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“Hauptsache <strong>eine</strong> Ausbildung“ – <strong>Hilfewahrnehmung</strong><br />
<strong>Berliner</strong> Jugendlicher mit Migrationshintergrund im<br />
Übergang von Schule in Ausbildung<br />
Eine qualitative Fallstudie auf der Grundlage von Leitfadeninterviews<br />
Forschungsschwerkpunkt<br />
„Überänge in Arbeit“<br />
Petra Purschke<br />
Deutsches Jugendinstitut e.V.<br />
Außenstelle Halle<br />
Franckeplatz 1 H 12+13<br />
06110 Halle (Saale)
“Hauptsache <strong>eine</strong> Ausbildung“ –<br />
<strong>Hilfewahrnehmung</strong> <strong>Berliner</strong> Jugendlicher<br />
mit Migrationshintergrund im Übergang von<br />
Schule in Ausbildung<br />
Eine qualitative Fallstudie auf der Grundlage von<br />
Leitfadeninterviews<br />
Petra Purschke<br />
Forschungsschwerpunkt “Übergänge in Arbeit”<br />
am Deutschen Jugendinstitut e.V. München/Halle 2007<br />
1
Die vorliegende Fallstudie ist das Ergebnis <strong>eine</strong>s 9-monatigen Forschungsaufenthaltes<br />
von Petra Purschke, die im Rahmen des DJI-Stipendiums im<br />
Forschungsschwerpunkt „Übergänge in Arbeit“ tätig war.<br />
Der Forschungsschwerpunkt „Übergänge in Arbeit“ steht in <strong>eine</strong>r<br />
Forschungstradition des DJI, die, ausgehend von der Analyse der Übergangsbiographien<br />
von Jugendlichen und Erwachsenen, auch die Strukturen und<br />
Institutionen, Politiken und sozialen Folgen der Veränderungen des Übergangssystems<br />
zum Gegenstand gemacht hat.<br />
Bei dieser Untersuchung handelt es sich um <strong>eine</strong> qualitative Studie, die in ihrer<br />
Ausrichtung an das bestehende DJI-Übergangspanel angelehnt wurde. Das DJI-<br />
Übergangspanel ist <strong>eine</strong> Längsschnittstudie, die in regelmäßigen Zeitabständen<br />
bundesweit Hauptschulabgänger auf ihrem Weg ins Berufsleben befragt.<br />
Die vorgelegte Fallstudie ergänzt die wissenschaftlichen Ergebnisse, die durch das<br />
DJI-Übergangspanel insbesondere für die Bildungs- und Ausbildungswege junger<br />
Migrantinnen und Migranten vorliegen. Sie liefert über <strong>eine</strong>n qualitativen<br />
Methodenzugang vertiefende Erkenntnisse über Motivlagen der Jugendlichen sowie<br />
spezifische Umfeldbedingungen der Familie und die den Übergang Schule – Beruf<br />
begleitenden Institutionen.<br />
An dieser Stelle möchten wir Petra Purschke für ihre engagierte Arbeit danken und<br />
die Ergebnisse ihrer Untersuchung <strong>eine</strong>r breiten Fachöffentlichkeit zugänglich<br />
machen.<br />
Für den Inhalt der Studie zeichnet sich allein die Autorin verantwortlich.<br />
© 2007 Deutsches Jugendinstitut e.V.<br />
Forschungsschwerpunkt Übergänge in Arbeit Telefon: 089 – 62306-177<br />
Nockherstraße 2, 81541 München Telefax: 089 – 62306-162<br />
Außenstelle Halle<br />
Franckesche Stiftungen, Franckeplatz 1 Telefon: 0345 – 68178-0<br />
Haus 12/13, 06110 Halle Telefax: 0345 – 68178-47<br />
Gestaltung: Gabriele Kämpfe<br />
2
INHALT<br />
Inhalt<br />
0. „The same procedure as every year“? – einige Gedanken zur Einleitung 5<br />
1. Habitusbegriff und DJI-Übergangspanel 9<br />
2. Methoden 13<br />
2.1. Studiendesign 13<br />
2.2. Methodenauswahl – Entwicklung des Leitfadens 13<br />
2.3. Durchführung 14<br />
2.4. Auswertungsschritte 17<br />
3. Fallbeschreibungen der jugendlichen Aussiedler 19<br />
3.1. Soziodemographische Übersicht 19<br />
3.2. JURIJ: „... ab und an <strong>eine</strong>n Schubser“ 21<br />
3.3. SASCHA: „Ich muss diese große Problem (ein) Ende machen“ 29<br />
3.4. TANJA: „Also, wenn man will, kriegt man alles. Deswegen denk ich, dass ich<br />
den Beruf kriege“ 37<br />
3.5. OLGA: „Also jetzt, wo ich Praktikum mache... will ich noch mehr den Beruf<br />
machen“ 44<br />
4. Fallbeschreibungen der türkischen Jugendlichen 51<br />
4.1. Soziodemographische Übersicht 51<br />
4.2. MURAT: „Mal hier, mal da so aushelfen, damit ich nicht zu hause<br />
rumsitze“ 53<br />
4.3. TARIK: „Ich musste mir immer all<strong>eine</strong> helfen und so…“ 60<br />
4.4. DUNYA: „Ich bin rausgeflogen... So kann man das sagen“ 69<br />
4.5. DILAN: „Das Problem ist nur Ausbildung, sonst nichts" 76<br />
5. Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern 83<br />
5.1. Persönlicher Hintergrund 83<br />
5.2. Bildungsorientierung 84<br />
5.3. Bewerbungserfahrungen 87<br />
5.4. Hilfenachfrage und -wahrnehmung 89<br />
5.5. Schlussfolgerungen zum Informations-, Beratungs- und Hilfebedarf 94<br />
6. Überblick zu den türkischen Jugendlichen 96<br />
6.1. Persönlicher Hintergrund 96<br />
6.2. Bildungsorientierung 98<br />
6.3. Bewerbungserfahrungen 99<br />
6.4. Hilfenachfrage und -wahrnehmung 102<br />
6.5. Schlussfolgerungen zum Informations-, Beratungs- und Hilfebedarf 109<br />
3
Inhalt<br />
7. Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen 111<br />
7.1. Einführendes 111<br />
7.2. Altersunterschied 111<br />
7.3. Bildungsorientierung 112<br />
7.4. Berufliche Vorstellungen 115<br />
7.5. Bewerbungserfahrungen 117<br />
7.6. Hilfenachfrage und -wahrnehmung 122<br />
7.7. Schlussbetrachtung 138<br />
8. Literaturverzeichnis 140<br />
9. Anhang 142<br />
9.1. Gesprächseinleitung 142<br />
9.2. Gesprächsleitfaden 143<br />
9.3. Fragebogen: soziodemographische Angaben zur Person und zur Familie 146<br />
4
0. „The same procedure as every year“? – einige Gedanken<br />
zur Einleitung<br />
Einleitung<br />
Wie in jedem Jahr werden zu Beginn des Ausbildungsjahres die aktuellen<br />
Vermittlungszahlen des letzten Schulabgangsjahres in der Presse veröffentlicht 1 .<br />
Diskutiert werden in diesem Zusammenhang auch regelmäßig die jeweiligen Gründe<br />
für den jährlich anwachsenden Sockel von mit Lehrstellen unversorgten Jugendlichen.<br />
Begleitet wird die Debatte um die Lehrstellen-Misere häufig durch den<br />
Vorwurf der „Ausbildungsunfähigkeit“ an die Jugendlichen, die auf der Strecke<br />
blieben, der insbesondere aus der Wirtschaft kommt. Die Jugendlichen hätten nicht<br />
genügend Grundkenntnisse und seien daher z. T. selbst schuld an ihrer Unversorgtheit.<br />
An die Jugendlichen mit Migrationshintergrund geht dabei zumeist in erster<br />
Linie der Vorwurf, sie hätten k<strong>eine</strong> ausreichenden Deutschkenntnisse und seien<br />
daher noch weniger geeignet für <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz.<br />
Es setzt sich jedoch so langsam auch die Erkenntnis durch, dass es seit einigen<br />
Jahren einfach nicht genügend Ausbildungsplätze für alle Jugendlichen gibt,<br />
insbesondere da der Rückgang der Angebote auch statistisch seit Jahren beobachtbar<br />
ist 2 , und der Verdrängungswettbewerb um die raren Ausbildungsplätze immer stärker<br />
wird. So würden Lehrstellen, die noch vor einigen Jahren überwiegend an<br />
Hauptschulabgänger vermittelt wurden, derzeit an Realschulabgänger oder sogar an<br />
Abiturienten vergeben. Ein weiterer Grund dafür dürften auch die im Zuge der<br />
modernen Technikentwicklung gewachsenen Anforderungen an die jeweiligen<br />
Berufsprofile darstellen, die auch die Ansprüche an die schulischen Vorraussetzungen<br />
der sich bewerbenden Schulabgänger vergrößert hat.<br />
Hauptschulabgänger haben es vor diesem Hintergrund besonders schwer im<br />
Übergang von der Schule in das Berufsleben. Berlin hat beispielsweise etwa doppelt<br />
so viele Bewerber auf <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz wie im Bundesdurchschnitt üblich 3 . Da<br />
besonders in Berlin auch der Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund<br />
steigend ist 4 und es für diese Gruppe ganz besonders schwer ist, passende<br />
Ausbildungsplätze zu finden, wird deutlich, dass es höchste Zeit wird zu handeln.<br />
Laut <strong>eine</strong>m Radio-Report vom 21.08.06 5 gibt es für Berlin k<strong>eine</strong> Gesamterhebung<br />
zur Vermittlungsquote der Schul-Abgangsjahrgänge. Das Beispiel aus <strong>eine</strong>r<br />
konkreten <strong>Berliner</strong> Schule, welches hier zitiert wird, dürfte aber k<strong>eine</strong>sfalls ein<br />
Einzelfall sein: Von den Schulabgängern des aktuellen Abgangsjahrgangs haben nur<br />
10 von 53 Schülern <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz gefunden. Das sind nicht einmal 20% 6 .<br />
Der überwiegende Rest wird nach Aussage des Schulleiters über ein- oder<br />
mehrjährige Kurse an Oberstufenzentren (OSZ) versuchen, entweder den Realschulabschluss<br />
nachzuholen oder wenigstens die Zensuren zu verbessern. Jedoch sind es<br />
mittlerweile nicht mehr nur die Hauptschüler, die k<strong>eine</strong> Ausbildungsplätze finden,<br />
sondern zunehmend haben auch Realschüler große Schwierigkeiten. Große Firmen<br />
1<br />
Laut <strong>Berliner</strong> Zeitung vom 12.07.06 waren bundesweit Ende Juni 2006 noch 315.000 Jugendliche ohne<br />
Ausbildung. Dem stand ein Angebot von rund 120.000 Stellen gegenüber. In Berlin war das Verhältnis bei 23<br />
400 zu 4 800.<br />
2<br />
Berufsbildungsbericht 2006<br />
3<br />
laut <strong>Berliner</strong> Zeitung vom 12.07.06 (mit 4,9 zu 2,6 Bewerbern auf <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz liegt Berlin damit im<br />
Trend der neuen Bundesländer)<br />
4<br />
Laut <strong>eine</strong>r Expertise im Rahmen des Familienberichtes der Bundesregierung (zitiert nach Tagesspiegel vom<br />
12.05.06) wird der Anteil der Erstklässler mit Migrationshintergrund von heute 34% auf ca. 50% in Berlin<br />
anwachsen, wenn man die bis dahin eingebürgerten Migrantenfamilien mitberücksichtigt.<br />
5<br />
Interview mit dem Schulleiter der Schöneberger Waldenburg-Oberschule, <strong>eine</strong>r Hauptschule (Sendung „Der<br />
schöne Morgen“ auf Radio Eins vom 21.08.06 um 8.40 Uhr)<br />
6<br />
Hierbei ist der Anteil der Abgänger mit Migrationshintergrund nicht bekannt.<br />
5
Einleitung<br />
stellen nach Aussage der Reportage k<strong>eine</strong> Hauptschulabgänger mehr ein, selbst<br />
diejenigen nicht, die <strong>eine</strong>n Realschulabschluss nachgeholt haben. Und Hauptschüler,<br />
die <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz gefunden haben, würden fast ausschließlich in kl<strong>eine</strong>ren<br />
Handwerksbetrieben ausgebildet.<br />
Im Ausbildungspakt wird andererseits festgestellt: „Bildung und Qualifizierung sind<br />
die Grundlagen unseres Wohlstands. Talente, Fähigkeiten und Fertigkeiten und das,<br />
was wir daraus machen, werden entscheidend sein auf unserem Weg in die Zukunft.<br />
Wir können es uns nicht länger leisten, auf Talente und Begabungen zu verzichten.<br />
Deshalb muss jeder junge Mensch, der am Anfang des Berufslebens steht, <strong>eine</strong><br />
Perspektive erhalten. Von der Ausbildung und Qualifizierung unserer Jugend hängt<br />
die Zukunftsfähigkeit und Innovationskraft der deutschen Wirtschaft und der<br />
Gesellschaft insgesamt ab. Der dualen Berufsausbildung kommt für die Sicherung<br />
des Fachkräftenachwuchses <strong>eine</strong> herausragende Bedeutung zu.“ 7<br />
Geht man aber von den gegenwärtigen Fakten der Lehrstellenlücken aus, wird es um<br />
die Zukunft wohl eher schlecht bestellt sein, wenn Jahr für Jahr tausende<br />
Jugendlicher k<strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz finden und viele von ihnen trotz aller<br />
Bemühungen letztlich gänzlich ohne Ausbildung bleiben werden, auch und gerade in<br />
Berlin. Dabei ist man sich längst der Tatsache bewusst, dass aufgrund der<br />
demographischen Entwicklung in Deutschland die Zahl der Schulabgänger schon in<br />
den nächsten Jahren stark absinken wird und es damit schon heute um so<br />
notwendiger ist, niemanden der heutigen Schulabgänger auf der Strecke zu lassen.<br />
Die Frage des Übergangs von Schule in Ausbildung und Arbeit wird inzwischen auch<br />
stark mit derjenigen nach der Zukunftsfähigkeit des Hauptschulabschlusses selbst<br />
verknüpft. Denn gerade Hauptschulabsolventen haben es besonders schwer, <strong>eine</strong><br />
Lehrstelle entsprechend Wunsch und Begabung zu finden. An den Hauptschulen<br />
sind aber die Kinder aus Zuwandererfamilien gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil<br />
überrepräsentiert. Seit längerem bereits ist außerdem ein Trend beobachtbar, dass<br />
z. B Schüler mit Migrationshintergrund im Vergleich mit deutschen Kindern <strong>eine</strong>n<br />
signifikant geringeren Schulabschluss im dreigliedrigen Schulsystem erreichen 8 ,<br />
überdurchschnittlich viele Jugendliche mit Migrationshintergrund sogar die Schule<br />
ohne <strong>eine</strong>n formalen Schulabschluss verlassen. Gesichert ist außerdem, dass die<br />
primären Bildungsabschlüsse wesentlich für den erfolgreichen Übergang in das<br />
Ausbildungssystem sind. So starten also überdurchschnittlich viele Kinder aus<br />
Zuwandererfamilien mit ungünstigen Zugangsvoraussetzungen ins Berufsleben und<br />
treffen dabei auf <strong>eine</strong>n Ausbildungs-Markt mit geringer Nachfrage. Die Frage <strong>eine</strong>s<br />
erfolgreichen Übergangs in Ausbildung und Arbeit stellt sich somit auch als ein<br />
Problem der Integrationsfähigkeit des deutschen Bildungssystems auch für die<br />
Kinder aus Migrantenfamilien dar.<br />
Die vorliegende Studie lehnt sich an das Übergangspanel des DJI an, in welchem<br />
bundesweit Hauptschulabgänger auf ihrem Weg ins Berufsleben wiederholt befragt<br />
worden sind.<br />
Eines der ersten Ergebnisse der DJI-Befragung war, dass über die Hälfte der<br />
befragten Hauptschulabgänger <strong>eine</strong>n Migrationshintergrund besaßen, diese aber auch<br />
k<strong>eine</strong> homogene Gruppe darstellten, sondern sich nach Faktoren wie Herkunftsland<br />
oder Einwanderungszeitpunkt etc. unterschieden. Die Erfassung des Migrationshintergrundes<br />
wurde an den in der PISA-Studie eingesetzten Migratonsindex<br />
angelehnt, der auch Faktoren wie die in der Familie gesprochene Sprache, das<br />
7<br />
1. Absatz des „Nationalen Paktes für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs“, dem so genannten<br />
„Ausbildungspakt“, vom 16. Juni 2004<br />
8<br />
Mona Granato (BIBB) 2006<br />
6
Einleitung<br />
Herkunftsland der Befragten und ihrer Eltern und den Zuwanderungszeitpunkt<br />
erfasste 9 . Im Vergleich der Schulerfolge in den Hauptfächern wie Mathematik und<br />
Deutsch konnten k<strong>eine</strong> signifikanten Unterschiede zwischen Jugendlichen mit oder<br />
ohne Migrationshintergrund festgestellt werden. Zudem wiesen die jugendlichen<br />
Migranten <strong>eine</strong> insgesamt positivere Einstellung zur Schule auf als diejenigen ohne<br />
Migrationshintergrund. Dabei hoben sich insbesondere diejenigen heraus, die erst<br />
nach dem 11. Lebensjahr eingereist waren 10 .<br />
Der Blick auf die Gesamtsituation der Hauptschulabgänger verstellt aber häufig den<br />
Blick auf die individuellen Motivationen und Entscheidungsprozesse der<br />
Jugendlichen. Diese können häufig nur erahnt werden. Und so war es <strong>eine</strong> der<br />
wesentlichen Aufgaben dieser Studie, mit dem Herausarbeiten der Einzelfälle<br />
beispielhaft Individuen in ihrem Erleben der bisherigen Erfahrungen im<br />
Übergangsprozess schlaglichtartig zu erhellen. Da sich die befragten Jugendlichen<br />
insgesamt aufgrund ihrer gemeinsamen Merkmale und der Gesamtsituation auf dem<br />
<strong>Berliner</strong> Ausbildungs- und Arbeitsmarkt in nahezu vergleichbarer Situation befinden,<br />
die objektiv vorhandenen Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zudem<br />
begrenzt sind, so kann davon ausgegangen werden, dass die hier vorgestellten<br />
Jugendlichen exemplarisch auch für andere Jugendliche in ähnlicher Lage<br />
herangezogen werden können.<br />
Forschungsleitend waren Fragen zum bisherigen Verlauf, der individuellen<br />
Wahrnehmung und Verarbeitung des Erlebten bzw. der Entwicklung von<br />
Bewältigungsstrategien im Übergangsprozess von der Schule in die Ausbildung.<br />
Welche konkreten Erfahrungen machten die befragten Jugendlichen in ihrem<br />
bisherigen Bewerbungsprozess? Welche Verläufe hatten diese für die befragten<br />
Jugendlichen und wodurch waren diese wesentlich beeinflusst? Welches waren also<br />
die wichtigsten Einflüsse? Wie gut wurden sie durch die Schule auf die zu<br />
erwartenden Hürden vorbereitet? Mit welchen Schwierigkeiten waren die<br />
Jugendlichen in ihrem Übergangsprozess konfrontiert und wie gingen und gehen sie<br />
damit um? Welche Entscheidungs- und Umdenkprozesse gab es bei ihnen im Verlauf<br />
der Entwicklung? Wie passten die Jugendlichen ihre Strategien zur Erlangung <strong>eine</strong>s<br />
Berufsabschlusses an die erlebten Schwierigkeiten an? Hatten diese Einfluss auf sie<br />
persönlich, und wenn ja wie wirkte sich das aus auf den weiteren Verlauf? Welche<br />
Bewältigungsstrategien entwickelten sie, um mit diesen Übergangsschwierigkeiten<br />
fertig zu werden?<br />
Zentral in der Anlage der Fallstudie war die Beleuchtung der Wahrnehmung von<br />
Unterstützungsangeboten. Welchen Stellenwert hat die Suche nach Hilfemöglichkeiten<br />
in den individuellen Bewältigungsstrategien der Jugendlichen? Welche<br />
Hilfestrategien werden überhaupt von den Jugendlichen entwickelt? Wo suchen sich<br />
die Jugendlichen Hilfe, stärker im privaten Umfeld oder auch im institutionellen<br />
Rahmen? Angenommen wird häufig, dass die Familie den Jugendlichen mit<br />
Migrationshintergrund wenig hilfreich zur Seite stehen kann. Welche Lücken im<br />
Hilfespektrum der Familien gibt es tatsächlich und wie werden diese aufgefüllt durch<br />
die Jugendlichen? Welche konkreten institutionellen Hilfeangebote werden alternativ<br />
durch die Jugendlichen wahrgenommen? Wie hilfreich werden die Angebote der<br />
Arbeitsmarktbehörden (Arbeitsagentur, JobCenter, BIZ) durch die Jugendlichen<br />
eingeschätzt? Welche Angebote wurden bei freien Trägern der Jugendhilfe<br />
9 bisher wurde standardmäßig lediglich die Staatsbürgerschaft zur Erfassung von Migranten verwendet, womit<br />
aber bspw. der große Anteil der bereits eingebürgerten Migranten sowie Aussiedler und Spätaussiedler nicht<br />
mit erfasst wurde<br />
10 Reißig u.a. (2006a)<br />
7
Einleitung<br />
aufgesucht? Wie hilfreich wurden die in Anspruch genommenen Hilfsangebote<br />
wahrgenommen?<br />
Nicht zuletzt ging es auch darum, im Auffinden von Lücken im Hilfespektrum<br />
Ansatzpunkte zu finden, um die Jugendlichen im schwierigen Prozess des<br />
beruflichen Übergangs zukünftig stärker unterstützen zu können. Schließlich kann<br />
versucht werden, im Zusammengehen der Ergebnisse dieser Fallstudie mit denen des<br />
DJI-Übergangspanels auch <strong>eine</strong> Antwort versucht auf die Frage zu finden, ob es<br />
tatsächlich die individuellen Schwächen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund<br />
sind, welche ursächlich für ihr Scheitern im Ausbildungsübergang zu <strong>eine</strong>m weit<br />
höheren Anteil als deutsche Jugendliche sind oder ob es ernstzunehmende<br />
Anzeichen von institutioneller und/oder struktureller Diskriminierung im<br />
Ausbildungssystem unabhängig vom persönlichen Leistungsvermögen gibt 11 .<br />
11<br />
Dies wäre <strong>eine</strong> interessante Fragestellung gerade im Hinblick auf das erst kürzlich verabschiedete<br />
Antidiskriminierungsgesetz.<br />
8
1. Habitusbegriff und DJI-Übergangspanel<br />
Habitusbegriff und DJI-Übergangspanel<br />
Die Fallstudie lehnt sich an das vom Deutschen Jugendinstitut seit 2004<br />
durchgeführte Übergangspanel „Schule – und dann?“ an und orientiert sich am<br />
Bourdieuschen Habitus-Konzept und dessen Kapitalien-Ansatz.<br />
Laut Bourdieu bildet sich ein von ihm als „Habitus“ bezeichneter – aus der<br />
individuellen Sozialisation entstandene – Lebensstil <strong>eine</strong>s Individuums in <strong>eine</strong>m<br />
konkreten historisch gegebenen „sozialen (Um)feld“ heraus, welches auch die Grenzen<br />
des Handlungsrahmens definiert, innerhalb dessen das Individuum durch diese<br />
Prägung agiert. „Als einverleibte, zur Natur gewordene und damit als solche vergessene<br />
Geschichte ist der Habitus wirkende Präsenz der gesamten Vergangenheit, die ihn erzeugt hat“ 12 .<br />
Sie ist damit nach Bourdieu „geronnene Lebensgeschichte“. Die „Soziale Herkunft“ und das<br />
im Lebenslauf erworbene „kulturelle Kapital“ (u. a. Bildung, Schulabschlüsse etc.) und<br />
„soziale Kapital“ (z. B. persönliche Netzwerke) im Zusammenspiel mit dem<br />
vorhandenen „ökonomischen Kapital“, welches den Erwerb dieser Kapitalien erleichtert<br />
(und u. U. hernach auch zu mehren im Stande ist), beeinflussen den Erwerb<br />
„symbolischen Kapitals“ (u. a. berufliche Positionen, Prestige).<br />
Der Bourdieusche Habitus ist insbesondere durch die Wahrnehmungs-, Denk- und<br />
Verhaltensmuster geprägt, die das Individuum innerhalb des sozialen Feldes<br />
erworben hat, welche ihm selbst aber unbewusst sind und die sein Agieren und<br />
s<strong>eine</strong>n Aktionsrahmen ebenso unbewusst bestimmen, innerhalb dessen er aber frei<br />
Handlungsstrategien für sich entwerfen kann. Diese erworbenen Muster machen den<br />
„f<strong>eine</strong>n Unterschied“ (dauerhaft erworbene „Dispositionen“) aus zwischen den Akteuren<br />
unterschiedlicher Habitus. Sie manifestieren <strong>eine</strong> „Distinktion“ zwischen ihnen, die<br />
sich an Lebensäußerungen wie Geschmack, Kleidung, Dialekt usw. festmachen lässt.<br />
Durch diese Dispositionen und die sich daraus ableitende individuelle „Praxis“ des<br />
Individuums wird <strong>eine</strong> Anpassung an die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse<br />
erreicht, wodurch letztlich auch <strong>eine</strong> Stabilisierung dieser Verhältnisse garantiert<br />
wird.<br />
Der Habitus ist damit klassenspezifisch determiniert, erweitert aber den bisher<br />
gültigen Klassenbegriff um weitere Dimensionen. Er erfüllt dabei <strong>eine</strong> Doppelrolle,<br />
als Ergebnis/ Werk (opus operatum) des jeweiligen Lebensstiles bestimmt, zugleich<br />
aber auch Handlungsweise (modus operandi) Dies nennt Bourdieu auch „strukturierende<br />
Strukturen“ 13 . Das Individuum wird entsprechend s<strong>eine</strong>s sozialen (Um)feldes<br />
„konditioniert“. Je nach den vorhandenen Gegebenheiten und individuell einsetzbaren<br />
Möglichkeiten (Kapitalien) wird mit deren Hilfe in unterschiedlichen Konstellationen<br />
um Positionen und Hegemonie auf den jeweiligen Feldern (z. B. Kultur, Politik,<br />
Bildung), die durch ihre je eigenen Gesetze geprägt sind, gekämpft.<br />
Um die Dynamiken dieser Prozesse verstehen zu können, empfahl Bourdieu an<br />
anderer Stelle <strong>eine</strong> Art „Sozioanalyse“, in der verstärkt mit Feldforschung, direkten<br />
Befragungen im sozialen Feld gearbeitet werden soll 14 . Sie diente ihm dazu, ein<br />
„möglichst authentisches Bild der Realität zu liefern - und damit auch RAISONS D'AGIR, Gründe<br />
zum Handeln.“ 15 Bourdieu setzt somit auf <strong>eine</strong> Strategie des Verstehens, für welche die<br />
Soziologie Vorleistung erbringen soll.<br />
Der Bourdieusche Theorie-Ansatz bietet sich an, den Übergang von Schule in<br />
Ausbildung und Beruf von Hauptschulabsolventen insbesondere mit<br />
12 Bourdieu (1987), S. 105<br />
13 Bourdieu (1987), S. 98<br />
14 „Vernetzt Euch“, Interview Wochenzeitung (Schweiz) vom 11.05.2000 (Quelle: http://www.hommemoderne.org/societe/socio/bourdieu/entrevue/vernetzD.html<br />
- 15.11.2006)<br />
15 „Sprechende Turbane“ Interview Frankfurter Rundschau 21.11.2001 (Quelle: http://www.hommemoderne.org/societe/socio/bourdieu/entrevue/turbansD.html<br />
- 15.11.2006)<br />
9
Habitusbegriff und DJI-Übergangspanel<br />
Migrantenhintergrund zu betrachten (und wurde für ähnliche Fragen auch schon<br />
genutzt). So stellen sich Fragen danach, welche Einflüsse bspw. der elterliche<br />
Hintergrund, hinsichtlich ihrer kulturellen und schulischen Prägung, auf den<br />
Übergangsprozess der Jugendlichen hat. Welche Wahrnehmung ihrer jeweiligen<br />
Situation besitzen die Jugendlichen, wie beurteilen sie ihre Chancen und Möglichkeiten<br />
des beruflichen Einstiegs vor dem Hintergrund ihrer sozialen und kulturellen<br />
Kapitalien? Die Fallstudie fragt nach den beeinflussenden Rahmenbedingungen für<br />
den Übergangsprozess der Jugendlichen und sucht die Wahrnehmungshorizonte<br />
auszuloten, innerhalb derer sie sich bewegen.<br />
Das DJI-Übergangspanel entwickelte in Anlehnung an die PISA-Studie <strong>eine</strong>n<br />
Migrationsindex, der es erlaubt, <strong>eine</strong> realistische Einschätzung über die tatsächliche<br />
Anzahl der in der Stichprobe enthaltenen Jugendlichen mit Migrationshintergrund<br />
vorzunehmen. Die bisher übliche Erfassung ausschließlich über die Staatsbürgerschaft<br />
ließ bspw. Spätaussiedler oder bereits eingebürgerte Migranten<br />
weitgehend außer Acht. Eines der ersten Ergebnisse der Studie war daher auch der<br />
außerordentlich hohe Anteil von etwas mehr als die Hälfte Jugendlicher mit<br />
Migrationshintergrund (53%), mehr als erwartbar waren. Der für das Übergangspanel<br />
erarbeitete Migrationsindex enthält Indikatoren wie das Herkunftsland des<br />
Jugendlichen selbst (in welchem Land wurde er geboren?) sowie <strong>eine</strong>s oder beider<br />
Elternteile, die Staatsbürgerschaft, aber auch die zuhause gesprochene(n) Sprache(n).<br />
Aufgrund dieses Index konnte <strong>eine</strong> große Heterogenität unter den gemeinhin als<br />
„Migranten“ Bezeichneten nachgewiesen werden 16 .<br />
Bednarz-Braun (2004) stellt u. a. fest, dass es nach nationaler Herkunft <strong>eine</strong><br />
unterschiedliche Verteilung auf die verschiedenen Schultypen gibt, die ebenso<br />
geschlechtsspezifische Unterschiede aufweist. Sie sieht <strong>eine</strong>n Bedarf, diesem<br />
Phänomen auf den Grund zu gehen. Es ist für sie nicht möglich, generalisierende<br />
Aussagen zu treffen über den Einfluss von Ethnie plus Geschlecht auf die<br />
beruflichen Eingliederungschancen. Eine generelle Schlechterstellung von<br />
Jugendlichen mit Migrationshintergrund kann sie nicht feststellen, da es sowohl für<br />
die Exklusion aus normalen Bildungsverläufen als auch für in gewissem Sinne<br />
„privilegierte“ Inklusion Anzeichen gibt und empfiehlt daher, „anstelle <strong>eine</strong>r aggregierten<br />
und damit homogenisierenden Kategorie „Migrantenjugendliche“ den je spezifischen<br />
Migrationskontext im Hinblick auf s<strong>eine</strong> Bedeutung für den Grad an Teilhabechancen zu<br />
untersuchen und zu analysieren.“ 17<br />
Die differenzierte Betrachtung des jeweiligen persönlichen Hintergrundes, des<br />
migrationsgeschichtlichen genauso wie des gegenwärtigen sozialen, steht für die<br />
vorliegende Fallstudie im Zentrum. Die Interviews erfassen detailliert die individuelle<br />
Wahrnehmung des Befragten und beleuchten damit die Fragestellungen<br />
hauptsächlich aus deren eigenem Blickwinkel.<br />
Die ersten „Wellen“ des Übergangspanels, die noch im letzten Schuljahr der<br />
Jugendlichen durchgeführt wurden, konnten darüber hinaus feststellen, dass die<br />
Jugendlichen im Prinzip nicht nur überwiegend <strong>eine</strong> positive Einstellung zur Schule,<br />
den Lerninhalten, in ihren Kontakten zu Lehrern und Schülern haben und auch die<br />
Lernergebnisse zu <strong>eine</strong>m Großteil vergleichbar sind, sondern sich auch sonst<br />
überwiegend „total normal“ verhalten, verglichen mit den deutschen Gleichaltrigen<br />
hinsichtlich Bildungsorientierung oder Freizeitverhalten. Auch in den Folgebefragungen<br />
des Panels konnte festgestellt werden, dass sich viele der Jugendlichen aus<br />
Zuwandererfamilien sehr engagiert, flexibel und motiviert zeigen, was sich u. a. darin<br />
äußert, dass sie Praktika in Betrieben zur Orientierung und zur Verbesserung ihrer<br />
16 Gaupp, Nora u. a. „Schule und dann ?“ (2004b)<br />
17 Bednarz-Braun, Iris; Heß-Meining, Ulrike (2004); hierzu auch: Granato (2006)<br />
10
Habitusbegriff und DJI-Übergangspanel<br />
Zugangschancen zur betrieblichen Berufsausbildung nutzen, Bildung und<br />
Qualifizierung im Anschluss an die Hauptschule weiterhin für sie höchste Priorität<br />
haben, sie ihre berufliche Zukunft realistisch und flexibel unter Einbeziehung ihrer<br />
Chancen auf dem Ausbildungsmarkt planen, bei entsprechender Unterstützung<br />
realistische Berufspläne entwickeln und neben dem Lernen in der Schule zahlreiche<br />
Möglichkeiten des (formellen und informellen) Lernens wahrnehmen. Motivation,<br />
Flexibilität und Kompetenzen sind also prinzipiell vorhanden 18 .<br />
Die in den öffentlichen Debatten als „Problemgruppen“ Dargestellten, orientieren<br />
sich damit an den Norm-Bildungs-, Ausbildungs- und Erwerbsverläufen, zeigen<br />
Einsicht darin, dass höhere Bildungsabschlüsse ihre Chancen verbessern und sind<br />
bereit auch zu weniger prestigeträchtigen Bildungswegen (wie ein Berufsvorbereitungsjahr).<br />
Dabei ist sich mehr als die Hälfte der Jugendlichen mit<br />
Migrationshintergrund allerdings unsicher über das Gelingen ihres beruflichen<br />
Überganges (10% mehr als der Durchschnitt aller Hauptschulabgänger), wobei der<br />
Anteil der nach dem 11. Lebensjahr Zugezogenen am zuversichtlichsten ist<br />
gegenüber den schon in <strong>eine</strong>m früheren Lebensalter nach Deutschland<br />
Eingewanderten. Diejenigen also, die schon den größten Teil ihrer Sozialisation in<br />
Deutschland vollzogen haben, zeigen <strong>eine</strong> deutliche Unsicherheit, während<br />
diejenigen, welche erst <strong>eine</strong>n verhältnismäßig kurzen Zeitraum ihres Lebens in<br />
Deutschland leben, noch zuversichtlicher hinsichtlich <strong>eine</strong>s erfolgreichen Übergangs<br />
in ihre berufliche Zukunft sind. Zusammengenommen mit ihrer Bereitschaft zu<br />
Engagement und Flexibilität und ihrer hohen Motivation stimmen diese skeptischen<br />
Einschätzungen bedenklich 19 .<br />
Auch die Shell-Jugendstudie (2006) stellt fest, dass sich Jugendliche allgemein stärker<br />
Sorgen um ihre Zukunft machen. Ängste um die berufliche Zukunft, vor<br />
Arbeitslosigkeit und Armut hätten zugenommen, während <strong>eine</strong> optimistische<br />
Zukunftssicht trotz des immer noch hohen Niveaus von 46% langsam abnimmt.<br />
Jugendliche seien sich verstärkt auch über den Zusammenhang von hohen<br />
Bildungsabschlüssen und beruflichen Chancen bewusst (wobei hier die Mädchen<br />
zunehmend höhere Bildungserwartungen entwickeln und dabei die Jungen längst<br />
überholt haben). Sie seien sich auch angesichts der PISA-Ergebnisse über den<br />
Einfluss ihrer sozialen Herkunft auf die schulischen und vermittelt darüber auch der<br />
beruflichen Chancen im Klaren und darüber, dass viele von ihnen vermutlich nicht<br />
die ihrem Potential entsprechenden Ergebnisse erreichen würden. Anders als junge<br />
Menschen der letzten Jahrzehnte seien sie immer häufiger nicht nur mit Chancen,<br />
sondern auch mit dem Risiko zum Scheitern konfrontiert. Das Erreichen <strong>eine</strong>r<br />
Ausbildung, und erst recht <strong>eine</strong> Ausbildung nach persönlicher Wahl und Interesse,<br />
sei für Jugendliche mit <strong>eine</strong>m geringen schulischen Bildungsabschluss immer häufiger<br />
in Frage gestellt, und für viele stellte sich die Frage des Scheiterns an der ersten und<br />
auch der zweiten Schwelle in den Arbeitsmarkt. Die Integration in den Arbeitsmarkt<br />
und damit den Weg ins Erwachsenenleben erfolgreich zu bewältigen, wird für viele<br />
Jugendliche trotz guter Voraussetzungen zu <strong>eine</strong>m schwierigen Unterfangen 20 .<br />
Der Anteil von Jugendlichen mit Migrantenhintergrund an der Vergabe von<br />
Ausbildungsplätzen sinkt seit mehr als 10 Jahren stetig ab 21 . So stellt sich die Frage<br />
danach, welche Faktoren aus dem persönlichen wie sozialen Umfeld welchen<br />
Einfluss haben auf den erfolgreichen oder nicht erfolgreichen Übergang von<br />
18 Hofmann-Lun u. a. (2006)<br />
19 Reißig u. a. (2006a)<br />
20 Shell-Jugendstudie 2006: Zusammenfassung (Quelle: : http://www.shell.com/home/Framework?siteId=dede&FC2=/de-de/html/iwgen/leftnavs/zzz_lhn12_6_0.html&FC3=/dede/html/iwgen/about_shell/Jugendstudie/2006/Jugendstudie2006_start.html<br />
-13.11.06)<br />
21 Hierzu hat insbesondere das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) detailliert Daten erhoben und<br />
veröffentlicht diese auch regelmäßig; so u. a. Granato (2006)<br />
11
Habitusbegriff und DJI-Übergangspanel<br />
Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Die vorliegende Fallstudie, auf der<br />
Grundlage von leitfadengestützten Interviews soll <strong>eine</strong>n Beitrag dazu leisten, diesen<br />
Fragen nachzugehen, indem sie die individuellen Verläufe der befragten Jugendlichen<br />
betrachtet unter der besonderen Berücksichtigung der individuellen Wahrnehmung<br />
ihrer Übergangssituation und ihrer bisher absolvierten Stationen auf diesem Weg<br />
sowie dem Einfluss der darin involvierten Akteure aus ihrem persönlichen und<br />
sozialen wie institutionell Verantwortung tragenden Umfeld.<br />
12
2. Methoden<br />
Methoden<br />
2.1. Studiendesign<br />
Bei der Untersuchung handelt es sich um <strong>eine</strong> qualitative Studie, die in ihrer<br />
Ausrichtung angelehnt wurde an das bestehende DJI-Übergangspanel. Ziel war es,<br />
nicht eindeutig geklärten Fragen aus diesem Panel vertiefend auf den Grund zu<br />
gehen.<br />
Befragt wurden jugendliche Hauptschulabgänger mit Migrationshintergrund.<br />
Exemplarisch wurden dafür aus der Vielzahl der <strong>Berliner</strong> Migrantengruppen die<br />
beiden größten Teilgruppen ausgewählt: türkische Jugendliche und jugendliche<br />
Spätaussiedler 22 .<br />
Weitere Auswahlkriterien für die Jugendlichen zur Zielgruppeneingrenzung waren<br />
zudem ein Abgangsjahrgang, der dem der DJI-Studie entspricht (ideal: Abgangsjahrgang<br />
2004). Die Jugendlichen sollten bereits Erfahrungen haben in der Suche<br />
nach <strong>eine</strong>m Ausbildungsplatz. Der Zielstellung entsprechend lag der Fokus auf<br />
Jugendlichen, die noch k<strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz gefunden hatten, also zum<br />
Interviewzeitpunkt unversorgt waren. Um geschlechtsspezifische Einblicke gewinnen<br />
zu können, wurde auf die Gleichverteilung von Mädchen und Jungen in beiden<br />
Teilgruppen geachtet.<br />
Geplant war zunächst, die Jugendlichen der spezifischen Migrantengruppe aus jeweils<br />
<strong>eine</strong>m für die Zielgruppe typischen Kiez zu rekrutieren, die als soziale Brennpunkte<br />
bekannt sind. Ausgewählt wurden ursprünglich Berlin-Marzahn für die jugendlichen<br />
Spätaussiedler und Berlin-Neukölln für die türkischen Jugendlichen. Bei den<br />
jugendlichen Spätaussiedlern ließ sich dieser Plan nahezu idealtypisch umsetzen. Alle<br />
Befragten stammen aus <strong>eine</strong>m einzigen Kiez im Norden von Berlin-Marzahn. Bei der<br />
Rekrutierung der türkischen Jugendlichen war dies aus verschiedenen Gründen nicht<br />
möglich. Hier stammen die Befragten aus unterschiedlichen Stadtbezirken und<br />
wurden über verschiedene Einrichtungen ermittelt.<br />
Im Laufe der Untersuchung wurden Fragen drängender, die sich aus der Interaktion<br />
zwischen Arbeitsmarktbehörden und Jugendlichen und deren Folgen ergeben<br />
würden. Daher wurde schon in der Anlage des Fragebogens der Schwerpunkt auf<br />
beide Themenstellungen gelegt.<br />
2.2. Methodenauswahl – Entwicklung des Leitfadens<br />
Für die Datenerhebung wurde <strong>eine</strong> Kombination aus problemzentriertem<br />
Leitfadeninterview und ergänzender Datenerhebung mittels <strong>eine</strong>s standardisierten<br />
Fragebogens zur Erhebung der soziodemographischen Daten gewählt.<br />
Das problemzentrierte Interview ist halbstandardisiert angelegt. Um vergleichbare<br />
Daten zu erlangen, wurden Themenkomplexe vorbereitet, die die forschungsleitenden<br />
Fragestellungen enthielten. Es wurde ein breites Themenspektrum<br />
ausgewählt, um bspw. auf die unterschiedlichen Problemlagen der Jugendlichen im<br />
Interviewverlauf eingehen zu können 23. Die Fragekomplexe gingen von der<br />
allgem<strong>eine</strong>n beruflichen Ausrichtung der Jugendlichen aus, führten weiter über die<br />
bisherigen Erfahrungen im Bewerbungsprozess hin zu unterschiedlichen Einflüssen<br />
aus Schule, Familie, Arbeitsmarktbehörden, Jugendeinrichtungen und Freundeskreis<br />
(peergroup)/Kiez auf den Übergangsprozess 24 . Besonderer Wert wurde auf die<br />
Erfragung hilfreicher und weniger hilfreicher Einflüsse aus den jeweiligen<br />
22<br />
auch aus Gründen der Vergleichbarkeit, da diese Teilgruppen auch in der DJI-Studie stärker betrachtet<br />
wurden<br />
23<br />
Diese unterschiedlich angelegten Problemlagen waren <strong>eine</strong> Vorannahme.<br />
24<br />
Der eingesetzte Leitfaden befindet sich im Anhang.<br />
13
Methoden<br />
Institutionen und der Familie gelegt. Der Frageverlauf wurde zudem so angelegt,<br />
dass der Prozesscharakter im bisherigen beruflichen Verlauf des Jugendlichen<br />
erhalten bleibt und nachvollzogen werden kann (retrospektiv durch den Interviewten<br />
wiedergegeben). Somit können in begrenztem Maße auch Veränderungen in s<strong>eine</strong>n<br />
Einstellungen nachgewiesen werden, gefiltert durch die Darstellung des Jugendlichen<br />
und s<strong>eine</strong> subjektive Wahrnehmung.<br />
Auf diese Weise wurde der Interviewte <strong>eine</strong>rseits durch Fragen zum freien<br />
Erzählfluss angeregt. Der Interviewer hatte jedoch auch die Möglichkeit, auf<br />
angesprochene Themen gesondert einzugehen, Nachfragen zu stellen, die<br />
Reihenfolge der vorformulierten Fragestellungen zu variieren und so auf die durch<br />
das Erzählte zutage tretende Lebenssituation des Interviewten einzugehen und den<br />
Interview-Verlauf entsprechend an diese anzupassen. Brüche im Erzählfluss wurden<br />
dabei möglichst vermieden, waren aber nicht gänzlich auszuschließen. Im Ergebnis<br />
wurde auf diese Weise erreicht, dass die Interviewten über alle zentralen<br />
Fragestellungen der Untersuchung Auskunft gaben. Es war aber auch ausreichend<br />
Raum für die Erfassung der individuellen Verläufe gegeben. Die Interviews sind<br />
infolgedessen sowohl in zentralen Fragen vergleichbar, als in ihrer individuellen<br />
Problemstellung auch unterschiedlich.<br />
Die hier dargelegten Vorüberlegungen der Fragebogenentwicklung erwiesen sich in<br />
der Durchführung als realistisch. In der Auswertung ließ sich ein gemeinsames<br />
Themenspektrum anhand der Entwicklung <strong>eine</strong>s Kategoriensystems herausfiltern.<br />
Dieses bildet die Grundlage der vergleichenden Analysen. Jedes Interview enthält<br />
zusätzlich <strong>eine</strong> eigenständige Themenstellung, die sich aus der individuellen<br />
Problemsituation des Jugendlichen ergab. Sie bilden die Grundlage der Fallbeschreibungen.<br />
Ergänzend wurde ein standardisierter Fragebogen eingesetzt, mithilfe dessen die<br />
soziodemographischen Daten abgefragt werden konnten. Sie komplettierten das<br />
Gesamtbild zur Situation des Befragten und s<strong>eine</strong>r Familie und bieten darüber hinaus<br />
die Möglichkeit der Kompatibilität mit den Datensätzen des DJI-Übergangspanels.<br />
2.3. Durchführung<br />
2.3.1. Zielgruppenzugang<br />
Der Zugang zu den jugendlichen Spätaussiedlern gestaltete sich in der ersten Phase<br />
der Fallstudie wie geplant, während es bei den Jugendlichen mit türkischem<br />
Migrationshintergrund deutlich schwieriger war.<br />
Der ursprünglich geplante Zugang zu den Zielgruppen über die <strong>Berliner</strong><br />
„Kompetenzagentur“ in Berlin-Neukölln erwies sich aus datenschutzrechtlichen<br />
Gründen als undurchführbar. Zudem war der Zugang zu beiden Zielgruppen über<br />
die Kompetenzagentur nicht möglich. Daher wurden ausgewählte zielgruppenspezifische<br />
Einrichtungen und Ver<strong>eine</strong> angeschrieben und persönlich kontaktiert.<br />
Aus den zielgruppenspezifischen Organisationen für Spätaussiedler wurde schnell<br />
Interesse und Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert. In Kooperation mit <strong>eine</strong>r<br />
Gesamtschule in Berlin-Marzahn 25 sowie <strong>eine</strong>r arbeitsweltbezogenen Beratungsstelle<br />
an der Schnittstelle Schule/Ausbildung speziell für Spätaussiedler in der unmittelbaren<br />
Nachbarschaft wurden die erforderlichen Interviews um die Jahreswende<br />
2005/2006 vereinbart und durchgeführt. Hier war der Ablauf der Feldphase nahezu<br />
idealtypisch. Die Kooperation mit beiden Einrichtungen konnte bis zum Abschluss<br />
der Studie aufrechterhalten werden.<br />
25<br />
insbesondere mit der Sozialarbeiterin vor Ort, die sehr engagiert ist und zudem ebenfalls <strong>eine</strong>n<br />
Spätaussiedler-Hintergrund hat<br />
14
Methoden<br />
Der Zugang zu den Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund gestaltete<br />
sich dagegen von Beginn an schwierig. Selbst durch intensive Kontaktierung der in<br />
Berlin ansässigen für diese Zielgruppe tätigen freien Träger sowie Schulen und<br />
Behörden ließen sich k<strong>eine</strong> ausreichenden Kontakte zu den Jugendlichen herstellen.<br />
Die kontaktierten Einrichtungen signalisierten meist zwar Bereitschaft zum<br />
eigenständigen Bericht über die Erfahrungen mit der Untersuchungsthematik wie der<br />
Zielgruppe, waren jedoch eher zurückhaltend hinsichtlich der Vermittlung von<br />
Jugendlichen für die Interviews 26 . Zum Erfolg in der Vermittlung von Interviewpartnern<br />
aus der türkischen Community führten schließlich persönliche Kontakte der<br />
Interviewerin in der Migrations-Sozialarbeit aus früheren beruflichen Zusammenhängen.<br />
Anders als bei den jugendlichen Spätaussiedlern fanden die Interviews auch<br />
nicht in kurzer Abfolge und etwa zum gleichen Zeitpunkt statt. Die Interviews der<br />
türkischen Teilgruppe verteilten sich über den gesamten Untersuchungszeitraum von<br />
etwa <strong>eine</strong>m halben Jahr. Die Interviewteilnehmer stammen auch aus verschiedenen<br />
Stadtbezirken Berlins (Reinickendorf, Spandau und Schöneberg).<br />
Alle Interviewpartner beider Teilgruppen wurden jeweils über Einrichtungen<br />
rekrutiert, die entweder berufsberatenden oder sozialarbeiterisch-betreuenden<br />
Schwerpunkt hatten oder <strong>eine</strong> berufsvorbereitende Maßnahme durchführten. Es<br />
wurden demzufolge Jugendliche befragt, die über <strong>eine</strong> kommunale Einrichtung<br />
erreichbar waren. Sie brachten daher bereits ein gewisses Grundvertrauen in die<br />
Interviewsituation mit, die sie durch die betreuenden Einrichtungen und den in ihnen<br />
arbeitenden Mitarbeitern erworben hatten.<br />
Den unterschiedlichen Zugängen zu den untersuchten Teilgruppen musste in den<br />
Ergebnissen entsprechend Rechnung getragen werden. Hierzu gehört, dass die<br />
Gruppe der interviewten türkischen Jugendlichen weniger homogen ist als die der<br />
jugendlichen Spätaussiedler, hinsichtlich der Herkunft, des Alters und anderer<br />
Vorraussetzungen. Da die Jugendlichen aus unterschiedlichen Stadtbezirken und<br />
unterschiedlichen Einrichtungen stammen, ist für sie auch kein stadträumlicher<br />
Vergleich möglich wie bei den jugendlichen Aussiedlern, welche alle in dem selben<br />
„Kiez“ in Berlin-Marzahn-Nord wohnen.<br />
2.3.2. Auswahl der InterviewpartnerInnen<br />
Die Ansprechpartner in den Einrichtungen wurden über die Vorgaben zur<br />
Eingrenzung der Zielgruppe in Kenntnis gesetzt. Trotzdem ergab sich in der<br />
Auswahl der Interviewpartner innerhalb der Teilgruppen wie in der Gesamterhebung<br />
<strong>eine</strong> gewisse Streuung hinsichtlich des Alters, des Schulabgangsjahrgangs und auch<br />
bei den Schulabschlüsse. Besonders beim Alter der Befragten gibt es <strong>eine</strong> gewisse<br />
Streuung. Sie reicht von 17 Jahren bis 20 Jahren 27 und hängt ursächlich <strong>eine</strong>rseits mit<br />
der Zuwanderung und der damit zusammenhängender Zurückstufung im<br />
Schulprozess bei den Spätaussiedlern und andererseits dem jeweiligen Schulabgangs-<br />
26 Die Gründe dafür sind vielfältig, würden aber für diese Arbeit den Rahmen sprengen. Mögliche<br />
Hauptursachen, die infrage kommen: 1. Ein Muslimen seit einigen Jahren allgemein entgegengebrachtes<br />
stärkeres Misstrauen, insbesondere in der Folge des 11. September 2001, führt im Gegenzug zu stärkerer<br />
Zurückhaltung in der Mitarbeit auf Seiten der türkischen Community. Insbesondere hat sich ein veränderter<br />
Umgang mit der Öffentlichkeit entwickelt, die u. a. der Schadensbegrenzung dient. Im Zeitraum der<br />
Studiendurchführung gab es zusätzlich öffentliche Diskussionen, die die Thematik der Studie berührten (z.B. um<br />
die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln), die ebenjene Tendenz vermutlich noch verstärkt hat. 2. Der Zugang der<br />
Einrichtungen selbst zur Zielgruppe gestaltet sich häufig auch nicht einfach, insbesondere für <strong>eine</strong> dauerhafte<br />
und kontinuierliche Arbeit mit den Jugendlichen. Daher werden mögliche Störfaktoren im Kooperationsprozess<br />
mit den Jugendlichen, wie dies Interviews im Rahmen <strong>eine</strong>r Fallstudie u. U. darstellen würden, vermieden.<br />
27 wobei der überwiegende Teil der Studienteilnehmer 18 oder 19 Jahre alt sind. Lediglich in je <strong>eine</strong>m Falle<br />
innerhalb <strong>eine</strong>r Zielgruppe gab es jeweils <strong>eine</strong> Abweichung auf 20 Jahre (Jurij bei den Aussiedlern), der schon<br />
2003 die Schule beendete, oder 17 Jahre (Dunya bei den türkischen Jugendlichen), die schon nach<br />
Beendigung des 1. Halbjahres der 9. Klasse ihr Schulabgangszeugnis bekam<br />
15
Methoden<br />
jahrgang zusammen. Trotz vorgegebener Vorauswahl gibt es außerdem in jeder<br />
Teilgruppe jeweils <strong>eine</strong>n Interviewpartner mit Realschulabschluss 28 2.3.3.<br />
.<br />
Die festgestellten Abweichungen wurden in der Auswertung und in der Gewichtung<br />
der Erfahrungen der Jugendlichen im Übergangsprozess berücksichtigt.<br />
Durchführung der Interviews<br />
In der Phase der Kontaktaufnahme wurde den Zielpersonen die Wahl des Interview-<br />
Ortes überlassen, da das Interviewsetting maßgeblich zur Güte des Interviews<br />
beiträgt. Abweichend vom Gros der Methodenliteratur entschieden sich die<br />
Jugendlichen mehrheitlich nicht für das private Umfeld als Befragungsort. Sie<br />
wählten überwiegend die Umgebung der Einrichtung, über die sie rekrutiert worden<br />
waren. Vorsichtig kann daraus interpretiert werden, dass die Jugendlichen sich dem<br />
Thema und der Einmaligkeit des Interviews angemessen verhielten, ihre Privatsphäre<br />
jedoch schützten und mit der Wahl des Ortes darüber hinaus indirekt auch der<br />
Einrichtung ihr Vertrauen aussprachen 29 . Lediglich in <strong>eine</strong>m Falle wurde das<br />
Interview in der Privatwohnung der Befragten durchgeführt. Der Grund für diese<br />
Entscheidung ließ sich unschwer aus der unmittelbar persönlichen Situation heraus<br />
ableiten 30 .<br />
Für die Interviews selbst wurden innerhalb der Einrichtungen Räume aufgesucht, in<br />
denen <strong>eine</strong> ungestörte Kommunikation möglich war. Störungen gab es trotzdem in<br />
etwa der Hälfte der Interviews, meist durch Mitarbeiter der Einrichtungen 31 und in<br />
der Abschluss-Sequenz. Diese Störungen konnten aber so in das Interview integriert<br />
werden, dass die Konzentration der Interviewpartner weiterhin auf das Thema<br />
bestehen blieb. Die Interviews selbst waren durchschnittlich ca. 1¼ Stunde lang.<br />
Die Interviewten ließen sich meist gut auf das Thema ein und erzählten viel über ihre<br />
Erfahrungen im Übergangsprozess. In jedem der Interviews war <strong>eine</strong> Eigendynamik<br />
im Interviewverlauf beobachtbar, aus der ein sich langsam aufbauendes Vertrauen<br />
der Interviewpartner sichtbar wurde, das den Interviewer an den bisherigen<br />
Erfahrungen im Übergangsverlauf detailliert teilhaben ließ. In dieser „intensivierten“<br />
Phase des Interviews entwickelten einige der Interviewten ein starkes Bedürfnis, die<br />
eigene Wahrnehmung über gerade besprochene Teilaspekte, die den Interviewten in<br />
besonderer Weise beschäftigten, darzulegen 32 .<br />
Zum Ende der Interviews konnten häufig zwei Effekte beobachtet werden: Zum<br />
<strong>eine</strong>n verengte sich der Betrachtungswinkel der Befragten nahezu ausschließlich auf<br />
die besprochene Thematik. Dies war insbesondere an den Abschlussfragen ablesbar,<br />
die ursprünglich allgem<strong>eine</strong>r ausgelegt waren, jedoch nahezu ausschließlich auf die<br />
Thematik hin beantwortet wurden, obwohl <strong>eine</strong> breitere inhaltliche Auslegung durch<br />
die Interviewten prinzipiell möglich gewesen wäre. Zum zweiten zeigten einige<br />
Interviewteilnehmer Ermüdungserscheinungen. Ihr Antwortverhalten wurde<br />
einsilbiger. Damit machten sie deutlich, dass sie das Interview beenden wollten. In<br />
der Auswertung konnte gerade dieses Verhalten leider nicht ausreichend analysiert<br />
werden, z. B. an welchem Punkt es einsetzte, und ob es evtl. mit der Thematik des<br />
Interviews selbst zu tun hatte oder mit welchem Teilaspekt konkret. Da dies<br />
Verhalten jedoch ausschließlich in der Abschlussphase auftrat, die lediglich<br />
28<br />
In beiden Fällen weibliche Interviewpartner, beide mit jeweils für die Zugangsvoraussetzungen schlechten<br />
Abschlussnoten in wichtigen Fächern<br />
29<br />
was sich in den allermeisten Fällen auch im Inhalt des Interviews wieder finden ließ.<br />
30<br />
Tanja war aufgrund der Betreuung ihres Säuglings ohnehin überwiegend zuhause angebunden.<br />
31<br />
Gründe waren z.B. Nachfragen, wie lange das Interview noch dauern würde, Neugierde der Mitarbeiter,<br />
Nachfragen an den Interviewten<br />
32<br />
Interessanterweise waren es gerade die männlichen Interviewten, die dieses Bedürfnis in besonderem Maße<br />
entwickelten, während die Interviews der weiblichen Teilnehmer <strong>eine</strong>n gleichförmigeren Verlauf hatten.<br />
16
Methoden<br />
ergänzende Informationen (z. B. zur Zufriedenheit) abfragte, war der Einfluss auf die<br />
Datenerhebung nur unwesentlich.<br />
Es konnte weiterhin hinsichtlich des Interviewverhaltens Unterschiede zwischen<br />
männlichen und weiblichen Teilnehmern beobachtet werden. Die männlichen<br />
Teilnehmer hatten durchgehend ein stärkeres Interesse daran, sich mitzuteilen und<br />
„in Szene zu setzen“, während die Mädchen ein ausgeglicheneres Interviewverhalten<br />
zeigten. Im Interesse der inhaltlichen Kategorien-Schwerpunkte konnte aber die<br />
Bedeutung der Kommunikationsebene des Interviews auch nur am Rande in der<br />
Auswertung berücksichtigt werden.<br />
2.4. Auswertungsschritte<br />
Zur Aufbereitung der Interviews wurde angelehnt an die Qualitative Inhaltsanalyse<br />
nach Mayring vorgegangen 33 . Die Auswertungen wurden in drei Schritten<br />
vorgenommen.<br />
Im ersten Schritt wurden die Interviews chronologisch nach inhaltlichen Kriterien<br />
gegliedert und mit den den jeweiligen Abschnitt kennzeichnenden Überschriften<br />
versehen. Gleichzeitig wurde durch diese erste Reduktion des Materials <strong>eine</strong><br />
Übersichtlichkeit erreicht, die die weitere Arbeit erleichterte, das vorhandene<br />
Interviewmaterial aber im s<strong>eine</strong>m Verlauf (noch) erhalten lässt. Dadurch wurde<br />
insbesondere die inhaltliche Struktur des Interviewverlaufs erkennbar. Die<br />
thematische Abfolge des Interview-Verlaufes konnte auf <strong>eine</strong>n Blick nachvollzogen<br />
und erste Schlüsse daraus gezogen werden. Anhaltspunkte konnten auch die<br />
Betrachtung des Umfanges, den ein Thema im Interview einnimmt, sowie die<br />
Position im Interviewverlauf oder auch ein wiederholtes Auftreten von Themen<br />
liefern.<br />
Durch diesen ersten Auswertungsschritt wurde ein erster Überblick über das<br />
inhaltliche Potential und den Schwerpunkt des Interviews erreicht. Für die<br />
Auswertung dieses ersten Schrittes wurde das Auswertungsprogramm MAXqda<br />
eingesetzt, welches <strong>eine</strong> beschleunigte Arbeitsweise erlaubt 34 .<br />
Im zweiten und zentralen Auswertungsschritt wurde <strong>eine</strong> inhaltlich strukturierte<br />
Zusammenfassung durchgeführt, die weitgehend der inhaltlichen Strukturierung nach<br />
Mayring 35 entspricht. Hierbei kamen reduktive Prozesse wie Bündelung, Selektion<br />
oder Auslassen zum Einsatz. Anhand der ersten beiden Interviews wurde zunächst<br />
induktiv ein Kategoriensystem erarbeitet, welches für die nachfolgenden<br />
Interviewauswertungen als Vorlage diente und in den wesentlichen Kernpunkten<br />
gültig blieb. Jedes der Interviewauswertungen enthält darüber hinaus zusätzliche<br />
Kategorien, die aus den Interviewschwerpunkten herausgearbeitet wurden. Sie tragen<br />
der individuellen Situation des/ der Interviewten Rechnung. Durch Paraphrasierung<br />
der Textabschnitte wurden die mündlichen Aussagen der Interviewten den jeweiligen<br />
Kategorien zugeordnet. Sie wurden damit aus dem unmittelbaren Zusammenhang<br />
des Textes herausgenommen. Es entsteht mit diesem Auswertungsschritt ein<br />
Überblick über die Gesamtheit der Aussagen, welche nach thematischen Kategorien<br />
aufgeschlüsselt wurde. Die Kategorien orientieren sich im Wesentlichen in der<br />
thematischen Abfolge an den Themenkomplexen des Leitfadens. Das erleichterte die<br />
weitere Arbeit, sofern in der Auswertung Aussagen zu bestimmten Fragestellungen<br />
gesucht wurden.<br />
Das Zusammenspiel dieser beiden Auswertungsschritte ermöglichte damit auch die<br />
Explikation (Kontextanalyse) unklarer Aussagen in den Interviews. Dies wird<br />
33 Mayring (1983): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken<br />
34 Lediglich die ersten beiden Interviews wurden ohne Maxqda ausgewertet.<br />
35 Mayring 1983, 1985<br />
17
Methoden<br />
möglich, da die Aussagen, welche im zweiten Auswertungsschritt schon <strong>eine</strong>r<br />
inhaltlichen Kategorie zugeordnet sind, im ersten Auswertungsschritt noch im<br />
tatsächlichen Interviewablauf leicht auffindbar war. Auf diese Weise ist es möglich,<br />
im Umfeld der Aussage und in anderen Interviewphasen zum Thema nach<br />
Anhaltspunkten zu suchen, wie diese einzuordnen oder zu werten ist.<br />
Dritter und letzter Auswertungsschritt ist die Zusammenfassung des Materials als<br />
Fallbeschreibung. Dabei erfolgte <strong>eine</strong> weitere Reduktion nach inhaltlichen Kriterien.<br />
Es wurde <strong>eine</strong> Auswahl getroffen, welche Themen in der Fallbeschreibung<br />
aufgegriffen werden sollen 36 . Thematischer Schwerpunkt bilden in den<br />
Fallbeschreibungen zuerst die beruflichen Vorstellungen der Jugendlichen sowie ihre<br />
Aktivitäten bei der Umsetzung ihrer beruflichen Ziele, dann deren Hilfe- und<br />
Unterstützungserfahrungen im Übergangsprozess.<br />
36 Die thematische Auswahl wurde mit dem DJI abgestimmt.<br />
18
3. Fallbeschreibungen der jugendlichen Aussiedler<br />
3.1. Soziodemographische Übersicht<br />
Fallbeschreibungen der jugendlichen Aussiedler<br />
Name Jurij Sascha<br />
Geschlecht männlich männlich<br />
Alter 20 Jahre 19 Jahre<br />
Wohnbezirk Marzahn-Nord<br />
Marzahn-Nord<br />
(Ahrensfelde)<br />
(Ahrensfelde)<br />
Herkunft Süden Kasachstans Russland (Leningrad,<br />
heute St. Petersburg)<br />
Alter bei Ankunft 9 Jahre 16 Jahre<br />
Zeit in Deutschland 11 Jahre 3 Jahre<br />
Ankunft in Deutschl. 1995 2003<br />
Schuldaten<br />
Schulabgangsjahr 2003 2004 (Wdh. 10.Klasse 2005)<br />
Art Schulabschluss Hauptschulabschluss<br />
Hauptschulabschluss<br />
(erweitert)<br />
(erweitert)<br />
Schultyp Haupt- und Realschule 2 x Gesamtschule<br />
weiterer Schulbesuch 1 Jahr OSZ<br />
(Realschulabschluss)<br />
10. Klasse wiederholt<br />
Berufsziele<br />
Berufswunsch früher Industriemechaniker;<br />
Automechaniker<br />
jetzt Sozialarbeiter<br />
(und „Manager“)<br />
Berufsorientierung ja, unbedingt Ausbildung ja, unbedingt Ausbildung<br />
höchstes<br />
Abschlussziel<br />
Branche früher : Metallbranche<br />
jetzt: Sozialarbeit<br />
Fachhochschulabschluss evtl. Realschulabschluss +<br />
Facharbeiter + „Manager“<br />
Handwerk (Kfz)<br />
+ Management (?)<br />
Familienhintergrund<br />
Geschwisterlinie Ältester (2 jüngere Schwestern) Ältester (1 jüngere Schwester)<br />
Herkunft Stadt-Land mittlere Industriestadt Großstadt<br />
Berufsstatus<br />
Herkunftsland<br />
gegenwärtiger<br />
Berufsstatus<br />
V: Schweißer (fest angestellt)<br />
M: Landwirtschaft (ungelernt)<br />
V: Schweißer (wechselnde<br />
Arbeitgeber);<br />
M: Putzfrau (fest angestellt)<br />
V: Schweißer (fest angestellt,<br />
Metro)<br />
M: Verwaltung Metro St.<br />
Petersburg<br />
V: im wesentl. arbeitslos<br />
M: im wesentl. arbeitslos<br />
19
Fallbeschreibungen der jugendlichen Aussiedler<br />
Name Tanja Olga<br />
Geschlecht weiblich weiblich<br />
Alter 19 Jahre 19 Jahre<br />
Wohnbezirk Marzahn-Nord<br />
Marzahn-Nord<br />
(Ahrensfelde)<br />
(Ahrensfelde)<br />
Herkunft Hauptstadt Kasachstans Süden Kasachstans<br />
Alter bei Ankunft 12 Jahre 7 Jahre<br />
Zeit in Deutschland fast 8 Jahre 12 Jahre<br />
Ankunft in Deutschl. 1998 1994<br />
Schuldaten<br />
Schulabgangsjahr Nov. 2004 Abgang<br />
(Juli 2005 Zeugnis)<br />
Art Schulabschluss Abgangszeugnis 10.Kl.<br />
(wg. Baby)<br />
2004<br />
Realschulabschluss<br />
Schultyp Gesamtschule Gesamtschule<br />
weiterer Schulbesuch bisher nicht<br />
(wg. Baby)<br />
Berufsziele<br />
2 x OSZ (1/2+3/4 Jahr);<br />
Wechsel Fachabitur zu BVJ<br />
Berufswunsch Goldschmiedin Bürokauffrau,<br />
Einzelhandelskauffrau<br />
Berufsorientierung ja, unbedingt; aber auch<br />
Geldverdienen wg. Baby<br />
ja, unbedingt Ausbildung<br />
höchstes Abschlussziel Facharbeiter Facharbeiter<br />
Branche Handwerk,<br />
Selbständigkeit<br />
Familienhintergrund<br />
Verwaltung,<br />
öffentlicher Dienst<br />
Geschwisterlinie Jüngste (1 älterer Bruder) Mittlere (3 ältere, 4 jüngere<br />
Geschwister)<br />
Herkunft Stadt-Land Großstadt ländliche Gegend<br />
Berufsstatus<br />
Herkunftsland<br />
gegenwärtiger<br />
Berufsstatus<br />
V: unbekannt<br />
M: Uhrmacherin (leitende<br />
Angestellt)<br />
V: unbekannt<br />
M: Putzfrau<br />
V: Bauarbeiter<br />
M: Hausfrau<br />
V: z.Zt. arbeitslos<br />
M: z.Zt. Wäscherin<br />
20
3.2. JURIJ: „... ab und an <strong>eine</strong>n Schubser“ 37<br />
Fallbeschreibung der jungen Aussiedler / JURIJ<br />
3.2.1. Herkunftsregion und Zuwanderung<br />
Jurij stammt aus <strong>eine</strong>r mittleren Stadt (über 10.000 Einwohner) im Osten<br />
Kasachstans. Die Gegend ist bekannt für Bergbau und Eisenhütten und liegt am<br />
Fuße des Altai-Gebirges.<br />
Mit s<strong>eine</strong>n Eltern kam Jurij im Jahre 1995 (im Alter von 9 Jahren) nach Berlin.<br />
Zum Interviewzeitpunkt ist er bereits 20 Jahre alt und lebt seit 11 Jahren in<br />
Deutschland, ausschließlich in Berlin.<br />
3.2.2. Familiärer Hintergrund<br />
Die Eltern sind zur Zeit des Interviews Mitte 40 (46 und 45 Jahre alt). Sie waren<br />
im Herkunftsland Facharbeiter im handwerklichen (Vater: Schweißer) oder<br />
landwirtschaftlichen Bereich (Mutter: Geflügelzucht). Der Vater suchte nach<br />
Ankunft in Deutschland über ein Jahr nach <strong>eine</strong>r Arbeitsstelle, und fand diese<br />
schließlich sogar in s<strong>eine</strong>m erlernten Beruf. Er wechselte die Arbeitsstellen<br />
mehrfach, arbeitet aber im Wesentlichen durchgehend als Schweißer wie schon im<br />
Herkunftsland. Die Mutter war lange Zeit arbeitslos und arbeitet erst seit <strong>eine</strong>m<br />
Jahr als Reinigungskraft, angestellt in <strong>eine</strong>r Verwaltungsbehörde. Näheres ist nicht<br />
bekannt.<br />
Jurij hat 2 Schwestern, über die er nicht viel erzählt.<br />
Er bewohnt zusammen mit s<strong>eine</strong>n Eltern und s<strong>eine</strong>n beiden Schwestern <strong>eine</strong> 4-<br />
Raum-Wohnung in Berlin-Marzahn-Nord. Dort hat er sein eigenes Zimmer und<br />
ist zufrieden mit der Wohnsituation.<br />
Da beide Eltern arbeiten, haben sie ein nach Jurijs Auskunft zufrieden stellendes<br />
Einkommen. Jurij bekommt ALG II und bessert dieses durch Jobs auf.<br />
3.2.3. Berufliche Vorstellungen<br />
Jurij hatte schon während der Schulzeit <strong>eine</strong> klare Vorstellung über s<strong>eine</strong><br />
beruflichen Ziele. Er möchte Industriemechaniker werden. Erste positive<br />
Erfahrungen dazu hat er im handwerklichen Unterricht s<strong>eine</strong>r Schule gemacht hat,<br />
er lernt dort sein handwerkliches Geschick kennen. Die Arbeit macht ihm Freude<br />
und ein Lehrer unterstützt ihn darin, diese berufliche Richtung einzuschlagen.<br />
Kriterien der Berufswahl waren für Jurij neben dem Spaß an der Arbeit<br />
insbesondere, dass der Beruf <strong>eine</strong> Zukunft hat (damit meint er <strong>eine</strong> ausreichende<br />
berufliche Perspektive genauso wie die Möglichkeit, ausreichend Geld zum Leben<br />
zu verdienen), <strong>eine</strong> breite Einsetzbarkeit besitzt und Möglichkeiten zur<br />
Weiterentwicklung bietet.<br />
Bedingt durch die Vielzahl an Bewerbungsablehnungen und den Einfluss <strong>eine</strong>r<br />
Honorartätigkeit in der Jugendfreizeitstätte <strong>eine</strong>r arbeitsweltbezogenen<br />
Beratungsstelle für junge Spätaussiedler im Sozialraum verändert Jurij im Laufe<br />
der Zeit s<strong>eine</strong> beruflichen Perspektiven. Er wird darin von Eltern wie<br />
Sozialarbeitern unterstützt. Sein neues berufliches Ziel ist es, als Sozialpädagoge<br />
zu arbeiten. Dafür plant er, das Fachabitur nachzuholen, gefolgt von <strong>eine</strong>m<br />
Fachhochschulstudium. Jurij ist sich zwar sicher, dieses Ziel auch zu erreichen,<br />
aber von dieser beruflichen Perspektive innerlich nicht so recht überzeugt 38 .<br />
37 Interview Seite 15 oben<br />
38 „Naja, das war irgendwie ganz spontan (...) mir wurde von X., <strong>eine</strong>m der Betreuer, mal angeboten, hier<br />
mal zu arbeiten. (...) Die sagten so: Weil du eben so ein bisschen aktiv, ziemlich aktiv bist... (...) Und das<br />
hab ich dann auch eingesehen, und wollte ich dann auch mal ausprobieren, weil das nichts Falsches ist,<br />
und, ja, da hab ich das auch mal gemacht. (...) Mir vergewissern alle hier, dass das mein Ding ist. Aber...“<br />
Interview, Seite 12 unten bis 13 oben<br />
21
JURIJ<br />
Er würde gern weiterhin das ursprüngliche handwerkliche Berufsziel verfolgen,<br />
sieht darin aber für sich kaum noch <strong>eine</strong> Chance, <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz zu<br />
bekommen.<br />
3.2.4. Bewerbungserfahrungen<br />
BEWERBUNGSAKTIVITÄTEN<br />
Die ersten Bewerbungen schrieb Jurij zum Ende s<strong>eine</strong>r Schulzeit. Um s<strong>eine</strong><br />
beruflichen Chancen zu verbessern und auf Anraten der Mitarbeiter der<br />
Beratungsstelle geht Jurij zunächst direkt nach der Schule auf ein<br />
Oberstufenzentrum (OSZ). Selbständig wählt er das OSZ aus und bewirbt sich.<br />
Er holt dort den Realschulabschluss nach und verbessert damit s<strong>eine</strong><br />
Zugangsvoraussetzungen. Durch weitere Erfahrungen wird er auch in s<strong>eine</strong>r<br />
Berufswahl bestätigt. S<strong>eine</strong> handwerklichen Fähigkeiten beweisen sich erneut und<br />
er bekommt Anerkennung als Klassensprecher. Aber auch mit dem nun<br />
verbesserten Schulabschluss hat er bis zum Interviewzeitpunkt k<strong>eine</strong>n Erfolg bei<br />
der Ausbildungsplatzsuche in dem von ihm gewählten Beruf.<br />
Während des einjährigen OSZ hat er weitere Bewerbungen geschrieben. Nach<br />
eigener Aussage waren dies ca. 123 Bewerbungen im nachfolgenden<br />
Bewerbungszyklus, bis zum Interview noch einmal ca. 70 Bewerbungen,<br />
insgesamt knapp 200 Bewerbungen. Jurij kombiniert unterschiedliche<br />
Suchstrategien, wie die direkte Suche und Vorsprache bei <strong>Berliner</strong> Betrieben aus<br />
der Metallbranche, die Suche im Internet über Google, konkret nach ihn<br />
interessierenden Betrieben, oder Stellenausschreibungen der Arbeitsagentur und<br />
ähnlichen Internet-Seiten. Er schreibt Initiativbewerbungen genauso wie<br />
Bewerbungen auf ausgeschriebene Stellen. Damit stellt er <strong>eine</strong> Vielzahl von<br />
Fähigkeiten unter Beweis, wie Geduld, Ausdauer, Frustrationstoleranz,<br />
Vielseitigkeit, Kreativität oder Eigeninitiative. S<strong>eine</strong> Suche beschränkt sich bisher<br />
jedoch ausschließlich auf Berlin. Jurij denkt inzwischen auch darüber nach, die<br />
Suche nicht nur auf andere Regionen auszudehnen, sondern auch im Ausland zu<br />
suchen. Weil er selbst zusammen mit s<strong>eine</strong>r Familie bei der Einreise nach<br />
Deutschland bereits Migrationserfahrungen gemacht hat und daher die Folgen<br />
von Migration abschätzen kann, stellt die überregionale Ausbildungsplatzsuche<br />
bisher <strong>eine</strong> große Hürde für ihn dar 39 .<br />
Ein Nachteil für Jurij könnte es sein, dass er zum Ende der Schulzeit bereits drei<br />
Jahre älter ist als s<strong>eine</strong> Klassenkameraden. Die Integration in Deutschland war für<br />
ihn mit <strong>eine</strong>m großen Zeitverlust in s<strong>eine</strong>r Schullaufbahn verbunden. Er musste<br />
durch ungünstige Wohn- und Schulwechsel 2x die Klasse wiederholen. Die<br />
Integration in Deutschland sieht Jurij nichtsdestotrotz mehr als ein Abenteuer,<br />
welches <strong>eine</strong> Herausforderung für ihn darstellt, die ihm scheinbar willkommen ist.<br />
NEBENTÄTIGKEITEN<br />
Seit Herbst 2005 arbeitet Jurij als Honorarkraft im Jugendfreizeittreff des gleichen<br />
freien Trägers, bei dem er auch in s<strong>eine</strong>r beruflichen Orientierung beraten wird 40 .<br />
Er war dort wegen s<strong>eine</strong>s Engagements aufgefallen und wurde von den<br />
Mitarbeitern angesprochen. S<strong>eine</strong> Fähigkeiten im Umgang mit den Jugendlichen<br />
brachten ihn dazu, s<strong>eine</strong> beruflichen Perspektiven zu überdenken. Dieser<br />
Perspektivenwechsel wird vom privaten Umfeld weitgehend unterstützt.<br />
39 „Also, man hat schon... schon mal im Leben ganz von null an angefangen, und man will das dann nicht<br />
noch mal erleben, weil das ist <strong>eine</strong> Sache, die man von sich aus nicht so einfach sagt: Ok, ich mach das<br />
jetzt. Das ist ja nicht so einfach“ Interview, Seite 16 Mitte<br />
40 Hier gibt es verschiedenste Angebote, auch für Freizeitbeschäftigungen<br />
22
JURIJ<br />
Bereits seit der Schulzeit hat Jurij auch noch <strong>eine</strong>n weiteren Nebenjob als<br />
Zeitungsausträger. Dieser Nebenjob hatte aber k<strong>eine</strong>n wesentlichen Einfluss auf<br />
die weitere berufliche Perspektive. Jurij ist stark bildungsorientiert. Darum ist ein<br />
längerfristiges Jobben in diesem Bereich für ihn ausgeschlossen.<br />
BEWERBUNGSERGEBNISSE<br />
Trotz der Verbesserung der Zugangsvoraussetzungen durch das Nachholen des<br />
Realschulabschlusses auf dem Oberstufenzentrum und der umfangreichen<br />
Bewerbungsbemühungen gilt Jurij nach wie vor als „unversorgt“, hat also k<strong>eine</strong>n<br />
Ausbildungsplatz gefunden. Ein einziges Mal während s<strong>eine</strong>r bisherigen<br />
Bewerbungszeiten hatte er die Möglichkeit <strong>eine</strong>s Einstellungstests in <strong>eine</strong>m<br />
großen <strong>Berliner</strong> Ausbildungsbetrieb. Dieser wurde umsichtig vorbereitet 41 und<br />
auch gut bestanden. Einen Ausbildungsplatz bekam Jurij hier trotzdem nicht. Die<br />
Begründung dafür war, dass es zu viele Bewerber gäbe. Eine zu große<br />
Bewerberanzahl ist allerdings ein häufiger Ablehnungsgrund, den Jurij zu hören<br />
bekommt. Andere Begründungen sind die Schulnoten in den Hauptfächern. Er<br />
spricht aber auch davon, dass „immer wieder etwas nicht gepasst“ hätte 42 . Die<br />
Ablehnungsbegründungen waren also variabel und wurden von Jurij als z. T.<br />
willkürlich wahrgenommen.<br />
BEWERTUNG DER BISHERIGEN ERFAHRUNGEN<br />
Ohne Zweifel hat Jurij in den ca. 2,5 Jahren seit Schulabschluss viele Absagen auf<br />
s<strong>eine</strong> Bewerbungen erhalten und schätzt dies als k<strong>eine</strong> gute Erfahrung ein. Die<br />
Frustration hält sich allerdings erstaunlicherweise in Grenzen. Er hat nach wie vor<br />
<strong>eine</strong> hohe Motivation und weiß darum, dass viel Eigeninitiative notwendig ist und<br />
er nicht aufgeben darf und an sich glauben muss 43 . Trotzdem besteht die Furcht,<br />
zu viel Zeit zu verlieren und trotz aller Bemühungen k<strong>eine</strong> beruflich<br />
qualifizierende Ausbildung zu bekommen, um am Ende dann für wenig Geld<br />
„schuften“ zu müssen, k<strong>eine</strong> Chance zu bekommen und dann auch unter den<br />
vorhandenen persönlichen Möglichkeiten zu bleiben. In diesem Zusammenhang<br />
taucht dann bei Jurij der Gedanke auf, die Lösung könnte vielleicht sein, im<br />
Ausland <strong>eine</strong> Ausbildungsstelle zu suchen, was er aber eher ungern tun würde.<br />
Gründe für die persönliche Situation sieht er hauptsächlich außerhalb s<strong>eine</strong>r<br />
Person, in der wirtschaftlichen und politischen Situation Deutschlands, die wenig<br />
Arbeit und Ausbildungsmöglichkeiten derzeit bietet. Deutschland würde sich mit<br />
Maßnahmen wie die so genannten Ein-Euro-Jobs selbst kaputt machen, weil<br />
damit weitere Arbeitsplätze und Ausbildungen kaputt gemacht würden. Er räumt<br />
jedoch auch eigene Fehler ein, weil s<strong>eine</strong> Zensuren evtl. nicht ausreichen würden.<br />
Auch die Herkunft als Spätaussiedler nennt er als <strong>eine</strong>n möglichen Grund für die<br />
bisherigen Misserfolge in der Ausbildungsplatzsuche. Potentielle Arbeitgeber<br />
könnten evtl. schlechte Erfahrungen mit anderen Aussiedlern gemacht haben.<br />
Direkte Diskriminierung hat er bisher nicht erfahren. Nur „vom Gefühl her“<br />
glaubt er, dass diese auch <strong>eine</strong> Rolle spielt für s<strong>eine</strong> Erfahrungen im<br />
41<br />
Ein alter Test <strong>eine</strong>s Bekannten sowie ein Buch zur Vorbereitung<br />
42<br />
Selektion anhand der Schulnoten und des Schulabschlusses liegen hier vermutlich zugrunde; ob auch die<br />
Herkunft <strong>eine</strong> Rolle spielt, bleibt ungewiss<br />
43<br />
„Also... es ist auf jeden Fall k<strong>eine</strong> gute Erfahrung, denke ich. Also, wenn man da selber k<strong>eine</strong><br />
Maßnahmen ergreift, dann sitzt du wirklich nur auf Arbeitslosengeld da und besuchst das Arbeitsamt, und<br />
das war’s“ Interview, Seite 10 Mitte; „Ja, ich denke... schaffen könnte man alles, man sollte bloß immer dran<br />
glauben, dass man es eben hinkriegt“ Interview, Seite 16 oben<br />
23
JURIJ<br />
Bewerbungsprozess. Er räumt aber ein, dass s<strong>eine</strong> Herkunft <strong>eine</strong>n gewissen<br />
Einfluss haben könnte 44 .<br />
Jurij würde anderen Jugendlichen empfehlen, den höchstmöglichen Schulabschluss<br />
anzustreben. Diese prinzipielle Bildungsorientierung ist auch ein Teil<br />
s<strong>eine</strong>r eigenen Strategie.<br />
3.2.5. Hilfenachfrage und -wahrnehmung<br />
ALLGEMEINE STRATEGIEN ZUR HILFESUCHE<br />
Jurij erfährt <strong>eine</strong> Reihe positiver Unterstützungen und Hilfen. Er weiß, dass er<br />
diese Unterstützung aufgrund eigener mangelnder Erfahrung nötig hat, sucht<br />
diese deshalb von sich aus auf und versteht es, diese Hilfen für sein berufliches<br />
Fortkommen zu nutzen. Rückhalt hat Jurij insbesondere in s<strong>eine</strong>r Familie, mit der<br />
er über s<strong>eine</strong> beruflichen Pläne und die damit verbundenen Schwierigkeiten wie<br />
über anderes ebenso reden kann. Durch sein persönliches Umfeld, Familie und<br />
Freunde, wird er ebenfalls tatkräftig bei der Suche nach potentiellen<br />
Ausbildungsplätzen unterstützt. In der Schule erfuhr Jurij Bestätigung für s<strong>eine</strong><br />
Berufswahl. Die Empfehlung für die Verbesserung s<strong>eine</strong>r Zugangsvoraussetzungen<br />
durch das Nachholen des Realschulabschlusses setzte er auf <strong>eine</strong>m<br />
selbst gewählten OSZ erfolgreich um.<br />
Die genutzten Hilfsangebote beurteilt Jurij nach klaren Kriterien, die am Erfolg<br />
der Unterstützung orientiert sind. Er weiß diese differenziert zu beurteilen45 und<br />
die Vorteile der einzelnen Schritte auf dem Weg zum Ziel der beruflichen<br />
Eingliederung einzuschätzen und zu nutzen.<br />
Die Bewerbungstrainings während der Schulzeit lehnt Jurij bis heute ab, da sie<br />
ihm wenig geholfen hätten. Er bemängelt die fehlende Qualifikation und<br />
Kompetenz der Lehrer, die sich lediglich an formalen Basisgrundlagen<br />
orientierten. Die Lehrer müssten selbst mehr eigene Erfahrungen mitbringen. Jurij<br />
bekommt institutionell gestützte Hilfe und Unterstützung durch den zuständigen<br />
Vermittler der Arbeitsmarktbehörde und außerdem durch die Mitarbeiter der<br />
arbeitsweltbezogenen Beratungsstelle bei s<strong>eine</strong>n Bewerbungsbemühungen. Beide<br />
Hilfen werden im Folgenden näher betrachtet.<br />
BEZUG ZUR ARBEITSMARKTBEHÖRDE<br />
Jurijs Einschätzung der Arbeitsmarktbehörde ist zwiespältig, <strong>eine</strong>rseits von<br />
Enttäuschung aus der bisherigen Betreuung geprägt, aber auch von Hoffnung auf<br />
Erfolg für <strong>eine</strong> gerade begonnene Maßnahme.<br />
Jurij kann wie die meisten interviewten Jugendlichen nicht sagen, welches die<br />
exakte Bezeichnung dieser Behörde ist, benutzt durchgängig die inzwischen<br />
veraltete Bezeichnung „Arbeitsamt“ 46 .<br />
Die monatlichen Vorsprachen erlebt Jurij als zeitaufwendig, von unpersönlichen<br />
und wechselnden Mitarbeitern und letztlich ergebnislosen Abläufen geprägt. Das<br />
Hin- und Herschicken, die langen Wartezeiten und vieles mehr werden als wenig<br />
Vertrauen erweckend wahrgenommen. Jurij berichtet davon nach eigener<br />
Wahrnehmung, als müsse er in gewissen Abschnitten zu <strong>eine</strong>r Art „Rapport“<br />
antreten.<br />
Jurijs Berufswünsche wurden s<strong>eine</strong>r Einschätzung nach zwar anfangs bei den<br />
Vorsprachen berücksichtigt, inzwischen allerdings nicht mehr, da es nun lediglich<br />
darum ginge, ihm überhaupt <strong>eine</strong> Ausbildungsstelle zu vermitteln. Im Verlauf der<br />
44<br />
„Natürlich, ich denke schon. Also, wenn man benachteiligt wird, dann wird man eben benachteiligt“,<br />
Interview, Seite 17 oben<br />
45<br />
wie weiter unten im Abschnitt über die Hilfen des freien Trägers deutlich wird.<br />
46<br />
vermutlich wird Jurij entsprechend s<strong>eine</strong>r Ausgangssituation vom zuständigen JobCenter betreut<br />
24
JURIJ<br />
2,5 Jahre nach Schulabschluss wurde Jurij in <strong>eine</strong> Maßnahme zur<br />
Berufsvorbereitung als Lagerlogist vermittelt 47 . Die ersten Tage verbrachte Jurij<br />
hier mit als sinnlos erlebten Tätigkeiten, wie „rumsitzen und Kaffeetrinken“. Die<br />
Entlohnung unterhalb des ALG II bei <strong>eine</strong>r 10-Stunden-Arbeitszeit 48 wurde als<br />
deutlich unangemessen empfunden. Da sich für Jurij der Sinn der Maßnahme<br />
nicht erschloss, brach er konsequent nach kurzer Zeit die Maßnahme ab. Kurz<br />
vor dem Interviewzeitpunkt wurde Jurij <strong>eine</strong> weitere Maßnahme zugewiesen, die<br />
<strong>eine</strong> intensivere Betreuung durch <strong>eine</strong> ausgelagerte Firma beinhaltet. Die<br />
Einhaltung der Vorsprache dort wurde unter Androhung des Entzugs des ALG2-<br />
Bezugs durchgesetzt. Jurij setzt trotzdem große Hoffnungen in diese Maßnahme.<br />
Er verspricht sich davon <strong>eine</strong> schnellere Vermittlung in <strong>eine</strong> Ausbildungsstelle<br />
aufgrund der intensiveren Betreuungsmöglichkeit. Da die Zuweisung erst kurz vor<br />
dem Interview stattfand, gibt es außer den geäußerten Hoffnungen bisher k<strong>eine</strong><br />
konkreten Erfahrungen. Er schätzt jedoch ein, dass diese Maßnahme für ihn<br />
hilfreich sein könnte.<br />
Jurij äußert im Interview deutlich und konkret Kritik an der bisher erlebten<br />
Tätigkeit der Arbeitsagentur:<br />
1. Die Angebote von Stellenausschreibungen, die er zugeschickt bekommt, sind<br />
zumeist veraltet. Wenn diese, mit der Post verschickt, bei ihm eintreffen, hat er<br />
häufig die Bewerbungen für diese Stellen längst abgeschickt, da er die gleichen<br />
Stellen selbständig oder in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern der<br />
Beratungsstelle auch herausgefunden hatte.<br />
2. Er erlebt die Mitarbeiter als überfordert und wenig kompetent, was auch darin<br />
begründet liegt, dass die Mitarbeiter häufig wechseln und daher nach jedem<br />
Wechsel nur wenig Wissen über den Nachfragenden vorhanden ist. Jurij<br />
glaubt, dies könne vermieden werden, wenn Mitarbeiter der Arbeitsmarktbehörden<br />
sich auf die Beratung für bestimmte Berufsbereiche spezialisieren<br />
würden. 49<br />
3. Die Unterscheidung in den Zuständigkeiten zwischen Arbeitsagentur und<br />
JobCenter ist für Jurij undurchsichtig 50 .<br />
4. Die unpersönliche Behandlung, die langen Wartezeiten in Verbindung mit der<br />
Erfolglosigkeit werden als wenig hilfreich erlebt.<br />
Jurij steht also den Betreuungsleistungen der Arbeitsmarktbehörde ambivalent<br />
gegenüber: die bisherige Betreuung schätzt er als wenig hilfreich ein, hofft jedoch<br />
bei <strong>eine</strong>r kürzlich zugewiesenen Maßnahme bessere Unterstützung zu finden. Er<br />
fühlt sich schlecht beraten, das geringe Wissen um die Stärken der<br />
Nachfragenden, die Diskontinuität der Zusammenarbeit etc. führen dazu, dass<br />
nur <strong>eine</strong> geringe Basis für die Vermittlungstätigkeit in der Behörde vorhanden ist.<br />
Die unbefriedigenden Rahmenbedingungen in der Organisation der Behörde<br />
führen für Jurij also dazu, dass er effektive Hilfe für sich im Grunde als fast<br />
unmöglich ansieht.<br />
Jurij wünscht sich vor allem, dass die Mitarbeiter dieser Behörde stärker auf den<br />
Menschen und das, was ihn ausmacht an Stärken und Fähigkeiten etc. eingehen<br />
47 leider gibt es im Interview k<strong>eine</strong> Anhaltspunkte für <strong>eine</strong> genaue zeitliche Einordnung der Maßnahme<br />
48 dies sind die Angaben aus dem Interview und können weder mit Fakten belegt noch widerlegt werden.<br />
Die Aussagen würden <strong>eine</strong>n Missbrauchsfall dieser Maßnahme nahe legen. Die Angaben machen in jedem<br />
Falle deutlich, wie die Maßnahme im persönlichen Erleben Jurijs eingeordnet wurde.<br />
49 „Und die sind, wie man sieht, alle überfordert. Wenn, dann sollten sie überhaupt konkrete Leute haben,<br />
die wirklich auch nur auf diese Berufswünsche spezialisiert sind, und nicht irgendwelche von irgend<strong>eine</strong>r<br />
Firma nehmen und von irgend<strong>eine</strong>r Etage runtersetzen und sagen: Ok, du machst das heute“ Interview,<br />
Seite 14 Mitte<br />
50 „Einige sagen, das ist das Jobcenter, und die anderen sagen, das ist das Arbeitsamt. Aber, was es ist,<br />
genau, da hab ich auch k<strong>eine</strong>n Plan“ Interview, Seite 14 Mitte<br />
25
JURIJ<br />
mögen und <strong>eine</strong> kontinuierlichere Beratung dazu führt, dass überhaupt <strong>eine</strong><br />
effektive Kooperation möglich wird.<br />
BEZUG ZU EINEM FREIEN TRÄGER DER JUGENDHILFE<br />
Die arbeitsweltbezogene Beratungsstelle für jugendliche Spätaussiedler in Berlin-<br />
Marzahn kennt Jurij bereits seit dem Ende s<strong>eine</strong>r Schulzeit, mithin bereits seit fast<br />
2 ½ Jahren. Sie wird von ihm als durchweg positiv beschrieben, ohne jegliche<br />
Kritikpunkte 51 .<br />
Nach Schulabschluss bekam er zunächst den Rat, durch Besuch <strong>eine</strong>s einjährigen<br />
Lehrgangs an <strong>eine</strong>m <strong>Berliner</strong> Oberstufenzentrum den Schulabschluss aufzuwerten,<br />
vom Hauptschulabschluss zum Realschulabschluss. Dadurch würden sich<br />
nicht nur s<strong>eine</strong> Zugangsvoraussetzungen für <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz verbessern,<br />
sondern auch die Lehrzeit verkürzen. Dies sieht Jurij im Nachhinein durchaus als<br />
<strong>eine</strong>n Erfolg und als <strong>eine</strong>n richtigen Schritt auf s<strong>eine</strong>m beruflichen Weg. Auf dem<br />
OSZ bekommt Jurij zudem erneut Bestätigung für s<strong>eine</strong>n bisherigen<br />
Berufswunsch durch die Anerkennung s<strong>eine</strong>r handwerklichen Fähigkeiten.<br />
Bei Bedarf bekommt er in der Beratungsstelle konkrete Hilfe bei der Arbeit an<br />
Bewerbungen wie auch bei s<strong>eine</strong>r weiteren Strategie in der beruflichen<br />
Orientierung. Er hat dort auch die Möglichkeit, als Honorarkraft bei der<br />
Betreuung von Jugendlichen im Jugendfreizeitbereich des freien Trägers<br />
mitzuarbeiten, macht dabei neue Erfahrungen, die er später in Überlegungen für<br />
<strong>eine</strong> erneute berufliche Ausrichtung umwandelt. Er macht bei der Betreuung der<br />
Jugendlichen, die Erfahrung, dass ihm auch diese Tätigkeit liegt. Da s<strong>eine</strong> bisher<br />
recht umfangreichen Bewerbungsbemühungen in s<strong>eine</strong>m tatsächlich anvisierten<br />
Berufsfeld bisher auch k<strong>eine</strong>n Erfolg hatten und Jurij ein erfolgsorientierter<br />
Mensch ist, hofft er, auf dieser beruflichen Strecke mehr Erfolg zu haben und<br />
nimmt damit auch die noch notwendigen Bildungsschritte bis hin zu <strong>eine</strong>m<br />
Fachhochschulabschluss in Kauf.<br />
Während der langjährigen Unterstützung im Beratungszentrum baute Jurij<br />
Vertrauen in deren Mitarbeiter auf, welches auch dadurch gestützt wird, dass<br />
Erfolge im Sinne von Vermittlung in Ausbildung (bei Bekannten und Freunden),<br />
aber auch in Maßnahmen, die für ihn hilfreich waren, um ihn wenigstens<br />
schrittweise weiterzubringen, erkennbar sind. Außerdem hebt er das Engagement<br />
der Mitarbeiter und die persönliche Beratung deutlich hervor. Jurij äußert sichtlich<br />
Respekt gegenüber diesen Mitarbeitern, beinahe sogar Bewunderung 52 .<br />
Insgesamt ist Jurij mit dieser Betreuung sehr zufrieden. Hier fehlt ihm nach<br />
eigener Aussage nichts an Unterstützung.<br />
GEGENÜBERSTELLUNG DER INSTITUTIONELLEN HILFSANGEBOTE<br />
In der Gesamtbetrachtung ist Jurij weder zufrieden noch unzufrieden mit den<br />
Hilfsangeboten, die er wahrnimmt. Mit der Betreuung des freien Trägers ist er<br />
offensichtlich zufrieden, jedoch weniger mit der Betreuung durch die<br />
Arbeitsmarktbehörde und „den Staat“ 53 .<br />
Er schätzt das individuelle Eingehen auf s<strong>eine</strong> Betreuungs-Bedürfnisse durch die<br />
Sozialarbeiter des freien Trägers, welches u. a. aus diesem Grund als hilfreich<br />
51<br />
beinahe etwas überschwänglich<br />
52<br />
„Naja, das ist eben so ein Mensch, zu dem man immer gerne kommt, mit dem man quatschen kann, und<br />
die dann auch alles, was in ihrer Macht steht... dass sie versucht, dir eben auch zu helfen. Und es wurde ja<br />
vielen hier schon geholfen. Viele haben hier schon über sie eben <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz gefunden. Und sie<br />
hilft dir eben bei der Rechtschreibung, dass du eben alles ordnungsgemäß schreibst. Und wie man das<br />
schreibt, und eben solche Dinge“ Interview, Seite 20 unten<br />
53<br />
„ich denke, allgemein vom Staat her könnte man mehr Unterstützung geben den Jugendlichen“,<br />
Interview, Seite 9 Mitte<br />
26
JURIJ<br />
eingeschätzt wird. Bemängelt wird entsprechend die lückenhafte Betreuung<br />
seitens der Arbeitsmarktbehörde. Wichtigstes Kriterium für die Einschätzung der<br />
Arbeit der Behörde als wenig hilfreich ist für Jurij deren bisherige offenkundige<br />
Erfolglosigkeit. Dies wird durch die Intransparenz in deren Arbeit und ihre<br />
Ergebnisse unterstützt. Während in der Beratungsstelle des freien Trägers die<br />
Transparenz der Arbeit dazu beiträgt, dass Erfolge und Misserfolge erlebbar sind,<br />
hat der Nachfragende in der Arbeitsagentur kaum Einblicke, und kann daher auch<br />
nicht in deren tatsächlichen Erfolgsquoten. Lediglich die Erfolglosigkeit in Bezug<br />
auf die eigene Person und möglicherweise noch des persönlichen Bekannten- und<br />
Freundeskreises kann verfolgt werden.<br />
Auch die Niedrigschwelligkeit sowie die Freiwilligkeit in der Zusammenarbeit mit<br />
der Beratungsstelle trägen zum Erfolg der Vermittlung erheblich bei. Während in<br />
der Arbeit des freien Trägers auf Kooperation der Hilfenachfragenden gesetzt<br />
wird, werden Maßnahmen der Behörde zur Not auch unter Androhung von<br />
Zwangsmaßnahmen, wie dem Entzug des ALG II durchgesetzt. Durch die erlebte<br />
Überforderung und teilweise Inkompetenz etc. der Mitarbeiter der Behörde kann<br />
so kaum Vertrauen aufgebaut werden. Das Vertrauen in die Zusammenarbeit<br />
erscheint Jurij als wesentliches Moment für den Erfolg der Kooperation.<br />
3.2.6. Abschließende Aussagen<br />
Wie in anderen Abschnitten bereits genannt, fällt bei Jurij die besondere Intensität<br />
s<strong>eine</strong>r Bewerbungsbemühungen auf. Er hat viel Eigeninitiative bewiesen, trotz<br />
bisheriger Misserfolge noch immer ein gesundes Selbstvertrauen und beweist auch<br />
ein gehöriges Maß an Frustrationstoleranz. Er setzt auch für die Zukunft stärker<br />
auf Eigenbemühungen als auf Hilfe von außen. Er sieht Hilfe als ergänzend zu<br />
eigenen Aktivitäten an, sucht und nutzt sie zur Unterstützung, wo ihm die eigene<br />
Erfahrung fehlt 54 .<br />
Bisher bekam er jedoch nur wenig Gelegenheit, diese Fähigkeiten in s<strong>eine</strong>r<br />
beruflichen Entwicklung einzusetzen und weiterzuentwickeln. Angeregt durch die<br />
Mitarbeiter der Beratungsstelle und bestärkt durch eigene Erfahrungen in der<br />
Tätigkeit als Honorarkraft, orientiert er sich beruflich um auf <strong>eine</strong> Tätigkeit im<br />
Sozialbereich, aus der er sich mehr beruflichen Erfolg für die Zukunft verspricht.<br />
Unterstützt wird er darin auch durch sein privates Umfeld. Jurij ist u. a. deutlich<br />
bildungsorientiert und verspricht sich gerade durch <strong>eine</strong>n höheren Bildungsabschluss<br />
größere berufliche Chancen. Ausschließen möchte er dadurch, dass er<br />
niedrig qualifizierte Tätigkeiten im Niedriglohnbereich ausführen muss, die k<strong>eine</strong><br />
Zukunft für ihn darstellen. Es bedeutet aber auch, dass er zeitlich den<br />
Berufseintritt nach hinten verschiebt und damit in <strong>eine</strong>m späteren Alter die 2.<br />
Schwelle ins Berufsleben erreichen wird.<br />
3.2.7. Jurijs Kernthema - Zusammenfassung<br />
Als übergreifendes Thema für dieses Interview kristallisiert sich heraus, dass Jurij<br />
außergewöhnlich viele Bewerbungs-Anstrengungen unternommen hat, sehr<br />
vielfältig war in s<strong>eine</strong>n Bemühungen um <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz, ohne dabei<br />
allerdings bisher erfolgreich zu sein. Er investierte nach eigener Aussage viel Zeit<br />
und Kraft in die Umsetzung s<strong>eine</strong>r beruflichen Ziele, zeigte Einsatzbereitschaft<br />
und Eigeninitiative. Trotz allem hat er bisher noch k<strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz<br />
gefunden.<br />
54 siehe Titel: „so bisschen, ab und an <strong>eine</strong>n Schubser“, Interview Seite 15 oben<br />
27
JURIJ<br />
Allerdings kann Jurij auch nicht auf <strong>eine</strong>n außergewöhnlich guten Notenschnitt<br />
zurückgreifen 55 . Gemeinsam mit den Sozialarbeitern der Beratungsstelle hat er<br />
immer wieder Zwischenlösungen gefunden und neue Perspektiven entwickelt, die<br />
ihn zum gegebenen Zeitpunkt weiterhelfen und geeignet sind, ihn längerfristig<br />
s<strong>eine</strong>m Ziel näher zu bringen. Er gilt weiterhin als unversorgt.<br />
55 Hier scheint auch <strong>eine</strong>r der wesentlichen Gründe für die bisherige Unversorgtheit zu liegen: Die<br />
Anforderungen an die formale Qualifikation von Schulabgängern ist auch für den beruflichen Bereich, den<br />
Jurij gewählt hat, stark angewachsen. Jurij kann jedoch lediglich mit <strong>eine</strong>m durchschnittlichen<br />
Abschlusszeugnis aufwarten und hat außerdem 2x <strong>eine</strong> Klasse wiederholen müssen.<br />
28
3.3. SASCHA: „Ich muss diese große Problem (ein) Ende machen“ 56<br />
SASCHA<br />
3.3.1. Herkunftsregion und Zuwanderung<br />
Sascha wurde in Leningrad geboren, wuchs den größten Teil s<strong>eine</strong>s bisherigen<br />
Lebens im heutigen St. Petersburg auf, der zweitgrößten Stadt Russlands.<br />
Mit s<strong>eine</strong>n Eltern kam Sascha im Jahre 2003 nach Berlin. Er war zu diesem<br />
Zeitpunkt 16 Jahre alt und kurz vor dem Ende s<strong>eine</strong>r Schulzeit. Zum<br />
Interviewzeitpunkt ist Sascha 19 Jahre alt und lebt seit 3 Jahren in Berlin.<br />
3.3.2. Familiärer Hintergrund<br />
Die Eltern sind zum Zeitpunkt des Interviews beide Anfang 40. Der Vater ist<br />
Russlanddeutscher, die Mutter Russin. Beide Eltern haben in Russland die mittlere<br />
Reife absolviert (10.Klasse) und sind Facharbeiter. Der Vater ist Schweißer,<br />
arbeitete bei der Metro, die Mutter hat ein Technikum besucht und übte vorrangig<br />
Bürotätigkeiten aus, zuletzt als Sekretärin <strong>eine</strong>r Immobilienkanzlei. Die Familie<br />
wanderte 2003 nach Deutschland ein, ca. 3 Jahre vor dem Interview.<br />
Beide Eltern hatten in Berlin bis zum Interviewzeitpunkt k<strong>eine</strong> feste Arbeitsstelle<br />
gefunden. Der Vater hatte hin und wieder befristete Jobs, bspw. kurze Zeit lang<br />
<strong>eine</strong> MAE 57 , die Mutter war ausschließlich zuhause. Beide Elternteile besuchten<br />
zeitweise Sprachkurse. Die Familie lebt von ALG II. Auch Sascha bezieht<br />
ebenfalls ALG II. Von der Mehraufwandsentschädigung (MAE) zahlt er den<br />
Eltern Kostgeld für Unterkunft und Verpflegung.<br />
Sascha hat <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Bruder, der noch nicht schulpflichtig ist. In der Familie<br />
wird sowohl deutsch als auch russisch gesprochen. Der kl<strong>eine</strong> Bruder spricht<br />
überwiegend deutsch, die Eltern hauptsächlich russisch.<br />
Die Familie wohnt in <strong>eine</strong>r typischen 3-Zimmer-Neubauwohnung in Berlin-<br />
Marzahn-Nord. Sascha bewohnt ein winziges Zimmer innerhalb dieser Wohnung<br />
(ca. 6 qm), aus der er gerne ausziehen würde, um sein eigenes Leben zu beginnen.<br />
3.3.3. Berufliche Vorstellungen<br />
Sascha nennt während des Interviews mehrere berufliche Vorstellungen. Zwei<br />
dieser Berufswünsche sollen sich für ihn gegenseitig ergänzen. Er möchte<br />
zunächst Kfz-Mechaniker werden, weil dies ein Beruf für Männer ist. Außerdem<br />
wurde dieser Berufswunsch durch <strong>eine</strong> TV-Sendung des Jugendsenders MTV<br />
gefördert, in der es um Autos ging. Durch den Einfluss <strong>eine</strong>s Freundes strebt er<br />
außerdem an, „Manager“ zu werden im internationalen Bereich. S<strong>eine</strong><br />
Vorstellungen davon sind allerdings äußerst vage. Ihm ist weder klar, woraus die<br />
Arbeit <strong>eine</strong>s Managers oder Marketing-Experten besteht, noch welche schulischen<br />
Vorraussetzungen dafür nötig oder welche Ausbildung benötigt wird. Der Beruf<br />
des Kfz-Mechanikers ist für Sascha als berufliche Grundlage gedacht, auf dem<br />
alles Weitere aufbauen soll. Sascha hat hierfür die Vorstellung <strong>eine</strong>s normalen<br />
Übergangsverlaufes von der Schule über <strong>eine</strong> 3-jährige Ausbildung bis zum<br />
Arbeitsverhältnis 58 .<br />
Der Auswahl des ersten Berufswunsches liegt Saschas persönliches Interesse an<br />
Autos zugrunde. Ziel des Manager-Berufes soll es sein, ausreichend Geld zur<br />
Erfüllung s<strong>eine</strong>r Lebensträume zu verdienen 59 .<br />
56 Aussage zum Problem s<strong>eine</strong>r Deutsch-Kenntnisse, Interview-Seite 23 unten<br />
57 Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung (MAE) nach dem kurz HARTZ IV genannten 4.<br />
Gesetz zur Reform des Arbeitsmarktes zum 1. Januar 2005<br />
58 welches er sich vermittelt über die Arbeitsagentur vorstellt.<br />
59 die klassischen Lebensziele: Haus, Familie, ausreichend Geld zum Leben etc.<br />
29
SASCHA<br />
An anderen Stellen des Interviews äußert Sascha, dass er sich auch andere<br />
berufliche Bereiche vorstellen kann, die hauptsächlich mit Technik zu tun haben<br />
(Autos, Computer etc.) Er hat verschiedene Interessen, die er sich vorstellen kann,<br />
beruflich umzusetzen. Wichtig ist ihm dabei, dass er k<strong>eine</strong> schmutzige Arbeit<br />
verrichten möchte 60 und dass sie zudem angemessen bezahlt werden müsse.<br />
Unter diesen Vorraussetzungen wäre Sascha auch zu größeren Zugeständnissen<br />
und Kompromissen bereit 61 .<br />
Sein vorrangiges Ziel ist jedoch zunächst die Verbesserung s<strong>eine</strong>s Schulabschlusses,<br />
wofür er vor allem s<strong>eine</strong> Sprachkenntnisse verbessern will, um dann<br />
den Realschulabschluss oder evtl. sogar das Abitur nachzuholen und damit s<strong>eine</strong><br />
Chancen auf <strong>eine</strong> gute Ausbildung zu verbessern.<br />
Sascha hat auch ein halbes Jahr nach s<strong>eine</strong>m Schulabschluss noch k<strong>eine</strong><br />
ausreichend klaren Vorstellungen über s<strong>eine</strong> beruflichen Ziele, besonders jedoch<br />
nicht über die Wege, die ihn zu diesen Zielen bringen sollen. Es fehlen ihm auch<br />
viele Informationen dafür 62 .<br />
3.3.4. Bewerbungserfahrungen<br />
BEWERBUNGSAKTIVITÄTEN<br />
Sascha steht noch am Anfang des Bewerbungsprozesses und bringt wenige<br />
Erfahrungen darüber mit in das Interview. Er hat, wie bereits festgestellt, noch<br />
recht ungefestigte Vorstellungen über s<strong>eine</strong> beruflichen Ziele.<br />
S<strong>eine</strong> bisherigen Bemühungen waren entsprechend s<strong>eine</strong>n Zielen darauf<br />
ausgerichtet, <strong>eine</strong>n Kurs zu finden, in welchem er s<strong>eine</strong> Sprachkenntnisse<br />
aufbessern wollte. Mit s<strong>eine</strong>n gegenwärtigen Deutschkenntnissen rechnete er sich<br />
wenige Chancen für <strong>eine</strong> erfolgreiche Bewerbung aus. Er hatte vor Beginn der<br />
MAE, die er zum Interviewzeitpunkt besucht, gemeinsam mit <strong>eine</strong>m Freund<br />
bereits <strong>eine</strong>n 2 ½ monatigen Sprachkurs mit anschließender Berufsvorbereitung<br />
und Praktikum gefunden, den er mit diesem auch besuchen wollte. Der daran<br />
anschließende berufsvorbereitenden Lehrgangsanteil war ihm allerdings weniger<br />
wichtig, auch das abschließende Praktikum, für das er sich selbständig <strong>eine</strong>n<br />
Betrieb suchen sollte. Als er sich für diesen Kurs anmelden wollte und die<br />
Genehmigung durch die Arbeitsmarktbehörde einholte, wurde er jedoch in <strong>eine</strong><br />
MAE verwiesen 63 . Diese sei für s<strong>eine</strong> Berufsvorbereitung wichtiger als ein<br />
Sprachkurs. Die MAE sollte nach s<strong>eine</strong>r Auffassung lediglich <strong>eine</strong><br />
Übergangsmaßnahme sein, um den Zeitraum bis zum Beginn <strong>eine</strong>r weiteren<br />
Maßnahme zu überbrücken, in welcher er intensiver in <strong>eine</strong>r durch die<br />
Arbeitsmarktbehörde beauftragten Fremdfirma bei s<strong>eine</strong>n Bewerbungsbemühungen<br />
betreut werden sollte. Der Verlauf dieser Beratung und die<br />
Vermittlung zwischen verschiedenen Verantwortungsträgern war bereits durch die<br />
Sprachprobleme Saschas geprägt, aber ebenso durch sein mangelndes Wissen um<br />
die Wege der Berufsorientierung in Deutschland.<br />
Sascha berichtet darüber hinaus im Interview über unterschiedliche Möglichkeiten<br />
und Kurse, in denen er zunächst <strong>eine</strong> Verbesserung der Schulkenntnisse und<br />
anschließend <strong>eine</strong> berufliche Qualifizierung erreichen will. Diese Berichte sind<br />
60 als Beispiel nennt er „Toilette putzen“<br />
61 Er nennt im Interview unter andrem, dass er sich vorstellen kann, ein Praktikum in Berlin-Spandau zu<br />
absolvieren, für <strong>eine</strong>n gewissen Zeitraum nach Afrika zu gehen oder anderswo im Ausland zu arbeiten<br />
62 Und das bedeutet, dass er noch einiges an Beratungsbedarf mitbringt. S<strong>eine</strong> z. T. relativ<br />
verschwommenen Ansichten müssten konkretisiert und auf konkrete Ziele ausgerichtet werden. Außerdem<br />
braucht er noch viel Wissen um die Berufsausbildung und die Arbeitsorganisation etc. in der<br />
Bundesrepublik.<br />
63 Die Vermittlung in die Maßnahme war allerdings nicht direkt, sondern über mehrere Beratungsgespräche<br />
und einige Verwicklungen, vermutlich auch durch sprachliche Missverständnisse verursacht.<br />
30
SASCHA<br />
allerdings wenig in sich schlüssig und zeigen erneut <strong>eine</strong> gewisse Orientierungslosigkeit<br />
Saschas auf.<br />
Darüber hinaus zeigen diese Berichte aber auch, dass er mit den bisher ereichten<br />
Schulergebnissen nicht zufrieden ist und vor <strong>eine</strong>m Ausbildungsbeginn zunächst<br />
mindestens <strong>eine</strong>n Realschulabschluss (nach Empfehlung der Eltern sogar das<br />
Abitur) erreichen möchte. Vorrangiges Ziel ist gegenwärtig für Sascha die<br />
Verbesserung s<strong>eine</strong>r deutschen Sprachkenntnisse.<br />
Bewerbungen hat Sascha also zum Interviewzeitpunkt noch nicht geschrieben.<br />
Zum <strong>eine</strong>n traut er sich diese mangels ausreichender (schriftlicher) Sprachkenntnisse<br />
nicht zu. Dem Arbeitslehre-Unterricht in der Schule konnte er deswegen<br />
auch nur unzureichend folgen. Ihm fehlen also viele der Kenntnisse, die dort<br />
vermittelt wurden. Er rechnet sich aus demselben Grund auch k<strong>eine</strong> Chancen auf<br />
<strong>eine</strong>n Erfolg dieser Bewerbungen aus, da er davon ausgeht, dass gute<br />
Sprachkenntnisse Vorraussetzung für <strong>eine</strong> erfolgreiche Bewerbung sind.<br />
NEBENTÄTIGKEITEN<br />
Sascha hat im Interview k<strong>eine</strong>rlei Nebentätigkeiten angesprochen, nicht während<br />
der Schulzeit, und auch danach nicht.<br />
BEWERBUNGSERGEBNISSE<br />
Da Sascha bisher noch k<strong>eine</strong> Bewerbungen geschrieben hat, kann er auch zum<br />
Interviewzeitpunkt noch k<strong>eine</strong> konkreten Ergebnisse vorweisen.<br />
BEWERTUNG DER BISHERIGEN ERFAHRUNGEN<br />
Mit s<strong>eine</strong>n bisherigen Erfahrungen ist Sascha prinzipiell unzufrieden. Die MAE,<br />
welche er absolviert, wertet er zwar vorsichtig dahingehend, dass er durch sie<br />
mindestens nicht „zu Hause gesessen“, sondern etwas gearbeitet hat. Sie stellt in<br />
s<strong>eine</strong>r Vorstellung quasi <strong>eine</strong> Art Praktikum dar. Aber da diese k<strong>eine</strong>n<br />
Qualifizierungsanteil enthielt 64 , der ihm in den für ihn wichtigen Bereichen wie die<br />
Sprachfertigkeiten hätte weiter helfen können, kann er sie für sich auch nicht als<br />
erfolgreich werten. Insbesondere die verpasste Chance für den integrierten<br />
Sprach- und berufsvorbereitenden Kurs bedauert er sehr. So will sich Sascha nach<br />
dem Ende der MAE im neuen Jahr 65 erneut um <strong>eine</strong>n Sprachkurs bemühen.<br />
Die Maßnahme stellt für Sascha also lediglich <strong>eine</strong> Verzögerung s<strong>eine</strong>r<br />
tatsächlichen Ziele dar, denen er sich danach erneut widmen will. Weitere<br />
Überlegungen beschäftigen sich mit <strong>eine</strong>r möglichen Aufwertung s<strong>eine</strong>s<br />
Hauptschulabschlusses, die aber auch nur wenig klar sind. Sascha fragt sich, wenn<br />
auch nur vorsichtig, welchen Sinn die Maßnahme für ihn haben sollte. Zudem ist<br />
er unzufrieden mit der „zu kl<strong>eine</strong>n“ Bezahlung.<br />
Im Allgem<strong>eine</strong>n ist Sascha aber zuversichtlich für s<strong>eine</strong> berufliche Zukunft. Er<br />
schätzt ein, dass es gute Möglichkeiten für ihn in Berlin gibt, <strong>eine</strong>n<br />
Ausbildungsplatz zu bekommen 66 , nicht nur für sich allein, sondern allgemein.<br />
64<br />
In der Maßnahme wurden allerdings überwiegend Beschäftigungen wie Basteln von kl<strong>eine</strong>n Geschenken,<br />
Herstellung von Dekorationen für andere Projekte des Vereins u. ä. angeboten. Es ist fraglich, wozu ihn<br />
diese Beschäftigungen qualifizieren sollten.<br />
65<br />
Das Interview fand kurz vor Weihnachten im Dezember 2005 statt und damit unmittelbar vor dem Ende<br />
der Maßnahme<br />
66<br />
„in Berlin geht <strong>eine</strong> gute Situation für Beruf, für Ausbildung, für Lernen. Ich denke gut“ Interview, Seite 35<br />
unten<br />
31
3.3.5. Hilfenachfrage und -wahrnehmung<br />
SASCHA<br />
ALLGEMEINE STRATEGIEN ZUR HILFESUCHE<br />
Sascha ist vorrangig auf die Lösung von Problemen aus eigener Anstrengung<br />
ausgerichtet und will darum s<strong>eine</strong>n Weg entsprechend zunächst allein gehen. Erst<br />
wenn er selbst k<strong>eine</strong> Lösungsansätze findet, würde er sich um Hilfemöglichkeiten<br />
bemühen. Im Vorfeld würde er sich dafür zunächst überlegen, wer ihm für das<br />
jeweilige Problem die beste Hilfe bieten kann, wer also die größte Kompetenz<br />
hätte, um ihm erfolgreich helfen zu können 67 .<br />
RÜCKHALT IN DER FAMILIE UND IM FREUNDESKREIS<br />
In s<strong>eine</strong>r Familie findet Sascha prinzipiell gesehen hilfreiche Ansprechpartner und<br />
könnte dort auch über s<strong>eine</strong> Probleme bei der Ausbildungsplatzsuche genauso wie<br />
über andere Fragen reden. Er ist allerdings der Auffassung, dass er als<br />
Erwachsener s<strong>eine</strong> Probleme selbständig lösen muss und nicht mehr die Hilfe der<br />
Eltern in Anspruch nehmen kann. Zudem hat er bemerkt, dass die Eltern<br />
ebenfalls noch Schwierigkeiten mit der Arbeitssuche haben und möchte diese<br />
darum nicht noch mehr belasten. Die Eltern geben ihm als Rat, er solle möglichst<br />
<strong>eine</strong>n guten Bildungsgrad erwerben, um nicht niedrig qualifizierte und niedrig<br />
entlohnte Arbeit verrichten zu müssen.<br />
Sascha ist grundsätzlich in s<strong>eine</strong>r beruflichen Orientierung sehr an s<strong>eine</strong>n zumeist<br />
älteren Freunden orientiert, von denen er über Berlin verteilt einige zu haben<br />
scheint. Diesen folgt er überwiegend sowohl in deren beruflichen Überlegungen,<br />
als auch in den konkreten Umsetzungen bei der Suche nach qualifizierenden<br />
Maßnahmen. Er traut den Freunden Kompetenzen zu, die ihm selbst aufgrund<br />
des erst kurzen Aufenthaltes in Deutschland noch fehlen. Diese Freunde leben<br />
schon längere Zeit in Berlin, weshalb er ihnen das Wissen um Informationen<br />
zuschreibt, die ihm weiterhelfen könnten bei s<strong>eine</strong>r eigenen beruflichen<br />
Orientierung. Darüber hinaus scheint er bei den Freunden auch <strong>eine</strong>n gewissen<br />
Halt zu suchen, den er bei s<strong>eine</strong>n Eltern derzeit weniger sucht, weil er als<br />
Erwachsener „auf eigenen Füßen stehen“ möchte.<br />
BEZUG ZUR ARBEITSMARKTBEHÖRDE<br />
Sascha steht der Arbeitsmarktagentur aufgrund der bisher gemachten<br />
Erfahrungen kritisch bis ablehnend gegenüber. Er hatte zwar nur wenige<br />
Kontakte zu dem betreuenden Vermittler, ist aber mit dessen Empfehlungen im<br />
Nachhinein nicht mehr einverstanden, insbesondere der Vermittlung in die MAE.<br />
Die Ablehnung resultiert zum <strong>eine</strong>n aus der Erfahrung, dass er k<strong>eine</strong><br />
Unterstützung bekam bei den Antragsverfahren für die Anerkennung des<br />
gefundenen Sprachkurses, die er bewältigen musste und die ihn aufgrund s<strong>eine</strong>r<br />
geringen Sprachprobleme überforderten 68 . Aufgrund interner Übermittlungsfehler<br />
der Behörde konnte er die Maßnahme, für die er ursprünglich vorgesehen war,<br />
nicht besuchen. Vor allem aber fühlt er sich nach dem Durchlaufen der MAE-<br />
Maßnahme getäuscht, da ihm im Vorfeld versichert wurde, er absolviere mit der<br />
67 „Naja, für m<strong>eine</strong> Weg ich suche allein, selber... selber die Hilfe. Zum Beispiel ich brauche das... ich muss<br />
bisschen denken: Was brauche für diese (...) wer hat... kann... wer kann mich helfen. Zum Beispiel, ich<br />
brauche etwas von gefunden, wo kann ich das gefunden... Jeder Mensch muss bisschen denken in s<strong>eine</strong>m<br />
Kopf“ Interview, Seite 24 Mitte<br />
68 die Beschreibungen der Anstrengung, die er unternehmen musste allein zum Ausfüllen der Papiere,<br />
nehmen <strong>eine</strong>n guten Anteil des Interviews ein und werden auch mehrfach wiederholt (können aber kaum<br />
zitiert werden)<br />
32
SASCHA<br />
Maßnahme <strong>eine</strong> ihn beruflich qualifizierende Maßnahme 69 . Dies stellte sich später<br />
als unrichtig heraus 70 . Er zweifelt auch am Sinn der Maßnahme selbst 71 . Die MAE<br />
hatte er außerdem zugewiesen bekommen, obwohl er dort wegen <strong>eine</strong>s anderen<br />
Wunsches hingegangen ist, den Deutschkurs, welchen er als für sich und s<strong>eine</strong><br />
Zukunft existentiell notwendig empfand. Diese Entwicklung erlebt er als Verlust<br />
<strong>eine</strong>r Chance für ihn und wird darum dieses Ziel auch nach dem Ausscheiden aus<br />
der MAE wieder aufnehmen.<br />
Überwiegend negativ ist damit auch die zusammenfassende Einschätzung der<br />
bisherigen Erfahrungen mit der Arbeitsmarktbehörde. Er fände in der Behörde<br />
k<strong>eine</strong> guten Ansprechpartner und die Beratung dort sei „zu 75% schlecht und nur<br />
zu 25% gut“. Die Mitarbeiter hätten ihm nicht so geholfen, wie sie sollten 72 . Das<br />
Geld für die MAE sei außerdem „zu kl<strong>eine</strong> Geld“ 73 .<br />
Er wünscht sich von den Mitarbeitern der Arbeitsmarktbehörde, dass sie sich<br />
zuerst anhören, was die Nachfragenden tatsächlich wollen und auch überprüfen,<br />
welche Fähigkeiten diese haben, ob sie sich für die gewünschte Richtung<br />
überhaupt eignen. Es sollten Probezeiten eingeführt werden wie in der Schule<br />
(womit er vermutlich das für die 9. Klasse obligatorische Praktikum meint). Die<br />
Menschen sollten also <strong>eine</strong>r Arbeit entsprechend ihren Fähigkeiten und auch den<br />
Neigungen nachgehen 74 .<br />
BEZUG ZU FREIEN TRÄGERN<br />
Sascha hat von sich aus <strong>eine</strong> eher geringe Neigung, Hilfe außerhalb s<strong>eine</strong>s<br />
persönlichen Umfeldes zu suchen. Wie bereits angedeutet, will er zunächst<br />
eigenständig Lösungsansätze suchen und erst danach überlegt er sich, wer ihm<br />
helfen könnte bei <strong>eine</strong>m speziellen Thema, wenn er selbst k<strong>eine</strong> Antwort mehr<br />
weiß 75 .<br />
S<strong>eine</strong> erste Ansprechpartnerin ist dabei immer noch die Sozialarbeiterin s<strong>eine</strong>r<br />
ehemaligen Schule, bei der er auch schon früher Hilfe fand. Diese scheint ihm am<br />
kompetentesten, um ihn zu beraten, wenn es konkrete Schwierigkeiten gibt.<br />
Vermutlich ist für s<strong>eine</strong> Wahl (angesichts der noch vorhandenen Sprachprobleme)<br />
auch wichtig, dass sie s<strong>eine</strong> Sprache spricht und es somit zwischen ihnen kein<br />
gravierendes Verständnisproblem gibt. Die Sozialarbeiterin hatte ihm geraten zu<br />
der Beratung in der Arbeitsmarktbehörde und riet ihm dann zu der Maßnahme,<br />
die er schließlich doch nicht bekam und ersatzweise in die MAE aufgenommen<br />
wurde. Sascha pendelte also zwischen den Beratungen in der Arbeitsmarktbehörde<br />
und s<strong>eine</strong>r Sozialarbeiterin. Er würde diese Sozialarbeiterin jederzeit<br />
69 „Aber diese Eurojob, zuerst sie haben gesagt, du musst... diese Eurojob geht wie <strong>eine</strong> Praktikum, bis<br />
dann du hast <strong>eine</strong> Qualifikation; und von dieser Zeit, vielleicht dir... die Chef von diese Firma (...) vielleicht<br />
er hat gefunden etwas“ Interview, Seite 12 Mitte<br />
70 Die Gründe hierfür können durchaus auch in den sprachlichen Verständigungsproblemen gelegen haben,<br />
da es gut möglich ist, dass Sascha nicht alles richtig verstanden hat, was ihm in der Arbeitsmarktbehörde<br />
erzählt wurde<br />
71 „Und für mich, ich denke, ich weiß nicht, für was diese Euro-Job...“ Interview, Seite 18 unten<br />
72 „die Arbeitsamt (...) hat mich nicht so geholfen, wie er muss. Hat nur dann, nur bisschen, nur bisschen.<br />
Aber das nicht jeder Mensch, das war die verschiedene Berater. Aber jetzt ... fünfundsiebzig Prozent die<br />
Beratung ist schlecht. Nur fünfundzwanzig Prozent helfen, wie sie... wie sie müssen“ Interview, Seite 24<br />
unten<br />
73 „Aber ich denke, die Euro-Job, das ist zu kl<strong>eine</strong> Geld. Ich denke, wenn ich hab besser gefunden, zum<br />
Beispiel zehn Euro oder so pro <strong>eine</strong> Stunde, das geht besser.“ Interview, Seite 17 unten bis 18 oben<br />
74 „sie müssen zuerst die hören, was wollen diese Mensch? In welche Richtung, was wollen diese Mensch<br />
genau? Zum Beispiel, die... jeder kann sagen: Ich will die Abitur, so, so, so. Aber nicht jeder kann das. (...)<br />
Aber du musst... ich muss von diese Mensch zuerst <strong>eine</strong> Probe machen, zum Beispiel die Probezeit, die<br />
geht wie <strong>eine</strong> Schule oder so. Hat er gemacht das, und gut das“ Interview, Seite 30 Mitte<br />
75 „wenn hab ich <strong>eine</strong> Frage von mich, ich such, wer von diese Frage antwortet. (...) Dann, wenn kann ich<br />
nicht allein antwortet für m<strong>eine</strong> Frage, ich gehe zu Frau T. oder die andere Mensch, wer hat mir Hilfe für<br />
diese... besuchen... nicht besuchen... gefunden. Die Antwort für m<strong>eine</strong> Frage“ Interview, Seite 25 Mitte<br />
33
SASCHA<br />
wieder bei konkreten Fragen aufsuchen, weil er sie für diese Fragen am<br />
kompetentesten hält.<br />
Die arbeitsweltbezogene Beratungsstelle für jugendliche Spätaussiedler in s<strong>eine</strong>m<br />
Kiez möchte er ebenfalls aufsuchen. Er hat bisher lediglich über Freunde davon<br />
gehört, sie aber selbst noch nicht besucht, ist der Beratung gegenüber aber<br />
aufgeschlossen. Die Frage, warum Sascha diese Beratung noch nicht aufgesucht<br />
hat, könnte ebenfalls mit s<strong>eine</strong>n sprachlichen Verständnisproblemen zusammenhängen,<br />
da die Mitarbeiter dort überwiegend deutsch sprechen.<br />
GEGENÜBERSTELLUNG DER INSTITUTIONELLEN HILFSANGEBOTE<br />
Sascha sucht sich lediglich punktuell für gezielte Fragestellungen Hilfe. Er nimmt<br />
die Beratungsangebote s<strong>eine</strong>r Wohnumgebung in geringem Umfange wahr,<br />
trotzdem er noch recht unsicher in s<strong>eine</strong>r beruflichen Orientierung ist und daher<br />
hierfür eigentlich Unterstützung bräuchte, besonders auch wegen s<strong>eine</strong>r<br />
Sprachprobleme, wie er selbst ja auch erkannt hat. Trotzdem versucht er<br />
zunächst, die aus dem Elternhaus kommende Vorstellung, dass ein Erwachsener<br />
s<strong>eine</strong> Probleme selbständig löst, umzusetzen 76 . Eher als auf institutionalisierte<br />
Hilfeangebote vertraut er auf die Erfahrungen s<strong>eine</strong>r Freunde, die wie er<br />
jugendliche Spätaussiedler sind, aber schon einige Jahre länger in Berlin leben.<br />
Bei Sascha zeigt sich auch <strong>eine</strong> gewisse Unsicherheit, und zwar sowohl im<br />
Umgang mit der Arbeitsmarktbehörde als auch mit den Beratungsangeboten z. B.<br />
freier Träger oder der Sozialarbeiterin s<strong>eine</strong>r ehemaligen Schule. Sascha lebt erst<br />
seit drei Jahren in Berlin. Er hat nicht allein nur mit Sprachproblemen zu<br />
kämpfen, sondern überhaupt mit der Orientierung in s<strong>eine</strong>r neuen<br />
Lebensumgebung, mit den Strukturen in Behörden wie überhaupt der<br />
Möglichkeiten in Deutschland und Berlin, z. B. für die Ausbildung.<br />
Leider ist es Sascha nicht gelungen, das in der Beratung mit der Sozialarbeiterin<br />
Besprochene in der Arbeitsmarktbehörde auch durchzusetzen und wurde daher in<br />
die besagte MAE vermittelt, anstatt der ursprünglich gedachten Maßnahme 77 . Es<br />
kann mit <strong>eine</strong>r gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass<br />
Sascha lediglich entsprechend den zum aktuellen Zeitpunkt vorgegebenen<br />
Richtlinien der Eingliederungsmaßnahmen für Jugendliche unter 25 Jahren<br />
vermittelt wurde. S<strong>eine</strong> eigenen Interessen an <strong>eine</strong>m Sprachkurs blieben dabei<br />
untergeordnet. Da auch die Sozialarbeiterin nur unzureichend aufgesucht wurde,<br />
so blieb es bei dieser Entwicklung. Das hatte allerdings <strong>eine</strong>n im Interview<br />
deutlich spürbaren Vertrauensverlust der Arbeitsmarktbehörde bei Sascha zur<br />
Folge. Er wird sich daher vermutlich in der Zukunft stärker auf s<strong>eine</strong> eigenen<br />
Wünsche konzentrieren und Wege zur Umsetzung suchen, als auf die Beratung<br />
der Arbeitsmarktbehörde zu vertrauen. Diese Tendenz lässt sich aus der<br />
Gesamtbetrachtung der Interviewaussagen ableiten.<br />
Es wäre in Saschas Fall sicherlich angebracht, wenn er in der Verhandlung mit der<br />
Behörde sprachliche Unterstützung bekäme, bis er die deutsche Sprache selbst<br />
sicher beherrscht. Angesichts s<strong>eine</strong>r noch deutlichen Unsicherheit und noch nicht<br />
abgeschlossenen Festlegung der beruflichen Vorstellungen, wäre es gut, wenn<br />
Sascha den Weg in <strong>eine</strong> Berufsberatung fände, die ihn über die Klippen des<br />
beruflichen Übergangs dauerhaft begleiten würde.<br />
76 „mein Vater gesagt immer: Wir warten bis d<strong>eine</strong> achtzehnte Jahr, und dann du musst selber. Und jetzt,<br />
ich bin schon achtzehnte Jahre, und ich muss m<strong>eine</strong> Leben selber machen“ Interview, Seite 27 Mitte<br />
77 deren Inhalt allerdings Sascha nicht bekannt war<br />
34
SASCHA<br />
3.3.6. Abschließende Aussagen<br />
Wie bereits vielfältig aus den Abschnitten hervorging, war Saschas Situation zu<br />
<strong>eine</strong>m beträchtlichen Teil darauf zurückzuführen, dass er erst vor <strong>eine</strong>r<br />
verhältnismäßig kurzen Zeit nach Deutschland gekommen war mit s<strong>eine</strong>n Eltern.<br />
In <strong>eine</strong>r relativ kurzen Zeit hatte er daher sowohl den Zuzug nach Deutschland<br />
selbst mit allen nachfolgenden Problemen der Integration in das<br />
Zuwanderungsland, besonders zu Beginn 78 , als auch die Abschlussphase s<strong>eine</strong>r<br />
Schulzeit in <strong>eine</strong>r neuen Klasse mit der Vorbereitung auf die nachfolgende Phase<br />
des beruflichen Übergangs zu verarbeiten. Es ist also kaum verwunderlich, wenn<br />
Sascha zu diesem Zeitpunkt noch Unsicherheiten im Umgang mit Behörden etc.<br />
in der neuen Lebensumgebung zeigt. In der Schule hatte Sascha sein<br />
Leistungsniveau aus der Schulzeit in Russland auch noch nicht wieder erreicht, als<br />
er diese schon beenden musste 79 3.3.7.<br />
. Die Deutschnote war noch sehr schlecht,<br />
weshalb er auch nur <strong>eine</strong>n Hauptschulabschluss erreicht hatte, und auch das erst<br />
im zweiten Anlauf nach der Wiederholung der 10. Klasse. Viele Abläufe in<br />
Behörden oder anderswo dürften für Sascha außerdem noch recht unverständlich<br />
und wenig vertraut erschienen sein, da er so kurze Zeit nach der Zuwanderung<br />
noch überwiegend mit den aus Russland mitgebrachten Vorstellungen verbunden<br />
gewesen sein dürfte.<br />
Beobachtbar war allerdings auch <strong>eine</strong> leichte Beeinflussbarkeit Saschas durch<br />
s<strong>eine</strong> Freunde. Er stützte sich hauptsächlich auf diese Freunde, die obwohl schon<br />
länger in Deutschland, so doch kaum das von ihm benötigte umfassende Wissen<br />
haben konnten im beruflichen Übergang. Auch diese Freunde hatten noch k<strong>eine</strong><br />
Ausbildungsstelle gefunden, obwohl sie älter als Sascha waren. Auch deren<br />
berufliche Vorstellungen schien Sascha mitunter ungeprüft zu übernehmen.<br />
Insgesamt entwirft Sascha in einigen Abschnitten des Interviews unterschiedlich<br />
mögliche Zukunftsentwürfe oder Vorstellungen für s<strong>eine</strong> berufliche Zukunft, die<br />
kurz angerissen und wieder verworfen werden und sich insgesamt oft<br />
widersprechen. Besonders dadurch wird Saschas Orientierungslosigkeit deutlich.<br />
Aufgrund s<strong>eine</strong>r Probleme sieht Sascha s<strong>eine</strong> Zukunft zum Interviewzeitpunkt<br />
eher in Russland. Dort kennt er sich im Gegensatz zu Deutschland aus. Er<br />
identifiziert sich stärker als Russe, weniger als Deutscher. Auch die gegenwärtig in<br />
Deutschland sich vollziehenden politischen Entwicklungen, die er interessiert<br />
verfolgt, führen ihn zu der Erkenntnis, dass die Chancen in Russland für ihn<br />
beruflich gesehen möglicherweise größer sind als in Deutschland80. Unter<br />
Umständen kann er sich sogar vorstellen, in ein anderes Land weiterzuwandern81.<br />
Saschas Kernthema - Zusammenfassung<br />
Das Kernthema für Sascha sind im Interview ganz klar s<strong>eine</strong> Sprachprobleme, um<br />
deren Bewältigung er sich bemüht, bisher vergeblich. Dieses Thema hatte er<br />
bereits bei der Kontaktaufnahme angesprochen, und es zieht sich in den<br />
unterschiedlichsten Kontexten durch das gesamte Interview. Sascha befindet sich<br />
noch am Beginn s<strong>eine</strong>s Integrationsprozesses in Deutschland. Er weist <strong>eine</strong><br />
gewisse Orientierungslosigkeit im Hinblick auf typische schulische und berufliche<br />
78<br />
Spracherwerb, Orientierung in den Strukturen des Zuwanderungslandes, der unmittelbaren<br />
Wohnumgebung etc.<br />
79<br />
Aus s<strong>eine</strong>r Schulzeit in Russland berichtete er von durchaus guten Leistungen, besonders in Mathematik<br />
und naturwissenschaftlichen Fächern.<br />
80<br />
„Zum Beispiel noch fünf, zehn Jahre... in diese Richtung, in diese... Situation so, in Deutschland... dann<br />
gehe ich zurück zu Russland, weil in Russland viel besser diese Zeit“ Interview Seite 31 unten<br />
81<br />
„wenn die... die Situation in Deutschland bleiben so... oder bisschen... nicht bisschen, aber geht unter...<br />
geht schlechter... Ich kann zum andere Land, zum Beispiel die France, oder England, zum Beispiel die<br />
andere Welt, zum Beispiel Amerika. Aber ich bleibe nicht in Deutschland“ Interview Seite 33 unten<br />
35
SASCHA<br />
Wege in Deutschland auf, die ebenso hauptsächlich auf s<strong>eine</strong>m erst kurzen<br />
Aufenthalt in Deutschland von knapp drei Jahren zurückzuführen sind.<br />
Sascha empfindet den Mangel an Sprachkenntnissen und fehlendes Wissen über<br />
rechtliche und andere deutschland-spezifische Kenntnisse als <strong>eine</strong> Art<br />
Behinderung 82 , die er durch Kurse zu beseitigen sucht. Dabei geht es ihm auch<br />
um die Möglichkeit auf <strong>eine</strong>n höheren Schulabschluss zur Erhöhung s<strong>eine</strong>r<br />
beruflichen Chancen.<br />
Da Sascha gerade zum Abschluss s<strong>eine</strong>r Schulkarriere in Russland herausgerissen<br />
wurde, sieht er sich damit konfrontiert, dass er ausgerechnet im Abschlussjahr den<br />
Spracherwerb in Deutschland bewältigen muss und s<strong>eine</strong> schulischen Ergebnisse<br />
um 1-2 Noten sinken. Die Wiederholung dieses Abschlussjahres bringt zwar <strong>eine</strong><br />
Zensuren-Verbesserung, aber wegen der immer noch schlechten Deutschnote<br />
schafft er den Realschulabschluss erneut nicht und muss mit <strong>eine</strong>m erweiterten<br />
Hauptschulabschluss vorlieb nehmen. Die schlechte Ausgangslage mit diesem<br />
Abschluss ist ihm durchaus bewusst und er hat weiterhin vor, s<strong>eine</strong>n<br />
Schulabschluss aufzuwerten, den Realschulabschluss oder möglicherweise sogar<br />
das Abitur zu erreichen. Er wird in diesem Vorhaben von den Eltern unterstützt.<br />
Der Versuch, <strong>eine</strong>n solchen Sprachkurs durch die Arbeitsmarktbehörde<br />
genehmigt zu bekommen, führte ihn schlussendlich in <strong>eine</strong> MAE. Diese wertet er<br />
im Nachhinein als nicht förderlich für sich, da sie k<strong>eine</strong> Qualifizierung enthielt<br />
und ihn in s<strong>eine</strong>n Zielen nicht weiter brachte. Er wird daher s<strong>eine</strong> Ziele im<br />
Anschluss weiterverfolgen und hat die Zeit innerhalb der MAE für s<strong>eine</strong><br />
Zielsetzungen verloren. Er steht wegen dieser Vermittlung auch der<br />
Arbeitsmarktbehörde weniger positiv gegenüber, da er sich durch diese getäuscht<br />
sieht.<br />
Die Wege, wie s<strong>eine</strong> beruflichen Ziele erreichbar sein könnten, sind ihm relativ<br />
unklar. Die Ausführungen im Interview dazu sind unkonkret und widersprüchlich.<br />
Sascha hat <strong>eine</strong>n hohen Beratungs- und Unterstützungsbedarf, besonders<br />
hinsichtlich der Konkretisierung s<strong>eine</strong>r schulischen und beruflichen Ziele sowie<br />
der Wege, die dafür notwendig sind.<br />
82 „Aber ich denke so, dass m<strong>eine</strong> Sprache ist sehr, sehr schlecht... Ich können die verstanden deutsch,<br />
aber ich können nicht sagen etwas, oder so... Das geht wie <strong>eine</strong> Hund. Ich hab alles verstanden, aber kann<br />
nicht sagen.“ Interview Seite 28 unten; „Weil, ich versteh nicht die deutsch. Erste Problem zum Beispiel. Die<br />
verschiedene, auch... die verschiedene Rechte, zum Beispiel. Zum Beispiel, was kann ich in Russland<br />
gemacht, kann ich nicht in Deutschland gemacht.“ Interview, Seite 31 unten<br />
36
3.4. TANJA: „Also, wenn man will, kriegt man alles. Deswegen denk ich, dass ich<br />
den Beruf kriege“ 83<br />
TANJA<br />
3.4.1. Herkunftsregion und Zuwanderung<br />
Tanja stammt aus der kasachischen Großstadt, Almaty (bis 1994 Alma-Ata), bis<br />
1997 Hauptstadt von Kasachstan. Almaty liegt nördlich des Gebirgszuges<br />
Tianschan und südlich großer Steppen- und Halbwüstengebiete. Sie ist der<br />
kulturelle, wissenschaftliche und wirtschaftliche Mittelpunkt Kasachstans.<br />
Tanja kam 1998 im Alter von 12 Jahren mit ihren Eltern und Großeltern nach<br />
Deutschland. Sie lebt inzwischen seit etwa 8 Jahren ausschließlich in Berlin und ist<br />
zum Interviewzeitpunkt 19 Jahre alt. Nach eigener Aussage kam sie nicht gerne<br />
mit nach Deutschland, hat sich jedoch mittlerweile eingewöhnt. Trotzdem würde<br />
sie gern zurückkehren, wenigstens zu Besuch.<br />
3.4.2. Familiärer Hintergrund<br />
Die Eltern sind zum Interviewzeitpunkt schon seit längerer Zeit getrennt. Die<br />
Trennung erfolgte erst nach der Einwanderung, Probleme gab es jedoch auch<br />
vorher schon. Zum Vater hat Tanja kein gutes Verhältnis. Sie macht zu diesem so<br />
gut wie k<strong>eine</strong> weiteren Angaben. Die Mutter ist 43 Jahre alt und gehörte zur<br />
deutschstämmigen Bevölkerung in Kasachstan. Sie hat <strong>eine</strong>n hohen Schulabschluss<br />
(Abitur) und arbeitete in Alma-Ata als Uhrmacherin in leitender Position.<br />
Ihre Tätigkeit umfasste nach Auskunft Tanjas neben der handwerklichen Arbeit<br />
auch Kundenbetreuung und Ausbildungsverantwortung. In Deutschland bezieht<br />
sie derzeit ALG II. Sie hat beruflich bisher nicht Fuß fassen können. Lediglich ein<br />
halbes Jahr konnte sie als ABM-Kraft in <strong>eine</strong>r erzieherischen Tätigkeit arbeiten,<br />
danach über vier Jahre als Putzfrau in <strong>eine</strong>m großen <strong>Berliner</strong> Warenhaus. Damit<br />
hat die Mutter nach der Zuwanderung <strong>eine</strong>n enormen beruflichen Statusverlust<br />
hinnehmen müssen 84 .<br />
Tanja hat <strong>eine</strong>n Bruder, der bereits erwachsen ist, in <strong>eine</strong>r mittleren Stadt<br />
Niedersachsens wohnt und <strong>eine</strong> eigene Familie hat.<br />
Tanja wohnt mit ihrer Mutter in <strong>eine</strong>r 2-Raum-Wohnung <strong>eine</strong>s typischen Neubaus<br />
in Berlin-Marzahn, der saniert wurde. Sie wohnt dort schon seit ihrer Zuwanderung,<br />
also seit 1998, und fühlt sich dort wohl.<br />
Die finanzielle Ausstattung ist sowohl für Mutter und Tochter das ALG II. Tanja<br />
bekommt daneben Kindergeld, Erziehungsgeld und <strong>eine</strong>n Unterhaltsvorschuss.<br />
Sie gibt die Hälfte davon an die Mutter als Kostgeld ab.<br />
3.4.3. Berufliche Vorstellungen<br />
Tanja nennt im Interview klare berufliche Ziele. Diese werden auch an k<strong>eine</strong>r<br />
Stelle des Interviews in Frage gestellt. Sie will Goldschmiedin werden. Dieser<br />
Beruf hat Parallelen zum Beruf ihrer Mutter, die Uhrmacherin ist. Durch sie hat<br />
Tanja bereits als Kind einige handwerkliche Erfahrungen machen können,<br />
interessiert sich aber stärker für Schmuck als für Uhren. Sie gibt allerdings auch<br />
an, dass die Mutter k<strong>eine</strong>n Einfluss auf ihren Berufswunsch hatte. Entscheidend<br />
bei der Berufswahl war für sie das eigene Interesse wie auch das Bewusstsein über<br />
ihre Fähigkeiten als Voraussetzung für den Beruf. Darüber hinaus sollte der Beruf<br />
ihr <strong>eine</strong> Zukunft bieten, um für sich und ihr Kind ausreichend Geld zu verdienen.<br />
Als Ausweichberufe, falls dieser Berufswunsch nicht in Erfüllung gehen sollte,<br />
83<br />
Interview Seite 4 Mitte (Maxqda-Auswertung1 Absatz 73)<br />
84<br />
Die Mutter wirkte am Telefon und im persönlichen Kontakt immer sehr freundlich, aber auch sehr<br />
niedergeschlagen.<br />
37
TANJA<br />
wählte sie ebenfalls handwerkliche Berufe, wie Schneiderin, Friseurin oder<br />
Elektriker. Tanja erwägt diese Ausweich-Optionen bisher allerdings nicht, weil sie<br />
fest davon ausgeht, dass sie die Umsetzung ihres Berufswunsches schaffen wird,<br />
und zwar weil sie es will, wenn sie sich anstrengt 85 .<br />
Ob sie sich klare Vorstellungen vom beruflichen Alltag <strong>eine</strong>s Goldschmiedes<br />
machen kann, wurde im Interview nicht immer deutlich. Die vermutliche<br />
Perspektive der Arbeit als Goldschmied in der Selbständigkeit war ihr bisher<br />
unbekannt. Sie vertritt im Interview trotzdem weiterhin die Umsetzung ihrer<br />
beruflichen Zielvorstellungen und sagt, dass sie sich <strong>eine</strong> selbständige Tätigkeit<br />
auch vorstellen kann.<br />
3.4.4. Bewerbungserfahrungen<br />
BEWERBUNGSAKTIVITÄTEN<br />
Tanja war bereits zum Ende der Schulzeit in der 10. Klasse schwanger und bekam<br />
im Februar 2005 noch während der Schulzeit ihr Kind. Seit November 2004 war<br />
sie daher nicht mehr in der Schule und nahm extern, unterstützt durch die<br />
Mitschüler, bis zur Geburt ihres Kindes am Unterricht teil. Nach der Geburt<br />
hörten ihre schulischen Aktivitäten allerdings auf. Sie begründet dies nicht allein<br />
mit dem Kind, sondern auch mit privaten Problemen, die sie aber nicht näher<br />
erläutert. Im Juli 2005 bekommt sie daher ein Abgangszeugnis und ist seitdem<br />
zuhause.<br />
Tanja hat bisher k<strong>eine</strong>rlei Bewerbungen geschrieben, war aber durchaus bereits<br />
aktiv für ihren Übergang in Ausbildung. Während der Schulzeit beriet sie sich mit<br />
der Sozialarbeiterin ihrer Schule über berufliche Ziele. Nach dem Schulabgang<br />
nahm sie Kontakt auf zu den zuständigen Behörden, dem Jugendamt und <strong>eine</strong>r<br />
Mitarbeiterin der Arbeitsagentur 86 . Sie hat die Aussicht auf Vermittlung in <strong>eine</strong><br />
Berufsausbildung speziell für junge Frauen in sozialen Problemlagen wie die ihre.<br />
Mit den Mitarbeitern der Ausbildungsstätte hat sie direkt nach dem Schulabgang<br />
ebenfalls erste Absprachen getroffen. Die Bewerbung auf diese Ausbildung wird<br />
laut Tanjas Aussage über das zuständige Jugendamt laufen. Im Sommer des Jahres<br />
2006 wird sie in der Ausbildungsstätte <strong>eine</strong> praktische Testphase durchlaufen und<br />
bei Bestehen im Herbst dieses Jahres ihre Ausbildung beginnen. Die dafür<br />
notwendigen Absprachen werden bis dahin weiter über das Jugendamt und die<br />
Arbeitsagentur laufen. Bis zum Interviewzeitpunkt besteht diese Option aber<br />
lediglich als Möglichkeit, da es noch k<strong>eine</strong> festen Zusagen gibt. Tanja verlässt sich<br />
allerdings auf diese Absprachen.<br />
Darüber hinaus hat Tanja wenig Kenntnis über Möglichkeiten zum Erreichen<br />
beruflicher Zielvorstellungen. Aus dem Interview geht z.B. nicht hervor, dass<br />
Tanja sich selbständig über die Art der Ausbildung in Kenntnis gesetzt hat. Auch<br />
die Aussagen über die Ausbildungsstätte sind widersprüchlich und wenig<br />
zusammenhängend 87 .<br />
NEBENTÄTIGKEITEN<br />
Zum Interviewzeitpunkt übt Tanja k<strong>eine</strong>rlei Nebentätigkeit aus. Allerdings hat sie<br />
während der Schulzeit schon viele Arbeitserfahrungen in Nebentätigkeiten<br />
gesammelt. Auch während der Schulzeit und meist am Wochenende oder in den<br />
85<br />
Titelzitat: „Also, wenn ich was will, also, dann (...) krieg ich das auch, so, kann ich sagen“ Interview, Seite<br />
4 Mitte<br />
86<br />
Es ist auch bei Tanja nicht klar, ob dies <strong>eine</strong> Mitarbeiterin der Arbeitsagentur oder des JobCenters ist. Es<br />
ist auch möglich, dass sie zum Berufsinformationszentrum (BIZ) gehört. Tanja macht, wie die anderen auch,<br />
dazwischen k<strong>eine</strong> echten Unterscheidungen.<br />
87<br />
Tanja macht lediglich vage Andeutungen, es ergibt sich kein Gesamtbild.<br />
38
TANJA<br />
Ferien arbeitete sie hin und wider, als Zeitungsausträgerin, als Verkäuferin in <strong>eine</strong>r<br />
Bäckerei oder als Zimmermädchen im Hotel. Diese Nebenjobs wurden<br />
ausschließlich über Bekannte vermittelt. Sie schließt diese Tätigkeiten als<br />
berufliche Zukunftsperspektive aber aus.<br />
BEWERBUNGSERGEBNISSE<br />
Zum Interviewzeitpunkt gibt es k<strong>eine</strong> Bewerbungs-Ergebnisse im engeren Sinne.<br />
Wie schon beschrieben, gibt es bisher nur Vorabsprachen mit dem zuständigen<br />
Jugendamt und der Arbeitsagentur über <strong>eine</strong> mögliche Ausbildung. Zum<br />
Interviewzeitpunkt existierten noch k<strong>eine</strong> festen Zusagen. Über Alternativen hat<br />
sich Tanja bisher nicht darüber informiert.<br />
BEWERTUNG DER BISHERIGEN ERFAHRUNGEN<br />
Tanja macht im Interview k<strong>eine</strong> expliziten Äußerungen, die als Wertung über ihre<br />
bisherigen Übergangserfahrungen gedeutet werden könnten 88 .<br />
3.4.5. Hilfenachfrage und -wahrnehmung<br />
ALLGEMEINE STRATEGIEN ZUR HILFESUCHE<br />
Tanja bekommt Hilfen von unterschiedlicher Seite. Sie greift auf ein familiäres<br />
Netzwerk zurück, sucht sich aber auch institutionelle Hilfe, sowohl bei Behörden<br />
als auch bei freien Trägern.<br />
RÜCKHALT IN DER FAMILIE, DER SCHULE UND IM FREUNDESKREIS<br />
Unterstützung und Grenzen familiärer Hilfe werden in den Aussagen von Tanja<br />
besonders deutlich.<br />
Nach Aussage Tanjas half ihr die Mutter besonders in einigen Schulfächern, in<br />
denen die Sprache zweitrangig war, insbesondere Mathematik. Die Mutter hält ihr<br />
„den Rücken frei“, gibt moralischen und emotionalen Halt. Die Familie ist Tanja<br />
wichtig und so versteht Tanja diesen mütterlichen Halt auch als <strong>eine</strong> der<br />
wesentlichen Unterstützungen auf ihrem Übergangsweg ins Berufsleben. Sie sucht<br />
die neuen Herausforderungen zunächst selbständig zu bewältigen, wendet sich<br />
aber auch an die Mutter um Hilfe. Über berufliche Belange sprechen sie auch<br />
miteinander, wenn es beispielsweise um die Vorbereitung auf Behördengänge<br />
(Arbeitsagentur, Jugendamt) geht. Sollte Tanja <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz<br />
bekommen, wird die Mutter ihr bei der Betreuung des Kindes helfen. Auch bei<br />
der Suche um konkrete Unterstützungen im Bewerbungsverfahren suchen sie<br />
mitunter gemeinsam ortsnahe Hilfsangebote verschiedener freier Träger auf. Da<br />
die Mutter beruflich bisher nicht Fuß gefasst hat, befinden sich beide, Mutter und<br />
Tochter, in gewisser Hinsicht in <strong>eine</strong>r vergleichbaren Situation. Beide befinden<br />
sich parallel zueinander im Prozess der Integration in Berlin.<br />
An dieser Stelle wird auch <strong>eine</strong> der Grenzen der elterlichen Hilfe für Tanja<br />
deutlich. Da die Mutter sich ebenso wenig wie Tanja in den Arbeitsmarktstrukturen<br />
in Deutschland und Berlin auskennt, kann sie ihr außer der<br />
emotionalen Stütze in mancherlei Hinsicht wenig konkrete Hilfe bieten. So war<br />
Tanja in der Schule mindestens in sprachbasierten Fächern weitgehend auf sich<br />
allein gestellt (in Mathematik und Naturwissenschaften half die Mutter). Sie hatte<br />
aber schon im Herkunftsland etwas Deutsch gelernt, überwiegend selbständig mit<br />
Hilfe von Sprachlehrbüchern aus der Verwandtschaft und setzte das auch in<br />
88 Sie ist ohnehin recht wortkarg und enthält sich jeder überflüssigen Bemerkung<br />
39
TANJA<br />
Deutschland fort. Ein gewisses Maß an Selbständigkeit hat Tanja in ihren<br />
Integrations-Bemühungen demzufolge schon erlernt.<br />
Der Vater fiel als Unterstützung weitgehend aus, da es offenbar familiäre<br />
Probleme gab, die in Berlin 2 Jahre zuvor zur Trennung der Eltern führten. Auch<br />
Tanja selbst attestiert dem Vater, k<strong>eine</strong> große Hilfe gewesen zu sein, konkretisiert<br />
diese Aussage im Interview jedoch nicht weiter.<br />
Der Partner und Kindesvater Tanjas wohnt in <strong>eine</strong>r anderen Wohnung, Tanja will<br />
auch weiterhin mit ihrer Mutter zusammen wohnen bleiben. Ihr Freund ist laut<br />
Interviewaussage ebenfalls <strong>eine</strong> Hilfe. Er besitzt <strong>eine</strong> abgeschlossene<br />
Berufsausbildung und steht bereits im Berufsleben, hat <strong>eine</strong> Arbeitsstelle und<br />
kümmert sich auch teilweise um das Kind. Konkretere Angaben macht Tanja<br />
allerdings im Interview nicht. 89 Tanja macht insgesamt den Eindruck, als ob sie<br />
stärker auf die eigenen Fähigkeiten oder auf die Hilfe der Mutter setzt als auf die<br />
des Partners.<br />
Die Familie bietet Tanja neben der emotionalen Unterstützungsleistung soviel<br />
konkrete und teilweise gegenseitige Hilfe, wie die Kompetenzen der Mutter und<br />
des familiären Umfelds ausreichen. Da diese jedoch Grenzen haben, ist Tanja in<br />
einigen Bereichen auf sich allein gestellt.<br />
Neben der familiären Unterstützung, die nicht nur emotionalen Halt gibt, sondern<br />
auch konkrete praktische Hilfen bietet, hat Tanja auch in ihrem privaten<br />
Netzwerk viel Unterstützung erhalten. Sehr viel Hilfe bekam sie von der<br />
schulischen Seite, als sie schwangerschaftsbedingt nicht mehr am Unterricht<br />
teilnehmen konnte. Die Mitschüler hielten sie über den Schulstoff auf dem<br />
Laufenden und sie erhielt teilweise auch noch Zensuren. Dies deutet auf ein gutes<br />
Schul-Klima 90 . Die Gründe, warum sie nach der Geburt ihres Kindes die<br />
Teilnahme am Schulunterricht trotzdem abbrach, konnten im Interview nicht<br />
endgültig geklärt werden, da Tanja die Gründe als privat bezeichnet und nicht<br />
weiter erläutert möchte. Obwohl sie wegen des Abbruchs schulischer Aktivitäten<br />
k<strong>eine</strong>n qualifizierten Schulabschluss erhalten hat, schätzt Tanja aber diese Hilfe-<br />
Erfahrung ihrer Mitschüler als die bisher wichtigste ein.<br />
Tanja erklärt trotzdem, dass ihr Freunde nicht so wichtig seien wie Familie.<br />
Anhand der Interviewaussagen wird trotzdem deutlich, dass gerade dieses<br />
Netzwerk aus Freunden ebenfalls hilfreich gewesen ist, z. B. beim Finden von<br />
Nebenjobs oder auch <strong>eine</strong>s Praktikumsplatzes.<br />
BEZUG ZUR ARBEITSMARKTBEHÖRDE<br />
Tanja ist bei der Arbeitsagentur gemeldet und bezieht ALG II 91 . Tanja hat in der<br />
Arbeitsagentur <strong>eine</strong> konkrete Ansprechpartnerin 92 und steht auch mit dem<br />
Jugendamt in direktem Kontakt. Direkt nach dem Schulabgang traf Tanja mit den<br />
Ansprechpartnern der Behörden die Vereinbarung, dass sie sich auf <strong>eine</strong>n der in<br />
Berlin verfügbaren Ausbildungsplätze für Frauen in schwierigen Lebenslagen<br />
89 vermutlich weil dies zu den privaten Punkten zählt, die sie nicht öffentlich machen will. Möglicherweise<br />
auch, weil dies problembelastet ist. Darüber macht Tanja aber k<strong>eine</strong> Aussage.<br />
90 Diese Einschätzung wird auch durch Tanjas eigene Einschätzung gestützt, die ihre Schule und die<br />
Klassenkameraden in guter Erinnerung hat.<br />
91 Es ist auch bei Tanja unklar, ob sie beim JobCenter (wegen des ALG II-Bezugs) oder bei der<br />
Arbeitsagentur gemeldet ist.<br />
92 Die Ansprechpartnerin von Tanja ist allgemein für die Beratung jugendlicher Spätaussiedler in dem<br />
Arbeitsamtsbezirk zuständig und beim Berufsinformationszentrum (BIZ) angestellt. Sie kannte demzufolge<br />
auch die anderen Interviewpartner.<br />
40
TANJA<br />
bewerben solle 93 . Wunschberuf und vermittelter Ausbildungsberuf waren in<br />
diesem Falle von Tanja identisch. Das bedeutet im günstigsten Falle, Tanja<br />
bekommt vermutlich die Chance, ihre tatsächlichen Berufsziele zu verwirklichen,<br />
trotz der abgebrochenen Schulausbildung. Ein qualifizierter Schulabschluss im<br />
Rahmen der Ausbildung kann nachgeholt werden. Zum Interviewzeitpunkt<br />
existiert noch k<strong>eine</strong> endgültige Zusage des Jugendamtes. Tanja weiß aber bereits,<br />
in welchen Zeitabschnitten sie welche Schritte unternehmen muss. Sollte das<br />
Jugendamt zustimmen, so wird sie in den Sommermonaten <strong>eine</strong> Art Praktikum<br />
absolvieren, in der ihre Eignung überprüft wird. Im Herbst 2006 wird dann die<br />
Ausbildung beginnen.<br />
Tanja hat seit der Vorabsprache direkt nach Schulabgang bisher k<strong>eine</strong>n weiteren<br />
Kontakt zu den Behörden gehabt, vertraut aber auf die Vermittlung der<br />
zuständigen Behörden in die besprochene Ausbildung und darauf, von diesen die<br />
richtigen Informationen und den Weg dorthin aufgezeigt zu bekommen 94 . Die<br />
geringen Informationen über die Ausbildungsstätte, die Art der Ausbildung etc.<br />
lassen vermuten, dass Tanja auch wenige Kenntnisse über Ausbildungswege und -<br />
möglichkeiten hat 95 .<br />
Tanja kann sich auf Nachfrage k<strong>eine</strong> darüber hinausgehenden Hilfen von den<br />
zuständigen Behörden vorstellen. Sie wünscht sich jedoch „berufliche Hilfe“,<br />
damit sie speziell nach der Ausbildung auch <strong>eine</strong> Arbeit bekommt, um sich und<br />
ihr Kind angemessen versorgen zu können.<br />
BEZUG ZU FREIEN TRÄGERN<br />
Aus dem Interview geht hervor, dass Tanja punktuell und gezielt für konkrete<br />
Hilfen die Unterstützung durch Angebote freier Träger aufsucht.<br />
Zum Ende der Schulzeit war dies die in ihrer Schule eingesetzte Sozialarbeiterin,<br />
die zu regelmäßigen Zeitpunkten und schwerpunktmäßig an der Schule arbeitet.<br />
Diese hat den gleichen Zuwanderungshintergrund wie Tanja, spricht demzufolge<br />
die Herkunftssprache und kennt die Integrationsprobleme gut. 96 Mit dieser<br />
Sozialarbeiterin ermittelte sie die beruflichen Möglichkeiten und Zielstellungen,<br />
die sie seit dem konsequent vertritt und weiterverfolgt. Sie hatte seitdem allerdings<br />
k<strong>eine</strong>n Kontakt mehr mit der Sozialarbeiterin.<br />
Einen wohnnahen freien Träger suchte sie gemeinsam mit ihrer Mutter auf, als<br />
diese Unterstützung in der Erstellung von Bewerbungsunterlagen, wie Lebenslauf<br />
und Bewerbungsschreiben, benötigte. Die Mutter bekam daraufhin zumindest<br />
befristet <strong>eine</strong> Beschäftigung in <strong>eine</strong>r ABM-Maßnahme. Tanja würde diesen freien<br />
Träger auch wieder aufsuchen, sofern die Notwendigkeit besteht. Auch Angebote<br />
der DRK-Beratungsstelle kennt und nutzt sie gelegentlich. Bei Bedarf würde sie<br />
diese ebenfalls aufsuchen. Tanja sucht bei den örtlichen freien Trägern ganz<br />
konkrete praktische Unterstützungsleistungen. Wichtig ist ihr auch, dass diese <strong>eine</strong><br />
gute Hilfe leisten, nett und hilfsbereit sind 97 .<br />
93 gesetzliche Grundlage für dieses Angebot ist das KJHG (SGB VIII). Die Bewerbung erfolgt über das<br />
Jugendamt, welches auch die Auswahl der geförderten Jugendlichen und Finanzierung übernimmt. Die<br />
Ausbildung findet unter ganzheitlichen Gesichtspunkten und unter Einbeziehung der individuellen Situation<br />
der jungen Frauen u. a. mit sozialarbeiterischer Betreuung und Förderunterricht statt. (Quelle:<br />
http://www.ausbildungscentrum.cc)<br />
94 Dies steht im Gegensatz zum sonstigen Eindruck, den Tanja vermittelt, wo sie sich stärker auf sich selbst<br />
und ihre Fähigkeiten verlässt oder auf Hilfe aus vertrautem Umfeld zurückgreift.<br />
95 Auch bei Tanja besteht also ein deutliches Informationsdefizit und Beratungsbedarf.<br />
96 Während des Besuches der Schule machte die Sozialarbeiterin den Eindruck <strong>eine</strong>r außerordentlich<br />
engagierten Frau, die bei den Schülern viel Vertrauen besitzt und auch <strong>eine</strong> sehr mütterlich erscheint. Sie<br />
arbeitet engmaschig mit anderen regionalen Stellen zusammen.<br />
97 Diese Kriterien von Engagement und Freundlichkeit (faktisch dem Eingehen auf konkrete Bedürfnisse)<br />
bei der Suche nach Unterstützung hat Tanja mit anderen Interviewten gemeinsam, ebenso das Erleben von<br />
Erfolg bei der Bewerbung wie bei ihrer Mutter. (z.B. Jurij und Murat).<br />
41
TANJA<br />
Insgesamt betrachtet ist Tanja allerdings in k<strong>eine</strong>r dieser Anlaufstellen<br />
kontinuierlich betreut. Sie sucht diese lediglich bei Bedarf auf und verlässt sich im<br />
Übrigen zuerst auf sich selbst und ihre Familie.<br />
GEGENÜBERSTELLUNG DER INSTITUTIONELLEN HILFSANGEBOTE<br />
Im Allgem<strong>eine</strong>n verlässt sich Tanja auf ihre eigenen Fähigkeiten, ein Problem zu<br />
lösen oder Anforderungen zu meistern. Sollte sie dabei Schwierigkeiten haben,<br />
wendet sie sich vorrangig an Vertraute aus dem persönlichen Umfeld, wie die<br />
Mutter oder Freunde. Wo es diesen an Kompetenz mangelt, wird andere<br />
Unterstützung in wohnnahen Beratungsstellen mit niedrigschwelligen Angeboten<br />
gesucht.<br />
Die Angebote der örtlichen freien Träger zur Berufsberatung und Unterstützung<br />
bei Bewerbungen nimmt sie daher punktuell und zielgerichtet in Anspruch. Hier<br />
sucht sie praktische Unterstützung für konkrete Anforderungen wie der<br />
Erstellung von Bewerbungsunterlagen.<br />
Tanja hat bisher nur wenige konkrete Erfahrungen gemacht in ihrem<br />
Übergangsprozess. Sie vertraut im Wesentlichen auf die Absprachen zwischen den<br />
Mitarbeitern der Arbeitsagentur, dem Jugendamt und ihr und konzentriert sich<br />
auf ihre aktuelle Aufgabe als junge Mutter. Sie hat bisher in den Behörden<br />
konstante Ansprechpartner. Die Betreuerin der Arbeitsagentur hat sie bereits<br />
während der Schulzeit kennen gelernt.<br />
3.4.6. Abschließende Aussagen<br />
Tanja zeigt <strong>eine</strong> relativ gering ausgeprägte eigenständige Hilfesuche. Zum<br />
Interviewzeitpunkt ist noch nicht absehbar, ob Tanjas Weg in die Berufswelt<br />
tatsächlich positiv verlaufen wird. Sollte es <strong>eine</strong> Zusage durch die Behörden<br />
geben, so hat Tanja zumindest <strong>eine</strong> gute Chance, trotz Schulabbruch ihre<br />
beruflichen Ziele zu verwirklichen und zusätzlich den Schulabschluss<br />
nachzuholen.<br />
Den Schulabbruch bedauert Tanja zwar inzwischen, nimmt diesen aber als<br />
gegeben hin und sucht damit umzugehen. Das Nachholen des Schulabschlusses<br />
hat sie in ihren bisherigen Zielen trotzdem nicht ernsthaft eingeplant. Wichtiger<br />
ist für sie die Unterstützung nach <strong>eine</strong>r Ausbildung in <strong>eine</strong> Arbeitsstelle, um für<br />
sich und ihr Kind sorgen zu können.<br />
Welche konkrete Rolle die von ihr nicht näher beleuchteten privaten<br />
Problemlagen für die Zukunft einnehmen, ist ungewiss und kann angesichts der<br />
dürftigen Informationslage kaum eingeschätzt werden. Ohnehin setzt Tanja im<br />
Interview klare Grenzen, worüber sie Auskunft geben will und ist damit die<br />
einzige Interviewpartnerin, welche klar das Recht in Anspruch nimmt, über<br />
einzelne Sachverhalte k<strong>eine</strong> Auskunft zu geben. K<strong>eine</strong> Auskünfte gab sie im<br />
Wesentlichen über Privatbereiche, die problembesetzt sind.<br />
3.4.7. Tanjas Kernthema - Zusammenfassung<br />
Da die Schulzeit bei Tanja noch nicht lange zurückliegt, können nur wenig<br />
relevante Aussagen über Bewerbungserfahrungen gemacht hat. Der Fokus liegt in<br />
diesem Interview daher stärker auf schulnahen Themen und weniger auf direkten<br />
Erfahrungen des beruflichen Übergangs.<br />
Tanjas Situation zum Interviewzeitpunkt ist in der Hauptsache durch ihre frühe<br />
Mutterschaft (bereits zum Ende ihrer Schulzeit) geprägt. Sie hat zwar <strong>eine</strong>n klaren<br />
Berufswunsch, aber bisher noch wenige getan, diesen auch umzusetzen. Die<br />
Gründe dafür gibt sie als privat an, womit zum <strong>eine</strong>n das Kümmern um ihr Baby<br />
gemeint ist. Sie gibt jedoch auch private Probleme an, die sie nicht näher erläutert<br />
und über die sie nicht sprechen möchte. Daher kann hier k<strong>eine</strong> Aussage darüber<br />
42
TANJA<br />
erfolgen außer der, dass sie vermutlich auch ursächlich für die geringen<br />
Aktivitäten für den beruflichen Übergang gewesen sind.<br />
Sie hat k<strong>eine</strong>n qualifizierten Schulabschluss, sondern lediglich ein Abgangszeugnis,<br />
trotz der Hilfe, die sie dafür durch ihre Schule und die Mitschüler erfahren hat.<br />
Mit dem Jugendamt und der Arbeitsagentur hat sie <strong>eine</strong> Absprache getroffen über<br />
die Vermittlung in <strong>eine</strong> spezielle Ausbildung für junge Frauen in schwierigen<br />
sozialen Lagen, die sie sogar in ihrem Wunschberuf machen kann. Zum<br />
Interviewzeitpunkt gibt es darüber aber noch k<strong>eine</strong> endgültige Zusage.<br />
43
3.5. OLGA: Also jetzt, wo ich Praktikum mache... will ich noch mehr den Beruf<br />
machen 98<br />
OLGA<br />
3.5.1. Herkunftsregion und Zuwanderung<br />
Olga stammt aus <strong>eine</strong>r ländlichen Gegend des Altai-Gebirges im Süden<br />
Kasachstans, grenznah zu Kirgistan. Der größte Teil der mehrheitlich deutschstämmigen<br />
Bevölkerung ihres Dorfes wanderte bereits zuvor nach Deutschland<br />
aus, so dass sie mit ihrer Familie <strong>eine</strong> der letzten Familien war, die nach<br />
Deutschland ausgesiedelt sind. Die deutsche Sprache hatte sich in der Siedlung in<br />
ihrer altdeutschen Form erhalten und wurde dort aktiv gesprochen.<br />
Die Familie kam 1994 nach Deutschland, lebt also zum Interviewzeitpunkt bereits<br />
ca. 12 Jahre in Deutschland. Olga ist 19 Jahre alt. Sie war zum Zeitpunkt der<br />
Zuwanderung 7 Jahre alt und verbrachte demzufolge den weitaus größten Teil<br />
ihres Lebens bereits in Berlin.<br />
3.5.2. Familiärer Hintergrund<br />
Olga hat <strong>eine</strong>n Stiefvater, der 43 Jahre alt ist. Die Mutter ist 47 Jahre alt. Olgas<br />
Familie ist kinderreich, sie hat 7 Geschwister. Drei Brüder sind älter als sie, <strong>eine</strong>r<br />
jünger. Die drei Schwestern sind jünger als sie. Olga hat in der Geschwisterlinie<br />
<strong>eine</strong> mittlere Position.<br />
Die Familie kam zusammen mit den Großeltern nach Deutschland. Im<br />
Herkunftsland arbeitete der Vater als Bauarbeiter, die Mutter war Hausfrau. Beide<br />
Eltern haben <strong>eine</strong>n mittleren Schulabschluss (10. Klasse). Ob <strong>eine</strong> Ausbildung<br />
absolviert wurde, ist nicht bekannt. Nach der Ankunft in Deutschland war der<br />
Vater zunächst ein Jahr ohne Arbeit und fand dann wieder <strong>eine</strong> Stelle als<br />
Bauarbeiter, absolvierte zwischendurch <strong>eine</strong> Umschulung zum Hausmeister. Die<br />
Mutter arbeitete für mehrere Firmen als Reinigungskraft über <strong>eine</strong> Leiharbeitsfirma.<br />
Nach der Übersiedlung von Berlin nach Niedersachsen, wo sich die Familie<br />
mit dem Bauen <strong>eine</strong>s Hauses niederlassen wollte, arbeiteten beide Elternteile<br />
zunächst in <strong>eine</strong>r Fleischerei. Als diese geschlossen worden war, arbeitete die<br />
Mutter in <strong>eine</strong>r Wäscherei, während der Vater derzeit arbeitslos ist.<br />
Über die Geschwister wurde wenig gesagt im Interview. Die älteren Brüder leben<br />
aber bereits außerhalb des Elternhauses, haben <strong>eine</strong> Familie und gehen <strong>eine</strong>r<br />
Arbeit nach, z. T. in anderen Bundesländern. Zwei jüngere Geschwister leben<br />
noch im Haushalt der Eltern. Olga wohnt zusammen mit ihrem Freund in <strong>eine</strong>r<br />
Wohnung in Berlin-Marzahn. Die Familie pflegt <strong>eine</strong>n regen Kontakt miteinander.<br />
3.5.3. Berufliche Vorstellungen<br />
Olga möchte in jedem Falle <strong>eine</strong> Ausbildung machen. Sie hatte schon seit ihrer<br />
Kindheit <strong>eine</strong> klare Vorstellung davon, welche berufliche Richtung sie einschlagen<br />
will. Sie möchte als Bürokauffrau im Bereich Wirtschaft und Verwaltung arbeiten.<br />
Bereits als Kind setzte sie diese Vorstellung ihres Traumberufes in Spielen um.<br />
Die Eltern unterstützen ihren Berufswunsch und geben ihr weitgehend<br />
emotionalen Rückhalt, um ihre Ziele zu erreichen. Ihnen ist es wichtig, dass Olga<br />
durch Ausbildung <strong>eine</strong>n möglichst guten Start ins Berufsleben findet, möglichst<br />
im Wunschberuf, um k<strong>eine</strong> Hilfstätigkeiten verrichten zu müssen 99 . Andere<br />
Einflüsse auf die Berufswahl sind im Interview nicht auffindbar.<br />
98 Interview, Seite 3 oben<br />
99 In diesem Zusammenhang geben die Eltern Olga den Rat, sie solle kein „Klo putzen“. Dieser Begriff<br />
wurde von allen interviewten jugendlichen Aussiedlern verwendet, zumeist als direkter Hinweis der Eltern<br />
nachgewiesen.<br />
44
3.5.4. Bewerbungserfahrungen<br />
OLGA<br />
BEWERBUNGSAKTIVITÄTEN<br />
Olgas bisherige Aktivitäten seit der Schulzeit sind direkt auf das Erreichen ihres<br />
beruflichen Ziels ausgerichtet.<br />
Schon das Praktikum während der Schulzeit nutzt Olga, um erste Erfahrungen in<br />
ihrem Wunschberuf zu machen. Sie schreibt sogar <strong>eine</strong> reguläre Bewerbung für<br />
dieses Praktikum und arbeitet daraufhin in zwei Arbeitsmarktbehörden ihrer<br />
Region für jeweils <strong>eine</strong> Woche. Obwohl sie dort nicht wie gewünscht im Büro<br />
arbeitet, sondern in der Poststelle, wertet sie diese Tätigkeit im Nachhinein als<br />
Bestätigung ihres Berufswunsches. Sie ist damit von allen Interviewten diejenige,<br />
welche auch das obligatorische Praktikum am Ende der 9. Klasse zielgerichtet<br />
nutzt, um in ihrem Wunschberuf erste Erfahrungen zu machen und diesen damit<br />
<strong>eine</strong>m Praxistest zu unterziehen.<br />
Olga hat bisher allerdings relativ wenige Bewerbungserfahrungen gemacht. Aus<br />
dem Interview wird ersichtlich, dass Olga bisher zwei kurze Bewerbungsphasen<br />
durchlief, jeweils in den Ferienmonaten nach Beendigung <strong>eine</strong>s Schuljahres.<br />
Direkt nach Abschluss der 10. Klasse, die sie mit <strong>eine</strong>m Realschulabschluss<br />
beendet 100 , holte sie sich Rat bei ihren Lehrern, zu denen sie ein gutes Verhältnis<br />
pflegt. Ihr wurde empfohlen, auf <strong>eine</strong>m Oberstufenzentrum das Fachabitur zu<br />
machen. Als die Bewerbungen, die sie in den Ferienmonaten schrieb, k<strong>eine</strong>n<br />
Erfolg im Sinne der Einmündung in ein Ausbildungsverhältnis haben, nimmt sie<br />
die Möglichkeit der Fortsetzung ihrer schulischen Laufbahn auf <strong>eine</strong>m<br />
Oberstufenzentrum (OSZ) wahr. Als die halbjährige Probezeit nicht erfolgreich<br />
verläuft, beschließt sie, in den berufsvorbereitenden Kurs zu wechseln. In diesem<br />
Wunsch wird sie zunächst nicht durch die Lehrer unterstützt 101 , setzt sich aber<br />
schließlich damit durch. Sie nutzt die Zeit nach dem missglückten Fachabitur zur<br />
Verbesserung ihrer Noten und zudem bietet ihr <strong>eine</strong> gewisse Sicherheit 102 . Davon<br />
erhofft sie sich <strong>eine</strong> bessere Startchance im folgenden Ausbildungs-Jahr. Als sie<br />
bei ihren Bewerbungen im folgenden Sommer ebenfalls k<strong>eine</strong>n Erfolg bei der<br />
Ausbildungsplatzsuche hat, nimmt sie die erneut angebotene Möglichkeit <strong>eine</strong>s<br />
berufsvorbereitenden Jahres zur Verbesserung ihrer Noten wahr, welche durch<br />
das zuständige Arbeitsamt vermittelt wurde. Das Praktikum bietet ihr die<br />
Möglichkeit, sich weitere Berufserfahrung anzueignen, wodurch sie sich ebenfalls<br />
mehr Chancen erhofft in ihren weiteren Bewerbungen, ebenso wie von der<br />
nochmaligen Verbesserung besonders ihrer Deutsch-Note 103 .<br />
Olga hat nach eigener Angabe seit ihrem Schulabschluss ca. 20-30 Bewerbungen<br />
geschrieben. Sie geht dabei direkt in die Betriebe, um sich dort vorzustellen 104 und<br />
dort <strong>eine</strong>n ersten positiven Eindruck zu hinterlassen 105 . Von dem positiven<br />
Eindruck ihrer Person verspricht sie sich mehr als von <strong>eine</strong>r formalen<br />
schriftlichen Bewerbung. Adressen für die Bewerbung auf <strong>eine</strong> Lehrstelle wurden<br />
ihr durch ehemalige Schullehrer wie auch durch die Arbeitsmarktbehörde<br />
vermittelt. Daneben informiert sie sich auch über Internetseiten und über ihre<br />
100<br />
Auf dem Abschlusszeugnis hat sie allerdings <strong>eine</strong>n schlechten Notendurchschnitt.<br />
101<br />
Die Lehrerin empfiehlt ihr, aufgrund der schlechten Deutsch-Note zu <strong>eine</strong>m Sprachkurs vor Beginn <strong>eine</strong>r<br />
Ausbildung. Olga lehnt dies ab. Sie fühlt sich ungerecht behandelt und äußert dies auch im Interview<br />
deutlich.<br />
102<br />
auch weil sie nicht „das halbe Jahr zu hause zu sitzen wollte“ (Interview, Seite 14 oben)<br />
103<br />
Dass Olga durch dieses Vorgehen auch Zeitverlieren könnte, wodurch sich ihre Zugangschancen<br />
womöglich verschlechtern könnten, wurde von ihr nirgendwo angesprochen, ist ihr vermutlich damit auch<br />
nicht bewusst.<br />
104<br />
Dies hat sie mit der Mehrheit der Interviewten gemeinsam.<br />
105<br />
Sie zeigt damit ein gut ausgeprägtes Selbstbewusstsein, verspricht sich davon, <strong>eine</strong>n durchweg<br />
positiven Eindruck zu vermitteln.<br />
45
OLGA<br />
Freunde, wo es sich für <strong>eine</strong> Bewerbung lohnen könnte. Olga bespricht ihre<br />
Bewerbungen sowohl mit ehemaligen Schullehrern, als auch mit Mitarbeitern<br />
<strong>eine</strong>r arbeitsweltbezogenen Beratungsstelle für jugendliche Spätaussiedler und der<br />
Vermittlerin der Arbeitsmarktbehörde.<br />
Zentral ist für Olga die Strategie, durch die schrittweise Verbesserung ihrer Noten<br />
und die Aneignung von beruflichen Erfahrungen durch Praktika ihre<br />
Zugangschancen für <strong>eine</strong> Ausbildung zu erhöhen. Diese will sie auch für die<br />
Zukunft so beibehalten. 106<br />
Zum Interviewzeitpunkt ist Olga in <strong>eine</strong>r zweiten berufsvorbereitenden<br />
Maßnahme, die sich nach erneut erfolglosen Bewerbungsversuchen nach dem<br />
Abschluss der ersten Maßnahme im September 2005 anschloss. Sie hat bereits den<br />
größten Teil ihres halbjährigen Praktikums absolviert und den Qualifizierungsanteil<br />
der berufsvorbereitenden Maßnahme noch vor sich. Seit November 2005<br />
schreibt sie bereits Bewerbungen und hat ein erstes Einstellungsgespräch bei<br />
<strong>eine</strong>m <strong>Berliner</strong> Bezirksamt erfolgreich hinter sich gebracht. Sie hofft auf <strong>eine</strong><br />
Zusage für die Ausbildung dort, die aber erst im Juni 2006, also ein halbes Jahr<br />
später, eintreffen wird. Bis dahin wird sie weitere Bewerbungen schreiben. Bisher<br />
hat sie sich bei ihren Bewerbungen auf den <strong>Berliner</strong> Raum beschränkt, auch<br />
wegen ihres Freundes. Falls sie k<strong>eine</strong> Ausbildung finden wird auf mittlere Sicht, ist<br />
sie auch bereit, in ein anderes Bundesland zu wechseln, bevorzugt nach<br />
Niedersachsen, wo ihre Eltern jetzt leben. Unter Umständen wäre sie aber auch<br />
bereit, in <strong>eine</strong> ihr fremde Region zu ziehen oder sogar ins Ausland, wenn sie dort<br />
<strong>eine</strong> fundierte Ausbildung bekommen kann 107 .<br />
NEBENTÄTIGKEITEN<br />
Olga hat weder während der Schulzeit noch danach in Nebenjobs gearbeitet.<br />
BEWERBUNGSERGEBNISSE<br />
Trotz der klaren beruflichen Zielsetzung und ihrer hohen Bereitschaft, in diese<br />
beruflichen Ziele zu investieren, ist Olga die Einmündung in ein<br />
Ausbildungsverhältnis ihres Wunschberufes bis zum Interviewzeitpunkt noch<br />
nicht gelungen 108 .<br />
Die relativ kurzen Bewerbungszeiträume lediglich in den Sommermonaten<br />
zwischen den Lehrgängen ließen sich evtl. so erklären, dass Olga zunächst an der<br />
Verbesserung ihrer schlechten Schulnoten interessiert ist, um schließlich doch<br />
noch ihren Berufswunsch umsetzen zu können, bevor sie zu intensiveren<br />
Bewerbungsaktivitäten übergeht. Besonders die schlechte Deutschnote 109 hinderte<br />
sie bisher daran. Diese Annahme wird durch die Aussage verstärkt, dass sie die<br />
Absagen auf ihre Bewerbungen direkt nach der Schulzeit wegen dieser<br />
Deutschnote bereits erwartet hatte 110 . Zu dieser Zeit war sie daher stärker an der<br />
Fortführung ihrer schulischen Laufbahn interessiert und ihre<br />
Bewerbungsbemühungen auf <strong>eine</strong> Ausbildungsstelle eher halbherzig. Ihre<br />
Bewerbungsaktivitäten verstärken sich zum Ende des Praktikums des zweiten<br />
106 „Naja... ich würd... immer Praktikum machen, bis ich ne... (...), wenn ich nix finde, Job... jobben oder<br />
irgendwelche Praktikum machen. Vielleicht ergibt sich dadurch irgendwas. Also nicht zu Hause sitzen. (...),<br />
in der Ecke sitzen, wär nichts, also...“ Interview, Seite 33 unten<br />
107 Aufgrund ihrer geringen Englischkenntnisse hätte sie aber vermutlich auch nur geringe Chancen, <strong>eine</strong><br />
Ausbildung außerhalb Deutschlands zu bekommen.<br />
108 Olga hat auf dem Abschlusszeugnis <strong>eine</strong> Fünf in Deutsch. Für <strong>eine</strong> Ausbildung in der Verwaltung wäre<br />
jedoch <strong>eine</strong> gute Deutschnote notwendige Voraussetzung.<br />
109 Siehe Fußnote 108.<br />
110 „Also wenn man Deutsch auf dem Zeugnis (...) Fünf, und du bewirbst dich bei der Bürokauffrau, dann<br />
meint man... ja, mit der Fünf, da anzukommen, da kriegt man bestimmt ne Absage“ Interview, Seite 13 oben<br />
46
OLGA<br />
berufsvorbereitenden Lehrgangs 111 , da sie dieses Ziel inzwischen erreicht hat. Mit<br />
dem positiven Ausgang des Einstellungstests in <strong>eine</strong>m <strong>Berliner</strong> Bezirksamt hat sie<br />
auch schon die erste Hürde für die Aufnahme in ein Ausbildungsverhältnis<br />
genommen, welches ihrem Berufswunsch entspricht.<br />
Olga insgesamt betrachtet zwei so genannte „Warteschleifen“ durchlaufen und<br />
diese dazu genutzt, um ihre Noten und damit ihre Zugangsvoraussetzungen zu<br />
verbessern.<br />
BEWERTUNG DER BISHERIGEN ERFAHRUNGEN<br />
Auf Absagen war Olga nach eigener Aussage nicht vorbereitet 112 . Sie nimmt diese<br />
jedoch bisher „ganz locker“ und konzentriert sich nicht lediglich auf <strong>eine</strong>n Betrieb,<br />
sondern bewirbt sich in mehreren Betrieben. Sie gibt sich flexibel und beweist<br />
außerdem <strong>eine</strong> ziemlich große Frustrationstoleranz, die sicher auch darauf<br />
zurückzuführen ist, dass sie in ihrem privaten Umfeld Unterstützung und<br />
Rückhalt findet. Ihr ist wichtig, dass sie nicht „zuhause sitzt“ und sich aktiv um die<br />
Umsetzung ihrer beruflichen Ziele bemüht.<br />
Als Empfehlung für andere Jugendliche formuliert sie daher ein aktives Bemühen<br />
und die Entwicklung vielfältiger Strategien, wie das persönliche Abgeben von<br />
Bewerbungen, um <strong>eine</strong>n ersten Eindruck von sich zu geben. Praktika und Jobs<br />
könnten den Weg zu <strong>eine</strong>r Ausbildungsstelle ebnen, weil der Betrieb sich damit<br />
ein erstes Bild von der Leistungsfähigkeit des Bewerbers machen könne. auf<br />
k<strong>eine</strong>n Fall dürfe man „zu Hause sitzen“. Und auch ein forderndes Auftreten 113<br />
findet sie eher nachteilig. Dafür sei gutes Aussehen, Freundlichkeit, Pünktlichkeit<br />
und die Bereitschaft, sich beraten zu lassen, wichtig für <strong>eine</strong>n erfolgreichen<br />
Einstieg ins Berufsleben.<br />
3.5.5. Hilfenachfrage und -wahrnehmung<br />
ALLGEMEINE STRATEGIEN ZUR HILFESUCHE<br />
Olga kann auf ein breites Netzwerk von Hilfen zurückgreifen. Emotionalen<br />
Rückhalt findet sie insbesondere in ihrer Familie, aber auch im Freundeskreis hat<br />
sie Rückhalt.<br />
Ergänzende Hilfe sucht und findet Olga in Institutionen wie der Schule, bei ihren<br />
ehemaligen Lehrern, <strong>eine</strong>r arbeitsweltbezogenen Beratungsstelle im Sozialraum<br />
und auch in der Arbeitsmarktbehörde.<br />
RÜCKHALT IN DER FAMILIE UND IM FREUNDESKREIS<br />
Die Eltern sind zwar fortgezogen, noch bevor Olga die Schule beendet hatte, so<br />
dass sie frühzeitig in mancherlei Hinsicht auf sich allein gestellt war. Aber durch<br />
gegenseitige Besuche und Telefonate ist der Kontakt zu den Eltern und<br />
Geschwistern erhalten geblieben. Sie kann sich in jeder Hinsicht auf deren<br />
Unterstützung verlassen und wird motiviert, sich weiterhin um ihren beruflichen<br />
Übergang zu bemühen, auch wenn dieser sich schwierig gestaltet und nicht<br />
nahtlos an die Beendigung der Schulzeit anschließt. Insbesondere wird Olga in<br />
ihrem Bemühen um möglichst gute Abschlussnoten gestärkt. Hier wird wie bei<br />
anderen jugendlichen Aussiedlern auch die Orientierung an <strong>eine</strong>m Bildungsideal<br />
deutlich, welches aus dem Herkunftsland mitgebracht wurde. Die Grenzen der<br />
111 In diesen Zeitraum fiel auch das Interview.<br />
112 Dies widerspricht vordergründig der im vorigen Abschnitt gemachten Aussage, nach der sie die<br />
Absagen wegen ihrer Deutschnote eher erwartet hatte. In diesem Falle geht es allgemein darum, dass sie<br />
nicht erwartet hatte, so viele Ablehnungen zu bekommen, es also so schwer sein würde, <strong>eine</strong>n<br />
Ausbildungsplatz zu bekommen.<br />
113 unter dem Motto „ich kann viel, nehmt mich“, Interview, Seite 32 unten<br />
47
OLGA<br />
elterlichen Hilfe sind dort zu finden, wo es um praktische Hilfen im<br />
Bewerbungsprozess geht. Da die Eltern ebenfalls Probleme in der beruflichen<br />
Integration in Deutschland haben und bislang k<strong>eine</strong> dauerhafte Anstellung<br />
fanden, können sie zwar Ratschläge und emotionalen Halt bieten, aber kaum<br />
helfen hinsichtlich der Möglichkeiten, <strong>eine</strong> Ausbildung zu finden.<br />
Auch der Freundeskreis gibt Olga Rückhalt, der nicht nur die Möglichkeit bietet,<br />
sich neben privaten Themen auch über die bisherigen Erfahrungen im<br />
Bewerbungsprozess auszutauschen und sich damit gegenseitig zu stützen. Aus den<br />
Aussagen Olgas geht hervor, dass man sich untereinander solidarisch zeigt,<br />
Informationen austauscht über Adressen von Betrieben oder Internetseiten und<br />
sich auch gegenseitig zu Behörden begleitet. Es ist insbesondere die Gemeinsamkeit<br />
des Erlebens gleichartiger Erfahrungen und das Durchleben <strong>eine</strong>r<br />
gemeinsamen Lebensphase, die den Rückhalt bietet.<br />
BEZUG ZUR ARBEITSMARKTBEHÖRDE<br />
Olga hatte schon während ihrer Schulzeit erstmals Kontakt mit <strong>eine</strong>r Mitarbeiterin<br />
des damaligen Arbeitsamtes. Diese war Ansprechpartnerin der Behörde in der<br />
Schule, wo sie auch <strong>eine</strong> Beratung anbot. Bei dieser Gelegenheit suchte auch Olga<br />
erstmals mit ihr Kontakt. Bis zum Interviewzeitpunkt blieb diese Mitarbeiterin<br />
auch Olgas Ansprechpartnerin. Nach Aussage Olgas suchte sie sich Hilfe, wenn<br />
nötig, meist zuerst dort. Die Beratung und Vermittlung von Ausbildungsadressen<br />
verlief bisher ausschließlich zu Olgas tatsächlichem Wunschberuf. Sie wurde nicht<br />
auf ausweichende Berufsfelder gelenkt. Auch die Vermittlung in so genannte Ein-<br />
Euro-Jobs (MAE) stand für sie nie zur Diskussion 114 . Von dieser fühlte sie sich<br />
gut beraten und betreut und fand diese „ganz nett“. Aus den Äußerungen Olgas<br />
geht somit ein deutlich positiver Bezug zu dieser Mitarbeiterin hervor. Zum<br />
Interviewzeitpunkt hat Olga die Information darüber, dass inzwischen <strong>eine</strong> neue<br />
Mitarbeiterin für sie zuständig ist, die sie aber noch nicht kennengelernt hat. Olga<br />
äußert von sich aus k<strong>eine</strong>rlei Kritik oder Veränderungswünsche an den<br />
Arbeitsmarktbehörden. Dies bestätigt die deutlich positiven Äußerungen über ihre<br />
Erfahrungen mit der Behörde.<br />
Es gibt k<strong>eine</strong> Aussage darüber, ob Olga den Unterschied zwischen den neuen<br />
Zuständigkeiten von Arbeitsagentur und JobCenter kennt. Sie nennt durchgehend<br />
die inzwischen veraltete Bezeichnung „Arbeitsamt“.<br />
BEZUG ZU FREIEN TRÄGERN UND ZUR EHEMALIGEN SCHULE<br />
Ergänzend zu den Arbeitsmarktbehörden sucht Olga Unterstützung sowohl bei<br />
den Lehrern ihrer Schule als auch in der arbeitsweltbezogenen Beratungsstelle, die<br />
insbesondere für ihre Zielgruppe geschaffen wurde.<br />
Ihre Lehrer sucht Olga auch nach Beendigung der Schulzeit auf, um dort Rat zu<br />
suchen, was sie tun soll, um <strong>eine</strong> Ausbildung zu bekommen. Zurückzuführen ist<br />
dies insbesondere darauf, dass sie sich während ihrer Schulzeit gut beraten und<br />
betreut fühlte. Sie erzählt über die Vorbereitung während des Unterrichtes auf die<br />
Bewerbungszeit. Es gab Bewerbungstrainings, die ihr in Erinnerung geblieben<br />
sind, Verhaltenstraining für Vorstellungsgespräche und insbesondere im<br />
Deutschunterricht wurde das Schreiben von Bewerbungen geübt. Die Lehrer<br />
gaben darüber hinaus Hinweise und Tipps für Bewerbungen, vergaben auch<br />
schon Adressen für Bewerbungen und halfen bei der Korrektur. Die Lehrer<br />
waren damit in jeglicher Hinsicht Ansprechpartner. Olga fühlte sich dort gut<br />
114 Gegen die Übernahme <strong>eine</strong>r solchen Tätigkeit protestiert Olga heftig.<br />
48
OLGA<br />
betreut. Durch die Schule bekam sie auch die Empfehlung für das Fachabitur und<br />
bewarb sich bei den empfohlenen Adressen der OSZ.<br />
Weniger gut sind Olgas Erinnerungen an die darauf folgende Zeit im OSZ bei<br />
ihrem Versuch, das Fachabitur zu machen und in dem Zusammenhang ihre<br />
Deutschzensur zu verbessern. Sie kam nach eigener Aussage im Unterricht nicht<br />
mit, und besonders im Deutschunterricht hatte sie erneut Probleme. Als sie das<br />
Probejahr nicht schafft, möchte sie in den bereits laufenden berufsvorbereitenden<br />
Lehrgang wechseln, wie dies andere Klassenkameraden ebenfalls tun 115 , um k<strong>eine</strong><br />
Zeit zu verlieren und nicht „zu Hause sitzen“ zu müssen. Die Lehrerin lehnt ab,<br />
weil sie der Meinung ist, sie solle zuerst <strong>eine</strong>n Sprachkurs besuchen und erst im<br />
Folgejahr diesen Lehrgang besuchen. Olga fühlt sich von ihr falsch behandelt und<br />
erst die Unterstützung durch die Geschäftsführung und ihre Mutter helfen ihr, das<br />
Vorhaben umzusetzen.<br />
Die Beratungsstelle kennt Olga ebenfalls bereits seit der Schulzeit über andere<br />
Angebote des Zentrums wie den Jugendklub. Dort kann sie jederzeit in die<br />
Beratung gehen, insbesondere seit sie im selben Haus ihr Praktikum absolviert. Sie<br />
bespricht dort mit den beiden Mitarbeitern Bewerbungen, korrigiert diese etc.<br />
GEGENÜBERSTELLUNG DER INSTITUTIONELLEN HILFSANGEBOTE<br />
Olga ist insgesamt zufrieden mit den Hilfen, die sie bekommt und hat nach<br />
eigener Auskunft k<strong>eine</strong>n Bedarf auf weitere Hilfen. Sie hat alle Hilfe bekommen,<br />
alle Fragen beantwortet und erfahren, was sie wissen wollte und Adressen, wo sie<br />
sich bewerben kann 116 .<br />
Die größte Hilfe findet Olga nach eigener Aussage bei der zuständigen<br />
Mitarbeiterin der Arbeitsmarktbehörde genauso wie in der Beratungsstelle des<br />
freien Trägers. Gut betreut fühlt sie sich ebenso bei den Lehrern ihrer ehemaligen<br />
Schule. Sie findet hier konkrete Unterstützung für die gegenwärtigen Aufgaben<br />
und fühlt sich dort in guten Händen.<br />
Auffällig für Olga ist vor allen Dingen, dass sie dort, wo sie bisher gute<br />
Erfahrungen gemacht hat und sich gut behandelt fühlt, auch immer wieder gern<br />
zurückgeht, um erneut um Hilfe nachzufragen. Sie sucht Hilfe also dort, wo sie<br />
bisher gute Erfahrung gemacht hat, womit sie ein gutes Gefühl verbindet und<br />
<strong>eine</strong>n positiven Bezug hat.<br />
3.5.6. Abschließende Aussagen<br />
Olga sucht in der Institution Schule insbesondere auch <strong>eine</strong> gewisse Sicherheit<br />
oder Halt. Das „zuhause sitzen“ ist ihr offenkundig unheimlich. Ob dies darauf<br />
zurückzuführen ist, dass sie dann vollständig auf sich allein gestellt ist, kann nicht<br />
eindeutig gesagt werden, kann aber immerhin vermutet werden. Olga fürchtete<br />
vermutlich das Herausfallen aus <strong>eine</strong>m institutionellen Rahmen, wie die Schule ihn<br />
darstellte. Die Zeit nach dem Probejahr für das Fachabitur hätte für Olga zu <strong>eine</strong>n<br />
Bruch mit ungewissem Ausgang werden könne.<br />
Olga bemüht sich darum, die Zeiten des Übergangs ohne <strong>eine</strong> Ausbildung auch<br />
dadurch zu nutzen, um sich zu in schulischen Leistungen verbessern und nicht in<br />
der Luft zu hängen.<br />
Insgesamt setzt Olga auf ein eher konformes Verhalten. Sie kooperiert mit den ihr<br />
verfügbaren Hilfestellen und bemüht sich auch darum, die an sie gestellten<br />
Forderungen umzusetzen.<br />
115<br />
Olga spricht von den anderen „Russen“. Offenbar hatten einige junge Aussiedler ebenfalls Probleme,<br />
das Fachabitur zu schaffen.<br />
116<br />
„eigentlich alles, was ich... also was ich fragen wollte, oder erfahren wollte... hab ich immer Adressen<br />
bekommen eigentlich.“ Interview, Seite 29 unten<br />
49
OLGA<br />
3.5.7. Olgas Kernthema - Zusammenfassung<br />
Olga absolvierte zum Interviewzeitpunkt nach ihrem Schulabschluss bereits zum<br />
zweiten Mal ein Berufsvorbereitungsjahr. Grundthema des Interviews mit Olga<br />
war die Verbesserung ihrer Zugangschancen durch Fortführung ihrer schulischen<br />
Laufbahn. Sie hat die Schule mit <strong>eine</strong>m Realschulabschluss beendet. In den<br />
Hauptfächern Deutsch und Mathematik waren ihre Abschlussnoten dabei aber<br />
unbefriedigend. Olgas Ziele direkt im Anschluss an die Schulzeit waren daher auf<br />
die Verbesserung dieser Noten ausgerichtet. Auf Anraten ihrer Lehrer versuchte<br />
sie zunächst ein Fachabitur. Als sie das Probejahr nicht bewältigte, bemühte sie<br />
sich um den Wechsel in <strong>eine</strong>n anderen Lehrgang, der ihr zur Verbesserung ihrer<br />
Schulnoten geeignet erschien. Als <strong>eine</strong> Lehrerin dies mit der Begründung<br />
ablehnte, sie solle zunächst <strong>eine</strong>n Deutschkurs besuchen, konnte sie dies<br />
Vorhaben erst mit Unterstützung durch die Geschäftsführung und der Eltern<br />
durchsetzen. Olga absolvierte auch danach erneut ein Berufsvorbereitungsjahr, bis<br />
sie die Noten erreichte, die ihr für <strong>eine</strong> erfolgreiche Bewerbung geeignet schienen<br />
und begann erst jetzt, sich verstärkt auf Ausbildungsplätze zu bewerben.<br />
Die Verlängerung ihrer Schullaufbahn diente Olga damit überwiegend der<br />
Verbesserung der für die Bewerbung wesentlichen Schulnoten und damit ihrer<br />
Zugangschancen. Da es ihr nicht möglich war, mit den erreichten Schulleistungen<br />
direkt in <strong>eine</strong> Ausbildung einzumünden, dienten ihr diese Schritte, um den Weg<br />
dorthin zu erleichtern und ihre Chancen zu verbessern.<br />
Olga hatte außerdem schon früh viel Verantwortung für ihr eigenes Leben zu<br />
übernehmen, als ihre Eltern schon kurz vor ihrem Schulabschluss in ein anderes<br />
Bundesland zogen. Bis zur Volljährigkeit war sie noch in der Obhut ihrer<br />
Großmutter, die aber danach ebenfalls fortzog. Sie konnte wegen des weiterhin<br />
engen Kontaktes zu ihrer Familie trotzdem auf <strong>eine</strong>n guten elterlichen Rückhalt<br />
vertrauen und suchte sich beizeiten aus eigenem Bemühen auch<br />
Hilfemöglichkeiten außerhalb bei ihren Lehrern, der Ansprechpartnerin der<br />
Arbeitsmarktbehörde oder in der zielgruppenspezifischen Beratungsstelle des<br />
DRK.<br />
50
4. Fallbeschreibungen der türkischen Jugendlichen<br />
4.1. Soziodemographische Übersicht<br />
Fallbeschreibungen der türkischen Jugendlichen<br />
Name Murat Tarik<br />
Geschlecht männlich männlich<br />
Alter 18 Jahre 18 Jahre<br />
Wohnbezirk Schöneberg-Süd<br />
(Lichtenrade)<br />
Spandau<br />
Herkunft Türkei (kurdisch) Griechenland (türkisch)<br />
Geburtsort Berlin Thessaloniki<br />
Zeit in Deutschland von Geburt an<br />
Schuldaten<br />
fast von Geburt an<br />
Schulabgangsjahr 2004 (2003?) 2005<br />
Art Schulabschluss Hauptschule (erweitert) Abgangszeugnis<br />
Schultyp Hauptschule und<br />
Realschule<br />
2 Gesamtschulen<br />
weiterer Schulbesuch Obertstufenzentrum<br />
Berufsvorbereitungsjahr:<br />
(abgebrochen)<br />
Berufsziele<br />
Hauptschulabschluss<br />
Berufswunsch Einzelhandelskaufmann Automechaniker<br />
Berufsorientierung ja, unbedingt Ausbildung ja, unbedingt Ausbildung<br />
höchstes Abschlussziel Facharbeiter Facharbeiter<br />
Branche kaufmännischer Bereich<br />
Familienhintergrund<br />
Automobilbranche,<br />
handwerklich, selbständig<br />
Geschwisterlinie Ältester<br />
Ältester<br />
(1 jüngere Schwester)<br />
(3 jüngere Geschwister)<br />
Herkunft Stadt-Land ländliche Gegend Großstadt<br />
Berufsstatus V: Zeitungskiosk;<br />
V: arbeitslos (krank)<br />
M: Hausfrau<br />
M: Hausfrau (krank)<br />
51
Fallbeschreibungen der türkischen Jugendlichen<br />
Name Dunya Dilan<br />
Geschlecht weiblich weiblich<br />
Alter 17 Jahre 18 Jahre<br />
Wohnbezirk Schöneberg-Nord<br />
(Schöneberg)<br />
Reinickendorf<br />
Herkunft Türkei (kurdisch) Türkei (kurdisch)<br />
Geburtsort Berlin Berlin<br />
Zeit in Deutschland von Geburt an von Geburt an<br />
Schuldaten<br />
Schulabgangsjahr 2004 (?) 2005<br />
Art Schulabschluss Abgangszeugnis 7. Kl. Realschule<br />
Schultyp Hauptschule (?) Gesamtschule<br />
weiterer Schulbesuch k<strong>eine</strong> Berufsvorbereitungsjahr:<br />
3monatiges Praktikum<br />
Berufsziele<br />
Berufswunsch Kosmetikerin Einzelhandelskauffrau<br />
Berufsorientierung im Prinzip ja, aber auch<br />
familiäre Rolle<br />
höchstes Abschlussziel Schulabschluss, danach fraglich<br />
(Ausbildung vs. traditionelle<br />
Rolle)<br />
ja, unbedingt Ausbildung<br />
Facharbeiter<br />
Branche kundennahe Dienstleistung kaufmännischer Bereich<br />
(Kaufhaus)<br />
Familienhintergrund<br />
Geschwisterlinie Jüngste (7 ältere Geschwister) fast Jüngste (8 ältere, 1 jüngere<br />
Schwester)<br />
Herkunft Stadt-Land ländliche Gegend ländliche Gegend<br />
Berufsstatus V: unbekannt (Rückkehr)<br />
M: arbeitsunfähig, Rente<br />
V: Rentner<br />
M: Rentnerin<br />
52
MURAT<br />
4.2. MURAT: „Mal hier, mal da so aushelfen, damit ich nicht zu hause<br />
rumsitze“ 117<br />
4.2.1. Herkunftsregion der Eltern<br />
Murat wurde als Sohn türkischer Einwanderer in Berlin geboren. Der Vater<br />
wanderte als Georgier türkischer Nationalität nach Deutschland ein. S<strong>eine</strong><br />
Mutter zählte zur kurdischen Minderheit in der Türkei. Beide Eltern<br />
stammen aus <strong>eine</strong>r ländlichen Gegend.<br />
Murat kann als ein Vertreter der 2. Generation gesehen werden. Er hat<br />
selbst k<strong>eine</strong> Migrationserfahrungen gemacht, wuchs in Berlin auf und ging<br />
dort auch zur Schule.<br />
4.2.2. Familiärer Hintergrund<br />
Die Eltern haben sich im Berlin der 70er Jahren kennengelernt und dort<br />
auch geheiratet. Der Vater ist heute 50 Jahre alt, betreibt als selbständiger<br />
Unternehmer <strong>eine</strong>n Zeitungsladen in Berlin. Die Mutter, 41 Jahre alt, ist<br />
Hausfrau. Murat hat <strong>eine</strong> jüngere Schwester, die noch schulpflichtig ist.<br />
Über den Bildungs- und Ausbildungshintergrund der Eltern ist nichts<br />
bekannt.<br />
Die Wohnsituation ist nach Auskunft Murats zufriedenstellend. Er selbst<br />
hat ein eigenes Zimmer in der Wohnung der Eltern. Die Familie ist in den<br />
vergangenen Jahren mehrfach umgezogen, so dass Murat mit mehreren<br />
<strong>Berliner</strong> Stadtbezirken vertraut ist, wie Kreuzberg, Wedding und<br />
Lichtenrade. Gründe für die häufigen Umzüge wurden nicht genannt.<br />
4.2.3. Berufliche Vorstellungen<br />
Murats ursprünglicher Berufwunsch ist Einzelhandelskaufmann. Er<br />
entwickelte diesen Wunsch durch die Erfahrung als Aushilfe im<br />
Zeitungsladen s<strong>eine</strong>s Vaters, wo er bereits während der Schulzeit hin und<br />
wider arbeitete und dies nach dem Schulabschluss sporadisch fortsetzte.<br />
Dabei machte er die positive Erfahrung, dass die Tätigkeit ihm prinzipiell<br />
liegt, dass er den Umfang der Arbeiten einschätzen kann und diese auch<br />
bewältigt. Diese Erfahrungen überträgt er auf s<strong>eine</strong>n Wunschberuf.<br />
Übergreifend gesehen präferiert Murat <strong>eine</strong> Bürotätigkeit, lässt somit auch<br />
<strong>eine</strong> gewisse Breite an Auswahlmöglichkeiten zu, wie z.B. Reisekaufmann.<br />
Direkt darauf angesprochen, hat er zum Interviewzeitpunkt jedoch wenige<br />
Vorstellungen von s<strong>eine</strong>n konkreten beruflichen Zielen und ist<br />
entsprechend unschlüssig.<br />
Hauptmotivation für s<strong>eine</strong> Berufswahl ist die Übereinstimmung mit s<strong>eine</strong>n<br />
Fähigkeiten, weil <strong>eine</strong> Tätigkeit außerhalb dessen ihm „nichts bringen“<br />
würde. Außerdem möchte er k<strong>eine</strong> „schmutzige“ Tätigkeit ausüben. Dies<br />
korrespondiert besonders mit s<strong>eine</strong>r äußerlich tadellosen und modischen<br />
Erscheinung. Sein Vater unterstützt die Berufsausrichtung auf <strong>eine</strong><br />
Bürotätigkeit. Murat schließt aber aus, dauerhaft in <strong>eine</strong>m Zeitungsladen wie<br />
dem s<strong>eine</strong>s Vaters zu arbeiten. Er möchte lieber <strong>eine</strong> richtige Ausbildung<br />
absolvieren. Aus welchen Gründen er die weitere Tätigkeit im Laden s<strong>eine</strong>s<br />
Vaters ablehnt, ist dabei nicht bekannt 118 .<br />
117 Interview, Seite 5 unten<br />
118 Er entspricht in s<strong>eine</strong>r beruflichen Orientierung damit denen der deutschen Bewerber, nicht dem<br />
beruflichen Muster der Einwanderergeneration, der Generation s<strong>eine</strong>r Eltern.<br />
53
4.2.4. Bewerbungserfahrungen<br />
MURAT<br />
BEWERBUNGSAKTIVITÄTEN<br />
Nach <strong>eine</strong>m relativ missglückten Schulabschluss 119 ermuntert ihn ein Lehrer,<br />
zu probieren, ob er den Realschulabschluss auf <strong>eine</strong>m der <strong>Berliner</strong><br />
Oberstufenzentren schafft, womit s<strong>eine</strong> Zugangsvoraussetzungen für <strong>eine</strong><br />
Ausbildung sich deutlich verbessern würden. Selbständig sucht er sich,<br />
gemeinsam mit <strong>eine</strong>m Cousin, das passende OSZ, bewirbt sich und wird<br />
angenommen. Er schafft jedoch das Probejahr nicht und begründet dies mit<br />
persönlichem Stress, dessen Ursache lediglich angedeutet wird 120 . Murat<br />
weiß heute, dass das ein Fehler war und gibt sich selbst die Schuld dafür.<br />
Mit den Bewerbungen auf Ausbildungsstellen begann Murat erst nach<br />
diesem missglückten Versuch <strong>eine</strong>r Verbesserung s<strong>eine</strong>s Schulabschlusses<br />
und s<strong>eine</strong>r Noten. Vermittelt durch <strong>eine</strong>n Straßensozialarbeiter geht er zur<br />
mobilen Beratung <strong>eine</strong>s freien Trägers 121 und schreibt dort Bewerbungen,<br />
sieht sich Berufsbeschreibungen an und spricht das weitere Vorgehen<br />
durch. Intensität und Kontinuität s<strong>eine</strong>r Bewerbungsbemühungen wechseln<br />
phasenweise. Für unbestimmte Zeitabschnitte schickt er Bewerbungen und<br />
bemüht sich um Mitarbeit. Aber er hat auch Phasen, in denen er dies nicht<br />
mehr tut. Gründe dafür werden im Interview nicht benannt.<br />
S<strong>eine</strong> Bewerbungsbemühungen konzentrieren sich hauptsächlich auf<br />
schriftliche Bewerbungen. Diese schreibt er entweder gemeinsam mit den<br />
Sozialarbeitern oder mit <strong>eine</strong>m Cousin, der sich in <strong>eine</strong>r ähnlichen Lage wie<br />
er selbst befindet. Da sein bisheriger Wunschberuf sich wegen der<br />
schlechten schulischen Voraussetzungen nicht realisieren ließ, orientiert er<br />
sich seit kurzem um und bewirbt sich auf Praktika, über die er<br />
Arbeitserfahrungen sammeln möchte, die ihm im Bewerbungsprozess<br />
weiter helfen sollen. Er hofft, durch die „Bewährung“ im Arbeitsprozess zu<br />
<strong>eine</strong>m Ausbildungsplatz zu kommen. Neben schriftlichen Bewerbungen<br />
sucht er sich bewusst Geschäfte aus, die ihn interessieren, und fragt dort<br />
direkt nach Ausbildungsmöglichkeiten. Auch sein Vater fragt im<br />
Verwandten- und Bekanntenkreis nach. Er fragt nach <strong>eine</strong>r gewissen Zeit<br />
auch erneut nach, wo er ablehnende Auskünfte erhalten hatte. Initiativbewerbungen<br />
hat Murat noch nicht geschrieben.<br />
Aufgrund der bisher negativen Bewerbungserfahrungen ist Murat zum<br />
Interviewzeitpunkt in <strong>eine</strong>r Phase des Überdenkens von Alternativen zu<br />
s<strong>eine</strong>n bisherigen Zielen. Er konzentriert sich inzwischen mit Unterstützung<br />
der Beratung des mobilen Jobberatungsteams in der Bewerbung auf<br />
Praktika und orientiert sich auf Ausbildungsberufe, die s<strong>eine</strong>m schulischen<br />
Leistungsstand entsprechen. Mehrfach wiederholt er an verschiedenen<br />
Stellen des Interviews, dass ihm inzwischen egal sei, welchen Beruf er lernt.<br />
„Hauptsache <strong>eine</strong> Ausbildung. Ich will einfach nur <strong>eine</strong> Ausbildung.“ 122 .<br />
ERGEBNISSE DER BISHERIGEN BEWERBUNSGEN<br />
Einladungen zu <strong>eine</strong>m Vorstellungsgespräch in s<strong>eine</strong>m Wunschberuf hatte<br />
Murat bisher noch nicht durch s<strong>eine</strong> Bewerbungen bekommen.<br />
119<br />
Er hat mehrere Fünfen auf dem Zeugnis, so u. a. im Hauptfach Mathematik und in 2<br />
naturwissenschaftlichen Fächern<br />
120<br />
Mit den dortigen Freunden hat er „viel Quatsch“ gemacht, fühlt sich darüber hinaus durch <strong>eine</strong>n<br />
Lehrer abgelehnt und lernt dort auch s<strong>eine</strong> jetzige Freundin kennen<br />
121<br />
<strong>eine</strong> mobile Jugendberufsberatung, welche zu festen Zeiten in verschiedenen Einrichtungen der<br />
Region Schöneberg, meist Jugendeinrichtungen, Beratungen anbietet.<br />
122<br />
Interview, Seite 3 unten<br />
54
MURAT<br />
Vorstellungsgespräche gab es bei Firmen, die Vertretertätigkeiten in <strong>eine</strong>r<br />
Regionalzeitung annonciert hatten. Eine Tätigkeit im Haustür-Verkauf kann<br />
er sich jedoch nicht vorstellen. Murat möchte lieber <strong>eine</strong> Ausbildung<br />
machen, die ihm <strong>eine</strong> Zukunftschance gibt.<br />
NEBENTÄTIGKEITEN<br />
Neben den Bewerbungsaktivitäten arbeitet Murat im Zeitungsladen s<strong>eine</strong>s<br />
Vaters. die Initiative dazu ging von s<strong>eine</strong>m Vater aus. Er sollte nicht zu<br />
Hause „rumsitzen“, sondern aktiv werden. Die ersten Arbeitserfahrungen<br />
machte er hier bereits während der Schulzeit. Er übt diese Tätigkeit jedoch<br />
nur sporadisch und auf Abruf aus 123 , nicht regelmäßig. Trotz der guten<br />
Erfahrungen, kann er sich diese Tätigkeit nicht als berufliche Perspektive<br />
vorstellen. Auch hier ist die Begründung, dass er in jedem Falle <strong>eine</strong><br />
Ausbildung absolvieren möchte, um sich <strong>eine</strong> berufliche Zukunft zu<br />
sichern.<br />
BEWERTUNG DER BISHERIGEN ERFAHRUNGEN UND WEITERES<br />
VORGEHEN<br />
Murat ist allgemein ziemlich frustriert und enttäuscht über s<strong>eine</strong> bisher<br />
ausschließlich negativen Erfahrungen mit s<strong>eine</strong>n Bewerbungsbemühungen<br />
124 . Zudem gerät er zunehmend unter Druck aus s<strong>eine</strong>m privaten<br />
Umfeld, von den Eltern wie von den Freunden. Besonders aber scheint ihn<br />
der Druck von s<strong>eine</strong>r Freundin zu belasten. Er fühlt sich unwohl und<br />
zunehmend unsicher in der Orientierung, s<strong>eine</strong> nähere Zukunft zu<br />
gestalten. Obwohl er aber einsieht, dass der Grund für s<strong>eine</strong> bisherigen<br />
Bewerbungsbemühungen in s<strong>eine</strong>n schlechten Schulnoten liegt, lehnt er<br />
<strong>eine</strong>n erneuten Schulbesuch zum Nachholen s<strong>eine</strong>s Realschulabschlusses (z.<br />
B. an <strong>eine</strong>r VHS) ab. Die Gründe lassen sich aus den Antworten nicht<br />
eindeutig ableiten. Es entsteht im Gesamtinterview jedoch deutlich der<br />
Eindruck, dass der familiäre Druck, <strong>eine</strong>m bestimmten Rollenverhalten zu<br />
entsprechen, ganz allgemein gesehen und im Besonderen, <strong>eine</strong> Familie zu<br />
gründen, dahinter stecken mögen, was allerdings als Eindruck stehen<br />
bleiben muss, da es durch konkrete Aussagen nicht belegt werden kann.<br />
Aus dem Interview lässt sich daher lediglich ablesen, dass Murat in s<strong>eine</strong>r<br />
Strategie trotz bisher negativer Erfahrungen weiter so verfahren wird.<br />
Beeinflusst durch die Mitarbeiter des mobilen Jobberatungsteams wird er<br />
sich in näherer Zukunft auf Praktika und auf weniger anspruchsvolle<br />
Ausbildungsplätze wie die bisher angestrebten bewerben. Er hat s<strong>eine</strong><br />
Ansprüche an <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz heruntergesetzt, sofern er nur<br />
überhaupt <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz bekommt.<br />
4.2.5. Hilfenachfrage und -wahrnehmung<br />
ALLGEMEINE STRATEGIEN ZUR HILFESUCHE<br />
Murat machte und macht Unterstützungserfahrungen sowohl im privaten<br />
wie auch im institutionellen Umfeld 125 . In der Schule ermutigte ihn ein<br />
Lehrer zum Besuch <strong>eine</strong>s Oberstufenzentrums (OSZ), um den Realschulab-<br />
123<br />
„mal hier, mal da“, siehe Titel<br />
124<br />
Nichtsdestotrotz ist er ziemlich gepflegt und perfekt gestylt, inklusive aktuellem Handy etc. Er<br />
wirkt auf den ersten Blick „cool“, was jedoch schnell als <strong>eine</strong> Art „Tarnung“ erscheint angesichts<br />
s<strong>eine</strong>r Erzählungen<br />
125<br />
Auch hier ist Murat prinzipiell mit Jurij vergleichbar. Es gibt jedoch wesentliche Unterschiede, auf<br />
die im Abschluss eingegangen wird.<br />
55
MURAT<br />
schluss nachzuholen oder wenigstens s<strong>eine</strong> Noten zu verbessern. Im<br />
privaten Umfeld bekommt er im Prinzip Unterstützung durch die Eltern,<br />
gleichaltrige Freunde und Verwandte sowie s<strong>eine</strong> Freundin. Von dieser Seite<br />
kommt jedoch nicht nur positive Unterstützung, sondern auch ein als<br />
negativ empfundener Druck, s<strong>eine</strong> Bemühungen zu verstärken, um in <strong>eine</strong><br />
berufliche Tätigkeit einzumünden.<br />
Institutionell gebundene Unterstützung in der Bewerbungsphase bekam<br />
Murat in der Vergangenheit durch <strong>eine</strong>n Straßensozialarbeiter und aktuell<br />
durch das mobile Jobberatungsteam sowie im JobCenter. Auf die zuletzt<br />
genannten institutionellen Unterstützungen möchte ich im Folgenden gerne<br />
näher eingehen.<br />
BEZUG ZUR ARBEITSMARKTBEHÖRDE<br />
Murat ist seit dem Ende der Schulzeit bei der Arbeitsagentur gemeldet.<br />
Betreut wird er durch das JobCenter. Die Tätigkeit der dortigen Mitarbeiter<br />
fasst Murat in wenigen Sätzen zusammen. Er bekäme von dort die gleichen<br />
Adressen zugeschickt, die er auch beim mobilen Jobberatungsteam bereits<br />
selbst herausgesucht hat, nur etwas später. Häufig hat er sich bereits dort<br />
beworben, wenn die Stellenangebote bei ihm eintreffen 126 . Bei der<br />
Erstvorsprache wurde er nach s<strong>eine</strong>n Berufswünschen gefragt und <strong>eine</strong><br />
Musterbewerbung von Murat wurde begutachtet. Bei den folgenden<br />
Vorsprachen ist der Ablauf für Murat immer gleichbleibend. Es wird nach<br />
Fakten gefragt (Schulabschluss), im Computer nach freien Stellen gesehen<br />
und wenn k<strong>eine</strong> vorhanden sind, dann angekündigt, ihm diese bei<br />
Gelegenheit zu schicken. Er erlebt die Vorsprachen in der Behörde als<br />
unpersönlich und ergebnislos.<br />
Konkrete Fördermaßnahmen wurden Murat in den ca. 1,5 Jahren seit<br />
s<strong>eine</strong>m Schulabschluss (2004) nicht angeboten 127 . Um s<strong>eine</strong> Schulnoten zu<br />
verbessern, sollte Murat zwar zu <strong>eine</strong>r nicht genau geklärten Zeit in <strong>eine</strong><br />
Maßnahme des MDQM vermittelt werden, in die er jedoch nicht<br />
aufgenommen wurde. Murat zählt genaugenommen auch nicht zur<br />
Zielgruppe dieses Programms 128 , da er bereits <strong>eine</strong>n Hauptschulabschluss<br />
hat.<br />
Seit Beginn des Jahres 2006 erhält Murat überhaupt erstmals Leistungen<br />
nach ALG II, die er erst nach s<strong>eine</strong>m 18. Geburtstag im November 2005<br />
beantragt hatte. Eine Fehlberatung der Arbeitsmarktbehörde kann hier nur<br />
vermutet werden. Aber auch Murats eigenes Informationsdefizit zu den<br />
grundlegenden rechtlichen Rahmenbedingungen führte dazu, dass er trotz<br />
Anspruchsberechtigung k<strong>eine</strong> Leistungen erhielt 129 .<br />
Angesprochen auf Unterstützung, die er sich vom „Arbeitsamt“ wünscht,<br />
ist sich Murat zunächst unsicher, äußert aber dann doch den Wunsch nach<br />
intensiverer Betreuung 130 .<br />
126<br />
„die schicken mir... per Post schicken die mir ne Dings... ein Angebot, ne Bewerbungsstelle, und<br />
die hab ich schon, also, da hab ich schon fast ne Bewerbung hingeschickt, die hab ich schon fertig,<br />
und die schicken mir das dann erst(...)die gehen ja auch „M<strong>eine</strong> Stadt“ rein, ne Internetseite, und<br />
ich geh da auch rein von hier. Das ist kein Unterschied, also“ Interview, Seite 26 unten – 27 oben<br />
127<br />
nicht einmal <strong>eine</strong>n so genannten „Ein-Euro-Job“ (MAE)<br />
128<br />
Ziel der Maßnahme ist es, Schulabgängern ohne Schulabschluss als <strong>eine</strong> Art zweiter Chance die<br />
Möglichkeit für den regulären Hauptschulabschluss zu ermöglichen (MDQM I) und im zweiten<br />
Schritt <strong>eine</strong> Ausbildung zu ermöglichen aus wenigen vorgegebenen Berufsfeldern (MDQM II)<br />
129<br />
Auch im Interview wurde Murat darüber nicht aufgeklärt, da diese Information vermutlich den<br />
weiteren Verlauf gestört hätte.<br />
130<br />
„nicht Hilfe, sondern... so... Dasein so, bisschen so dabei sein, bisschen...“ Interview, Seite 25<br />
unten; „mehr... Betreuung so, würd ich so sagen“; Interview, Seite 27 oben<br />
56
MURAT<br />
BEZUG ZU FREIEN TRÄGERN<br />
Zum mobilen Jobberatungsteam wurde Murat durch <strong>eine</strong>n<br />
Straßensozialarbeiter vermittelt, den er bereits am Ende s<strong>eine</strong>r Schulzeit<br />
kannte. Zu diesem hatte er Vertrauen entwickelt, weil dieser nicht nur<br />
traditionell sozialarbeiterische Unterstützungsangebote wie Behördenbegleitung,<br />
Bewerbungen schreiben oder Unterstützung in Konfliktfällen<br />
anbot, sondern auch gemeinsame Aktivitäten in der Freizeit (regelmäßiges<br />
Fußballspielen, <strong>eine</strong> gemeinsame Reise) organisiert hatte 131 . Dieser<br />
Sozialarbeiter hatte außerdem den gleichen kurdischen Hintergrund wie<br />
Murat und war schon aus diesem Grund ein besonderer Ansprechpartner<br />
für ihn 132 . Murat brachte <strong>eine</strong> gewisse Bewunderung für diesen auf, schien<br />
ihn auch als <strong>eine</strong> Art Vorbild auch für erfolgreiche berufliche Ziele<br />
wahrzunehmen, wobei aber vermutlich weniger die kurdische Herkunft<br />
ausschlaggebend war als viel mehr dessen Engagement 133 . Als Murat<br />
Unterstützung für s<strong>eine</strong>n Bewerbungsprozess brauchte, wurde er zur<br />
Beratung des mobilen Jobberatungsteams vermittelt.<br />
Die Mitarbeiter dieses Beratungsteams unterstützen Murat bei s<strong>eine</strong>n<br />
Bewerbungsbemühungen durch konkrete und praktische Hilfsangebote bei<br />
der Suche nach freien Ausbildungsplätzen, beim Schreiben der<br />
Bewerbungen bis zu deren Fertigstellung. Sie suchen mit ihm<br />
Berufsbeschreibungen heraus, besprechen Bewerbungsstrategien und<br />
begleiten Murat in s<strong>eine</strong>n Bemühungen um <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz. Die<br />
tatsächliche Arbeit des Schreibens bleibt dabei jedoch Murat selbst<br />
überlassen, sie wird ihm nicht abgenommen. Er schätzt ein, dass er ohne<br />
das Wissen um deren Hilfen im Bewerbungsprozess „noch zu Hause sitzen und<br />
nichts machen“ 134 würde.<br />
GEGENÜBERSTELLUNG DER INSTITUTIONELLEN HILFSANGEBOTE<br />
Auf den ersten Blick ähneln sich die Aufgaben, denen sich JobCenter wie<br />
Berufsberatung widmen. Bei genauerer Betrachtung gibt es aber<br />
Unterschiede hinsichtlich der Betreuungsintensität genauso wie im<br />
individuellen Eingehen auf Murats berufliche Vorstellungen. Während die<br />
Mitarbeiter des JobCenters als anonyme „Abfertigung“ wahrgenommen<br />
werden, bekommt Murat in der Beratungsstelle konkrete Hilfestellungen,<br />
die es ihm ermöglichen, <strong>eine</strong> gute Bewerbung zu erstellen. Auch die<br />
Beratungsleistung ist deutlich umfangreicher und umfasst die Entwicklung<br />
von Bewerbungsstrategien wie auch perspektivische Gespräche. Murats<br />
individuelle Situation wie s<strong>eine</strong> Berufswünsche wurden im JobCenter zwar<br />
in der Erstberatung im Computer erfasst, werden aber in der Folgezeit<br />
kaum aufgegriffen und neu diskutiert.<br />
Neben den konkret betrachteten Unterstützungsangeboten der Arbeitsagentur<br />
(JobCenter) wie die Jugendberufshilfe bekommt Murat außerdem<br />
<strong>eine</strong>n gewissen emotionalen Rückhalt. Stärkere Unterstützung hätte sich<br />
Murat insbesondere durch das OSZ und die Arbeitsagentur gewünscht.<br />
131<br />
„Den hab ich mir auch an mein Herz geschlossen, das ist ein richtig Korrekter“ Interview, Seite 7<br />
unten<br />
132<br />
„der war hier Sozialarbeiter, war auch Ausländer, (...) der war auch Kurde. Deswegen, der hat<br />
sich hier auch um die Jugendlichen gekümmert, so um die... alle hier“ Interview, Seite 12 unten<br />
133<br />
„Der war eigentlich immer da“, Interview, Seite 12 unten<br />
134<br />
„wenn ich das jetzt hier immer noch nicht wissen würde, würde ich immer noch irgendwie gar<br />
k<strong>eine</strong> Bewerbungen schreiben und hocken so“, Interview, Seite 16 Mitte<br />
57
MURAT<br />
4.2.6. Abschließende Aussagen<br />
In den vergangenen Abschnitten konnten folgende Aspekte k<strong>eine</strong>n<br />
adäquaten Eingang finden und sollen darum hier ergänzt werden:<br />
Zunächst geht aus den Erzählungen Murats <strong>eine</strong> recht ambivalente<br />
Bildungseinstellung hervor. An mehreren Stellen wurde deutlich, dass ihm<br />
private Belange in der Vergangenheit oft wichtiger waren als schulische oder<br />
berufliche Ziele. In der Gesamtbetrachtung zeigt das Interview mit Murat<br />
<strong>eine</strong> gewisse Orientierungslosigkeit und Unsicherheit, obwohl er auf den<br />
ersten Blick den Eindruck <strong>eine</strong>s modernen zielstrebigen Jugendlichen ohne<br />
große Probleme macht. Diese latente Unsicherheit/Orientierungslosigkeit<br />
wird dabei zumeist nur implizit deutlich. Er gibt sich verbal viel Mühe, den<br />
ersten Eindruck zu bestätigen. Murat zeigt aber auch deutlich<br />
Unsicherheiten in s<strong>eine</strong>r Orientierung, hält bspw. an s<strong>eine</strong>r bisherigen<br />
Strategie weiterer Bewerbungen ohne erneuten Schulbesuch fest, obwohl<br />
ohne <strong>eine</strong> Verbesserung s<strong>eine</strong>r schulischen Voraussetzungen für ihn nur<br />
wenig Hoffnung auf <strong>eine</strong> Ausbildung s<strong>eine</strong>r Wahl besteht. Er sieht dies<br />
zwar auch selbst, kann sich aber bisher nicht durchringen, diese schlechten<br />
Noten durch erneuten Schulbesuch zu verbessern. Der (richtigen) Einsicht<br />
in Ursachen bisheriger Unversorgtheit folgen von ihm nicht die<br />
konsequenten Schlussfolgerungen, s<strong>eine</strong> Zugangsvoraussetzungen zu<br />
verbessern.<br />
In der Vergangenheit hatte er s<strong>eine</strong> Möglichkeiten, wie das besuchte OSZ,<br />
weniger als Chance wahrgenommen, sondern vielmehr als noch zusätzliche<br />
Belastung. Neben der Schule war er offenkundig mit mancherlei anderen<br />
Problemen beschäftigt, die ihn stark beanspruchten, darunter auch das<br />
angespannte Verhältnis zu Mitschülern und einzelnen Lehrern des OSZ.<br />
Auch s<strong>eine</strong> Freundin schien ihn stark zu beschäftigen, so dass neben all<br />
diesen von ihm genannten Feldern die Schule selbst etwas in den<br />
Hintergrund rückte 135 . Ob dies allein noch mit alterstypischen Schwierigkeiten<br />
erklärt werden kann, ist fraglich.<br />
Ergänzend sei auf Murats Schwierigkeiten hingewiesen, sich überhaupt in<br />
Deutschland zu identifizieren. Er versteht sich eher als Ausländer, obwohl<br />
er doch ausschließlich in Berlin aufgewachsen ist.<br />
4.2.7. Murats Kernthema - Zusammenfassung<br />
Das aus s<strong>eine</strong>r Sicht entscheidende Thema für Murat ist sein schlechter<br />
Hauptschulabschluss. Obwohl er <strong>eine</strong> Realschule besuchte, erreichte er dort<br />
lediglich den erweiterten Hauptschulabschluss. Besonders die Fünfen im<br />
Hauptfach Mathematik, sowie in zwei Naturwissenschaften bedauert er<br />
heute sehr. Sie sind es auch, die ihm bei s<strong>eine</strong>n Bewerbungen im Weg<br />
stehen. Sein einziger Berufswunsch ist es, als Einzelhandelskaufmann zu<br />
arbeiten. Darauf fixierte er bisher hauptsächlich s<strong>eine</strong> Bewerbungsbemühungen.<br />
Bis heute erhielt er dafür ausschließlich Absagen. S<strong>eine</strong> auf<br />
dem Schulzeugnis festgehaltenen mangelnden mathematischen Fähigkeiten<br />
kollidieren hier deutlich mit s<strong>eine</strong>m kaufmännischen Berufswunsch, für den<br />
mathematische Fähigkeiten <strong>eine</strong> notwendige Voraussetzung sind.<br />
135 Es tut sich allerdings auch die Frage auf, inwieweit die von ihm angegebenen Gründe für das<br />
Scheitern s<strong>eine</strong>s Probejahres auf dem OSZ von ihm nur vorgeschoben waren, Scheingründe<br />
darstellen. Die Frage kann hier allerdings kaum beantwortet werden, schon weil aus <strong>eine</strong>m einzigen<br />
Interview zu wenige Informationen über Murat vorhanden sind, um hierfür <strong>eine</strong> Einschätzung<br />
abgeben zu können.<br />
58
MURAT<br />
Murat hat sogar die Einsicht, dass die Absagen auf s<strong>eine</strong> Bewerbungen<br />
durch die mangelnden Schulnoten bedingt sind. Ihm ist die Notwendigkeit<br />
bewusst, s<strong>eine</strong> Schulnoten zu verbessern, möglichst den Realschulabschluss<br />
zu schaffen, um s<strong>eine</strong> Chancen auf <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz zu erhöhen. Er<br />
versuchte dieses Ziel auf <strong>eine</strong>m der <strong>Berliner</strong> Oberstufenzentren zu<br />
realisieren, schaffte aber das Probejahr nicht. Zum Interviewzeitpunkt hat<br />
er erneut die Chance, s<strong>eine</strong> Schulnoten an <strong>eine</strong>r Volkshochschule zu<br />
verbessern, schließt aber weiteren Schulbesuch aus, weil er so schnell wie<br />
möglich <strong>eine</strong> Ausbildung machen möchte 136 . Somit bestehen Murats<br />
ungünstige Zugangsvoraussetzungen fort. Eine gewisse Gefahr der<br />
fortbestehenden Unversorgtheit auch für das nächste Ausbildungsjahr ist<br />
für Murat nicht von der Hand zu weisen.<br />
136 Als Grund scheint aus vagen Andeutungen hindurch, dass er möglichst bald s<strong>eine</strong> Freundin<br />
heiraten und <strong>eine</strong> Familie gründen will. Als sicher kann das aber nicht angesehen werden. Mögliche<br />
Gründe sind auch der zunehmende Druck aus s<strong>eine</strong>m familiären Umfeld und ebenfalls von s<strong>eine</strong>r<br />
Freundin, die das Gymnasium besucht.<br />
59
4.3. TARIK: „Ich musste mir immer all<strong>eine</strong> helfen und so…“ 137<br />
TARIK<br />
4.3.1. Herkunftsregion der Eltern<br />
Aus dem Interview ergibt sich, dass Tariks Eltern nicht, wie zuvor gedacht,<br />
zur griechischen Minderheit in der Türkei gehört, sondern umgekehrt zur<br />
türkischen Minderheit in Griechenland. Die Eltern wanderten Ende der<br />
80er Jahre aus <strong>eine</strong>r griechischen Großstadt über <strong>eine</strong>n kurzen Umweg in<br />
<strong>eine</strong>n Drittstaat nach Deutschland ein und wohnen seitdem dauerhaft in<br />
Berlin.<br />
Zum Zuwanderungszeitpunkt ist Tarik ca. 1 Jahr alt. Er hat somit selbst<br />
k<strong>eine</strong> bewussten Migrationserfahrungen gemacht, wuchs in Berlin auf und<br />
kann damit zur so genannten 2. Generation der türkischen Einwanderer<br />
hinzugezählt werden.<br />
4.3.2. Familiärer Hintergrund<br />
Tariks Eltern sind mit 39 Jahren (Vater) bzw. 37 Jahren (Mutter) verglichen<br />
mit den Eltern der anderen befragten türkischen Jugendlichen noch relativ<br />
jung und auch erst vergleichsweise kurze Zeit in Deutschland, ca. 17 Jahre.<br />
Sie stammen außerdem aus <strong>eine</strong>r griechischen Großstadt, nicht aus der<br />
Türkei selbst, gehörten dort der türkischen Minderheit an.<br />
Sie haben <strong>eine</strong>n relativ geringen Bildungshintergrund. Nach Tariks<br />
Auskunft haben weder Vater noch Mutter <strong>eine</strong> abgeschlossene Schul- oder<br />
Berufsausbildung. Der Vater arbeitete im Herkunftsland angelernt als<br />
Automechaniker und in <strong>eine</strong>r Tabakfabrik. In Deutschland arbeitete er ca.<br />
11 Jahre lang in <strong>eine</strong>r Reinigungsfirma. Seit <strong>eine</strong>m Unfall vor 4 Jahren ist er<br />
arbeitsunfähig und arbeitslos. Die Mutter war sowohl im Herkunfts- wie im<br />
Zuwanderungsland Hausfrau und Mutter (mit Ausnahme einiger Monate als<br />
Putzfrau), leidet gegenwärtig ebenfalls an <strong>eine</strong>r Krankheit und ist<br />
erwerbsunfähig. Beide erhalten entsprechend den Umständen ALG II bzw.<br />
Sozialhilfe.<br />
Die Eltern, besonders die Mutter, sprechen entweder überhaupt nicht oder<br />
nur wenig Deutsch, wissen nach Tariks Aussage nicht, wo sie dies hätten<br />
lernen sollen. Die Mutter ist Analphabetin, über den Bildungsgrad des<br />
Vaters ist nur soviel bekannt, dass er ebenfalls k<strong>eine</strong>n Schulabschluss hat<br />
und sich nur wenig in Deutschland auskennt. Nichtsdestotrotz sind die<br />
Eltern zweisprachig, da sie neben Türkisch auch Griechisch sprechen<br />
können.<br />
In der Geschwisterlinie ist Tarik der Älteste von vier Kindern. Er hat noch<br />
2 jüngere Brüder und <strong>eine</strong> Schwester. Mit <strong>eine</strong>m der Brüder teilt er sich ein<br />
Zimmer in <strong>eine</strong>r großen Neubauwohnung in Berlin-Reinickendorf. Mit<br />
s<strong>eine</strong>n Lebens- und Wohnverhältnissen ist Tarik zufrieden.<br />
4.3.3. Berufliche Vorstellungen<br />
Tarik hat klare berufliche Ziele. Er möchte Automechaniker werden 138 .<br />
Diesen Wunsch hatte er bereits seit s<strong>eine</strong>r Kindheit. Neben diesem<br />
ursprünglichen Interesse spielt für s<strong>eine</strong> Berufswahl <strong>eine</strong> besondere Rolle,<br />
dass er mit dieser Ausbildung im Herkunftsland der Eltern (Griechenland)<br />
besonders gute Chancen für sich sieht. Denn dorthin möchte er unbedingt<br />
137 Interview, Seite 2 Mitte<br />
138 Mechatroniker ist die aktuelle Bezeichnung<br />
60
TARIK<br />
zurückkehren 139 . Perspektivisch möchte er dort zunächst als Angestellter zu<br />
arbeiten, um sich dann später selbständig machen zu können.<br />
Auch zu <strong>eine</strong>m Ersatz-Berufswunsch, falls dieser erste sich nicht umsetzen<br />
lassen sollte, hat Tarik bereits relativ klare Vorstellungen entwickelt. Er<br />
möchte dann Einzelhandelskaufmann werden, um bei <strong>eine</strong>r der in<br />
Deutschland wie auch im Herkunftsland tätigen Handelsketten arbeiten zu<br />
können. Für beide Berufswünsche spielt somit auch die Zukunftsfähigkeit<br />
des Berufes in Deutschland, besonders aber im Herkunftsland <strong>eine</strong><br />
entscheidende Rolle.<br />
Wichtig für die Berufswahl Tariks waren neben s<strong>eine</strong>m ursprünglichen<br />
Interesse auch die selbst eingeschätzten Fähigkeiten und andere persönliche<br />
Ressourcen. Zu diesen zählt er neben der prinzipiellen Schreibfertigkeit 140<br />
und den Deutschkenntnissen auch das Beherrschen mehrerer Sprachen, mit<br />
deren Hilfe er sich im Herkunftsland gute Chancen ausrechnet. Tarik ist<br />
sich damit s<strong>eine</strong>r Ressourcen, die er beruflich einsetzen kann, recht deutlich<br />
bewusst. Zum Interviewzeitpunkt ist Deutschland für ihn wesentlich, um<br />
<strong>eine</strong> fundierte Ausbildung abschließen zu können, die ihm möglichst gute<br />
Chancen für <strong>eine</strong> berufliche Umsetzung im Herkunftsland gibt 141 . Er sieht<br />
sich in Deutschland lediglich als Gast.<br />
4.3.4. Bewerbungserfahrungen<br />
BEWERBUNGSAKTIVITÄTEN<br />
Trotz der klaren beruflichen Zielvorstellungen hat Tarik bisher 142 noch<br />
k<strong>eine</strong> Bewerbungen verschickt. Auf Anraten s<strong>eine</strong>r Freundin, <strong>eine</strong>r<br />
Abiturientin, hat er zu Übungszwecken zwar schon einige Bewerbungen<br />
geschrieben, diese aber noch nicht versendet. Diese Bewerbungsversuche<br />
wären nach eigener Aussage aufgrund s<strong>eine</strong>s bisher fehlenden<br />
Schulabschlusses ohnehin aussichtslos gewesen. Als weiteren Grund führt<br />
er an, nicht zu wissen, wohin er diese hätte hinschicken sollen, wo es also<br />
freie Stellen für ihn gäbe. Diese Erklärung wirkt allerdings unerklärlich, da<br />
Tarik an anderer Stelle von <strong>eine</strong>r AOK-Mitarbeiterin berichtet hatte, die<br />
ihm bspw. wichtige Internet-Suchmöglichkeiten gezeigt hatte 143 . In der<br />
Berufsvorbereitungs-Maßnahme wurde er ebenfalls beraten und im Rahmen<br />
von Bewerbungstraining sowie simulierten Vorstellungsgesprächen mit<br />
Informationen versorgt, wie er auch zu berichten wusste.<br />
Zum Zeitpunkt des Interviews verlässt er sich in Bezug auf die Vermittlung<br />
in ein Praktikum und anschließend in <strong>eine</strong> Ausbildung auf die Mitarbeiter in<br />
s<strong>eine</strong>r Berufsvorbereitungs- Maßnahme 144 , statt die eigenen Bemühungen<br />
voranzubringen. Zu dem sonst eher lebhaften und aktiven Auftreten Tariks<br />
erscheint diese Einstellung allerdings eher gegensätzlich. Ein eindeutiger<br />
Erklärungsansatz kann hierfür nicht gegeben werden. Naheliegend ist<br />
139 Auch im Familienkreis wird über <strong>eine</strong> baldige Rückkehr gesprochen, noch im laufenden Jahr. Ob<br />
Tariks Rückkehrwunsch davon unmittelbar beeinflusst ist oder unabhängig davon, kann nicht<br />
eindeutig gesagt werden.<br />
140 im Gegensatz zu den Eltern, die er im wesentlichen als Analphabeten beschreibt<br />
141 Dabei ist nicht ausschließlich das tatsächliche Herkunftsland gemeint, vorstellbar sind für ihn<br />
auch andere Länder (des Südens)<br />
142 Interviewzeitpunkt ist der 01.06.06; zu diesem Zeitpunkt sind wesentliche Bewerbungsfristen für<br />
das folgende Ausbildungsjahr ab Herbst 2006 bereits abgelaufen.<br />
143 wo er nach eigenen Versuchen k<strong>eine</strong> für ihn passende Stelle findet und die weitere Suche<br />
einstellt.<br />
144 „weil, die haben mir gesagt, dass die mir hier helfen eigentlich, bei Berufsvorbereitung… mein<br />
Ausbilder meint zu mir, ja, wenn du d<strong>eine</strong>n Abschluss hast und so, dann schicken wir dich in<br />
Praktikum, und wenn du gut bist, gute Beurteilung bekommst, suchen wir ne Ausbildung und so<br />
helfen dir halt. Hab ich mich jetzt drauf verlassen halt, ich weiß nicht…“, Interview, Seite 15 oben<br />
61
TARIK<br />
lediglich die Vermutung, dass trotz der mit dem Nachholen des<br />
Hauptschulabschlusses durch die Berufsvorbereitungs-Maßnahme für ihn<br />
positiven Entwicklung immer noch <strong>eine</strong> gewisse Angst vor negativen<br />
Bewerbungserfahrungen aus eigener Initiative bestehen könnte und er sich<br />
daher lieber auf die sicherer ersch<strong>eine</strong>nde Möglichkeit der Vermittlung<br />
durch Mitarbeiter des Bildungsträgers verlässt.<br />
Recht klare Vorstellungen hat Tarik allerdings zum weiteren Verlauf s<strong>eine</strong>s<br />
Übergangsprozesses. So setzt er sich <strong>eine</strong> Grenze von ca. ein bis höchstens<br />
anderthalb Jahren für Bewerbungsversuche in Berlin. Sollte er hier k<strong>eine</strong>n<br />
Erfolg haben, würde er sich aus Altersgründen ohnehin k<strong>eine</strong>n Erfolg mehr<br />
ausrechnen und in diesem Falle ohne die erhoffte Ausbildung nach<br />
Griechenland zurückkehren. Dort würde er bei Verwandten angelernt und<br />
nach <strong>eine</strong>r Phase als Mitarbeiter nach einigen Jahren selbst <strong>eine</strong> Firma<br />
gründen wollen 145 .<br />
NEBENTÄTIGKEITEN<br />
Zu Nebentätigkeiten gibt es bei Tarik im Interview k<strong>eine</strong>rlei Aussagen.<br />
BEWERBUNGSERGEBNISSE<br />
Tarik kann k<strong>eine</strong> Ergebnisse im Bewerbungsprozess vorweisen, da er - wie<br />
bereits dargestellt - von den bisher übungsweise geschriebenen<br />
Bewerbungen k<strong>eine</strong> einzige abgeschickt hat. S<strong>eine</strong> Eigenbemühung<br />
beschränkt sich bisher auf die Verbesserung der Zugangsvoraussetzungen,<br />
indem er den Hauptschulabschluss während der Berufsvorbereitungs-<br />
Maßnahme nachholt. Nichtsdestotrotz hätte er zum Ende der Maßnahme<br />
bereits Bewerbungen verschicken können, was er aber aus nicht ganz<br />
eindeutigen Gründen nicht getan hat.<br />
BEWERTUNG DER BISHERIGEN ERFAHRUNGEN IM<br />
BEWERBUNGSPROZESS<br />
Bewertungen s<strong>eine</strong>r Bewerbungserfahrungen im engeren Sinne hat Tarik im<br />
Interview nicht vorgenommen. Allerdings finden sich verteilt über das<br />
Interview durchaus Überlegungen über bisherige Erfahrungen im Prozess<br />
der Berufsorientierung, erster Erfahrungen aus Praktika und<br />
Zukunftsüberlegungen, welche sich aus diesen ergeben. Tarik hat durch die<br />
Berufsvorbereitungs-Maßnahme neue Hoffnungen auf <strong>eine</strong> künftig positiv<br />
verlaufende berufliche Karriere entwickelt. Diese Maßnahme und zwei<br />
während der Schulzeit absolvierten Praktika haben ihm geholfen, sich<br />
beruflich besser orientieren zu können. Die Schulerfahrungen hat er in<br />
weniger guter Erinnerung. Sie waren eher problematisch, durch Konflikte<br />
mit Schülern, Lehrern oder Verantwortungsträgern der Schulbehörden<br />
gekennzeichnet. Er ist sich s<strong>eine</strong>r Fehler aus der Vergangenheit bewusst<br />
und macht sich inzwischen Gedanken darüber, welchen Wert s<strong>eine</strong><br />
Schulbildung hat, wenn er k<strong>eine</strong> Ausbildung bekommen sollte 146 .<br />
145 „Wenn das nicht klappen sollte, versuch ich noch paar Stellen all<strong>eine</strong>; mich bewerben; und wenn<br />
es dann immer noch nicht klappt, dann geh ich weg von hier (...) ist egal, was für Ausbildung,<br />
Hauptsache, ich mache <strong>eine</strong> Ausbildung, abschließen, und dann… hat sich die Sache (...) Also, ein,<br />
anderthalb Jahre so, weil… länger ich brauch gar nicht zu versuchen, weil ich werd dann immer<br />
älter, deswegen... (...) Ja, dann… geh ich nach Griechenland, arbeite bei m<strong>eine</strong>m Cousin“<br />
Interview, Seite 23 unten bis 24 oben<br />
146 „Aber ich find nur blöde, weil ich hab so viel, so viel Jahre Schule gemacht, und wenn nicht, nicht<br />
mal ne Ausbildung habe, nicht mal abgeschlossen habe, das… kommt mir selber persönlich<br />
komisch vor, weil… m<strong>eine</strong> Eltern kennen so was, mit Ausbildung und so, bei denen gab’s so was<br />
62
4.3.5. Hilfenachfrage und -wahrnehmung<br />
TARIK<br />
ALLGEMEINE STRATEGIEN ZUR HILFESUCHE<br />
Im engeren Familienumkreis hat Tarik trotz s<strong>eine</strong>r weit verzweigten<br />
Verwandtschaft in Berlin und im Herkunftsland der Eltern wenig<br />
Hilfemöglichkeiten in Bezug auf die berufliche Integration. Auch die Schule<br />
war in dieser Hinsicht wenig hilfreich, da wichtige Informationen z. B. im<br />
Rahmen des Arbeitslehre-Unterrichts vor dem Hintergrund laufender<br />
Schulkonflikte unterschiedlichster Art eher untergegangen sind und folglich<br />
nicht präsent waren, als er sie dann benötigte. Das Schulklima war<br />
vermutlich eher als schlecht zu bezeichnen 147 . Ansprechpartner fehlten<br />
ebenfalls. Er selbst hat <strong>eine</strong> verhältnismäßig geringe Hilfeorientierung, will<br />
es erst allein probieren, orientiert sich dann zunächst im Freundeskreis (der<br />
evtl. nicht immer <strong>eine</strong>n positiven Einfluss hat) und bezieht erst danach<br />
Möglichkeiten ein, sich anderswo Hilfe zu suchen 148 . Andererseits scheint er<br />
im Bildungsträger der Berufsvorbereitungsmaßnahme <strong>eine</strong>n Ansprechpartner<br />
gefunden zu haben, dem er doch vertraut.<br />
RÜCKHALT IN DER FAMILIE UND IM FREUNDESKREIS<br />
In s<strong>eine</strong>r Familie findet Tarik kaum konkrete Unterstützung für s<strong>eine</strong><br />
schulische und berufliche Orientierung. Er führt aus, dass er dies s<strong>eine</strong>n<br />
Eltern schon öfter versucht hat zu erklären und was er dafür tun müsse,<br />
aber sie würden es nicht verstehen, da sie damit k<strong>eine</strong>rlei Erfahrungen<br />
hätten 149 . Ähnlich verhält es sich mit dem in Berlin befindlichen Teil s<strong>eine</strong>r<br />
Verwandtschaft. Auch hier kann er auf wenig Erfahrung zurückgreifen 150 .<br />
Somit befindet sich Tarik in <strong>eine</strong>r Art Pionier-Position.<br />
Tarik ist trotzdem stolz auf s<strong>eine</strong> Familie. Er kann mit s<strong>eine</strong>n Eltern über<br />
vieles reden und hat dort demzufolge <strong>eine</strong>n guten emotionalen Rückhalt, ist<br />
dort auch durch Pflichten s<strong>eine</strong>n jüngeren Geschwistern gegenüber eingebunden.<br />
S<strong>eine</strong> Eltern haben ihn unterstützt, zur Schule zu gehen, auch<br />
wenn sie ihm wenig dabei helfen konnten 151 . Durch die konfliktreiche<br />
Schulzeit beeinflusst, haben sie allerdings gegenwärtig wohl wenig<br />
Hoffnung, dass Tarik <strong>eine</strong> positive Entwicklung nehmen wird, wie aus den<br />
Angaben im Interview ebenso durchscheint.<br />
nicht früher. Deswegen, aber ich selber, weil ich hier aufgewachsen bin, deswegen kommt das mir<br />
persönlich so komisch vor, weil ich hab dann k<strong>eine</strong> Ausbildung, k<strong>eine</strong>n Abschluss… wozu bin ich<br />
dann Schule gegangen? Umsonst! Na, ich mach mir immer so ne Vorwürfe jetzt“ Interview, Seite 24<br />
Mitte<br />
147 Tarik berichtet davon, dass er bspw. dem Sportunterricht z. T. fernblieb, weil der Sportlehrer<br />
„irgendwie gegen Ausländer“, insbesondere so genannte „Schwarzköpfe“ war<br />
148 „Ich will erstmal versuchen, allein zu machen. Weil erstmal all<strong>eine</strong>, nur die Wünsche, was ich mir<br />
will, wirklich will, (...) und falls das nicht klappt, dann ich muss mir dann irgendwo suchen Hilfe, dass<br />
die dann wenigstens sagen, ja, wir haben da irgendwas, dann kannst du ja dahingehen und so;<br />
egal, ob’s mir gefällt oder nicht. Ich muss dann durchziehen.“ Interview, Seite 35 Mitte; die Hilfe, die<br />
er erwartet, ist somit auch eher mit Zuweisungen verbunden, denen er sich dann weitgehend<br />
unterwerfen muss.<br />
149 „Das mit Ausbildung… die wissen das gar nicht so. Die haben k<strong>eine</strong> Ahnung davon. Ich erzähl<br />
immer, Ausbildung ist das, wenn man das macht, aber… die verstehen das nicht“ Interview, Seite<br />
27 unten;<br />
150 Was nicht bedeutet, dass er dort grundsätzlich k<strong>eine</strong> Hilfe findet. Im Gegenteil, er erzählt mit<br />
Stolz über sein weit verzweigtes Familiennetzwerk und wird dies auch in vielerlei Hinsicht nutzen<br />
können.<br />
151 „m<strong>eine</strong> Eltern können auch nicht mithelfen, weil… können weder lesen noch schreiben. Beide<br />
kommen aus Griechenland, und sind in die Schule gegangen, von daher auch, ich musste mich…<br />
m<strong>eine</strong> Hausarbeiten musste ich ganz all<strong>eine</strong> machen immer. Ich hatte auch k<strong>eine</strong>n älteren Bruder<br />
gehabt, weil ich bin der älteste von m<strong>eine</strong>n Geschwistern, deswegen musste ich mir immer all<strong>eine</strong><br />
helfen, und so…“ Interview, Seite 2 oben<br />
63
TARIK<br />
Angesprochen darauf, bei wem er sich anstatt des familiären Umkreises<br />
orientiert, nennt Tarik s<strong>eine</strong> Freunde, insbesondere die älteren unter diesen.<br />
Sie haben mitunter aber ebenso wenig wie Tarik zuvor <strong>eine</strong>n Schulabschluss<br />
erreicht und sind bisher auch nur wenig erfolgreich auf der Suche nach<br />
<strong>eine</strong>r Ausbildung.<br />
BEZUG ZUR ARBEITSMARKTBEHÖRDE<br />
Zunächst kann festgehalten werden, dass aus den Tariks Aussagen im<br />
Interview nur wenig Wissen über die aktuellen Arbeitsmarktgesetze<br />
hervorgeht. Wie die meisten anderen Jugendlichen kann er nicht<br />
unterscheiden zwischen den Bezeichnungen Arbeitsamt, Arbeitsagentur<br />
oder JobCenter 152 . Es gibt auch nur wenige konkrete Aussagen zu Tariks<br />
Verhältnis zur Arbeitsmarktbehörde, bzw. zu dem betreuenden Mitarbeiter.<br />
Da der Schulabschluss noch nicht lange zurück liegt (2005) und Tarik die<br />
meiste Zeit danach in der Berufsvorbereitungs-Maßnahme verbrachte, hat<br />
er bisher auch nur wenig Kontakt zu dieser gehabt. Beim ersten Termin<br />
wurde Tariks gegenwärtige Situation nach dessen Schulabschluss zum<br />
Beginn des Ausbildungsjahres 2005 erhoben, in welchem er unversorgt<br />
geblieben war. Tarik hatte über s<strong>eine</strong>n Freundeskreis von der<br />
Berufsvorbereitungsmaßnahme erfahren. Der Vorschlag, an dieser<br />
teilzunehmen, den er selbst vorbrachte, wurde von dem Mitarbeiter<br />
angenommen und Tarik in die Bildungseinrichtung vermittelt, wo er zuvor<br />
<strong>eine</strong>n Test bestehen musste. In <strong>eine</strong>m weiteren Gespräch wurden Tariks<br />
Leistungen und sein Verhalten in dieser Maßnahme behandelt.<br />
Aus den wenigen Angaben ist zumindest ersichtlich, dass Tariks Wunsch<br />
zum Nachholen s<strong>eine</strong>s Schulabschlusses in Verbindung mit <strong>eine</strong>r<br />
Berufsvorbereitung ernst genommen wurde. Damit ist er offenkundig auch<br />
sehr zufrieden. Tarik erwartet trotz bisheriger Zufriedenheit nach Abschluss<br />
der Maßnahme nicht viel von der Arbeitsmarktbehörde. Dies macht er an<br />
den Erfahrungen s<strong>eine</strong>r älteren Freunde fest, die durch die<br />
Stellenvermittlung der Behörde k<strong>eine</strong>n Erfolg hatten und nahezu<br />
ausschließlich Absagen auf ihre Bewerbungen bekamen, welche sie auf die<br />
von der Behörde zugeschickte Stellenausschreibungen versandten.<br />
Offensichtlich projiziert Tarik diese Erfahrungen und erwartet ähnlich<br />
negative Ergebnisse auf diesem Weg. Er wünscht sich darum Unterstützung<br />
bei der Vermittlung <strong>eine</strong>r Ausbildungsstelle durch s<strong>eine</strong>n Ansprechpartner<br />
in der Behörde, steht dem jedoch auch ambivalent gegenüber 153 . Dem<br />
Mitarbeiter bringt Tarik also wegen der bisherigen und als korrekt<br />
empfundenen Behandlung zwar ein gewisses Vertrauen entgegen, gibt den<br />
durch die Behörde vermittelten Stellenausschreibungen allerdings wenige<br />
Erfolgschancen.<br />
152 Es ist aber wahrscheinlich, dass er durch das zuständige JobCenter betreut wird, die auch für<br />
Jugendliche nach Schulabschluss zuständig sind.<br />
153 „Kann mir vorstellen, so, dass die sagen, ja, wir haben paar Stellen, so, für d<strong>eine</strong> Interessen, und<br />
so. Das könnte vielleicht sein, aber… siebzig Prozent, dass ich Absage bekomme; ich weiß das,<br />
weil… (...)Ist ja immer so: Entweder, die sagen dir ab, oder die sagen dir, zu voll, irgendwas, aber<br />
nehmen hundert Prozent nicht“, Interview, Seite 34 Mitte<br />
„Was ich mir vorstellen kann… Das einzige, was ich mir vorstellen kann, ist der Herr S. Also, von<br />
Arbeitsamt. Halt, dass ich m<strong>eine</strong>n Abschluss… wenn ich m<strong>eine</strong>n Abschluss habe, dass ich hingehe,<br />
sage, ich hab’s geschafft und so. Weil er meinte auch zu mir, hier, wenn du d<strong>eine</strong>n Abschluss hast,<br />
wir können auch versuchen, dir ne Ausbildung zu finden, so. Deswegen, so, einzige Hoffnung<br />
vielleicht dieser Mann, aber sonst…“ Interview, Seite 35 oben<br />
64
TARIK<br />
BEZUG ZU FREIEN TRÄGERN<br />
Unterstützung bekommt Tarik gegenwärtig hauptsächlich über die<br />
Bildungseinrichtung der Berufsvorbereitungsmaßnahme. Er hatte allerdings<br />
in den Jahren zuvor auch sporadisch hilfreiche Kontakte zu <strong>eine</strong>r in Berlin<br />
bekannten Organisation für Straßensozialarbeit sowie <strong>eine</strong>m Jugendklub in<br />
s<strong>eine</strong>r Wohnumgebung. Diese haben ihm insbesondere geholfen, wenn er<br />
z.B. Probleme mit der Polizei hatte 154 . Er nutzt dort auch hin und wieder<br />
Freizeitangebote. In s<strong>eine</strong>r beruflichen Orientierung waren diese Kontakte<br />
aber nach s<strong>eine</strong>n Interviewaussagen bisher kaum hilfreich, da sie k<strong>eine</strong><br />
entsprechende Beratung anbieten 155 .<br />
Mit der Bildungseinrichtung der Berufsvorbereitung ist Tarik völlig<br />
zufrieden, sowohl mit dem Verlauf der Maßnahme und den erreichten<br />
Leistungen als auch mit der dortigen Betreuung. Das geht aus den über das<br />
gesamte Interview verteilten Statements hervor und spiegelt sich auch in<br />
s<strong>eine</strong>m Auftreten wider, im Stolz auf die in der Maßnahme erreichten<br />
Leistungen. Er ist ansch<strong>eine</strong>nd erleichtert, dass er auf diese Weise doch<br />
noch <strong>eine</strong>n Hauptschulabschluss erreicht hat, von dem er sich zusammen<br />
mit der Beurteilung und den Unterstützungsleistungen durch die Mitarbeiter<br />
<strong>eine</strong> bessere Chance für <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz im gewünschten Beruf<br />
erhofft. Über den Schulabschluss hinaus bekam er durch Bewerbungstrainings,<br />
perspektivische Gespräche mit Mitarbeitern etc. die Befähigungen<br />
und Informationen für den Bewerbungsprozess, die in s<strong>eine</strong>m bisherigen<br />
Schulverlauf wegen der dortigen Konflikte an ihm vorbeigegangen waren.<br />
Die Sozialarbeiter und Lehrkräfte der Einrichtung nutzt er als<br />
Ansprechpartner für durchaus unterschiedliche Bereiche. Besonderes<br />
Vertrauen bringt er <strong>eine</strong>m Lehrer entgegen, mit dem er schon mehrmals<br />
Gespräche über s<strong>eine</strong> berufliche Zukunft geführt hatte. Von diesem erhofft<br />
er sich Hilfe zur Vermittlung in <strong>eine</strong> Ausbildung über den Umweg <strong>eine</strong>s<br />
Praktikums 156 , weswegen er selbst bisher auch noch immer k<strong>eine</strong> eigenen<br />
Bewerbungen abgeschickt hat.<br />
In s<strong>eine</strong>n Äußerungen ist Tarik aber hinsichtlich der Hilfeorientierung auch<br />
ambivalent. Zwar äußert er Hoffnungen auf Hilfe, wie beschrieben, will sich<br />
aber auch zunächst lieber auf sich allein verlassen und erst bei Scheitern der<br />
eigenen Versuche die Hilfe anderer in Anspruch nehmen 157 .<br />
GEGENÜBERSTELLUNG DER INSTITUTIONELLEN HILFSANGEBOTE<br />
Aus den Erzählungen Tariks ergibt sich der Eindruck, dass die<br />
Hilfeleistungen des Mitarbeiters der Arbeitsmarktbehörde und der<br />
Bildungseinrichtung gut ineinander greifen. Tarik hat so den angestrebten<br />
Schulabschluss erworben und dadurch auch neue, wenn auch noch<br />
vorsichtige, Hoffnungen zum Erreichen s<strong>eine</strong>s Ausbildungszieles<br />
gewonnen. Er wirkt erleichtert und stolz, dies erreicht zu haben. Gewählt<br />
hat er diesen Weg auch, weil er durch Freunde bereits Positives über die<br />
154 die er inhaltlich nicht näher erläutert<br />
155 Diese Aussage ist so allerdings in Zweifel zu ziehen. Zumindest wäre durch die Sozialarbeiter<br />
<strong>eine</strong> Vermittlung in <strong>eine</strong> Jugendberufsberatung möglich, wenn diese nicht selbst angeboten wird.<br />
156 „(...) weil, die haben mir gesagt, dass die mir hier helfen eigentlich, bei Berufsvorbereitung…<br />
mein Ausbilder meint zu mir, ja, wenn du d<strong>eine</strong>n Abschluss hast und so, dann schicken wir dich in<br />
Praktikum, und wenn du gut bist, gute Beurteilung bekommst, suchen wir ne Ausbildung und so<br />
helfen dir halt. Hab ich mich jetzt drauf verlassen halt, ich weiß nicht…“ Interview, Seite 15 oben<br />
157 „Ich will erstmal versuchen, allein zu machen. Weil erstmal all<strong>eine</strong>, nur die Wünsche, was ich (...)<br />
wirklich will, (...) und falls das nicht klappt, dann ich muss mir dann irgendwo suchen Hilfe“,<br />
Interview, Seite 35 Mitte<br />
65
TARIK<br />
Einrichtung insbesondere im Hinblick auf <strong>eine</strong> erfolgreiche, nachfolgende<br />
Vermittlung gehört hatte.<br />
Betreuungsintensität und Tätigkeitsfeld unterscheiden sich allerdings<br />
zwischen Arbeitsmarktbehörde und Bildungseinrichtung. Insbesondere die<br />
Möglichkeit unterschiedlicher Ansprechpartner in der Bildungseinrichtung,<br />
die Tarik für verschiedene Bereiche nutzt, scheint ihm gefallen zu haben.<br />
Die Betreuungsleistungen sind in der Bildungseinrichtung vielfältig und<br />
decken persönliche wie berufliche Bereiche ab. Ergänzend gibt es<br />
Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung. Verglichen damit ist der Kontakt zur<br />
Arbeitsmarktbehörde nur sporadisch und erfolgt im Bedarfsfall. Da es in<br />
der Bildungseinrichtung ausreichend Beratungsmöglichkeiten und<br />
4.3.6.<br />
Bezugspartner gibt, wertet Tarik dies nicht als negativ und ist mit den<br />
wenigen Kontakten zur Behörde bisher weitgehend zufrieden, da sie im<br />
Betreuungsgefüge lediglich <strong>eine</strong> bestimmte Funktion haben. Zweifel hat er<br />
lediglich hinsichtlich der Erfolgsaussichten auf durch die Arbeitsmarktbehörde<br />
vermittelte Ausschreibungen von Ausbildungsplätzen. Diese gehen<br />
auf die durch die Freunde vermittelten Erfahrungen zurück.<br />
Abschließende Aussagen<br />
Zwei Aspekte aus dem Interview mit Tarik konnten in der bisherigen<br />
Fallbeschreibung nicht den gebührenden Platz erhalten, sind zum<br />
Verständnis aber nicht unwichtig.<br />
Zum <strong>eine</strong>n versteht sich Tarik lediglich als „Gast“ in Deutschland, obwohl<br />
er hier groß geworden ist und s<strong>eine</strong> wesentliche Sozialisation erfahren hat 158 .<br />
Tarik hat also ein schwankendes Verhältnis zwischen dem Herkunftsland<br />
der Eltern und dem Zuwanderungsland. Zum Interviewzeitpunkt tendiert<br />
Tarik eindeutig dazu, in das Herkunftsland der Eltern zurückzukehren. Der<br />
Rückkehrwille ist dabei nicht unbedingt davon abhängig, ob er in<br />
absehbarer Zeit <strong>eine</strong> Ausbildung und nachfolgend <strong>eine</strong> Arbeit bekommt.<br />
Auch in diesem günstigen Verlaufsfalle bleibt der Rückkehrwunsch<br />
bestehen. Aufgrund des thematisch fixierten Leitfadens konnte auf die<br />
Ursache dafür nicht vertiefend eingegangen werden. Jedoch wirft diese<br />
Identifizierung mit dem Herkunftsland der Eltern Fragen auf. Es bieten sich<br />
mehrere Erklärungen dafür an. Von den Eltern erzählt Tarik, dass diese<br />
definitiv und schon in absehbarer Zeit in das Herkunftsland zurückkehren<br />
werden. So übernimmt er eventuell deren Auffassungen zur Rückkehr. Die<br />
Abwanderung der Eltern würde aber in jedem Falle auch den Verlust des<br />
primären familiären Bezuges im Zuwanderungsland bedeuten, was <strong>eine</strong><br />
Verstärkung des eigenen Rückkehrwillens nahe legen würde. Aus dem<br />
Interview werden zudem z. T. gravierende Probleme unter anderem<br />
während der Schulzeit oder auch gegenwärtig bei der Ausbildungsplatzsuche<br />
ersichtlich. Die Aufenthalte im Herkunftsland während der<br />
Ferienzeiten dürften von Tarik aber als relativ sorgenfrei erlebt worden sein.<br />
Somit ist der Bezug zur vormaligen Heimat der Eltern positiv besetzt,<br />
während das „Gastland“ als mit Alltagsproblemen belastet gesehen wird.<br />
Vermutlich sieht er aus den gegenwärtigen Übergangsproblemen von der<br />
Schule in Ausbildung für sich in Deutschland auch k<strong>eine</strong> ausreichenden<br />
Perspektiven für sein weiteres Leben mehr.<br />
158 „(..) jetzt nichts gegen hier, ich bin Gast einfach in Deutschland. Ich komm mir einfach so vor;<br />
und ich möchte wieder in mein Land dann zurück halt“ Interview, Seite 3 Mitte<br />
66
TARIK<br />
Zum zweiten konnte Tarik im Interview sehr kurz und deutlich die<br />
Situation schildern und begründen, in der er sich wegen des eher geringen<br />
Integrationsgrades der Eltern befindet. Durch deren geringen<br />
4.3.7.<br />
Bildungshintergrund und die ebenfalls eher geringen Sprachkenntnisse<br />
waren die Eltern kaum in der Lage, Tarik wesentlich über den emotionalen<br />
Rückhalt in der Familie hinaus auf s<strong>eine</strong>m Bildungsweg unterstützen zu<br />
können, weder in der Schule noch im beruflichen Eingliederungsprozess.<br />
Da er der Älteste in der Geschwisterlinie ist, hat er auch k<strong>eine</strong><br />
innerfamiliären Vorbilder, die ihm dabei helfen können und befindet sich<br />
sozusagen in <strong>eine</strong>r Pionier-Rolle. Dessen ist sich Tarik auch deutlich<br />
bewusst, auch der Verantwortung, die er in dieser Hinsicht s<strong>eine</strong>n jüngeren<br />
Geschwistern gegenüber trägt.<br />
Tariks Kernthema - Zusammenfassung<br />
Tariks Situation war ursprünglich dadurch erschwert, dass er teils erhebliche<br />
Probleme während der Schulzeit hatte, mit Schulverweigerung, Konflikten<br />
mit Lehrern und auch Mitschülern. In der Abschlussphase s<strong>eine</strong>r Schulzeit<br />
musste er aus diesem Grunde die Schule wechseln. Dadurch konnte er zwar<br />
bspw. wiederholt Erfahrungen in <strong>eine</strong>m Berufspraktikum machen. Aber als<br />
diese Schule wegen der Konflikte von Schülern und Lehrern (die im<br />
Interview nicht vertiefend ursächlich geklärt werden konnten) geschlossen<br />
wurde, musste auch Tarik ohne Schulabschluss die Schule verlassen. Und<br />
hatte damit praktisch k<strong>eine</strong> Chancen auf <strong>eine</strong> Berufsausbildung, schrieb<br />
mangels Erfolgsaussicht auch k<strong>eine</strong> Bewerbungen. Die Berufsvorbereitungsmaßnahme<br />
gab ihm die Chance zum Nachholen s<strong>eine</strong>s<br />
Hauptschulabschlusses. Zum Interviewzeitpunkt konzentrierte er sich<br />
demzufolge auf <strong>eine</strong>n möglichst guten Schulabschluss. 159 . Allerdings hatte er<br />
auch in der Abschlussphase der Berufsvorbereitungsmaßnahme noch k<strong>eine</strong><br />
Bewerbungen geschrieben, obwohl er dies aufgrund s<strong>eine</strong>r guten Prognose<br />
durchaus hätte tun können. Stattdessen verlässt er sich nach Aussage auf<br />
Absprachen mit Mitarbeitern der Berufsvorbereitungs-Maßnahme, die ihm<br />
in <strong>eine</strong>m Gespräch zu helfen versprachen, über ein Praktikum zu <strong>eine</strong>m<br />
Ausbildungsplatz zu kommen. Zur Übung hatte er zwar schon<br />
Bewerbungen geschrieben, diese aber nicht abgeschickt. Außer diesen hatte<br />
Tarik somit wenig an Eigenbemühungen vorzuweisen. Im Interview erklärt<br />
er sich über Informationsdefizite zu effektiven Möglichkeiten bei der<br />
Ausbildungsplatzsuche, die auch in der Berufsvorbereitungsmaßnahme<br />
nicht geklärt worden waren. Ganz im Gegensatz dazu hat er allerdings klare<br />
Vorstellungen über s<strong>eine</strong> beruflichen Ziele, die den Berufswunsch umfassen<br />
und perspektivische Umsetzungswünsche.<br />
Sein familiärer Hintergrund ist gekennzeichnet durch ein geringes<br />
Bildungsniveau der Eltern. Da er k<strong>eine</strong> älteren Geschwister hat, an denen er<br />
sich orientieren könnte, befindet er sich innerfamiliär in <strong>eine</strong>r Pionier-Rolle.<br />
Das bedeutet, dass er im Wesentlichen auf sich allein gestellt ist in s<strong>eine</strong>r<br />
Orientierung im deutschen Bildungssystem. In der Familie gibt es außerdem<br />
<strong>eine</strong> latent vorhandene Rückkehrwilligkeit in das Herkunftsland, die auch<br />
von Tarik vertreten wird.<br />
159 „Was mir geholfen hat? Also, hauptsächlich hab ich mich jetzt nur konzentriert immer auf m<strong>eine</strong>n<br />
Abschluss. Weil, ohne den läuft nix gut hier. Deswegen, ich strebe (...) jetzt die ganze Zeit hier<br />
m<strong>eine</strong>n Abschluss; und dann muss ich mich wirklich um die Sache halt wegen Ausbildung, also<br />
Arbeitsverhältnismäßig mich…“ Interview, Seite 23 oben<br />
67
TARIK<br />
Summiert man die bisherigen Stationen nach s<strong>eine</strong>m Schulabgang und die<br />
noch anvisierten Stationen (Berufsvorbereitungs-Maßnahme, Praktikum,<br />
Ausbildung), so ergibt sich die Wahrscheinlichkeit <strong>eine</strong>r „Maßnahmen-<br />
Kette“ bis zum Erreichen der gewünschten beruflichen Qualifizierung,<br />
selbst unter Vernachlässigung noch möglicher weiterer Verzögerungen, die<br />
derzeit nicht absehbar sind. Verbunden mit <strong>eine</strong>r solchen Maßnahme-Kette<br />
ist aber auch ein gewisses Risiko des Scheiterns oder Aufgebens an <strong>eine</strong>r<br />
dieser Kettenglieder, z. B. aus Altersgründen.<br />
Insbesondere aufgrund Tariks familiärer Situation in Verbindung mit s<strong>eine</strong>n<br />
noch vorhandenen Informations- und Orientierungsdefiziten wäre es<br />
angebracht, dass Tarik weiterhin Ansprechpartner für die berufliche<br />
Orientierung behält, denen er Vertrauen entgegenbringt.<br />
68
DUNYA<br />
4.4. DUNYA: „Ich bin rausgeflogen... So kann man das sagen“ 160<br />
4.4.1. Herkunftsregion der Eltern<br />
Die Eltern wanderten etwa Mitte der 70er Jahre aus dem kurdischen Teil<br />
der Türkei aus <strong>eine</strong>r ländlichen Gegend nach Deutschland ein. Sie sind nach<br />
Dunyas Definition „Kurden mit türkischem Pass“. Dunya wurde in Berlin<br />
geboren, wuchs durchgängig im selben Kiez in Schöneberg auf und ging<br />
hier auch in die Schule. Sie gehört damit zur so genannten 2. Generation der<br />
türkischen Einwanderer in Berlin.<br />
4.4.2. Familiärer Hintergrund<br />
Die Eltern Dunyas leben bereits seit einigen Jahren getrennt. Der Vater ist<br />
nach der Trennung in die Türkei zurückgekehrt und besucht die Familie nur<br />
selten. Er hat <strong>eine</strong> neue Familie gegründet.<br />
Beide Elternteile haben weder Schulabschluss noch Ausbildung 161 . Der<br />
Vater ist bereits 65 Jahre alt, die Mutter 53. Während der Vater in <strong>eine</strong>m<br />
<strong>Berliner</strong> Schwimmbad als Kartenkontrolleur arbeitete, war die Mutter<br />
kurzzeitig als Reinigungskraft tätig. Sie ist inzwischen berentet und<br />
bekommt ergänzend ALG II. Die gegenwärtige Tätigkeit des Vaters in der<br />
Türkei ist unbekannt.<br />
Von insgesamt sieben Kindern ist Dunya das jüngste. Sie hat zwei ältere<br />
Schwestern und vier Brüder. Wie viele der Geschwister ebenso wie Dunya<br />
in Berlin geboren wurden, ist nicht bekannt. Da die Familie bereits seit ca.<br />
30 Jahren in Berlin lebt, müssten es aber fast alle sein. Die Geschwister sind<br />
bereits aus der elterlichen Wohnung ausgezogen und haben größtenteils<br />
eigene Familien. Die beiden Schwestern und zwei Brüder sind verheiratet,<br />
ein Bruder lebt ebenso wie der Vater wieder in der Türkei. Die Brüder<br />
arbeiten oder sind in Ausbildung. Die Schwestern sind mit ihren Kindern<br />
zuhause.<br />
Dunya lebt allein mit ihrer Mutter in <strong>eine</strong>r 3,5-Zimmer-Wohnung, die die<br />
Familie seit dem Zuzug nach Berlin bewohnt. Es besteht ein reger Kontakt<br />
unter den Familienmitgliedern.<br />
4.4.3. Berufliche Vorstellungen<br />
Dunya äußert nur relativ schüchtern eigene Vorstellungen über <strong>eine</strong><br />
berufliche Zukunft. Die von ihr vorgetragenen Wunschberufe<br />
Kosmetikerin, Tischlerin und Kellnerin für türkische Hochzeiten<br />
entstammen dabei vermutlich dem Erleben ihres unmittelbaren Umfeldes.<br />
Einfluss gibt es durch die Schwestern, die Tischler „gelernt“ haben 162 . Die<br />
anderen Berufe entstammen eigenen Interessen. Ihr vorrangiges<br />
Auswahlkriterium ist der Spaß an der Arbeit.<br />
Konkrete Vorstellungen zu beruflichen Inhalten über das unmittelbare<br />
Erleben aus dem Alltag heraus sind kaum erkennbar bei Dunya. Auf die<br />
Frage nach für die gewählten Berufe notwendigen Fähigkeiten, weiß sie<br />
bspw. nicht zu antworten. Ihr Wissen über die Berufswelt als Ganzes in<br />
Deutschland ist gering ausgeprägt, obwohl sie in Berlin aufwuchs. Da sie<br />
160 Interview, Seite 10 Mitte<br />
161 Jedenfalls ist Dunya davon nichts bekannt. Es ist aber durchaus auch wahrscheinlich.<br />
162 Sie nahmen an <strong>eine</strong>r Fördermaßnahme teil, evtl. sogar an <strong>eine</strong>r echten Ausbildung, vermutlich<br />
aber lediglich <strong>eine</strong>r ABM, da sie auf ein Jahr befristet war. Aus den Aussagen Dunyas lässt sich<br />
nicht exakt bestimmen, welche Art von Qualifizierung die Schwester absolvierte.<br />
69
DUNYA<br />
lediglich die 7. Klasse ausschließlich als Schülerin bis zum Halbjahresabschluss<br />
besuchte, war sie vermutlich auch nicht oder kaum integriert in<br />
den berufsvorbereitenden Unterricht, der erst in den nachfolgenden<br />
Schuljahren einsetzt. Es gibt im Interview k<strong>eine</strong> einzige Aussage zu diesem<br />
Thema. Auch über Ausbildungsvoraussetzungen ist ihr wenig oder nur<br />
Bruchstückhaftes bekannt. Ihr ist durchaus bekannt, dass die<br />
4.4.4.<br />
Vorraussetzung für <strong>eine</strong> Ausbildung ein Schulabschluss ist. Aber sie sieht<br />
selbst k<strong>eine</strong> Chance, sich für <strong>eine</strong> MAE zu bewerben, weil dazu ihrer<br />
Meinung nach ebenfalls Schulabschluss und Ausbildung Voraussetzung<br />
sind.<br />
Es scheint für Dunya trotzdem wichtig, <strong>eine</strong> Ausbildung zu machen, da sie<br />
sonst für sich k<strong>eine</strong>rlei berufliche Möglichkeiten sieht. Aber ihre Aussagen<br />
dazu sind vage und unsicher, <strong>eine</strong>rseits aufgrund ihrer unvorteilhaften Lage<br />
ohne <strong>eine</strong> abgeschlossene Schulausbildung und andererseits aufgrund der<br />
ihr von der Familie zugeschriebenen künftigen Rolle <strong>eine</strong>r traditionellen<br />
Hausfrau und Mutter. Sie scheint stärker eingebunden in ihre Familienzusammenhänge<br />
als in die deutsche Gesellschaft.<br />
Bewerbungserfahrungen<br />
BEWERBUNGSAKTIVITÄTEN<br />
Dunya hat bisher k<strong>eine</strong>rlei Bewerbungen geschrieben und auch k<strong>eine</strong><br />
Erkundigungen über Möglichkeiten <strong>eine</strong>r Umsetzung ihrer durchaus<br />
schüchtern vorgetragenen beruflichen Wünsche eingezogen. Grund dafür<br />
ist die geringe Chance, die sie sich ausrechnet 163 angesichts des fehlenden<br />
Schulabschlusses, so dass sie erst gar nicht den Versuch dazu unternimmt.<br />
Sie hat aber bereits bei ihren Schwestern zugeschaut, wie Bewerbungen<br />
geschrieben werden und weiß auch, dass sie es eigentlich tun müsste.<br />
Die Aktivitäten, welche Dunya seit Ende ihrer Schulzeit unternahm, waren<br />
auf die Wiederaufnahme ihrer Schullaufbahn gerichtet, um doch noch zu<br />
<strong>eine</strong>m ordentlichen Schulabschluss zu kommen 164 . Hierfür brachte Dunya<br />
sowohl die notwendige Eigeninitiative und Kenntnisse über die detaillierten<br />
Abläufe und Notwendigkeiten auf, wie sie dieses Ziel erreichen kann.<br />
Durch <strong>eine</strong>n Konflikt mit <strong>eine</strong>r Klassenlehrerin kam die Anmeldung in der<br />
neuen Schule im vergangenen Jahr (2005) zu spät 165 . Obwohl sich Dunya<br />
danach auch weiter erkundigt und kümmert, ist es für dieses Schuljahr zu<br />
spät. Die Folgen sind gravierend: Sie sitzt zuhause, um auf die neue Chance<br />
zur Schulanmeldung ein Jahr später zu warten.<br />
Ein Konflikt mit der Arbeitsmarktbehörde trug zu ihrer gegenwärtigen<br />
Situation ebenfalls bei. Er wird weiter unten beschrieben.<br />
Aus Dunyas Sicht müsste sich folgendes Bild ergeben: Ihr Ziel ist und bleibt<br />
vorerst das Nachholen des Hauptschulabschlusses. Da im letzten Jahr die<br />
Anmeldung schief gegangen ist, hofft sie, es in diesem Jahr besser zu<br />
163 „ich hab noch nicht versucht oder so, weil ... mach ich es ja auch umsonst, weil die mich sowieso<br />
nicht nehmen; das weiß ich ja auch. Weil bei so was braucht man <strong>eine</strong>n Abschluss und so weiter“<br />
Interview, Seite 15 oben<br />
164 „Ich will <strong>eine</strong> Schule haben. Ich will m<strong>eine</strong>n Abschluss und wo weiter machen. Dieses Jahr kann<br />
ich sowieso nicht mehr... sowieso zu spät. Halt nächstes Jahr kann ich dann... Ich will erweiterten<br />
Hauptabschluss“ Interview, Seite 11<br />
165 „Ja, es geht nur um die Unterschrift. Halt, ich hatte die Unterschrift von m<strong>eine</strong> Mutter, und m<strong>eine</strong><br />
<strong>eine</strong> Lehrerin halt, ich hab zwei Stück, und die <strong>eine</strong> war nicht da; und die meinte: ja, die ist morgen<br />
wieder hier. Ich kann’s auch faxen für dich, wenn du willst. Ich meinte: ja, ok, dann muss ich morgen<br />
nicht wiederkommen. Und so <strong>eine</strong> Woche bin ich wieder hingegangen, da meinte sie zu mir: Nee,<br />
ich hab dir so was nicht gesagt, hier hast du dein Anmeldebogen. Du hast nicht abgeholt...“<br />
Interview, Seite 13 oben;<br />
70
DUNYA<br />
machen und die Anmeldung erfolgreich einzureichen, um dann den<br />
Schulabschluss nachholen zu können. Solange bleibt ihr aus ihrer Sicht<br />
nichts weiter übrig, als zu warten, da sie k<strong>eine</strong> Alternativpläne hat.<br />
NEBENTÄTIGKEITEN<br />
Seit dem Schulabgang hat Dunya nach eigener Auskunft k<strong>eine</strong><br />
Nebentätigkeit ausgeführt. Warum nicht, wird nicht ganz klar. Sie lehnt es<br />
jedoch deutlich ab, <strong>eine</strong>n so genannten Ein-Euro-Job zu übernehmen für<br />
den Zeitraum, bis sie sich zur Schule wieder anmelden kann.<br />
BEWERBUNGSERGEBNISSE<br />
Ergebnisse kann Dunya nicht vorweisen, da sie sich bisher nicht auf<br />
Lehrstellen beworben hat. Dies ist auf ein Zusammenspiel von breiter<br />
Unkenntnis, missglückten Beratungsgesprächen und ungenügender<br />
Hilfeeinbindung zurückzuführen, möglicherweise auch aus familiär<br />
bedingten Gründen, die jedoch nur schwer einschätzbar sind 166 .<br />
BEWERTUNG DER BISHERIGEN ERFAHRUNGEN<br />
Dunya selbst schätzt ihre beruflichen Chancen als äußerst gering ein,<br />
zumindest solange der Schulabschluss nicht nachgeholt wurde. Ihr<br />
Verhalten rührt aus <strong>eine</strong>r bereits vorweggenommenen Chancenlosigkeit,<br />
weswegen sie sich auch augenblicklich nicht sonderlich bemüht,<br />
irgendetwas dafür zu tun 167 . Sie sieht aber auch, dass sie Fehler in ihrer<br />
schulischen Vergangenheit gemacht und damit ihre bisherigen Chancen<br />
nicht genutzt hat und bereut dies wohl auch 168 . Daher bemühte sie sich im<br />
vergangenen Jahr auch um die Anmeldung auf <strong>eine</strong> andere Schule.<br />
Insgesamt macht sie sich jedoch wenig Hoffnung auf <strong>eine</strong> berufliche<br />
Zukunft, auch durch die ihr in der Familie auferlegten Pflichten und die<br />
Eingebundenheit in traditionelle Rollenvorstellungen, gegen die sie sich<br />
offenkundig nicht ernsthaft wehrt. Bemühungen sind zwar zeitweise<br />
vorhanden, aber sie brechen nach <strong>eine</strong>m Misserfolg auch schnell wieder in<br />
sich zusammen. Infolgedessen verbringt sie inzwischen bereits <strong>eine</strong>n relativ<br />
langen Zeitraum von fast 2 Jahren außerhalb von Schule und Ausbildung,<br />
nahezu ausschließlich in der Familie. Ganz hat sie ihre Hoffnung auf <strong>eine</strong> 2.<br />
Chance zwar noch nicht aufgegeben. Aber sie hat auch nur wenig bisher<br />
nach Hilfe dafür gesucht.<br />
4.4.5. Hilfenachfrage und -wahrnehmung<br />
ALLGEMEINE STRATEGIEN ZUR HILFESUCHE<br />
Hinsichtlich <strong>eine</strong>s beruflichen Fortkommens kann Dunya auf ein wenig<br />
hilfreiches Umfeld zurückgreifen. In ihrer Familie findet sie kaum die<br />
Unterstützung, die sie benötigt. In der Schule hat sie zwar zweimal die<br />
obligatorischen Schul-Praktika durchlaufen und die letzten beiden<br />
Schuljahre auch längerfristige Arbeitserfahrungen durch Arbeit in <strong>eine</strong>r<br />
166 Wichtig sind dabei insbesondere Traditionen aus dem Herkunftsland, deren konkrete<br />
Auswirkungen <strong>eine</strong> sehr gute Kenntnis des kulturellen Kontextes erfordern.<br />
167 „ich hab noch nicht versucht oder so, wie (...) mach ich es ja auch umsonst, weil die mich<br />
sowieso nicht nehmen; das weiß ich ja auch. Weil bei so was braucht man <strong>eine</strong>n Abschluss und so<br />
weiter, man muss Ausbildung machen; man muss ein bisschen Erfahrung damit haben“ Interview<br />
Seite 15 oben<br />
168 „eigentlich war auch mein Fehler, ich war nie fast in der Schule, oder ich war manchmal zu spät,<br />
und... Und ich bereu es jetzt auch eigentlich.“ Interview Seite 29 oben<br />
71
DUNYA<br />
Schulmensa gesammelt 169 . Auf andere berufsvorbereitende Unterstützung<br />
aus der Schule kann sie aber offenkundig nicht zurückgreifen. Es gibt<br />
darauf k<strong>eine</strong>n einzigen Hinweis aus dem Interview. Aufgrund der jahrelang<br />
schwelenden Schulprobleme ist dies wie auch anderes Wissen vermutlich<br />
kaum an Dunya vermittelt worden.<br />
Auffällig ist, dass Dunya zunächst k<strong>eine</strong> Antwort darauf weiß, wer ihr<br />
überhaupt Hilfe bieten könnte. Ihr ist zwar ihre schwierige Situation mehr<br />
oder weniger deutlich bewusst, sie kommt aber nicht von selbst auf die<br />
Idee, sich bei der Bewältigung überhaupt Hilfe zu suchen. An <strong>eine</strong>r Stelle<br />
des Interviews erzählt sie, dass sie ihre Schulprobleme niemandem erzählt<br />
hat, der Gang zum Jugendamt nicht umgesetzt wurde, um <strong>eine</strong> Fortsetzung<br />
ihrer Schullaufbahn zu erreichen, obwohl dies anfangs von der Familie<br />
erwogen wurde. Bei den wenigen Versuchen auf der Suche nach<br />
Unterstützung hat sie bisher auch nicht die Hilfe gefunden, die sie sich<br />
erhofft hatte (s.u.) und das vermutlich auch als Negativ-Erfahrungen für<br />
sich verbucht.<br />
Dunya ist überwiegend auf die eigenständige Bewältigung von Problemen<br />
ausgerichtet (oder stärker noch auf die Vermeidung, worauf weiter unten<br />
noch eingegangen wird). Erst bei konkreterem Nachfragen fällt ihr ein, dass<br />
es in ihrem Kiez Einrichtungen (Stadtteilläden, Jugendklubs) gibt, die ihr<br />
früher schon einmal geholfen haben (Hausaufgabenhilfe), die sie aber kaum<br />
aufsucht. Hilfe und Unterstützung hat sie jedoch angesichts ihrer Situation<br />
dringend nötig.<br />
RÜCKHALT IN DER FAMILIE UND IM FREUNDESKREIS<br />
Dunya hat <strong>eine</strong> recht enge Bindung an ihre Familie und fühlt sich dort auch<br />
irgendwie geborgen in den Kontakten mit der Mutter und den älteren<br />
Geschwistern und deren Familien. Diese Familie weist aber nur wenig<br />
Kompetenzen auf, ihr in beruflicher Hinsicht Unterstützung zu geben.<br />
Aufgrund der ihr zugedachten traditionellen Rolle als Hausfrau und Mutter,<br />
gibt es auch k<strong>eine</strong>rlei Bemühungen oder auch nur das Interesse, sie in diese<br />
Richtung zu unterstützen. Der Vater lebt getrennt von der Familie in der<br />
Türkei und kann damit nicht unterstützend tätig werden. Die Mutter ist<br />
selbst nur ausnahmsweise beruflich tätig gewesen, als Putzfrau, und hat<br />
offenkundig auch nur wenig Erfahrungen in Deutschland. Sie ist zudem<br />
krank und benötigt Dunyas Hilfe.<br />
Die einzige Hilfe (und vermutlich auch den einzigen Rückhalt) aus ihrem<br />
familiären Umfeld bieten ihr die Schwestern. Sie sind auch die einzigen, die<br />
wie sie bereits Erfahrungen gemacht haben im deutschen Schulsystem und<br />
auch selbst mit Bewerbungen schon, leben aber ebenfalls mit ihren Familien<br />
in der traditionellen Frauenrolle.<br />
Dunya spricht selbst mit ihren Freundinnen nicht über ihre Probleme,<br />
obwohl sie sonst offenkundig sehr viel mit diesen unternimmt.<br />
169 Die Umstände von Dunyas Schulabgang konnten nicht eindeutig geklärt werden. Sie hat wohl<br />
nach dem Halbjahr der 7.Klasse ein Abgangszeugnis bekommen und dann bis zur 9. Klasse<br />
überwiegend in <strong>eine</strong>r Schulmensa gearbeitet, aber geringfügig auch Unterricht gehabt. Es kann sich<br />
evtl. um <strong>eine</strong> Art „Praxisklasse“ gehandelt haben. Trotzdem schafft sie den Schulabschluss nicht<br />
und verlässt die Schule nur mit Abgangszeugnis.<br />
72
DUNYA<br />
BEZUG ZUR ARBEITSMARKTBEHÖRDE<br />
Mit der Arbeitsmarktbehörde hatte Dunya bisher erst einmal Kontakt, der<br />
aber aus ihrer Sicht schwer enttäuschend verlief und weit reichende Folgen<br />
hatte. Unterstützt von Familienmitgliedern suchte sie etwa ein halbes Jahr<br />
nach ihrem Schulabgang Ende 2004 dort Rat, um ihre Schullaufbahn<br />
fortsetzen zu können. Dies fiel zeitlich zusammen mit der Einführung der<br />
neuen Arbeitsmarktgesetze („Hartz4“), die u. a. gerade Jugendlichen unter<br />
25 Jahren Angebote machen sollten. Die Anmeldung auf <strong>eine</strong> neue Schule,<br />
die sie beabsichtigte, war erst zur Mitte des neuen Jahres (2005) möglich,<br />
also ein halbes Jahr später. Bis dahin sollte sie die Auflage der<br />
Arbeitsmarktbehörde erfüllen, sich <strong>eine</strong>n so genannten Ein-Euro-Job<br />
(MAE) zu suchen. Die Beratung erfolgte aus Dunyas Sicht nicht in ihrem<br />
Interesse, auch wenn sie den Mitarbeitern <strong>eine</strong>n sonst normalen Umgang<br />
mit ihr bescheinigt. Eine Beschäftigung in <strong>eine</strong>r MAE lehnt Dunya<br />
vehement im Interview gleich mehrfach ab. Die Gründe dafür können nur<br />
erahnt werden, mögen aber etwa gleichermaßen in dem schon zu dieser Zeit<br />
schlechten Image dieser Arbeitsgelegenheiten liegen wie in der als zu niedrig<br />
empfundenen Entlohnung 170 .<br />
Seit diesem Erstkontakt mit der Arbeitsmarktbehörde entzieht sie sich<br />
weiteren Terminen, indem sie sich „mit Attest“ krank meldet. Die<br />
konkreten Umstände dieses Erstgespräches können zwar nicht exakt<br />
rekonstruiert werden. Es kann aber festgestellt werden, womit genau Dunya<br />
unzufrieden war und was aus ihrer Sicht zum Problem führte. Die Auflage<br />
<strong>eine</strong>r Vermittlung in MAE 171 stand im Gegensatz zu der erhofften Beratung<br />
von Möglichkeiten weiterer Beschulung und wurde von ihr zudem als<br />
Zwangsmaßnahme wahrgenommen. Dunya fühlte sich darüber hinaus allein<br />
gelassen mit der damit verbundenen Anstrengung, da sie außer der Auflage<br />
weder Hinweise noch Adressen bekam, wo sie sich hätte hinwenden<br />
können, um sich <strong>eine</strong> solche „Beschäftigung mit Mehraufwandsentschädigung“<br />
(MAE) suchen zu können. Somit wurde ihr hinsichtlich<br />
ihrer tatsächlichen Fragen nicht weitergeholfen, sie bekam stattdessen<br />
Auflagen, die sie nicht erfüllen wollte und auch k<strong>eine</strong> Hilfe, wie diese zu<br />
erfüllen seien. Angesichts ihrer relativ geringen Kenntnisse war sie damit<br />
augenscheinlich auch überfordert.<br />
Im Nachhinein kann festgestellt werden, dass die missglückte Erstberatung<br />
ungeschickt und nicht vertrauensförderlich war, zudem weit reichende<br />
Folgen hatte, da Dunya seitdem die Behörde meidet. Durch das so<br />
entstandene Misstrauen besteht zum Interviewzeitpunkt ein gravierendes<br />
Kommunikationsproblem, welches nur mit viel Geschick wieder aufzulösen<br />
sein wird und vorerst zu <strong>eine</strong>m Hemmnis in Dunyas zukünftiger<br />
Vermittlung geworden ist.<br />
Abgesehen von diesem grundsätzlich unglücklich verlaufenen Erstgespräch<br />
in der Behörde ist Dunya die einzige der Befragten, die die sie betreuende<br />
Arbeitsmarktbehörde mit Namen eindeutig benennen kann (JobCenter). In<br />
sie unmittelbar betreffenden Teilfragen (z. B. hinsichtlich MAE sowie<br />
finanzielle Fragen) weiß sie außerdem überraschend gut Bescheid. In<br />
170 Obwohl die Entlohnung grundsätzlich das Arbeitslosengeld erhöht, wird die Entlohnung mit<br />
<strong>eine</strong>m Euro pro Stunde (tatsächlich sind es in Berlin 1,50 €) als erniedrigend empfunden. Auch<br />
Dunya lehnt dies ab.<br />
171 Zu diesem Zeitpunkt gab es mit diesen Maßnahmen noch k<strong>eine</strong>rlei Erfahrungen. Sie waren in<br />
Berlin zudem weitgehend wenig organisiert und vorerst ohne Konzept, enthielten oft auch (noch)<br />
k<strong>eine</strong>rlei Qualifizierungsanteil.<br />
73
DUNYA<br />
anderen Fragen fehlen ihr trotzdem die notwendigen Kenntnisse. So glaubt<br />
sie bspw., dass auch zur Vermittlung in <strong>eine</strong> MAE <strong>eine</strong> abgeschlossene<br />
Schulausbildung plus Berufsausbildung notwendig sind und bewirbt sich<br />
auch aus diesem Grunde nicht darauf, weil sie sich damit auch für diese<br />
k<strong>eine</strong>rlei Chancen ausrechnet.<br />
BEZUG ZU FREIEN TRÄGERN UND ZUR EHEMALIGEN SCHULE<br />
Dunya kennt die Einrichtungen in dem Kiez, in welchem sie aufgewachsen<br />
ist. Neben dem Nachbarschaftsladen, in welchem das Interview stattfindet,<br />
kann sie auch noch weitere nennen. Sie kennt diese größtenteils bereits seit<br />
ihrer Kindheit und kann auch Angebote aufzählen, die es dort gibt, wozu<br />
auch Unterstützungsangebote zählen, wie z. B. Hausaufgabenhilfe. Die<br />
mobile Berufsberatung 172 , die einmal wöchentlich <strong>eine</strong> Sprechstunde<br />
anbietet, kennt sie ebenfalls, sucht diese aber nicht auf. Gründe dafür nennt<br />
sie nicht. Der Kontakt in die Einrichtungen ist nicht permanent, nur<br />
sporadisch. Sie nennt Freizeitinteressen, wie die kostenlosen Ausleihe von<br />
Film-DVD´s oder die zu bestimmten Zeiten ebenfalls kostenlose Nutzung<br />
des Internets. Prinzipiell sind diese Nachbarschaftsläden oder Jugendeinrichtungen<br />
daher auch Anlaufpunkte für Dunya und gehören zu ihrem<br />
Alltag, da sie dort u. a. auch mit anderen, die sie kennt, reden kann und<br />
auch Tipps von Älteren bekommt, sofern sie sie nachfragt.<br />
Im Interview wird ein Beratungsgespräch mit der Leiterin der Einrichtung<br />
erwähnt, in welchem diese ebenfalls zur Aufnahme <strong>eine</strong>r MAE als zeitliche<br />
Überbrückung bis zur möglichen Anmeldung auf <strong>eine</strong> neue Schule rät. Da<br />
dies nicht im Sinne Dunyas war, setzt sie auch dieses Beratungsgespräch<br />
nicht fort.<br />
GEGENÜBERSTELLUNG DER INSTITUTIONELLEN HILFSANGEBOTE<br />
Der Vergleich in der Hilfenachfrage Dunyas bei Arbeitsmarktbehörde und<br />
Einrichtungen freier Träger fällt besonders schwer. Während sie die<br />
Behörde meidet, sucht sie die kieznahen Einrichtungen bei Bedarf zwar auf,<br />
hat aber auch hier k<strong>eine</strong>n festen Anlaufpunkt, k<strong>eine</strong>n Ansprechpartner. Es<br />
besteht in diesen aber wenigstens grundsätzlich noch Kontakt, wenn auch<br />
lose. Da Dunya die Einrichtungen und ihre Angebote seit ihrer Kindheit<br />
kennt und diese auch hin und wider genutzt hat, besteht diesen gegenüber<br />
mindestens ein gewisses Grundvertrauen.<br />
4.4.6. Abschließende Aussagen<br />
Eigentlich hätte die Auswertung und insbesondere die Fallbeschreibung bei<br />
Dunya nach völlig anderen Kriterien vorgenommen werden müssen. Hier<br />
fiel vor allem die Diskrepanz auf, die entstand zwischen den zuvor für<br />
andere Befragte entwickelten Auswertungskriterien und -kategorien und den<br />
Schwerpunkten sowie dem tatsächlichen Verlauf des Interviews bei Dunya.<br />
Es kann im Prinzip gesagt werden, dass Dunyas Lebensentwurf von den<br />
Schwerpunkten, die diese Studie setzt, relativ weit entfernt ist. Es bleiben<br />
viele Fragen offen.<br />
172 Die mobile Beratung bietet zu festen Zeiten in verschiedenen Einrichtungen der Region<br />
Schöneberg, meist Jugendeinrichtungen, Beratungen an.<br />
74
DUNYA<br />
4.4.7. Dunyas Kernthema - Zusammenfassung<br />
Entscheidend für Dunyas Situation, auch in ihrer Selbsteinschätzung, ist<br />
ihre nicht abgeschlossene Schulausbildung. Dieser gingen während der<br />
Schulzeit gravierende Schulprobleme voraus 173 , deren Ursachen nicht<br />
eindeutig erhellt wurden. In den letzten beiden Schuljahren ging Dunya<br />
daher auf beiderseitigem Einverständnis nur noch teilweise zur Schule,<br />
während sie zur anderen Hälfte in <strong>eine</strong>r Küche arbeitete 174. Dunya bereut<br />
diesen ungünstigen Schul-Verlauf inzwischen, auch weil ihr klar ist, welch<br />
geringe beruflichen Perspektiven sie damit hat. Sie unternahm seit dem<br />
einige Versuche, <strong>eine</strong>n neuen Einstieg für das Erreichen <strong>eine</strong>s<br />
Schulabschluss zu bekommen, der die Vorraussetzung für <strong>eine</strong>n normalen<br />
Übergang in <strong>eine</strong> Berufsausbildung ihres Wunschberufes darstellt. Diese<br />
scheiterten daran, dass sie mit den jeweiligen Funktionsträgern in Schule<br />
und Arbeitsmarktbehörde k<strong>eine</strong> Einigung erreichen konnte. Das Scheitern<br />
an diesen „Schnittstellen“ führte in der Konsequenz allerdings dazu, dass<br />
Dunyas Status - unversorgt und ohne Schulabschluss - weiterhin über <strong>eine</strong>n<br />
langen Zeitraum bestehen blieb. Zudem führte der ungünstige Verlauf des<br />
Kontaktes in der Arbeitsmarktbehörde zu <strong>eine</strong>m Vermeidungsverhalten<br />
Dunyas dieser Behörde gegenüber. Sollte sich daran nichts ändern, droht<br />
Dunya im ungünstigsten Falle ohne jeglichen Schulabschluss oder<br />
Ausbildung zu bleiben, was aufgrund der immer geringer werdenden<br />
Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich vermutlich dazu führen wird, dass sie<br />
auf Dauer von Transferleistungen abhängig bleibt.<br />
Dunya spricht allerdings mehrfach und deutlich den Wunsch nach <strong>eine</strong>r 2.<br />
Chance zum Nachholen ihres Hauptschulabschlusses aus. Es ist der<br />
eigentlich „rote Faden“, der das Interview durchzieht.<br />
Obwohl also Dunya durchaus vorsichtig Berufswünsche äußert und sie<br />
auch gern umsetzen würde, kommt sie seit fast 2 Jahren an dieser Stelle<br />
nicht weiter, sucht aber von sich aus auch k<strong>eine</strong> Hilfe. Wesentlich bestimmt<br />
wird ihre Situation darüber hinaus auch durch die Eingebundenheit in ihre<br />
Familie, die für sie im Prinzip das traditionelle Zukunftsmodell bereithält:<br />
<strong>eine</strong> Heirat mit anschließender Perspektive als Hausfrau und Mutter, ohne<br />
eigene berufliche Ziele.<br />
Wie viele andere Jugendliche auch, und nicht nur Mädchen, der zweiten<br />
Generation von Einwanderern aus der Türkei steht also Dunya in der<br />
Entscheidung zwischen der traditionellen Frauenrolle und der allgemein<br />
auch für Mädchen in Deutschland offenen beruflichen Zukunft.<br />
Nicht zuletzt ist Dunyas Situation, wie sie sich im Interview darstellt, durch<br />
ihre geringe Hilfeeinbindung gekennzeichnet.<br />
173 mit Tendenz zur Schulverweigerung, wenigstens partiell/ zeitweise<br />
174 Ob dies <strong>eine</strong> Art Berufsvorbereitung war oder welche Rahmenbedingungen diese Tätigkeit sonst<br />
hatte konnte aufgrund der dürftigen Informationslage leider nicht herausgefunden werden.<br />
75
4.5. DILAN: „Das Problem ist nur Ausbildung, sonst nichts" 175<br />
DILAN<br />
4.5.1. Herkunftsregion der Eltern<br />
Die Eltern Dilans stammen aus <strong>eine</strong>r ländlichen Region aus dem kurdischen<br />
Teil der Türkei. Der Vater wanderte vermutlich Mitte der 70er Jahre im<br />
Zuge der Gastarbeiter-Einwanderung nach Deutschland ein. Die Mutter<br />
zog mit den beiden schon geborenen Kindern (ältere Geschwister Dilans)<br />
später hinterher 176 .<br />
Dilan selbst wurde wie die meisten ihrer Geschwister (bis auf die beiden<br />
ältesten) in Berlin geboren, wuchs in ein und demselben Kiez in Berlin-<br />
Spandau auf, wo sie auch zur Schule ging. Sie gehört somit ebenfalls zur so<br />
genannten 2. Generation.<br />
4.5.2. Familiärer Hintergrund<br />
Die Eltern Dilans leben bereits seit ca. 30 Jahren in Deutschland. Der Vater<br />
ist 65 Jahre alt, die Mutter 64. Dilan vermutet, dass beide k<strong>eine</strong>rlei<br />
Schulabschluss oder Ausbildung besitzen, auch aufgrund der ihr bekannten<br />
Verhältnisse in der Herkunftsregion, die sie durch Besuche kennt. Ihr Vater<br />
ist dauerhaft arbeitsunfähig. Die berufliche Tätigkeit, die er zuvor ausübte,<br />
ist Dilan nicht bekannt. Sie vermutet etwas wie Hausmeister oder die Arbeit<br />
in <strong>eine</strong>r Reinigungsfirma. Die Mutter war nicht berufstätig, sondern für den<br />
Haushalt und die Erziehung der Kinder zuständig. Beide sind entsprechend<br />
dem Alter inzwischen Rentner.<br />
Die Familie ist kinderreich. Dilan hat insgesamt 9 Geschwister (von denen 2<br />
Halbgeschwister sind), jeweils vier ältere Brüder und Schwestern sowie <strong>eine</strong><br />
jüngere Schwester, mit der sie sich ein Zimmer in der elterlichen Wohnung<br />
teilt. Die älteren Geschwister sind größtenteils bereits eigenständig, mit<br />
eigener Familie und eigener Wohnung. Während die Brüder berufstätig<br />
sind, leben die Schwestern meist traditionell als Hausfrau und Mutter mit<br />
ihren Familien, haben z. T. aber auch <strong>eine</strong> Ausbildung abgeschlossen. Die<br />
Geschwister leben z. T. in der näheren Umgebung der elterlichen Wohnung<br />
und es besteht grundsätzlich ein reger Kontakt zwischen ihnen. In der<br />
Familie werden mehrere Sprachen gesprochen. Neben Türkisch und<br />
Kurdisch ist dies auch Deutsch, insbesondere unter den jüngeren<br />
Geschwistern. Die Mutter hat dagegen geringe Deutschkenntnisse, da sie<br />
sich die meiste Zeit hauptsächlich um die Familie gekümmert hat.<br />
Die Familie wohnt mindestens während der gesamten Lebenszeit Dilans in<br />
ein und derselben Altbau-Wohnung mit 4 Zimmern in Berlin-Spandau, wo<br />
sie sich mit ihrer jüngeren Schwester ein Zimmer teilt. Dilan wünscht sich<br />
allerdings ein eigenes Zimmer.<br />
4.5.3. Berufliche Vorstellungen<br />
Dilan hat inzwischen feste berufliche Vorstellungen entwickelt. Sie will<br />
Einzelhandelskauffrau werden und weiß auch schon, wo sie arbeiten<br />
möchte: in der Textilabteilung <strong>eine</strong>s großen <strong>Berliner</strong> Kaufhauses.<br />
Das war allerdings nicht immer so. Sie brauchte lange Zeit für ihre<br />
berufliche Orientierung und beschäftigte sich seit der 9. Klasse damit, als es<br />
die Suche nach <strong>eine</strong>r Praktikumsmöglichkeit für das Schulpraktikum ging.<br />
Es fiel ihr zuerst schwer, sich für <strong>eine</strong>n Berufswunsch zu entscheiden, weil<br />
175 Interview, Seite 45 unten<br />
176 Zeitpunkt ist im Interview nicht genannt<br />
76
DILAN<br />
sie sich zwischen zwei Richtungen zunächst nicht entscheiden konnte,<br />
<strong>eine</strong>rseits Arzthelferin, andererseits den inzwischen konsequent verfolgten<br />
Berufswunsch als Einzelhandelskauffrau. Das Schulpraktikum brachte<br />
durch die praktische Erprobung des <strong>eine</strong>n Berufswunsches die<br />
Entscheidung. Sie testete das Arbeitsspektrum <strong>eine</strong>r Arzthelferin aus und<br />
stellte dabei fest, dass dies nicht der richtige Beruf für sei. Ihre<br />
Deutschkenntnisse (schriftlich) schätzt sie hierfür als nicht ausreichend ein<br />
und wegen der vielen Schreibarbeit läge ihr der Beruf nicht.<br />
Entscheidendes Kriterium zur Auswahl des Berufsfeldes ist für Dilan die<br />
Frage, was ihr <strong>eine</strong>rseits Spaß macht und ihr andererseits auch persönlich<br />
liegt, ebenso aber auch, ob der Beruf <strong>eine</strong> Zukunft hat. Spaß an der Arbeit<br />
selbst, die Selbsteinschätzung ihrer Fähigkeiten und die Zukunftsfähigkeit<br />
des Berufes sind also ihre entscheidenden Auswahlkriterien.<br />
Die Entscheidungsfindung über ihren zukünftigen Berufsweg nahm Dilan<br />
ziemlich ernst. Dabei prüfte sie die Berufe aus ihrer näheren Umgebung, die<br />
sie also aus ihrem Alltagskontext kannte, darauf ob sie zu ihr passen<br />
würden. Insbesondere ihre Geschwister hatten in dieser Phase <strong>eine</strong> starke<br />
Vorbildwirkung. Sie besuchte die Geschwister, besonders die Brüder, an<br />
ihren jeweiligen Arbeitsplätzen und betrachtete so deren Arbeitsbedingungen<br />
und ihre Tätigkeiten. Sie unterhielt sich auch mehrmals mit diesen<br />
Geschwistern über ihren weiteren Berufsweg.<br />
Einen wichtigen Einfluss auf die endgültige berufliche Entscheidung hatten<br />
auch die Erfolgserlebnisse, die sie während des dreimonatigen Praktikums<br />
im Rahmen des Berufsvorbereitungsjahres im Einzelhandel <strong>eine</strong>s<br />
Kaufhauses machte 177 4.5.4.<br />
. Hier bekam sie sowohl von den Kunden wie auch<br />
von den Kollegen positive Rückmeldungen, was ihre Motivation, diesen<br />
Beruf zu ergreifen noch einmal verstärkte. Bei der Entscheidung für den<br />
anvisierten Ausbildungsberuf (und damit auch in dem Praktikum, welches<br />
den Berufswunsch auf s<strong>eine</strong> Langfristigkeit testen sollte), ging es ihr also um<br />
Fragen wie: Ist dies der Beruf, der mich langfristig interessieren könnte?<br />
Werde ich mit diesem Beruf auf lange Sicht glücklich?<br />
Bewerbungserfahrungen<br />
BEWERBUNGSAKTIVITÄTEN<br />
Ihre Bewerbungsaktivitäten schätzt Dilan als bisher eher gering ein. Sie<br />
begründet das damit, dass die meiste bisherige Zeit auf die<br />
Entscheidungsfindung über den tatsächlichen Berufswunsch ausgerichtet<br />
war. Bevor sie sich darüber nicht sicher war, wollte sie noch k<strong>eine</strong><br />
ernsthaften Bewerbungen abschicken. Ihre bisher geringen Bewerbungserfahrungen<br />
sind aber auch damit begründbar, dass ihr Schulabschluss noch<br />
nicht sehr lange zurückliegt (2005).<br />
Zum Ende und nach Abschluss der Schulzeit verschickte sie etwa 10<br />
Bewerbungen, die meisten davon für die Bewerbung als<br />
Einzelhandelskauffrau 178 . Sie hatte danach auch schon <strong>eine</strong>n<br />
Einstellungstest, den sie mithilfe <strong>eine</strong>r ihr bekannten Jugendeinrichtung<br />
vorbereitete. Dass dieser jedoch negativ ausfiel, schreibt sie den Mängeln in<br />
ihrer eigenen Vorbereitung zu.<br />
177<br />
neben den geringeren Anforderungen an ihre (schriftlichen) Deutschkenntnisse für den Beruf der<br />
Einzelhandelskauffrau<br />
178<br />
Daß sie hierfür ausschließlich Ablehnungen bekommen hat, kann auch darauf zurückgehen,<br />
dass sie bereits zu spät begonnen hatte mit dem Schreiben und damit die Abgabe-Fristen evtl.<br />
schon überschritten waren.<br />
77
DILAN<br />
Als sie im September 2005, zu Beginn des Lehrjahres, noch immer<br />
unversorgt war, nahm sie das Angebot der zuständigen<br />
Arbeitsmarktbehörde zur Absolvierung <strong>eine</strong>s Berufsvorbereitungsjahres<br />
gern an, um <strong>eine</strong>rseits nicht untätig sein zu müssen und sich andererseits in<br />
ihren Zugangsvoraussetzungen verbessern zu können. Insbesondere die<br />
Möglichkeit <strong>eine</strong>s mehrmonatigen Praktikums, um ihren zweiten<br />
Berufswunsch zu testen, schien ihr dabei vorteilhaft. Da sie jedoch bereits<br />
<strong>eine</strong>n Realschulabschluss besaß, bot ihr das Berufsvorbereitungsjahr kaum<br />
Möglichkeiten zur Verbesserung ihrer schulischen Voraussetzungen. Damit<br />
war sie zum Interviewzeitpunkt eher unzufrieden. Auch die Sicherheit, die<br />
<strong>eine</strong> Fortsetzung der Schullaufbahn innerhalb <strong>eine</strong>s institutionellen<br />
Rahmens darstellte, und der Kontakt zu Gleichaltrigen, waren ihr wichtig,<br />
als sie sich für das Berufsvorbereitungsjahr entschied.<br />
Zum Interviewzeitpunkt, der am Ende des Berufsvorbereitungsjahres<br />
stattfand, schrieb Dilan bereits neue Bewerbungen, über deren Umfang es<br />
aber k<strong>eine</strong> Aussagen gibt. Die Stellen, bei denen sie sich bewirbt, sucht sie<br />
sich größtenteils aus dem Internet heraus, über die dafür üblichen Seiten.<br />
Neben Google sind dies M<strong>eine</strong>-Stadt.de, Berlin.de oder auch die Gelben<br />
Seiten. Außerdem sucht sie vor Ort in ihrem Umfeld nach interessanten<br />
Stellen und fragt dort direkt nach. Erst bei signalisiertem Interesse schickt<br />
sie dann <strong>eine</strong> schriftliche Bewerbung. Dies hat für sie überwiegend<br />
ökonomische Gründe, da sie es grundsätzlich für nicht sinnvoll hält,<br />
Bewerbungen wahllos zu versenden, sondern erst bei ausreichender<br />
Aussicht auf Erfolg. Sie versendet überwiegend Initiativbewerbungen,<br />
weniger auf direkt ausgeschriebene Stellen. Der Grund dafür ist unbekannt.<br />
Möglicherweise rechnet sie sich weniger Chancen aus, wenn die Stelle offen<br />
ausgeschrieben ist? Sie wiederholt Bewerbungen an schon einmal<br />
kontaktierte Stellen nach <strong>eine</strong>r gewissen Zeit, wenn sie dies für sinnvoll hält.<br />
Insgesamt erscheint die Bewerbungsstrategie durchdacht und recht<br />
zielgerichtet. Auch wenn sie selbst ihre Bewerbungsbemühungen für eher<br />
gering einschätzt, scheint sie doch viel Eigeninitiative einzusetzen. Insofern<br />
ist die geringe Anzahl evtl. eher darauf zurückzuführen, dass sie ihre<br />
Bewerbungen ernsthaft betreibt und nicht wahl- und ziellos<br />
Bewerbungsschreiben versendet.<br />
NEBENTÄTIGKEITEN<br />
Dilan hat außerhalb der Berufsvorbereitungs-Maßnahme und der<br />
absolvierten Praktika k<strong>eine</strong> Nebentätigkeiten in der Schulzeit und danach<br />
ausgeübt.<br />
BEWERBUNGSERGEBNISSE<br />
Bisher waren alle Bewerbungsbemühungen negativ, einschließlich des weiter<br />
oben beschriebenen Einstellungstests.<br />
BEWERTUNG DER BISHERIGEN ERFAHRUNGEN IM<br />
BEWERBUNGSPROZESS<br />
Es gibt im Interview wenig direkte Aussagen, die <strong>eine</strong> Bewertung enthalten.<br />
Dilan spricht über ihre bisherigen Bemühungen eher neutral. Allerdings gibt<br />
es <strong>eine</strong> allgem<strong>eine</strong> Äußerung am Ende des Interviews, die weniger ihre<br />
private Situation betrifft als vielmehr die allgem<strong>eine</strong> Lage auf dem<br />
Ausbildungsmarkt in Berlin einschätzte. Dort sagt sie, die Chance, in Berlin<br />
<strong>eine</strong> Ausbildung zu bekommen sei nicht sehr gut, da es inzwischen sehr<br />
78
DILAN<br />
viele Interessenten gibt, die auch aus dem Vorjahr noch unversorgt sind<br />
und somit die Gesamtzahl der Interessenten eher hoch ist, womit sie viel<br />
Realismus beweist. Ihre eigenen Chancen schätzt sie wegen der erwarteten<br />
positiven Beurteilung vom Bildungsträger des Berufsvorbereitungsjahres<br />
trotzdem nicht schlecht ein (aber auch nicht gut, eher „mittel“). Sie erwartet<br />
für die Zukunft mindestens noch einige Vorstellungsgespräche, und<br />
vermutlich auch, dass <strong>eine</strong>s davon dann erfolgreich verlaufen wird, was sie<br />
aber so nicht ausspricht 179 .<br />
4.5.5. Hilfenachfrage und -wahrnehmung<br />
ALLGEMEINE STRATEGIEN ZUR HILFESUCHE<br />
Dilan hat bisher in ihrem Übergangsprozess auf Hilfen von verschiedenen<br />
Seiten zurückgegriffen und diese sogar größtenteils selbst ausgewählt. Am<br />
stärksten orientiert sie sich dabei, wenn man ihre Aussagen gewichtet, an<br />
ihren älteren Geschwistern, besonders den Brüdern. Diese zieht sie, wie<br />
schon beschrieben, zu Rate in ihrer beruflichen Entscheidungsfindung,<br />
besucht sie dafür sogar auf ihren jeweiligen Arbeitsstellen. Die Eltern<br />
können dagegen außer dem emotionalen Halt wenig konkrete Hilfe bieten,<br />
da sie selbst wenig Schulerfahrung haben und auch sonst wenig<br />
Hintergrundwissen über die berufliche Eingliederung in Deutschland<br />
mitbringen. Auch die Verwandten werden durch Dilan nicht aufgesucht,<br />
vermutlich wegen der ähnlich erwarteten geringen Kenntnisse. Trotz allem<br />
kann gesagt werden, dass Dilan wegen ihrer älteren Geschwister auf <strong>eine</strong><br />
gute familieninterne Hilfestruktur zurückgreifen kann, die ihr bisher<br />
erfolgreiche Hilfe anbieten konnte.<br />
In der Schule wird sie zwar rechtzeitig darauf gebracht, sich über ihre<br />
berufliche Zielrichtung Gedanken zu machen, was sie, wie beschrieben<br />
durchaus ernst nimmt. Sie drängen auch darauf, dass Dilan frühzeitig<br />
beginnt, Bewerbungen zu schreiben. Als Ansprechpartner sch<strong>eine</strong>n diese<br />
dabei für Dilan weniger verfügbar zu sein, da sie an k<strong>eine</strong>r Stelle anspricht,<br />
bei den Lehrkräften Rat gesucht zu haben. Erwähnt wird lediglich<br />
mehrmals deren Ermahnung. Wegen der geringen Präsenz in Dilans<br />
Erzählungen, kann vermutet werden, dass die Lehrer wenig Einfluss auf<br />
ihre berufliche Orientierung gehabt haben 180 .<br />
Auf die Unterstützung durch Jugendklubs ihrer Umgebung und den<br />
Bildungsträger des Berufsvorbereitungsjahres sowie die zuständige<br />
Arbeitsmarktbehörde werde ich im Folgenden vertiefend eingehen.<br />
BEZUG ZUR ARBEITSMARKTBEHÖRDE<br />
Zunächst sei erwähnt, dass auch Dilan die aktuelle Bezeichnung der<br />
zuständigen Arbeitsmarktbehörde nicht kennt 181 und auch nicht weiß, ob<br />
nun die Arbeitsagentur oder das JobCenter für sie zuständig ist 182 . Aus der<br />
Schulzeit ist Dilan wenig über die Aktivitäten der Behörde bekannt. Erst auf<br />
Nachfrage fällt ihr ein, dass ein Mitarbeiter im Rahmen des Arbeitslehre-<br />
179 „Na… eigentlich… mit…Tleren, (...) weil, ich hab immer Beurteilungen be… äh, bekommen,<br />
und… von den anderen hab ich gehört, das ist sehr gut, das ist das beste eigentlich, was die<br />
schreiben können; denk ich mir, dass ich auf jeden Fall noch paar andere Gespräche haben werde.<br />
Durch diese Beurteilung“ Interview, Seite 44 oben<br />
180 Da Dilan mit solchen Wertungen vorsichtig ist, sagt sie auch nicht direkt, dass die Lehrer in<br />
mancherlei Hinsicht nicht sehr hilfreich waren. Es wird aber durchaus aus dem<br />
Gesamtzusammenhang des Interviews deutlich, dass sie mit ihrer Schule nicht ganz zufrieden war.<br />
181 „Jobcenter ist, glaub ich, da, wo man Arbeit findet, oder für <strong>eine</strong>n Euro arbeitet, oder? Ich weiß<br />
nicht so den großen Unterschied“ Interview, Seite 18 unten<br />
182 Aber in aller Regel wird dies auch hier wieder das zuständige JobCenter sein.<br />
79
DILAN<br />
Unterrichtes in der Schule war und dass sie mit der Schulklasse das örtliche<br />
BIZ besucht hatte. Der erste persönliche Kontakt fand durch Einladung per<br />
Anschrift nach Beendigung der Schulzeit Ende August 2005 statt. ALG II<br />
bezieht Dilan nicht, da sie noch k<strong>eine</strong>n Antrag darauf gestellt hat vor ihrem<br />
18. Geburtstag. Offenkundig ist auch sie (wie schon Murat) nicht dahingehend<br />
beraten worden, dass sie bereits kurz nach Beendigung der Schule<br />
anspruchsberechtigt war 183 .<br />
Zum tatsächlichen Kontakt mit der Mitarbeiterin der Behörde kann sie mir<br />
nicht viel Konkretes sagen, da sie mit dieser überhaupt erst zweimal<br />
gesprochen hat. Dabei war ihr zuletzt das Berufsvorbereitungsjahr<br />
vorgeschlagen worden 184 . Den meisten Kontakt hatte sie demzufolge mit<br />
dem Bildungsträger selbst, mit dem sie auch die Abwicklung der<br />
Formalitäten vornahm. Außerdem bekommt sie postalisch monatlich ca. 1-<br />
2 Vorschläge mit Ausbildungsstellen zugestellt. Mit diesen hatte sie z. T.<br />
schon schlechte Erfahrungen, da sie sich als nicht zuverlässig erwiesen.<br />
Dilan hat insgesamt aus dem bisher Erleben trotzdem <strong>eine</strong>n weniger guten<br />
Eindruck von der Behörde und begründet das damit, dass von dieser<br />
zuwenig konkrete Hilfe angeboten wird, um <strong>eine</strong> Ausbildungsstelle zu<br />
erhalten 185 . Dilan wünscht sich daher konkrete Hilfe dabei, was sie tun kann,<br />
um <strong>eine</strong> Ausbildung für sich zu finden 186 . Tendenziell ist sie von ihren<br />
bisherigen Erfahrungen mit der Behörde eher enttäuscht.<br />
BEZUG ZU FREIEN TRÄGERN<br />
Die Jugendeinrichtungen in ihrem Kiez kennt Dilan. Sie ist dort<br />
aufgewachsen. Einer ihrer Brüder hat sie dorthin mitgenommen. Hier hat<br />
sie auch bereits Hilfen erfahren (Hausaufgabenhilfe), Freizeitaktivitäten<br />
kennen gelernt und trifft dort auf Gleichaltrige 187 . Durch die Langfristigkeit<br />
des Kontaktes, gemeinsame Freizeiterlebnisse, Niedrigschwelligkeit der<br />
Angebote u. a. hat sich daher ebenso wie bei anderen auch ein gewisses<br />
grundsätzliches Vertrauensverhältnis entwickelt. In der Suche nach<br />
konkreten Hilfen im Bewerbungsprozess wendet sich Dilan darum auch an<br />
dortige Mitarbeiter, die ihr bspw. helfen bei der Vorbereitung des<br />
Einstellungsgespräches und in einigen anderen konkreten Fragen bei der<br />
Bewerbung, wie z. B. Tipps für hilfreiche Internetseiten etc. 188 , die nicht<br />
durch die Schule vermittelt wurden.<br />
183 „Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und das<br />
65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren<br />
gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben“ SGB II, § 7, Abs. 1<br />
184 Sie gehört im engeren Sinne allerdings nicht zur Zielgruppe dieser Maßnahme. Dies sind<br />
Hauptschulabgänger ohne Schulabschluss. Dilan kann jedoch bereits <strong>eine</strong>n Realschulabschluss<br />
vorweisen.<br />
185 „Also, ich denk mal, die müssen, sollten sich mehr… einsetzen, irgendwie. Arbeitsamt... Damit<br />
man ne Ausbildung bekommt. Ok, nicht das grad, aber… die sagen, die schreiben dir Bewerbung,<br />
wir beraten euch, aber die beraten eigentlich nicht so oft. Zum Beispiel bei mir war’s nur zweimal...<br />
Bisschen mehr beraten, denk ich mal. Weil, dafür sind sie ja auch da“ Interview, Seite 21 unten/ 22<br />
oben<br />
186 „Zum Beispiel… wo noch Ausbildungsplätze… obwohl, das kann ich ja auch selber machen,<br />
aber… irgendwie solche Zetteln geben, wie man sich besser so vorbereiten kann, Einstellungstest<br />
und so; die kann man zwar auch im Internet; aber man könnte mit denen darüber reden, denk ich,<br />
so. Ich weiß auch nicht“ Interview Seite 22 oben<br />
187 „Also, die helfen bei Hausaufgaben; allgemein so; was an Hilfe man braucht. Wenn man Brief<br />
bekommen hat, und wenn man’s nicht versteht, gehen wir auch dorthin. Die helfen ja auch./ I: Und<br />
wobei haben sie dir geholfen?/ Also, von früher auch Hausaufgaben, Bewerbungen,<br />
Einstellungstest, so“ Interview, Seite 22 Mitte<br />
188 „Na, die erzählen dir, wie du es besser machen könntest; sagen dir, was du lieber sein lassen,<br />
oder wenn ich was falsch formuliert habe, dann formulieren sie es richtig… die gucken noch mal…“<br />
Interview, Seite 22 unten<br />
80
DILAN<br />
Unterstützung und vor allem Rat findet Dilan aber auch in der<br />
Bildungseinrichtung des Berufsvorbereitungsjahres. Hier gibt es mehrere<br />
Sozialarbeiter, die z. T. auch Unterricht geben. Sie erwähnt <strong>eine</strong>n der<br />
Ansprechpartner besonders, der ihr Vertrauen genießt und bei dem sie nicht<br />
nur in beruflicher Hinsicht, sondern auch bei persönlichen Problemen Rat<br />
sucht. 189 So fühlt sie sich in dem Berufsvorbereitungsjahr gut untergebracht<br />
und betreut, wenn auch insgesamt nicht so gefördert, wie sie sich das<br />
gewünscht hätte. Außer dem mehrmonatigen Praktikum hatte sie k<strong>eine</strong>n<br />
nennenswerten Nutzen für ihre Zugangsvoraussetzungen 190 .<br />
GEGENÜBERSTELLUNG DER INSTITUTIONELLEN HILFSANGEBOTE<br />
Neben dem Rückhalt und der Hilfe aus der Familie (insbesondere die<br />
Brüder) findet Dilan Anbieter konkreter Hilfen im Bewerbungsprozess bei<br />
Bedarf insbesondere in den Jugendeinrichtungen, die ihr bereits bekannt<br />
sind, vor allem aus dem Freizeitbereich und durch Hilfe-Angebote aus der<br />
Schulzeit. Ebenso kann sie sich an die Mitarbeiter der Bildungseinrichtung,<br />
in der sie das Berufsvorbereitungsjahr absolviert, mit ihren konkreten<br />
Fragen und Problemen wenden. Hier fühlt sie sich gut beraten und betreut,<br />
nicht ausschließlich in beruflichen Angelegenheiten.<br />
Auch Dilan äußert wie schon andere Jugendliche, Kritik an der Betreuungsleistung<br />
der zuständigen Arbeitsmarktbehörde, die sich insbesondere auf die<br />
Intensität der Betreuung richtet. Sie stellt damit Betreuungslücken fest, die<br />
sie durch die Suche nach anderweitigen Hilfeanbietern aufzufüllen sucht.<br />
4.5.6. Abschließende Aussagen<br />
Auch Dilan hat wie andere Jugendliche, für die unmittelbare Zukunft noch<br />
viel Beratungs-, vor allem aber Betreuungsbedarf. Wie bei anderen<br />
Jugendlichen ist der Übergangsprozess von der Schule in <strong>eine</strong>n<br />
Ausbildungsplatz mit vielen Hürden gepflastert und erstreckt sich über<br />
<strong>eine</strong>n unbestimmten Zeitraum von oft mehreren Jahren. Hier gibt es auf<br />
Seiten der Jugendlichen viel Frustration, die es aufzufangen gilt, um sie<br />
nicht zu entmutigen. Dies scheint auch für Dilan nicht anders zu werden.<br />
Tatsächlich ist Dilan aber noch nicht verzagt. In ihren Aussagen ist aber<br />
doch erkennbar, dass ihr der Rückhalt in <strong>eine</strong>r Einrichtung wichtig ist<br />
(aktuell der Bildungsträger des Berufsvorbereitungsjahres). Sie hat hier<br />
Kontakte zu Gleichaltrigen, kann sich gleichzeitig weiter entwickeln (wenn<br />
auch nicht ganz so, wie gewünscht) und bekommt Möglichkeiten zur<br />
Beratung.<br />
4.5.7. Dilans Kernthema - Zusammenfassung<br />
Obwohl Dilan <strong>eine</strong>n Realschulabschluss hat, absolviert sie zum<br />
Interviewzeitpunkt ein Berufsvorbereitungsjahr, welches in der Hauptsache<br />
für Schulabgänger gedacht ist, die k<strong>eine</strong>n qualifizierten Schulabschluss<br />
geschafft haben. Insofern gehört sie streng genommen nicht zur<br />
Zielgruppe, obwohl sie selbst ihre Deutschkenntnisse bspw. als nicht sehr<br />
gut einschätzt. Sie verbringt dort die Zeit, um das für sie verloren gegangene<br />
Ausbildungsjahr sinnvoll zu überbrücken. Als Gewinn sieht sie das<br />
dreimonatige Praktikum im Rahmen des Berufsvorbereitungsjahres,<br />
189 „Weil… ich weiss nicht, mit dem kann man besser reden. Ich hab auch m<strong>eine</strong> Probleme ihm<br />
erzählt, sozusagen; und… er kennt das besser. Er weiß es, wie es so ist, und… er kann mich dann<br />
besser verstehen, und… besser beraten“, Interview, Seite 38 oben<br />
190 da sie nicht zur Zielgruppe gehörte<br />
81
DILAN<br />
wodurch sich ihre Entscheidung für den endgültigen Berufswunsch<br />
verfestigen konnte. Diese Entscheidung ist ihr nicht leicht gefallen. Sie hat<br />
sich viel Zeit dafür genommen. Dadurch auch hat sie im entscheidenden<br />
Zeitraum am Ende der 10. Klasse nicht ausreichend Bewerbungen<br />
geschrieben. Zu diesem Zeitpunkt war sie sich noch nicht sicher über ihr<br />
berufliches Ziel.<br />
Für Dilan gibt es auf den ersten Blick sonst kaum problematische Faktoren.<br />
Sie sucht und bekommt Unterstützung aus ihrer Familie und ergänzend in<br />
Jugendeinrichtungen ihrer Wohnumgebung und von den Mitarbeitern des<br />
Berufsvorbereitungsjahres. Aufgrund der erwarteten positiven Beurteilung<br />
des Berufsvorbereitungsjahres hofft sie, in ihren Bewerbungen zukünftig<br />
erfolgreicher zu sein und <strong>eine</strong> Ausbildungsstelle zu bekommen.<br />
82
5. Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
5.1. Persönlicher Hintergrund<br />
5.1.1. Herkunft<br />
Der Zeitpunkt der Zuwanderung innerhalb der Schullaufbahn und die<br />
bisherige Aufenthaltsdauer beeinflusste in gewisser Hinsicht den<br />
5.1.2.<br />
Übergangsprozess der Jugendlichen mit.<br />
Drei von vier befragten jugendlichen Aussiedlern kommen aus Kasachstan<br />
(Jurij, Olga, Tanja), <strong>eine</strong>r der Jugendlichen aus St. Petersburg (Sascha). Die<br />
drei Erstgenannten leben bereits seit vielen Jahren in Berlin (Jurij, Olga,<br />
Tanja) und verbrachten dort den größten Teil ihrer Schulzeit. Sascha, der<br />
erst vor ca. 3 Jahren nach Berlin zuwanderte, kam kurz vor dem Abschluss<br />
s<strong>eine</strong>r Schullaufbahn. Die Jugendlichen mit <strong>eine</strong>m bereits langjährigen<br />
Aufenthalt sind zum Interviewzeitpunkt sprachlich bereits weitgehend<br />
integriert, können sich in der Gesellschaft orientieren und schätzen ihre<br />
persönlichen Chancen aufgrund ihrer Kenntnisse verhältnismäßig realistisch<br />
ein. Dies gelingt Sascha noch nicht in demselben Maße. Er wirkt in vielem<br />
desorientiert, hat auch die sprachliche Eingliederung noch nicht endgültig<br />
geschafft, weil der Zeitpunkt der Zuwanderung für s<strong>eine</strong> Bildungskarriere<br />
besonders ungünstig war, kurz vor Abschluss s<strong>eine</strong>r Schullaufbahn. Auch<br />
Jurij musste infolge der Zuwanderung und durch ungünstige Schul- und<br />
Wohnortwechsel bedingt, 2-mal ein Schuljahr wiederholen.<br />
Vergleich Stadt-Land-Herkunft<br />
Es konnten in der Auswertung k<strong>eine</strong> Einflüsse festgestellt werden zwischen<br />
Familien aus ländlichen/kleinstädtischen Regionen und der Großstadt. Es<br />
gab k<strong>eine</strong> erkennbaren Einflüsse z. B. in der Berufsorientierung, bei der<br />
Suche nach Unterstützung, im Verhalten gegenüber Institutionen wie der<br />
Arbeitsmarktbehörden, der Bildungsorientierung etc., die mit der Stadt-<br />
Land-Herkunft in Verbindung gebracht werden könnten.<br />
5.1.3. Alter, Schulabgang und Bewerbungserfahrungen<br />
Die befragten Jugendlichen sind im Schnitt 19 Jahre alt (mit Ausnahme von<br />
Jurij, der zum Interviewzeitpunkt 20 Jahre alt ist). Während Jurij bereits<br />
2003 die Schule abgeschlossen hatte, waren Sascha und Tanja 2005 von der<br />
Schule abgegangen 191 , Olga bereits 2004. Zwei der Jugendlichen hatten die<br />
Schule mit <strong>eine</strong>m Hauptschulabschluss abgeschlossen (Jurij, Sascha). Jurij<br />
hatte in der Zwischenzeit auf dem OSZ auch den Realschulabschluss<br />
nachgeholt. Tanja konnte wegen ihrer frühen Mutterschaft die Schule nicht<br />
beenden und ging daher lediglich mit <strong>eine</strong>m Abgangszeugnis von der<br />
Schule. Olga hatte zwar sogar <strong>eine</strong>n Realschulabschluss, allerdings war auf<br />
dem Zeugnis die Deutschnote mangelhaft.<br />
Die Erfahrungshintergründe und damit auch die Inhalte der Interviews<br />
korrespondieren weitgehend mit den unterschiedlich langen Zeiträumen seit<br />
Beendigung der Schule. Wenn der Zeitpunkt erst kurze Zeit zurückliegt,<br />
überwiegen auch schulische Erfahrungen im Zusammenhang mit der<br />
Vorbereitung auf die Bewerbungsphase. Lag diese Zeit bereits länger<br />
zurück, so stehen die Erfahrungen mit dem Übergangsprozess selbst stärker<br />
191 Tanja hatte wegen der Unvereinbarkeit mit der frühen Mutterschaft die Schule mit <strong>eine</strong>m<br />
Abgangszeugnis beendet, Sascha die Schule auch nach Wiederholung der 10. Klasse lediglich mit<br />
Hauptschulabschluss verlassen.<br />
83
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
5.1.4.<br />
im Zentrum des Interviews. Durch den unterschiedlichen „Ist-Stand“, den<br />
das Interview zum jeweiligen Interviewzeitpunkt für die jeweiligen<br />
Jugendlichen erfasst, wird der Prozesscharakter der Übergangsphasen der<br />
Jugendlichen von der Schule in Ausbildung noch einmal verstärkt.<br />
Familiärer Hintergrund<br />
Die Jugendlichen kamen nach Deutschland zum größten Teil mit den<br />
Eltern und teils auch anderen Verwandten, wie den Großeltern. In den<br />
meisten Fällen, auch in der Ein-Eltern-Familie von Tanja, ist der emotionale<br />
Rückhalt aus der Familie groß. Die Eltern dienen als Ansprechpartner, auch<br />
bei Problemen während der Ausbildungssuche. Als solche erfüllen sie <strong>eine</strong><br />
wichtige Aufgabe für die Jugendlichen, die nicht unwesentlich sein dürfte<br />
für das Selbstwertgefühl und eventuell auch das Verhalten der Jugendlichen<br />
in der Übergangsphase selbst. Nur ein Jugendlicher war vorrangig auf sich<br />
selbst gestellt (Sascha), weil er es selbst als wesentlich ansah, als inzwischen<br />
Erwachsener s<strong>eine</strong> Probleme selbständig zu lösen, ohne wesentlichen ohne<br />
Rückgriff auf die Eltern. Allerdings war bei Sascha auch ganz deutlich das<br />
Bestreben nach Rückhalt im Freundeskreis zu beobachten, dass es aber<br />
auch bei den anderen Jugendlichen gab, nur nicht in diesem Umfang.<br />
5.2. Bildungsorientierung<br />
5.2.1. Ausbildungsorientierung<br />
Die Jugendlichen sind durchweg sehr stark am Abschluss <strong>eine</strong>s<br />
berufsqualifizierenden Abschlusses, also an <strong>eine</strong>m Ausbildungsplatz<br />
interessiert und dafür auch bereit, viel zu investieren. Sie haben es aber<br />
nichtsdestotrotz schwer, <strong>eine</strong>n geeigneten Ausbildungsplatz zu finden. Die<br />
bisherigen Wege der Ausbildungsplatzsuche sind unterschiedlich gewesen<br />
und waren insbesondere davon abhängig, welche Ziele die Jugendlichen<br />
verfolgten (schulische wie Olga/ oder direkter Einstieg in Ausbildung wie<br />
Jurij), aber auch von der persönlichen Situation (Tanja). Sie waren<br />
andererseits auch von dem jeweiligen Angebot in der <strong>Berliner</strong> Region<br />
abhängig (Jurij). Inwieweit dabei die Herkunft als Aussiedler <strong>eine</strong> Rolle für<br />
die bisherige Unversorgtheit spielte, kann nicht eindeutig nachgewiesen<br />
werden. Jurij und Olga machten Angaben, die als Erfahrungen von<br />
Diskriminierung gewertet werden könnten, die aber lediglich gefühlsmäßig<br />
als solches wahrgenommen wurden und folglich schwer nachweisbar sind.<br />
Die Jugendlichen verfolgen in erster Linie ihre ganz persönlichen<br />
beruflichen Zielvorstellungen und möchten ihren Wunschberuf<br />
verwirklichen. Dafür werden auch Umwege in Kauf genommen, durch die<br />
Absolvierung <strong>eine</strong>s Berufsvorbereitungsjahres, die Verbesserung der<br />
Schulnoten oder die Aufwertung des Schulabschlusses selbst mittels <strong>eine</strong>s<br />
weiteren Schuljahres an <strong>eine</strong>m der <strong>Berliner</strong> OSZ, mit oder ohne<br />
berufsqualifizierenden Anteil. Diese nachfolgenden Schulanteile werden in<br />
der Regel durch die Jugendlichen als positiv gewertet, da es sie ihrem Ziel<br />
näher bringt. Zwei der Jugendlichen hatten mindestens <strong>eine</strong>n solchen<br />
Lehrgang bereits hinter sich (Jurij, Olga), die anderen beiden hatten ihrem<br />
Ziel angemessen ein ähnliches Vorhaben (sofern die Möglichkeit, den<br />
Schulabschluss im Rahmen <strong>eine</strong>r Ausbildung nachzuholen, für Tanja dazu<br />
zählt wird)<br />
Die Jugendlichen zeigen damit die Bereitschaft, auch größere Umwege in<br />
Kauf zu nehmen, gehen dabei aber durchaus auch zielgerichtet vor, indem<br />
sie ihr Berufsziel im Auge behalten und sinnvolle Wege suchen, wie diese<br />
84
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
trotz <strong>eine</strong>s nicht nahtlosen Übergangs von Schule in Ausbildung zu<br />
erreichen sind. Ob es zwischen Mädchen und Jungen dabei unterschiedliche<br />
Strategien gibt, kann mit Blick auf die geringe Fallzahl nicht eindeutig<br />
festgestellt werden.<br />
Die Jugendlichen machten sich allerdings auch große Sorgen um ihre<br />
berufliche Zukunft. Jeder der Jugendlichen äußerte mindestens an <strong>eine</strong>r<br />
Stelle des Interviews, dass es ihm grundsätzlich überhaupt um die<br />
Absolvierung <strong>eine</strong>s berufsqualifizierenden Abschlusses ginge. „Hauptsache<br />
<strong>eine</strong> Ausbildung“ war dafür die zumeist stereotype Formulierung. Die<br />
Jugendlichen sind an möglichst hochwertigen Berufsabschlüssen<br />
interessiert, weil sie wissen, dass sie ohne diese kaum Chancen auf dem<br />
Arbeitsmarkt haben werden.<br />
In fast allen Interviews tauchte in diesem Zusammenhang die ebenfalls<br />
stereotype Formulierung auf, sie möchten später „kein Klo putzen“. Diese<br />
Aussage ist möglicherweise als Synonym für gering qualifizierte und niedrig<br />
entlohnte Tätigkeiten zu sehen. Es kann dabei vermutet werden, dass diese<br />
Aussage auch auf die zumeist enttäuschenden beruflichen Erfahrungen der<br />
Eltern nach der Zuwanderung zurückzuführen sind. Die Eltern mussten<br />
nach der Zuwanderung nach Deutschland großteils <strong>eine</strong>n mitunter enormen<br />
Statusverlust hinnehmen und schafften die Integration in den deutschen<br />
Arbeitsmarkt zumeist bisher nicht endgültig. Für sie dominieren<br />
wiederholte Phasen von Arbeitslosigkeit, unterbrochen von oft befristeten<br />
Tätigkeiten, die fast immer im zweiten Arbeitsmarkt angesiedelt waren.<br />
Nach <strong>eine</strong>m individuell unterschiedlichen Zeitraum von erfolglosen<br />
Bewerbungsversuchen erzählen einige der Jugendlichen, dass sie sich<br />
beruflich umzuorientieren begannen (hier insbesondere Jurij). Für die<br />
meisten war dieser Punkt aber zum Interviewzeitpunkt noch nicht erreicht,<br />
weil der Schulabschluss noch nicht lange zurücklag. Allerdings denken<br />
einige der Jugendlichen bereits über diese Möglichkeit nach (Olga, auch<br />
Sascha). Ein Jugendlicher hat zum Interviewzeitpunkt diesen Schritt<br />
allerdings bereits vollzogen (Jurij), und sich von s<strong>eine</strong>m ursprünglichen<br />
Wunschberuf abgewandt (wenn auch schweren Herzens). Dabei schloss die<br />
Neuorientierung sogar <strong>eine</strong> höhere Qualifizierung ein (Abitur und<br />
nachfolgend Studium 192 5.2.2.<br />
). Nur für Tanja ist die Ausrichtung auf den<br />
Wunschberuf (bisher) ausschließlich.<br />
Bildungsorientierung<br />
Alle interviewten Jugendlichen sind prinzipiell am „klassischen<br />
Bildungsideal“ 193 ausgerichtet. So ist für alle Jugendlichen erkennbar, dass<br />
sie den höchstmöglichen schulischen Bildungsabschluss und gute<br />
Schulnoten anstreben, soweit dies für den jeweils angestrebten beruflichen<br />
Weg erforderlich ist. Sascha und Olga sind besonders bestrebt,<br />
insbesondere ihre sprachlichen Fähigkeiten (wenn auch auf<br />
unterschiedlichem Niveau), wie ihre Schulabschlüsse und die Noten in<br />
wichtigen Fächern zu verbessern, um damit die Einstiegschancen ins<br />
Berufsleben zu erhöhen und die ursprünglich angestrebten Berufswege<br />
verfolgen zu können. Tanja wiederum ist weniger an <strong>eine</strong>r weiteren<br />
Verbesserung ihrer Schulabschlüsse interessiert, dafür jedoch am direkten<br />
192 <strong>eine</strong> beachtliche Leistung anhand des ursprünglichen Hauptschulabschlusses<br />
193 welches zum <strong>eine</strong>n sicher durch den Einfluss der Eltern bedingt ist, aber auch schon aus der<br />
Schulzeit im Herkunftsland mitgebracht sein kann<br />
85
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
Einstieg in <strong>eine</strong> Ausbildung. Für sie steht die Versorgung ihrer schon<br />
vorhandenen Familie stärker im Vordergrund, die Verfolgung eigener<br />
Bildungskarrieren tritt dahinter etwas zurück. Jurij ist ebenfalls am direkten<br />
Einstieg in <strong>eine</strong> Ausbildung interessiert und will dies im Grunde auch noch<br />
immer, auch wenn er gegenwärtig davon etwas abgekommen ist. Da er auch<br />
durch viel Engagement bisher k<strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz bekam, hat er in der<br />
Zwischenzeit bereits s<strong>eine</strong>n Schulabschluss auf <strong>eine</strong>m OSZ aufgewertet<br />
zum Realschulabschluss. Wegen der praktischen Erfahrungen in s<strong>eine</strong>r<br />
Nebentätigkeit in der Jugendeinrichtung, die ihn auch beruflich berät,<br />
verfolgt er inzwischen andere Berufsziele, die mit <strong>eine</strong>r weiteren<br />
Aufwertung des Schulabschlusses verbunden sind. Dieser Weg nimmt<br />
allerdings mittlerweile teilweise den Charakter <strong>eine</strong>r „Ersatzkarriere“ an, da<br />
Jurij s<strong>eine</strong> ursprünglichen Berufsziele mangels Ausbildungsplatz nicht<br />
verwirklichen konnte.<br />
Für <strong>eine</strong>s der Mädchen (Olga) liegt die Vermutung nahe, dass neben der<br />
Verbesserung der Zugangschancen auch die Sicherheit des Verbleibs in<br />
<strong>eine</strong>r schulischen Maßnahme Grund für deren Teilnahmebereitschaft ist.<br />
Kaum anders kann es interpretiert werden, wenn deren tatsächliche<br />
Bewerbungszeiten sich lediglich auf <strong>eine</strong>n kurzen Zeitraum von ca. 2<br />
Monaten in den Sommerferien beschränkten, auch nach Abschluss des<br />
ersten Berufsvorbereitungsjahres, in welchem die erforderlichen Noten für<br />
die Einmündung in Ausbildung bereits erreicht wurden. Eine nachfolgende<br />
von der Arbeitsmarktbehörde angebotene weitere Berufsvorbereitungs-<br />
Maßnahme wurde angenommen, obwohl daraus kein erkennbarer Gewinn<br />
mehr abgeleitet werden kann.<br />
5.2.3. Berufliche Orientierung<br />
Die gewählten Berufe waren erwartbar unterschiedlich. Es konnten aber<br />
k<strong>eine</strong> klaren „typisch männliche/typisch weibliche“ Berufswünsche<br />
festgestellt werden. Zwei der Befragten haben zwar typisch geschlechtsspezifischen<br />
Berufe anvisiert (Sascha Kfz-Mechaniker, Olga Bürokauffrau),<br />
für zwei andere ist die derzeitige berufliche Orientierung eher nicht<br />
geschlechtsspezifisch (Jurij Sozialarbeiter im eher weiblich dominierten<br />
Sozialbereich, Tanja Goldschmied im eher männlich dominierten<br />
handwerklichen Bereich).<br />
Fast alle Befragten wussten schon im Verlauf ihrer Kindheit, was sie werden<br />
wollten, mit Ausnahme von Sascha, dessen berufliche Orientierung zum<br />
Interviewzeitpunkt noch unfertig und wechselhaft erschien, möglicherweise<br />
aufgrund s<strong>eine</strong>r noch im Anfangsstadium befindlichen Integrationsbemühungen<br />
im Zuwanderungsland, die <strong>eine</strong> Konzentration auf diese<br />
Thematik noch nicht zureichend erlaubt hatten.<br />
An erster Stelle der Auswahlkriterien für die Berufswahl steht bei jedem von<br />
ihnen das persönliche Interesse an der Tätigkeit (Olga „Arbeit mit Kunden<br />
und Papier“) oder am zu bearbeitenden Objekt (Tanja Gold und Schmuck,<br />
Sascha Autos,). Auch die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten ist ein<br />
wesentlicher Faktor (Jurijs Spaß am handwerklichen Geschick) für die<br />
Berufswahl.<br />
Wesentlich für die Berufswahl war aber auch die Einschätzung der<br />
Zukunftsfähigkeit des Berufes (Jurij, Tanja) oder der Wunsch nach<br />
materieller Absicherung (Sascha, Tanja). Diese Faktoren könnten bei<br />
Nichtverwirklichung des ursprünglichen Berufswunsches sogar zunehmen,<br />
wenn man die Aussage „Hauptsache Ausbildung“ so interpretiert, dass <strong>eine</strong><br />
86
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
abgeschlossene Berufsausbildung die Möglichkeit zu qualifizierten und<br />
damit tendenziell besser bezahlten Tätigkeiten erhöhen soll.<br />
5.3. Bewerbungserfahrungen<br />
5.3.1. Bewerbungsaktivitäten<br />
Auf den ersten Blick fällt auf, dass die meisten Interviewten bisher noch<br />
k<strong>eine</strong> großen Anstrengungen unternommen haben, um sich zu bewerben,<br />
mit <strong>eine</strong>r Ausnahme (Jurij). Zwei Jugendliche (Olga + Sascha)<br />
konzentrierten sich zum Interviewzeitpunkt auf die Verbesserung ihrer<br />
Sprachkenntnisse und Abschlussnoten mithilfe berufsvorbereitender<br />
Maßnahmen, um ihre grundsätzlichen Zugangsvoraussetzungen für ihren<br />
Wunschberuf zu verbessern. Auch Sascha würde diesem Ziel gern folgen,<br />
wird zum Interviewzeitpunkt aber durch die Teilnahme an <strong>eine</strong>r MAE<br />
daran gehindert. Tanja kann sich wegen der Kinderpflege zum<br />
Interviewzeitpunkt nicht stärker um <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz bemühen.<br />
Außergewöhnlich viele Bewerbungen und umfangreiche Bemühungen, auch<br />
in der Bandbreite der Bewerbungsstrategien, konnte nur Jurij vorweisen.<br />
Trotz s<strong>eine</strong>r vielen schriftlichen Bewerbungen blieben diese bisher<br />
allerdings erfolglos.<br />
Die Bandbreite der Zugriffsmöglichkeiten auf das Angebot von<br />
Ausbildungsplätzen und Bewerbungsstrategien ist groß und wird durch die<br />
Jugendlichen individuell unterschiedlich genutzt. Jurij nutzte dabei <strong>eine</strong><br />
besonders breite Palette an Möglichkeiten und erwies sich zudem als<br />
einfallsreich, geduldig und hartnäckig.<br />
Das Internet hat <strong>eine</strong> große Bedeutung in der Suche nach freien<br />
Ausbildungsstellen bekommen, und zwar für alle der von den Jugendlichen<br />
gewählten beruflichen Bereiche (mit Ausnahme von Sascha). Die<br />
Bewerbungen selbst werden allerdings noch zumeist konventionell mit der<br />
Post geschickt.<br />
Ganz wesentlich ist aber auch die direkte Bewerbung in potentiellen<br />
Ausbildungsbetrieben. Alle Interviewten wandten sich wenigstens teilweise<br />
direkt an die Betriebe, in unterschiedlichem Umfang, um ihre Chancen zu<br />
erfragen und schickten im günstigen Falle <strong>eine</strong> schriftliche Bewerbung oder<br />
gaben diese sogar persönlich ab. Die Gründe für die Bevorzugung von<br />
direkten persönlichen Bewerbungen wurden aus den abgefragten<br />
Zusammenhängen nicht in jedem Fall klar 194 . Lediglich Olga lieferte<br />
Anhaltspunkte für ihr Vorgehen. Es ging ihr bei diesem Verfahren<br />
hauptsächlich darum, <strong>eine</strong>n persönlichen Eindruck im ausgewählten Betrieb<br />
zu vermitteln, um damit explizit ihre Chancen bei der Bewerbung zu<br />
erhöhen. Ob es den anderen Jugendlichen ebenfalls um diesen Effekt geht<br />
oder welche anderen Gründe wesentlich für diese Vorgehensweise sein<br />
könnten, konnte mangels konkreter Aussagen nicht ermittelt werden.<br />
5.3.2. Bewerbungsergebnisse<br />
Wie bereits im letzten Abschnitt angesprochen, waren die meisten<br />
jugendlichen Aussiedler zum Interviewzeitpunkt mit der Verbesserung ihrer<br />
schulischen und sprachlichen Vorraussetzungen beschäftigt, planten diese<br />
194 Hierzu sollte evtl. weiter nachgeforscht werden, da diese Bewerbungsstrategien grundsätzlich<br />
von den überwiegenden Erwartungen der meisten Betriebe nach formalen und schriftlich<br />
eingereichten Bewerbungen abweichen und dies durchaus bisher unerfragte Wechselwirkungen in<br />
vielerlei Hinsicht haben könnte, z.B. auf Bewerbungserfolg oder sogar auf Einfluss- und<br />
Unterstützungsmöglichkeiten für unversorgte Jugendliche.<br />
87
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
oder hatten sie bereits abgeschlossen. Diese Maßnahmen gehörten damit<br />
integrativ zu ihren beruflichen Plänen, da sie fast alle den jeweils höchsten<br />
für sie möglichen Schulabschluss oder die besten schulischen<br />
Abschlussnoten anstrebten, als Voraussetzung für <strong>eine</strong> möglichst<br />
reibungslose Einmündung in die von ihnen gewünschte Ausbildung. Diese<br />
der primären Schulzeit nachfolgenden schulischen Maßnahmen waren<br />
sozusagen ein Zwischenschritt, der in Kauf genommen wurde, um spätere<br />
berufliche Ziele zu ermöglichen. Dies gilt für Jurij, der bereits in <strong>eine</strong>r<br />
schulischen Maßnahme den nächst höheren Schulabschluss erreicht hatte,<br />
für Olga, die zum Interviewzeitpunkt bereits zum zweiten Mal <strong>eine</strong><br />
berufsvorbereitende Maßnahme durchlief, um z. B. ihre Deutschnote<br />
verbessern zu können, und auch für Sascha, der zunächst s<strong>eine</strong><br />
Sprachkenntnisse verbessern und anschließend den Schulabschluss<br />
aufwerten wollte. Lediglich Tanja wählte aus familiären Gründen <strong>eine</strong>n<br />
anderen Weg und wollte direkt in <strong>eine</strong> Ausbildung gehen, um möglichst<br />
frühzeitig Geld verdienen zu können für ihre Familie. Der<br />
Bildungsabschluss selbst trat bei ihr also hinter dem Interesse nach<br />
finanzieller Absicherung zu diesem Zeitpunkt zurück.<br />
Bewerbungsergebnisse im eigentlichen Sinne hatte k<strong>eine</strong>r der Jugendlichen<br />
vorzuweisen. Olga und Jurij waren aber zum Interviewzeitpunkt dabei, sich<br />
ernsthaft zu bewerben. Für Olga standen die Chancen zum<br />
5.3.3.<br />
Interviewzeitpunkt nicht schlecht, dass sie zum nächsten Ausbildungsjahr<br />
<strong>eine</strong> Lehrstelle in ihrem Wunschberuf bekommen würde. Für Jurij, der<br />
schon außergewöhnlich viele Bewerbungen geschrieben hatte, standen die<br />
Chancen trotz allem nicht so gut. Er hatte sich aber bereits beruflich<br />
umorientiert und verfolgte andere Pläne, welche sogar <strong>eine</strong>n höheren<br />
Bildungsweg über Abitur und Fachschulstudium einschlossen. Für Sascha<br />
stand vor <strong>eine</strong>r Bewerbung um <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz die Verbesserung<br />
s<strong>eine</strong>r Sprachkenntnisse und s<strong>eine</strong>r schulischen Voraussetzungen auf dem<br />
Plan. Tanja hatte den Weg zu <strong>eine</strong>r Ausbildung für junge Frauen in<br />
schwierigen sozialen Lagen bereits mit den für sie zuständigen Behörden<br />
abgesprochen, bis zum Interviewtermin aber noch k<strong>eine</strong> endgültige<br />
Zustimmung bekommen.<br />
Bewertung bisheriger Bewerbungserfahrungen<br />
Die jugendlichen Aussiedler haben in der Regel <strong>eine</strong> hohe Bereitschaft zur<br />
Selbstmotivierung, um ihrem beruflichen Ziel näher zukommen, selbst<br />
wenn dies zunächst auf Umwegen stattfinde sollte. Sowohl Olga wie Jurij<br />
plädieren dafür, im Bewerbungsprozess immer aktiv zu bleiben und<br />
durchzuhalten, auch nach vielen erfolglosen Versuchen. Sie zeigen damit<br />
auch <strong>eine</strong> hohe Frustrationstoleranz. Olga empfiehlt beispielsweise, die<br />
bisherigen Ablehnungen auch positiv zu betrachten und aus diesen zu<br />
lernen.<br />
Mit den tatsächlichen Übergangsschwierigkeiten hatten sie in diesem<br />
Ausmaß aber nicht gerechnet. Die Tatsache ihrer langen Unversorgtheit<br />
stellt damit also auch <strong>eine</strong> nicht unbeträchtliche Herausforderung für sie<br />
dar. Mit den Aussagen zur Selbstmotivierung suchen sie dem<br />
beizukommen. Olga versucht die bisherigen Bewerbungserfahrungen<br />
möglichst „locker“ zu nehmen. Tanja machte im Interview k<strong>eine</strong>rlei<br />
Aussagen, die Aufschluss auf die Einschätzung ihrer beruflichen Zukunft<br />
geben könnten.<br />
Alle Jugendlichen bringen die bisherigen Ablehnungen auch mit den<br />
eigenen mangelnden Schulleistungen oder ihrem Schulabschluss (meist<br />
88
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
5.4.<br />
Hauptschule) in Verbindung. Dies stellt auch <strong>eine</strong> der wesentlichen<br />
Motivationen dar, um die bisher erreichten Schulleistungen möglichst zu<br />
verbessern (Aufwertung des Schulabschlusses bei Jurij, Verbesserung der<br />
Deutschnote bei Olga, Verbesserung der grundlegenden Deutschkenntnisse<br />
bei Sascha).<br />
Nicht nur Olga und Jurij, auch Sascha und Tanja haben trotzdem zumeist<br />
<strong>eine</strong> hohe Erwartung auf <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz, sehen ihn als für sich<br />
unverzichtbar an. Sie alle haben die Furcht, am Ende unter ihren<br />
persönlichen Leistungsmöglichkeiten zu bleiben und für wenig Geld<br />
„schuften“ zu müssen, wie das Bild vom „Klo putzen“, das von allen<br />
abgelehnt wird, zeigt.<br />
Hinter den selbst motivierenden Einschätzungen und weiter weisenden<br />
Strategien werden aber mitunter auch andere Erfahrungen sichtbar. So<br />
äußert bspw. Jurij den Verdacht, dass s<strong>eine</strong> bisherigen Ablehnungen auch<br />
etwas mit s<strong>eine</strong>r Herkunft zu tun haben könnten, also evtl. auch<br />
Diskriminierung <strong>eine</strong> Rolle spielt. Er schränkt allerdings ein, dass ihm dies<br />
noch niemand ins Gesicht gesagt hätte, er hätte bisher nur mitunter dies<br />
Gefühl gehabt. Auch Olga fühlte sich diskriminiert, also zurückgesetzt<br />
aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Spätaussiedler, wenn auch<br />
nicht direkt bei <strong>eine</strong>r Bewerbung. Als sie wegen sprachlicher Gründe<br />
Probleme bei dem Fachabitur hatte und das Probejahr nicht schaffte, wurde<br />
ihr der Übergang in ein berufsvorbereitendes Jahr zunächst mit der<br />
Begründung verwehrt, sie möge doch zunächst <strong>eine</strong>n Deutschkurs belegen.<br />
Dies wertet sie für sich persönlich als diskriminierend.<br />
Für Sascha überwog zum Interviewzeitpunkt <strong>eine</strong> gewisse Frustration<br />
aufgrund der bisherigen Erfahrung mit der Zuweisung in die MAE. Er hatte<br />
jedoch bereits Pläne für <strong>eine</strong> erneute Suche nach <strong>eine</strong>m passenden<br />
Sprachkurs. Jurij hatte s<strong>eine</strong>rseits bereits <strong>eine</strong> recht lange und frustrierende<br />
Zeit mit Bewerbungen hinter sich. Er hatte sich aber mit Hilfe <strong>eine</strong>r<br />
Beratungsstätte bereits beruflich umorientiert und äußerte zwar <strong>eine</strong> gewisse<br />
Frustration darüber, dass er s<strong>eine</strong>n ursprünglichen Berufswunsch nicht<br />
realisieren konnte. Aber er schaute trotz allem zuversichtlich in die Zukunft.<br />
Hilfenachfrage und -wahrnehmung<br />
5.4.1. Allgem<strong>eine</strong> Strategien zur Hilfesuche<br />
Die Hilfenachfrage und -wahrnehmung bei den jugendlichen<br />
5.4.2.<br />
Spätaussiedlern ist individuell unterschiedlich, aber die Bereitschaft zur<br />
Inanspruchnahme von Hilfe ist tendenziell groß. Fast alle befragten<br />
Jugendlichen suchen sich möglichst rechtzeitig Hilfe. Sie haben Kontakte in<br />
Einrichtungen oder zu Sozialarbeitern der Schule, die ihnen bereits seit<br />
längerem bekannt sind. Es besteht kaum <strong>eine</strong> Scheu, diese im Bedarfsfalle<br />
aufzusuchen. Die Jugendlichen sind sich zumeist recht deutlich bewusst, ob<br />
sie Hilfe benötigen und auch, worin die Hilfe bestehen sollte. Sie<br />
bekommen außerdem Hilfe aus dem familiären und Freundeskreis, sind sich<br />
aber auch oft über die Grenzen der Hilfemöglichkeiten im Klaren. In<br />
diesem Falle wird zumeist sehr zielgerichtet überlegt, wo Hilfe effektiv<br />
erwartet werden kann. Für die meisten Jugendlichen stellt die<br />
Inanspruchnahme institutioneller Hilfe k<strong>eine</strong> gravierende Hürde dar.<br />
Rückhalt in den Familien<br />
Der emotionale Rückhalt für die Jugendlichen in den Familien ist groß.<br />
Neben dem emotionalen elterlichen Rückhalt wurden auch die<br />
89
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
Bemühungen der Eltern von den meisten Jugendlichen im Interview<br />
angesprochen, ihnen durch praktische Hilfestellungen bei der<br />
Ausbildungsplatzsuche Unterstützung zu geben, durch Ratschläge, Beratung<br />
etc. Es ist aber nahezu durchgängig erkennbar, selbst bei unterschiedlicher<br />
Ausprägung der praktischen Hilfestellungen zwischen den Familien, dass<br />
diesen hierin durchaus z. T. enge Grenzen gesetzt sind.<br />
Die Ursache liegt zumeist in der ebenfalls prekären beruflichen Situation<br />
der Eltern begründet. In <strong>eine</strong>r Phase, in der die Jugendlichen ihren Weg in<br />
das Berufsleben finden müssen, zumal unter erschwerten Bedingungen, sind<br />
auch die Eltern fast durchgehend (noch) nicht in den deutschen<br />
Arbeitsmarkt integriert. Auch die Eltern bemühen sich also zum gleichen<br />
Zeitpunkt wie die Jugendlichen um Integration in die deutsche Gesellschaft,<br />
was ihnen naturgemäß schwerer fällt als den Jugendlichen.<br />
Es kann als Gemeinplatz gelten, dass <strong>eine</strong> junge Zuwanderungs-Generation<br />
es einfacher hat, sich in der Aufnahme-Gesellschaft zurechtzufinden als die<br />
Elterngeneration. Auch ist die Altersgruppe der Eltern mit durchschnittlich<br />
Mitte 40 für den gegenwärtigen Arbeitsmarkt in Deutschland tendenziell<br />
schwer zu vermitteln, ähnlich wie Einheimische der gleichen Altersgruppe.<br />
Einen weiteren hinderlichen Faktor stellt aber auch die entweder schwierig<br />
zu erlangende oder nicht erfolgende Anerkennung der Berufsabschlüsse der<br />
Eltern dar. Dies wirkt als <strong>eine</strong> Art Barriere, die die Integration in den<br />
deutschen Arbeitsmarkt be- oder sogar verhindert. Ohne die Anerkennung<br />
der Abschlüsse und mit Berücksichtigung der Altersgruppe ist somit <strong>eine</strong><br />
Eingliederung in den Arbeitsmarkt für die Eltern der jugendlichen<br />
Aussiedler ebenfalls nur erschwert möglich, oft lediglich im<br />
5.4.3.<br />
Niedriglohnsektor, deren zahlenmäßiger Anteil am Arbeitsmarkt seit Jahren<br />
rückläufig ist, oder befristet im geförderten zweiten Arbeitsmarkt (früher<br />
mit ABM, aktuell vorwiegend MAE).<br />
Somit sind die Eltern zum gleichen Zeitpunkt wie die Jugendlichen mit<br />
beruflichen Eingliederungsbemühungen beschäftigt, und oft genug<br />
enttäuscht durch die eigene berufliche Entwicklung in Deutschland. Sie sind<br />
darüber hinaus oft nur wenig informiert über Berufswege und<br />
Möglichkeiten, die den Jugendlichen in Deutschland nützen könnten, die<br />
sich von denen des Herkunftslandes unterschieden.<br />
Die Eltern unterstützen ihre Kinder aber trotzdem sehr, soweit ihnen dies<br />
möglich ist und entsprechend ihres Informationsgrades. Dies geht aus allen<br />
Interviews deutlich hervor. Geholfen wird den Jugendlichen vor allem bei<br />
der Nachfrage nach Ausbildungsstellen in der eigenen Zuwanderungs-<br />
Community, im Freundeskreis oder auch in kieznahen institutionalisierten<br />
Unterstützungsangeboten.<br />
Zu <strong>eine</strong>m großen Teil sind die Jugendlichen trotz der elterlichen Hilfe aber<br />
im Großen und Ganzen auf sich allein gestellt und entwickeln entsprechend<br />
Möglichkeiten, mit dieser Verantwortung und der in mancherlei Hinsicht<br />
fehlenden elterlichen Hilfe umzugehen.<br />
Netzwerkbildung – Rückhalt und Unterstützung im Freundeskreis<br />
Alle befragten Jugendlichen haben ein umfangreiches Freundesnetzwerk,<br />
fühlen sich darin aber unterschiedlich stark eingebunden und nutzen es<br />
unterschiedlich. Für fast alle von ihnen bieten die Freunde jedoch u. a. auch<br />
die Möglichkeit, über Probleme im Zusammenhang mit der<br />
Ausbildungsplatzsuche zu sprechen. Oft haben die Freunde auch mehr oder<br />
andere Möglichkeiten zur gegenseitigen Hilfe als die Eltern.<br />
90
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
5.4.4.<br />
Es fällt auf, dass sich die jugendlichen Aussiedler untereinander viel helfen.<br />
Die Kooperation unter ihnen ist also recht groß. Das hat verschiedene<br />
Ausprägungen, wie z.B. bei Sascha oder Jurij oder Tanja ablesbar. Es<br />
werden Informationen ausgetauscht (alle Jugendliche), gemeinsame Pläne<br />
gemacht (Sascha) oder sich gegenseitig unterstützt (Tanja) und zu Behörden<br />
begleitet (Olga). Die Orientierung an den Freunden, auch in beruflicher<br />
Hinsicht, ist bei Sascha besonders stark ausgeprägt, der in fast jedem<br />
wichtigen Punkt des Interviews auf die Orientierung an, die Unterstützung<br />
durch und die gemeinsamen Unternehmungen mit Freunden verweist. Auf<br />
der anderen Seite ist es Tanja, die sich nicht auf ihre Freunde verlassen,<br />
sondern stärker auf ihre eigenen Fähigkeiten bauen will, trotzdem sie in<br />
<strong>eine</strong>r für sie schweren Zeit viel Unterstützung durch die Mitschüler erfahren<br />
hat.<br />
Es wird unter den Freunden sehr stark kommuniziert, Tipps werden<br />
ausgetauscht etc. Es existiert ein gemeinsames Netzwerk, welches gepflegt<br />
wird, das vorrangig aus Mitgliedern der eigenen Zuwanderergruppe besteht.<br />
Warum dies so ist, kann nicht genau beantwortet werden. Der<br />
Fragekomplex im Interview war nicht umfangreich, gehörte nicht zu den<br />
Kernthemen. Es gibt daher wenig Aussagen darüber. Möglicherweise ist es<br />
die gemeinsame Muttersprache im Zusammenspiel mit anderen Faktoren,<br />
die <strong>eine</strong> gemeinsame Basis für ein Netzwerk bilden.<br />
Als gesichert geht aus den Interviews jedoch hervor, dass der Freundeskreis<br />
ähnlich dem Rückhalt durch die Eltern <strong>eine</strong>n stabilisierenden Einfluss auf<br />
die Jugendlichen ausübt.<br />
Bezüge zu den Arbeitsmarktbehörden<br />
Auffallend ist, dass die Jugendlichen die Folgen der behördlichen Umstrukturierungen<br />
durch die Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre bisher kaum zur Kenntnis genommen<br />
haben, bzw. dass sie wenige Informationen darüber besitzen. So konnte k<strong>eine</strong>r der<br />
Jugendlichen eindeutig sagen, von welcher der Arbeitsmarktbehörden sie<br />
betreut wurden 195 . Es konnten kaum Unterschiede zwischen diesen<br />
festgemacht werden.<br />
Das schlug sich überwiegend auch in der im Interview genutzten<br />
Begrifflichkeit wider. So wurde fast durchgängig die inzwischen veraltete<br />
Bezeichnung „Arbeitsamt“ weiter benutzt. Die Nennungen<br />
„Arbeitsagentur“ oder „JobCenter“ für die nun zuständigen Einrichtungen<br />
waren entsprechend sporadisch und, falls überhaupt verwendet, nicht<br />
konsequent durchgehalten. Die Nichtunterscheidung zwischen den neu geschaffenen<br />
Strukturen der Arbeitsmarktbehörden, kann als Indikator dafür genommen werden,<br />
dass auch viele Inhalte und Regelungen der letzten Arbeitsmarktreformen bisher nicht<br />
„bei den Jugendlichen angekommen“ sind. Ein weiterer Hinweis auf diesen<br />
Umstand ist, dass k<strong>eine</strong>r der Jugendlichen sich explizit in den Interviews<br />
von sich aus auf deren Inhalte bezog.<br />
Unbekannt war den Jugendlichen auch, ob die Kontaktperson in der<br />
Behörde ein so genannter. Arbeitsvermittler oder gar Fallmanager war. Es<br />
wurde in den meisten Fällen nur von Mitarbeitern der<br />
Arbeitsmarktbehörden gesprochen, die mitunter auch in der Zuständigkeit<br />
(und damit Ansprechbarkeit) wechselten. Welche Vorgänge hinter dem<br />
195 Dies sind in der Regel die JobCenter, da die Jugendlichen bisher nicht die notwendigen<br />
Arbeitszeiten vorweisen können, um ALG1 zu beziehen. Mitunter ist vermutlich ergänzend auch<br />
<strong>eine</strong> Mitarbeiterin des BIZ zuständig (Tanja).<br />
91
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
Zuständigkeitswechsel der Mitarbeiter liegen, ist für die Jugendlichen nicht<br />
nachvollziehbar und so wurde auch nur der Fakt an sich registriert, während der<br />
zunächst unklare Grund dafür häufig aus dem eigenen Verständnis der Jugendlichen<br />
ersetzt wird 196 . In jedem Falle wirkt sich der Verantwortungswechsel negativ auf das<br />
Vertrauensverhältnis aus oder verhindert u. U. überhaupt den Aufbau von Vertrauen.<br />
Wesentlich für die Jugendlichen im Interview war, ob das Verhältnis zu den<br />
Kontaktpersonen gut und ergebnisorientiert beurteilt wurde oder eben nicht.<br />
Die Beurteilung der Arbeit der Mitarbeiter/innen der Arbeitsmarktbehörden war<br />
darüber hinaus am Erfolg ausgerichtet 197 . Die männlichen Interviewpartner urteilten<br />
dabei tendenziell eher negativ, während die Mädchen <strong>eine</strong> deutlich bessere<br />
Zusammenarbeit konstatierten.<br />
Die Beziehung, die die Jugendlichen zu den für sie zuständigen Mitarbeitern<br />
der Arbeitsmarktbehörden haben, ist unterschiedlich ausgeprägt und wird<br />
auch unterschiedlich gewertet.<br />
Tendenziell äußern die männlichen Jugendlichen z. T. deutliche Kritik an<br />
der Zusammenarbeit wie an der Arbeitsweise der Arbeitsmarktbehörde.<br />
Während bspw. Jurij aufgrund s<strong>eine</strong>r langjährigen Erfahrung bereits <strong>eine</strong>n<br />
umfangreichen Katalog an detaillierten Kritiken vorlegt, klingt diese bei<br />
Sascha noch etwas unkonkret, aber doch schon deutlich an. Er ist<br />
überwiegend unzufrieden mit s<strong>eine</strong>r aktuellen Position in der MAE-<br />
Maßnahme und besonders damit, dass er sein persönliches Ziel, die<br />
Verbesserung s<strong>eine</strong>r Sprachkenntnisse, nicht erreicht hat. Übereinstimmend<br />
äußern beide, dass sie die Mitarbeiter als wenig hilfreich erleben. Jurij äußert<br />
aber nicht ausschließlich Kritik, sondern auch Hoffnungen in <strong>eine</strong> neue<br />
Maßnahme 198, die ihm dabei helfen soll, möglichst schnell in <strong>eine</strong><br />
Ausbildung vermittelt zu werden. Die langsame und uneffektive Arbeit, die<br />
er bisher in der Behörde erlebte, war <strong>eine</strong>r s<strong>eine</strong>r wesentlichen Kritikpunkte.<br />
Beide Jungen sind demzufolge zwar enttäuscht über bisher Erfahrenes,<br />
jedoch weiterhin offen für nachfolgende Maßnahmen. Auffällig in der<br />
Auswertung für beide Jugendlichen ist, dass die tatsächlichen<br />
Berufswünsche und Ziele bei der Vermittlung durch die betreuende<br />
Behörde k<strong>eine</strong> Rolle (mehr) spielten. Dieser Umstand wurde von beiden in<br />
ihrer Kritik an den Arbeitsmarktbehörden im Interview nicht einmal<br />
einbezogen.<br />
Bei den Mädchen richtete sich dagegen die Vermittlungstätigkeit bisher<br />
strikt an deren Berufswünschen aus 199 . Die Mädchen berichten zudem eher<br />
von <strong>eine</strong>r Kooperation mit den MitarbeiterInnen, sind diesen gegenüber<br />
positiv aufgeschlossen (Olga) oder neutral eingestellt (Tanja), haben<br />
demzufolge k<strong>eine</strong> Kritikpunkte oder Wünsche auf Veränderungen im<br />
Interview genannt. Olgas Verhältnis zu der Vermittlerin der Arbeitsmarktbehörde<br />
ist nicht zuletzt aufgrund der schon länger andauernden und bisher<br />
erfolgreichen Zusammenarbeit von Vertrauen geprägt. Sie gibt explizit an,<br />
sich bei Fragen im Zusammenhang mit ihren beruflichen Zielen an ihre<br />
Vermittlerin in der Behörde zu wenden. Tanja hat <strong>eine</strong> Absprache über die<br />
Vermittlung in <strong>eine</strong> Ausbildung speziell in ihrem Wunschberuf und<br />
196<br />
Dies war allerdings noch stärker in der anderen Zielgruppe der türkischen Jugendlichen<br />
beobachtbar.<br />
197<br />
Auch alle anderen Beziehungen, die zur Hilfe heran gezogen worden waren, wurden an ihrem<br />
Erfolg beurteilt (aber ebenso an der Qualität der Beziehung zu den Kontaktpersonen)<br />
198<br />
ein so genanntes Outsourcing der Beratungs- und Betreuungstätigkeit<br />
199<br />
Ein eindeutiger Grund hierfür kann nicht genannt werden. Es ist z.B. möglich, dass die Mädchen<br />
stärker kooperierten mit den Vermittlern. Es ist aber auch möglich, dass die Vermittler selbst besser<br />
mit den Mädchen zusammenarbeiten und diese stärker fördern.<br />
92
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
ausgerichtet auf ihre besondere Situation als junge Mutter in<br />
5.4.5.<br />
Zusammenarbeit mit dem Jugendamt und vertraut zum Interviewzeitpunkt<br />
ausschließlich auf diese Ausbildungsperspektive.<br />
Die Vermittlung der Jugendlichen erfolgte bei den Interviewten nicht<br />
immer im Interesse der Jugendlichen, sondern mitunter entsprechend des<br />
vorhandenen Angebots, beispielsweise in <strong>eine</strong>n so genannten Ein-Euro-Job<br />
(MAE) wie bei Sascha. Für diesen ist ein irgendwie gearteter „Erfolg“ dieser<br />
Maßnahme und die weitere Auswirkung auf s<strong>eine</strong>n beruflichen Fortgang<br />
zumindest zum Interviewzeitpunkt zweifelhaft, da sie ihn von s<strong>eine</strong>n<br />
eigentlichen Zielen wegführt und u. a. wegen des fehlenden Qualifizierungsanteils<br />
und <strong>eine</strong>r kaum qualifizierenden Beschäftigung während der<br />
Maßnahme auch kaum weiterbringt. Sie könnte u. U. s<strong>eine</strong>n Übergang sogar<br />
weiter gefährden.<br />
Ausgehend von diesen unterschiedlichen Erfahrungen in der Zusammenarbeit<br />
mit den Mitarbeitern der Arbeitsmarktbehörden, werfen sich <strong>eine</strong><br />
Reihe von Fragen auf, die aus dem Interviewmaterial nicht eindeutig<br />
beantwortet werden können:<br />
Gibt es grundsätzlich Unterschiede in der Wahrnehmung der Zusammenarbeit<br />
mit der Arbeitsmarktbehörde zwischen Jungen und Mädchen? Beruht<br />
dies auf echten Unterschieden in der Kooperation mit der Behörde, oder<br />
evtl. auf anderen Ursachen wie evtl. <strong>eine</strong>r grundsätzlich schlechteren<br />
Vermittlungschance von jungen männlichen Aussiedlern in ihre speziellen<br />
Wunschberufe? Sind Jungen den Behörden gegenüber grundsätzlich<br />
kritischer eingestellt, während Mädchen stärker kooperieren und mehr auf<br />
Wohlverhalten setzen? Zur Beantwortung dieser Fragen wäre <strong>eine</strong><br />
Untersuchung mit höherer Fallzahl notwendig.<br />
Bezüge zu freien Trägern<br />
Die befragten Jugendlichen wurden über Einrichtungen vermittelt, in denen<br />
sie konkrete Hilfe suchten für die Arbeit an Bewerbungen, zu Fragen der<br />
weiteren beruflichen Orientierung und ähnlichen Problemen, die dem<br />
individuellen Bedarf der Jugendlichen entsprachen.<br />
Die Einrichtungen wurden aus eigenem Entschluss, also freiwillig aufgesucht. Die<br />
Hilfesuche zielte zumeist auf die Klärung konkreter Fragen und Unterstützung bei<br />
Aufgaben, die aus dem eigenen Erfahrungshintergrund und aus eigenem Wissen nicht<br />
leistbar waren.<br />
Grundlage für die Hilfetätigkeit in den Einrichtungen war <strong>eine</strong> mehr oder weniger enge<br />
Kooperation über <strong>eine</strong>n längeren Zeitraum, die schon im Vorfeld der konkreten<br />
Hilfenachfrage begonnen hatte. Die Hilfeangebote der Beratungen wurden durch<br />
die Jugendlichen also sekundär wahrgenommen. Die Einrichtungen waren<br />
entweder über andere Freizeitangebote oder aus der Integration in den<br />
Schulalltag bereits bekannt. Auch die Kontaktpersonen waren aus den<br />
Angeboten in Schule oder Freizeit bekannt. Mit ihnen gab es bereits<br />
positive Erfahrungen von kurzen Reisen, Festen und anderen<br />
Freizeitangeboten bzw. Hilfen für den Schulalltag etc. Eine<br />
Kennenlernphase war damit oft schon abgeschlossen, Vertrauen in die<br />
Ansprechpartner, die Einrichtung zum Zeitpunkt der Hilfesuche im<br />
Zusammenhang mit der Ausbildungsplatzsuche mithin bereits vorhanden.<br />
Die Ansprache auf Hilfe war zum Zeitpunkt der Hilfesuche <strong>eine</strong> unter<br />
mehreren Angeboten, die die Jugendlichen in der Einrichtung wahrnahmen.<br />
Jurijs Bezug in die Einrichtung war zum Interviewzeitpunkt bspw. bereits so<br />
gefestigt, dass er selbst zunächst ehrenamtlich, später auf Honorarbasis,<br />
Verantwortung in der Einrichtung übernommen hatte. Olga hatte sich<br />
93
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
entschlossen, dort ihr Praktikum im Rahmen des berufsvorbereitenden<br />
Lehrgangs zu absolvieren, wo sie zuvor bereits gute Unterstützung erhalten<br />
hatte. Für sie war die bisherige gute und längerfristige Zusammenarbeit mit<br />
der Ansprechpartnerin in der Arbeitsmarktbehörde entscheidend, dort auch<br />
immer wieder Hilfe nachzufragen. Tanja und Sascha, die über die<br />
Schulsozialarbeiterin vermittelt wurden, wandten sich bei Fragen direkt<br />
zurück an diese und wurden dort auch weiterhin beraten, obwohl sie längst<br />
die Schule verlassen hatten. Sie galt ihnen weiterhin als unterstützende<br />
Bezugsperson, wo die eigene Kompetenz nicht ausreichte.<br />
Persönliches Vertrauen in die Einrichtung und/ oder die Ansprechpartner waren mithin<br />
<strong>eine</strong>r der wesentlichen Faktoren, der die Auswahl der Hilfepersonen ausmachte. Dazu<br />
gehörte auch der Umstand, dass die Kontaktpersonen „jederzeit“ ansprechbar<br />
sind 200 (also unverzüglich bei Hilfebedarf und nicht mit <strong>eine</strong>m langen<br />
Terminvorlauf oder langer Wartefrist) und helfen, aufgetretene Fragen<br />
möglichst zeitnah zu klären oder notwendige Aufgaben im<br />
Bewerbungsprozess zu bewältigen. Dies ist ein wesentliches Prinzip der<br />
Niedrigschwelligkeit, die den Einrichtungen der freien Träger zugrunde<br />
liegt. Durch dieses Vorgehen fühlten sich auch die befragten Jugendlichen<br />
gut betreut, mit ihren Fragen und Problemen nicht alleingelassen.<br />
Neben dem schon benannten Vertrauen und dem subjektiven Gefühl, gut<br />
betreut zu sein („Wohlfühleffekt“), war ein weiterer die Hilfesuche<br />
beeinflussender Faktor die erwartete Kompetenzzuschreibung der<br />
5.5.<br />
Ansprechpartner. In fast allen Interviews finden sich unterschiedlich<br />
geäußerte Hinweise darauf, dass die zur Unterstützung ausgewählten<br />
Personen bereits abrufbar in der Vergangenheit Erfolge verbuchen konnten<br />
in der Hilfe beim Übergang der Jugendlichen in Ausbildung und Beruf.<br />
Daran insbesondere lässt sich die Kompetenzzuschreibung durch die<br />
Jugendlichen festmachen. Besonders deutlich äußerte dies Jurij, der nicht<br />
nur auf Kompetenz, sondern auch auf Qualifikation und Engagement („tut alles,<br />
was in ihrer Macht steht“) sowie Erfolge („hat schon vielen geholfen“) verweist. Aber<br />
auch für Olga, Tanja und Sascha ist dies ein wichtiger Faktor, da sie bereits<br />
durch Mitschüler und Freunde von den Erfolgen der ausgewählten<br />
Einrichtungen und Personen Kenntnis haben und auf <strong>eine</strong> ähnlich<br />
erfolgreiche Hilfe für sich selbst hoffen. Die Transparenz in der Arbeit der<br />
Ansprechpartner sowie der persönliche Kontakt auch unter den Hilfesuchenden (z.<br />
T. aus dem Freundeskreis) bringt die Kenntnis dieser Erfolge mit sich,<br />
woran sich wiederum neues Vertrauen festmachen kann.<br />
Nicht zuletzt wird auch in einigen Interviews der Lerneffekt genannt, der<br />
sich aus den Beratungen positiv auf die weiteren Bewerbungen und damit<br />
auf den erwartbaren Bewerbungserfolg auswirken soll. Damit wird nicht<br />
zuletzt das selbständige Bemühen der Hilfesuchenden gestärkt und deren<br />
Fähigkeiten zur Bewältigung der schwierigen Bewerbungsphase.<br />
Insgesamt zeigt sich in den Interviews, dass die Jugendlichen in aller Regel ihre Hilfesuche<br />
nach eigenem Entschluss, freiwillig und im Bedarfsfall sowie zielgerichtet entsprechend<br />
selbstgewählter Kriterien für die erwartbare Hilfegüte ausrichten.<br />
Schlussfolgerungen zum Informations-, Beratungs- und Hilfebedarf<br />
Bei allen Jugendlichen war implizit aus den Aussagen der Interviews ein<br />
umfangreicher Beratungsbedarf ableitbar, in individuell unterschiedlichem Umfang.<br />
Dieser betrifft insbesondere auch die Inhalte der Arbeitsmarktreformen und<br />
200 selbst wenn dies im Einzelfall nicht immer gewährleistet werden kann, prinzipiell aber schon.<br />
94
Überblick zu den jugendlichen Aussiedlern<br />
die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Jugendlichen selbst. Es ist<br />
in k<strong>eine</strong>m der Interviews deutlich erkennbar, dass sich die Strategien der<br />
Jugendlichen an den gesetzlichen Richtlinien orientieren oder überhaupt auf<br />
diese beziehen. Es sind im Gegenteil überwiegend die eigenen<br />
Erfahrungshintergründe, die das Bewerbungsverhalten und die Verfolgung der beruflichen<br />
Zielstellungen prägen.<br />
Die Jugendlichen informieren sich umfangreich auf vielen Wegen, wobei die<br />
Bedeutung des Internets wichtig geworden ist, über Ausbildungsplatzangebote,<br />
Betriebe etc. Es geht trotz allem aus den Interviews hervor,<br />
dass die Jugendlichen an vielen Stellen Fragen haben und Beratungsbedarf, Hilfe<br />
benötigen in ganz konkreten Punkten, die sehr individuell sind. Besonders aus den<br />
Äußerungen der Jungen wird erkennbar, dass ihnen die Unsicherheit ihrer<br />
Lage bewusst ist. Beide Jungen machten im Interview z.B. auch<br />
Bemerkungen zu gesellschaftlichen Themen in Deutschland, zur Politik etc.<br />
und zu ihren Chancen auf dem Arbeitsmarkt, die sie z. T. als nicht<br />
besonders vorteilhaft empfinden.<br />
Die Eltern können nur begrenzte Hilfestellungen geben. Die Qualität der<br />
Berufsvorbereitung an den Schulen ist ebenfalls unterschiedlich. Ergänzend gibt es<br />
Unterstützung aus dem Freundeskreis/ der peergroup, die aber vermutlich oft nur<br />
unwesentlich mehr Kenntnis besitzen dürften als die Interviewten selbst.<br />
Die Bedeutung beider, Eltern wie peergroup, besteht zum überwiegenden<br />
Teil im persönlichen Rückhalt, nicht nur emotional. Aus dem<br />
Bewerbungsprozess selbst ergeben sich aber neue Fragen, die die Kompetenzen, die<br />
Fähigkeiten und das bisherige Wissen der Jugendlichen selbst oft genug übersteigt, die sie<br />
selbst nicht beantworten können, mit denen sie allein überfordert wären. Dazu gehören<br />
bspw. die Erstellung der Bewerbungsunterlagen, bzw. deren Korrektur.<br />
Eine Vielzahl von Fragen und Problemen aus ihrer persönlichen Situation<br />
heraus können die Jugendlichen nicht immer selbst bewältigen. Eine der<br />
wichtigsten davon dürfte die Frage neuer beruflicher Orientierung nach <strong>eine</strong>m längeren<br />
Zeitraum negativer Bewerbungsbilanz sein.<br />
Da Jugendliche und junge Erwachsene noch nicht so gefestigt wie mit<br />
zunehmender Lebenserfahrung sind, können die an sie gestellten<br />
Forderungen im Rahmen der Arbeitsmarktgesetze nicht die gleichen sein<br />
wie an ältere Erwachsene. Sie sind sich ihrer selbst häufig noch unsicher,<br />
benötigen Bestätigung, Unterstützung, Bestärkung, aber auch das Gefühl,<br />
gefordert zu sein, sich beweisen zu können und bewältigbare<br />
Herausforderungen annehmen und bestehen zu können. Die nicht<br />
unverzügliche Einmündung in <strong>eine</strong>n Ausbildungsberuf und die damit<br />
zusammenhängenden Probleme, der auf ihnen lastende (Erfolgs)druck etc. überfordert die<br />
Jugendlichen aber teilweise. Hier ist Unterstützung notwendig, die u.a. Beratung<br />
in konkreten Fragen, Hilfe bei Aufgabenstellungen, weiterführende Fragen<br />
aus dem Lebenskontext etc. und <strong>eine</strong> Vielzahl weiterer Angebote umfassen<br />
sollte (aber nicht zur „Abhängigkeit“ führen darf, sondern die Selbsthilfe<br />
stärken muss).<br />
Anderenfalls besteht bei einigen der Jugendlichen mglw. die Gefahr des „Wegbrechens“.<br />
Frustration und zunehmende Demotivation können die Folge langer Zeiten<br />
Unversorgtheit/ Arbeitslosigkeit sein. Die weiteren Risiken wären im<br />
schlimmsten Falle Langzeitarbeitslosigkeit, lebenslanger Bezug von<br />
Transferleistungen, Verlust der Gesundheit mittel- oder langfristig.<br />
95
6. Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
6.1. Persönlicher Hintergrund<br />
6.1.1. Herkunft<br />
Die befragten Jugendlichen gehören fast alle der so genannten „zweiten<br />
Generation“ der türkischen Einwanderer an. Diese sind in Deutschland<br />
geboren und aufgewachsen (mit Ausnahme von Tarik, der jedoch auch<br />
schon als Einjähriger mit s<strong>eine</strong>n Eltern nach Berlin kam) und haben damit<br />
ihre wesentliche Sozialisation - genauso wie ihre Bildungskarrieren - in<br />
Berlin erfahren. Die Eltern von drei Jugendlichen (Murat, Dilan, Dunya)<br />
stammen aus ländlichen Gebieten der Türkei und haben zu mindestens<br />
<strong>eine</strong>m Teil (Murat) <strong>eine</strong>n kurdischen Hintergrund. Tarik bildet hier <strong>eine</strong><br />
Ausnahme. S<strong>eine</strong> Eltern gehörten der türkischen Minderheit in<br />
Griechenland an und wanderten aus <strong>eine</strong>r griechischen Großstadt nach<br />
Deutschland ein. Alle Jugendlichen haben selbst k<strong>eine</strong>rlei (bewusste)<br />
Migrationserfahrungen gemacht, unterhalten allerdings über die Eltern teils<br />
enge Kontakte zu den Verwandten in das Herkunftsland. Mitunter sind<br />
auch Familienmitglieder bereits rückgewandert (Vater und Geschwister von<br />
Dunya). Alle Jugendlichen entstammen Familien, die im Herkunftsland<br />
<strong>eine</strong>n Minderheitenstatus hatten (Kurden in der Türkei oder Türken in<br />
Griechenland).<br />
6.1.2. Einfluss der Stadt/Land-Herkunft<br />
Es konnten k<strong>eine</strong> eindeutigen Unterschiede in der beruflichen Orientierung<br />
der Jugendlichen aufgrund <strong>eine</strong>r Herkunft aus ländlichen Regionen oder<br />
<strong>eine</strong>r Großstadt festgestellt werden.<br />
Festzustellen ist, dass alle Jugendlichen z. T. große Probleme haben, sich<br />
beruflich zu orientieren und ihnen diese Orientierung vieles abverlangt.<br />
6.1.3. Alter, Schulabgang und Bewerbungserfahrungen<br />
Die Jugendlichen sind im Schnitt 18 Jahre alt (Ausnahme ist Dunya, die<br />
bereits von der 9. Klasse abgegangen und mit 17 Jahren 1 Jahr jünger als die<br />
anderen ist). Zwei der Jugendlichen haben 2004, also bereits mehr als ein<br />
Jahr vor dem Interview die Schule verlassen (Murat + Dunya). Die anderen<br />
beiden haben 2005 die Schule abgeschlossen. Sie nehmen seit Herbst 2005<br />
wieder an <strong>eine</strong>m Berufsvorbereitungsjahr teil. Nur <strong>eine</strong>r der befragten<br />
Jugendlichen schloss die Schule mit <strong>eine</strong>m Hauptschulabschluss ab (Murat),<br />
zwei von ihnen verließen die Schule lediglich mit <strong>eine</strong>m Abgangszeugnis.<br />
Ein Mädchen hatte <strong>eine</strong>n Realschulabschluss mit <strong>eine</strong>r allerdings nicht<br />
ausreichenden Deutschnote.<br />
Entsprechend unterschiedlich sind die Erfahrungen, welche die<br />
6.1.4.<br />
Jugendlichen mit Bewerbungen haben. Auch die Schwerpunkte innerhalb<br />
der Interviews können z. T. auf die unterschiedlichen Erfahrungshintergründe<br />
und -zeiträume im Bewerbungsprozess zurückgeführt werden.<br />
Familiärer Hintergrund<br />
Das Alter der Eltern der türkischen Jugendlichen differiert erheblich. Das<br />
liegt u. a. darin begründet, an welcher Stelle der Geschwisterlinie die<br />
Jugendlichen sich befinden. Tarik bspw. ist das älteste Kind, s<strong>eine</strong> Eltern<br />
und die Geschwister sind entsprechend noch relativ jung. Dilan dagegen ist<br />
nahezu das jüngste Kind in <strong>eine</strong>r langen Geschwisterlinie, hat entsprechend<br />
96
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
<strong>eine</strong> Reihe älterer Geschwister und die Eltern sind auch deutlich älter als<br />
diejenigen von Tarik.<br />
Die zugewanderten Eltern gehörten fast alle der (ersten) Generation der<br />
Gastarbeiter an. Sie stammen fast alle aus ländlichen Gebieten und haben<br />
<strong>eine</strong>n nur geringen Bildungshintergrund (Schul- und Berufsbildung).<br />
Obwohl nicht in jedem Falle klare Aussagen gemacht wurden durch die<br />
Jugendlichen, geht insgesamt daraus hervor, dass die Männer im<br />
Herkunftsland <strong>eine</strong>r Arbeit nachgingen, häufig auch ohne Ausbildung, in<br />
<strong>eine</strong>m zumeist männertypischen Bereich (wie die Automobilbranche). Über<br />
die Schulabschlüsse war die Aussagefähigkeit der Jugendlichen noch<br />
dürftiger. Es wurde fast immer vermutet, dass die Eltern k<strong>eine</strong><br />
Schulabschlüsse hätten. Die Mütter hatten häufig noch weniger<br />
vorzuweisen, da sie schon im Herkunftsland nicht berufstätig waren und die<br />
traditionelle Rolle der Hausfrauen und Mütter erfüllten.<br />
In Deutschland waren die Väter fast immer in gering qualifizierten<br />
Beschäftigungen tätig (Tarik, Dilan, Dunya) bzw. unterhielten ein kl<strong>eine</strong>s<br />
Geschäft (Murat). Die Mütter arbeiteten, wenn überhaupt, nur sehr kurze<br />
Zeit und zur Überbrückung von schwierigen Lagen. Auffällig ist darüber<br />
hinaus, dass die meisten Eltern zum Interviewzeitpunkt bereits in Rente<br />
sind oder berufsunfähig, selbst wenn dies vom Alter her noch nicht<br />
anzunehmen wäre. Mit Ausnahme von Murats Vater, der <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n<br />
Zeitungsladen betreibt 201 , sind die Eltern der Jugendlichen daher<br />
durchgehend von Transferleistungen abhängig.<br />
Die Jugendlichen sch<strong>eine</strong>n insgesamt betrachtet kaum etwas über die (meist<br />
vergangenen) beruflichen Tätigkeiten ihrer Eltern sowie deren Bildungs-<br />
und Berufshintergrund zu wissen. Dies scheint damit in den Familien<br />
vermutlich nur <strong>eine</strong> geringe Rolle gespielt zu haben. Und es ist auch in<br />
diesem Zusammenhang zu vermuten, dass die Jugendlichen damit in ihren<br />
Familien nur wenig erfahren haben über berufliche Wege und Möglichkeiten, die es in<br />
Deutschland gibt. Aus dem familiären Kontext kann also mit <strong>eine</strong>r gewissen<br />
Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass es ein<br />
Informationsdefizit gibt. Das kann durch Aussagen in den Interviews<br />
gestützt werden, die die Jugendlichen selbst z. T. sogar sehr direkt und<br />
deutlich benennen konnten (Tarik) 202 .<br />
Insgesamt kann man die befragten Jugendlichen mit ziemlicher Sicherheit<br />
unter den derzeit häufig benutzten Begriff „bildungsferne Schichten“<br />
fassen. Dies korrespondiert im Wesentlichen mit der konkreten Herkunft<br />
der Eltern und den dort zum Auswanderungszeitpunkt vorherrschenden<br />
Bildungsbedingungen.<br />
Zu konstatieren ist damit aber auch, dass die Jugendlichen, um den in Deutschland<br />
üblichen Bildungsweg nehmen zu können, wenig auf den elterlichen Hintergrund bauen<br />
können und für sie entsprechend andere Informations- und Unterstützungsmöglichkeiten<br />
notwendig sind.<br />
201<br />
und Dilans Vater, der in die Türkei zurückgekehrt ist und mit der Familie kaum noch Kontakt<br />
unterhält<br />
202<br />
siehe Fallbeschreibung Tarik<br />
97
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
6.2. Bildungsorientierung<br />
6.2.1. Ausbildungsorientierung<br />
Aus den Aussagen der Interviews geht hervor, dass die Jugendlichen<br />
durchgehend <strong>eine</strong> berufsqualifizierende Ausbildung anstreben. Die<br />
Berufsziele unterscheiden sich für sie allerdings deutlich von denen der<br />
Elterngeneration und sind denen deutscher Jugendlicher adäquat. Nicht<br />
immer war der Wunsch nach der Ausbildung in den Interviews allerdings<br />
auch von der Hoffnung begleitet, diese Ausbildungsziele auch erreichen zu<br />
können (insbesondere bei Dunya).<br />
Die berufliche Orientierung fand überwiegend über das nähere räumliche<br />
und persönliche Umfeld statt. D.h. die Jugendlichen informierten sich im<br />
familiären Umkreis über berufliche Möglichkeiten und/ oder in ihrer<br />
vertrauten Wohnumgebung. Besonders die Geschwister standen dabei den<br />
Jugendlichen zur Seite, als Ratgeber und Gesprächspartner (besonders<br />
Dilan, aber auch Dunya). Sie erfüllen in diesem Zusammenhang <strong>eine</strong><br />
gewisse Vorbildfunktion. Die Eltern konnten diese Funktionen zumeist<br />
nicht erfüllen. Eine Ausnahme bildet Murat, der sich auch im weiteren<br />
familiären Umfeld kundig machte, auch bei den Eltern. Wo der familiäre<br />
Umkreis k<strong>eine</strong> Hilfe bot, weil z.B. ältere Geschwister fehlten (Tarik),<br />
erfüllten (ältere) Freunde diese Funktion. Es kann an dieser Stelle nicht<br />
schlüssig angegeben werden, aus welchen Gründen diese vorwiegend im<br />
privaten Umfeld verlaufende Orientierung der Jugendlichen stattfand.<br />
Anzunehmen ist jedoch, dass <strong>eine</strong> grundsätzliche Vertrautheit und der<br />
(schon bestehende und oft lang anhaltende) persönliche Bezug zu den zu<br />
Rate gezogenen Personen dafür ausschlaggebend waren. Weiterhin<br />
orientierten sich die Jugendlichen oft im meist näheren räumlichen Umfeld<br />
(Murat, Tarik, Dunya, Dilan). In der dafür typischen Schulphase (9. Klasse)<br />
nahmen die Jugendlichen die in ihrem Alltag bekannten Betriebe und<br />
Berufsfelder „unter die Lupe“ und prüften sie daraufhin, ob diese für die<br />
eigene Berufslaufbahn geeignet sind. Besonders deutlich zeigt dies Dunya,<br />
deren zwar eher schüchtern geäußerte berufliche Wünsche aber sämtlich<br />
ihrem Alltagserleben entstammten.<br />
Auswahlkriterien für die beruflichen Wünsche waren neben dem Spaß an<br />
der Arbeit und der Einschätzung persönlicher Fähigkeiten zumeist auch, ob<br />
die Berufe künftig hinreichend Aussichten auf <strong>eine</strong> sichere<br />
Einkommensmöglichkeit böten. Dies war insbesondere wichtig, weil die<br />
Jugendlichen in die Berufswahl auch die (baldige) Gründung <strong>eine</strong>r Familie<br />
einbezogen, die folglich zu versorgen wäre. Mädchen und Jungen<br />
unterschieden sich dabei kaum. Ausschlaggebend waren aber dennoch der<br />
Spaß an der Arbeit und das persönliche Interesse, die in der Praxis erprobt<br />
wurde (Praktika: Dilan, auch Dunya) zusammen mit den eigenen<br />
Fähigkeiten.<br />
Hinsichtlich des Wunschberufes konnten deutliche Unterschiede<br />
festgemacht werden zwischen den zwei Jugendlichen, die zum<br />
Interviewzeitpunkt <strong>eine</strong> Berufsvorbereitungsmaßnahme durchliefen und<br />
den anderen beiden Jugendlichen. Die Jugendlichen aus dem Berufsvorbereitungsjahr<br />
hatten relativ klare Ziele über ihre Berufswünsche und<br />
konnten diese auch begründen, weil denen ein oft längerer Überlegungszeitraum<br />
vorausging (Dilan) und sie zudem Unterstützung darin u. a. aus<br />
dem Kollegium des Maßnahme-Trägers erhielten. Die anderen beiden<br />
Jugendlichen zeigten <strong>eine</strong> deutlich größere Unsicherheit, obwohl sie bereits<br />
98
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
ein Jahr früher die Schule verlassen hatten als die ersteren. Während bei<br />
Murat die lange Zeit der erfolglosen Ausbildungsplatzsuche für s<strong>eine</strong><br />
Verunsicherung <strong>eine</strong> gewisse Rolle zu spielen schien, ist die Ursache bei<br />
Dunya jedoch sehr wahrscheinlich in ihrer insgesamt noch unklaren Rolle<br />
innerhalb der Familie zurückzuführen, die kaum überhaupt <strong>eine</strong> berufliche<br />
Zukunft vorsieht, obwohl sich Dunya selbst dazu im Interview deutlich<br />
positiv äußert.<br />
6.2.2. Allgem<strong>eine</strong> Bildungsorientierung<br />
Fast alle befragten türkischen Jugendlichen hatten in der Vergangenheit z.T.<br />
erhebliche Schulprobleme zu bewältigen, die im Extremfall bis zum<br />
Schulabgang führten (Tarik und Dunya, auch Murat). Die genauen Gründe<br />
für die Schulprobleme konnten aus den Interviews nicht rekonstruiert<br />
werden. Aber es konnte so viel festgestellt werden, dass sie immer auch<br />
verbunden mit kommunikativen Störungen waren, deren konkrete<br />
Ursachen aber im Unklaren bleiben (Murat, Dunya). Es gab Konflikte mit<br />
Lehrern und/ oder Mitschülern (Murat und Tarik). Gegenwärtige Probleme<br />
beim Finden <strong>eine</strong>r passenden Ausbildungsstelle oder überhaupt <strong>eine</strong>r<br />
beruflichen Chance führen diese Jugendlichen oft auch auf diese Umstände<br />
zurück und bedauern diese Entwicklung inzwischen meist selbst. Sie<br />
bemühen sich teils außerordentlich um <strong>eine</strong> zweite Chance für <strong>eine</strong>n<br />
regulären Schulabschluss (Dunya).<br />
Mit Ausnahme von Dilan kann aber festgestellt werden, dass die<br />
Einstellungen der Jugendlichen zu Bildung an sich eher ambivalent sind.<br />
Das Potential und die Bedeutung für die eigene Zukunft wird häufig nicht<br />
ausreichend oder mindestens nicht rechtzeitig erkannt. Es geht den<br />
Jugendlichen überwiegend darum, später <strong>eine</strong> Familie zu ernähren und<br />
dafür ausreichend Geld zu verdienen. Das Erreichen hoher Bildungsabschlüsse<br />
hat demgegenüber oft <strong>eine</strong> geringe Priorität. Dennoch ist die<br />
Bildungsorientierung individuell unterschiedlich ausgeprägt und orientiert<br />
sich an den tatsächlichen Lebenszielen, die die Jugendlichen zum Zeitpunkt<br />
der Befragung haben. Sofern ein qualifizierender Schulabschluss bisher<br />
nicht erreicht wurde, werden die Möglichkeiten zum Nachholen desselben<br />
dankbar angenommen und genutzt (Tarik, im Prinzip auch Dunya).<br />
Eine wesentliche Funktion scheint die Schule neben der Wissensvermittlung<br />
aber auch für die Sozialkontakte der Jugendlichen zu erfüllen. Hierzu finden<br />
sich wichtige Aussagen in allen Interviews. Die Bildungsstätten bieten die<br />
Möglichkeit, sich mit anderen Jugendlichen zu treffen und auszutauschen,<br />
außerhalb des Elternhauses. Ob die tatsächliche Bedeutung für die<br />
Sozialkontakte sich bspw. von denen für deutsche Jugendliche unterscheidet,<br />
kann nicht gesagt werden, weil es k<strong>eine</strong> Vergleichsgruppe gibt. Die<br />
Rolle der Schulen für die Sozialkontakte der türkischen Jugendlichen ist<br />
aber aus eben diesen Gründen <strong>eine</strong> nicht uninteressante Frage, die weiter<br />
verfolgt werden sollte.<br />
6.3. Bewerbungserfahrungen<br />
6.3.1. Bewerbungsaktivitäten<br />
Der Umfang der Bewerbungsaktivitäten ist individuell sehr unterschiedlich<br />
und wird auch unterschiedlich durch die Jugendlichen wahrgenommen und<br />
dargestellt. Zunächst ist auffällig, dass die Jugendlichen durchweg sehr spät mit ihren<br />
Bewerbungsbemühungen begannen oder zum Interviewzeitpunkt auch noch gar nicht<br />
richtig damit begonnen haben. Die Beweggründe dafür sind individuell<br />
99
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
unterschiedlich. Während Dilan sehr lange für <strong>eine</strong> endgültige Entscheidung<br />
über ihre berufliche Richtung benötigte, sich aber auch innerhalb dieser Zeit<br />
intensiv in ihrer Umgebung nach Möglichkeiten umschaute, Vergleiche<br />
anstellte zwischen verschiedenen Berufsbildern etc., ging und geht es Tarik<br />
und Dunya zunächst einmal um das Nachholen ihres Schulabschlusses an<br />
sich, um überhaupt Chancen auf <strong>eine</strong> Ausbildung zu bekommen. Alle drei<br />
Jugendlichen haben bisher noch k<strong>eine</strong> bzw. nur sehr wenige Bewerbungen<br />
geschrieben. Dilan und Tarik konzentrieren sich zum Interviewzeitpunkt<br />
auf <strong>eine</strong>n möglichst guten Abschluss der besuchten Berufsvorbereitungsmaßnahme.<br />
Dunya sieht für sich trotz des prinzipiell vorhandenen<br />
Wunsches nach <strong>eine</strong>m normalen Schulabschluss und <strong>eine</strong>r nachfolgenden<br />
Ausbildung k<strong>eine</strong> Wege dorthin und damit echten Chancen auf <strong>eine</strong><br />
Ausbildung. Ihr Verhalten ist zudem auch stark durch die<br />
Erwartungshaltung ihrer Familie an ein ihr gemäßes Rollenverhalten<br />
geprägt. Entsprechend ambivalent ist ihre Einstellung. Die durchaus<br />
vorhandenen Bemühungen um <strong>eine</strong> Wiederaufnahme der Schullaufbahn<br />
verliefen bisher negativ. Murat ist der einzige unter den befragten türkischen<br />
Jugendlichen, der sich schon seit längerer Zeit um <strong>eine</strong> Ausbildungsstelle<br />
bewirbt. Er hat immer wieder Bewerbungen geschrieben, die bisher aber<br />
alle erfolglos geblieben waren.<br />
Diejenigen Jugendlichen, welche tatsächlich bereits auf der Suche nach<br />
<strong>eine</strong>m Ausbildungsplatz waren (Murat, Dilan), nutzten ein gewisses<br />
Spektrum an ihnen verfügbaren Möglichkeiten. Sie schauten sich mit<br />
Vorliebe in ihrer näheren Wohnumgebung um (Dilan, Murat) und fragten<br />
vor Ort bei geeigneten Betrieben nach, stellten sich dort auch persönlich<br />
vor und schickten dann zumeist Initiativbewerbungen. Diese Betriebe<br />
können wegen des persönlichen Bezugs in ihrer Eignung als Ausbildungs-<br />
und evtl. Arbeitsplatz von ihnen eingeschätzt werden. Dilan begründete ihr<br />
Vorgehen auch damit, dass sie mit diesem Verfahren zunächst das<br />
grundsätzliche Interesse der Betriebe erkundet, um erst danach <strong>eine</strong><br />
schriftliche Bewerbung einzuschicken. Das persönliche Vorstellen bietet<br />
den Jugendlichen außerdem die Möglichkeit, <strong>eine</strong>n persönlich guten<br />
Eindruck zu hinterlassen, unabhängig von ihren (schriftlichen)<br />
Deutschkenntnissen, wenn diese bspw. als mangelhaft eingeschätzt werden.<br />
Es wird in der Bewerbungsstrategie also stärker auf <strong>eine</strong> positive Wirkung<br />
der Persönlichkeit gesetzt, als auf eher anonym empfundene schriftliche<br />
Bewerbungen. Murat erkundet mögliche Ausbildungschancen zudem auch<br />
über den Verwandtenkreis und wird darin durch den Vater unterstützt. Als<br />
weitere Möglichkeit nutzen sowohl Dilan als auch Murat die Recherche<br />
nach freien Stellen oder potentiell interessanten Betrieben im Internet,<br />
besonders die hierfür bekannten Internetseiten, wie Google, M<strong>eine</strong>-Stadt.de<br />
etc.<br />
Ein weiterer Grund für die bisher geringen Bewerbungsaktivitäten der<br />
meisten Befragten kann auch in der Angst vor Bewerbungs-Ablehnungen<br />
gesehen werden, zumindest solange fehlende oder geringe Schulabschlüsse,<br />
und damit auch die in Deutschland nötigen Zugangsvoraussetzungen,<br />
vorliegen 203 . Alle türkischen InterviewpartnerInnen machten Andeutungen,<br />
die in dieser Richtung interpretiert werden können. Insbesondere Dunyas<br />
203 Aus diesem Grund sind die Jugendlichen auch an <strong>eine</strong>m guten schulischen besonders Abschluß<br />
interessiert. Zumindest kann die Bewerbungsabstinenz von Dunya und Tarik so verstanden werden.<br />
Beide rechnen ohne diesen nicht mit <strong>eine</strong>m Bewerbungserfolg und schreiben bzw. schrieben daher<br />
auch bisher k<strong>eine</strong>rlei Bewerbungen.<br />
100
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
6.3.2.<br />
Abwarten ohne Bewerbungsversuche kann u. U. auch in diese Richtung<br />
gewertet werden. Nicht zuletzt könnte auch Murats wechselndes<br />
Bewerbungs-Engagement in diesem Sinne verstanden werden.<br />
Bewerbungsergebnisse<br />
Bei denjenigen Jugendlichen (Dunya, Tarik), die bislang überhaupt k<strong>eine</strong><br />
schriftlichen Bewerbungen verschickt haben, liegen auch k<strong>eine</strong> Bewerbungsergebnisse<br />
im engeren Sinne vor. Es sind dieselben Jugendlichen, die<br />
bisher auch k<strong>eine</strong>n qualifizierten Schulabschluss vorweisen können. Tarik<br />
befindet sich zum Interviewzeitpunkt bereits in der Abschlussphase des<br />
Berufsvorbereitungsjahrs, die ihm durch die betreuende Arbeitsmarktbehörde<br />
(vermutlich JobCenter) vermittelt wurde. Er macht sich begründete<br />
Hoffnung auf <strong>eine</strong>n guten Hauptschulabschluß und hat damit nicht nur<br />
s<strong>eine</strong> Zugangsvoraussetzungen für <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz deutlich<br />
verbessert 204 , sondern auch s<strong>eine</strong> bis dahin eher negativen Schulerfahrungen<br />
mit positiven ergänzt. Er schaut inzwischen vorsichtig positiv in die<br />
Zukunft. Dunya dagegen hat es bisher noch nicht geschafft, <strong>eine</strong> zweite<br />
Chance auf Schulabschluss zu bekommen. Sie verharrt gegenwärtig<br />
überwiegend in der Warteposition und hat damit schon viel Zeit verloren.<br />
Für Dilan war nach dem absolvierten dreimonatigen Praktikum der weitere<br />
Verbleib innerhalb des Berufsvorbereitungsjahres jedoch unnötig wegen<br />
ihres schon vorhandenen Realschulabschlusses, so dass sie <strong>eine</strong> gewisse<br />
Zeit, die sie hätte für Bewerbungen nutzen können, verloren hat. Zum<br />
Interviewzeitpunkt hatte sie noch k<strong>eine</strong>n Bewerbungserfolg vorzuweisen,<br />
machte sich aber wegen der Beurteilung aus der Maßnahme heraus ebenso<br />
wie Tarik Hoffnungen auf <strong>eine</strong> erfolgreiche Vermittlung in <strong>eine</strong>n<br />
Ausbildungsplatz.<br />
Murat dagegen war es trotz s<strong>eine</strong>r bereits länger zurückliegenden Schulzeit<br />
noch nicht gelungen, in ein Ausbildungsverhältnis einzumünden. Er gehört<br />
damit zu den so genannten „Altfällen“, die bereits im vorangehenden<br />
Ausbildungsjahr unversorgt geblieben waren. Wegen ungenügender<br />
Schulleistungen in einigen Fächern konnte er sich kaum Hoffnung auf die<br />
Ausbildung in s<strong>eine</strong>m Wunschberuf machen, solange diese nicht verbessert<br />
würden. Er bewarb sich zum Interviewzeitpunkt vorrangig auf Praktika.<br />
6.3.3. Bewertung bisheriger Bewerbungserfahrungen<br />
Die beiden Jugendlichen, die innerhalb <strong>eine</strong>r Berufsvorbereitungsmaßnahme<br />
befragt wurden (Dilan, Tarik), schätzen ihre zukünftigen<br />
Chancen - wie bereits angedeutet - durchaus positiv ein und führen diese<br />
Hoffnungen stark auf die innerhalb der Maßnahme gemachten<br />
Erfahrungen, den Wissenserwerb, den erreichten Schulabschluss, die neuen<br />
Erkenntnisse zur Berufswahlentscheidung oder der erwarteten positiven<br />
Beurteilung zurück sowie auf die Beratungs- und Betreuungsleistungen der<br />
Mitarbeiter. Für Dilan haben sich die schulischen Voraussetzungen selbst<br />
dabei nicht wesentlich verbessert. Sie hat jedoch durch das dreimonatige<br />
Praktikum bereits Arbeitspraxis vorzuweisen, die ihr im weiteren<br />
Bewerbungsverlauf helfen könnte. Tarik ist stolz auf die durchaus guten<br />
Schulergebnisse, die er während s<strong>eine</strong>r übrigen Schulzeit so nicht erreicht<br />
hatte. Beide blicken vorsichtig hoffnungsvoll in die Zukunft und können<br />
auch für die Zukunft auf Unterstützung aus dem Bildungsträger rechnen.<br />
204 oder überhaupt erst geschaffen<br />
101
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
Zumindest für Tarik war diese Entwicklung aufgrund s<strong>eine</strong>r abgebrochenen<br />
Schullaufbahn nicht ohne weiteres absehbar.<br />
Murat und Dunya sind dagegen wenig optimistisch bis frustriert. Beide<br />
haben sich bisher vergeblich um die Erreichung ihrer Ziele bemüht. Beide<br />
stehen offenkundig auch unter <strong>eine</strong>m gewissen familiären Druck, wenn<br />
auch aus unterschiedlichen Gründen. Während Murat offenkundig in<br />
absehbarer Zeit <strong>eine</strong> Familie gründen möchte und <strong>eine</strong> Ausbildung sucht,<br />
um danach <strong>eine</strong> Arbeit zu finden, die die Familie ernährt, sucht Dunya<br />
überhaupt erst <strong>eine</strong> Möglichkeit für <strong>eine</strong>n Wiedereinstieg in die<br />
Bildungslaufbahn und schwankt zudem zwischen der familiären<br />
6.4.<br />
Rollenzuschreibung und dem deutschen Familienmodell, welches <strong>eine</strong><br />
berufliche Tätigkeit zulässt. Beide Jugendlichen schauen noch sehr unsicher<br />
in die Zukunft.<br />
Hilfenachfrage und -wahrnehmung<br />
6.4.1. Allgem<strong>eine</strong> Strategien zur Hilfesuche<br />
Die Nachfrage und Wahrnehmung von Hilfe im Übergangsprozess von der<br />
Schule in Ausbildung ist bei den befragten Jugendlichen unterschiedlich<br />
stark ausgeprägt. Schon die Hilfeorientierung aus eigenem Antrieb ist bei<br />
den türkischen Jugendlichen oft erstaunlich gering, obwohl sie sich ihrer<br />
prekären Situation meist bewusst sind. Als Extremfall kann hier Dunya<br />
gesehen werden, die von sich aus bisher nur wenig Hilfe gesucht hat.<br />
Es kann unterschieden werden danach, in welchem Rahmen jeweils Hilfe<br />
gesucht wird. Im familiären oder privaten Umfeld wird von den<br />
Jugendlichen eher Hilfe gesucht und wahrgenommen, als in <strong>eine</strong>m<br />
institutionalisierten Rahmen. Möglicherweise liegt das daran, dass hierbei<br />
die Hemmschwelle zu überwinden ist, sich an zunächst fremde Personen zu<br />
wenden. Auffällig war in den Interviews auch, dass fast alle Jugendlichen in<br />
der <strong>eine</strong>n oder anderen Form Erfahrungen bei der Hilfesuche ansprachen,<br />
die als negativ wahrgenommen wurden. Tendenziell ist ein eher geringes<br />
Vertrauen in Hilfe von außerhalb des privaten Umfeldes spürbar.<br />
6.4.2. Rückhalt in den Familien und im Freundeskreis<br />
ELTERN<br />
Die befragten Jugendlichen entstammen zumeist so genannten<br />
„bildungsfernen“ Familien 205 . Damit einher geht, dass die Jugendlichen bei<br />
ihrer schulischen und beruflichen Orientierung tatsächlich oft weitgehend<br />
ohne die Hilfe ihrer Eltern auskommen mussten und müssen und somit<br />
überwiegend auf sich selbst gestellt sind 206 .<br />
Dennoch stellt die Familie zumeist <strong>eine</strong>n überwiegend positiven Rückhalt<br />
für die Jugendlichen dar. Dieser beinhaltet nicht nur emotionalen und<br />
moralischen Halt, sondern auch familiäre Pflichten und Eingebundenheit,<br />
und dies sowohl für die Mädchen wie auch für die Jungen. Aus der Familie<br />
kommen mitunter aber auch Belastungen, die unter anderem auch mit der<br />
Unversorgtheit nach dem Schulabschluss zusammenhängen (Murat) 207 . Die<br />
familiären Zusammenhänge und Anforderungen können zusammen mit<br />
205<br />
siehe 1.4.<br />
206<br />
Dies wurde prinzipiell auch schon in anderen Studien festgestellt, so durch das Übergangspanel<br />
des DJI<br />
207<br />
Es ist anzunehmen, dass die Eltern aufgrund ihrer geringen Kenntnisse um den Ausbildungsund<br />
Arbeitsmarkt nicht verstehen (können), warum es gegenwärtig schwierig ist, <strong>eine</strong> Ausbildung zu<br />
bekommen und die Ursache daher hauptsächlich bei den Jugendlichen suchen.<br />
102
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
den Anforderungen des deutschen Bildungssystems so unter Umständen<br />
auch tendenziell Überforderungen für die Jugendlichen darstellen oder<br />
können verschiedentlich zu Konflikten bei den Jugendlichen führen (Murat,<br />
Tarik, Dunya), da die Jugendlichen im gleichen Zeitraum, in dem sie sich<br />
mit ihrer eigenen Integration in das deutsche Bildungssystem beschäftigen<br />
müssen, auch familiär verpflichtet sind, wie z. B. den jüngeren Geschwistern<br />
(Tarik) oder <strong>eine</strong>r evtl. kranken Mutter (Dunya) 208 . Im Wesentlichen werden<br />
die Familien allerdings als positiver Rückhalt wahrgenommen und in den<br />
Interviews auch entsprechend dargestellt. Besonders deutlich konnte<br />
allerdings Tarik zusammenfassen, warum die Eltern wenig Hilfe leisten<br />
können in der beruflichen Eingliederung 209 .<br />
GESCHWISTER<br />
Diejenigen der Jugendlichen, welche ältere Geschwister haben, orientieren<br />
sich teilweise stark an diesen und ihren beruflichen Erfahrungen, so an<br />
deren ausgeübten bzw. erlernten Berufen (Dilan, Dunya). Insbesondere für<br />
Dilan traf dies in besonderem Maße zu. Sie konnte unter ihren<br />
Geschwistern auch <strong>eine</strong>n geeigneten Bezugspartner finden, der die ihm<br />
zugetragene Verantwortung wahrnahm, mit dem sie sich über ihre<br />
beruflichen Möglichkeiten austauschen konnte. Dunya zeigte zwar Interesse<br />
an den ersten beruflichen Schritten, die ihre Schwestern machten sowie<br />
deren Bewerbungserfahrungen. Als diese kurzen beruflichen Orientierungen<br />
aber nach der Heirat beendet wurden, konnten sie nicht weiter als Vorbild<br />
dienen. Offenbar erfüllen aber die Geschwister in diesen Fällen <strong>eine</strong><br />
Vorbild-Funktion, welche die Eltern in Deutschland nicht wahrnehmen<br />
können. Die jüngeren Geschwister schauen sich vieles von dem Vorgehen<br />
ihrer älteren Geschwister ab, um damit ihre ersten eigenen Erfahrungen im<br />
Übergangsprozess zu machen.<br />
Deutlich schwerer sch<strong>eine</strong>n es dagegen diejenigen Jugendlichen zu haben,<br />
welche selbst in der Geschwisterlinie die Ältesten sind. Durch Zufall waren<br />
dies in der Befragung die befragten männlichen Interviewpartner (Murat,<br />
Tarik). Sie sprachen im Interview an, kaum Orientierungen und Vorbilder<br />
aus der eigenen Familie zu haben und griffen daher auf die Erfahrungen<br />
von z. T. älteren Freunden zurück 210 . Einstellungen und Erfahrungen dieser<br />
Freunde im Umgang mit Behörden oder Bewerbungen wurden in den<br />
Interviews mitunter direkt von diesen übernommen.<br />
VERWANDTE<br />
Ob Verwandte in die Berufsorientierung oder Bewerbungen/<br />
Ausbildungsplatzsuche mit einbezogen werden, dazu gibt es bei den<br />
Jugendlichen unterschiedliche Auffassungen. Im Allgem<strong>eine</strong>n werden die<br />
Verwandten, so sie im Interview zur Sprache kamen (Murat, Tarik, Dunya)<br />
als beinahe ebenso wenig hilfreich beschrieben wie die Eltern, aus etwa<br />
denselben Gründen. In Einzelfällen wurden aber auch Verwandte<br />
zielgerichtet mit einbezogen. So berichtet Murat davon, dass in s<strong>eine</strong>m<br />
Verwandtenkreis nach Ausbildungsmöglichkeiten für ihn gesucht wird und<br />
208 Die Konfliktkonstellationen wurden in den Interviews jeweils nur grob angerissen und können<br />
daher nicht in die Tiefe und bis zu den Ursachen fortgeführt werden.<br />
209 siehe Fallbeschreibung von Tarik.<br />
210 Ob dies ein verallgem<strong>eine</strong>rbares Phänomen ist, zu welchem eher Jungen neigen, kann hier nicht<br />
gesagt werden. Die Konstellation der Interviews ergab sich vielmehr zufällig. Es wäre mit <strong>eine</strong>r<br />
größeren Anzahl an Interviewten zu überprüfen, ob diese Beobachtung sich anhand der Verteilung<br />
von Mädchen und Jungen bestätigen ließe.<br />
103
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
er während der Schulzeit Nachhilfeunterricht von <strong>eine</strong>r Verwandten erhielt.<br />
Tarik ist zwar stolz auf s<strong>eine</strong> auch in Berlin weit verzweigte Familie, greift<br />
auf diese aber im Zusammenhang mit s<strong>eine</strong>r beruflichen Orientierung im<br />
Wesentlichen nicht zurück. Ihm sind neue Herausforderungen wichtiger,<br />
die er außerhalb <strong>eine</strong>s Familienbetriebes machen will. Sofern er allerdings in<br />
<strong>eine</strong>m angemessenen Zeitraum in Berlin k<strong>eine</strong> Ausbildung bekommen<br />
sollte, erwägt auch er, später doch auf die weitere Verwandtschaft<br />
zurückzugreifen, um in <strong>eine</strong>m Familienbetrieb zu arbeiten. In diesem Falle<br />
würde er aber nicht in Deutschland bleiben, sondern auf den noch im<br />
Herkunftsland der Eltern verbliebenen Familienzweig zurückgreifen. Er<br />
sähe für sich in diesem Falle wenig Sinn, weiterhin in Deutschland zu<br />
verbleiben.<br />
6.4.3. Vorbereitung der Schulen auf den Übergangsprozess<br />
Die Schulen spielten in den bisherigen Auswertungen <strong>eine</strong> eher<br />
untergeordnete Rolle. Sie sollen auch hier nicht erschöpfend behandelt<br />
werden, können aber auch nicht völlig ausgelassen werden, da deren<br />
Einflüsse für einige der türkischen Jugendlichen wesentlich für die<br />
nachfolgenden Übergangsprozesse waren.<br />
Zwei der Jugendlichen (Dunya, Tarik) brachten <strong>eine</strong> stark problembelastete<br />
Schulkarriere hinter sich, die von Konflikten und Auseinandersetzungen<br />
geprägt war (mit Lehrern, aber z. T. auch Mitschülern wie bei Tarik) und<br />
<strong>eine</strong>r latenten Tendenz zur Schulverweigerung 211 . Die Schulkarriere beider<br />
Jugendlicher endete ohne <strong>eine</strong>n qualifizierten Schulabschluss, mit <strong>eine</strong>m<br />
Abgangszeugnis. Beide Jugendliche berichteten in den Interviews auch<br />
darüber, dass sie aus dem Unterricht der Schule, der sie auf den beruflichen<br />
Übergang ebenso wie auf die Bewerbungsphase vorbereiten sollte, nicht viel<br />
mitgenommen haben. Die Schule wurde von ihnen somit als nicht hilfreich<br />
für ihren Übergangsprozess wahrgenommen. Es gab k<strong>eine</strong> Ansprechpartner<br />
in den Schulen für sie. Beide Jugendliche waren am Ende ihrer<br />
Schullaufbahn entsprechend wenig vorbereitet auf diese Übergangsphase<br />
und hatten ein entsprechend großes Informationsdefizit. Während dies<br />
jedoch durch Tarik in der Berufsvorbereitungs-Maßnahme weitgehend<br />
ausgeglichen werden konnte, blieb Dunya dies bisher verwehrt.<br />
Auch für Murat spielten Konflikte mit Lehrern und Mitschülern und private<br />
Probleme k<strong>eine</strong> unwesentliche Rolle. Diese traten aber erst im<br />
Oberstufenzentrum (OSZ) auf, wo er s<strong>eine</strong> schulischen Vorraussetzungen<br />
verbessern und den Realschulabschluss nachholen wollte. Auch er brach<br />
diesen Schulversuch ohne Abschluss ab und führt dies im Interview<br />
wesentlich auf diese Schulkonflikte zurück.<br />
Dilan macht im Interview dagegen k<strong>eine</strong>rlei Aussagen zu <strong>eine</strong>m<br />
konfliktträchtigen Schulklima. Sie wurde vielmehr durch ihre Lehrer<br />
aufgefordert, rechtzeitig Bewerbungen zu schreiben und kann sich auch an<br />
die Vorbereitungen auf den Übergangsprozess aus dem Unterricht erinnern.<br />
Allerdings scheint auch Dilan die Lehrer kaum als Ansprechpartner oder<br />
Hilfemöglichkeit für sie persönlich gesehen zu haben, da sie die durchaus<br />
211 Von Tarik wurden eher ungünstige schulische Verhältnisse beschrieben, die wenig auf Vertrauen<br />
zwischen Lehrern und Schülern schließen ließen. Er sprach sogar direkt diskriminierende<br />
Umstände gegenüber den so genannten „Schwarzköpfen“ an (wozu neben türkischen auch<br />
jugoslawische oder arabische Jugendliche gezählt werden). Auch Dunya berichtete von <strong>eine</strong>m eher<br />
negativ geprägten Verhältnis zu ihren Lehrern, welches sie allerdings überwiegend direkt auf sich<br />
selbst zurückführte.<br />
104
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
berechtigten Aufforderungen als eher bedrängend erlebt und das Gespräch<br />
von sich aus kaum gesucht hat.<br />
Insgesamt kann also festgestellt werden, dass die Schule in unterschiedlichem Ausmaß<br />
durch die befragten Jugendlichen als kaum bis überhaupt nicht hilfreich wahrgenommen<br />
wurde.<br />
6.4.4. Einbindung in Hilfestrukturen der Arbeitsmarktbehörden<br />
Festgestellt werden kann zunächst, dass alle befragten türkischen<br />
Jugendlichen nur wenig Wissen über die gegenwärtigen Arbeitsmarktgesetze<br />
in den Interviews erkennen lassen und damit ein, allerdings individuell<br />
unterschiedliches, Informationsdefizit über die gesetzlichen Rahmenbedingungen<br />
nachweisen. Sie kennen kaum den gesetzlichen Handlungsrahmen,<br />
in welchem sie sich bei ihrer Ausbildungsplatzsuche bewegen. Mit<br />
<strong>eine</strong>r Ausnahme (Dunya), ist den Jugendlichen nicht einmal bekannt,<br />
welche Bezeichnung die sie betreuende Behörde derzeit hat. In der<br />
Namensnennung wird häufig unspezifisch zwischen „JobCenter“ und<br />
„Arbeitsamt“ gewechselt. Meist bleibt es aber in der Bezeichnung der<br />
Behörde bei dem inzwischen veralteten Begriff „Arbeitsamt“<br />
Der Kontakt zur Arbeitsmarktbehörde selbst ist für die Jugendlichen im<br />
Normalfall sporadisch. Den Erstkontakt stellte zumeist die Behörde selbst<br />
direkt nach Schulabschluss kurz vor Beginn des Ausbildungsjahres her<br />
(belegt ist dies für Dilan und Tarik, indirekt auch für Murat). Dabei wurde<br />
zunächst <strong>eine</strong> Befragung hinsichtlich ihrer gegenwärtigen Situation, der<br />
Berufswünsche etc. vorgenommen, die inhaltlich im Interview nicht<br />
vertiefend behandelt wurde (Murat, Dilan, Tarik, auch Dunya). Der weitere<br />
Kontakt diente dann entweder spezifischen Zielen (Gespräch über<br />
Schwierigkeiten im Berufsvorbereitungsjahr: Tarik) oder der Vermittlung<br />
von Ausschreibungen über Ausbildungsplätze, auf die sich die Jugendlichen<br />
bewerben sollten (Murat, Dilan). Der Kontakt zum jeweiligen Mitarbeiter<br />
wird bei allen Jugendlichen als recht distanziert beschreiben, wobei der<br />
Grad individuell unterschiedlich ist. Dilan macht aufgrund ihrer bisher<br />
geringen Erfahrungen k<strong>eine</strong> direkte Aussage dazu, während Tarik das<br />
Verhältnis zum Bearbeiter als kooperativ erfährt. Murat dagegen erlebt den<br />
Umgang mit dem für ihn zuständigen Bearbeiter als unpersönlich und ist<br />
damit entsprechend unzufrieden. Ein Sonderfall hinsichtlich des Kontaktes<br />
zur Behörde wie zu dem sie repräsentierenden Mitarbeiter ist Dunya. Bei ihr<br />
verlief schon der Erstkontakt negativ, was vor allem darauf zurückzuführen<br />
war, dass der Wunsch, mit dem sie die Behörde aufsuchte (Nachholen des<br />
Schulabschlusses), aus ihrer Sicht nicht ausreichend berücksichtigt wurde.<br />
Für sie setzten sich in diesem Kontakt zur Arbeitsmarktbehörde<br />
Kommunikationsschwierigkeiten fort, die auch schon in der Schulzeit mit<br />
Lehrern prägend waren. In der Folge entzieht sie sich seitdem weiteren<br />
Terminen in der Arbeitsmarktbehörde und damit auch der Beratung und<br />
Vermittlung.<br />
Diejenigen Jugendlichen, welche sich zum Interviewzeitpunkt in <strong>eine</strong>r<br />
Berufsvorbereitungs-Maßnahme befanden (Tarik, Dilan), fühlten sich<br />
hinsichtlich ihrer Wünsche ausreichend berücksichtigt und waren<br />
entsprechend zufrieden 212 . Die Maßnahme erfüllte beider Wunsch, bisherige<br />
persönliche Nachteile für <strong>eine</strong> erfolgreiche Bewerbung auf <strong>eine</strong>n<br />
212 Da Dilan bereits <strong>eine</strong>n Realschulabschluss vorweisen konnte, gehörte sie eigentlich gar nicht in<br />
die Zielgruppe dieser Maßnahme, war aber mit Einschränkungen trotzdem zufrieden.<br />
105
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
Ausbildungsplatz auszugleichen. Für Tarik war dies vor allem das<br />
Nachholen des Hauptschulabschlusses, für Dilan ein dreimonatiges<br />
Praktikum, welches ihren Berufswunsch festigte. Die Maßnahme wurde von<br />
den Jugendlichen als <strong>eine</strong> Hilfe gesehen auf dem Weg ihrer beruflichen<br />
Eingliederung und stellte mithin für sie <strong>eine</strong>n Gewinn dar.<br />
Ganz anders war der Vermittlungsversuch in <strong>eine</strong> Maßnahme durch die<br />
Arbeitsmarktbehörde bei Dunya. Die Vermittlung in <strong>eine</strong> MAE zur<br />
Überbrückung der Zeit bis zum Beginn des nächsten Schuljahres wurde<br />
durch Dunya vehement abgelehnt. Obwohl der Grund dieser Ablehnung<br />
nicht eindeutig ermittelt werden konnte, steht er zweifellos in Verbindung<br />
mit der Nichtberücksichtigung ihres tatsächlichen Wunsches sowie dem<br />
Image <strong>eine</strong>r solchen Maßnahme, die von ihr als kaum hilfreich eingeschätzt,<br />
sondern viel mehr als <strong>eine</strong> Art Zwangsverpflichtung gesehen wird 213 . Murat<br />
sollte indes in <strong>eine</strong> Maßnahme des MDQM 214 vermittelt werden, die er aus<br />
nicht ganz geklärten Gründen nicht antrat 215 .<br />
Als wesentlich für die Annahme und <strong>eine</strong> erfolgreiche Absolvierung <strong>eine</strong>r Maßnahme<br />
kann für die interviewten Jugendlichen stellte sich aus den Auswertungen heraus, ob diese<br />
durch die Jugendlichen als hilfreich betrachtet wird bei der Überwindung von Hürden auf<br />
dem Weg zum Erreichen beruflicher Ziele oder nicht.<br />
Unzufriedenheit mit den Betreuungsleistungen der Mitarbeiter der Behörde<br />
wurde von einigen Jugendlichen z. T. direkt und konkret geäußert (Murat,<br />
Tarik, Dunya), oder etwas vorsichtiger (Dilan). Kritik wurde insbesondere<br />
geübt an <strong>eine</strong>r als ineffizient erlebten Praxis der Stellenvorschläge durch die<br />
Mitarbeiter. So hat Murat die Erfahrung gemacht, dass er sich auf von<br />
diesen vorgeschlagene Stellen längst beworben hat, als sie bei ihm postalisch<br />
durch die Arbeitsmarktbehörde versandt eintrafen. Auch Tarik ist skeptisch,<br />
ob die gängige Bewerbungspraxis über Stellenvorschläge der Arbeitsmarktbehörde<br />
zu <strong>eine</strong>r erfolgreichen Vermittlung in Ausbildung führt, da er<br />
bereits durch ältere Freunde die Erfahrung vermittelt bekam, dass dieser<br />
Bewerbungsweg zwar aufwendig und anstrengend ist, aber in der Regel nur<br />
zu Ablehnungen führt. Beide Jugendlichen wünschen sich ganz pragmatisch<br />
<strong>eine</strong> erfolgreichere Hilfe in der Vermittlung <strong>eine</strong>s Ausbildungsplatzes von<br />
den Mitarbeitern der Arbeitsmarktbehörde.<br />
Die Mädchen (v. a. Dilan) äußern dagegen stärker ihre Unzufriedenheit mit<br />
der Hilfeintensität der Mitarbeiter und wünschen sich entsprechend mehr<br />
Unterstützung, mehr Betreuung und direktere Hilfe. Dunya fühlt sich<br />
wegen des Verlaufes des Erstgespräches in der Behörde im Stich gelassen,<br />
da ihr lediglich Auflagen erteilt wurden, für deren Erfüllung sie nicht einmal<br />
die von ihr benötigten Informationen und Hilfestellungen bekam. Folglich<br />
fühlte sie sich allein gelassen und von den an sie herangetragenen<br />
Forderungen auch überfordert. Sie wünscht sich vor allem „Schule statt Ein-<br />
Euro-Job“ und <strong>eine</strong> hilfreiche Unterstützung der Mitarbeiter in diesem<br />
Vorhaben.<br />
Als entscheidende Kriterien für die Einschätzungen der Arbeitsmarktbehörden hat sich<br />
herausgestellt, ob die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern von den Jugendlichen als<br />
213<br />
auch aufgrund der schlechten Bezahlung, die in der landläufigen Bezeichnung der Maßnahme<br />
als Ein-Euro-Job ihren Ausdruck hat<br />
214<br />
MDQM = Modulare Duale Qualifizierungsmaßnahme<br />
215<br />
Zu vermuten ist lediglich, dass dies <strong>eine</strong>rseits mit <strong>eine</strong>r indifferenten Haltung gegenüber <strong>eine</strong>m<br />
weiteren Schulbesuch zu tun hatte, und andererseits damit, dass er ohnehin nicht zu der Zielgruppe<br />
(SchülerInnen ohne Schulabschluss) gehörte.<br />
106
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
hilfreich/ erfolgreich eingeschätzt werden. Auch der persönliche Kontakt und die<br />
Wertschätzung der eigenen Person und ihrer Wünsche und Ziele waren entscheidend.<br />
6.4.5. <strong>Hilfewahrnehmung</strong> bei freien Trägern und andere Institutionen<br />
Die vier befragten Jugendlichen fragen in sehr unterschiedlichem Maße<br />
Unterstützung und Hilfe für ihren Übergangsprozess in Einrichtungen<br />
freier Trägerschaft (z.B. Jugendklubs, Nachbarschaftsläden) oder anderen<br />
Institutionen (Träger <strong>eine</strong>r Berufsvorbereitungsmaßnahme) nach. Bekannt<br />
sind die Jugendeinrichtungen ihnen oft schon seit mehreren Jahren. Sie<br />
haben diese über Gleichaltrige und/ oder Verwandte kennengelernt. Dort<br />
treffen sie sich mit Freunden und Gleichaltrigen, haben Zugang zu<br />
vielfältigen Freizeit-, Hilfs- und Betreuungsangeboten, welche sie je nach<br />
Interesse und Bedarf unterschiedlich intensiv wahrnehmen, in den meisten<br />
Fällen allerdings nur sporadisch. Zwei der befragten Jugendlichen (Murat,<br />
Tarik) hatten außerdem in der Vergangenheit Kontakte zu Streetworkern,<br />
von denen sie ebenfalls Unterstützung in z. T. schwierigen Situationen<br />
erhielten und/ oder Freizeitangebote wahrnahmen. Die beiden<br />
Jugendlichen aus der Berufsvorbereitungs-Maßnahme hatten in der<br />
Bildungseinrichtung mehrere Lehrer, Berater und Sozialarbeiter als<br />
Ansprechpartner und konnten zwischen diesen sogar nach persönlichen<br />
Sympathien wählen zur Unterstützung bei verschiedenen privaten und<br />
beruflichen Themen.<br />
Durch die langjährigen Kontakte zu den Jugendeinrichtungen, auch wenn<br />
sie zumeist sporadisch wahrgenommen wurden, konnte mit der Zeit ein<br />
gewisses Vertrauensverhältnis aufgebaut werden. Bei Hilfebedarf wurde das<br />
Angebot entsprechend aus eigenem Antrieb nachgefragt. Diese<br />
Vorgehensweise kann den Aussagen aller befragten Jugendlichen<br />
entnommen werden, auch wenn die Hilfen in sehr unterschiedlichem<br />
Umfang wahrgenommen wurden. Während z. B. Dunya nur sehr lose<br />
Kontakt zu den ihr bekannten Einrichtungen aus ihrem Kiez hat (obwohl<br />
sie diese seit ihrer Kindheit kennt), ebenso wie Tarik, scheint Dilan die<br />
Angebote regelmäßiger wahrzunehmen. Murat hatte solange regelmäßigen<br />
Kontakt zu <strong>eine</strong>r Jugendeinrichtung, wie dort ein Streetworker tätig war, zu<br />
dem er großes Vertrauen aufgebaut hatte (und der außerdem zur eigenen<br />
Herkunfts-Community gehörte). Die Kontakte wurden flüchtiger, als dieser<br />
Sozialarbeiter nicht mehr dort tätig war.<br />
In den Einrichtungen wurden die Jugendlichen entsprechend ihrer aktuellen<br />
Bedürfnisse in konkreten Fragen beraten. Im Falle Murats z.B. ging es dabei<br />
neben grundsätzlichen Informationen und Gesprächen über für ihn<br />
geeignete Berufsfelder, Bewerbungsstrategien, der Korrektur von<br />
Bewerbungsschreiben, Suche nach Ausbildungsstellen oder Praktika etc.<br />
Auch Dilan nimmt solche Angebote gelegentlich wahr. Tarik und Dunya<br />
sch<strong>eine</strong>n dagegen außerhalb der Bildungseinrichtung kaum bzw. gar nicht<br />
Unterstützungsangebote wahrzunehmen.<br />
In der Bildungseinrichtung des Berufsvorbereitungsjahres wurden die<br />
Jugendlichen (Dilan, Tarik) umfangreich betreut und gefördert. Beide<br />
Jugendliche waren freiwillig in dieser Maßnahme und hatten diese von sich<br />
aus nachgefragt. Im Verlauf der Maßnahme hatten sie sich Ansprechpartner<br />
gesucht, die sie persönlich bevorzugten, zu denen sie entsprechend<br />
Vertrauen aufbauen konnten. Die Jugendlichen werden auch nach<br />
Beendigung der Maßnahme noch die Möglichkeit haben, sich an die<br />
Ansprechpartner des Maßnahmeträgers zu wenden, so dass sie nicht sofort<br />
die hier gefundene Unterstützung verlieren werden. Diese Jugendlichen<br />
107
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
wirkten in ihren Interviews besonders zufrieden über die ihnen zur<br />
Verfügung stehenden Unterstützungsmöglichkeiten. Aus Tariks Aussagen<br />
geht hervor, dass er sich fast vollständig auf die Unterstützung aus der<br />
Bildungseinrichtung verlässt, von der er sich <strong>eine</strong> erfolgreiche Vermittlung<br />
auf <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz s<strong>eine</strong>s Wunschberufes erhofft 216 .<br />
Einbindung in vertrauensvolle Hilfestrukturen und Zufriedenheit bzw. Vertrauen in die<br />
berufliche Zukunft stehen in <strong>eine</strong>m engen Zusammenhang. Dies wird auch am<br />
Beispiel von Dunya in negativer Hinsicht ersichtlich. Sie ist von allen<br />
befragten Jugendlichen am wenigsten in effektive Hilfesysteme<br />
eingebunden, weder aus dem Familien- und Verwandtenkreis, noch aus der<br />
Schule, den Arbeitsmarktbehörden und auch nur lose in Freizeit- und<br />
Hilfeeinrichtungen ihres Kiezes eingebunden. Über ihre Probleme hat sie<br />
teils noch mit niemandem gesprochen. Sie ist es auch, die von allen<br />
Befragten am wenigsten zuversichtlich in ihre nicht nur berufliche Zukunft<br />
blickt und aus deren Aussagen viel Unsicherheit und Desorientierung zu<br />
entnehmen ist.<br />
6.4.6. Gegenüberstellung der institutionellen Angebote und ihrer<br />
Wahrnehmung<br />
Die Intensität der Kontakte sowohl zu den Arbeitsmarktbehörden als auch<br />
zu freien Trägern differierte stark unter den Jugendlichen. Es kann auch<br />
nicht immer darauf geschlossen werden, dass ein Jugendlicher, der z.B. in<br />
der Arbeitsmarktbehörde mit <strong>eine</strong>r geringen Intensität betreut wird, dies<br />
Betreuungsdefizit in <strong>eine</strong>r anderen Einrichtung evtl. ausgleichen wird, wie<br />
am Beispiel Dunyas ersichtlich ist, die weder zur Arbeitsmarktbehörde noch<br />
zu anderen Einrichtungen intensive Kontakte unterhält und weitgehend auf<br />
sich selbst gestellt ist, obwohl gerade bei ihr ein besonders großer<br />
Informations-, Unterstützungs- und Betreuungsbedarf besteht.<br />
Allerdings sehen die Jugendlichen, die sich z.B. in <strong>eine</strong>r Berufsvorbereitungsmaßnahme<br />
gut betreut fühlen, <strong>eine</strong> geringe Betreuungsintensität<br />
durch die Arbeitsmarktbehörde als nicht nachteilig für sich an, da ihr<br />
Betreuungs- und Unterstützungsbedarf weitgehend erfüllt ist. Sie äußerten<br />
sich insgesamt zufriedener, fühlten sich durch die Maßnahme nach ihren<br />
Bedürfnissen für den beruflichen Übergang gut betreut. Zu ihrer<br />
Zufriedenheit trug auch bei, dass ihre Wünsche dabei weitgehend<br />
berücksichtigt wurden und die Maßnahme, die sie absolvieren, von ihnen als<br />
hilfreich auf ihrem beruflichen Eingliederungsweg eingeschätzt wird. In<br />
diesem Falle wird die Leistung der Bildungseinrichtung und der<br />
Arbeitsmarktbehörde als koordiniert erlebt. Die Jugendlichen fühlen sich<br />
verhältnismäßig sicher und entwickeln ein gewisses Zutrauen, die weiteren<br />
Schritte in ihre berufliche Zukunft mit Hilfe dieser Unterstützung ebenfalls<br />
meistern zu können 217 .<br />
Die geringe Betreuungsintensität der Arbeitsmarktbehörde spielte aber<br />
durchaus <strong>eine</strong> Rolle bei Jugendlichen (Murat, Dunya), die sich nicht in <strong>eine</strong>r<br />
Maßnahme befanden und bereits seit über <strong>eine</strong>m Jahr unversorgt waren.<br />
Obwohl Murat <strong>eine</strong> feste Anlaufstelle zur Unterstützung in <strong>eine</strong>m freien<br />
216 Dieses vollständige Verlassen auf die Fähigkeiten des Ansprechpartners in der Vermittlung kann<br />
aus sozialpädagogischer Sicht allerdings nicht nur positiv betrachtet werden, da zu befürchten ist,<br />
Tarik werde nicht ausreichend Eigenbemühungen unternehmen.<br />
217 Eine gewisse grundsätzliche Unsicherheit angesichts der schwierigen Lage auf dem<br />
Ausbildungsmarkt bleibt aber auch bei ihnen bestehen und kann nicht endgültig ausgeräumt<br />
werden.<br />
108
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
Trägers hatte, die ihn bei bedarf in s<strong>eine</strong>n Bewerbungsbemühungen konkret<br />
und intensiv unterstützen konnte, war auch er sehr unzufrieden mit der<br />
Arbeit der Arbeitsmarktbehörde, wenn auch nicht in dem Ausmaß und<br />
konsequent den Kontakt abbrechend wie Dunya. Der persönliche Bezug zu<br />
den betreuenden Mitarbeitern der Behörde wurde von diesen beiden<br />
Jugendlichen als besonders schlecht eingeschätzt.<br />
Unzufriedenheit mit den Leistungen der Behörde korrelierte entsprechend mit <strong>eine</strong>m<br />
schlechten persönlichen Kontakt (Dunya, Murat) oder dauerhaftem Misserfolg (Murat),<br />
sowie Nichtberücksichtigung der persönlichen Wünsche (Dunya). Diese Faktoren haben<br />
<strong>eine</strong>n starken Einfluss auf die Kooperationsbereitschaft der Jugendlichen, die im negativen<br />
Falle latent gestört (Murat) bis tatsächlich (Dunya) nicht mehr vorhanden ist. Eine solch<br />
gestörte Kommunikation dürfte sich auch auf die weitere Vermittlungstätigkeit<br />
auswirken, wenn sich die Jugendlichen tendenziell den Maßnahmen entziehen. Das<br />
persönliche Verhältnis zum Vermittler, der die Arbeitsmarktbehörde mit s<strong>eine</strong>r Person<br />
repräsentiert, kann also als ein entscheidender Faktor auch für den Erfolg in der<br />
Vermittlungstätigkeit angesehen werden.<br />
Auch die Wahrnehmung von Hilfsangeboten freier Träger durch die<br />
Jugendlichen war, wie bereits festgestellt, eher lose und sporadisch<br />
entsprechend den aktuellen Bedürfnissen der Jugendlichen und auf<br />
Freiwilligkeit basierend, bzw. aus der persönlichen Entscheidung heraus,<br />
sich Hilfe zu suchen. Dies gilt selbst teilweise für die Wahrnehmung von<br />
Beratungen innerhalb des Berufsvorbereitungsjahres 218 . In der <strong>eine</strong>n oder<br />
anderen Form sind alle befragten Jugendlichen angebunden an<br />
Beratungsmöglichkeiten in Jugendeinrichtungen bzw. Nachbarschaftsläden.<br />
Auch in diesen Einrichtungen ist allerdings der persönliche Bezug<br />
entscheidend. Zwei der Jugendlichen nannten zwei persönliche<br />
Ansprechpartner (Murat, Dilan), denen sie Vertrauen entgegenbrachten.<br />
6.5. Schlussfolgerungen zum Informations-, Beratungs- und Hilfebedarf<br />
Alle befragten Jugendlichen hatten <strong>eine</strong>n individuell unterschiedlichen<br />
Bedarf an Informationen, auch an Unterstützung und Hilfe, den sie z. T.<br />
auch verbal artikulierten (besonders: Dunya, Dilan, aber auch Murat). Selbst<br />
die in <strong>eine</strong>r Berufsvorbereitungs-Maßnahme befindlichen Jugendlichen<br />
wiesen ein erstaunlich geringes Wissen über die aktuellen<br />
Arbeitsmarktgesetze auf. Angesichts der gegenwärtigen Lage auf dem<br />
Ausbildungsmarkt in Berlin stellt der Übergang in Ausbildung für die<br />
Jugendlichen <strong>eine</strong> Hürde dar, der sie sich z. T. kaum gewachsen fühlen,<br />
insbesondere wenn sie schon seit längerer Zeit viele negative Erfahrung<br />
damit gesammelt haben (Murat). Mindestens aber ist diese Zeit mit vielerlei<br />
Unsicherheiten und Orientierungsschwierigkeiten verbunden. Fast alle<br />
Jugendlichen können kaum mit effektiver konkreter Hilfe oder<br />
Informationen aus ihrer Herkunftsfamilie rechnen (besonders Tarik und<br />
Dunya). Auch aus der Schule haben sie häufig auch nicht das Notwendige<br />
mitgenommen, das sie benötigen, um weiter zu kommen. Der Kontakt zu<br />
den Mitarbeitern der Arbeitsmarktbehörde beschränkt sich im Regelfall auf<br />
nur sporadische, formale Kontakte. Die Jugendlichen sehen sich im<br />
Wesentlichen mit der Bewältigung dieser schwierigen Situation allein<br />
konfrontiert 219 . Im Extremfalle fehlen auch andere Möglichkeiten, die Hilfe<br />
218<br />
die Informationsvermittlung, Bewerbungstrainings etc. waren andererseits auch obligatorischer<br />
Bestandteil der Maßnahme<br />
219<br />
Am deutlichsten drückte das Tarik aus: „m<strong>eine</strong> Eltern können auch nicht mithelfen, weil…<br />
können weder lesen noch schreiben. (...) deswegen musste ich mir immer all<strong>eine</strong> helfen und so…“<br />
109
Überblick zu den türkischen Jugendlichen<br />
und Unterstützung bieten könnten bzw. werden aus gewissen<br />
Berührungsängsten heraus nicht wahrgenommen, wie bei Dunya. Im<br />
Normalfalle ist den Jugendlichen allerdings klar, dass sie in der <strong>eine</strong>n oder<br />
anderen Hinsicht Hilfe benötigen und sie suchen sich diese, mindestens<br />
wenn das Bedürfnis akut ist (Murat, Dilan, Tarik).<br />
Nichtsdestotrotz bleibt festzustellen, dass die Jugendlichen sich <strong>eine</strong>m Hindernis<br />
gegenübersehen, welches sie allein so kaum bewältigen können und das sie verunsichert.<br />
Das Frustrationspotential ist umso größer, je länger diese Zeit der Ungewissheit anhält.<br />
Unterstützung, Hilfe und Betreuung in dieser Situation trägt dazu bei, <strong>eine</strong> minimale<br />
Zuversicht in die Zukunft wiederzugewinnen. Die Schwierigkeiten im Übergang von<br />
Schule in Arbeit sind damit zwar noch nicht kl<strong>eine</strong>r geworden. Aber die Jugendlichen<br />
stehen der als kaum überwindbar wahrgenommenen Hürde nicht mehr allein gegenüber.<br />
110
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
7. Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
7.1. Einführendes<br />
Die befragten Jugendlichen der beiden Zielgruppen (türkische Jugendliche<br />
und jugendliche Spätaussiedler mit Hauptschulabschluss) waren zum<br />
Interviewzeitpunkt sämtlich ohne Ausbildungsvertrag und befanden sich<br />
damit auf der Suche nach <strong>eine</strong>r berufsqualifizierenden Ausbildung. Fast alle<br />
Interviews fanden im Wesentlichen im Dezember 2005 bzw. Januar 2006<br />
statt, 2 Interviews wurden Ende Mai 2006 nachgeholt. Damit wurde die<br />
Erhebung der zu diesem Zeitpunkt aktuellen Situation im<br />
Übergangsprozess von Schule in Ausbildung für alle befragten Jugendlichen<br />
etwa zum selben Zeitpunkt vorgenommen.<br />
Trotz sorgfältiger Vorauswahl220 ergaben sich hinsichtlich einiger Auswahl-<br />
Faktoren Unterschiede unter den befragten Jugendlichen, die sich z. T. auch<br />
auf den Interviewverlauf bzw. den Inhalt des Interviews auswirkten. So<br />
waren nicht alle Jugendlichen wie geplant im selben Schulabgangsjahr. In<br />
beiden Zielgruppen gab es je zwei Jugendliche (insgesamt vier), welche erst<br />
2005 die Schule verlassen hatten, so dass die Schulzeit noch nicht<br />
wesentlich länger als ein halbes Jahr vor dem Interview beendet wurde. Hier<br />
waren die Schulerfahrungen deutlich stärker im Interview präsent als bei<br />
den übrigen Befragten. In beiden Zielgruppen gibt es zudem jeweils <strong>eine</strong><br />
Interviewteilnehmerin, die nicht zur tatsächlich anvisierten Zielgruppe<br />
(Jugendliche mit türkischem oder Aussiedlerhintergrund, die <strong>eine</strong><br />
Hauptschule besucht hatten) gehörte, da sie die Schule mit dem<br />
Realschulabschluss abgeschlossen hatten. Da in beiden Fällen insbesondere<br />
aber die schlechten Deutschnoten k<strong>eine</strong> günstigen Zugangsvoraussetzungen<br />
für den Übergang in <strong>eine</strong> Ausbildung bildeten, konnten sie ebenfalls in die<br />
Fallstudie aufgenommen werden. Der Unterschied im Schulabschluss wurde<br />
bei der Auswertung berücksichtigt.<br />
Die Jugendlichen unterscheiden sich auch in anderen Aspekten voneinander, die<br />
nicht zur Vorauswahl gehörten221. 7.2.<br />
Die Unterschiede wie auch die<br />
Gemeinsamkeiten zwischen den Jugendlichen sollen Inhalt dieses Kapitels<br />
sein. Dabei wird der Schwerpunkt zum <strong>eine</strong>n auf dem Vergleich der beiden<br />
Zielgruppen nach deren Herkunft gelegt (hier die jugendlichen Aussiedler<br />
im Vergleich mit den türkischen Jugendlichen). Sofern es wesentliche<br />
Unterschiede oder auffällige Gemeinsamkeiten gibt, werden auch die<br />
Mädchen oder die Jungen miteinander verglichen. Nicht berücksichtigt<br />
werden kann, ob diese Gemeinsamkeiten oder Unterschiede ausschließlich<br />
Jugendliche mit Migrationshintergrund betrifft, oder ob es ähnliche<br />
Phänomene auch bei deutschen Jugendlichen in vergleichbarer Situation<br />
gibt. Die Zielgruppen für diese Studie waren ausschließlich Jugendliche mit<br />
Migrationshintergrund. Eine Untersuchung dieser Frage müsste auch<br />
deutsche Jugendliche als Vergleichsgruppe mit einbeziehen.<br />
Altersunterschied<br />
Unterschiede gibt es zwischen den beiden Teilgruppen hinsichtlich des<br />
durchschnittlichen Alters. Die jugendlichen Aussiedler sind im Schnitt ca. 1-<br />
2 Jahre älter als die türkischen Jugendlichen. Die Ursache ist darin zu sehen,<br />
dass die türkischen Jugendlichen in der Regel in Deutschland geboren sind<br />
220<br />
Angelehnt an das „Theoretical Sampling“ der Grounded Theorie<br />
221<br />
siehe 2. Methoden<br />
111
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
und dem in Deutschland üblichen Schulverlauf folgten. Die jugendlichen<br />
Aussiedler dagegen haben im Schnitt ein Jahr der Integration (besonders der<br />
sprachlichen) in der Schule gebraucht , z. B. in Förderklassen, und sind<br />
daher auch (mindestens) um dieses <strong>eine</strong> Jahr älter, da dieses Integrationsjahr<br />
<strong>eine</strong>n einschnitt in ihrer Schullaufbahn darstellte. In einigen Fällen (Jurij,<br />
Sascha) gab es auch im weiteren Schulverlauf Klassenwiederholungen, die<br />
mindestens teilweise mit dem Integrationsprozess in Verbindung standen.<br />
7.3. Bildungsorientierung<br />
7.3.1. Bildungs- und Ausbildungsorientierung: „Hauptsache <strong>eine</strong> Ausbildung“<br />
Fast alle befragten Jugendlichen weisen <strong>eine</strong> mittlere bis hohe<br />
Bildungsorientierung auf. So haben die Jugendlichen beider Teilgruppen im<br />
Prinzip das feste Vorhaben, <strong>eine</strong> berufsqualifizierende Ausbildung zu<br />
absolvieren. Dafür nehmen viele von ihnen sogar verzögernde Umwege<br />
durch weitere schulische Maßnahmen in Kauf, obwohl sie sich z.T. auch<br />
über deren Nachteile im Klaren sind, die in dem (verglichen mit anderen)<br />
dadurch späteren Zugang zum Ausbildungssystem liegen und dem damit<br />
verbundenen Risiko des Nichtgelingens der Einmündung in Ausbildung<br />
aufgrund des dann höheren Alters.<br />
In der Regel besuchen oder besuchten die Jugendlichen <strong>eine</strong>n einjährigen<br />
Kurs in <strong>eine</strong>m der <strong>Berliner</strong> Oberstufenzentren (OSZ) oder ein<br />
Berufsvorbereitungsjahr. Fünf der acht Befragten sind diesen Weg bisher<br />
gegangen (Jurij, Olga, Murat, Tarik, Dilan). Für die drei übrigen (Tanja,<br />
Sascha, Dunya) wurde dieser Weg z. T. durch die Umstände (Babyjahr von<br />
Tanja) verhindert. Die schulischen Maßnahmen dienen in der Regel der<br />
Verbesserung der Zugangsvoraussetzungen, wie z.B. <strong>eine</strong>n verbesserten<br />
Schulabschluss (Jurij, Olga, Murat) das Nachholen des Schulabschlusses<br />
(Tarik) oder der Verbesserung der Schulnoten (Olga) bzw. <strong>eine</strong>m anderen<br />
Vorteil, wie <strong>eine</strong>m dreimonatigen berufsorientierenden Praktikum (Dilan).<br />
Nicht in jedem Falle wurde dieses ursprüngliche Ziel auch erreicht, so bei<br />
Murat oder Olga. Während Olga allerdings weiterhin den schulischen Weg<br />
wählte und in <strong>eine</strong>n erfolgversprechenderen Kurs wechselte, brach Murat<br />
die Fortsetzung der Schullaufbahn endgültig ab.<br />
Es kann für die hier befragten Jugendlichen nicht eindeutig bestätigt werden, was andere<br />
Studien vorlegen, dass die Mädchen stärker bildungsorientiert sind als die Jungen. Das<br />
liegt zum <strong>eine</strong>n an der geringen Anzahl der Befragten. Aber zum anderen ist<br />
die Umsetzung der Bildungswünsche der hier befragten Jugendlichen auch<br />
stark von den Umständen, auf die die Jugendlichen treffen, sowie vom<br />
anvisierten Berufsziel abhängig. Es gibt entscheidende Hürden bzw. <strong>eine</strong><br />
Verkettung von ungünstigen Umständen, die <strong>eine</strong> prinzipiell vorhandene<br />
Bildungsorientierung nicht umsetzbar werden lassen können. Dies kann in<br />
dieser Befragung bei <strong>eine</strong>m Teil der Jungen wie Mädchen festgestellt<br />
werden. Als Beispiele sei hier auf Tanja, Sascha oder Dunya verwiesen. (Die<br />
Tendenz <strong>eine</strong>r mit Risiken behafteten Übergangsphase kann allerdings für alle hier<br />
befragten Jugendlichen festgestellt werden.)<br />
Die Verfolgung der Bildungslaufbahn ist z. T. bei den Jungen etwas stärker<br />
von dem Willen danach geprägt, <strong>eine</strong>n Beruf zu erlernen, um dann <strong>eine</strong><br />
Familie ernähren zu können bzw. möglichst frühzeitig Geld zu verdienen<br />
(besonders Murat, aber auch Tarik und Sascha). Die Orientierung auf<br />
praktischere (handwerkliche) Berufe, schulische Probleme (auch unabhängig<br />
von den Schulleistungen), oder das Hinzukommen weiterer Problemlagen,<br />
können sich auf die weitere Bildungsorientierung negativ auswirken.<br />
112
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Dagegen können sich schulische (Tarik) und andere Erfolge im<br />
Berufsumfeld (Jurij) auf die schulische und berufliche Orientierung positiv<br />
auswirken und sogar die Ausrichtung auf <strong>eine</strong>n höherwertigen<br />
7.3.2.<br />
Bildungsabschluss entstehen lassen (Jurij).<br />
Für die befragten Mädchen kann ähnlich festgestellt werden, dass deren<br />
Bildungsorientierung an ihren realen Berufswünschen ausgerichtet ist sowie<br />
den für die beruflichen Ziele vorausgesetzten Schulabschlüssen. Tritt ein<br />
Ereignis ein, welches dieses behindern kann, wie die Geburt <strong>eine</strong>s Kindes<br />
bei Tanja z.B., können die Ziele auch vorübergehend zurückgesteckt<br />
werden. Es tritt dann den Umständen entsprechend der Wunsch nach<br />
<strong>eine</strong>m gesicherten Verdienst stärker in den Vordergrund.<br />
Elterliche Einflüsse auf die Bildungsorientierung der Jugendlichen<br />
Auch der elterliche Hintergrund kann <strong>eine</strong>n wichtigen positiven oder negativen<br />
Ausschlag auf die Bildungsorientierung der Jugendlichen haben. Hierbei ist<br />
besonders der mangelnde elterliche Bildungsgrad in Form fehlender<br />
Informationen über Berufswege und anderweitig fehlendes Wissen und<br />
Kompetenzen, die sich hinderlich auswirken können 222 .<br />
Der größte Teil der türkischstämmigen Eltern stammt bspw. aus ländlichen<br />
Regionen, besitzt <strong>eine</strong>n z. T. äußerst geringen Bildungshintergrund,<br />
besonders die Mütter (<strong>eine</strong> Mutter war Analphabetin) und pflegt eher<br />
traditionelle Familienrollen 223 . Sie haben <strong>eine</strong>n höheren Altersdurchschnitt<br />
als die Eltern der jugendlichen Aussiedler, leben aber auch schon seit ca. 30<br />
Jahren in Deutschland, also größtenteils deutlich länger als die<br />
Spätaussiedler. Zum Interviewzeitpunkt sind die meisten dieser Eltern<br />
entweder alters- oder krankheitsbedingt aus dem Arbeitsleben ausgeschieden<br />
oder seit längerem arbeitslos 224 und haben entsprechend wenige<br />
Bezüge zum Arbeitsleben 225 .<br />
Dem entgegen haben die Eltern der jugendlichen Aussiedler im<br />
Herkunftsland <strong>eine</strong>n mindestens 10-klassigen Schulabschluss, selbst dann,<br />
wenn sie aus <strong>eine</strong>r ländlichen Gegend stammen, bringen also schon <strong>eine</strong>n<br />
höheren Bildungsgrad mit in das Zuwanderungsland. Die meisten von<br />
ihnen haben außerdem mindestens <strong>eine</strong> berufliche Ausbildung absolviert (in<br />
<strong>eine</strong>m Falle gab es auch <strong>eine</strong>n Studienabschluss) und hatten damit bereits<br />
im Herkunftsland <strong>eine</strong>n mittleren bis guten Berufsstatus als Facharbeiter,<br />
Angestellte, z. T. sogar leitende Angestellte.<br />
Der gegenwärtige Berufsstatus in Deutschland entspricht dem in den<br />
meisten Fällen nicht. Die Eltern der jugendlichen Aussiedler sind zumeist in<br />
ungesicherten, häufig niedrig qualifizierten Arbeitsverhältnissen oder<br />
arbeitslos. Dabei ist der erreichte Berufsstatus in der Regel etwas höher, je<br />
länger ihr Zuzug nach Deutschland zurückliegt, aber nicht wesentlich. In<br />
222 aber nicht in jedem Falle hinderlich sein müssen<br />
223 Die Kinder sind bei der Übernahme dieser elterlichen Rollenvorgaben allerdings zum<br />
Interviewzeitpunkt noch nicht eindeutig festgelegt, schwanken eher ambivalent zwischen den sich in<br />
diesem Punkt weitgehend entgegenstehenden persönlichen Zukunftsmodellen, welche sich auch<br />
auf die berufliche Entwicklung auswirken werden.<br />
224 Lediglich der Vater von Murat geht noch <strong>eine</strong>r regulären selbständigen Beschäftigung nach<br />
225 Es kann hier nicht festgestellt werden, ob dieser hohe Anteil zufallsbedingt ist oder woher exakt<br />
diese hohe Nichtbeschäftigungsanteil bedingt ist, ob bspw. durch arbeitsmarktbedingte<br />
Entlassungen oder bedingt durch den Migrationshintergrund selbst. Bekannt ist allerdings, dass die<br />
Arbeitslosigkeit in Berlin verstärkt ehemalige Zuwanderer betrifft, da diese überwiegend niedrig<br />
qualifizierte Tätigkeiten ausübten, welche wiederum in immer stärkerem Maße wegfallen durch den<br />
Abbau industrieller Arbeitsplätze in Berlin<br />
113
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
jedem Falle haben die Eltern <strong>eine</strong>n z. T. deutlichen beruflichen Statusverlust<br />
hinnehmen müssen 226 .<br />
Diese Entwicklung für die Eltern wirkt sich allerdings (noch) nicht<br />
nachteilig auf die berufliche und Bildungsorientierung der jugendlichen<br />
Aussiedler aus. Im Gegenteil sind die meisten jugendlichen Aussiedler<br />
außerordentlich motiviert auf <strong>eine</strong> möglichst hochwertige – und<br />
zukunftssichere – Ausbildung ausgerichtet. Dabei ist ihnen der Stellenwert<br />
des bisher erreichten Bildungsgrades in der Regel bewusst, weshalb sie<br />
diesen, wenn möglich, zu verbessern suchen. Für dieses Ziel nehmen sie in<br />
verstärktem Maße die schon weiter vorn angesprochenen Umwege in Kauf.<br />
Diese Neigung mag auch auf die bisherigen elterlichen Negativerfahrungen<br />
zurückgehen, deren fehlende berufliche Anerkennungen ihnen die<br />
Eingliederung in den deutschen Arbeitsmarkt erschweren. Ein nicht<br />
unwesentlicher Faktor ist aber auch, dass Bildung für die Eltern der<br />
jugendlichen Aussiedler ohnehin <strong>eine</strong>n hohen Stellenwert besitzt. Sie sind<br />
im Wesentlichen an dem „klassischen Bildungsideal“ der vergangenen<br />
Jahrzehnte orientiert.<br />
Dies konnte bei den türkischstämmigen Eltern in der Regel nicht in dem<br />
Maße nachgewiesen werden, da hier oft auch die Bedeutung von Bildung in<br />
der Familie zugunsten anderer Werte und Ziele geringer ist 227 . Die<br />
Bildungsorientierung ist bei den türkischen Jugendlichen daher auch eher<br />
ambivalent ausgeprägt und zudem durch andere positiv oder negativ<br />
wirkende Faktoren, wie z.B. ein gutes oder schlechtes Schulklima oder die<br />
persönlichen Kontakte zu den Mitschülern und Lehrern, stärker beeinflusst.<br />
Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass alle befragten Jugendlichen beider Teilgruppen<br />
nahezu ausschließlich orientiert sind auf den Abschluss <strong>eine</strong>r berufsqualifizierenden<br />
Ausbildung. Der Ausspruch „Hauptsache Ausbildung“ war in fast allen<br />
Interviews wortwörtlich zu vernehmen. Ein berufsqualifizierender<br />
Ausbildungsabschluss an sich hat dabei <strong>eine</strong>n so hohen Wert, dass dahinter<br />
unter Umständen (besonders wenn schon sehr lange vergeblich nach <strong>eine</strong>m<br />
Ausbildungsplatz gesucht wurde) der persönliche Berufswunsch<br />
zurücktreten kann. Diese Einstellung war insbesondere bei den Jungen<br />
auffällig, und zwar in beiden Teilgruppen. Die Mädchen sind tendenziell<br />
konstanter in der Verfolgung ihres Berufswunsches und würden diesen<br />
auch weniger gern zurückstellen. Aber auch sie wünschen sich in jedem<br />
Falle zumeist mindestens das Erreichen <strong>eine</strong>s berufsqualifizierenden<br />
Ausbildungsabschlusses.<br />
Den befragten Jugendlichen ist in der Regel klar, welchen Stellenwert <strong>eine</strong><br />
Ausbildung vermutlich für ihr weiteres Leben haben wird 228 . Sie verbinden<br />
mit der Ausbildung die Hoffnung auf <strong>eine</strong> berufliche Zukunftssicherung, d.<br />
h. ein Existenz sicherndes Arbeitsverhältnis. Ohne <strong>eine</strong> berufliche Qualifizierung<br />
antizipieren sie unter den gegebenen Umständen sehr schlechte<br />
berufliche Aussichten, verbunden u. a. mit <strong>eine</strong>m geringen gesellschaft-<br />
226 Die Ursache liegt darin begründet, dass die Bildungsabschlüsse der Eltern in Deutschland nicht<br />
ohne weiteres und erst über umständliche Prozeduren und wiederholte Prüfungen etc. anerkannt<br />
werden<br />
227 Diese Tatsache hat Tarik im Interview besonders deutlich gemacht. Sie trifft jedoch auch in evtl.<br />
nicht ganz so starker Form auf die Familien von Dunya oder auch von Dilan zu. (siehe<br />
Fallbeschreibungen)<br />
228 Nicht immer war ihnen das allerdings auch schon zum Ende ihrer Schulzeit deutlich, weshalb<br />
einige von ihnen (z. B. Tarik) auch froh sind über die Möglichkeit, das Versäumte z. B. im OSZ oder<br />
Berufsvorbereitungsjahr nachzuholen oder Zensuren zu verbessern.<br />
114
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
7.4.<br />
lichen Status, unregelmäßiger und/ oder prekärer Beschäftigung sowie <strong>eine</strong>r<br />
schlechten Bezahlung. Die Jugendlichen wünschen sich jedoch in beiden<br />
Teilgruppen zuallererst <strong>eine</strong> gesicherte berufliche Zukunft, mit deren Hilfe<br />
sie weitere Lebensziele, wie z.B. die Gründung <strong>eine</strong>r Familie, umzusetzen<br />
hoffen.<br />
Berufliche Vorstellungen<br />
Einige der Jugendlichen aus beiden Teilgruppen haben sich schon früh<br />
Gedanken über ihre beruflichen Ziele gemacht und hatten mitunter schon<br />
in der Kindheit klare Vorstellungen davon (Olga, Murat, Jurij, Tarik).<br />
Andere haben sich in der Schulzeit intensiv damit auseinandergesetzt<br />
(Dilan, Tanja), entweder im Zusammenhang mit der Suche innerhalb der<br />
obligatorischen Praktikumswochen der 9. Klasse oder zum Ende der<br />
Schulzeit. Nur zwei Jugendliche haben zum Interviewzeitpunkt noch relativ<br />
unklare Vorstellungen über ihre Berufsziele (Dunya, Sascha), die aus dem<br />
Interviewkontext in <strong>eine</strong>n Zusammenhang mit verursachenden Momenten<br />
gebracht werden konnte 229 .<br />
Es kann k<strong>eine</strong> eindeutige Wahl der Jugendlichen für typisch weibliche oder männliche<br />
Berufe festgestellt werden, auch aufgrund der geringen Fallzahlen. Zwar<br />
überwiegen bei den Mädchen Berufe mit sozialer Komponente<br />
(kundenorientiert, z.B. im Einzelhandel), bei den Jungen Berufe mit<br />
Technikbezug. Doch gibt es auch Ausnahmen wie Tanja (handwerklich<br />
orientiert), Murat (eher weibliche Domäne Einzelhandel) oder Jurij<br />
(weiblich dominierter Sozialbereich, nach s<strong>eine</strong>r beruflichen<br />
Umorientierung).<br />
Unterscheidungen in der Berufswahl zwischen den türkischen Jugendlichen<br />
und den jugendlichen Aussiedlern sind nicht erkennbar. Beide Teilgruppen<br />
wählten diejenigen Berufe, für welche sie sich persönlich am meisten<br />
interessierten. Als weitere Auswahlkriterien neben dem Spaß an der Arbeit<br />
und Interesse für die Tätigkeit selbst waren auch selbst eingeschätzte eigene<br />
Fähigkeiten wesentlich für die Berufswahl, in beiden Teilgruppen. Die<br />
meisten der Jugendlichen machten sich zusätzlich Gedanken über die<br />
Zukunftsfähigkeit des gewählten Berufes. Wichtig war hier z. B. die<br />
Möglichkeit der Selbständigkeit im Herkunftsland der Eltern (Tarik) oder<br />
auch die Weiterentwicklungs- oder Spezialisierungsmöglichkeiten nach der<br />
Grundausbildung (Jurij). Entscheidend für die eingeschätzte<br />
Zukunftsfähigkeit war, ob der Beruf <strong>eine</strong> möglichst gesicherte Existenz<br />
auch langfristig ermöglichen würde. Diese Voraussetzung ist für die<br />
Familiengründung, die die meisten Jugendlichen beider Teilgruppen in ihrer<br />
Berufswahl mitdachten, wesentlich. Am stärksten betonten diese<br />
Notwendigkeit langfristig Exstenz sichernder Beschäftigung die türkischen<br />
Jungen, aber auch Tanja, da sie bereits <strong>eine</strong> Familie gegründet hatte. Die<br />
Verwirklichung von weiterführenden Lebenswünschen, materielle Wünsche<br />
oder Selbstverwirklichung im Beruf tauchten nur in den Interviews der<br />
Aussiedler auf, während die türkischen Jugendlichen bescheidener an die<br />
Ziele ihrer Berufswahl herangingen.<br />
Unterschiedlich war zwischen den türkischen Jugendlichen und den<br />
jugendlichen Aussiedlern allerdings der Einfluss des elterlichen<br />
Hintergrunds in der beruflichen Orientierung. So konnten die jugendlichen<br />
229 Bei beiden Jugendlichen war gleichfalls <strong>eine</strong> persönliche Unsicherheit mit wechselnden<br />
Vorstellungen auch im Interviewverhalten beobachtbar.<br />
115
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Aussiedler auf <strong>eine</strong> schon prinzipiell ausbildungserfahrene Elterngeneration<br />
zurückgreifen, die zwar (noch) nicht dauerhaft Fuß gefasst hatte im<br />
deutschen Arbeitsmarkt, aber doch ihren Kindern in der beruflichen<br />
Orientierung mit den eigenen Erfahrungen helfend zur Seite stehen konnte.<br />
Die türkischen Jugendlichen waren dagegen in den meisten Fällen stark auf<br />
sich allein gestellt, da die Eltern <strong>eine</strong>n zum Teil deutlich geringeren<br />
Bildungshintergrund hatten, k<strong>eine</strong> Ausbildung besaßen und ebenfalls nur<br />
wenig Wissen über Berufsbildung in Deutschland hatten. Die von den<br />
Eltern der türkischen Jugendlichen hauptsächlich ausgeübten Tätigkeiten<br />
waren fast ausschließlich im angelernten und niedrig qualifizierten Bereich<br />
angesiedelt. Die Mütter hatten nahezu überhaupt k<strong>eine</strong> Berufserfahrungen.<br />
(Die Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund, orientierten sich beruflich<br />
vollständig anders als ihre Eltern, und zwar entlang der für Deutschland typischen<br />
beruflichen Vorstellungen und Umsetzungen. Sie hatten hier quasi <strong>eine</strong> Pionierfunktion<br />
inne, mussten sich außerhalb des elterlichen Umfeldes nach Orientierungsmöglichkeiten<br />
umsehen bzw. überwiegend selbstständig Vorstellungen entwickeln. Dies ist <strong>eine</strong> enorme<br />
Leistung unter den gegebenen Umständen (ablesbar besonders an Dilan oder<br />
Tarik). Nicht in jedem Falle ist aber auch die Berufsorientierung bisher<br />
problemlos geglückt (s. Dunya, auch Murat).<br />
In beiden Teilgruppen konnten nur selten Einflüsse von außen auf die<br />
berufliche Orientierung durch andere Personen in den Interviews<br />
nachgewiesen werden. Hier konnten k<strong>eine</strong> Unterschiede festgemacht<br />
werden zwischen türkischen Jugendlichen oder jugendlichen Aussiedlern.<br />
Für Murat und Jurij gaben Lehrer die Empfehlungen für deren berufliche<br />
Orientierung (Jurijs erster Berufswunsch) oder die Weiterführung der<br />
Schullaufbahn (Murat). Die gleichen Jugendlichen haben sich später in<br />
gewisser Weise auch an Sozialarbeitern orientiert, die <strong>eine</strong> Vorbildfunktion<br />
für sie einnahmen. Bei Jurij führte dieses Vorbild sogar zu <strong>eine</strong>r beruflichen<br />
Umorientierung auf genau diesen beruflichen Bereich. Für Tanja ist ein<br />
gewisser Einfluss des Berufes ihrer Mutter auf ihren eigenen nachvollziehbar.<br />
Tarik und Sascha orientierten sich z. T. sehr stark an ihrem<br />
Freundeskreis, hauptsächlich weil diese Erfahrungen mitbrachten, die im<br />
engeren persönlichen Umfeld (Familie) fehlten. Fast alle Jugendlichen<br />
argumentierten aber, dass sie ihre Berufswünsche selbständig entwickelt<br />
hatten.<br />
Die meisten Befragten gingen in ihrer beruflichen Orientierung von ihrem eigenen<br />
persönlichen und räumlichen Umfeld und ihren dortigen Alltagserfahrungen aus.<br />
Besonders stark war dies aus dem Interview mit Dunya herauszulesen. Es<br />
gilt jedoch in unterschiedlich starkem Maße auch für andere Jugendlichen,<br />
so bspw. für Dilan oder Tanja. Es scheint darin k<strong>eine</strong> wesentlichen<br />
Unterschiede zwischen den beiden Teilgruppen zu geben, sondern ist<br />
möglicherweise als <strong>eine</strong> allgem<strong>eine</strong> Orientierung anzusehen, die zunächst<br />
von dem persönlich bekannten Umfeld ausgeht und sich erst mit<br />
zunehmenden Erfahrungen über das persönliche Umfeld hinaus erweitert.<br />
Ob dies in ähnlicher Weise auch für Jugendliche ohne Migrationshintergrund<br />
gilt, müsste weiter untersucht werden.<br />
Schließlich und endlich gibt es Anhaltspunkte dafür, dass diejenigen, welche<br />
feste Ansprechpartner und Bezugspersonen während der beruflichen<br />
Orientierung zur Verfügung hatten, entweder aus dem persönlichen Umfeld<br />
oder in anderen Institutionen, die ihnen dauerhaft zur Seite standen, stabiler<br />
und selbstbewusster in ihren Berufsorientierungen waren. Jenen, denen<br />
dieser persönliche feste Beratungs-Bezug fehlte, neigten eher zu<br />
116
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
schwankenden und instabilen beruflichen Vorstellungen (besonders an<br />
Dunya und Sascha sichtbar).<br />
7.5. Bewerbungserfahrungen<br />
7.5.1. Bewerbungsaktivitäten<br />
INDIVIDUELLE BEWERBUNGSBEMÜHUNGEN<br />
Erstaunlich ist zunächst, dass von acht Befragten nur zwei Jugendliche, und damit ein<br />
verhältnismäßig geringer Anteil, tatsächlich intensive Bewerbungserfahrungen gemacht<br />
haben (Murat, Jurij). Diese Jugendlichen sind auch bereits länger als ein Jahr<br />
auf der Suche nach <strong>eine</strong>m Ausbildungsplatz (seit 2003) und haben <strong>eine</strong><br />
Phase zur Verbesserung ihrer schulischen Voraussetzungen schon hinter<br />
sich gebracht (Jurij) bzw. abgebrochen (Murat). Von den übrigen<br />
Jugendlichen haben immerhin vier (jeweils zwei der beiden Teilgruppen)<br />
noch gar k<strong>eine</strong> Bewerbungen geschrieben (Sascha + Tanja, Tarik + Dunya),<br />
zwei nur wenige (Olga und Dilan). Die beiden türkischen Jugendlichen<br />
ohne jede Bewerbungserfahrung (Tarik + Dunya) sind dieselben, welche<br />
sich zunächst auf das Nachholen des primären Schulabschlusses<br />
konzentrieren wollten, wobei Tarik diesen Schritt beinahe abgeschlossen hat<br />
und Dunya überhaupt noch <strong>eine</strong>n Weg für dieses Vorhaben sucht. Sie<br />
haben bisher auf das Versenden von Bewerbungen verzichtet, weil sie sich<br />
ohne diesen Schulabschluss k<strong>eine</strong> Erfolgs-Chancen ausrechnen. Beide<br />
haben allerdings entweder schon übungsweise Bewerbungen geschrieben<br />
oder beim Schreiben von Bewerbungen im Familienumkreis zugesehen,<br />
sind also nicht als völlig uninteressiert oder untätig zu bezeichnen.<br />
Für die zwei jugendlichen Aussiedler ohne Bewerbungserfahrungen sind<br />
ebenfalls konkrete Gründe für ihre bisherige Bewerbungsabstinenz<br />
ersichtlich. Tanja muss aus Gründen der Kinderpflege noch abwarten, bis<br />
sie diesen Schritt gehen kann. Sie ist bisher auch nicht völlig untätig<br />
gewesen, sondern geht lediglich <strong>eine</strong>n anderen Weg in die Berufsausbildung,<br />
da sie gute Chancen hat, in Kooperation mit dem Jugendamt und der<br />
örtlichen Arbeitsmarktbehörde <strong>eine</strong> Ausbildung zu bekommen, die auf ihre<br />
besondere Situation zugeschnitten ist. Saschas bisheriger Verzicht auf<br />
Bewerbungen geht im wesentlichen darauf zurück, dass er aus eigenem<br />
Antrieb zunächst bestrebt ist, s<strong>eine</strong> Deutschkenntnisse soweit zu<br />
verbessern, damit er überhaupt in der Lage ist, Bewerbungen schreiben zu<br />
können. Zudem hat die Vermittlung in <strong>eine</strong> MAE s<strong>eine</strong> konkrete<br />
Bewerbungssituation eher verzögert. Er traut sich gegenwärtig selbst auch<br />
k<strong>eine</strong> erfolgreiche Bewerbung zu (ebenso wenig wie Dunya).<br />
Die beiden Jugendlichen mit langen Bewerbungserfahrungen und mittleren<br />
bis hohen Eigenbemühungen haben trotz zum Teil vieler Bewerbungen<br />
(Jurij) und/ oder Nachforschungen z.B. über das familiäre Umfeld (Murat,<br />
Jurij) noch k<strong>eine</strong> Ausbildungsstelle gefunden. Beide haben sich über den<br />
Weg des einjährigen Kurses an <strong>eine</strong>m der <strong>Berliner</strong> OSZ um die<br />
Verbesserung ihrer schulischen Zugangsvoraussetzungen bemüht, die<br />
Aufwertung ihres Schulabschlusses als Realschulabschluss. Nur Jurij ist dies<br />
allerdings auch gelungen, Murat hat diesen Versuch wegen der<br />
konfliktreichen Schulumgebung und persönlicher Probleme abgebrochen.<br />
Jurij hat trotz des damit verbesserten Schulabschlusses bis zum Interview<br />
erfolglos Bewerbungen geschrieben, ebenso wie Murat, der mit immer<br />
wiederkehrenden Motivationspausen zu kämpfen hatte.<br />
Die beiden Jugendlichen, welche schon <strong>eine</strong> kurze Bewerbungsphase hinter<br />
sich haben, (Olga und Dilan), sind diejenigen unter den befragten<br />
117
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Jugendlichen, welche wegen ihres Realschulabschlusses nicht zur engeren<br />
Zielgruppe der Studie gehörten. Beide Mädchen durchlaufen <strong>eine</strong><br />
berufsvorbereitende Maßnahme, obwohl sie nur <strong>eine</strong>n vergleichsweise<br />
geringen Gewinn daraus ziehen können (für Olga ist es die Verbesserung<br />
ihrer Deutschnote, für Dilan das dreimonatige Praktikum), welcher aber<br />
offensichtlich entscheidend für die Wahl dieses Weges gewesen sein muss.<br />
Beide Jugendlichen rechnen sich wegen der Teilnahme an dieser Maßnahme<br />
<strong>eine</strong>n größeren Erfolg für den nächsten Schritt im Übergangsprozess aus,<br />
die Bewerbung auf <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz. Ebenfalls für diese Mädchen<br />
konnte aber neben den rationalen Gründen für die Teilnahme an der<br />
Maßnahme auch ein sozialer Aspekt festgestellt werden. Die Maßnahme bietet<br />
ihnen <strong>eine</strong> gewisse Sicherheit/ Rückhalt zum <strong>eine</strong>n durch die Institution selbst und<br />
außerdem das Zusammensein mit Gleichaltrigen, wogegen das Zurückgeworfen sein auf<br />
sich allein, mit dem Schreiben von Bewerbungen zuhause eher als beängstigend empfunden<br />
wird 230 . Zu guter Letzt ist auch für beide feststellbar gewesen, dass ihre<br />
Bewerbungsbemühungen sich auf relativ kurze Zeiträume über den<br />
Sommer nach dem Schulabgang reduzierte - ein Zeitraum, in welchem ein<br />
Großteil der Ausbildungsplätze bereits vergeben ist. Sie hatten beide zum<br />
Ende der Schulzeit noch k<strong>eine</strong> Bewerbungen geschrieben und mündeten<br />
praktisch unmittelbar danach in berufsvorbereitende Maßnahmen ein, Olga<br />
sogar bereits zum zweiten Mal. Die Gründe für die eher halbherzigen<br />
Bewerbungsbemühungen im Sommer sind aus deren Interviewaussagen<br />
nicht eindeutig erklärbar, da den Mädchen die Bewerbungsfristen aus dem<br />
Schulunterricht bereits bekannt gewesen sein dürften. In jedem Falle dürfte<br />
die Beschränkung auf diesen eher ungünstigen Bewerbungszeitraum mit<br />
daran beteiligt gewesen sein, dass die Jugendlichen bisher unversorgt<br />
geblieben sind.<br />
Sieht man sich die Gründe für das bisher beschriebene Bewerbungsverhalten an, so fällt<br />
auf, dass die Jugendlichen in der Regel ansch<strong>eine</strong>nd nur geringes Vertrauen in den bisher<br />
üblichen Weg der Ausbildungsplatzsuche über die Bewerbung auf <strong>eine</strong> ausgeschriebene<br />
Stelle haben. Ihnen scheint klar zu sein, dass sie unter den gegenwärtigen Bedingungen<br />
mit ihren schulischen Voraussetzungen nur sehr geringe Chancen auf Erfolg haben.<br />
Daher suchen sie sich andere Wege oder Gelegenheiten, die ihnen Erfolg versprechender<br />
ersch<strong>eine</strong>n. Ein weiterer Grund für die bisher geringe Bewerbungsintensität<br />
der Jugendlichen ist auch, dass ein beträchtlicher Anteil von ihnen noch mit<br />
der Verbesserung ihrer schulischen und sprachlichen Zugangsvoraussetzungen<br />
beschäftigt ist (oder nach Möglichkeiten für die Umsetzung<br />
dieses Wunsches suchen) und sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch k<strong>eine</strong>n<br />
Erfolg für Bewerbungen zutraut. Dieses Bemühen verzögert allerdings den Eintritt in<br />
<strong>eine</strong> berufsqualifizierende Ausbildung.<br />
230 Die weiterführende Schulmaßnahme hatte also <strong>eine</strong>n stabilisierenden Effekt.<br />
118
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Die Jugendlichen werden somit im Vergleich mit anderen Jugendlichen, die direkt nach<br />
dem Schulabschluss in <strong>eine</strong> Ausbildung münden, älter sein und damit diesen gegenüber<br />
erneut <strong>eine</strong>n Nachteil an der zweiten Schwelle des Übertritts in den Arbeitsmarkt<br />
aufweisen 231 .<br />
Im Vergleich des Bewerbungsverhaltens zwischen jugendlichen Aussiedlern<br />
und türkischen Jugendlichen können auf den ersten Blick zunächst kaum<br />
Unterschiede ausgemacht werden. Beide Teilgruppen sind orientiert auf das Ziel<br />
<strong>eine</strong>r beruflichen Qualifizierung und durchlaufen nach dem Ende ihrer Schulzeit häufig<br />
noch <strong>eine</strong> weitere schulische Maßnahme, die ihre Zugangsvoraussetzungen verbessern soll.<br />
Beide Gruppen nehmen zum Erreichen ihrer beruflichen Ziele also Umwege in Kauf.<br />
Die jugendlichen Aussiedler gehen dabei jedoch meist zielgerichteter vor,<br />
um ihrem beruflichen Ziel näher zu kommen 232, während diese Umwege für<br />
die türkischen Jugendlichen mitunter eher <strong>eine</strong> Übergangs-Funktion<br />
besitzen, ohne dass diese immer zielgerichtet mit <strong>eine</strong>r Verbesserung ihrer<br />
beruflichen Positionierung verbunden sind. Während die jugendlichen<br />
Aussiedler das Erreichen ihrer Wunschberufe also verhältnismäßig<br />
zielgerichtet trotz der Umwege verfolgen (Ausnahme Sascha), sind die<br />
türkischen Jugendlichen zu <strong>eine</strong>m gewissen Teil unsicherer in ihrer<br />
Strategiewahl (Ausnahme Dilan). 233<br />
BEWERBUNGSSTRATEGIEN<br />
In den Möglichkeiten und Strategien, welche die Jugendlichen zur<br />
Bewerbung nutzen, waren zwischen türkischen Jugendlichen und<br />
jugendlichen Aussiedlern kaum Unterschiede feststellbar.<br />
Das Internet gewinnt mit s<strong>eine</strong>n Recherchemöglichkeiten für die Jugendlichen allgemein an<br />
Bedeutung. Dabei werden von den Jugendlichen hauptsächlich die bekannten<br />
Internetseiten für die Ausbildungssuche genannt (M<strong>eine</strong>-Stadt.de oder<br />
Google). Sie sind oft auch schon aus dem Unterricht bekannt. Die beiden<br />
Jugendlichen mit den meisten Bewerbungserfahrungen (Murat und Jurij),<br />
berichteten darüber, dass sie auch direkt auf andere Webseiten, z. B. von<br />
Betrieben, im Internet zugriffen.<br />
Alle Jugendlichen, und zwar gleichermaßen Mädchen wie Jungen und türkische wie<br />
russischsprachige Jugendliche, suchten zuerst persönlich und in ihrer unmittelbaren<br />
Wohnumgebung nach Betrieben, die potentiell als Ausbildungsbetrieb geeignet waren.<br />
Erreichbarkeit und Vertrautheit schienen für diese Strategie wesentlich zu<br />
sein, aber auch der Bezug zur Alltagswelt, wie dies bereits bei der<br />
beruflichen Orientierung der Fall war. Das ist auch insofern einsichtig, weil<br />
die beruflichen Vorstellungen der Jugendlichen sich zunächst ebenfalls aus<br />
dem normalen Lebensumfeld heraus entwickelten, welches zu diesem<br />
231 Wenn aber für <strong>eine</strong>n signifikanten Anteil von Hauptschulabgängern nach dem primären<br />
Schulabschluss weitere Schulmaßnahmen notwendig sind (von denen es neben den hier von den<br />
befragten Jugendlichen gewählten Möglichkeiten des Berufsvorbereitungsjahres oder <strong>eine</strong>s<br />
einjährigen Lehrgangs auf <strong>eine</strong>m Oberstufenzentrum noch weitere Maßnahmen gibt, so u. a. im<br />
Rahmen des Sonderprogramms Einstiegsqualifizierung, EQJ), um ihnen den Zugang zu <strong>eine</strong>r<br />
berufsqualifizierenden Ausbildung überhaupt zu ermöglichen, wäre zu fragen, ob ein<br />
Hauptschulabschluss unter den gegenwärtigen Bedingungen des Arbeitsmarktes sinnvoll/<br />
ausreichend ist, um Jugendlichen <strong>eine</strong>n erfolgreichen Weg in das Berufsleben zu ermöglichen oder<br />
ob der Hauptschulabschluss eventuell ein Hindernis darstellt und deren berufliche Mobilität<br />
dauerhaft behindern könnte. Diese Frage ist insbesondere vor dem Hintergrund der Ergebnisse der<br />
PISA-Studie (2003) interessant, nach der die Bildungschancen in Deutschland besonders von der<br />
sozialen Herkunft beeinflusst werden, besonders deutlich bei den Jugendlichen mit<br />
Migrationshintergrund. Dies könnte sich dauerhaft in den beruflichen Entwicklungen verfestigen.<br />
232 Sie lehnen andere Maßnahmen, die dem nicht dienlich sind, auch schon mal ab.<br />
233 Das ist u.a. auch darauf zurückzuführen, dass sie weniger eng mit Beratungsstellen kooperieren,<br />
sondern diese zumeist sporadisch und im Bedarfsfall aufsuchen (sozusagen oft erst, wenn es<br />
wirklich „brennt“). Siehe Punkt 4. Hilfenachfrage und -wahrnehmung<br />
119
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Zeitpunkt ihres Lebens im wesentlichen noch um das Elternhaus<br />
konzentriert ist.<br />
Darüber hinaus verspricht sich ein Teil der Jugendlichen auch <strong>eine</strong>n Vorteil mit <strong>eine</strong>r<br />
persönlichen Vorstellung, der ihnen mit <strong>eine</strong>r schriftlichen Bewerbung verloren geht. Sie<br />
erhoffen sich durch <strong>eine</strong> persönliche Vorsprache oder die persönliche Abgabe der<br />
Bewerbung, <strong>eine</strong>n guten Eindruck von ihrer Person im Betrieb zu hinterlassen. Das<br />
Vertrauen auf schriftliche Bewerbungen ist offenbar weniger stark vorhanden, zum <strong>eine</strong>n<br />
wegen der oft als ungenügend eingeschätzten schriftlichen Sprachkenntnisse, aber auch<br />
wegen schlechter Zensuren oder überhaupt ihres Hauptschulabschlusses. Besonders die<br />
Mädchen stellten dies als <strong>eine</strong>n plausiblen Grund für ihr Vorgehen dar. Für<br />
die Jungen war dagegen wichtiger, den direkten Kontakt zum potentiellen<br />
Arbeitgeber/ Ausbilder zu suchen. Das aktive Moment und der direkte<br />
Kontakt waren hier ausschlaggebend für die gewählte Strategie.<br />
Bei den Jungen mit den längsten Bewerbungserfahrungen (Jurij und Murat)<br />
wurde z.T. auch über die Familie und deren Netzwerk recherchiert nach<br />
möglichen Ausbildungsplätzen, ergänzend zu den eigenen Bemühungen.<br />
Diese Strategie wird möglicherweise aber erst dann eingesetzt, wenn es über<br />
<strong>eine</strong>n langen Zeitraum k<strong>eine</strong> ausreichenden Erfolge bei der Bewerbung gab.<br />
Schließlich und endlich zeigte sich in den Interviewaussagen, dass die Jugendlichen eher zu<br />
Initiativbewerbungen neigen (wie zuvor bereits festgestellt direkt bei den potentiellen<br />
Ausbildungsbetrieben), als sich auf öffentliche Ausschreibungen zu bewerben. In beiden<br />
Zielgruppen werden Bewerbungen auf öffentlich ausgeschriebene<br />
Ausbildungsplätze weniger Chancen eingeräumt. Es gibt dafür entweder<br />
eigene Erfahrungen oder die Erfahrungen von Freunden, welche<br />
übernommen werden, es sei über diesen Weg sehr schwer, <strong>eine</strong>n<br />
Ausbildungsplatz zu finden. Trotzdem bewerben sich die Jugendlichen u.a.<br />
auch auf diese ausgeschriebenen Stellen, was zumindest aus den Aussagen<br />
der Jungen nachgewiesen ist.<br />
Einer der befragten Jugendlichen verließ sich zum Interviewzeitpunkt<br />
hauptsächlich auf die Vermittlung durch <strong>eine</strong>n Mitarbeiter des Bildungsträgers<br />
<strong>eine</strong>r Berufsvorbereitungsmaßnahme, <strong>eine</strong>s der Mädchen auf die<br />
Vermittlungshilfe aus den für sie zuständigen Behörden Jugendamt und<br />
JobCenter. Aus den restlichen Interviews lässt sich aber nicht ableiten, dass<br />
das Vertrauen auf die Hilfe von Mitarbeitern <strong>eine</strong>r Behörde oder <strong>eine</strong>s<br />
freien Trägers allgem<strong>eine</strong> Tendenz hätte.<br />
Letztlich verweisen die Bewerbungsstrategien der Jugendlichen darauf, dass diese Mittel<br />
und Wege suchen, um trotz der schwierigen Gesamtlage zu <strong>eine</strong>m Ausbildungsplatz zu<br />
bekommen. Sie gehen dabei oft nicht unmittelbar den bisher üblichen Weg, sondern<br />
suchen, wenn möglich, der vermutlich als stark empfundenen Konkurrenz aus dem Weg<br />
zu gehen und sich über Nischen oder Ausweichstrategien ihren Platz zu sichern und<br />
damit ihre Chancen zu verbessern, von denen sie meistens wissen, dass sie nicht besonders<br />
gut sind. Zuvor aber bemühen sie sich darum, ihre schulischen Voraussetzungen, die<br />
Noten, den Abschluss oder die Sprachkenntnisse, so weit zu optimieren, wie sie dies für<br />
notwendig halten. Unterschiede in dieser prinzipiellen Strategie war dabei im<br />
Wesentlichen nicht festzustellen. Allenfalls kann gesagt werden, dass die türkischen<br />
Jugendlichen etwas verunsicherter wirkten und sich selbst weniger Chancen einräumten,<br />
als die jugendlichen Aussiedler, die ein stärkeres Selbstbewusstsein im Bewerbungsprozess<br />
erkennen ließen.<br />
ERGEBNISSE UND BEWERTUNGEN DER BEWERBUNGSERFAHRUNGEN<br />
Entsprechend der Vorauswahl für die Interviews waren alle befragten<br />
Jugendlichen zum Interviewzeitpunkt „unversorgt“. Die Ursachen und<br />
120
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Hintergründe für die Unversorgtheit waren jedoch durchaus individuell<br />
unterschiedlich.<br />
Aus den vorigen Abschnitten ging bereits hervor, dass ein großer Anteil der Jugendlichen<br />
sich auch nach Schulabschluss überwiegend noch auf die Verbesserung der schulischen und<br />
sprachlichen Voraussetzungen konzentrierten und sich aus diesem Grund zum<br />
Interviewzeitpunkt noch wenig um direkte Bewerbungen auf <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz<br />
bemühten. Erst als die für <strong>eine</strong> Bewerbung im anvisierten Berufsfeld notwendigen<br />
Bildungsziele erreicht waren, gingen die Jugendlichen verstärkt und gezielter zu<br />
Bewerbungen über. Dies ist ein Prozess, der nicht in jedem Falle bisher gelang.<br />
Es gab auf diesem Weg <strong>eine</strong> Reihe von Hürden zu überwinden und<br />
infolgedessen auch Zeitpunkte, an denen ein Stagnieren oder gar Scheitern<br />
möglich war, wenigstens zeitweise oder vorübergehend. Die befragten<br />
Jugendlichen befanden sich zum Zeitpunkt, als sie interviewt wurden, in<br />
unterschiedlichen Phasen des Übergangsprozesses und waren damit zum<br />
jeweiligen Zeitpunkt mit Problemstellungen konfrontiert, die mit diesen im<br />
Zusammenhang standen. Entsprechend positiv oder frustriert war auch die<br />
Sicht auf die individuellen beruflichen Perspektiven zu diesem Zeitpunkt.<br />
Während einige Jugendliche zum Interviewzeitpunkt kaum Chancen für<br />
sich sahen (insbesondere Dunya) oder mit den bisherigen Strategien und<br />
Maßnahmen nicht weiter kamen (wie z. B. Murat oder Sascha), hatten<br />
andere bereits umgedacht und neue berufliche Perspektiven entwickelt<br />
(Jurij) oder machten sich mindestens Hoffnung auf künftige<br />
Bewerbungserfolge (Olga, Dilan, Tarik, Tanja).<br />
Tendenziell zeigten die türkischen Jugendliche, wie schon weiter oben angedeutet, <strong>eine</strong><br />
größere Verunsicherung und rechneten sich weniger Chancen für <strong>eine</strong> berufliche<br />
Perspektive aus als dies für die jugendlichen Aussiedler feststellbar war. Dies ist um so<br />
erstaunlicher, als diese Jugendlichen größtenteils in Deutschland geboren<br />
und fast durchgängig auch sozialisiert worden sind, einschließlich ihres<br />
Schulbesuchs. Möglicherweise antizipierten sie aus ihren bisherigen<br />
Lebenserfahrungen und den Erfahrungen ihres persönlichen Umfelds<br />
(Familie, Freunde) eher negative Erwartungen für sich selbst. Die beiden<br />
Jugendlichen, welche sich zum Interviewzeitpunkt in <strong>eine</strong>r<br />
Berufsvorbereitungs-Maßnahme befanden (Dilan, Tarik), machten sich am<br />
ehesten Hoffnungen auf konkrete Ausbildungsvermittlung, blieben<br />
allgemein hinsichtlich der Einschätzungen des <strong>Berliner</strong> Ausbildungsmarkts<br />
aber skeptisch. Murat und Dunya zeigten <strong>eine</strong> mittlere bis hohe<br />
Verunsicherung und waren hinsichtlich ihrer Prognosen deutlich<br />
pessimistischer, woraus vermutlich auch ihr zeitweiser Rückzug von den<br />
Bemühungen erklärbar wird. Die bisherige Erfolglosigkeit wird größtenteils auf die<br />
eigenen schwachen schulischen Voraussetzungen oder überhaupt auf die eigene<br />
Persönlichkeit oder die Tatsache, dass sie „Ausländer“ sind, zurückgeführt. Das<br />
Frustrationspotential für diese Jugendlichen ist ziemlich hoch, die Motivation für weitere<br />
Anstrengungen schwankend, der Wunsch nach effektiver Unterstützung im Prinzip<br />
entsprechend groß 234 .<br />
Das Frustrationspotential war auch bei den jugendlichen Aussiedlern aufgrund ihrer<br />
bisherigen Erfolglosigkeit prinzipiell vorhanden. Allerdings gingen diese nahezu<br />
durchweg anders damit um. Ihre Einschätzung der Lage auf dem <strong>Berliner</strong><br />
Arbeitsmarkt ähnelte zumeist denen der türkischen Jugendlichen. In den<br />
Interviews zeigte sich allerdings <strong>eine</strong> höhere Bereitschaft zur<br />
234<br />
Die tatsächlich wahrgenommene Unterstützung entspricht diesem Wunsch nach Hilfe<br />
erstaunlicherweise nicht.<br />
121
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Frustrationstoleranz. Jurij und Olga waren zwar zunächst wenig vorbereitet<br />
auf die tatsächlich schwierigen Übergangsverläufe, wie sie sagen. Aber sie<br />
vertraten die Auffassung, dass sie mit intensiven Eigenbemühungen und<br />
Durchhaltevermögen schließlich <strong>eine</strong> Ausbildung finden werden und gingen<br />
mit dieser Positionierung deutlich selbstbewusster auf die Lehrstellensuche.<br />
Jurij formulierte als Empfehlung an andere Jugendliche, so lange wie<br />
möglich die Schule zu besuchen und damit das höchstmögliche Bildungsziel<br />
zu erreichen. Damit würden sich die Chancen für <strong>eine</strong> berufliche Zukunft in<br />
jedem Falle verbessern. Sascha hat aufgrund s<strong>eine</strong>r erst kurzen Aufenthaltsdauer<br />
in Deutschland weniger Orientierung als die anderen und vertritt auch<br />
als einziger von den befragten jugendlichen Aussiedlern die Auffassung, es<br />
gäbe in Berlin gute Chancen, <strong>eine</strong> Ausbildung zu finden. Für <strong>eine</strong><br />
Ausbildung würde er viele Zugeständnisse und Kompromisse machen.<br />
Auch die jugendlichen Aussiedler führen ihre bisherigen Misserfolge häufig<br />
auf ihre Schulnoten/ Sprachkenntnisse und damit auf sich selbst zurück.<br />
Daher sind sie auch bestrebt, diese Nachteile durch weitere schulische<br />
Maßnahmen auszugleichen. Daneben machen sie aber auch fehlerhafte<br />
politische Entwicklungen verantwortlich, für die sie anders als die<br />
türkischen Jugendlichen viel Interesse zeigen.<br />
Konkret suchen die männlichen Aussiedlerjugendlichen die Ursachen für<br />
bisherige Misserfolge in der Ausbildungsplatzsuche gleichermaßen in<br />
äußeren Einflüssen wie der Politik, aber auch bei sich selbst. Die Mädchen<br />
neigen dagegen stärker dazu, die Ursachen für bisheriges Scheitern in der<br />
Ausbildungsplatzsuche ausschließlich in den eigenen Schwächen zu suchen.<br />
Ähnliches gilt auch für die türkischen Mädchen. Aber auch die türkischen<br />
Jungen suchen die Ursachen stärker als die männlichen Aussiedler in<br />
eigenen Fehlern, z. B. <strong>eine</strong>r missglückten Schulkarriere, und bereuen diese<br />
Entwicklung meist heute.<br />
Von Diskriminierungserfahrungen, die zwar oft nicht als solche<br />
angesprochen werden, berichten drei Jugendliche (Tarik, Jurij, Olga).<br />
Allerdings stammt nur <strong>eine</strong> dieser als diskriminierend empfundenen<br />
Behandlung aus dem Bewerbungszusammenhang, die anderen waren im<br />
schulischen Umfeld angesiedelt. Jurij gegenüber wurde die Ablehnung als<br />
Aussiedler noch nie direkt mitgeteilt. Er glaubt jedoch, dass er auch aus<br />
diesem Grund so häufig Ablehnungen auf s<strong>eine</strong> Bewerbungen bekommt.<br />
Olga fühlte sich als jugendliche Aussiedlerin und Tarik als Türke 235 von<br />
Lehrern zurückgesetzt. Ob auch Dunyas Schulprobleme mit diskriminierenden<br />
Handlungen in Zusammenhang gebracht werden können, kann<br />
wegen der nicht eindeutigen Aussagen nicht gesagt werden.<br />
7.6. Hilfenachfrage und -wahrnehmung<br />
7.6.1. Allgem<strong>eine</strong> Strategien zur Hilfesuche<br />
Fast alle Interviewpartner nehmen Hilfen aus unterschiedlichen Bereichen<br />
wahr, aus dem privaten Umfeld oder/ und aus Institutionen. Befragt<br />
wurden die Jugendlichen nach Hilfen aus dem familiären Umfeld (Eltern<br />
und Verwandte), Unterstützung aus der Schule, Hilfe-Angebote der<br />
betreuenden Arbeitsmarktbehörde 236 und Unterstützungsangebote von<br />
freien Trägern der Jugendhilfe mit zumeist niedrigschwelligem Zugang.<br />
235 in der Umgangssprache werden Türken, Jugoslawen, Araber etc. als so genannte<br />
„Schwarzköpfe“ bezeichnet, was diese allgemein als diskriminierend ablehnen.<br />
236 was im Regelfall die zuständigen JobCenter sein dürften.<br />
122
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Im Normalfall wird die Hilfe von den Jugendlichen je nach konkretem<br />
Bedarf und aus eigenem Antrieb gewählt (mit Ausnahme der<br />
Arbeitsmarktbehörden, deren Termine verpflichtend sind). In diesem Punkt<br />
unterscheiden sich weder die türkischen Jugendlichen von den jugendlichen<br />
Aussiedlern, und auch nicht die Mädchen von den Jungen. Allerdings ist die<br />
Intensität in der Hilfenachfrage zwischen diesen Gruppen sehr<br />
unterschiedlich.<br />
Auffällig ist, dass Hilfemöglichkeiten zuallererst im privaten Umfeld gesucht<br />
wurden durch die Jugendlichen. Im familiären Umfeld waren die<br />
Möglichkeiten zur Hilfe allerdings oft genug eher begrenzt, wenigstens<br />
hinsichtlich hilfreicher Informationen und konkreter praktischer<br />
7.6.2.<br />
Hilfemöglichkeiten.<br />
Die Hauptgründe für die eher geringen Hilfe-Möglichkeiten in den Familien<br />
unterscheiden sich allerdings in den beiden Zielgruppen. Sie werden im<br />
folgenden Abschnitt behandelt. Viele Jugendliche suchen sich ausweichend<br />
häufig Hilfe und Unterstützung im Freundeskreis. Der Bezug zu den<br />
Arbeitsmarktbehörden wird oft eher kritisch und nicht immer als hilfreich<br />
wahrgenommen, wobei hier die Jungen stärker Kritik üben, die Mädchen<br />
kooperativer auftreten, aber nicht in jedem Falle. Die freien Träger werden<br />
in jedem Falle freiwillig aufgesucht. Die Bindung an diese unterscheidet sich<br />
bereits auf den ersten Blick stark zwischen den jugendlichen Aussiedlern<br />
und den türkischen Jugendlichen.<br />
Rückhalt in der Familie und im Freundeskreis<br />
ELTERN, GESCHWISTERN UND VERWANDTE<br />
Beide Gruppen können auf mittlere bis große Unterstützung aus dem<br />
Familienumkreis zurückgreifen. Die Eltern bilden für die meisten<br />
Jugendlichen <strong>eine</strong>n wichtigen Rückhalt. Mindestens der emotionale Halt<br />
wurde von allen Jugendlichen stark betont. Einige von ihnen erklärten, das<br />
wichtigste an den Eltern sei, dass sie überhaupt da seien, was darüber hinaus<br />
ein weiterer Hinweis darauf ist, dass die Übergangsphase von den<br />
Jugendlichen allgemein als eher belastend erlebt wird. Die meisten<br />
Jugendlichen leben zum Interviewzeitpunkt noch bei ihren Eltern und<br />
haben <strong>eine</strong>n relativ engen Kontakt zu diesen.<br />
Nicht in allen Familien sind die familiären Umstände und/ oder das<br />
Verhältnis zu den Eltern aber auch problemlos 237 . Das kann sogar schon mit<br />
dieser langen Übergangszeit selbst oder vorausgehenden Schulproblemen<br />
zusammenhängen. Hier sind es insbesondere die türkischen Jugendlichen,<br />
deren familiäres Verhältnis stärker belastet ist. Sie haben zwar grundsätzlich<br />
ein sehr enges Verhältnis zu ihren Familien (ähnlich wie auch die<br />
jugendlichen Aussiedler), das aber mit Konflikten belastet wird, die z.T. aus<br />
dem Zwiespalt der Jugendlichen zwischen der Identifikation mit der Kultur<br />
des Herkunfts- und des Einwanderungslandes herrühren, von denen sie<br />
jeweils Elemente aufgenommen haben. Aber belastet werden die Familien<br />
auch damit, dass die Jugendlichen unter den gegenwärtigen Umständen<br />
Schwierigkeiten mit der Eingliederung in die Gesellschaft haben wie eben<br />
dem Finden <strong>eine</strong>s geeigneten Ausbildungsplatzes. Die Eltern, welche unter<br />
vollständig anderen Bedingungen nach Deutschland kamen (als<br />
Arbeitskräfte noch gesucht wurden), verstehen oft nicht ausreichend, mit<br />
welchen Schwierigkeiten die Jugendlichen zu tun haben und geben nicht<br />
237 Ansätze dafür finden sich bei Dunya, Tanja, Murat und Tarik<br />
123
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
selten diesen selbst die Schuld dafür. So stehen insbesondere die türkischen<br />
Jugendlichen unter <strong>eine</strong>m großen Druck auch von der familiären Seite.<br />
Es kann aber nicht gesagt werden, dass die Familienverhältnisse der<br />
jugendlichen Aussiedler problemfrei sind. Der Zusammenhalt innerhalb der<br />
Familie wurde meist als gefestigt dargestellt. Diejenigen Jugendlichen,<br />
welche <strong>eine</strong> positive Familiensituation darstellten, in der auch über ihre<br />
Schwierigkeiten gesprochen werden konnte, waren aktiver im Finden <strong>eine</strong>s<br />
Ausbildungsplatzes und im Auftreten selbstbewusster und sicherer (auch<br />
während des Interviews).<br />
Bei den Jugendlichen beider Teilgruppen, die von eher problematischeren<br />
Familienumständen berichteten, insbesondere wenn sie innerhalb der<br />
Familie über vieles nicht sprechen konnten oder sogar von sich aus nicht<br />
wollten oder wenn sie von den Eltern nicht verstanden wurden, überwogen<br />
eher Unsicherheit oder Wechselhaftigkeit. Dieser Beobachtung konnte in<br />
beiden Gruppen gemacht werden. Auch zwischen Mädchen und Jungen<br />
konnten kaum bedeutsame Unterschiede festgestellt werden.<br />
Ein anderer für die Übergangssituation und die effektive „Hilfewirksamkeit“<br />
der Familie bedeutsamer Faktor war der Bildungshintergrund der<br />
Eltern. Hier unterschieden sich die beiden untersuchten Gruppen erheblich.<br />
Die Eltern der türkischen Jugendlichen hatten ausnahmslos <strong>eine</strong>n<br />
verhältnismäßig niedrigen Bildungshintergrund (bis hin zum Analphabetismus)<br />
und stammten zumeist aus ländlichen Regionen der Türkei, und<br />
gehörten zudem meist dort auch Minderheiten an, wie Kurden. Im<br />
Gegensatz dazu hatten die Eltern der jugendlichen Aussiedler <strong>eine</strong>n<br />
vergleichsweise mittleren bis hohen Bildungshintergrund, selbst wenn sie<br />
aus ländlichen Regionen zugewandert waren 238 .<br />
Ähnliches kann über den beruflichen Status der Eltern im Herkunftsland<br />
gesagt werden. Während die Aussiedler-Eltern im Herkunftsland beinahe<br />
durchweg als Facharbeiter oder selbst in Leitungspositionen arbeiteten,<br />
waren die türkischen Eltern schon im Herkunftsland in gering qualifizierten<br />
Tätigkeiten beschäftigt.<br />
In beiden Gruppen allerdings war die Einbindung in den deutschen<br />
Arbeitsmarkt nach der Zuwanderung trotz der unterschiedlichen<br />
Bildungshintergründe sehr gering. Die türkischen Eltern waren entweder<br />
aus Alters- oder Krankheitsgründen bereits aus dem Erwerbsleben<br />
ausgeschieden oder arbeitslos und erhielten nahezu ausnahmslos<br />
Transferleistungen (ALG II oder Rente). Die Aussiedler-Eltern hatten es<br />
oft auch nach längeren Aufenthalten bisher nicht geschafft, in dauerhafte<br />
Arbeitsverhältnisse zu gelangen. Sie hatten mitunter <strong>eine</strong>n hohen<br />
Statusverlust hinzunehmen (besonders deutlich sichtbar bei Olgas<br />
Mutter) 239 .<br />
Die hier beschriebenen Bildungshintergründe der Eltern wirkten sich insbesondere auf die<br />
Unterstützungs-Möglichkeiten durch diese aus. Für die Jugendlichen bedeutete das vor<br />
allem, dass sie auf wenig konkrete Unterstützung zurückgreifen konnten, allerdings aus<br />
verschiedenen Gründen in den beiden Zielgruppen.<br />
238 Dies liegt darin begründet, dass das Bildungsideal in der ehemaligen Sowjetunion, in der die<br />
Eltern normalerweise aufgewachsen sind, bis in die ländlichen Regionen durchgesetzt wurde und<br />
Analphabetismus fast nicht mehr vorhanden war.<br />
239 Die schwierige Praxis der Anerkennung von deren Ausbildungsabschlüssen in Deutschland<br />
bildete <strong>eine</strong> bedeutsame Barriere für den Arbeitsmarkt.<br />
124
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Die türkischen Jugendlichen konnten kaum auf konkrete Unterstützung von<br />
den Eltern hoffen, weil diese unter vollständig anderen Umständen nach<br />
Deutschland eingewandert waren, zu <strong>eine</strong>m Zeitpunkt, als Arbeitskräfte<br />
gefragt waren in Deutschland, besonders im niedrig qualifizierten<br />
Bereichen. Sie haben kaum Einblicke in notwendige Bildungswege, die<br />
erforderlich sind für die gegenwärtige berufliche Eingliederung, wie sie für<br />
ihre Kinder notwendig ist. Mitunter sprechen sie auch nicht ausreichend<br />
deutsch, was besonders auf die Mütter zutrifft. Die Eltern sind trotz des oft<br />
jahrzehntelangen Aufenthaltes mitunter nur unzureichend in Deutschland<br />
integriert 240 . Die Eltern unterstützten zwar nach Aussage der Jugendlichen<br />
die beruflichen Ziele der Kinder prinzipiell, konnten aber selbst kaum<br />
unterstützend tätig werden (mit Ausnahme der Nachfrage nach<br />
Ausbildungsmöglichkeiten über den Verwandtenkreis). Das Verständnis<br />
über die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Ausbildungsplatzsuche<br />
überforderte die Eltern z. T. auch, wodurch sich Probleme innerhalb der<br />
Familie bilden konnten. Die türkischen Jugendlichen konnten allgemein gesagt weder<br />
in der beruflichen Orientierung noch in der Bewerbungsphase auf konkrete Hilfen durch<br />
die Eltern rechnen, mit Ausnahme des emotional wirkenden Familienrückhalts.<br />
Auch in den Familien der Aussiedler konnten die Jugendlichen nur auf<br />
wenig konkrete Unterstützung zurückgreifen. Der Hauptgrund dafür liegt<br />
darin, dass beide Generationen parallel zueinander zum gleichen Zeitpunkt<br />
damit beschäftigt waren, sich in Deutschland und in den deutschen<br />
Arbeitsmarkt zu integrieren. Die Eltern konnten aufgrund des<br />
Bildungshintergrundes in den meisten Fällen zwar ihren Kindern mit<br />
prinzipiellen Ratschlägen zur Seite stehen, besonders in der beruflichen<br />
Orientierung, und waren auch um praktische Unterstützungsleistungen<br />
bemüht. Diese hatten allerdings ihre Grenzen darin, dass auch diese Eltern<br />
(bisher) nur wenig mit dem spezifischen Bildungssystem in Deutschland<br />
vertraut waren, und insbesondere mit den veränderten Bedingungen der<br />
Berufsbildungsprozesse unter den gegenwärtigen Umständen.<br />
Ein weiterer beeinflussender Faktor war insbesondere bei den türkischen<br />
Jugendlichen die Stellung des Jugendlichen innerhalb der Geschwisterlinie.<br />
Sowohl bei den jugendlichen Aussiedlern als auch bei den türkischen<br />
Jugendlichen gab es Befragte aus kinderreichen Familien. Für die türkischen<br />
Jugendlichen stellte es sich aber als Vorteil heraus, wenn sie auf die<br />
Erfahrungen älterer Geschwister zurückgreifen konnten, die die<br />
Übergangsprozesse, mit denen sie selbst gegenwärtig konfrontiert waren,<br />
bereits hinter sich gebracht hatten. Dilan konnte von diesen Erfahrungen<br />
älterer Geschwister bisher besonders in der beruflichen Orientierung<br />
profitieren. Tarik und Murat waren dagegen die Ältesten in der<br />
Geschwisterlinie und hatten damit <strong>eine</strong> besonders schwierige Position. Sie<br />
nahmen innerhalb der Familie mit ihrer beruflichen Orientierung <strong>eine</strong><br />
Pionierrolle ein und hatten darüber hinaus auch innerhalb der Familie für<br />
jüngere Geschwister Verantwortung zu übernehmen, noch zusätzlich zu<br />
den eigenen Schwierigkeiten, z. B. <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz zu finden.<br />
240 Dies gilt für die hier befragten Jugendlichen, kann aber unter k<strong>eine</strong>n Umständen für die<br />
türkischen Einwanderer verallgem<strong>eine</strong>rt werden. Unter diesen gibt es große Unterschiede nicht<br />
allein hinsichtlich des Bildungshintergrundes oder der Herkunftsregion. Es muss daher sorgfältig<br />
unterschieden werden, welchen tatsächlichen Hintergrund hinsichtlich Bildung, Berufsausbildung<br />
und anderer Faktoren die türkischen Einwanderer der ersten Generation haben. Ein<br />
verallgem<strong>eine</strong>rnder Rückschluss verbietet sich.<br />
125
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Konkrete Aussagen zu Unterschieden zwischen Mädchen und Jungen<br />
können hier kaum gemacht werden, weil es diesbezüglich zu wenige<br />
Aussagen in den Interviews gab. Ein ganz klarer geschlechtsspezifischer<br />
Einfluss war nur bei Dunya zu beobachten. Für sie ist die Rolle als Frau für<br />
ihre Zukunft ein entscheidender Einflussfaktor. Zum Interviewzeitpunkt<br />
war noch nicht endgültig sicher, ob Dunya überhaupt je <strong>eine</strong> berufliche<br />
Zukunft haben würde, weil für sie im Prinzip die Rolle als Ehefrau und<br />
Mutter durch die Familie bereits vorgesehen war. Für Dilan als ebenfalls<br />
türkisches Mädchen (mit kurdischem Hintergrund, wie Dunya auch) war<br />
diese Zukunftsperspektive nicht im gleichen Maße ersichtlich. Sie wollte für<br />
sich sowohl <strong>eine</strong> berufliche Zukunft verwirklichen als auch ihre Rolle in der<br />
Familie ausfüllen, jedoch erst nachdem sie <strong>eine</strong> Ausbildung abgeschlossen<br />
hat. Dafür gab es auch bereits Vorbilder bei den älteren Geschwistern.<br />
Für die russischsprachigen Mädchen spielte dieser Aspekt in den Interviews<br />
überhaupt k<strong>eine</strong> Rolle, sofern man die Position Tanjas als junge Mutter<br />
nicht in diese Richtung interpretiert. Für die jungen Aussiedlerinnen war<br />
<strong>eine</strong> berufliche Zukunft selbstverständlich.<br />
Insgesamt konnten in den Auswertungen <strong>eine</strong> ganze Reihe von elterlichen<br />
Einflüssen auf die berufliche Übergangsphase der Jugendlichen festgemacht.<br />
Es ist jedoch in jedem Fall notwendig, diese Faktoren in ihrer Gesamtheit und<br />
ganz besonders auf ihre tatsächlichen Auswirkungen hin anzuschauen, auch in der<br />
Wahrnehmung durch die Jugendlichen selbst. Eine einseitige und monokausale<br />
Beurteilung, beispielsweise nur aufgrund des Bildungshintergrundes (z. B. der türkischen<br />
Eltern) oder der beruflichen Position (z. B. der Aussiedler), ist für sich allein nicht<br />
ausreichend. Es muss das Zusammenspiel dieser Faktoren berücksichtigt werden und ihre<br />
spezielle Wirkweise und damit die Bedeutung für die Jugendlichen selbst.<br />
Allgemein kann zusammenfassend gesagt werden, dass die familiären<br />
Unterstützungsmöglichkeiten in beiden Gruppen begrenzt waren. Die Jugendlichen<br />
konnten zwar im wesentlichen auf Unterstützung aus der Familie zurückgreifen,<br />
besonders auf deren emotionalen Rückhalt, waren aber trotz allem mit wesentlichen<br />
Fragen der Übergangsphase auf sich allein gestellt.. 241<br />
VERNETZUNG IM FREUNDESKREIS<br />
Ergänzend zur Familie soll an dieser Stelle kurz auf die Bedeutung der<br />
Hilfeorientierung bei Freunden eingegangen werden, obwohl diese in der<br />
bisherigen Betrachtung eher <strong>eine</strong> untergeordnete Rolle spielte.<br />
Die Jugendlichen beider Teilgruppen konnten allgemein betrachtet<br />
durchweg auf <strong>eine</strong>n festen Freundeskreis zurückgreifen, der zumeist noch<br />
aus der Schulzeit stammte. Die meisten Jugendlichen konnten auch mit<br />
ihren Freunden über die alltäglichen Erfahrungen bei der Suche nach <strong>eine</strong>m<br />
Ausbildungsplatz sprechen. Besonders unter den jugendlichen Aussiedlern<br />
nahm dieser Freundeskreis durchaus den Charakter <strong>eine</strong>s unterstützenden<br />
Netzwerkes an, in welchem sich über vielerlei Fragen ausgetauscht wurde,<br />
gegenseitig Tipps gegeben wurden oder man sich auch schon mal zu <strong>eine</strong>m<br />
Termin begleitet wurde, bspw. bei der Arbeitsmarktbehörde (darin taten<br />
sich besonders die Mädchen hervor). Aber auch die türkischen Jugendlichen<br />
waren in Freundeskreise eingebunden, in denen sie im Normalfall auch über<br />
ihre Erfahrungen im beruflichen Übergang sprechen konnten.<br />
241 Eine Forderung an Migrantenfamilien zur stärkeren Unterstützung ihrer Kinder in der<br />
Übergangsphase würde also voraussetzen, dass zunächst die hier angesprochenen Lücken in den<br />
Familien geschlossen werden müssten<br />
126
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
7.6.3.<br />
Für einige der Jugendlichen spielten die Freunde jedoch <strong>eine</strong> größere Rolle<br />
für ihren Übergangsprozess. Besonders unter den Jungen orientierten sich<br />
einige recht stark an ihrem Freundeskreis. Besonders hervor taten sich in<br />
dieser Hilfe-Strategie Sascha und Tarik. Beide schienen dabei insbesondere<br />
die Erfahrungen der (meist älteren) Freunde im beruflichen Übergangsprozess<br />
zu nutzen. Sie nahmen damit wiederum gewissermaßen ersatzweise<br />
<strong>eine</strong> Vorbildfunktion ein, die die Jugendlichen in ihren Familien nicht<br />
fanden.<br />
Die Orientierung auf Freundeskreise scheint aber allgemein gesehen nicht<br />
geschlechtsspezifisch zu sein. Die Intensität des Rückgriffs darauf kann wie<br />
gesehen von anderen Faktoren abhängig sein, wie der Zugriffsmöglichkeit<br />
auf Hilfe innerhalb der Familie. Sofern diese ungenügend vorhanden sind,<br />
sch<strong>eine</strong>n einige Jugendliche sich stärker auf ihren Freundeskreis zu<br />
orientieren, obwohl dieser in aller Regel nur geringfügig mehr Wissen und<br />
Erfahrung mitbringt für ein erfolgreiches Bewältigen des Übergangsprozesses<br />
als sie selbst.<br />
Vorbereitungen auf den beruflichen Übergang in der Schule<br />
Auch die Einflüsse aus der Schule wurden bisher nur am Rande<br />
mitberücksichtigt, und werden auch hier nicht bis ins Detail ausgeführt<br />
werden können. Trotz allem kann die Schule nicht völlig unberücksichtigt<br />
bleiben, da hier <strong>eine</strong> wesentliche Vorbereitung auf die nachfolgende<br />
Übergangszeit stattfand. Diese Vorbreitung auf den beruflichen Übergang<br />
war an den Schulen, die die Jugendlichen besucht hatten, durchaus sehr<br />
unterschiedlich und wurde auch so durch die Jugendlichen selbst<br />
wahrgenommen. Diese unterschiedlichen Schuleinflüsse waren aber auch<br />
nicht ohne Einfluss auf den nachfolgenden Übergangsverlauf, so dass sie<br />
hier in groben Zügen skizziert werden sollen.<br />
In den Schulerfahrungen der befragten Jugendlichen können zunächst große Unterschiede<br />
zwischen türkischen Jugendlichen und jugendlichen Aussiedlern festgestellt werden. Von<br />
den acht Interviewten haben drei Jugendliche nicht den Hauptschulabschluss<br />
geschafft, davon zwei türkische Jugendliche. Sie verließen die<br />
Schule mit <strong>eine</strong>m Abgangszeugnis. Die Gründe dafür sind durchaus<br />
unterschiedlich. Während Tanja den Schulabschluss trotz großer Hilfen aus<br />
ihrem schulischen Umfeld wegen der frühen Schwangerschaft und den<br />
vermutlich damit im Zusammenhang stehenden auch familiären<br />
Umstellungen und Problemen nicht erreicht hat, liegen die Gründe für<br />
Tarik und Dunya vorrangig in Problemen begründet, die mit der Schule<br />
selbst und dem an der Schule vorherrschenden Schulklima im<br />
Zusammenhang stehen. Da dieses Thema nicht vertiefend in den Interviews<br />
behandelt wurde, kann hier nur ganz allgemein gesagt werden, dass diese<br />
beiden Jugendlichen über gravierende Probleme in den Schulen sowohl mit<br />
Lehrern als auch Mitschülern berichteten, welche auch ihre Schulerfolge<br />
erheblich beeinflussten. Aus den Interviews dieser beiden türkischen<br />
Jugendlichen ergab sich der Eindruck, dass dieses problematische<br />
Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern wie auch unter den Schülern<br />
selbst sowie das deutlich als negativ wahrgenommene Schulklima, die<br />
Leistungen behinderte. Im Wesentlichen gab es Kommunikationsprobleme<br />
zwischen Lehrern und Schülern oder Gewalt unter den Schülern selbst, die<br />
das Schulklima prägten. Ansprechpartner für die Schüler gab es in diesen<br />
Schulen nicht.<br />
127
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Während Murat solcherlei Erfahrungen in s<strong>eine</strong>r primären Schulzeit nicht<br />
machen musste, hatte er allerdings von ähnlichen Erfahrungen in der Zeit<br />
am OSZ zu berichten, was auch bei ihm zum Schulabbruch führte 242 .<br />
Die von den Jugendlichen erlebten und im Interview geschilderten<br />
Schulverhältnisse hatten insbesondere auch Auswirkungen auf die<br />
schulischen Vorbereitungen der Übergangsphase. Die beiden Befragten,<br />
welche über massive Probleme in der Schule berichteten, hatten z. B. an den<br />
berufsvorbereitenden Unterricht so gut wie k<strong>eine</strong> Erinnerungen mehr. Sie<br />
waren vermutlich in dieser Zeit stärker auf die Bewältigung des<br />
konfliktreichen Schulumfelds konzentriert, so dass sie nur unzureichend<br />
den Schulstoff verfolgen konnten, was eben unter anderem auch die<br />
Berufsvorbereitung betraf.<br />
Die primären Schulerfahrungen der jugendlichen Aussiedler waren zwar<br />
nicht problemfrei. Insbesondere für die Zeit der sprachlichen Eingliederung<br />
gab es für alle Befragten ernsthafte Umstellungsprobleme, die insbesondere<br />
vom Nichtverstehen des Schulstoffes und der deutschen Mitschüler geprägt<br />
waren (für Sascha war dies sogar bis zum Schulabschluss der Fall). Aber<br />
ganz wesentlich unterschiedlich war das Schulklima, auf welches die<br />
Jugendlichen trafen. Hier gab es sowohl durch Lehrer und Sozialarbeiter als<br />
auch durch Mitschüler <strong>eine</strong> hilfreiche Netzwerkbildung, die sich in den<br />
meisten Fällen auch über den Schulabschluss hinaus fortsetzte 243 . Von<br />
Gewalterfahrungen oder Kommunikationsproblemen in den Schulen<br />
berichteten die jugendlichen Aussiedler so gut wie überhaupt nicht 244 . Die<br />
Schulen, die diese Jugendlichen besuchten, waren vorbereitet und<br />
ausgerichtet auf die Integration von Aussiedler-Jugendlichen, die sich u. a.<br />
in den Jahren zuvor in diesem <strong>Berliner</strong> Wohngebiet verstärkt angesiedelt<br />
hatten. Der pädagogische Auftrag wird bis heute in diesen Schulen als weit<br />
über die bloße Wissensvermittlung hinausgehend betrachtet, so dass jeder<br />
der Schüler das ihm persönlich mögliche Bildungsziel erreicht 245 .<br />
Hilfestrukturen für verschiedene Problemlagen (so eben auch die Hilfe im<br />
Übergang von der Schule in die Ausbildung für die Jugendlichen) haben<br />
sich über die vergangenen Jahre zielgruppenspezifisch auch im<br />
Wohnumfeld mit der Zeit entwickelt und vernetzt.<br />
Lediglich Olga berichtet über kommunikative Probleme mit <strong>eine</strong>r Lehrerin<br />
an <strong>eine</strong>m <strong>Berliner</strong> Oberstufenzentrum, welches den Erfolg ihrer<br />
Bildungslaufbahn beinahe negativ beeinflusst hätte, indem sie den Übergang<br />
in <strong>eine</strong>n anderen Lehrgang nicht befürwortete und damit die Zielstellungen<br />
Olgas hätte verhindern können. Sie konnte sich aber dieser gegenüber mit<br />
Unterstützung durchsetzen und damit ihre persönlichen Ziele weiter<br />
verfolgen.<br />
Die primären Schulerfolge waren aber nicht allein wesentlich für die<br />
nachfolgenden Erfahrungen im Übergangsprozess. Aus den Interviews ergab<br />
sich auch, dass ein fehlender Schulabschluss oder „nur“ ein Hauptschulabschluss nicht<br />
notwendig <strong>eine</strong>n weiterhin negativen Verlauf im Bewerbungsprozess nach sich ziehen<br />
242<br />
Da er aber bereits <strong>eine</strong>n primären Hauptschulabschluss besaß, verlor er so „nur“ die Chance auf<br />
<strong>eine</strong> Verbesserung s<strong>eine</strong>s Schulabschlusses.<br />
243<br />
während die türkischen Schüler diese Kontakte in die ehemaligen Schulen nicht beibehielten<br />
244<br />
Das muss allerdings nicht bedeuten, dass es dort nicht auch Auseinandersetzungen gegeben<br />
hat. Sie sch<strong>eine</strong>n aber entweder nicht bestimmend für das Schulklima gewesen zu sein oder aber<br />
die Jugendlichen verschwiegen bewusst diese Erfahrungen. Es kann also lediglich von den<br />
Aussagen ausgegangen werden, die die Jugendlichen im Interview tatsächlich gemacht haben.<br />
245<br />
dies wird u. a. deutlich an <strong>eine</strong>r Aussage der Sozialarbeiterin der Thüringen-OS: „Wenn ein<br />
Schüler k<strong>eine</strong>n ordentlichen Schulabschluss erreicht, dann haben wir in unserer Arbeit <strong>eine</strong>n Fehler<br />
gemacht.“<br />
128
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
musste. Die „Weichenstellungen“ am Ende dieser Schulphase und ebenso wie jeder<br />
weiteren Etappe waren dafür genauso wesentlich 246.<br />
Eine wichtige Rolle scheint dabei den Lehrkräften zuzukommen, mit denen<br />
die Jugendlichen zu tun haben. Sofern unterschiedlichste Probleme an<br />
wesentlichen Punkten der Bildungslaufbahn das Verhältnis negativ<br />
beeinflussen oder dieses Verhältnis durch die Jugendlichen selbst als negativ<br />
wahrgenommen wird, so können sich daraus folgenreiche<br />
Fehlentwicklungen für die Zukunft ergeben 247. 7.6.4.<br />
Die Lehrer tragen <strong>eine</strong> hohe<br />
Verantwortung innerhalb der Schulzeiträume für den weiteren Verlauf.<br />
Besonders offensichtlich war dies in den Erzählungen über die<br />
Oberstufenzentren erkennbar. Diese sind charakterisiert u. a. dadurch, dass<br />
die hier zusammenkommenden Schüler sich zunächst fremd sind, also nicht<br />
ihre bisherige Kindheit und Jugend zusammen verbracht haben, wie das an<br />
<strong>eine</strong>r Primärschule der Normalfall ist. Die Jugendlichen verbringen dort<br />
auch nur <strong>eine</strong> relativ kurze Zeit von zumeist <strong>eine</strong>m Jahr gemeinsam. In<br />
dieser Zeit findet sowohl der Gruppenbildungsprozess statt, zumal unter<br />
Jugendlichen in <strong>eine</strong>m allgemein „schwierigen Alter“. Und auch die<br />
schulischen Voraussetzungen sollen verbessert werden, die für die weitere<br />
Zukunft wesentlich, wenn nicht gar entscheidend, werden können. In<br />
diesem Ausbildungsgang kommt somit den Lehrkräften <strong>eine</strong> sehr wichtige<br />
Aufgabe zu, die Anforderungen an ihre pädagogischen Fähigkeiten sind<br />
entsprechend groß. Nicht in jedem Falle werden Lehrkräfte diesen<br />
Anforderungen in erforderlichem Maße gerecht. Anders sind die<br />
problematischen Erfahrungen in den weiterführenden Schulen nicht zu<br />
interpretieren von Schülern, die in ihrer bisherigen Schullaufbahn bisher<br />
k<strong>eine</strong> derartigen Schulprobleme zu berichten hatten. Die Jugendlichen,<br />
welche zum Interviewzeitpunkt das Berufsvorbereitungsjahr besuchten,<br />
berichteten dagegen nicht von solchen Erfahrungen. Die Bildungseinrichtung<br />
hatte u. a. mehrere Sozialarbeiter für unterschiedliche Aufgaben<br />
angestellt, unter denen sich die Jugendlichen ihre Ansprechpartner z. T.<br />
sogar aussuchen konnten.<br />
Bezüge zur Arbeitsmarktbehörde<br />
Die Jugendlichen wurden durchweg in den örtlich zuständigen<br />
Arbeitsmarktbehörden betreut 248 .<br />
Zunächst kann festgestellt werden, dass die befragten Jugendlichen fast<br />
durchweg große Informationsdefizite zu den vorausgegangenen<br />
246 Dies zeigt u. a die anfangs durchaus positive Entwicklung Murats, der mit dem Hauptschulabschluss<br />
zur Verbesserung s<strong>eine</strong>r schulischen Voraussetzungen auf ein Oberstufenzentrum ging<br />
und dann <strong>eine</strong>n negativen Einschnitt erlebte, welcher bis zum Interviewzeitpunkt nicht korrigiert<br />
werden konnte. Im Gegensatz dazu kann Tariks Nachholen des Schulabschlusses durch die<br />
berufsvorbereitende Maßnahme gesehen werden oder auch die Chancen Tanjas, die mit der<br />
Möglichkeit <strong>eine</strong>r ihre Mutterschaft berücksichtigenden Ausbildung inklusive Nachholen des<br />
Schulabschlusses durchaus in relativ kurzer Zeit all ihre gegenwärtig negativen<br />
Zugangsvoraussetzungen korrigieren könnte.<br />
247 Dies wird insbesondere an partiellen Entwicklungen Dunyas, Murats oder Tariks ersichtlich.<br />
248 Dies werden in der Regel die zuständigen JobCenter sein.<br />
129
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Arbeitsmarktreformen aufwiesen 249 . Fast alle der Befragten kannten nicht<br />
den gegenwärtigen Namen dieser Einrichtung. Die Bezeichnungen<br />
„Arbeitsamt“, „Arbeitsagentur“ und „JobCenter“ konnten nur selten richtig<br />
zugeordnet werden und auch deren Aufgaben waren unklar. Hier gab es im<br />
Wesentlichen k<strong>eine</strong> erkennbaren Unterschiede zwischen türkischen<br />
Jugendlichen und jugendlichen Aussiedlern oder Mädchen und Jungen.<br />
Auch in anderen grundlegenden Fragen wussten die meisten Jugendlichen<br />
kaum Bescheid 250 . Die Inhalte der neuen Arbeitsmarktgesetze sind bei den<br />
befragten Jugendlichen bisher also kaum angekommen. Und sie kennen<br />
damit auch kaum den Handlungsrahmen, in welchem sie sich in der<br />
Übergangsphase von der Schule in Ausbildung und Beruf bewegen.<br />
Unterschiede gab es hinsichtlich der ersten Kontaktaufnahme der<br />
Jugendlichen mit der zuständigen Arbeitsmarktbehörde. Fast alle befragten<br />
Jugendlichen hatten zwar während der Schulzeit schon das<br />
Berufsinformationszentrum (BIZ) besucht, aber nur die jugendlichen<br />
Aussiedler hatten sich auch schon während der Schulzeit bei den Betreuern<br />
der Arbeitsmarktbehörde vorgestellt und die beruflichen Ziele und<br />
Umsetzungsmöglichkeiten mit diesen besprochen 251 . Die türkischen<br />
Jugendlichen wurden dagegen für den Erstkontakt zumeist erst nach<br />
Beendigung der Schule durch Anschreiben kontaktiert.<br />
Ein wesentlicher Teil der Jugendlichen hatte zu der sie betreuenden<br />
Behörde <strong>eine</strong> eher reservierte oder kritische Haltung. Es gab aber auch<br />
positive Einstellungen 252 oder neutrale 253 , besonders bei den Mädchen.<br />
Die von den Jugendlichen geäußerte Meinung war wesentlich von den<br />
bisherigen Erfahrungen abhängig. Als besonders wichtig für die<br />
Jugendlichen selbst stellte sich die persönliche Beziehung heraus, die zu<br />
dem jeweiligen Vermittler entwickelt wurde. Dies lässt sich besonders<br />
anschaulich an zwei Extremfälle beschreiben. Für Olga war das Verhältnis<br />
zu ihrer Vermittlerin von Vertrauen geprägt und über <strong>eine</strong>n längeren<br />
Zeitraum konstant. Entsprechend kooperativ war sie auch in der<br />
Zusammenarbeit mit dieser. Darüber hinaus war diese Zusammenarbeit<br />
bisher auch erfolgreich, selbst wenn Olga dabei nur schrittweise ihren<br />
beruflichen Zielvorstellungen näher kam. Im Gespräch mit der Vermittlerin<br />
wurde immer wieder auch überlegt, welche Maßnahmen hilfreich für das<br />
Erreichen dieses Ziel sein könnten. Dagegen wurde bei Dunya das<br />
Verhältnis zu dem Vermittler der zuständigen Behörde gleich zu Beginn<br />
dadurch gestört, dass ihr Wunsch nach Wiederaufnahme ihrer<br />
Schullaufbahn nicht berücksichtigt wurde 254 . Die Vermittlung in <strong>eine</strong> MAE<br />
zur zeitlichen Überbrückung bis zu <strong>eine</strong>m möglichen Schulbeginn wurde<br />
249<br />
Nicht festgestellt werden konnte allerdings der konkrete Umfang dieser Informationsdefizite, da<br />
die Befragung nicht zielgerichtet auf die Ermittlung der Wissenslücken ausgerichtet war. Es konnte<br />
lediglich punktuell anhand einzelner Indikatoren wie der Benennung der betreuenden Behörde oder<br />
das Anrecht auf Bezug von Leistungen nach SGB2 nachgewiesen werden. Von den Defiziten<br />
bezüglich dieser grundlegenden Informationen kann allerdings ein gewisser Rückschlus auf<br />
umfassendere Wissenslücken zu den gegenwärtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen gezogen<br />
werden.<br />
250<br />
siehe Fallbeschreibungen<br />
251<br />
In Marzahn-Nord gibt es für die Zielgruppe der jugendlichen Aussiedler <strong>eine</strong> spezielle<br />
Ansprechpartnerin, mit welcher fast alle der Befragten auch gesprochen hatten während der<br />
Schulzeit. Hier gibt es regional <strong>eine</strong> gute Koordination zwischen Schule (insbesondere die<br />
Sozialarbeiterin) und der Arbeitsmarktbehörde.<br />
252<br />
hier insbesondere Olga<br />
253<br />
Tanja und Dilan<br />
254<br />
mindestens ist dies so bei Dunya angekommen<br />
130
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
wenig geschickt an diese vermittelt. Damit erschien ihr die Maßnahme als<br />
<strong>eine</strong> Art Zwangsmaßnahme. Unterstützung in der Realisierung dieser<br />
Auflage wurden ihr ebenfalls nicht gewährt. Bis zum Interviewzeitpunkt<br />
mied Dunya daraufhin jeden weiteren Kontakt zu der Behörde, unterbrach<br />
damit aber auch jede Möglichkeit für <strong>eine</strong> weitere Vermittlung oder<br />
anderweitige Unterstützungsmaßnahmen durch die Behörde. Jede weitere<br />
Einflussnahme auf ihre berufliche Entwicklung war damit vorerst<br />
unmöglich geworden.<br />
Aber auch für die anderen befragten Jugendlichen war das bisherige Erleben<br />
in der Zusammenarbeit mit den Vermittlern wesentlich vor allem für ihre<br />
Kooperationsbereitschaft. Insbesondere die Jungen äußerten z. T. deutliche<br />
Kritik an den als unpersönlich empfundenen Terminen beim Vermittler, in<br />
denen im wesentlichen nach <strong>eine</strong>r oft sehr langen Wartezeit nur im<br />
Computer nachgeschaut wurde, ob es aktuell Stellenausschreibungen für sie<br />
gäbe, darüber hinaus aber kaum Unterstützung geboten wurde 255 . Kritisiert<br />
wurden neben der unpersönlichen „Abfertigung“ besonders die als<br />
ineffizient empfundenen Abläufe (z. B. lange Wartezeiten, nach unverständlichen<br />
Regeln wechselnde Vermittler, wenig kompetente oder/ und<br />
überforderte Mitarbeiter). Diese Jugendlichen hatten ein eher distanziertes<br />
Verhältnis zu dem betreuenden Vermittler 256 , die Termine in der Behörde<br />
wurden mitunter wie <strong>eine</strong> Art Rapport beschrieben.<br />
Die Mädchen verhielten sich tendenziell kooperativer im Umgang mit den<br />
Vermittlern 257 . Sie waren auch deutlich zufriedener mit den bisherigen<br />
Kontakten, äußerten sich entweder sehr positiv oder kaum bis neutral dazu.<br />
Sie wünschten sich aber ebenso wie die Jungen <strong>eine</strong> bessere Betreuung,<br />
insbesondere konkretere Unterstützungen, z. B. bei der Vorbereitung von<br />
Vorstellungsgesprächen. Die Jungen äußerten außer der angesprochenen<br />
Kritik dagegen kaum konkrete Wünsche an die Vermittler, ausgenommen<br />
den Wunsch nach direkter Vermittlung in <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz.<br />
Auch die mitunter fehlende Kontinuität in der Zusammenarbeit mit<br />
zuständigen Vermittlern wurde von Jugendlichen angesprochen. Der<br />
Wechsel von Zuständigkeiten wurde dabei als unverständlich, die mit dem<br />
Wechsel verbundene Neuorientierung auf den nun zuständigen Vermittler<br />
als störend empfunden. Zu <strong>eine</strong>m neuen Vermittler musste das schon<br />
einmal aufgebaute Vertrauen immer wieder neu erarbeitet werden. Es<br />
konnten sich auch Veränderungen in der Zusammenarbeit und für<br />
vereinbarte Ziele dadurch ergeben. Dies wird als irritierend und<br />
unverständlich durch die Jugendlichen erlebt 258 .<br />
Ein weiterer die Zusammenarbeit mit den Vermittlern beeinflussender Aspekt war die<br />
Berücksichtigung der beruflichen Wünsche und Zielstellungen der Jugendlichen 259 . Dieser<br />
Faktor bestimmte die Beziehung zum Vermittler und die allgem<strong>eine</strong><br />
Zufriedenheit mit der Behörde wesentlich. Für <strong>eine</strong>n Großteil der<br />
255<br />
siehe Fallbeschreibungen von Murat, Jurij und Sascha<br />
256<br />
Da diese Art der Kritik vor allem durch die Jungen kam, wäre zu fragen, ob das besonderes<br />
spezifisch für Jungen ist (auch ohne Migrationshintergrund evtl.), ob also entweder das Verhältnis<br />
der Jungen zu den Vermittlern besonders schlecht ist oder ob sie dies vielleicht auch eher<br />
kritisieren, als dies die Mädchen tun würden.<br />
257<br />
mit Ausnahme von Dunya<br />
258<br />
siehe hierzu v.a. Jurij, aber auch Sascha<br />
259<br />
wahrgenommen durch die Jugendlichen vor allem als Ernstnehmen ihrer Persönlichkeit durch<br />
die Vertreter der Behörde<br />
131
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Jugendlichen wurden nach Beendigung der Schule Maßnahmen gefunden,<br />
die diese förderten und in Übereinstimmung mit den persönlichen<br />
Wünschen nach Schritten in Richtung auf <strong>eine</strong> Berufsausbildung gesucht 260 .<br />
Die Unzufriedenheit Dunyas mit der als Zwangsmaßnahme wahrgenommenen<br />
Vermittlung in <strong>eine</strong> MAE und die daraus resultierenden Folgen<br />
wurde bereits dargestellt. Aber auch Sascha, der zum Interviewzeitpunkt in<br />
<strong>eine</strong>r MAE beschäftigt war, war mit dieser sehr unzufrieden. Entscheidend<br />
für ihn war dabei, dass sein Wunsch nach weiterer Sprachförderung nicht<br />
berücksichtigt wurde. Auch <strong>eine</strong>n Qualifizierungsanteil gab es innerhalb der<br />
Maßnahme nicht 261 . Nach Beendigung der MAE würde er daher mit der<br />
Suche nach Möglichkeiten zur gewünschten Sprachförderung fortfahren.<br />
Die Maßnahme war für ihn lediglich mit dem Aufschieben s<strong>eine</strong>s Wunsches<br />
verbunden, und damit auch mit dem Aufschieben der nachfolgenden Suche<br />
nach <strong>eine</strong>m Ausbildungsplatz.<br />
Die Zusendung von Ausschreibungen für Ausbildungsplätze wurde von den zwei<br />
Jugendlichen als ineffizient kritisiert, die sich bereits ernsthaft auf der Suche nach <strong>eine</strong>r<br />
Ausbildung befanden 262. Beide Jugendlichen berichteten ziemlich gleich<br />
lautend, dass die ihnen zugesandten Ausschreibungen sie oft erst erreichten,<br />
wenn sie dieselben in Kooperation mit den betreuenden freien Trägern<br />
schon selbst herausgesucht und oft auch schon verschickt hatten. Auch die<br />
anderen Jugendlichen hatten meist über ihren Freundeskreis erfahren, dass<br />
die Bewerbungen über den bis heute üblichen Weg der Bewerbung auf<br />
öffentlich ausgeschriebene Stellen sehr schwer sei, da dies mit vielen<br />
Ablehnungen verbunden war. Sie projizierten diese Fremderfahrungen oft<br />
auch auf die eigenen Erwartungen.<br />
Selbst echte Betreuungs- und Beratungsfehler konnten im Einzelfall den<br />
Interviews entnommen werden. Diese waren den Jugendlichen selbst meist<br />
nicht bekannt, da sie den Handlungsrahmen nicht kannten und beurteilen<br />
konnten, in welchem sie sich bewegten. Es gab fehlenden Leistungsbezug<br />
von ALG II, aber auch fehlerhafte Vermittlungen in Maßnahmen. Saschas<br />
MAE-Vermittlung wurde bereits besprochen, ebenso Dunyas Fall. Dilan<br />
und Olga entsprachen mit ihrem Realschulabschluss nicht der Zielgruppe<br />
<strong>eine</strong>r Berufsvorbereitungsmaßnahme, die im Wesentlichen dem Nachholen<br />
des Hauptschulabschlusses dient. Murat sollte trotz des schon vorhandenen<br />
Hauptschulabschlusses in <strong>eine</strong> MDQM-Maßnahme vermittelt werden, die<br />
ursprünglich Jugendlichen ohne Schulabschluss vorbehalten sein sollte.<br />
Zwei der befragten Jugendlichen erhielten trotz Anspruchsberechtigung<br />
k<strong>eine</strong> Leistungen nach ALG II 263 . Sie hatten erst zum Interviewzeitpunkt<br />
etwa überhaupt diese Leistungen beantragt, weil sie das 18. Lebensjahr<br />
vollendeten 264. Selbst wenn diese hier aufgezählten Tatsachen den<br />
betroffenen Jugendlichen nicht bekannt waren, so hatten und haben sie<br />
260 Jurij: OSZ mit Realschulabschluss; Olga: OSZ und Berufsvorbereitungsjahr; Murat: zunächst<br />
ebenfalls OSZ; Tanja: Anmeldung auf <strong>eine</strong> speziell auf ihre Situation ausgerichtete Ausbildung mit<br />
Nachholen des Schulabschlusses; Tarik und Dilan: Berufsvorbereitungsjahr<br />
261 zu diesem Zeitpunkt konnte noch nicht für alle Maßnahmen in Berlin ein Qualifizierungsanteil<br />
organisiert werden, obwohl die Maßnahmen bereits durchgeführt wurden<br />
262 Murat und Jurij hatten bereits längere Zeit die Schule hinter sich gelassen und auch darauf<br />
aufbauende schulische Maßnahmen bereits hinter sich gebracht, die ihre Zugangsvoraussetzungen<br />
verbessern sollten, für Jurij erfolgreich, für Murat dagegen nicht.<br />
263 Siehe Murat und Dilan<br />
264 Anspruchsberechtigung besteht ab dem15. Lebensjahr, praktisch gleich nach Schulabschluss.<br />
Ursache für die verspätete Antragstellung mag gleichmäßig das eigene Unwissen über die<br />
grundsätzlichen Rechte im Rahmen der Arbeitsmarktgesetze, aber auch die fehlende oder gar<br />
falsche Beratung dazu gewesen sein.<br />
132
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
doch in der Folge Auswirkungen, wie z. B. das Fortdauern finanzieller<br />
Abhängigkeit von den Eltern oder <strong>eine</strong> nicht zielgruppengerechte<br />
Förderung in <strong>eine</strong>r Maßnahme.<br />
Wesentlich für die Beurteilung der Arbeitsmarktbehörden war für die Jugendlichen auch,<br />
ob die bisherige Zusammenarbeit als erfolgreich erfahren wurde, ob es die<br />
Jugendlichen also nach eigener Einschätzung weiter gebracht hat, oder ob<br />
die Termine vorrangig als zeitraubend und erfolglos gewertet wurden. Als<br />
erfolgreich wurde in diesem Zusammenhang nicht allein die Vermittlung in<br />
Ausbildung empfunden (alle befragten Jugendlichen waren ja bisher<br />
unversorgt), sondern auch erfolgreiche Schritte in diese Richtung, die ihre<br />
Chancen darauf verbesserten.<br />
Den Fähigkeiten des Vermittlers kommt u.a. aus den hier geschilderten Gründen <strong>eine</strong><br />
sehr wichtige Bedeutung zu. Sein Wissen und s<strong>eine</strong> Kompetenz wie s<strong>eine</strong> Fähigkeiten im<br />
Umgang mit den Jugendlichen und deren Vermittlung in Fördermaßnahmen hat<br />
wesentlichen Einfluss auf die weiteren Entwicklungen im Übergangsprozess und damit<br />
für die beruflichen Perspektiven der Jugendlichen. Er hat damit, ähnlich den Lehrern<br />
an Schulen und weiterführenden Bildungsträgern, <strong>eine</strong> Verantwortung den<br />
Jugendlichen gegenüber, da auch hier für das weitere Leben der<br />
Jugendlichen die „Weichen gestellt“ werden.<br />
Aus den Interviews der Jugendlichen geht hervor, dass die Vermittler diesen<br />
Aufgaben sehr unterschiedlich gerecht wurden. Es gibt in mancherlei<br />
Hinsicht sowohl positive Beispiele 265 , aber auch durchaus negative 266 . Die<br />
Entscheidungen der Vermittler und die Qualität der Beziehung zu den<br />
Jugendlichen zeigten aber in jedem Falle Auswirkungen auf deren weiteren<br />
Übergangsverlauf. Ein distanziertes Verhältnis anstelle <strong>eine</strong>r guten<br />
Kooperation können Verzögerungen bewirken, negative Erfahrungen die<br />
Kooperationsbereitschaft beeinträchtigen, wodurch wiederum <strong>eine</strong><br />
erfolgreiche Maßnahme gefährdet werden kann und/ oder aufgrund der<br />
gestörten Kommunikation ein Vermittlungshindernis entsteht. Die individuell<br />
empfundene Beziehung zum Vermittler wird von den Jugendlichen dabei auch insgesamt<br />
auf die Behörde als Ganzes übertragen, da dieser Kontakt die Erfahrung mit der<br />
Behörde wesentlich prägt.<br />
Zusammengefasst: Wesentliche Einflüsse der betreuenden Stellen auf<br />
den Übergangsverlauf der befragten Jugendlichen liegen in der<br />
Qualität der Beziehung zum Vermittler, dessen persönlichen<br />
Vermittlungskompetenzen und Fähigkeiten, <strong>eine</strong>r Kontinuität in der<br />
Zusammenarbeit, der Berücksichtigung von tatsächlichen<br />
beruflichen Wünschen und Zielen der Jugendlichen sowie der<br />
Vermittlung in individuell angepasste hilfreiche Fördermaßnahmen –<br />
letztlich in <strong>eine</strong>r als erfolgreich erlebten Zusammenarbeit. Dies waren<br />
die entscheidenden Kriterien in der Beurteilung der für sie<br />
zuständigen Arbeitsmarktbehörden durch die Jugendlichen selbst,<br />
die aus den Interviews herausextrahiert werden konnten. Fast alle<br />
Jugendlichen äußerten außerdem Wünsche, die ein stärkeres<br />
Einbeziehen sozialarbeiterischer Tätigkeiten in die Betreuung durch<br />
die Vermittler beinhalten sollten anstatt <strong>eine</strong>r bloßen Verwaltung, wie<br />
sie von ihnen vielfältig erlebt wurden.<br />
265 Siehe insbesondere Tarik und Olga, auch Tanja<br />
266 Jurijs Verhältnis zur Behörde ist überwiegend distanziert und kritisch; Dunya meidet aufgrund<br />
des missglückten Erstkontaktes die Behörde vorerst ganz, kritisch weiterhin: Sascha<br />
133
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
7.6.5. Hilfeorientierung bei freien Trägern und anderen Hilfeanbietern<br />
Hilfe und Unterstützung bei verschiedenen freien Trägern werden in der<br />
Regel aus eigenem Entschluss aufgesucht, also freiwillig. Vorausgegangen ist<br />
normalerweise ein Nachdenken bei den Jugendlichen selbst über das Wesen<br />
ihrer Problemlage, die nicht aus eigenem Wissen bewältigt werden kann und<br />
die Suche nach kompetenten Lösungspartnern.<br />
Dies allein bietet <strong>eine</strong> komfortable Ausgangs-Situation für die Beratenden<br />
der freien Träger, da sie im Wesentlichen von kooperierenden Hilfe-<br />
Nachfragenden ausgehen können. Nichtsdestotrotz birgt die niedrigschwellige<br />
Anlaufmöglichkeit der freien Träger auch ein Risiko, da erst sich<br />
aufbauendes Vertrauen durch die Jugendlichen auch <strong>eine</strong> langfristige<br />
Zusammenarbeit ermöglicht.<br />
Die Jugendlichen haben hier in der Regel, anders als in den Behörden,<br />
persönlich ansprechbare und langfristige Berater. Ihnen kommt <strong>eine</strong><br />
individuelle Unterstützung zuteil, die abgestimmt ist auf deren Nachfrage.<br />
Eine konkrete Situation wird über <strong>eine</strong>n längeren Zeitraum bearbeitet,<br />
besprochen und nach Lösungsmöglichkeiten gesucht 267 . Die Umsetzung des<br />
Besprochenen selbst liegt aber in der Verantwortung der Hilfe-<br />
Nachfragenden selbst. Es findet demzufolge im Zuge der Betreuung auch<br />
ein Lernen von Eigenverantwortlichkeit statt, das die Kompetenzen der<br />
Hilfe-Nachfragenden nach und nach verbessert und sie im besten Falle<br />
stärkt.<br />
Schon auf den ersten Blick war aus den Interviews erkennbar, dass sich die<br />
beiden Zielgruppen in der Hilfeorientierung und besonders die<br />
Hilfeeinbindung unterscheiden. Auffällig ist dabei die tendenziell geringere<br />
(persönliche) Eingebundenheit der befragten türkischen Jugendlichen in Hilfestrukturen<br />
im Vergleich mit den jugendlichen Aussiedlern. Obwohl es im Rahmen der Studie<br />
nicht möglich war, die im Wohngebiet ansässigen Einrichtungen detailliert<br />
mit einzubeziehen, so kann den Interviews immerhin entnommen werden,<br />
dass es in jedem der Wohngebiete (Kieze) prinzipiell gesehen durchaus<br />
Einrichtungen für die Jugendlichen gab, an die sich die Jugendlichen im<br />
Bedarfsfalle wenden könnten 268 . Die befragten Jugendlichen waren über<br />
diese Einrichtungen vermittelt worden und kannten diese somit auch.<br />
Die jugendlichen Aussiedler suchten bedarfsorientiert und gezielt<br />
Hilfemöglichkeiten für konkrete Hilfestellungen, und wählen dabei<br />
diejenigen aus, die den erhofften Erfolg nach eigener Einschätzung<br />
erwarten ließen. Aufgesucht wurden insbesondere diejenigen Einrichtungen,<br />
welche schon über <strong>eine</strong>n längeren Zeitraum, meist über kulturelle<br />
Angebote, bekannt waren, zu denen also ein gewisses Vertrauen bereits<br />
aufgebaut worden war.<br />
Dies war bei den türkischen Jugendlichen prinzipiell gesehen nicht anders<br />
als bei den jugendlichen Aussiedlern. Trotzdem war deren Kontakt zu den<br />
Einrichtungen bei fast allen Befragten durchweg eher sporadisch, weniger<br />
eng und kontinuierlich, obwohl die Grundvoraussetzungen ähnlich waren.<br />
267 Dazu gehört u. a.: das Besprechen und Festlegen von Berufswünschen, konkrete Probleme bei<br />
der Erstellung von Bewerbungsunterlagen, in der Strategieentwicklung zur Verbesserung von<br />
Zugangsvoraussetzungen, das Erforschen von freien Ausbildungsstellen, von Möglichkeiten der<br />
kommunalen Berufshilfe-Maßnahmen zur Unterstützung dabei (Berufsvorbereitungsjahr z.B.), die<br />
Kooperation mit Behörden, Begleitung bei Behördengängen oder die Entwicklung von neuen<br />
Strategien nach langem Scheitern in den Bewerbungsbemühungen, auch die Wiederaufnahme der<br />
Betreuung bei Scheitern <strong>eine</strong>r Ausbildung<br />
268 In den Stadtbezirken Marzahn und Schöneberg wurden die jeweiligen Einrichtungen, über die<br />
die Jugendlichen vermittelt wurden, auch besucht und Verantwortungsträger befragt.<br />
134
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Ein Anhaltspunkt, mit dem man der Ursache näher kommen könnte, ergab<br />
sich aus dem Interview mit Murat. Er hatte solange <strong>eine</strong>n engen und<br />
kontinuierlichen Kontakt zu <strong>eine</strong>r Jugendeinrichtung, wie es <strong>eine</strong>n<br />
Sozialarbeiter gab, dem er Vertrauen entgegen brachte 269 . Seit dem dieser<br />
nicht mehr in der Einrichtung arbeitet, hat Murat auch zu dieser<br />
Einrichtung zwar noch Kontakt, aber nur sporadisch, nicht mehr so<br />
kontinuierlich wie zuvor. Der persönliche Kontakt zu den Sozialarbeitern<br />
zum Interviewzeitpunkt war dagegen nicht mehr so eng 270 . Er suchte diese<br />
zwar auch auf, wenn er konkrete Hilfe in s<strong>eine</strong>n Bewerbungsbemühungen<br />
brauchte, unterbrach diese Kontakte aber auch immer wieder ohne <strong>eine</strong><br />
Begründung.<br />
Vertrauen zu <strong>eine</strong>r konkreten Ansprechperson mag also je nach<br />
persönlichem Hintergrund der Hilfenachfragenden <strong>eine</strong> wichtige Rolle für<br />
den weiteren Verlauf spielen. Auch Jurij erklärte im Interview<br />
beispielsweise, warum er sich in der gewählten Einrichtung gut betreut<br />
fühlte 271 .<br />
Als einzige Erklärung erscheint dieser Anhaltspunkt allerdings nicht<br />
ausreichend. Fraglich bleibt, warum z. B. Dunya selbst dann nicht nach<br />
Hilfemöglichkeiten suchte, als der Bedarf danach schon sehr groß war<br />
angesichts ihrer individuellen Situation, obwohl die Möglichkeiten in ihrem<br />
Kiez durchaus vorhanden waren und sie diese auch bereits seit der Kindheit<br />
kannte. Auch die anderen befragten türkischen Jugendlichen nutzten die<br />
gegebenen Angebote nur gelegentlich, wie auch Murat zum Interviewzeitpunkt.<br />
Dilan und Tarik haben in der Bildungseinrichtung des<br />
Berufsvorbereitungsjahres unterschiedliche Ansprechpartner, mit denen sie<br />
über verschiedene Themen sprechen konnten, auch über Privates.<br />
Außerhalb dieser Einrichtung hatten aber auch sie nur gelegentlich<br />
Anbindung an Hilfemöglichkeiten <strong>eine</strong>s freien Trägers.<br />
Aus den vorliegenden Interviews kann die Frage nach den Gründen für <strong>eine</strong><br />
im Vergleich mit den jugendlichen Aussiedlern geringere Hilfeeinbindung<br />
damit nicht eindeutig beantwortet werden. Andere Ansatzpunkte könnten<br />
sein, dass die Jugendlichen allgem<strong>eine</strong>n ein geringeres Vertrauen in<br />
institutionalisierte Hilfe besitzen. Es ist auch möglich, dass sich die<br />
Erfahrungen der Eltern aus deren Integrationsprozess und den zum<br />
Zuwanderungszeitpunkt in den letzten Jahrzehnten noch geringen<br />
Hilfemöglichkeiten zu <strong>eine</strong>r stärkeren Orientierung auf die eigenen<br />
Fähigkeiten bzw. Hilfeorientierung im persönlichen Umfeld dahingehend<br />
auswirken und sich auch die Jugendlichen der zweiten Generation stärker<br />
auf die eigenen Fähigkeiten konzentrieren 272 . Möglicherweise haben auch<br />
bereits eigene negative Erfahrungen in Institutionen wie der Schule<br />
beispielsweise zu diesem Verhalten beigetragen. Schließlich ist es auch evtl.<br />
269 Dies kann auch im Interview an Aussagen abgelesen werden, die s<strong>eine</strong>n Respekt und die<br />
Bewunderung bis heute ausdrücken, wie „da war auch diese Zeit mit Ö. und so (...), mit denen hab<br />
ich mich richtig gut verstanden“ oder „Den hab ich mir auch an mein Herz geschlossen, das ist ein<br />
richtig Korrekter“ beide: Interview, Seite 7 unten; oder „der war hier Sozialarbeiter, war auch<br />
Ausländer, (...) der war auch Kurde. Deswegen, der hat sich hier auch um die Jugendlichen<br />
gekümmert, so um die... alle hier“ Interview, Seite 12 unten<br />
270 „und seitdem er weg ist, muss ich hier eigentlich nur mit A. und so...“ Interview, Seite 12 unten<br />
271 Jurij: „Naja, das ist eben so ein Mensch, zu dem man immer gerne kommt, mit dem man<br />
quatschen kann, und die dann auch alles, was in ihrer Macht steht... dass sie versucht, dir eben<br />
auch zu helfen. Und es wurde ja vielen hier schon geholfen. Viele haben hier schon über sie eben<br />
<strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz gefunden“<br />
272 Zu dieser Annahme gibt es aus der praktischen Sozialarbeit vielfach Bestätigung.<br />
135
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
möglich, dass ihnen Ansprechpartner in den Einrichtungen aus der eigenen<br />
Herkunfts-Community fehlen. 273<br />
Ungeachtet der unterschiedlichen Hilfeeinbindung zwischen türkischen<br />
Jugendlichen und jugendlichen Aussiedlern kann prinzipiell gesehen<br />
trotzdem ein ähnliches Verhalten festgestellt werden. Die Jugendlichen<br />
kannten die Einrichtungen zumeist schon mindestens seit ihrer Schulzeit.<br />
Sie haben dort auch andere Angebote wahrgenommen, meistens<br />
Freizeitangebote, aber auch schon Hilfsangebote wie z. B. Hausaufgabenhilfe.<br />
Aus der langfristigen Beziehung hatte sich entsprechend <strong>eine</strong><br />
positive Beziehung zu der Einrichtung und zu den Mitarbeitern<br />
aufgebaut 274 . Bezüglich der Angebote zur beruflichen Beratung konnten die<br />
Jugendlichen oft bereits auf Erfahrungen aus ihrem Bekanntenkreis<br />
zurückgreifen und kannten damit auch bereits deren Erfolge. Die hieraus<br />
gewonnene Kompetenzzuschreibung war ein wichtiger Grund für die<br />
Auswahl der Helfer.<br />
Die Unterstützungsangebote der freien Träger orientierten sich eng an den<br />
Bedürfnissen der Nachfragenden - individuelle Probleme, die im<br />
Übergangsprozess nicht durch die Jugendlichen selbst gemeistert werden<br />
konnten oder benötigte Unterstützung im Verlauf des Bewerbungsprozesses.<br />
Es waren in der Regel ganz konkrete praktische Fragen, die von<br />
den Jugendlichen nachgefragt wurden, wie die Information über<br />
Berufsprofile, Hilfestellungen beim Schreiben oder die Korrektur von<br />
Bewerbungen, Nachforschen im Internet über Ausschreibungen oder die<br />
Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche. Die Jugendlichen wurden<br />
unterstützt darin, ihre Bewerbungen zu verbessern, lernten mit der Zeit,<br />
worauf es dabei ankommt und bekamen durch kontinuierliche Beratungen<br />
außerdem Rückmeldungen, die sie motivieren sollen, weiter zu machen und<br />
nicht aufzugeben. Sie wurden real gefordert und auch gefördert<br />
entsprechend ihren eigenen Wünschen, bestimmten damit durch ihre<br />
Mitarbeit auch den weiteren Verlauf selbst, beeinflussten indirekt somit<br />
auch den Erfolg.<br />
Im Allgem<strong>eine</strong>n fühlten sich die Jugendlichen in den Beratungen respektiert<br />
und in ihrem Bedarf nach konkreten praktischen Unterstützungsleistungen<br />
ernst genommen. Der niedrigschwellige Zugang zu den Beratungen<br />
erleichterte ihnen die Nachfrage. In den meisten Einrichtungen gab es nicht<br />
zuletzt weitere Angebote, die sie z. B. für das Treffen mit Gleichaltrigen in<br />
der Freizeit nutzten. Die langfristigen Kontakte nicht nur in der<br />
Berufsberatung führten auch dazu, dass die Jugendlichen ganzheitlich<br />
wahrgenommen wurden, nicht ausschließlich durch den Beratungsbedarf im<br />
Übergangsprozess. Damit konnten unter Umständen auch einmal längere<br />
„Durststrecken“ überwunden werden, die in der gegenwärtigen<br />
Ausbildungsplatzsuche nicht eben selten sind, insbesondere für Jugendliche<br />
mit Hauptschulabschluss (und Migrationshintergrund).<br />
273<br />
Dieser Punkt wäre allerdings stark zu hinterfragen. Denn gerade Dunya hätte in ihrem Kiez<br />
ausreichend Möglichkeiten für Beratungsangebote gehabt, für die auch Ansprechpartner der<br />
eigenen (kurdischen) Community zur Verfügung stehen. Und auch bei den jugendlichen<br />
Aussiedlern ist nicht ausschließlich die Herkunft des Beraters für die Beurteilung des Hilfsangebotes<br />
entscheidend. Die Berater der zielgruppenspezifischen Beratungsstelle bspw. haben k<strong>eine</strong>n<br />
Aussiedler-Hintergrund, werden aber von den Jugendlichen sehr akzeptiert.<br />
274<br />
In diesem Punkt unterschieden sich wie schon beschrieben, die türkischen Jugendlichen von<br />
den jugendlichen Aussiedlern.<br />
136
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
7.6.6. Gegenüberstellung der Unterstützungsleistungen der Arbeitsmarkt<br />
behörden und der freien Träger<br />
Die Unterstützungsangebote in den Arbeitsmarktbehörden und den freien<br />
Trägern wurden von den Jugendlichen subjektiv sehr unterschiedlich<br />
wahrgenommen und eingeschätzt. Sie unterschieden sich allgemein gesehen<br />
in der Wahrnehmung der beiden Zielgruppen in Bezug auf die konkrete<br />
Tätigkeit selbst und auf die Betreuungs-Intensität.<br />
Die Tätigkeit der Vermittler in den Arbeitsmarktbehörden konzentrierte<br />
sich überwiegend darauf, nach der Erstaufnahme der individuellen Situation<br />
öffentliche Ausschreibungen von Ausbildungsstellen an die Jugendlichen zu<br />
versenden. Hilfe bei den Bewerbungen selbst gab es dagegen eher selten.<br />
Diese weitergehende Unterstützung, die auch konkrete praktische<br />
Hilfemaßnahmen bei der Erstellung der Bewerbungsunterlagen etc.<br />
einschließt, wurde von z. T. zielgruppenspezifischen Beratungen in freien<br />
Trägern angeboten. Die Jugendlichen äußerten jedoch in beiden<br />
Zielgruppen vielfach den Wunsch nach <strong>eine</strong>r stärkeren Unterstützung durch<br />
die Arbeitsmarktbehörden selbst.<br />
In den Arbeitsmarktbehörden besteht aus der Sicht der Jugendlichen <strong>eine</strong> deutliche<br />
Differenz zwischen dem konkreten Bedarf an Hilfe und Unterstützung, die von den<br />
Jugendlichen geäußert wird, und der tatsächlichen Betreuung der Vermittler 275 .<br />
Die Arbeitsmarktbehörde erschien in den Berichten der befragten<br />
Jugendlichen als hauptsächlich verwaltend tätig und nur punktuell beratend,<br />
deren Unterstützungen in Form der Zusendung öffentlicher Ausschreibungen<br />
als oft wenig hilfreich. Die Wünsche der Jugendlichen wurden in<br />
diesem Zusammenhang sehr unterschiedlich berücksichtigt, mitunter nach<br />
von diesen nicht ganz nachvollziehbaren Kriterien. Dagegen stand der<br />
individuelle Bedarf der Jugendlichen an konkreten Hilfen und ihre Wünsche<br />
im Zentrum der Beratungsangebote bei den freien Trägern. Diese wurden<br />
daher zumeist als helfend wahrgenommen, auch wegen der auf sie<br />
persönlich ausgerichteten Unterstützung.<br />
Die Zugänge zu den freien Trägern im Vergleich mit der<br />
Arbeitsmarktbehörde waren grundsätzlich ebenfalls sehr unterschiedlich.<br />
Für die Arbeitsmarktbehörde waren häufig lange Anmeldefristen nötig,<br />
Wartezeiten von nicht selten mehreren Stunden wurden als störend<br />
angesehen uvm. Dagegen hatten die Jugendlichen zu den Beratungsangeboten<br />
der freien Träger durch das Prinzip der Niedrigschwelligkeit<br />
kaum große Hürden zu überwinden.<br />
Das Verhältnis zu den Mitarbeitern der Arbeitsmarktbehörde war zumeist<br />
distanziert und die Ansprechpartner konnten nach unbestimmbaren Zeiten<br />
und unverständlichen Regeln auch wechseln. Die Kontakte zu den freien<br />
Trägern bestanden über andere Angebote der Einrichtung dagegen zumeist<br />
schon seit der Schulzeit. Entsprechend verteilt war das Vertrauen zu den<br />
jeweiligen Mitarbeitern 276 .<br />
Die Arbeit der Vermittler der Behörden wurden mitunter als wenig<br />
engagiert, (weniger als erwartbar) wahrgenommen, die Arbeit der<br />
275<br />
Dies gilt prinzipiell für beide Zielgruppen.<br />
276<br />
Nicht zwangsläufig mußte dabei ein langjähriger Kontakt aber auch <strong>eine</strong> gute Beziehung nach<br />
sich ziehen.<br />
137
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Mitarbeiter in den freien Trägern dagegen häufig als sehr engagiert (mehr als<br />
erwartbar).<br />
Die Termine in den Arbeitsmarktbehörden wurden oft lange im Voraus<br />
vereinbart, waren verpflichtend und durften nicht ohne ausreichende<br />
Entschuldigung versäumt werden. Die Beratungen der freien Träger<br />
dagegen wurden in aller Regel freiwillig, aus eigenem Entschluss und<br />
konnten bei Bedarf auch kurzfristig aufgesucht werden.<br />
Vermittlungserfolge wurden den Behörden von den Jugendlichen kaum<br />
zugetraut, oft nicht einmal erwartet, selbst von denjenigen Jugendlichen<br />
nicht, die <strong>eine</strong> eher positive Einstellung zur Arbeitsmarktbehörde hatten.<br />
Den freien Trägern wurde dies jedoch in aller Regel deutlich stärker<br />
zugetraut, was z. T. auf den Erfahrungen aus dem privaten Umfeld/<br />
Freundeskreis der Jugendlichen basierte.<br />
Die Zufriedenheit mit den jeweiligen Einrichtungen und Behörden war von<br />
den hier betrachteten Faktoren wesentlich verursacht. Während die<br />
Wahrnehmung der Arbeitsmarktbehörde im Allgem<strong>eine</strong>n tendenziell eher<br />
negativ hinsichtlich der soeben betrachteten Faktoren war, wurde die<br />
Beratung der freien Träger in dieser Hinsicht zumeist eher positiv<br />
wahrgenommen. Diese sehr unterschiedliche Wahrnehmung hatte <strong>eine</strong>n<br />
nicht unwesentlichen Einfluss auf die Kooperationsbereitschaft der<br />
Jugendlichen. So arbeiteten viele der Jugendlichen freiwillig unterschiedlich<br />
eng mit den freien Trägern zusammen, während diese Kooperationsbereitschaft<br />
mit den Mitarbeitern der Arbeitsmarktbehörde nur selten in<br />
demselben Ausmaß gegeben war. Diese Kooperationsbereitschaft durch die<br />
Jugendlichen dürfte allerdings wiederum k<strong>eine</strong>n unwesentlichen Einfluss auf<br />
den Vermittlungserfolg haben.<br />
7.7. Schlussbetrachtung<br />
Die zuvor beschriebenen, sich gegenüberstehenden und allgem<strong>eine</strong>n<br />
Vergleiche können nicht gleichermaßen auf alle Jugendlichen übertragen<br />
werden. Sie sind lediglich die allgem<strong>eine</strong> Tendenz, die sich in den Interviews<br />
abzeichnete. Individuell betrachtet, sieht das Bild für jeden einzelnen<br />
Jugendlichen häufig etwas anders aus. Hier spielen die Gewichtung und die<br />
Auswirkung der Faktoren <strong>eine</strong> Rolle, die in den vergangenen Abschnitten<br />
behandelt wurden. Sie müssen daher jeweils im Zusammenhang betrachtet<br />
und können nicht isoliert voneinander gesehen werden.<br />
Als Beispiele seien an dieser Stelle die Einzelfälle von Olga und Dunya<br />
angeführt, welche sich in vielerlei Hinsicht diametral gegenüberstehen.<br />
So fühlt sich Olga von der sie betreuenden Vermittlerin in der<br />
Arbeitsmarktbehörde offensichtlich sehr gut betreut und bringt ihr<br />
Vertrauen entgegen, kooperiert eng mit dieser. Sie hat außerdem <strong>eine</strong>n<br />
guten emotionalen Rückhalt in ihrer Familie, obwohl diese inzwischen<br />
außerhalb Berlins wohnt, fühlte sich auch in der Schule schon gut beraten<br />
und betreut, und holt sich aus eigenem Antrieb außerdem noch im<br />
Bedarfsfalle Beratung in der Jugendberufsberatung. Sie fühlt sich<br />
entsprechend rundum gut betreut und schätzt für sich ein, dass sie alle Hilfe<br />
bekommen hat und bekommt, die sie benötigt.<br />
Auf der entgegen gesetzten Seite steht Dunya, deren Hilfeeinbindung<br />
deutlich unterdurchschnittlich ist. Sie hatte <strong>eine</strong> konfliktreiche Schulzeit mit<br />
vielen Problemen und Missverständnissen, bekam dadurch weder viel<br />
138
Überblick über die Gesamtheit der befragten Jugendlichen<br />
Wissen vermittelt, noch hatte sie relevante Ansprechpartner. Auch ihr<br />
Elternhaus ist aus verschiedenen Gründen problematisch zu betrachten.<br />
Freunde hat sie zwar, erzählt aber auch diesen nichts und sucht auch sonst<br />
kaum Hilfe auf, obwohl sie Möglichkeiten dafür kennt. Die zuständige<br />
Arbeitsmarktbehörde meidet sie, weil sie dort <strong>eine</strong>n ähnlichen Konflikt mit<br />
Verantwortungsträgern wie schon in der Schule hatte und sich am Ende<br />
unverstanden fühlte.<br />
Während Dunya infolge des Zusammenspiels der verschiedenen Faktoren<br />
kaum Perspektiven für sich sieht und daher die Wahrscheinlichkeit recht<br />
groß ist, dass sie der traditionellen Frauen-Rolle ihrer Familie folgen wird,<br />
so sehen die Chancen für Olga schon in nächster Zukunft gar nicht schlecht<br />
aus, dass sie den gewünschten Ausbildungsberuf auch bekommen wird.<br />
Während also Dunya recht orientierungslos ist, wirkt Olga deutlich<br />
zuversichtlicher.<br />
Aus den vorangegangenen Ausführungen wird ebenso ersichtlich, dass nicht allein einzelne<br />
Faktoren den Verlauf der Übergangsverläufe für die Jugendlichen bestimmen. Jeder der<br />
Fallbeschreibungen enthält Faktoren, welche zusammenhängend betrachtet, positive oder<br />
negative Einflüsse auf den Übergangsverlauf der Jugendlichen erkennen lassen.<br />
Es folgt daraus ebenso, dass allein aus <strong>eine</strong>r unvorteilhaften Ausgangsposition nach dem<br />
Verlassen der Schule für den betroffenen Jugendlichen nicht zwangsläufig ein weiterhin<br />
negativer Verlauf folgen muss, der Jugendliche also zwangsläufig aufgrund dieser<br />
schlechten Ausgangsposition unversorgt bleiben muss.<br />
Zwar haben alle befragten Jugendlichen bis zum Interviewzeitpunkt k<strong>eine</strong>n<br />
Ausbildungsplatz gefunden, doch sind die Umstände, in denen die<br />
Jugendlichen sich befinden, und die Strategien, die sie für die Bewältigung<br />
der Übergangssituation gewählt haben, durchaus individuell verschieden.<br />
Nicht in jedem Fall ist die bisherige Unversorgtheit aber überhaupt als<br />
Scheitern anzusehen, da <strong>eine</strong> ganze Reihe von Jugendlichen bisher damit<br />
beschäftigt ist oder war, die schulischen Ausgangssituationen zu verbessern,<br />
um die Chancen für <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz zu erhöhen.<br />
139
8. Literaturverzeichnis<br />
Literaturverzeichnis<br />
Bednarz-Braun, Iris/Heß-Meining, Ulrike (2004): Migration, Ethnie und<br />
Geschlecht. Theorieansätze, Forschungsstand, Forschungsperspektive.<br />
Wiesbaden: VS Verlag<br />
Bourdieu, Pierre (1983): Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales<br />
Kapital. In: Kreckel, R. (Hrsg.): Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt,<br />
Sonderband 2: 183-198<br />
Bourdieu, Pierre (1987): Strukturen, Habitusformen, Praktiken.<br />
In: ders.: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt am<br />
Main: Suhrkamp 1987. Kap 3: 97 – 121<br />
Braun, Frank/Lex, Tilly/Rademacker, Hermann (Hrsg.) (2001): Jugend in Arbeit.<br />
Neue Wege des Übergangs Jugendlicher in die Arbeitswelt. Opladen: Leske<br />
und Budrich<br />
Granato, Mona (2003): Jugendliche mit Migrationshintergrund in der beruflichen<br />
Bildung. In: WSI Mitteilungen Heft 8/ 2003<br />
Granato, Mona (2006): Ungleichheiten beim Zugang zu <strong>eine</strong>r beruflichen<br />
Ausbildung: Entwicklungen und mangelnde Perspektiven für junge<br />
Menschen mit Migrationshintergrund. In: Neue Wege für die Ausbildung.<br />
Dokumentation des Fachgesprächs am 26. Juni 2006 in Berlin.<br />
Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen: 39 - 57<br />
Gaupp, Nora/Hofmann-Lun, Irene/Lex, Tilly/Mittag, Hartmut/Reißig, Birgit<br />
(2004a): Schule — und dann? Erste Ergebnisse <strong>eine</strong>r bundesweiten<br />
Erhebung von Hauptschülerinnen und Hauptschülern in Abschlussklassen.<br />
Reihe Wissenschaft für alle. Deutsches Jugendinstitut, München/Halle:<br />
2004<br />
Gaupp, Nora/Lex, Tilly/Reißig, Birgit (2004b): Skeptischer Blick in die Zukunft.<br />
Junge Migrantinnen und Migranten am Ende der Schulzeit. In: Jugend,<br />
Beruf, Gesellschaft, Heft 3/2004: 154 - 162<br />
Hofmann-Lun, Irene/Gaupp, Nora/Lex, Tilly/Mittag, Hartmut/Reißig, Birgit<br />
(2005): Schule – und dann? Förderangebote zur Prävention von<br />
Schulabbruch und Ausbildungslosigkeit. Reihe Wissenschaft für alle.<br />
Deutsches Jugendinstitut München/Halle: 2005<br />
Hofmann-Lun, Irene/Gaupp, Nora, Lex/Tilly; Reißig/Birgit (2006): Längsschnittstudie<br />
zum Übergang Schule – Beruf. Hauptschülerinnen und Hauptschüler<br />
– engagiert, motiviert, flexibel? In: DJI Bulletin, 2006, Heft 73: 16 - 18<br />
Joseph, Peter (2002): Bildung: es geht auch anders, zum Beispiel Finnland. Ein<br />
Reisebericht; unveröffentlichtes Dokument. In: Tagungsskript vom<br />
28.01.06 (Attac-Workshop „Ausgrenzung mit System? Bildungsübergänge<br />
von der Kindertagungsstätte bis zur Hochschule“)<br />
Kuhnke, Ralf (2006): Indikatoren zur Erfassung des Migrationshintergrundes.<br />
Arbeitsbericht im Rahmen der Dokumentationsreihe: Methodische Erträge<br />
aus dem "DJI-Übergangspanel". Wissenschaftliche Texte FSP WT 2/2006.<br />
München/Halle: Deutsches Jugendinstitut<br />
Marquardt, Editha (2004): Evaluation von Qualifizierungsprojekten. Eine<br />
Untersuchung am Beispiel der Qualifizierungsbüros des FSTJ.<br />
140
Literaturverzeichnis<br />
Wissenschaftliche Texte 2/2004. München/ Halle: Deutsches<br />
Jugendinstitut<br />
Mayring, Philipp (1985): Qualitative Inhaltsanalyse In: Jüttemann, Gerd (1985):<br />
Qualitative Forschung in der Psychologie. Weinheim: 187 - 211<br />
Mayring, Philipp (1983): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken.<br />
Weinheim/Basel: Beltz (UTB), 8. Auflage<br />
Purschke, Petra (2000): Die Lebenssituation bosnischer Flüchtlingsfamilien am<br />
Beispiel zweier Falldarstellungen), Diplomarbeit. Berlin<br />
Reißig, Birgit/Gaupp, Nora/Lex, Tilly (2004): Hoffnungen und Ängste -<br />
Jugendliche aus Zuwandererfamilien an der Schwelle zur Arbeitswelt.<br />
Längsschnittstudie zum Übergang Schule - Beruf. In: DJI Bulletin, Heft 69:<br />
4 - 7<br />
Reißig, Birgit/Gaupp, Nora/Lex, Tilly (2005): Sie wollen Bildung und haben wenig<br />
Chancen. DJI-Studie: junge Migranten. In: Erziehung und Wissenschaft, Jg.<br />
57, Heft 2: 20-22<br />
Reißig, Birgit/Nora Gaupp/Tilly Lex (2006a) Längsschnittstudie zum Übergang<br />
Schule-Beruf. Hoffnungen und Ängste – Jugendliche aus<br />
Zuwandererfamilien an der Schwelle zur Arbeitswelt. In: LAG JAW (Hrsg.):<br />
Newsletter Nr. 2, Juni 2006: 3-10<br />
Reißig, Birgit/Gaupp, Nora/Hofmann-Lun, Irene/Lex, Tilly (2006b): Schule —<br />
und dann? Schwierige Übergänge von der Schule in die Berufsausbildung.<br />
Reihe Wissenschaft für alle. Deutsches Jugendinstitut München/ Halle<br />
St<strong>eine</strong>r, Christine (2005): Bildungsentscheidungen als sozialer Prozess. Eine<br />
Untersuchung in ostdeutschen Familien. – Wiesbaden: Verlag für<br />
Sozialwissenschaften<br />
Strauss, Anselm/Corbin, Juliet (1996): Grounded Theory: Grundlagen Qualitativer<br />
Sozialforschung. Weinheim: Beltz, Psychologie Verlags Union<br />
Ulrich, Joachim Gerd (2005): „... Schulnoten sind die <strong>eine</strong> Seite – Fähigkeiten und<br />
Persönlichkeit die andere ...“ oder: Warum tut sich die heutige Jugend beim<br />
Berufsstart so schwer? – verschriftlichter Vortrag der Leipziger<br />
Abschlusstagung „Chancen für Schulmüde“ des Leipziger Netzwerkes<br />
Prävention von Schulmüdigkeit und Schulverweigerung im September 2005,<br />
Aktualisierung der Daten bis Anfang 2006 (unveröffentlicht)<br />
Internet:<br />
Berufsbildungsbericht 2006<br />
(Quelle: http://www.bibb.de/dokumente/pdf/bbb_2006.pdf - 06.01.2006)<br />
Shell-Jugendstudie 2006: Zusammenfassung<br />
(Quelle: : http://www.shell.com/home/Framework?siteId=dede&FC2=/de-de/html/iwgen/leftnavs/zzz_lhn12_6_0.html&FC3=/dede/html/iwgen/about_shell/Jugendstudie/2006/Jugendstudie2006_start.ht<br />
ml -13.11.06)<br />
141
9. Anhang<br />
9.1. Gesprächseinleitung<br />
Anhang<br />
Ich heiße Petra Purschke und arbeite am Deutschen Jugendinstitut in<br />
Halle.<br />
Ich arbeite dort an <strong>eine</strong>r Studie, die sich damit beschäftigt, was Schüler<br />
und Schülerinnen direkt nach der Schule machen, um ihre beruflichen<br />
Ziele zu verwirklichen, welche Pläne und Wünsche sie haben für ihre<br />
berufliche Zukunft. Besonders interessiere ich mich dafür, was du schon<br />
alles unternommen hast, um d<strong>eine</strong> Wünsche umzusetzen. Ich möchte<br />
gerne wissen, an wen du dich gewandt hast, welche Maßnahmen du<br />
absolviert hast und wie hilfreich das für dich im Einzelnen war. Vor<br />
allem interessiert mich dabei auch, wie du d<strong>eine</strong>n bisherigen Übergang in<br />
das Berufsleben erlebt hast, wobei du unterstützt wurdest und was für<br />
dich eher enttäuschend war.<br />
Aus diesem Grund möchte ich heute mit dir sprechen. Neben den eben<br />
genannten Fragen werde ich dich vielleicht auch einiges fragen, was<br />
nicht unmittelbar mit dem Thema zu tun hat, aber trotzdem für mich<br />
wichtig ist, um d<strong>eine</strong> Situation im Ganzen zu verstehen. Zum Abschluss<br />
werde ich mit dir dann <strong>eine</strong>n kl<strong>eine</strong>n Fragebogen ausfüllen.<br />
Bevor wir beginnen, möchte ich dir noch sagen, dass alles, was du mir<br />
erzählst unter uns bleibt. Niemand anderes wird davon erfahren. Es ist<br />
üblich, dass nach dem Interview alle persönlichen Daten anonymisiert<br />
werden. D.h. sie bekommen <strong>eine</strong> Nummer und werden getrennt von<br />
d<strong>eine</strong>n persönlichen Daten aufbewahrt, so dass kein Rückschluss auf<br />
d<strong>eine</strong> Person mehr möglich ist. (Das gleiche gilt für die Aufnahmen, die<br />
dafür gemacht werden, dass ich mich möglichst gut an das erinnern kann,<br />
was du gesagt hast.)<br />
Da das Gespräch freiwillig ist, musst du nicht auf alle Fragen oder<br />
Nachfragen antworten, wenn du es nicht möchtest. Du kannst natürlich<br />
jederzeit selbst Fragen an mich stellen.<br />
Wenn du einverstanden bist, dann fangen wir jetzt an.<br />
142
9.2. Gesprächsleitfaden<br />
Allgem<strong>eine</strong>r Hinweis: Ausrichtung auf möglichst chronologischen/sinnhaften Verlauf<br />
Anhang<br />
(1) Gegenwärtige berufliche Ziele und Wünsche, Herkunft der Wünsche, ursprünglicher<br />
Ausbildungswunsch, Zukunftsvorstellungen<br />
► Einstiegsfrage: Was möchtest du gerne beruflich machen? Warum?<br />
► Hattest du früher auch noch andere Berufswünsche?<br />
► Wie bist du darauf gekommen? Hat dir jemand geholfen, diesen Beruf herauszufinden?<br />
Wer?<br />
► Was war dir am wichtigsten bei d<strong>eine</strong>r Berufswahl?<br />
� helfen: z.B. Art der Tätigkeit, Gemeinschaftssinn, (technisches) Interesse oder Hobby, Ansehen,<br />
Verdienstmöglichkeiten etc.<br />
► Warum glaubst du, dass das der richtige Beruf für dich ist?<br />
(2) Bisherige Umsetzungsstrategien<br />
► Einstieg: Was hast du bisher alles gemacht, um <strong>eine</strong> Ausbildung zu bekommen?<br />
� möglichst chronologisch<br />
► Ab wann hast du begonnen, dich zu bewerben?<br />
► Wie viele Bewerbungen hast du schon geschrieben? Hattest du auch schon<br />
Vorstellungsgespräche?<br />
(3) Allgem<strong>eine</strong> Erfahrungen bei der Ausbildungsplatzsuche (Hilfe und Hemmnisse)<br />
► Einstieg: Welche Erfahrungen hast du ganz allgemein persönlich bei d<strong>eine</strong>n bisherigen<br />
Bemühungen um <strong>eine</strong>n Ausbildungsplatz gemacht?<br />
► Was glaubst du, hat dir geholfen? Warum? Wie?<br />
► Wer hat dir dabei geholfen? An wen hast du dich um Rat/ Unterstützung gewandt?<br />
► Wer hat dir geholfen bei der Auswahl der Ausschreibungen, bei der Erstellung der<br />
Bewerbungsunterlagen, der Vorbereitung von Vorstellungsgesprächen?<br />
► Wie sehr wurde dir wobei geholfen und von wem?<br />
► Wurdest du in Maßnahmen vermittelt? Welche?<br />
� evtl. später weiterverfolgen beim AA (Ergebnis/ Erfolg nachhaken)<br />
► Was hat dir nicht geholfen? Warum nicht?<br />
► Welche Probleme siehst du bei der Suche nach <strong>eine</strong>r Ausbildungsstelle oder <strong>eine</strong>m Job?<br />
Wie willst du sie lösen?<br />
► Hat sich für dich etwas verändert während der Zeit seit dem Schulabschluss? Würdest du<br />
aus heutiger Sicht etwas anders machen?<br />
► Von wem oder woher hättest du gerne noch Hilfe oder Unterstützung bekommen?<br />
Welche Hilfen genau haben dir gefehlt?<br />
► Was fandest du besonders gut bei d<strong>eine</strong>r Lehrstellensuche, was hat dich aufgebaut, dich<br />
motiviert und dir besonders geholfen? Was würdest du anderen Jugendlichen<br />
weiterempfehlen?<br />
► Was hast du dagegen vermisst du/ was vermisst du auf d<strong>eine</strong>r Lehrstellensuche?<br />
► Glaubst du, dass du in vielleicht irgend<strong>eine</strong>r Form benachteiligt wirst, weil du Türke/<br />
Aussiedler bist? Wenn ja, von wem (Arbeitgeber, Institutionen...?) Woran machst du das<br />
fest? Wie wirst du diskriminiert?<br />
(4) Erfahrungen mit Behörden (wie Arbeitsagentur/ JobCenter)<br />
► Einstieg: Welche konkreten Erfahrungen hast du bisher mit der Arbeitsagentur/ dem<br />
JobCenter gemacht? (Kennst du den Unterschied?)<br />
� möglichst chronologisch erzählen lassen<br />
► Wurdest du unterstützt? Wobei? Wie und womit?<br />
► Hast du bisher gute Unterstützung, gute Ansprechpartner dort gefunden?<br />
143
Anhang<br />
► Welche Angebote wurden dir bisher gemacht?<br />
► Maßnahmen: Hast du vom Arbeitsamt oder JobCenter Maßnahmen angeboten<br />
bekommen? Kannst du auch hier der Reihe nach erzählen, was das genau war, was du dort<br />
gemacht hast (wie lange, welche Arbeitsinhalte, Qualifikationsinhalte etc.?)<br />
► Hast du für diese Maßnahmen nachgefragt oder hat man sie dir ohne Nachfrage<br />
angeboten? War das in etwa die Richtung, die du dir gewünscht hast oder etwas ganz<br />
anderes?<br />
� evtl. nachfragen: Wurdest du vielleicht unter Druck gesetzt, die Maßnahme/n anzunehmen?<br />
► Wie sinnvoll fandest du die Maßnahmen? Hat dir das geholfen (wobei?) oder eher nicht?<br />
� evtl. nachfragen: War es für dich eher <strong>eine</strong> Zeitüberbrückung, Zeitverschwendung, Zwangsmaßnahme,<br />
<strong>eine</strong> Möglichkeit, etwas Geld zusätzlich zu verdienen?<br />
► Wurden d<strong>eine</strong> Wünsche dabei berücksichtigt?<br />
► Was würdest du dir wünschen, was die Arbeitsagentur/ das JobCenter tun sollte für dich?<br />
(5) Erfahrungen mit Jugendeinrichtungen, Beratungseinrichtungen, freien Trägern der<br />
Jugendberufshilfe u.ä.<br />
► Einstieg: Hast du als Unterstützung auch Beratungseinrichtungen aufgesucht?<br />
� Als Hilfe Beispiele nennen, falls ihm/ ihr nichts einfällt, Beratungen verschiedener Träger etc.<br />
► Beratung: Welche Hilfe hast du dort bekommen? Kannst du der Reihe nach erzählen, wo<br />
du gewesen bist und welche Hilfen du dort genau bekommen hast?<br />
► Wie hat man dich dort beraten? Und hat dir das geholfen, was man dir dort geraten hat?<br />
Wobei/ wobei nicht? Was fandest du gut, was hat dir vielleicht auch gefehlt?<br />
► Welche Hilfe würdest du dir konkret wünschen? Wobei genau?<br />
► Was fehlt dir vielleicht noch an Hilfe?<br />
(6) familiärer/ elterlicher Hintergrund und dessen Einfluss<br />
► Einstieg: Wie verstehst du dich mit d<strong>eine</strong>n Eltern? Versteht ihr euch gut oder habt ihr<br />
eher Probleme zuhause?<br />
► Haben dich d<strong>eine</strong> Eltern während der Schulzeit unterstützt? Wie und wobei?<br />
► Wie wichtig waren d<strong>eine</strong>n Eltern d<strong>eine</strong> schulischen Leistungen?<br />
► Interessieren sich d<strong>eine</strong> Eltern dafür, welchen Beruf du erlernen möchtest?<br />
► Wie stehen sie zu d<strong>eine</strong>n konkreten beruflichen Wünschen/ Plänen? Unterstützen d<strong>eine</strong><br />
Eltern dich? Oder lehnen sie d<strong>eine</strong> Berufswünsche eher ab?<br />
► Was haben sie getan, um dich bisher zu unterstützen? Wobei haben sie dir geholfen?<br />
� evtl. nachhelfen: emotionaler Rückhalt, Hausaufgabenhilfe, in der Familie oder institutionalisiert etc.<br />
► evtl. Nachfragen: Haben d<strong>eine</strong> Eltern geholfen im Berufswahlprozess, bei der Suche nach<br />
Jobs während der Schule, bei der Lehrstellen-Suche, beim Bewerbungsschreiben, der<br />
Vorbereitung auf Vorstellungsgespräche?<br />
► Wobei haben d<strong>eine</strong> Eltern dir nicht geholfen? Wobei konnten sie dir vielleicht nicht<br />
helfen? Was hat dir an Hilfe oder Unterstützung gefehlt von ihnen?<br />
(7) Schulerfahrungen und deren Einfluss (Lehrer/ Sozialarbeiter)<br />
► Einstieg: Welchen Schulabschluss hast du, mit welchem Durchschnitt?<br />
► Wie gut warst du in der Schule? � Noten zentraler Fächer: Deutsch/ Mathe z.B.<br />
► Gab es Unterstützungen in der Schule zur Verbesserung d<strong>eine</strong>r Leistungen? Ja/ nein?<br />
Welche? Z.B. Förderunterricht? Hausaufgabenhilfe? Hast du daran teilgenommen? Wenn<br />
ja, wie sinnvoll/ hilfreich fandest du die Angebote? Hat dir dabei vielleicht auch etwas<br />
gefehlt?<br />
► Hat es in d<strong>eine</strong>r Schule auch Angebote für die Vorbreitung auf die Berufswahl gegeben?<br />
Z.B. im Unterreicht, Bewerbungstrainings etc.? Welche Angebote genau gab es? Hast du<br />
daran teilgenommen? Wenn ja, wie sinnvoll/ hilfreich fandest du die Angebote? Hat dir<br />
dabei vielleicht auch etwas gefehlt?<br />
144
Anhang<br />
► Hast du Praktika während d<strong>eine</strong>r Schulzeit gemacht? Und Jobs neben der Schule? Wie<br />
viele? Wie gut fandest du das? Hat dir das geholfen? Oder fühltest du dich vielleicht auch<br />
manchmal ausgenutzt dabei?<br />
� Nachfragen: Welcher Betrieb, welcher Beruf, Tätigkeit, wie viele Wochen, Arbeitszeit?<br />
► Wurden die Praktika durch die Schule gefördert? Wie hast du dir die Praktika gesucht? Wie<br />
lange brauchtest du, um <strong>eine</strong>n Praktikumsplatz zu finden?<br />
► (wenn erst kurzzeitig in Deutschland) Hat man dir in der Schule geholfen, dich in Deutschland<br />
einzuleben, dich zurechtzufinden? Hattest du Sprachkurse oder andere Angebote?<br />
Ansprechpartner<br />
� nachhelfen: Lehrer, Schulbeauftragter, Schulmediatoren, Sozialarbeiter, evtl. Schulpsychologe?<br />
► Welche Unterstützung hast du in der Schule vermisst/ hättest du gerne noch gehabt?<br />
Durch wen und welche Hilfe genau sollte das sein?<br />
► Hast du vor, d<strong>eine</strong>n Schulabschluss zu verbessern?<br />
► Hattest du vielleicht manchmal auch Erfahrungen gemacht, dass du ausgegrenzt wurdest<br />
in der Schule? Durch Schüler/ Lehrer? Was und wie genau? Wie oft?<br />
(8) Einfluss von Freunden (sog. peergroup) und Kiezeinfluss<br />
► Einstieg: Wie wichtig ist dir der Kiez, in dem du wohnst? Fühlst du dich hier zuhause?<br />
Was ist dir wichtig hier? Was findest du gut, was nicht so?<br />
► Hast du hier viele Freunde? Nur türkische/ russischsprachige oder auch deutsche?<br />
► Redest du mit d<strong>eine</strong>n Freunden auch über eure berufliche Zukunft? Was sagen d<strong>eine</strong><br />
Freunde über eure berufliche Zukunft?<br />
► Haben d<strong>eine</strong> Freunde ähnliche Berufswünsche wie du?<br />
► Unterstützt ihr euch gegenseitig? Wie und wobei genau?<br />
► Was macht ihr so in eurer Freizeit? „Abhängen“, was unternehmen, tanzen?<br />
► Kannst du in d<strong>eine</strong>r Freizeit alles machen, was du gerne tun möchtest oder fehlt dir z.B.<br />
das Geld dafür?<br />
(9) Religion<br />
ABSCHLUSSFRAGEN<br />
► Einstieg: Wie wichtig ist dir Religion allgemein?<br />
► Welche Rolle spielt die Religion für d<strong>eine</strong> persönliche Zukunft?<br />
(10) Einschätzung der realen Chancen<br />
► Einstieg: Wie siehst du ganz allgemein d<strong>eine</strong> Situation zur Zeit?<br />
► Was glaubst du, welche beruflichen Chancen du hast: in d<strong>eine</strong>m Kiez, in Berlin, in<br />
Deutschland?<br />
► Was bist du bereit, für d<strong>eine</strong> beruflichen Ziele zu tun? Z.B. Umzug in Berlin, Stadtwechsel,<br />
Bundesland-Wechsel? Was sonst?<br />
(11)Zufriedenheit<br />
� Wie zufrieden bist du alles in allem mit d<strong>eine</strong>m Leben?<br />
� mit d<strong>eine</strong>m Privatleben?<br />
� helfen bei Unklarheit: Familie, Wohnsituation, Partnerschaft<br />
� mit d<strong>eine</strong>n beruflichen Aussichten?<br />
� mit der Situation in Deutschland allgemein?<br />
(12) Feenfrage<br />
� Wenn jetzt <strong>eine</strong> Fee käme und dir sagte, du hättest 3 Wünsche frei: Was würdest du dir am<br />
meisten wünschen?<br />
145
9.3. Fragebogen: soziodemographische Angaben zur Person und zur<br />
Familie<br />
Datum:<br />
A. Allgem<strong>eine</strong>s zum/ zur Befragten<br />
1. Geschlecht<br />
Uhrzeit: Ort: Nr.<br />
2.1. Alter 2.2. Geburtsjahr<br />
2.2. Geschwister<br />
3. Alter bei der<br />
Zuwanderung<br />
4. Art des<br />
Hauptschulabschlusses<br />
5. Welche Religion<br />
Anhang<br />
� einfach � erweitert � kein Abschluss<br />
6. Wie religiös � sehr stark/ stark � wenig � gar nicht<br />
B. Angaben zu den Eltern<br />
B1 Allgem<strong>eine</strong> Angaben<br />
1. Herkunftsland � Türkei � ehem. SU<br />
2. Herkunftsregion<br />
(möglichst genau)<br />
3. urbane/ ländl.<br />
Herkunft<br />
4. Zuwanderungsjahr<br />
5. Aufenthaltsstatus/<br />
Staatsbürgerschaft<br />
(aktueller Stand)<br />
� Großstadt � Kleinstadt � ländl. Gegend<br />
6. in der Familie<br />
gesprochene<br />
� deutsch � türkisch � russisch<br />
Sprache(n) � andere:<br />
7. familiärer Status �<br />
verheiratet<br />
10. Weißt du, wie viel d<strong>eine</strong> Eltern in etwa<br />
monatlich an Geld zur Verfügung haben?<br />
�<br />
all<strong>eine</strong>rziehend<br />
�<br />
getrennt lebend<br />
�<br />
Adoptiveltern<br />
146
B2 Angaben zum Vater<br />
1. Alter<br />
2. Nationalität/<br />
Staatsbürgerschaft<br />
3. höchster<br />
Schulabschluss<br />
4. höchster beruflicher<br />
Abschluss<br />
5. Jetzige Tätigkeit/<br />
sozialer Status<br />
6. kurze Beschreibung<br />
(seit wann, was genau,<br />
Verlauf)<br />
7. Tätigkeit im<br />
Herkunftsland<br />
B3 Angaben zur Mutter<br />
1. Alter<br />
2. Nationalität/<br />
Staatsbürgerschaft<br />
3. höchster<br />
Schulabschluss<br />
4. höchster beruflicher<br />
Abschluss<br />
5. Jetzige Tätigkeit/<br />
sozialer Status<br />
6. kurze Beschreibung<br />
(seit wann, was genau,<br />
Verlauf)<br />
7. Tätigkeit im<br />
Herkunftsland<br />
� Arbeit<br />
� Job<br />
� Arbeit<br />
� Job<br />
� ALG 1<br />
� ALG II<br />
� ALG 1<br />
� ALG II<br />
� Sonstiges:<br />
� Sonstiges:<br />
Anhang<br />
147
C. Sonstiges (Offene Fragen)<br />
Anhang<br />
Wie ist eure jetzige Wohnsituation? Wo wohnst du (mit Eltern/allein)? Hast du/ Habt Ihr euch<br />
den Wohnort/ die Wohnung selbst ausgesucht oder ist sie euch zugewiesen worden? Wie<br />
zufrieden bist du damit?<br />
(Aussiedler) Wie seid ihr nach Deutschland gekommen? � Vorbereitung, Umzug, Integration<br />
in Deutschland (in Kurzform) Bist du freiwillig oder nur wegen d<strong>eine</strong>r Eltern nach<br />
Deutschland gekommen? Bist du gern hier oder wärest du lieber in d<strong>eine</strong>m Herkunftsland<br />
geblieben?<br />
Woher bekommst du hauptsächlich Geld? Hast du <strong>eine</strong>n Job, Ausbildungsbeihilfe oder<br />
bekommst du staatliche Unterstützung, wie Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Ein-Euro-Job?<br />
Oder wirst du unterstützt von d<strong>eine</strong>r Familie? Kannst du mir sagen, wie viel das monatlich im<br />
Durchschnitt ist?<br />
148