Facts sind gefragt - Was bringen Surveys und Datenbanken?
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ergebnisse dazu benutzt, Mißstände oder soziale Entwicklungen zu bagatellisieren (etwa das<br />
Armutsrisiko kinderreicher Familien, indem arithmetische Mittel herangezogen werden, die<br />
die u-förmige Verteilung der Kinderzahl nach Einkommenshöhe einebnen). Auch eine <strong>und</strong>ifferenzierte<br />
Rezeption seriöser Bef<strong>und</strong>e, gegen die auch der Familiensurvey nicht gefeit ist,<br />
bedarf kritischer Wachsamkeit. So wurde die Aussage von Nauck (1991), daß r<strong>und</strong> 85 %<br />
aller unter 18jährigen Kinder im Haushalt der leiblichen, verheiratet zusammenlebenden<br />
Eltern nach dem traditionellen Normalitätsmodell aufgewachsen <strong>sind</strong>, häufig nicht als Mittelwert<br />
über alle Kinder, die 1988 zwischen 0 <strong>und</strong> 18 Jahre alt waren, sondern als Beschreibung<br />
aktueller Verhältnisse gelesen, um daraus eine „Entwarnung“ in Sachen Kindheit abzuleiten.<br />
Auch solche mehr oder weniger bewußten Verzerrungen stellen eine Form der Indienstnahme<br />
von Informationen für praktische Zwecke dar.<br />
Es gibt indessen genug fachlich unbedenkliche Beispiele, in denen einfache Verteilungsinformationen<br />
praktische Bedeutung erlangt haben. Eines der bekanntesten ist der empirische<br />
Nachweis der „Stärke schwacher Bindungen“, den Granovetter (1973) mit der bloßen Häufigkeitsverteilung<br />
der Kontakte mit Personen, die seinen Befragten bei der Jobsuche geholfen<br />
hatten, führen konnte. Dieser Aufsatz ist nicht zuletzt deshalb zu einer der meistzitierten<br />
Publikationen der Soziologie geworden, weil er die soziale Effizienz <strong>und</strong> damit die praktische<br />
Bedeutung flüchtiger Beziehungen innerhalb eines weiten Netzwerks von Kontaktpersonen<br />
demonstriert hat. Ein anderes Beispiel jüngeren Datums <strong>sind</strong> Bef<strong>und</strong>e einer repräsentativen<br />
Umfrage von Laumann et al. (1994) über das Sexualverhalten der US-Bevölkerung.<br />
Die Autoren konnten u. a. zeigen, daß entgegen den Behauptungen der Homosexuellenverbände<br />
nicht 10 %, sondern nur r<strong>und</strong> 2 % der Bevölkerung homosexuelle Beziehungen<br />
unterhalten. Liegt in dem zuletzt genannten Beispiel die praktische Bedeutung darin, daß<br />
politische Ansprüche einflußreicher Interessengruppen relativiert werden, so gibt es ebenso<br />
Beispiele für den entgegengesetzten Fall, daß nämlich Umfragen Ansprüche bestimmter<br />
Gruppen auf mehr Beachtung ihrer Anliegen unterstützen. Beispielsweise hat die Panelbefragung<br />
geschiedener Paare von Napp-Peters (1995) ergeben, daß die Annahme, Kinder<br />
alleinerziehender Mütter seien wegen des abwesenden Vaters häufiger geschädigt als Kinder<br />
alleinerziehender Väter wegen der abwesenden Mutter, falsch ist.<br />
Praxisrelevante Informationen können Umfragen nicht nur über die Verteilung von Individualmerkmalen,<br />
sondern auch über Beziehungskonstellationen liefern. Der Familiensurvey<br />
bediente sich des 1988 noch wenig verbreiteten Instruments der Erhebung egozentrierter<br />
Netzwerke, um Familie als Geflecht gelebter Beziehungen zu erfassen <strong>und</strong> nicht, wie üblich,<br />
alles auszublenden, was den Einzelhaushalt überschreitet. Auf diese Weise konnte nicht nur<br />
gezeigt werden, daß im Familienalltag Kontakte mit den nächsten Verwandten auch heute<br />
eine sehr große Rolle spielen; es wurde zudem deutlich, daß diese Interaktionsdichte ihre<br />
Gr<strong>und</strong>lage in einer unerwartet hohen räumlichen Agglomeration der Verwandtschaft in einer<br />
Umgebung bis zu 15 Gehminuten hat (Bien/Marbach 1991). Damit scheint eine These von<br />
Bronfenbrenner (1976), daß der Schw<strong>und</strong> an Erziehungskraft der modernen nordamerikanischen<br />
Familie der Erosion eines - überwiegend verwandtschaftlichen - Unterstützungsnetzes<br />
im nahen räumlichen Umfeld zu verdanken sei, in Deutschland nicht zu gelten. Zumindest<br />
trifft die Annahme fehlender verwandtschaftlicher Ressourcen in räumlicher Nähe nicht<br />
zu. Daraus ergeben sich wiederum Ansatzpunkte für eine gemeinwesenbezogene Eltern- <strong>und</strong><br />
Familienarbeit, die weniger Sanierung von Erziehungsdefiziten als Infrastrukturhilfen für den<br />
sozialen Tausch in Familien im Auge hat.<br />
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