />

Ausstellung . Eine in den raumgreifende, begehbare Applikation<br />

der Idee macht das Wissen intensiv erfahr- und in seiner Gesamtheit<br />

erfassbar. Zusammenhänge werden überdimensional dargestellt,<br />

räumlich verfolgbare Gedankenwege aufgebaut und das Eintauchen<br />

und Sich-Bewegen innerhalb des Informationsnetzwerkes ermöglicht.<br />

Die körperliche Integration in das Bild wird zu einer memorablen<br />

Erfahrung, die einen intensiven, emotionalen Zugang zum Thema<br />

erzeugt.<br />

Eine Ausstellung ist jedoch sehr stark ortsgebunden, d.h sie setzt<br />

ein hohes Eigenaktivierungspotential des Betrachters voraus; das<br />

Erstinteresse muss bereits vorhanden sein.


Inhaltlich bietet sich hierbei an, die Basisinformationen durch eine<br />

weitere Ebene – die anregende Ebene – zu ergänzen. Ein inhaltliches<br />

Beispiel wäre folgende Geschichte:<br />

The de<strong>sign</strong>ers of the ducted heating system may not<br />

have thougth that one of the effects of this system was<br />

to polarise the famiy, as the need to cluster in what was<br />

genereally the one warm room of the ouse was removed<br />

and famliy members could comfortably separate out into<br />

different rooms of the house, thus reducing interpersonal<br />

contact between family members. 33<br />

The Sony Walkman was another product that had the<br />

effect of insulating the user from the outside world, over<br />

and above the original aim of the product – to provide<br />

portable music to the individual. 33<br />

Oder aus dem Bereich ‚ökologische Faktoren‘:<br />

Ein Bildschirm mit weißem Hintergrund hat einen<br />

Energieverbrauch von ca. 74 Watt. Mit dunklem<br />

Hintergrund sind es hingegen nur 59 Watt. Leider hat die<br />

beliebteste Website dieses Planeten einen strahlend weißen<br />

Hintergrund: Google – und das mit über 7.000.000.000<br />

Seitenabrufen pro Monat. Wären all diese Google-Seiten<br />

auf dunklem Hintergund, würde man weltweit 200.000<br />

Kilowattstunden pro Monat einsparen! 34<br />

Ziel dieser Ebene ist es, mit kleinen unerwarteten Statements die<br />

Offenheit für andere Sichtweisen anzuregen und so Anstöße zu geben<br />

und gewohnte Normen und Gewohnheiten in Frage zu stellen.<br />

Die gedruckte Karte kann in diesem Zusammenhang zum zweiten<br />

Schritt werden: Ein Ausstellungskatalog, der die Essenz der<br />

Ausstellung zusammenfasst und mitnehmbar macht, mit dem Ziel,<br />

andernorts – und in anderer Form – wieder in die gesehene Welt<br />

einzutauchen.<br />

Website . Die Website hat vordergründig den Vorteil der absoluten<br />

Erreichbarkeit und der hohen Komfortabilität der Bedienung. Sie<br />

erscheint als ideales Medium, um sich innerhalb der Welt von Quer-<br />

und Quellverweisen zu bewegen und die Informationsakkumulation<br />

auf eine effektive Weise zu vollziehen. Die Informationsdichte kann<br />

– wie im Web üblich – auf mehrere Hierarchie- bzw. Zoomebenen verteilt<br />

werden (Überblick, Basisinformationen, Weiterverlinkung), um so,<br />

trotz eingeschränkter Größe der Darstellung (Bildschirm statt Plan<br />

bzw. Raum), den Überblick zu behalten.<br />

Die Website kann sowohl als Anfangs- als auch Endpunkt fungieren:<br />

sie kann das Interesse generieren, als schneller und einfacher<br />

Kontaktweg mit dem Betrachter und ihm den notwendigen<br />

Aktivierungsimpuls geben, die Ausstellung zu besuchen bzw. sich<br />

mit der Karte zu beschäftigen. Gleichzeitig ist sie aber auch die<br />

Weiterführung der Inhalte der beiden Medien: sie ist der praktische<br />

Knotenpunkt in die vernetzten Stränge der Informationen.<br />

D.3+4<br />

umsEtzung<br />

33 Gill smith (2005)<br />

Misunderstood and<br />

Mysterious<br />

34 Blackle.com


As a graphic de<strong>sign</strong>er you are<br />

putting things into a context<br />

that can bring it to new<br />

heights. you can make some<br />

of the stupidest things look<br />

like they‘re glorious - kind of<br />

what religion did for God,<br />

I guess. you really have to be<br />

conscious about that...<br />

DAVID KARAM


schlusswort<br />

Den Betrachtungs- und Bearbeitungsprozess der Karte adaptiert<br />

das Netzwerkmodell: Das Wissen an sich ist das Netzwerk, das<br />

unendlich und stetig erweiterbar ist. Ein ungreifbares Bild, das<br />

durch die Karte abstrahiert dargestellt wird, jedoch niemals in seiner<br />

Ganzheit erfassbar ist. Die von mir geschaffenen Plateaus bilden<br />

die Knotenpunkte, über die dem Leser der Einstieg in das Netzwerk<br />

ermöglicht wird. Erst durch die letzte Dimension – die Verbindungen –<br />

wird das Netzwerk zum Netzwerk.<br />

Die ersten beiden Faktoren sind einfach da, die dritte jedoch ist<br />

die aktive Komponente, die das ganze zum Funktioieren bringt;<br />

Verbindungen sind nicht nur da, sie müssen (vor allem) erst einmal<br />

aufgebaut und aufrecht erhalten werden. Es liegt also alleine am<br />

Betrachter, wie verzahnt und vernetzt ‚sein‘ Netzwerk aussieht.<br />

Ebenso liegt es im Ermessen des De<strong>sign</strong>ers, wie tief er sich in das<br />

Thema ‚verantwortungs<strong>bewusst</strong>es De<strong>sign</strong>‘ vorkämpft und mit welchem<br />

Grad an Idealismus er das ganze dann umsetzt. Stefan Sagmeister<br />

bringt es auf dem Punkt, wenn er sagt:<br />

[The work will be] as valuable as the individual de<strong>sign</strong>er<br />

wants to make it. Just as you can be a socially conscious<br />

lawyer (or not), one can choose to be a socially valuable<br />

de<strong>sign</strong>er (or not). 35<br />

x.4<br />

fazIt<br />

35 steven Heller (2004)<br />

stefan sagmeister:<br />

style + fart = Language.


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