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Neue Partnerschaften fürs neue Jahrtausend-Das Stuttgarter Modell

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<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong><br />

<strong>Jahrtausend</strong><br />

<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

„So etwas wie dieses Haus gab<br />

es noch nie. Es paßt nicht in alt<br />

hergebrachte Schemata.“<br />

(Gabriele Müller-Trimbusch,<br />

Bürgermeisterin)


Diese Dokumentation beruht auf Interviews, die Anfang Oktober 2001 mit allen Gruppierungen,<br />

die an der Planung des Generationenhaus West beteiligt waren, durchgeführt wurden.<br />

Insgesamt wurden 26 Gespräche geführt. Die Interviews wurden in Auftrag gegeben von<br />

GROOTS (Grassroots Organisations Organising Together in Sisterhood), einer weltweiten<br />

Organisation von Frauen-Selbsthilfeorganisationen, bei der die deutschen Mütterzentren<br />

Gründungsmitglied sind.<br />

Finanziert wurde die Dokumentation aus Mitteln der Ford Foundation, des Eltern Kind Zentrums<br />

(EKIZ) und des Mütterzentren Internationalen Netzwerks (MINE).<br />

Die Interviews wurden durchgeführt von:<br />

* Suranjana Gupta, SSP, Bombay, Indien<br />

* Monika Jaeckel, Deutsches Jugendinstitut (DJI), München<br />

Wir bedanken uns bei unseren Gesprächspartnern:<br />

* Edgar Kurz, Rudolf Schmid und Herman Schmid Stiftung<br />

* Gabriele Müller-Trimbusch, Bürgermeisterin für Soziales, Jugend und Gesundheit<br />

* Sven Kohlhoff, Architekt<br />

* Christine Heizmann-Kerres, Alexander Hoffmann, Hochbauamt<br />

* Isolde Bartel, Jugendamt, Bau- und Bauunterhaltung,<br />

* Michaela Bolland, Jugendhilfe Planung,<br />

* Brigitte Gramlich, Jugendamt, Bestellwesen<br />

* Sigrid Eppstein, Stephanie Braunstein, Ganztagesstätte für Kinder<br />

* Sonja Rudolphi, Luca Siermann, Ulrike Einsfeld, Elternbeirat Ganztagesstätte für Kinder<br />

* Heidi Menge, Bereichsleiterin Kindertagesstätten<br />

* Elke Arenskrieger, Felizitas Keller, Iris Kauffeld-Donhausen, Andrea Laux, Daniela Rapp,<br />

Antje Reiferscheidt, EKIZ<br />

* Alfred Schöffend, Freie Altenarbeit<br />

* Barbara Steiner, Wohlfahrtswerk<br />

* Suzanne Thoni, Koordinatorin für betreutes Wohnen<br />

* Ute Kinn, Dieter Brosig, Agenda Büro, Carl Duisberg Gesellschaft<br />

* Brigitte Preuß, Allianz Versicherungen, Personalabteilung<br />

* Christa van Winsen, Organisationsberatung, Prozeßbegleitung<br />

Veröffentlicht anläßlich der festlichen Eröffnung des Generationenhaus West am 1. Februar 2002<br />

Deutscher Text: Monika Jaeckel<br />

Englischer Text: Suranjana Gupta<br />

Photos und Layout: Marieke van Geldermalsen<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 2 von 43


Gliederung:<br />

I. EINLEITUNG 4<br />

Warum ein Mehrgenerationenhaus? 4<br />

Entstehungsgeschichte 6<br />

Warum diese Dokumentation? 7<br />

II. DIE VISION 9<br />

III. ZU PARTNERN WERDEN 13<br />

Hindernisse und Barrieren 15<br />

Erfolgsrezepte 16<br />

Wenn unterschiedliche Kulturen aufeinander treffen 19<br />

Was war anders? 21<br />

IV. DAS HAUS -<br />

INNENSICHTEN UND AUßENSICHTEN 23<br />

V. INNOVATIONEN 30<br />

VI. EMPFEHLUNGEN 35<br />

Perspektiven im Haus 35<br />

Bedingungen der Übertragbarkeit 37<br />

Empfehlungen für die Politik 40<br />

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1sten Februar 2002. Seite 3 von 43


I. EINLEITUNG<br />

Warum ein Mehrgenerationenhaus?<br />

<strong>Das</strong> Generationenhaus West in der Ludwigstrasse in Stuttgart ist<br />

einzig in seiner Art. Hier ist es gelungen auf einen historischen sozialund<br />

familienpolitischen Bedarf zu antworten und Zukunftskonzepte,<br />

von denen allerorts viel die Rede ist, in tatsächliche Praxis<br />

umzusetzen.<br />

<strong>Das</strong> Generationenhaus West ist ein generationsübergreifendes<br />

Nachbarschaftszentrum, oder, um es in den Worten der Beteiligten<br />

auszudrücken, „eine blühende Oase der Menschlichkeit im Stadtteil“, in<br />

dem sich jung und alt, (und alles dazwischen), Familien und Alleinstehende,<br />

Institution und Selbsthilfe, BürgerInnen und Politik,<br />

BewohnerInnen und Verwaltung, Professionelle und PraxisexpertInnen<br />

sowie Einheimische und Zugewanderte begegnen und gemeinsam die<br />

Lebensbedingungen des Stadtteils gestalten.<br />

<strong>Das</strong> Haus wurde von der Rudolf<br />

und Herman Schmid Stiftung mit<br />

Euro 11 Millionen gestiftet und<br />

wird gemeinschaftlich betrieben<br />

von der städtischen Ganztagesstätte<br />

für Kinder, von dem Altenpflegedienst<br />

„Freie Altenarbeit“,<br />

von dem Altenhilfeträger „Wohlfahrtswerk“<br />

und der Selbsthilfegruppe<br />

„Eltern-Kind-Zentrum“. 1<br />

„Die Stiftung hat uns viel Freiraum<br />

gegeben und es ermöglicht,<br />

innovative Wege in der<br />

Verwaltung zu gehen und weitestgehende<br />

Bürgerbeteiligung<br />

zu praktizieren. So viel Spielraum<br />

ist im Alltagsgeschäft<br />

normalerweise nicht gegeben.“<br />

(Michaela Bolland, Jugendhilfeplanung)<br />

1 Zu Beginn des Projektes war auch der Eigenbetrieb Leben und Wohnen beteiligt,<br />

der innovative Konzepte von betreutem Wohnen im Alter für Migranten einbrachte.<br />

Hier hat es einen Trägerwechsel gegeben. Seit April 2001 betreibt das<br />

Wohlfahrtswerk die Vermittlung der Altenwohnungen.<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 4 von 43<br />

„Mit dem genrationsübergreifenden<br />

Haus West in der Ludwigstrasse<br />

soll das, was in der<br />

Moderne auseinander dividiert<br />

wurde, wieder zusammengefügt<br />

werden. Es spricht für das Ausmaß<br />

des Problems, daß man<br />

das, was eigentlich das Normale<br />

sein sollte, in der heutigen Zeit<br />

als innovatives <strong>Modell</strong> bezeichnen<br />

muß.“ (Bürgermeisterin<br />

Gabriele Müller-Trimbusch)


„Wenn man gesunde Nachbarschaften<br />

will, dann muß man<br />

den Bürgern und Bürgerinnen<br />

mehr Beteiligungschancen und<br />

Mitspracherechte eröffnen. Dann<br />

muß man die Selbsthilfe ernst<br />

nehmen. <strong>Das</strong> hat die Stadt verstanden.<br />

Deswegen sind wir ins<br />

Boot geholt worden.“ (Elke<br />

Ahrenskrieger, Ekiz)<br />

Es beherbergt auf 5 Stockwerken und einer Gesamtfläche von 6000 qm<br />

eine städtische Kindertagesstätte für 120 Kinder, eine flexible Kleinkindbetreuung<br />

mit Platzsharing, 10 Altenwohnungen, eine Großküche<br />

für die Kindertagesstätten des Stadtteils, ein Nachbarschaftscafé mit<br />

offener Kinderbetreuung, ein Second Hand Laden, eine Altenpflegeservice<br />

Agentur und großzügige Gemeinschaftsflächen, die auch für<br />

die Nachbarschaft geöffnet sind. Hierzu gehören ein traumhafter<br />

Garten und Kinderspielplatz, eine luxeriöse Dachterrasse, sowie Veranstaltungs-<br />

Hobby- und Gymnastikräume.<br />

Die Lebensqualität in den Städten wird zunehmend beklagt, vor allem<br />

von Familien mit Kindern, von Jugendlichen und von alten Menschen.<br />

In den bundesdeutschen Großstädten leben nur noch in ca. einem<br />

Viertel aller Haushalte Kinder und der Trend zur Stadtflucht von<br />

Familien setzt sich fort. Eingeschränkte Mobilitätschancen für Kinder,<br />

Gefährdung der Sicherheit in anonymen Nachbarschaften, die<br />

Ausdünnung familienentlastender Infrastruktur und das Fehlen<br />

sozialer Nachbarschaften zählen zu den Gründen, die Familien<br />

veranlassen, an den Stadtrand oder ganz aus der Stadt<br />

herauszuziehen.<br />

Die in der Stadtplanung im letzten Jahrhundert durchgesetzte<br />

Entmischung der Schlüsselfunktionen menschlicher Siedlungen in<br />

Wohnen, Versorgen, Arbeiten, Freizeit, Handel und Verkehr hat zu<br />

einer Ausdünnung der sozialen Verflechtungen und der sozialen<br />

Lebensdichte in den Wohnbereichen geführt und den familialen<br />

Binnenraum in den Städten zunehmend auf den engsten Raum der<br />

eigenen vier Wände eingeschränkt.<br />

Der öffentliche Raum als Ort zum Verweilen und Ort der Begegnung<br />

ist zunehmend ausgehöhlt, Priorität hat der rollende Verkehr, der alle<br />

anderen Funktionen auf engstem Raum zusammendrängt und<br />

voneinander abkoppelt. Isolation und Einsamkeit, überforderte<br />

Nachbarschaften und sozial gefährdete Stadtteile sind Folgen, für die<br />

zunehmend Gegenstrategien gesucht werden.<br />

<strong>Das</strong> Verständnis von Stadtplanung hat sich in der Folge zunehmend<br />

erweitert. Darunter wird nicht mehr vor allem eine Politik für die<br />

bebaute Umgebung und für effiziente Wirtschafts- und Verkehrssysteme<br />

verstanden, sondern es kommt zunehmend auch die Dimension<br />

der sozialen Infrastruktur und des sozialen Nahraums in den Blick.<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 5 von 43


Entstehungsgeschichte<br />

Bei der Entstehung des Generationenhaus West kamen mehrere<br />

glückliche Umstände zusammen. Die Gebrüder Schmid vermachten<br />

ihr Vermögen der Stadt Stuttgart für Projekte im Bereich der<br />

Familien- und Altenarbeit. Die Testamentsvollstrecker trafen auf eine<br />

engagierte Bürgermeisterin mit weitsichtigen sozialen Visionen. Die<br />

städtische Kindertagesstätte in der Ludwigstrasse befand sich in<br />

einem Abrißhaus. Die Sanierung war überfällig. Jugendhilfeplanung<br />

suchte nach Möglichkeiten bei einer Neugestaltung, die großzügige<br />

Freifläche des Kita Grundstückes für den überaus dicht besiedelten<br />

Stadtteil zu erhalten. Der <strong>Stuttgarter</strong> Westen besaß zwei<br />

familienpolitische „Schätze“: das Familienselbsthilfeprojekt Eltern-<br />

Kind-Zentrum, erstes Mütterzentrum in Baden Württemberg, UN<br />

Preisträger und Inbegriff lebendiger Nachbarschaftskultur, das aus<br />

allen Nähten platzte, und den Verein Freie Altenarbeit, einen<br />

innovativen Träger ganzheitlicher Altenpflege.<br />

Als die Stadt Stuttgart sich entschloß, diese Akteure zusammenzubringen,<br />

und die Stadtverwaltung sich auf einen partizipativen<br />

Planungsprozeß einließ, war das Projekt geboren. Als dann noch ein<br />

renommierter <strong>Stuttgarter</strong> Architekt mit viel Sensibilität für soziale<br />

Fragen und ein Sponsor aus der freien Wirtschaft für eine Moderation<br />

des partizipativen Planungsprozesses gewonnen werden konnten,<br />

waren die Bestandteile eines Erfolgrezeptes beisammen.<br />

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1sten Februar 2002. Seite 6 von 43<br />

„Die Mütterzentren verbreiten<br />

sich ja inzwischen über die<br />

ganze Welt. Überall da, wo traditionelle<br />

Familien- und Verwandtschaftsnetzwerkeausgehöhlt<br />

wurden, sei es durch<br />

Aids in Afrika oder durch Krieg<br />

wie in Bosnien oder durch den<br />

Sozialismus wie in Bulgarien und<br />

der Tschechischen Republik,<br />

stoßen Mütterzentren auf großes<br />

Interesse. Sie stellen <strong>neue</strong> Gemeinschaften<br />

her, so etwas wie<br />

Ersatzfamilien in der Nachbarschaft.“<br />

(Andrea Laux, Ekiz)<br />

„Wenn man sich wie wir um<br />

Lebensversicherungen kümmert,<br />

dann ist das Interesse an den<br />

verschiedenen Möglichkeiten,<br />

wie Menschen im Alter betreut<br />

und versorgt werden können,<br />

von Haus aus gegeben. Generationsübergreifende<br />

<strong>Modell</strong>e halten<br />

wir auf diesem Gebiet für<br />

zukunftsweisend. Und so waren<br />

wir auch daran interessiert, als<br />

Partner für das <strong>neue</strong> Haus in der<br />

Ludwigstrasse einzusteigen.“<br />

(Brigitte Preuß, Allianz<br />

Versicherungen)


Warum diese Dokumentation?<br />

Diese Dokumentation ist eine Festschrift zur feierlichen Eröffnung des<br />

Generationenhaus West und ein Ausdruck davon, das dieses<br />

„<strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong>“ bereits auf internationales Interesse gestoßen ist.<br />

Die Dokumentation wurde von dem Internationalen Netzwerk von<br />

Frauenselbsthilfe Gruppen, GROOTS, in Auftrag gegeben und mit<br />

Mitteln der Ford Foundation, sowie von EKIZ und dem Internationalen<br />

Netzwerk der Mütterzentren (MINE) finanziert.<br />

Dieses Haus ist eine sozialpolitische und stadtplanerische Innovation<br />

und ein Grund zum Feiern. Dahinter steht ein 3 Jahre langer -<br />

durchaus mühsamer - Prozeß, in dem gesellschaftlich sehr unterschiedliche<br />

Akteure, zwischen denen es strukturell viel Trennendes<br />

gibt, sich „zusammengerauft“ haben und zu echten Partnern<br />

geworden sind. Erfolge lassen sich besser feiern, wenn man weiß,<br />

was sie ermöglicht hat und sie lassen sich auch besser wiederholen<br />

und übertragen, wenn man ihre Bestandteile kennt.<br />

<strong>Das</strong> Ziel dieser Dokumentation ist es daher einen ungewöhnlich<br />

partizipativen Planungs- und Partnerschaftsprozeß zu dokumentieren,<br />

in dem unterschiedliche Kulturen aufeinandergetroffen sind und zu<br />

einem konstruktiven Miteinander gefunden haben. Es geht sowohl<br />

darum die Konflikte, Mißverständnisse, Hindernisse und strukturellen<br />

Barrieren aufzuzeigen, die dabei überwunden werden mußten, als<br />

auch die Aspekte zu definieren, die den Prozeß positiv gestaltet<br />

haben. Die Dokumentation soll dazu dienen, ein Instrument der<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 7 von 43


Übertragbarkeit zu schaffen, das von anderen Trägern und anderen<br />

Gemeinden genutzt werden kann, um ähnliche Partizipationsprozesse<br />

und <strong>neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> zu entwickeln. Was kann man aus den<br />

<strong>Stuttgarter</strong> Erfahrungen darüber lernen, was es braucht, damit<br />

<strong>Partnerschaften</strong> zwischen Akteuren aus unterschiedlichen Sektoren<br />

gelingen und welche Empfehlungen, können für Planungsprozesse<br />

generell daraus gezogen werden?<br />

Schließlich geht es auch darum, den mutigen und durchhaltewilligen<br />

„Pionieren“ aus den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, die<br />

diesen Prozeß getragen haben, ein kleines Denkmal zu setzen. Denn<br />

die Erfahrung zeigt, wie schnell das Bewußtsein davon, was einzelne<br />

engagierte Menschen für das Gemeinwohl leisten, in der Öffentlichkeit<br />

verloren geht.<br />

„Internationale Erfahrungen zeigen, daß von Frauenbasisgruppen<br />

weltweit wichtige Impulse für eine positive Stadtentwicklung ausgehen.<br />

Wir waren sehr inspiriert von den Erzählungen des Mütterzentrums<br />

über die <strong>neue</strong> Partnerschaftskultur, die in Stuttgart in der<br />

Planung des <strong>neue</strong>n Hauses in der Ludwigstrasse entwickelt wurde.<br />

Wir waren neugierig darauf, mehr darüber zu erfahren, was es<br />

braucht, um Frauen- und Nachbarschaftsgruppen an der Entwicklung<br />

ihres Stadtteils stärker zu beteiligen und mehr Gewicht in<br />

kommunalpolitische Prozesse zu verschaffen. Es hat uns sehr<br />

interessiert, welche unterschiedlichen Beiträge Mütter und<br />

Professionelle in diesen Prozeß einbringen und wie die<br />

Zusammenarbeit das Endresultat verbessert hat.<br />

Wir werden die <strong>Stuttgarter</strong> Erfahrungen an unsere internationalen<br />

Netzwerke weitergeben, damit Vertreter der öffentlichen Verwaltung,<br />

der Kommunalpolitik, und der Selbsthilfe aus anderen Ländern sowie<br />

internationale Organisationen wie die Vereinigten Nationen und die<br />

Weltbank daraus lernen können. <strong>Das</strong> internationale Interesse daran<br />

wächst, Initiativen und „Best Practices“ zu vervielfältigen, denen es<br />

gelingt, Frauengruppen vor Ort in kommunalpolitische<br />

Entscheidungsprozesse einzubeziehen.“ (Sandy Schilen, GROOTS)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 8 von 43


Stichworte aus der<br />

Prozeßbegleitung:<br />

II. DIE VISION<br />

Strategien urbaner Revitalisierung betonen zunehmend die Notwendigkeit<br />

von Investitionen in soziale Ressourcen, in den sozialen<br />

Zusammenhalt und in die Nachbarschaftsqualität menschlicher<br />

Siedlungen. Die Aktivierung von Bewohnern, die Initiierung von<br />

Stadtteilkultur und eine partizipative Kommunalpolitik sind Wege zur<br />

Verbesserung der sozialen Integrationskraft von Nachbarschaften, die<br />

in Programmen wie der „Agenda 21“ oder der „Sozialen Stadt“<br />

vorgeschlagen werden.<br />

<strong>Das</strong> Generationenhaus West<br />

ist entstanden, weil die<br />

beteiligten Akteure diese<br />

Vision teilen und zum Teil<br />

auch bereits leben. Und weil<br />

sie gemeinsam, jede an ihrem<br />

Ort und in ihrer Funktion<br />

damit ernst gemacht haben,<br />

diese Vision umzusetzen.<br />

Inmitten des oft schwierigen<br />

Aushandlungsprozesses und<br />

der vielen Klippen, die es zu<br />

umschiffen gab haben die<br />

Beteiligten alle Kurs gehalten,<br />

so daß die Vision im Laufe des<br />

Planungsprozesses nicht<br />

abgeschwächt, sondern im<br />

Gegenteil klarere Konturen<br />

erhielt und den gemeinsamen<br />

Prozeß tragen konnte.<br />

In unserem Haus<br />

gehen ein und aus:<br />

Mitarbeiter/-innen Kinder Väter Mütter, Kinder<br />

(volzeit – Teilzeit) Eltern mit Kindern aus dem stadtteil<br />

Hausmeister/-in Alleinerziehende Nachbarn<br />

Küchenpersonal Honorarmütter Senioren aus Stadtteil<br />

Frei Arbeiter/-innen Mütterzentrumfrauen Publikum<br />

Garten- und Arbeitsgemeinschaften Gäste<br />

Bauunterhaltung Akademieteilnehmende Festgesellschaften<br />

Reinigungsleute Migrant/-innen Polit-Prominenz<br />

Lieferanten Bewohner/-innen Menschen ohne Geld<br />

Praktikant/-innen Senioren Menschen mit Handicap<br />

Behinderte Menschen<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 9 von 43


Von Seiten der Bauherrin war als Ziel formuliert, ein multifunktionales<br />

Haus zu schaffen für unterschiedliche Gruppen und Generationen. Ein<br />

wichtiger Teil dieser Vision betraf auch die Frage des Wohnens im<br />

Alter und der Integration von Bürgern ausländischer Herkunft. Die<br />

Altenwohnungen im obersten Stockwerk sind speziell mit diesen<br />

Anliegen konzipiert.<br />

„Kinder, Jugendliche, Eltern und alte Menschen sollen hier miteinander<br />

kommunizieren und voneinander lernen können. Darüber<br />

hinaus ist aber auch ein Haus erwünscht, das sich gegenüber<br />

Initiativen, Vereinen, Institutionen und Familien aus dem Stadtbezirk<br />

Stuttgart-West öffnet.“ (Bürgermeisterin)<br />

Die beteiligten Gruppen formulierten ihre Vision im laufe der<br />

Interviews in unterschiedlicher Weise.<br />

„Es geht uns um Selbständigkeit und Selbstbestimmung im Alter für<br />

Bewohner und Senioren im Stadtteil, es sollen Wohnformen<br />

entstehen, die der Vereinsamung im Alter entgegenwirken und<br />

kulturelle Begegnungen fördern. <strong>Das</strong> Zentrum soll zur Lebensfreude<br />

und Lebensqualität zwischen jung and alt beitragen. Es könnte<br />

vielleicht schwierig werden die Idee einer Gemeinschaftsküche zu<br />

verkaufen, aber man vergißt oft nur zu schnell wie einsam alte<br />

Menschen werden können und wie wichtig es ist, daß sie in<br />

Gemeinschaft bleiben. Vielleicht wird dieses Haus unsere<br />

Vorstellungen von betreutem Wohnen völlig umkrempeln.“<br />

(Wohlfahrtswerk)<br />

„Die Haltung und das Menschenbild aller im Haus soll in der von<br />

Freundlichkeit und Offenheit geprägten Atmosphäre spürbar werden.<br />

Es ist ein Ort für alle Lebenslagen. Wir bieten den Rahmen für<br />

Begegnungen, für aktives Miteinander und bürgerschaftliches<br />

Engagement. <strong>Das</strong> Haus wird Anlaufstelle und wichtiger Knotenpunkt<br />

im Stadtteil Stuttgart-West, ein florierender und lebendiger Betrieb,<br />

ein Ort der Kooperation innerhalb des Hauses und im Stadtteil. Jeder<br />

soll sich willkommen fühlen.“ (EKIZ)<br />

„In diesem Haus können wir unsere Vorstellungen von einer<br />

qualitativen Kinderbetreuung wirklich realisieren, mit vielen kreativen<br />

und Bewegungsangeboten. Wir können Baumhäuser bauen,<br />

Kinderkonferenzen veranstalten, die Möglichkeiten sind unbegrenzt.<br />

Die eingebaute Begegnung zwischen den Generationen eröffnet ganz<br />

<strong>neue</strong> Perspektiven “. (Kindertagesstätte)<br />

„<strong>Das</strong> wichtigste an diesem Haus ist die Hilfe zur Selbsthilfe, daß<br />

Menschen hier lernen können, sich selbst zu helfen.“ (Jugendamt)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 10 von 43<br />

„Im <strong>neue</strong>n Haus werden wir<br />

richtig loslegen können mit unseren<br />

Träumen und Visionen.<br />

Wir wollen ein Haus werden, in<br />

dem ökologisch angebaute Produkte<br />

verwertet werden, in dem<br />

die regionalen Produzenten<br />

unterstützt werden, das erste<br />

öffentliche Haus, in dem ökologisch<br />

geputzt wird. Es sollen<br />

Bewußtseinsprozesse zu Umweltfragen<br />

von hier ausgehen.<br />

Es sollen auch Entlastungen für<br />

Familien und Alte im Stadtteil<br />

geschaffen werden, ein Wäscheund<br />

Bügel-Service, Einkaufsdienste,<br />

Transportfahrten. Leute<br />

sollen zum Verwöhnen her<br />

kommen können.“ (Andrea<br />

Laux, EKIZ)<br />

„Es hat einige Zeit gedauert, bis<br />

ich wirklich von diesem Projekt<br />

überzeugt war. Die regelmäßigen<br />

Teamtreffen waren sehr<br />

wichtig für mich, dort habe ich<br />

die Visionen der verschiedenen<br />

beteiligten Partner kennengelernt,<br />

vom Architekten, von der<br />

Bürgermeisterin, von der<br />

Planungsabteilung, von den<br />

Mütterzentren. <strong>Das</strong> hat mich<br />

beeindruckt und inspiriert und<br />

nach einer Weile war ich im<br />

Boot. Jetzt stehe ich vollkommen<br />

dahinter und arbeite nach<br />

Kräften mit, daß unsere Vision<br />

Wirklichkeit wird.“ (Sigrid<br />

Eppstein, Kindertagesstätte)


„Wir sehen unsere Aufgabe vor<br />

allem darin, daß das Haus eine<br />

gute Atmosphäre hat, daß es<br />

familiär ist, offen und entspannend,<br />

ein Ort, wo man ermutigt<br />

wird, über sich hinaus wachsen<br />

kann, aber auch wo man Unterstützung<br />

erfährt und getragen<br />

wird. Es soll zu einer sicheren<br />

Nachbarschaft beitragen, wo es<br />

keine Gewalt und auch keine<br />

psychische Erschöpfung und<br />

Überforderung gibt. Kranke und<br />

Behinderte sollen einen würdevollen<br />

Platz und <strong>neue</strong> Chancen<br />

erhalten. Jeder soll die Möglichkeit<br />

haben, nach eigenem<br />

Tempo weiterzukommen.“<br />

(Andrea Laux, EKIZ)<br />

„<strong>Das</strong> Haus soll Offenheit transportieren, und Transparenz. Es soll<br />

nicht alles hinter geschlossenen Türen und geschlossenen Vorhängen<br />

stattfinden, sondern es soll zum mitmachen und mit dabei sein<br />

anregen. Es ist so konzipiert, daß man sich gegenseitig wahrnimmt<br />

und sich begegnet. Was Architektur dazu beitragen kann, um<br />

Kooperation und Gemeinschaft zu stiften, ist hier versucht worden.“<br />

(Architekt)<br />

„Dieses Mehrgenerationenhaus wird eine <strong>neue</strong> Art von Familienleben<br />

schaffen. Wir versuchen hier unsere Themen aus der Isolation<br />

herauszubringen und hier gemeinsam zu gestalten. Nicht nur für<br />

alleinerziehende Mütter ist es wichtig, sich mit anderen austauschen<br />

zu können und Unterstützung zu finden. Hier kann man auftanken,<br />

aufblühen und Talente entdecken, die verschüttet lagen. Wenn ich<br />

allein mit meinen Kindern daheim geblieben wäre, hätte ich nie die<br />

Motivation gehabt, mich so für die Gemeinschaft einzusetzen, wie ich<br />

es hier tue. Ich hätte auch gar nicht so viele Ideen und Projekte<br />

entwickeln können.“ (EKIZ)<br />

„Alte Menschen sind aus unserem öffentlichen Leben zunehmend<br />

ausgeschlossen und in unserer Kultur gibt es keinen selbstverständlichen<br />

Umgang mehr mit ihnen. Ein Haus wie dieses wird dazu beitragen<br />

können, das Image von alten Menschen zu verändern. Sie werden oft<br />

nur noch als bedürftig wahrgenommen, als fragil, als bitter, als Leute,<br />

denen alles zu viel ist und die sich immer beschweren. Aber es gibt bei<br />

ihnen - wie bei allen Menschen - viele Seiten und es ist gut, wenn Kinder<br />

wie Erwachsene die Gelegenheit erhalten, alte Menschen von allen<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 11 von 43


Seiten zu sehen. Im <strong>neue</strong>n Haus können wir alle wieder lernen, mit einander<br />

umzugehen.“ (Freie Altenarbeit)<br />

„Dieses Haus könnte demonstrieren, wie Nachbarschaftlichkeit sein<br />

kann. Es gibt ja kaum noch intakte Nachbarschaften. Dies könnte eine<br />

Gelegenheit sein, daß sich das in unserem Viertel wieder entwickelt.“<br />

(Besucherin im Café Ludwigslust)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 12 von 43


„Kein Architekt kann und sei er<br />

noch so genial den Konsultationsprozeß<br />

vorwegnehmen und<br />

es besser wissen als die Nutzer,<br />

was für sie am Besten ist. Die<br />

beste Qualität entsteht immer,<br />

wenn die Nutzer direkt beteiligt<br />

werden.“ (Sven Kohlhoff, Architekt)<br />

„Die Verwaltung spricht eine andere<br />

Sprache als die Nutzer, die<br />

die „Amtssprache“ oft nicht verstehen.<br />

Hier braucht es eine Vermittlung,<br />

jemand die in beiden<br />

Welten zu hause ist und übersetzen<br />

und vermitteln kann. Es<br />

erfordert aber auch die Bereitschaft<br />

aller Beteiligten auf Kommunikationsprobleme<br />

zu achten<br />

und darüber zu reflektieren, was<br />

dabei der eigene Anteil sein könnte<br />

und wie man selber zu einer<br />

besseren Kommunikation und<br />

Kooperation beitragen könnte.“<br />

(Isolde Bartel, Jugendamt)<br />

III. ZU PARTNERN WERDEN<br />

<strong>Partnerschaften</strong> fallen nicht vom Himmel, sie sind in der Politik wie im<br />

richtigen Leben das Ergebnis intensiver Kommunikations- und<br />

Aushandlungsprozesse. In diesem Kapitel soll der Prozeß<br />

nachgezeichnet werden, durch den <strong>Partnerschaften</strong> entstanden sind,<br />

unter den am Haus beteiligten Gruppen untereinander, sowie<br />

zwischen ihnen und der öffentlichen Verwaltung. Dieser Prozeß spielte<br />

sich in mehreren Stufen ab.<br />

Entscheidend war der Beschluß der Stadt, das Generationenhaus<br />

West von Anfang an unter Beteiligung der Nutzer partizipativ zu<br />

planen. Dies ist ungewöhnlich. Die Beteiligung der Bürger an<br />

Bauprojekten wird in der Regel zu einem Zeitpunkt eingeplant, zu<br />

dem der Architekt schon ausgewählt und ein Grunddesign des<br />

Gebäudes bereits erstellt ist. Die Bürger können sagen, ob dieser<br />

Entwurf ihren Bedürfnissen entspricht oder nicht und Modifikationen<br />

anbringen. Grundentscheidungen jedoch wie die Frage wieviel<br />

Quadratmeter für welche Funktion zur Verfügung stehen sollen, sind<br />

meist ohne Beteiligung der Bürger bereits gefallen und werden in der<br />

Regel auch nicht mehr revidiert.<br />

Beim Bau des Generationenhaus West wurden alle Nutzer 2 , bereits in der<br />

Programphase beteiligt. Sie suchten den Architekten mit aus und fällten<br />

vor allem gemeinsam die Entscheidungen über die Aufteilung der<br />

Quadratmeter und die Raumnutzung im Haus. Anders wäre eines der<br />

innovativsten Entscheidungen des Generationenhaus West, die<br />

gemeinsame Nutzung der Gemeinschaftsflächen durch alle Nutzer,<br />

wahrscheinlich nicht zustande gekommen. Dieser Planungsprozeß fand<br />

durch regelmäßige Jour-fixe Treffen aller Beteiligten statt, in denen die<br />

relevanten Entscheidungen ausdiskutiert und gemeinsam gefällt wurden.<br />

Parallel zu diesen Planungstreffen wurde ein gemeinsamer Prozeß<br />

unter den Hausnutzern initiiert, in dem sie klärten, welche Ziele sie<br />

an das Generationenhaus knüpften und wie sie gemeinsam das<br />

Haus führen und nutzen wollten. Dieser Prozeß wurde von einer<br />

professionellen Prozeßbegleitung moderiert und trug entscheidend<br />

dazu bei, daß die beteiligten Gruppen sich besser kennenlernten und<br />

zusammengewachsen sind. Am Ende dieses Prozesses haben sich<br />

alle Gruppen auf eine gemeinsame Rahmenkonzeption einigen<br />

können.<br />

2 Anfängliche Stolpersteine gab es als nur die Erzieherinnen der<br />

Ganztageseinrichtung für Kinder und nicht auch die Elternvertreter am<br />

Planungsprozeß miteinbezogen werden sollten. Dies wurde aber revidiert.<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 13 von 43


Die Planungsprozesse wurden begleitet von intensiven Diskussionen<br />

und Auseinandersetzungen in den Gruppierungen selber. Sowohl mit<br />

den Erzieherinnen und Eltern der Kindertagesstätte als auch unter<br />

den Aktiven des Eltern Kind Zentrums wurden regelmäßige<br />

Informations- und Diskussionsveranstaltungen zu den verschiedenen<br />

Phasen des Planungsprozesses plenar veranstaltet.<br />

Der gemeinsame Planungsprozeß und das Zusammenfinden als Partner<br />

ist gelungen. Mit dem Generationenhaus West identifizieren sich alle<br />

beteiligten Akteure in hohem Maße. Es gab jedoch viele strukturelle<br />

Barrieren zu überwinden, bis dies geglückt ist. Es galt das Machtgefälle,<br />

das unter den unterschiedlichen Partnern bestand, auszugleichen. Es<br />

galt alle Beteiligten soweit zu „professionalisieren“, daß sie die<br />

Planungsprozesse verstehen konnten, sowohl vom bautechnischen als<br />

auch vom verwaltungstechnischen her. Es galt die politischen<br />

Rahmenbedingungen transparent und nachvollziehbar zu machen.<br />

Alle Partner, die interviewt<br />

wurden, schilderten den Prozeß<br />

anfangs als sehr mühsam und<br />

von Mißver-ständnissen und<br />

Mißtrauen geprägt. Jeder versuchte<br />

die eigenen Inte-ressen<br />

zu wahren und sah in den<br />

anderen einen potentielle<br />

Kontrahenten. Es bedurfte<br />

intensiver KommunikationsundAuseinandersetzungsprozesse<br />

bis hieraus Partner<br />

wurden, die ein gemeinsames<br />

Ziel hatten, sich als Teil eines<br />

kooperativen Gesamtprozesses<br />

wahr-nahmen und sich mit dem<br />

ganzen Haus identifizierten.<br />

Zum positiven hat sich der Prozeß gewendet als in der Prozeßbegleitung<br />

der Focus auf die gemeinsamen Werte und Visionen<br />

gelenkt wurde, und man feststellte, daß man von den Werten und<br />

Zielen her gar nicht so weit voneinander entfernt war wie man<br />

angenommen hatte. Eine große Rolle spielte auch, daß alle Beteiligten<br />

im Planungsprozeß das gleiche Sagen hatten und konsensual<br />

entschieden wurde.<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 14 von 43<br />

„Irgend jemand ist zwischendrin<br />

immer geschwind geschockt und<br />

entsetzt. Mal ist es die eine<br />

Seite, mal die andere. Aber<br />

diese Schocks sind wichtig, sie<br />

sind genau das, was angesprochen<br />

werden muß, um sich zu<br />

verständigen und zu einer<br />

Kooperation zu kommen.“<br />

(Christa Van Winsen, Prozeßbegleitung)<br />

„Nicht beteiligt werden, nicht<br />

informiert werden, und ein<br />

eklatanter Mangel an Wertschätzung<br />

sind häufige Erfahrungen<br />

bei Selbsthilfegruppen. <strong>Das</strong> geht<br />

mit viel Frust und Verletzungen<br />

einher. Es ist daher sehr wichtig<br />

eine öffentliche Anerkennungskultur<br />

zu schaffen, in der sehr<br />

sichtbar gemacht wird, was<br />

diese Gruppen gesellschaftlich<br />

beitragen, und welche Kompetenzen<br />

sie mit an den Tisch<br />

bringen.“ (Christa van Winsen,<br />

Prozeßbegleitung)


„Für mich war es wichtig zu bemerken,<br />

wenn einer der Beteiligten<br />

sich zurückzog und nicht<br />

mehr kommunizierte. Meine<br />

Aufgabe war es dies anzusprechen<br />

und herauszufinden, was<br />

geschehen war, wo das Problem<br />

lag.“ (Christa van Winsen,<br />

Prozeßbegleitung)<br />

„Mir war es ein Anliegen dem<br />

EKIZ eine Finanzsituation zu geben,<br />

die sie aus dieser Kampfstellung<br />

herausholt, ihnen einen<br />

Finanzhaushalt zuzuteilen, die<br />

sie gleichstellt mit den städtischen<br />

Begegnungsstellen. Man<br />

bindet sonst zu viele Ressourcen<br />

des Projekts daran, nur das<br />

eigene Überleben zu sichern.<br />

<strong>Das</strong> ist dann ein Dauerkonflikt,<br />

das ist nicht sinnvoll.“ (Michaela<br />

Bolland, Jugendhilfeplanung)<br />

Hindernisse und Barrieren<br />

Die Hindernisse und Barrieren, die während der dreijährigen Planung<br />

des Generationenhaus West bearbeitet und überwunden wurden,<br />

schildern die Beteiligten in ihren eigenen Worten wie folgt:<br />

„<strong>Das</strong> Mißtrauen gegenüber dem Jugendamt war sehr hoch. Es gab<br />

Phasen da hatten wir das Gefühl, wir lassen das, das hat keinen Sinn.<br />

<strong>Das</strong> kann nicht klappen. Wie können Gruppen zusammen ein Haus<br />

betreiben, wenn sie so mißtrauisch gegeneinander sind! Jede Gruppe<br />

fühlte sich ein wenig als die Besseren. Die einen, weil sie sich als<br />

Professionelle identifizierten, die anderen, weil sie sich als die<br />

wirkliche Basis fühlten. Am Anfang gab es einiges an<br />

unterschwelligem Gerangel, wessen Meinung und Expertise mehr<br />

zähle. Die Verwaltung hatte z.B. das Gefühl: „Wir haben das Know<br />

How und müssen Bestimmungen korrekt erfüllen, also muß es<br />

eigentlich nach uns gehen“. Die Praxis hatte eher das Gefühl: „Wir<br />

sind jahrelang nicht öffentlich anerkannt worden, jetzt sind wir da,<br />

und wir sind toll, jetzt müßt ihr uns anerkennen, nur durch uns kann<br />

es richtig laufen.“ Auch gab es Konkurrenzen bei der Frage der<br />

Erziehungskompetenzen zwischen professionellen Erzieherinnen und<br />

Müttern.<br />

Es war ein längerer Prozeß, bis alle lernten, sich untereinander<br />

wertzuschätzen und jede Meinung zu respektieren. Es war ein<br />

komplizierter Lernprozeß, Kontroversen zu tolerieren, in Konflikten<br />

stabil zu bleiben und Kompromisse schließen zu lernen. <strong>Das</strong><br />

interessante ist, daß es am Ende doch geklappt hat, aber es war ein<br />

enormer Kraftakt unter allen Beteiligten.“ (Jugendhilfeplanung)<br />

„Es war schwierig die verschiedenen Gruppen in einen wirklich<br />

kooperativen Prozeß zu bringen. Es gab viele Empfindlichkeiten und<br />

viel Mißtrauen. Dies spiegelt aber auch ein strukturelles Problem<br />

wider: wie schafft man eine gleichwertige Partnerschaft unter<br />

ungleichen Partnern, wenn die Bedingungen unter denen die<br />

verschiedenen Partner antreten, so unterschiedlich sind? Die<br />

Unterschiede müssen auf den Tisch gebracht und transparent<br />

gemacht werden, sonst führen sie zu Mißstimmungen und zu<br />

Kämpfen im Untergrund. Z.B. einige Partner beteiligten sich an dem<br />

Planungsprozeß als Teil ihrer bezahlten Arbeit, für andere war es<br />

Ehrenamt.“ (Prozeßbegleitung)<br />

„Wenn man auf Dauer Bürgerbeteiligung will, dann braucht es<br />

Strukturen, die eine solche Beteiligung und Partnerschaft auf Dauer<br />

stellen. Dann muß das auch eine finanzielle Basis haben.<br />

Bürgerbeteiligung für eine Spielstraße oder für Verkehrsberuhigung an<br />

einer Straßenkreuzung als einzelne Projekte ist etwas anderes als<br />

wenn man wie hier eine Beteiligung auf Dauer anstrebt, sozusagen<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 15 von 43


eine strukturelle Aufgabe an die Bürger delegiert. <strong>Das</strong> geht dann nicht<br />

ohne Bezuschußung. Die dürfen nicht finanziell ungesichert sein und<br />

Existenzängste haben. <strong>Das</strong> überfordert die Selbsthilfe, und auch die<br />

anderen Partner und den Prozeß als Ganzes. <strong>Das</strong> macht es für alle<br />

schwierig, wenn strukturell keine Gleichwertigkeit da ist. <strong>Das</strong> war in<br />

diesem Fall ein Problem, daß das lange Zeit nicht klar war.Wir haben<br />

einen gleichberechtigten Aushandlungsprozeß erwartet, obwohl die<br />

Partner ungleich waren. <strong>Das</strong> war ein Dauerkonflikt, der sich durch den<br />

ganzen Prozeß durchzog. Bürgerschaftliches Engagement geht nicht<br />

ohne finanzielle Förderung, man kann die Selbsthilfe nicht als Partner<br />

ins Boot holen ohne sie auch finanziell gleichzustellen.“<br />

(Jugendhilfeplanung)<br />

Erfolgsrezepte<br />

Die Faktoren, die entscheidend zum Erfolg des Planungsprozesses<br />

beigetragen haben, werden von den Beteiligten folgendermaßen<br />

beschrieben:<br />

„Dieser Prozeß wurde getragen von Personen, die nicht bereit waren,<br />

die Anfangsvision wieder zu verlassen, trotzdem es zwischendurch<br />

auch gnadenlos werden konnte. Im Laufe des Prozesses mußten die<br />

Beteiligten aber auch lernen, Kompromisse zu schließen und daß es<br />

bestimmte Punkte gibt, die sind fix. Wichtig war es Raum und Zeit zu<br />

lassen für einen Entwicklungsprozeß der Beteiligten, für ein<br />

Zusammenwachsen der Personen, die das dann umsetzen müssen.“<br />

(Jugendamt)<br />

„Wir hatten einen hervorragenden Architekten, der in der Lage war,<br />

genau hinzuhören und ungewöhnliche und kreative Lösungen<br />

beizubringen. Er hat die Nutzer und ihre Beiträge und Ideen wirklich<br />

ernst genommen. Er hat ganze Tage im Kindergarten und im Zentrum<br />

verbracht, um zu verstehen, wie der Alltag bei uns läuft. Jedes mal<br />

wenn wir dachten, jetzt wird es zu teuer, oder jetzt stoßen wir an<br />

Grenzen und unumstößliche Vorschriften war er zusammen mit den<br />

städtischen Planungspartnern in der Lage eine kreative und flexible<br />

Lösung zu finden, die immer noch ins Konzept paßte, ja oft die<br />

Grundvision sogar noch viel besser transportierte.“ (EKIZ)<br />

„Wir haben uns auf das Mitplanen gut vorbereitet. Als klar war, daß es<br />

einen Neubau geben würde und wir bei der Planung einbezogen sein<br />

sollten, haben wir Studienfahrten unternommen zu innovativen<br />

Projekten in der Region, um Inspirationen und Ideen zu sammeln. Wir<br />

haben dann zusammen mit Elternschaft, Erzieherinnen und<br />

Kindergartenleitung einen Katalog zusammengestellt, was im <strong>neue</strong>n<br />

Haus alles umgesetzt werden sollte.“ (Elternvertreter Kindertagesstätte)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 16 von 43<br />

„Wir haben gelernt besser einzuschätzen,<br />

daß die Ämter in<br />

Hierarchien und Sachzwänge<br />

eingebunden sind und die Partner,<br />

mit denen man es zu tun<br />

hat, nicht frei entscheiden können,<br />

und ihre eigenen Kämpfe<br />

auszutragen haben, um Innovationen<br />

durchzusetzen. Vorher<br />

haben wir oft gedacht, warum<br />

sind sie bloß so inflexibel?“<br />

(Felizitas Keller, EKIZ)


„Die Atmosphäre bei den<br />

Planungstreffen ist entscheidend.<br />

Wenn alle gleichberechtigt<br />

sind und wenn sich alle wohl<br />

fühlen, wenn man „dumme Fragen“<br />

stellen kann und es keine<br />

Hierarchie am Tisch gibt, kann<br />

Kreativität entstehen. <strong>Das</strong>selbe<br />

Instrument kann völlig stumpf<br />

werden, wenn es nur pro forma<br />

angewandt wird und nicht wirklich<br />

beteiligt.“ (Sven Kohlhoff,<br />

Architekt)<br />

„Wir haben viel mit Demonstrationsmethoden und Demonstrationsmaterial<br />

gearbeitet. Es ist wichtig, daß die Nutzer uns Planer und<br />

Architekten verstehen, nur dann können sie wirklich Partner sein und<br />

ihre Ideen und ihre Kompetenz beitragen. Hier muß man sich<br />

bemühen und sich auch Zeit lassen. Wir haben Sitzungen gemacht, in<br />

denen wir die Nutzer gebeten haben, mental durch das Haus zu<br />

gehen und sich vorzustellen, wie das, was zur Debatte stand,<br />

umgesetzt ausschauen würde. Wir haben vor Ort Planungstreffen<br />

veranstaltet, an Ort und Stelle lassen sich Dinge besser<br />

veranschaulichen und erklären als auf dem Papier. Wir haben<br />

Demonstrationsmodelle gebastelt. Die best funktionierenden Häuser<br />

sind die, an denen die Nutzer sich wirklich beteiligt haben. Dann<br />

haben sie das Gefühl, dies ist unser Haus, wir haben es geplant, wir<br />

haben es gebaut.“ (Hochbauamt)<br />

„In der Prozeßbegleitung haben wir intensiv daran gearbeitet, wie die<br />

einzelnen Gruppen die Arbeit im Haus und die Kooperation<br />

miteinander gestalten könnten. Es galt sich mit sich selbst und mit<br />

den anderen gut bekannt zu machen. Die Beteiligten haben sich in<br />

ihren Stärken und Schwächen einander vorgestellt und sind in einen<br />

Dialog darüber getreten was passieren muß, damit Stärken zum<br />

Tragen kommen und Schwächen im gemeinsamen Prozeß nicht<br />

destruktiv wirken. Man entwickelt gemeinsam persönliche<br />

Gebrauchsanweisungen und Spielregeln des Umgangs miteinander.<br />

Man entwickelt ein anderes Verständnis füreinander, es werden<br />

Sympathien geweckt und man weiß wie man den anderen behandeln<br />

muß, wenn Schwächen oder wunde Punkte berührt werden. <strong>Das</strong> hilft<br />

kritische Situationen durchzustehen.“ (Prozeßbegleitung)<br />

„Wir haben uns kennengelernt,<br />

wie jeder Dinge angeht, was<br />

jedem wichtig ist. Am Anfang<br />

waren wir vorsichtig, was wir<br />

herausgelassen haben, jetzt ist<br />

eine Vertrauensatmosphäre und<br />

ein entspanntes Umgehen miteinander<br />

da. Nach 3 Jahre<br />

langem Coaching sind wir<br />

Freunde geworden. (Stephanie<br />

Braunstein, Kindertagesstätte)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 17 von 43


„ Die Stadt Stuttgart hat mit vielen verschiedenen Firmen Verträge<br />

abgeschlossen, so daß wir sehr flexible sind und durchaus in der Lage<br />

auf unterschiedliche Wünsche und Bedürfnisse einzugehen. Wir haben<br />

z.B. Spielzeuge finden können, die multifunktional sind, die in<br />

verschiedener Art und Weise benutzt werden können und die<br />

Kreativität und Phantasie von Kinder sehr anregen können. Wir sind<br />

uns immer einig geworden.“ (Jugendamt).<br />

„Wir haben im Laufe der Verhandlungen die Kompetenzen und die<br />

spezifischen Beiträge jedes Partners kennen und respektieren gelernt.<br />

Vor allem hat man gelernt das Ganze als ein System zu verstehen. So<br />

lernten wir alle nach Lösungen zu suchen, wenn es zwischen<br />

einzelnen Parteien Kontroversen gab und dies nicht nur den<br />

Kontrahenten zu überlassen. Mit der Zeit lernten wir in Lösungen zu<br />

denken und uns untereinander kooperativ zu verhalten. Mittlerweile<br />

sind wir wie ein Organismus zusammengewachsen. Wenn für einen<br />

Partner etwas nicht paßt, dann betrifft das uns alle, denn wenn einer<br />

im Haus unzufrieden ist, dann wirkt sich das auf die ganze<br />

Atmosphäre aus. Und gerade die Kinder spüren so etwas sehr schnell<br />

und leiden darunter. Wir müssen immer dafür sorgen, daß dieses<br />

Haus für alle Beteiligte gut funktioniert.“ (Kindertagesstätte)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 18 von 43<br />

„Es war ein Abenteuer. Wir<br />

haben gemeinsam den Weg erfunden,<br />

während wir ihn gegangen<br />

sind. Die Stadt hätte ohne<br />

so einen Prozeß sicher später für<br />

alle Fehler zahlen müssen. Jetzt<br />

sind wir alle begeistert vom Ergebnis<br />

und bereit, es zu verteidigen.“<br />

(Andrea Laux, EKIZ)


„Als normale Frau an der Basis<br />

hat man nicht den Überblick,<br />

wie die Verwaltung arbeitet,<br />

man weiß nicht wer was entscheidet,<br />

hat keine Insiderinformationen<br />

wie Entscheidungsund<br />

Kommunikationswege in der<br />

Politik laufen. <strong>Das</strong> war für uns<br />

oft sehr verwirrend und hat zu<br />

großen Unsicherheiten beigetragen.<br />

Wir wußten oft nicht woran<br />

wir waren.“ (Daniela Rapp, Ekiz)<br />

„Sprache ist ein Knackpunkt. Es<br />

muß jemand da sein, der die<br />

Sprache ausgleicht. Und der<br />

auch darauf achtet, daß man<br />

dann auch zusammen <strong>neue</strong><br />

Wörter sucht, die für alle<br />

gehen.“ (Christa Van Winsen,<br />

Prozeßbegleitung)<br />

Wenn unterschiedliche Kulturen aufeinander treffen<br />

Die verschiedenen Partner, die beim Planungsprozeß des Generationenhaus<br />

West beteiligt waren, kommen aus unterschiedlichen<br />

Kulturen. <strong>Das</strong> löste viele Mißverständnisse und Irritationen bei allen<br />

Beteiligten aus und es bedurfte eines ausgiebigen Verständigungsund<br />

Annäherungsprozesses bis dies als Chance statt als Störung<br />

empfunden werden konnte und den Planungsprozeß bereicherte. In<br />

der Wirtschaft hat man Erfahrung damit, und weiß, daß bei<br />

Firmenfusionen jede Firma ihre eigene Betriebskultur mitbringt und es<br />

wichtig ist bewußt darauf einzugehen und Wege zu finden, wie aus<br />

unterschiedlichen Kulturen eine gemeinsame Einheit werden kann.<br />

Angestellte der Stadt sind eingebunden in ein hierarchisches<br />

Verwaltungssystem mit vielen Regulationen und Vorschriften, die sich<br />

von außen nicht unmittelbar erschließen. Hier spielen neben<br />

Sachzwängen auch oft politische Vorgaben und Erwägungen eine<br />

Rolle, die für einen Außenstehenden oft nicht transparent sind.<br />

Familienselbsthilfe Gruppen agieren demgegenüber in einem freieren<br />

Rahmen. Ihre Stärke liegt oft in ihren Improvisationstalenten und<br />

ihrer Fähigkeit ad hoc auf Möglichkeiten und Notwendigkeiten zu<br />

reagieren. Sie beziehen ihre Kraft aus einer hohen Eigenmotivation<br />

und Identifikation mit ihren Anliegen, und entwickeln daraus eine<br />

Einsatzbereitschaft, die vor Wochenenden und Feierabenden nicht<br />

halt macht, was eine an vorgegebenen Arbeitsstunden orientierte<br />

professionelle Kultur unter Druck bringen kann.<br />

Aus der Eingebundenheit in so verschiedenen Alltagskulturen entwickeln<br />

sich auch unterschiedliche Mentalitäten, ein unterschiedlicher<br />

Sprachgebrauch und unterschiedliche Arten und Weisen, Dinge anzugehen.<br />

Wenn man immer innerhalb der eigenen Kultur bleibt, fällt<br />

dies oft nicht einmal besonders auf, wenn sich Kulturen jedoch wie in<br />

diesem Fall mischen, prallen diese Unterschiede oft gewaltig aneinander<br />

und müssen wahrgenommen, reflektiert und bewußt<br />

ausbalanciert werden mit ausgehandelten<br />

Kommunikations- Informations- und Sprachregelungen,<br />

mit einer Prozeßbegleitung, mit dem<br />

Transparentmachen der Rahmenbedingungen<br />

und der Entscheidungsstrukturen und mit Verfahrensweisen<br />

und Vereinbarungen, die für alle<br />

Angst- und Streßfreiheit herstellen.<br />

„Am Anfang habe ich das gar nicht gemerkt, daß<br />

bei solchen Verwaltungen so viele Strömungen da<br />

sind, die muß man erst erkennen. Da spielt die<br />

Partei eine Rolle, da arbeiten die verschiedenen<br />

Ämter manchmal nebeneinander her, da sind so<br />

viele Dinge verknüpft, da gibt es Animositäten und<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 19 von 43


Eitelkeiten. Da war es oft nicht einfach, immer wieder die Spur<br />

reinzukriegen. Da mußten wir manchmal auch eingreifen.“<br />

(Testamentsvollstrecker)<br />

„In der Verwaltung gibt es vorgegebene und komplizierte Entscheidungsstrukturen.<br />

Diejenigen mit denen wir es zu tun hatten<br />

konnten oft gar nicht entscheiden. Zum Beispiel als es darum ging<br />

den Vertrag für unsere Räume zu unterzeichnen wurde eine<br />

Hierarchieperson geschickt, die mit dem Ganzen noch gar nichts zu<br />

tun gehabt hatte und keine Ahnung hatte, um was für ein Projekt es<br />

sich bei uns eigentlich handelte. Er hatte die ganzen Diskussionen<br />

nicht mitbekommen und wollte alles standardmäßig abwickeln, was<br />

aber in unserem Fall gar nicht ging. Ich habe daraus gelernt, daß man<br />

immer gleich mit den obersten Chargen verhandeln muß.“ (EKIZ)<br />

„<strong>Das</strong> war einer der großen Herausforderungen der Zusammenarbeit.<br />

Auf der einen Seite die kommunalen Einrichtungen, die ohnehin auch<br />

Probleme haben gegenüber der Spitze und gegenüber dem<br />

Gemeinderat, und ständig um Geld kämpfen müssen und mit viel zu<br />

knappen Ressourcen auskommen müssen. Auf der anderen Seite die<br />

Mütterzentren, die erst recht Verwalterin der Not sind, häufig<br />

weggestellt wurden, und einen fast übermenschlichen Kampf<br />

anstellen müssen, um ein bißchen von dem abzukriegen, was die<br />

Kommune zu verteilen hat. <strong>Das</strong> prallte aufeinander, das mußte gelöst<br />

werden, wie man mit diesem Spagat umgeht.“ (Prozeßbegleitung)<br />

„Du bist in einer anderen Welt und das schüchtert dich auch erst mal<br />

ein. Du wirst ja auch nicht unbedingt als gleichberechtigt behandelt. Also<br />

sind wir das nächste mal zu fünft erschienen, um uns sicher genug zu<br />

fühlen, uns wirklich zu beteiligen. <strong>Das</strong> wurde als sehr ungewöhnlich<br />

empfunden und paßte gar nicht in die Kultur. Aber wir können doch nur<br />

wirklich gleichberechtigte Partner sein, wenn wir uns auch sicher genug<br />

fühlen, um unsere Meinung zu äußern.“ (EKIZ)<br />

„Die EKIZ Frauen dachten anders, was sehr erfrischend war. Sie<br />

gingen die Dinge mehr pragmatisch und lösungsorientiert an, ohne<br />

sich durch Gedanken an irgendwelche Regularien oder komplizierte<br />

Prozedere einengen und einschränken zu lassen. Sie hinterfragten die<br />

Vorschriften und suchten nach Wegen, Dinge anders zu machen. Sie<br />

sind gewohnt, Dinge selbst in die Hand zu nehmen. <strong>Das</strong> hat die<br />

anderen Partner oft irritiert und verunsichert.“ (Prozeßbegleitung)<br />

„Es gab einen Strukturkonflikt, der oft für unterschwellige Spannungen<br />

sorgte, das ist der Unterschied zwischen Selbsthilfe und<br />

bezahltem professionellem Personal. Die einen sind mit Leib und<br />

Seele dabei und bereit über die Grenzen eines 8 Stunden Tages<br />

hinaus Zeit und Energie zu investieren. Die anderen wollten eher<br />

darauf achten, daß das Ganze im Rahmen ihrer bezahlten Arbeitszeit<br />

blieb.“ (Elternvertreter Kindertagesstätte)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 20 von 43<br />

„<strong>Das</strong> Jugendamt hat eine Hierarchie<br />

und hat auch Macht. <strong>Das</strong><br />

EKIZ sind Leute ohne Rangunterschiede,<br />

da gibt es keine<br />

ein, zwei oder drei Stern Generäle.<br />

Die haben auch kein Geld<br />

zu verteilen.“ (Sven Kohlhoff,<br />

Architekt)<br />

„Wir schauen die Dinge ganzheitlicher<br />

an, nicht so professionalisiert<br />

und spezialisiert. In der<br />

Verwaltung hat jede eine spezielle<br />

Zuständigkeit aus deren<br />

Perspektive alles gesehen wird.<br />

Wir denken immer an alle<br />

Aspekte auf einmal, Gesundheit,<br />

Geld, Zukunft, Vergangenheit,<br />

Fehler, Nachbarn, Kinder, Familie.<br />

<strong>Das</strong> brachten wir alles mit in<br />

den Prozeß ein.“ (Andrea Laux,<br />

EKIZ)


„Die einzigen, die nach dem Bau<br />

des Hauses eine Beschwerde<br />

vorgebracht haben, waren die<br />

Reinemachefrauen. Und die<br />

hatten wir im Planungsprozeß<br />

auch vergessen mit<br />

einzubeziehen.“ (Sven Kohlhoff,<br />

Architekt)<br />

„Die Mütterzentren sind unkomplizierter im Umsetzen, wenn sie z.B.<br />

sagen, man macht eine <strong>neue</strong> Kinderbetreuungsgruppe auf, dann kriegen<br />

sie das relativ schnell, ganz handfest und oft auch kostengünstiger hin.<br />

Die klassischen Trägerstrukturen sind oft komplizierter. Da gibt es einen<br />

Personalschlüssel, es muß eine Hauswirtschaftlerin sein, die kocht. Die<br />

Mütterzentren irritiert das nur, die nehmen die Frau, die kochen kann<br />

oder will. Und wie übersetzt man das dann in Förderstrukturen, wenn<br />

die Stadt sagt, ihr müßt eine Hauswirtschaftlerin nehmen, das sind die<br />

Richtlinien. Da kommen die Welten aufeinander, die Mütter, die einfach<br />

handeln, und die klassischen Verwaltungs- und Förderstrukturen, die<br />

Standards festgeklopft haben, die oft als Hemmnisse wirken. <strong>Das</strong><br />

auszuhandeln ist dann die Kunst.“ (Jugendhilfeplanung)<br />

Was war anders?<br />

Was haben die verschiedenen Partner zum Planungsprozeß beigetragen?<br />

Was war durch den partizipativen Konsultationsprozeß<br />

anders? Alle Beteiligte bestätigen, daß die Einbeziehung der Nutzer<br />

eine größere Kreativität und eine größere Nähe zum Bedarf in die<br />

Planung gebracht hat. Hier wurde nicht vom grünen Tisch aus<br />

geplant, sondern Wert gelegt auf die Kompetenzen aus der Praxis,<br />

auf die Erfahrungen des Alltags, die in Verwaltungshandeln übersetzt<br />

wurden. In diesem Prozeß waren die Beiträge aller Partner wichtig.<br />

Unkonventionelle Ideen und Visionen konnten zu Innovationen<br />

werden, weil sie von Partnern unterstützt wurden, die in der Lage<br />

waren, sie in das Dickicht administrativer Regulativen einzuflechten<br />

und die wußten, wie sie für Politik und Verwaltung aufzubereiten<br />

waren.<br />

Zukünftige Nutzer bringen erhöhte Aufmerksamkeit und ein größeres<br />

Achten auf die Details in einen Bauplanungsprozeß ein, denn sie<br />

werden die gebauten Räume bewohnen. Sie planen für ihren eigenen<br />

Bedarf, für ihre eigene Zukunft und nicht in Vertretung für andere.<br />

Vor allem auf die Frage der Gestaltung des Eingangsbereichs, der<br />

Küche und der Kindergartenräume haben die Nutzer starken Einfluß<br />

genommen.<br />

„<strong>Das</strong> Eltern Kind Zentrum brachte viel Erfahrung für den Aspekt der<br />

Herstellung von Nachbarschaftlichkeit und der Beteiligung der<br />

BewohnerInnen des Viertels ein. Ihnen lag die Offenheit des Hauses<br />

und eine einladende Atmosphäre besonders am Herzen. Für sie war<br />

es wichtig, daß das Haus Wärme ausstrahlt.“ (Architekt)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 21 von 43


„<strong>Das</strong> Haus sollte attraktiv sein und dazu einladen, einfach<br />

hereinzuspazieren. Es sollte beim Eingang gleich ein menschlicher<br />

Kontakt da sein und keine anonymen Hinweistafel. Daher waren wir<br />

gleich begeistert über die Idee einer Espresso Bar im Foyer, die von<br />

draußen sichtbar ist und einladend und offen wirkt. So daß man das<br />

Gefühl hat, man kann einfach vorbeischauen, ohne zuvor Mitglied zu<br />

werden. Auch die Frage der Küche war uns sehr wichtig. Wir wollten<br />

nicht nur eine professionelle Küche, die möglichst effektiv und rationell<br />

Einrichtungen mit hoher Abnehmerzahl versorgt. Wir wollten im Haus<br />

eine Atmosphäre wie in einem öffentlichen Wohnzimmer, da gehört<br />

auch eine Küche dazu, die familiär arbeitet. Wir waren es auch, die<br />

bemerkt haben, daß die Abgase aus der Garage direkt dahin geleitet<br />

wurden, wo die kleinen Kinder in den Garten hinausgehen.“ (EKIZ)<br />

„Durch die Beteiligung der Selbsthilfe kamen Mechanismen rein, die<br />

sich die Kommunen so gern auf die Fahnen schreiben, Bürgernähe,<br />

Verringerung der Wege, nicht lineares Denken. Die<br />

Mütterzentrumsfrauen können synchron arbeiten, das sind sehr<br />

wertvolle Kompetenzen. Auch brachten sie viel Pioniergeist mit. In der<br />

Verwaltung gibt es ja oft Angst vor dem <strong>Neue</strong>n, weil das wieder mit<br />

viel Arbeit verbunden ist, <strong>neue</strong> Strukturen durchzusetzen. Da waren<br />

die Anstöße von den Frauen sehr wichtig. Es ist wichtig daß es in so<br />

einem Prozeß welche gibt mit Pioniergeist. Auch viel von dem, was<br />

jetzt unter Vereinbarkeit von Beruf und Leben diskutiert wird wie<br />

Sinnhaftigkeit, Gesundheit und Wellness, das kam aus dieser Ecke.<br />

<strong>Das</strong> sind wichtige Ressourcen.“ (Prozeßbegleitung)<br />

„Wir wollten im Kindergartenbereich mehrere kleine Räume statt zwei<br />

offene, um mit den Kindern in jedem Raum unterschiedliche<br />

Aktivitäten unternehmen zu können. Auch war das erst geplante<br />

Möbiliar nicht die richtige Höhe für Kinder“ (Kindertagesstätte)<br />

„Die Kompetenzen der Frauen werden von der Öffentlichkeit und von<br />

der öffentlichen Verwaltung ja durchaus abgefragt. Sie werden ganz<br />

selbstverständlich in Anspruch genommen, aber nicht im selben Maße<br />

gewürdigt. Diese Kompetenzen müssen auf die<br />

gleiche Fahne geschrieben werden, da wo Profis<br />

schon immer ihre Kompetenzen stehen haben. Nach<br />

diesem Prozeß ist es wirklich nicht mehr zu<br />

übersehen, welche wertvollen und kompetenten<br />

Partner die Stadt im Eltern-Kind-Zentrum hat. Sie<br />

haben viel Erfahrung, sind motiviert und stellen<br />

Kontinuität her. Sie bringen eine sehr solide Basis<br />

ein. Dies muß sichtbar gemacht werden. Bei<br />

Gruppen, die nicht genügend wahrgenommen oder<br />

ausgegrenzt worden sind, braucht es auch heilende<br />

Rituale der Wertschätzung.“ (Prozeßbegleitung)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 22 von 43<br />

„Es ist in diesem Haus eben<br />

nicht so, daß man reinkommt<br />

und an den Gesichtern schon<br />

ablesen kann: „sprich mich ja<br />

nicht an.“ Hier fühlt man sich<br />

wirklich willkommen und wahrgenommen.“(Stadtteilbewohner)


„Man wird nie wirklich generationsübergreifend<br />

arbeiten<br />

können, wenn man das segregierte<br />

Bauen nicht aufgibt und<br />

Räume nicht multifunktional<br />

genutzt werden.“ (Michaela<br />

Bolland, Jugendhilfeplanung)<br />

IV. DAS HAUS -<br />

INNENSICHTEN UND AUßENSICHTEN<br />

In den ersten Monaten zeigte sich das Generationenhaus West bereits<br />

als lebendiges Begegnungszentrum, das vielfältig genutzt wird und<br />

eine besondere Atmosphäre ausstrahlt. <strong>Das</strong> Konzept und seine<br />

Umsetzung durch den partizipativen Planungsprozeß hat sich <strong>fürs</strong><br />

Erste bestätigt, die Umsetzung einer sozialen Vision in Architektur<br />

scheint gelungen. Die Interaktion der verschiedenen Nutzer<br />

miteinander und mit den räumlichen Möglichkeiten wurde von allen<br />

Seiten als sehr positiv beschrieben.<br />

<strong>Das</strong> Haus beherbergt architektonisch<br />

viele innovative Ideen, die zum Teil erst<br />

im Laufe der gemeinsamen Planung sich<br />

herausgeschält haben. Daß der<br />

Kindergarten im 1. Stock untergebracht<br />

wurde, um das Erdgeschoß für die<br />

offenen Bereiche, wie das Café oder die<br />

gemeinsamen Veranstaltungsräume<br />

nutzen zu können war ungewöhnlich.<br />

Daß der Kinderbereich durch eine Rampe<br />

dennoch direkt mit dem Garten und dem<br />

Foyer verbunden ist bezieht ihn voll ins<br />

Gemeinschaftsleben ein.<br />

Daß alle Gruppenräume wie das Café, der Gymnastikraum, der<br />

Werkraum, der Garten, gemeinschaftlich genutzt werden schafft viel<br />

Begegnungsfläche für die verschiedenen Gruppen im Haus. Die<br />

Architektur ist offen gestaltet, keine störenden Säulen behindern den<br />

freien Blick durchs Haus, die Räume sind transparent, selbst vom<br />

Waschraum aus hat man Einblicke in andere Bereiche des Hauses.<br />

Begegnungen im Haus laufen nicht über eine wie auch immer<br />

gestaltete „Pädagogik“, sondern über den Alltag, über das<br />

Hauswirtschaftliche und die gemeinsamen Funktionsräume. Der<br />

warme Mittagstisch, oder Dienstleistungen wie ein Wäscheservice<br />

oder eine mobile Hausmeisterei bringen die Generationen in Kontakt<br />

miteinander, die Bewohner der Altenwohnungen werden bei Festen<br />

und kulturellen Veranstaltungen des Hauses miteinbezogen, sie<br />

können aber auch eigene Fähigkeiten und Talente miteinbringen.<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 23 von 43


Es braucht viel Kommunikation, um die vielen Begegnungs- und<br />

Gestaltungsmöglichkeiten des Hauses auszuschöpfen und positiv zu<br />

gestalten. Begegnung und Kooperation ist sozusagen mit ins Haus<br />

eingebaut. Die übliche Trennung in Programme und Angebote für<br />

spezifische Zielgruppen, für Kinder, für Jugendliche, für Alte ist im<br />

Generationenhaus überwunden. Dieses Haus ist Kinderhaus,<br />

Jugendzentrum, Café, Ladenzeile, Altenservicecenter, Arbeitsplatz<br />

und Mütter- und Nachbarschaftszentrum in einem und gleichzeitig<br />

keines von alledem. Es stellt das Wiederzusammenfügen aller Teile zu<br />

einem Ganzen dar, die Rückkehr des Lebens in die Öffentlichkeit.<br />

„Vor allem das Foyer in der offenen Gestaltung, nicht abgegrenzt und<br />

einladend, wo man gleich auf Menschen trifft und nicht auf einen<br />

Schilderwald ist gelungen. Hierauf hatten wir ja besonders Wert<br />

gelegt. Es spielt sich wirklich ein reges Leben um die Espresso Bar ab.<br />

Am Anfang konnte ich mir das gar nicht vorstellen, was das heißen<br />

sollte: „die Straße ins Haus hineinverlängern“. Aber jetzt wo der Vater<br />

in der früh sein Kind auf dem Fahrrad die Rampe hoch in den<br />

Kindergarten fährt oder nachmittags die Mütter mit den Kinderwagen<br />

die Rampe herunterkommen, wenn das ältere Kind abgeholt wird und<br />

das Jüngere noch schläft. Oder die Kinder noch im Foyer zusammen<br />

spielen, während Mama an der Theke noch einen Schwatz hält. Jetzt<br />

erlebe ich wie genial dieser Eingangsbereich gestaltet ist.“ (EKIZ)<br />

„Es ist leichter an der Espressobar schnell noch einen Kaffee zu bestellen<br />

als ins Café zu gehen. Denn eigentlich will man ja wenn man die Kinder<br />

abgeholt hat, nach hause. Aber ich habe festgestellt, daß man dann oft<br />

doch in ein Gespräch verwickelt wird und ziemlich lange noch bleibt. Die<br />

Kinder haben ja attraktive Spielgeräte im Eingangsbereich, die sie auch<br />

ziemlich lange bei Laune halten. So erfährt man, was alles im haus läuft<br />

und lernt die anderen Leute kennen.“ (Kita Mutter)<br />

„Die einzelnen Räume sind so gebaut, daß sie nach allen Seiten zu<br />

öffnen sind. Die Kinder können hinausgehen in den Flur, in den<br />

Garten, hinauf auf die Galerie oder in die zwei Räume, die<br />

anschließen. In unserem alten Gebäude gab es nur den Hof und den<br />

Flur. Wenn das Wetter schlecht war sind alle in der Pause in den Flur<br />

raus und es gab einen Höllenlärm. Jetzt, wenn ich durch das Haus<br />

gehe, ist es ruhig, einige Kinder spielen im Flur, andere in den<br />

Zimmern oder auf der Galerie oder im Garten. Es gibt nicht diesen<br />

massiven Ansturm von 120 Kindern auf eine Schlag auf eine Fläche.<br />

<strong>Das</strong> hat viel Ruhe in die Arbeit gebracht.“ (Kindertagesstätte)<br />

„<strong>Das</strong> Haus ist ja sehr offen gebaut. Man kann von der Straße durch<br />

das Café bis durch in den Garten schauen. <strong>Das</strong> macht natürlich<br />

neugierig. So bin ich eines Tages auch einfach hineingegangen, habe<br />

eine Tasse Kaffee getrunken und mir erzählen lassen, was es hier<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 24 von 43<br />

„So ein Haus mit so viel Offenheit<br />

kann nur funktionieren,<br />

wenn alle sich verantwortlich<br />

fühlen für alle. Wenn alle, die<br />

sich im Haus bewegen, ein Auge<br />

auf die Kinder haben und mit<br />

aufpassen. Eigentlich sollte das<br />

ja in der Nachbarschaft eine<br />

Selbstverständlichkeit sein, aber<br />

das ist verloren gegangen. <strong>Das</strong><br />

ist die Haltung, die durch dieses<br />

Haus wieder eingeübt wird.“<br />

(Andrea Laux, EKIZ)<br />

„<strong>Das</strong> Haus wirkt sehr offen.<br />

Selbst die Wände lassen noch<br />

viel Raum zur Selbstdarstellung<br />

und zur Gestaltung. <strong>Das</strong><br />

inspiriert, sich was einfallen zu<br />

lassen, eigene Ideen mit<br />

einzubringen.“ (Café Besucher)


„Wir können so viel voneinander<br />

lernen, die Art wie das EKIZ<br />

Kinderbetreuung macht ist anders.<br />

Ich finde das sehr inspirierend.<br />

Es werden viele Gedanken<br />

und Tips ausgetauscht zwischen<br />

unseren Erzieherinnen und den<br />

Betreuerinnen im offenen<br />

Kinderprogram. Vielleicht ergibt<br />

sich aus dem wie die Dinge sich<br />

in diesem Haus entwickeln eine<br />

ganz <strong>neue</strong> Pädagogik.“ (Sigrid<br />

Eppstein, Kindertagesstätte)<br />

alles gibt. Besonders beeindruckt hat mich, daß wir von der<br />

Nachbarschaft diese Räume auch nutzen können. <strong>Das</strong> konnte ich am<br />

Anfang gar nicht glauben, der Garten, die Werkräume, die<br />

Dachterasse, das ist wirklich alles auch für uns? (Stadtteilbewohnerin)<br />

„Die Kinder haben sich sehr schnell mit den <strong>neue</strong>n Möglichkeiten<br />

zurechtgefunden. In den ersten Tagen waren sie noch schüchtern und<br />

haben sich nicht viel im Haus bewegt, aber das war rasch vorbei und es<br />

war erstaunlich, wie schnell sie alles ausprobiert haben und sich im Haus<br />

auskannten. Sie haben sich ganz selbstverständlich ihren Raum genommen<br />

und bewegen sich sehr souverän im Haus. Sie sagen sehr deutlich,<br />

welchen Raum sie jetzt nutzen und wo sie als nächstes spielen wollen.<br />

Sie mischen sich auch problemlos mit den anderen Kindern im Haus. Es<br />

sind eher die Eltern, die noch Eingewöhnungsprobleme haben. Vor allem<br />

gibt es bei so großer Offenheit Ängste um die Sicherheit der Kinder. Da<br />

müssen wir auch noch dran arbeiten.“ (Kindertagesstätte)<br />

„<strong>Das</strong> Café ist das Herz, das Zentrum des Hauses. Hier kommt alles<br />

zusammen. Daher ist es besonders wichtig, daß die Mütter, die die<br />

Espresso Bar und das Café betreiben ihre Gastgeberrolle verstehen, daß<br />

wir immer noch ein Mütterzentrum sind und nicht ein normales Café.<br />

Daß es drum geht, Menschen willkommen zu heißen, auf sie zuzugehen<br />

und herauszuhören, was sie im Haus suchen oder erwarten. Es gilt sie<br />

aktiv anzusprechen und einzubeziehen, herauszufinden, was sie gut<br />

können und wie sie zum Leben im Haus beitragen könnten. Wir haben<br />

mit den Caféfrauen regelmäßige Teamtreffen, wo wir dies besprechen,<br />

wo wir uns darüber austauschen, wie wir das Leben im Haus<br />

wahrnehmen, und was vor allem in diesem Kernbereich verbessert<br />

werden könnte.“ (EKIZ)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 25 von 43


„Ich habe mir angewöhnt, meine Bürotür immer offen zu lassen. Es ist<br />

so ein lebendiges Treiben, es riecht nach Kaffee, es ist schön das Gefühl<br />

zu haben ein Teil davon zu sein. Obwohl das Haus so groß ist, begegnet<br />

man überall Menschen.“ (Freie Altenarbeit)<br />

„Die ersten Tage waren sehr ungewohnt, daß man sozusagen auf dem<br />

eigenen Terrain andere traf, die man nicht kannte, für die es aber auch<br />

ihr Haus war. Man traf sich im Foyer, in den Toiletten, im Garten. Man<br />

teilte sich die Räume und die Spielgeräte mit anderen. Wir haben in der<br />

ersten Zeit viele Teambesprechungen gehabt, um darüber zu sprechen,<br />

wie man damit umgeht.“ (Kindertagesstätte)<br />

„Am Anfang war jede Gruppe doch sehr bedacht, sich im<br />

Haus eigene Flächen zu schaffen. Es gab Diskussionen den<br />

Garten in verschiedene Nutzungsbereiche für die<br />

verschiedenen Gruppen abzuzäunen, jeder wollte seinen<br />

eigenen Gruppenraum, man wollte sich von den anderen<br />

abgrenzen können. Jetzt sind wir so zusammengewachsen,<br />

daß solche Gedanken eher fremd erscheinen. Es ist eine<br />

freundschaftliche Atmosphäre im Haus entstanden und ein<br />

Wir-Gefühl und jeder fühlt sich heimisch im ganzen Haus.<br />

Und es ist einfach wunderbar, daß der Garten so eine schöne<br />

Freifläche zum Spielen bietet. Im ganzen Stadtteil gibt es so<br />

etwas nicht. Für die Kinder ist das Haus großartig, denn es<br />

erweitert ihre Möglichkeiten enorm, soziale Kontakte und<br />

Erfahrungen zu machen.“ (Kita Elternvertreter)<br />

„Die Grundvision von einem gemeinschaftlichen Leben im<br />

Haus hat den ursprünglichen Entwurf geleitet, daß es aber bis<br />

ins Detail so gelungen ist und wirklich lebt, das liegt am<br />

gemeinschaftlichen Planungsprozeß. Die Beratung mit den<br />

Nutzern hat vieles erst stimmig gemacht. Allein das<br />

Erdgeschoß haben wir so etwa 20 mal komplett umgestaltet.<br />

Ich habe in diesem Prozeß unglaublich viel dazu gelernt. Für<br />

meine Professionalität möchte ich so einen Prozeß nicht<br />

missen. Vor allem aber haben die Benutzer durch die Planung<br />

sich das Haus schon zu eigen gemacht. <strong>Das</strong> kann man im<br />

Nachhinein nie so gut hinkriegen, daß ein Gebäude<br />

angenommen wird und die Nutzer sich damit identifizieren.<br />

Daß es hier gelungen ist und die verschiedenen Beteiligten<br />

als eine Gemeinschaft das Haus bezogen haben, liegt an dem<br />

intensiven Planungsprozeß, der voraus gegangen war.“<br />

(Architekt)<br />

„In diesem Haus kann man nicht für sich leben. Wenn wir mit unseren<br />

Kindern in den Gymnastikraum gehen, kommen wir durch das Foyer<br />

durch und kommen an allen anderen vorbei. Es gibt viel Glas im Haus.<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 26 von 43


Stichworte aus der Prozeßbegleitung: Man kann in die Räume hineinsehen, ohne<br />

Mit dem Haus und den darin ein und aus<br />

gehenden Menschen verbundene Werte<br />

Arteitsgruppe “Angebote und Atmosphäre”<br />

! ! ! ❁ ❁ ❁<br />

- Menschlichkeit<br />

- Offenheit für alle Lebenslagen<br />

- Netzwerk mit dem Ziel: Sicher und Lebenswerter Stadtteil<br />

- Partnerschaftliches Miteinander – <strong>Partnerschaften</strong><br />

- Ein Ort der Nachhaltigkeit – Ressourcenorientierung<br />

- Anlaufstelle, wichtiger Knotenpunkt im Stadtteil<br />

- Selbstorganisation<br />

- Professionalität und Prävention<br />

- Emotionalen Rahmen schaffen: heilend, Sorgen<br />

+ Nöte erkennend<br />

- Kraftspendende Bedingungen für alle<br />

„Dieses Haus unterscheidet sich<br />

von anderen. Hier passiert alles<br />

mit Herz. <strong>Das</strong> macht es so<br />

besonders.“ (Edgar Kurz,<br />

Gebrüder Schmid Stiftung)<br />

hineingehen zu müssen. Ich kann jetzt<br />

viel besser abschätzen, wann es günstig<br />

ist, in einen Gruppenraum zu gehen, ohne<br />

einen Prozeß zu stören. Die Transparenz<br />

funktioniert auch für die Eltern. Die Räume<br />

erschließen sich von selbst, sie können<br />

sehen, was wo läuft. Sie sind viel näher<br />

dran am Geschehen und es gibt viel mehr<br />

Kontakt- und Begeg-nungsfläche. Die<br />

Offenheit des Gebäudes wirkt sich auch auf<br />

die Haltung im Haus aus, man ist offener<br />

für Kontakt und Gespräche, man geht<br />

offener aufeinander zu. Schon nach einigen<br />

Monaten kann ich feststellen, daß es mehr<br />

Kontakt und Kommunikation mit den Eltern<br />

gibt.“ (Kindertagesstätte)<br />

„Es ist immer gut alte Menschen mit Kindern zusammenzubringen,<br />

das wirkt erfrischend auf alte Menschen und bringt ihnen oft viel<br />

Lebensfreude. In einem Haus wie dieses fühlen sie sich nicht<br />

abgeschoben in ein Altenghetto. Wenn man mit alten Menschen in ein<br />

öffentliches Café geht, dann ist das oft sehr anstrengend. Sie sind<br />

nicht so schnell oder etwas verwirrt und bemerken dann die<br />

ungeduldigen Blicke der Bedienung oder der anderen Gäste. In einem<br />

Haus wie diesem ist die Atmosphäre anders, gibt es mehr Toleranz<br />

und Verständnis für Menschen, die ein wenig mehr Zeit brauchen. Wir<br />

sehen unsere Rolle darin hier dabei zu helfen, einen sicheren Umgang<br />

miteinander zu lernen. Wenn ein alter Mensch mal verwirrt durch die<br />

Räume läuft, daß dann Kinder und Erwachsene wissen, wie mit<br />

solchen Situationen umzugehen ist. Berührungsängste und -<br />

unsicherheiten können abgebaut werden, indem man die Bedürfnisse<br />

kennen und verstehen und die Situationen einzuschätzen lernt.<br />

Gut ist hier auch, daß die alten Menschen selber wählen können, wie<br />

nah ran sie gehen wollen. Sie können den Kindern im Garten aus<br />

sicherem Abstand im Café zuschauen, oder sie können hinaus in den<br />

Garten gehen und den Kindern direkt begegnen. Es ist nämlich durchaus<br />

nicht immer so, daß alte Menschen den direkten Kontakt mit Kindern<br />

möchten. Viele genießen es auch mehr von der Seitenlinie her und aus<br />

sicherem Abstand teilzunehmen. Die Möglichkeiten sich entweder mitten<br />

hinein zu begeben oder mit etwas Distanz dabei zu sein sind hier<br />

gegeben. Hier ist auch nichts inszeniert. Die Kinder kommen nicht zu<br />

Besuch, singen ein Lied und alle sollen gerührt sein, sondern die alten<br />

Menschen sind Teil des Alltags und der täglichen Situationen. Viele<br />

haben ja auch sehr interessante Leben gelebt, haben spannende Reisen<br />

unternommen und haben viel zu bieten.“ (Freie Altenarbeit)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 27 von 43


„Ich habe viel von den anderen gelernt, vom Architekten wie man<br />

Ideen kreativ und innovativ umsetzt, von EKIZ wie man eine offene,<br />

familiäre und herzliche Atmosphäre herstellt, von der Verwaltung was<br />

geht und was nicht geht, von der Freien Altenarbeit, wie man mit<br />

alten Menschen umgeht. Ich habe jetzt Ideen, wie wir Begegnungen<br />

mit den Alten in unser Kindergartenprogram einbauen können. Aber<br />

wir müssen warten, bis sie da sind. Bis jetzt sind noch keine<br />

eingezogen.“ (Kindertagesstätte)<br />

Die Nachbarschaft<br />

In der kurzen Zeit, in der es besteht, ist das Generationenhaus West<br />

gut von der Nachbarschaft angenommen worden. Der Ansturm am<br />

Tag der offenen Tür war überwältigend, und auch im Alltag wird es<br />

von StadteilbewohnerInnen gerne genutzt, sowohl um die vielen<br />

Angebote in Anspruch zu nehmen, als auch um selber Ideen und<br />

Unterstützung einzubringen. Auch ohne viel Öffentlichkeitsarbeit hat<br />

es sich im Viertel schon herumgesprochen, daß es für alle offen ist<br />

und daß man sich dort willkommen und wohl fühlen kann.<br />

Die Veranstaltungsräume werden von Eltern und Nachbarn für private<br />

Feste am Wochenende gebucht sowie von Vereinen für Seminare und<br />

Treffen genutzt.<br />

Ganz von alleine entwickelt es sich zu einer Art Tauschbörse, so z.B.<br />

wenn eine Nachbarin, die direkt angrenzend wohnt hereinkommt und<br />

den Vorschlag macht, daß jemand von Haus ihr die Blumen gießt,<br />

wenn sie - was oft der Fall ist - verreist, daß sie im Gegenzug ein<br />

Ferienkind mal mit auf Reisen nimmt.<br />

„Gerade viele ältere Menschen aus der<br />

Nachbarschaft sind gekommen und<br />

fragen, was dieses Haus ist und wie es<br />

funktioniert. Sie sind überrascht, daß sie<br />

den Garten nutzen dürfen, daß es keine<br />

Mitgliedsbeiträge gibt, daß das Haus<br />

allen offen steht. Auch Frauen aus der<br />

Nachbarschaft kommen, um im Garten<br />

oder im Café zu sitzen während ihre<br />

Kinder spielen. Diese Offenheit scheint<br />

viele auch zu inspirieren selber etwas<br />

beizutragen. Sie kommen vorbei und<br />

spenden uns Äpfel aus dem Garten oder<br />

fragen, ob sie sonstwie aushelfen<br />

können. Neulich kam eine Frau herein<br />

und meinte, sie würde sich das schon<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 28 von 43<br />

„Man kann nicht nur ins Haus<br />

hineinschauen, man kann auch<br />

von innen hinaus auf den<br />

Stadtteil schauen. <strong>Das</strong> gibt ein<br />

viel größeres Gefühl zur<br />

Nachbarschaft dazuzugehören.“<br />

(Sigrid Eppstein,<br />

Kindertagesstätte)


eine Weile anschauen. Die Pflanzen hier im Haus bekämen nicht<br />

genügend Aufmerksamkeit. Darum würde sie sich jetzt kümmern. Jetzt<br />

ist sie für unsere ganze Blumendekoration zuständig. Viele sagen<br />

einfach: Schön habt ihr es hier und wie wunderbar, daß ich hier<br />

mitmachen kann.“ (EKIZ)<br />

„Es war der richtige Rahmen für uns, unser Jahrestreffen in diesem<br />

Haus abzuhalten. Hier wurde ja auch so etwas wie Frieden gestiftet,<br />

zwischen den unterschiedlichen Nutzern und zwischen den Bürgern<br />

und der Stadt. Da fühlen wir uns mit unseren Anliegen doch gleich<br />

richtig aufgehoben.“ (Irische Friedensfrauen)<br />

„Auch die Kinder aus dem Stadtteil haben die<br />

Möglichkeiten des Hauses bereits entdeckt. Es<br />

gibt eine ganze Clique von Schulkindern, die<br />

sich hier nach der Schule treffen, hier Mittag<br />

essen und die vielen Möglichkeiten des Hauses<br />

nutzen. Meine Söhne kommen hier auch her<br />

und haben wieder Freunde aus dem Stadtteil<br />

wiedergetroffen, die sie aus den Augen<br />

verloren hatten, als sie die Schule gewechselt<br />

hatten. Im alten Zentrum hatten wir nicht viele<br />

Schulkinder, denn die Räumlichkeiten waren<br />

zu klein. Hier spielen sie im Garten oder<br />

spielen Billard oder toben sich im<br />

Gymnastikraum aus. Es macht ihnen sogar<br />

Spaß, eine Weile mit den kleineren Kindern zu<br />

spielen, und diese sind natürlich begeistert von<br />

der Aufmerksamkeit der „Großen“.<br />

Den Mädchen gefällt es, daß sie hier so<br />

unterschiedliche Menschen kennenlernen können. Wenn ausländischer<br />

Besuch da ist, sind sie z.B. ganz wild darauf, ihre Englischkenntnisse<br />

auszuprobieren.“ (EKIZ)<br />

„Es gibt ja schon lange die Bürgerhäuser und Nachbarschaftszentren<br />

als Projekte der Gemeinwesenarbeit mit Stadtteilbezug. Aber die sind<br />

ganz anders als dieses Haus. Dort treffen sich verschiedene Clubs und<br />

Vereine, aber es gibt keine Kinder, niemand wohnt in diesen Häusern<br />

und es gibt nicht den offenen Bereich und die offenen Angebote wie<br />

hier. Sie werden nicht in denselben Maße<br />

<strong>Das</strong> Haus strahlt eine ganz<br />

andere Kultur aus. Daß den<br />

Räumen Namen gegeben<br />

wurden wie „Mond und Sterne“<br />

oder „Blitz und Donner“, oder<br />

daß es einen Friedensraum gibt,<br />

wo gibt es so etwas in einem<br />

öffentlichen Gebäude?“ (Sven<br />

Kohlhoff, Architekt)<br />

von der Nachbar- schaft im Alltag genutzt<br />

wie das Genera-tionenhaus West.“<br />

(Jugendhilfeplanung)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 29 von 43


V. INNOVATIONEN<br />

Der Europarat formuliert als Kriterien innovativer Politik<br />

in den Städten: Die Investition in Humanressourcen,<br />

sektorenübergreifende Ansätze, nachbarschaftsorientierte<br />

Bottom-Up Strategien, die Einbeziehung<br />

sozial marginalisierter Gruppen, sowie <strong>Partnerschaften</strong><br />

zwischen der öffentlichen Administration, der<br />

ortsansässigen Wirtschaft und Selbsthilfe- und<br />

Bürgerorganisationen. <strong>Das</strong> Generationenhaus West<br />

erfüllt alle diese Kriterien.<br />

An diesem Projekt läßt sich demonstrieren welche<br />

Innovationen geschehen müssen, um solchen Zielen und<br />

solcher Programmatik gerecht werden zu können:<br />

1) <strong>Neue</strong> Mitspieler erfordern <strong>neue</strong> Spielregeln<br />

Bürgerbeteiligung und bürgerschaftliches Engagement hat Auswirkungen<br />

auf die kommunale Machtverteilung und das Selbstverständnis<br />

von Verwaltung. Neben der freien Marktwirtschaft und der öffentlich<br />

staatlichen Wohlfahrt kommt ein dritter Akteur hinzu, die zivile<br />

Gesellschaft, die einzubeziehen <strong>neue</strong> Verfahrensweisen erfordert.<br />

Neben den gewählten KommunalpolitikerInnen und der von ihnen<br />

eingesetzten Administration entsteht ein Element direkter Demokratie<br />

und direkter Beteiligung von Bürgern, die weder gewählt noch Angestellte<br />

der Stadt sind.<br />

Bürgerorganisationen und Selbsthilfeinitiativen antworten in der Regel<br />

auf Lücken sozialstaatlicher Politik und übernehmen damit häufig<br />

auch Aufgaben, die zum Aufgabenfeld öffentlicher Wohlfahrtspolitik<br />

gehören. Ihre größere Nähe zum Bedarf und ihre unbürokratische<br />

Strukturen lassen sie in manchen Bereichen als geeignetere Träger<br />

kommunaler Dienstleistungen erscheinen. Dies gilt vor allem überall<br />

dort, wo familienähnliche Strukturen eine höhere Qualität versprechen<br />

als institutionelle Strukturen, was z.B. bei der Frage der Altenpflege<br />

eher der Fall zu sein scheint. Anders als kommerzielle Dienstleistungsangebote<br />

brauchen Selbsthilfegruppen jedoch öffentliche<br />

Unterstützung, um solche Aufgaben kontinuierlich und verläßlich erbringen<br />

zu können. Diese Unterstützung darf nicht an Bedingungen<br />

und Regulationen gebunden werden, die den Selbsthilfecharakter und<br />

damit die eigentliche Qualität ihrer Arbeit wieder zunichte machen<br />

droht.<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 30 von 43<br />

„Hier hatte die kleine Stimme<br />

dasselbe Gewicht wie die große<br />

Stimme“ (Sven Kohlhoff,<br />

Architekt)


„Es war ungewohnt für die<br />

Stadt, das Eltern-Kind-Zentrum<br />

als Selbsthilfeeinrichtung in derselben<br />

Weise zu fördern wie die<br />

Einrichtungen, die unter ihrer<br />

eigenen Trägerschaft stehen.<br />

Anders wäre aber dieses Haus<br />

nicht zu realisieren gewesen. Ein<br />

Auto kann nicht fahren ohne<br />

Benzin, ein Projekt kann nicht<br />

leben wenn neben den Investivkosten<br />

nicht auch für die laufenden<br />

Kosten gesorgt ist.“<br />

(Edgar Kurz, Gebrüder Schmid<br />

Stiftung)<br />

„Dann haben wir beschlossen,<br />

beim Jour Fixe unsere Sprache<br />

nicht zu verändern. Wir haben<br />

einfach unsere Fragen gestellt,<br />

so wie wir sie auch am Küchentisch<br />

stellen würden. Für uns<br />

war es wichtig, daß man bei den<br />

Treffen normal reden kann.“<br />

(Andrea Laux, EKIZ)<br />

Ein Beispiel betrifft die Frage der Honorierung von Leistungen, die<br />

nicht auf professioneller Basis und nicht von Professionellen erbracht<br />

werden. Traditionell gilt, daß öffentliche Leistungen nur bezahlt werden,<br />

wenn sie auf professionelle Kompetenz beruhen. Im Falle von<br />

Leistungen, die von Selbsthilfegruppen ausgehen, beruht die Qualität<br />

ihrer Dienste auf Alltagserfahrungen, emotionaler Involviertheit und<br />

persönlicher Motivation und auf Qualifikationen und Kompetenzen,<br />

die nicht im Ausbildungssystem, sondern im Alltag und in der Praxis<br />

erworben werden.<br />

Eine Stärkung und gleichwertige Beteiligung der Zivilgesellschaft erfordert<br />

vom System finanzielle Mittel an Akteure zu verteilen, die<br />

außerhalb des Systems agieren und sich nicht in die herkömmlichen<br />

Regulativen, Hierarchien und das Kontrollsystem der öffentlichen<br />

Administration ohne Qualitätsverluste einbinden lassen. Ein solches<br />

Wagnis muß eingegangen werden, sollen Innovationen wie das<br />

Generationenhaus West entstehen.<br />

2) Frauen verändern Politik<br />

Dies gilt verstärkt, wenn es darum geht, politisch und sozial bislang<br />

ausgeschlossene Gruppen in kommunale Entscheidungsprozesse einzubeziehen,<br />

denn für viele dieser Gruppen, stellen die institutionellen,<br />

partei- und formal demokratischen Beteiligungsverfahren zu große<br />

Zugangshürden dar. In der frauenpolitischen Diskussion kommt vor<br />

allem international zunehmend in den Blick, daß direktere kommunalpolitische<br />

Beteiligungsformen es ermöglichen, stärker vom Alltagswissen<br />

von Frauen zu profitieren.<br />

Eine größere Beteiligung von Frauen in der Politik erfordert eine Veränderung<br />

politischer Verfahrensweisen und der politischen Infrastruktur.<br />

Eine der Hauptbarrieren für die Teilnahme von Frauen an öffentlichen<br />

Entscheidungsprozessen liegt in der Tatsache, daß es in unserer Kultur<br />

eine riesige Kluft zwischen öffentlich und privat gibt und Politik<br />

sich weitgehend vom Alltagsleben abkoppelt, dem Frauen sich jedoch<br />

stärker verpflichtet fühlen. Eklatantes Beispiel ist der Mangel an<br />

Kinderbetreuung als selbstverständlicher Teil der angebotenen Infrastruktur<br />

bei politischen Beteiligungsprozessen.<br />

Wenn Frauen ihre Familien und ihren sozialen Nahraum nicht<br />

hintenan stellen müssen, um Politik zu machen, und wenn die politische<br />

Kultur ihren Alltagsprioritäten und ihrer ganzheitlichen Angehensweise<br />

Raum gibt, sind Frauen auch in größeren Zahlen in politischen<br />

Entscheidungsbildungsprozessen zu finden.<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 31 von 43


<strong>Das</strong> Beispiel der Mütterzentren, die sich in Deutschland und darüber<br />

hinaus in atemberaubender Geschwindigkeit verbreitet haben, und in<br />

vielen Gemeinden zu einer kommunalpolitischen Größe geworden<br />

sind, die nicht mehr wegzudenken ist, zeigt das frauenpolitische<br />

Potential, das aktivierbar ist, wenn man die Bedingungen von Politik<br />

an die Lebensentwürfe von Frauen anpaßt. 3<br />

<strong>Das</strong> Generationenhaus West ist ein Beispiel dafür, wie die Qualität<br />

urbaner Infrastruktur verbessert werden kann, wenn man<br />

Frauenbasisgruppen wie die Mütterzentren als gleichberechtigte<br />

Partner in kommunale Planungs- und Entscheidungsstrukturen<br />

einbezieht. Die hohe öffentliche Sichtbarkeit des Generationenhaus<br />

West ist eine Plattform, die die Leistungen von Frauen für das<br />

Funktionieren von Nachbarschaften auch sichtbar und öffentlich<br />

werden läßt.<br />

3) Öffentliche Räume zum Verweilen<br />

Um eine größere Aktivierung von Bürgern und Bewohnern zu erreichen<br />

muß großzügiger und sozial bewußter mit dem öffentlichen<br />

Raum umgegangen werden. In der Regel werden bei Kosteneinsparungen<br />

als erstes die Gemeinschaftsräume eingespart.<br />

3 Siehe hierzu die Broschüre: Habitat an die Basis, Schriftenreihe des Mütterforums<br />

Baden-Wuerttemberg, 1999<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 32 von 43<br />

„Innovativ bauen, das geht nur<br />

wenn man einen Freiraum hat.<br />

Eine soziale Vision mit Leben<br />

erfüllen, das geht nur wenn man<br />

nicht sagt, pro Kopf stehen nur<br />

so und so viele Quadratmeter<br />

zur Verfügung, die Zimmer dürfen<br />

nur so und so groß sein,<br />

Fenster dürfen nur so und so<br />

viele sein. Hier hatten wir einen<br />

wirklich guten Architekten, der<br />

das verstanden hat. Der nicht<br />

nur ein Gebäude erstellt hat,<br />

sondern eine Vision verfolgt<br />

hat.“ (Edgar Kurz, Gebrüder<br />

Schmid Stiftung)


„Was ich in diesem Prozeß gelernt<br />

habe, ist daß man nicht an<br />

einer Ecke etwas <strong>Neue</strong>s haben<br />

kann, ohne daß es sich auch auf<br />

andere Felder auswirkt. Ein offenes<br />

Haus funktioniert nicht<br />

ohne Selbstverwaltung, und<br />

Selbstverwaltung erfordert andere<br />

öffentliche Verwaltungsstrukturen<br />

und andere Förderrichtlinien.<br />

Man kann nicht sagen,<br />

man will soziale Innovation,<br />

aber ansonsten soll sich<br />

nichts verändern.“ (Sigrid<br />

Eppstein, Kindertagesstätte)<br />

„Eine Netzwerkstruktur erfordert<br />

gegenüber der hierarchischen<br />

Organisationsstruktur mehr<br />

Selbstverantwortung und partnerschaftliche<br />

Kooperation und<br />

weniger hierarchische Kontrolle.<br />

Dort wo es gelungen ist, das<br />

sind die stabilsten und erfolgreichsten<br />

Unternehmen. <strong>Das</strong> ist<br />

häufig noch Zukunftsmusik, aber<br />

hier ist es schon Gegenwart.“<br />

(Christa van Winsen, Prozeßbegleitung)<br />

Bürgerschaftliches Engagement läßt sich ohne offene öffentliche<br />

Treffpunkte im Stadtteil und ohne Gemeinschaftsräume in Wohnanlagen<br />

und Einrichtungen nicht erreichen. Ein wichtiger Faktor, der den<br />

gemeinschaftsstifenden Erfolg des Generationenhaus West ausmacht,<br />

ist der großzügige Umgang mit Raum, sowohl in den Außen- wie in<br />

den Innenflächen. Wenn Menschen jenseits von Kommerz oder<br />

Privatsphäre nicht zusammenkommen und sich begegnen können,<br />

wenn Räume sich nicht eignen zu Kommunikation und zum Verweilen<br />

läßt sich das soziale Tuch nicht weben, das die Grundlage lebendiger<br />

und gesunder Nachbarschaften ausmacht.<br />

4) Soziale Freiräume<br />

Auch mit sozialen Räumen muß großzügiger umgegangen werden,<br />

wenn Innovationen entstehen sollen. Bei den Planungen zu diesem<br />

Projekt war ein wichtiger Faktor, daß ein Freiraum zugestanden<br />

wurde, in dem die Beteiligten ihre Kommunikationsstrukturen und ihre<br />

Ideen in Ruhe entwickeln konnten, ohne jeden einzelnen Schritt<br />

rückmelden und legitimieren zu müssen.<br />

Dies trifft auch auf das Führen des fertigen Hauses zu. Mit hierarchischen<br />

Strukturen und engmaschigen Kontrollsystemen ist die soziale<br />

Qualität der Kommunikationsstrukturen, auf die es bei generationenübergreifenden<br />

sozialen Systemen primär ankommt, nicht herzustellen.<br />

Hier braucht es auch innovatives Management.<br />

<strong>Das</strong> Generationenhaus West wird von allen am Haus beteiligten<br />

Gruppen gemeinsam selbst verwaltet. Es gibt keinen Leiter oder Leiterin<br />

im Haus, sondern ein Leitungsteam. Dies stellt einen ähnlich<br />

intensiven Kommunikations- und Auseinandersetzungsprozeß auf<br />

Dauer, wie es den Planungsprozeß geprägt hat. Und es ermöglicht<br />

sektorübergreifende Kooperationen und <strong>Partnerschaften</strong>, wie sie zwar<br />

oft in der Programatik als wünschenswert genannt, aber selten real<br />

umgesetzt werden. In der Regel „gehören“ Projekte einer Institution<br />

oder einem Träger, z.B. einem Wohlfahrtsverband, der Kirche oder<br />

der Stadt. Dieses Haus gehört mehreren unterschiedlichen Gruppen<br />

einschließlich der Nachbarschaft. Durch die Selbstverwaltung sind<br />

ständige Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse strukturell eingebaut,<br />

die es braucht, damit alle gleichermaßen sich mit den Zielen des<br />

Hauses identifizieren und partnerschaftlich zu seinem Erfolg beitragen.<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 33 von 43


5) Sektorenübergreifende <strong>Partnerschaften</strong><br />

Große Institutionen und Verwaltungen mit großen Bürokratien tun<br />

sich bekanntlich etwas schwerer mit Veränderungen. Es zeigt sich oft<br />

als dem Prozeß sozialer Innovation dienlich, wenn Akteure von außen<br />

beteiligt werden, ein Grund warum in modernen sozialpolitischen<br />

Konzeptionen so viel Wert auf sektorenübergreifende Kooperationen<br />

gelegt wird.<br />

Der dritte Sektor wird eine zunehmend wichtige Rolle bei der Finanzierung<br />

sozialer Innovationen spielen, denn wir haben es jetzt mit<br />

einer Generationen von Erben zu tun, die über große Finanzvolumen<br />

verfügen. Private Stiftungen werden ein größeres Gewicht bekommen,<br />

die öffentliche Hand an Entscheidungs- und Definitionsmacht<br />

verlieren.<br />

<strong>Das</strong> Generationenhaus West hat inhaltlich sehr davon profitiert, daß<br />

es auf einer Partnerschaft aufbaute, in der mehrere Akteure beteiligt<br />

waren und das Sagen hatten.<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 34 von 43<br />

„Man muß außenstehende<br />

Gruppierungen einbeziehen.<br />

Stiftungen und die Selbsthilfe<br />

zusammenzubringen - das wirkt<br />

dann wie Zauberei.“ (Gabriele<br />

Müller-Trimbusch, Bürgermeisterin)


„Es ist wichtig, daß sich alle bewußt<br />

sind, daß dieses Haus ein<br />

Geschenk ist, daß uns allen gegeben<br />

wurde und womit alle<br />

verantwortungsbewußt umgehen<br />

sollten.“ (Christine Heizmann-Kerres,<br />

Hochbauamt)<br />

VI. EMPFEHLUNGEN<br />

Perspektiven im Haus<br />

Mit der Eröffnung des Generationenhaus West ist der Prozess nicht zu<br />

Ende, sondern fängt erst an. Die Instrumente, die für den Erfolg der<br />

Planungsphase wichtig waren, bleiben weiterhin für die Praxis im<br />

Haus wichtig. In der tagtäglichen Praxis muß weiterhin viel Raum sein<br />

für vertrauensbildende Maßnahmen und Kommunikation, für Partnerschafts-<br />

und Teambildung, für Lernprozesse und Veränderung, damit<br />

diejenigen, die die Vision umsetzen und das Haus mit Leben füllen<br />

weiterhin sich finden und weiterentwickeln können. Es handelt sich<br />

hier um eine lernende Organisation, für die Flexibilität und Entwicklungsraum<br />

gegeben und für die begleitende Unterstützungssysteme<br />

entwickelt werden müssen, damit die Kultur im Haus positiv bleiben<br />

kann, Geben und Nehmen für alle gut ausbalanciert werden und jeder<br />

Partner für die eingebrachten Kompetenzen, Leistungen und Beiträge<br />

angemessene Wertschätzung findet.<br />

Mit dem Generationenhaus West ist mit großzügigen privaten<br />

Mitteln und mit viel Know How aus Praxis, Profession, Verwaltung<br />

und Politik eine Vision und ein großzügiger Bau gesetzt worden,<br />

der Raum für Entwicklung läßt. Vieles muß in der Praxis erst<br />

wachsen, dafür muß Raum und Zeit gelassen werden.<br />

Folgende Maßnahmen werden empfohlen:<br />

* Regelmäßige Jour Fixe Termine unter allen Beteiligten im Haus<br />

* Weiterführung der Prozeßbegleitung und Beratung des Leitungsteams<br />

* Regelmäßige Reflektionsmöglichkeiten außerhalb des Alltagsgeschäfts<br />

(Klausuren, Seminare)<br />

* Schulungen in Teamfähigkeit<br />

* Supervisionsangebote und Coaching für die einzelnen Teammitglieder<br />

* Dokumentation der ersten Jahre im Haus<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 35 von 43


„Für das Team wäre es gut, wenn sie regelmäßige Evaluationsrunden<br />

einplanten um Bilanz zu ziehen. Sind wir noch bei unseren Zielen?<br />

Was ist kritikfähig und verbesserungswürdig? Was läuft gut und sollte<br />

in die Zukunft transportiert werden: auf der persönlichen Ebene, auf<br />

der Ebene des Programms und der Angebote im Haus und strukturell.<br />

Sprechen wir noch dieselbe Sprache, gibt es unterschiedliche Kulturen<br />

zu übersetzen und zu überbrücken, gibt es Mißverständnisse auszuräumen,<br />

müssen wir <strong>neue</strong> Kommunikations- und Umgangsregeln<br />

entwickeln? Man kann auch Teamhygiene dazu sagen. Genauso wie<br />

man eine Putzfrau braucht, damit es draußen sauber ist, braucht man<br />

etwas, daß es intern sauber bleibt. Daß sich da nichts anstaut, daß<br />

sich da nicht Schutt auf die Seelen legt, wie Mehltau, daß sich kein<br />

Mobbing etabliert. Es ist aber auch wichtig, daß die Beteiligten sich<br />

klar machen, sie können jetzt aus der Fülle heraus agieren. Sie können<br />

selbstbewußt und in Ruhe an die Dinge rangehen wo weiterer<br />

Lernbedarf ist.“ (Prozeßbegleitung)<br />

„Es wird wichtig sein, weiterhin Zugang zu einer Prozeßbegleitung zu<br />

haben. In städtischen System kann man mittel für Supervision und<br />

Prozeßmoderation beantragen, wenn es Probleme gibt und etwas<br />

bereits schief gelaufen ist. Und individuelles Coaching gibt es nur auf<br />

der Ebene von Amtsleitern. Wir sollten im Haus jedoch eine Struktur<br />

haben, die regelmäßige Reflektion und kontinuierliches Problemlösungsverhalten<br />

stimuliert. Sinnvoll wäre es auch, den Prozeß im<br />

Haus zu dokumentieren, so daß wir davon lernen können.“ (Kindertagesstätte)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 36 von 43<br />

„Als Wirtschaftsunternehmen ist<br />

uns die Bedeutung bekannt, die<br />

bei einem Prozeß mit so unterschiedlichen<br />

Planungspartnern<br />

einer Prozeßbegleitung zukommt.<br />

(Brigitte Preuß, Allianz<br />

Versicherungen)


„Wenn die einen im System sind<br />

und die anderen kommen von<br />

Außen, da gibt es einfach viele<br />

Reibungsflächen. <strong>Das</strong> ist ein<br />

strukturelles Problem, das aber<br />

oft an den Individuen festgemacht<br />

wird. <strong>Das</strong> heißt dann die<br />

einen sind zu mißtrauisch oder<br />

unrealistisch oder zu dünnhäutig.<br />

Bzw. die anderen sind zu<br />

stur, feindlich oder phantasielos.<br />

Da wird oft nicht inhaltlich diskutiert,<br />

sondern über lauter Persönlichkeitsmerkmale.<br />

Da reibt<br />

man sich an Personen auf, anstatt<br />

die strukturellen Widersprüche<br />

anzugehen.“ (Andrea<br />

Laux, EKIZ)<br />

„<strong>Das</strong> Haus bietet jetzt unendliche Möglichkeiten. Wir können Essen an<br />

die Schulen rundum anbieten, auch an alte Leute im Stadtteil, oder<br />

auch einen Mittagstisch für die Büros ringsrum. Wir können im Prinzip<br />

alle Gruppen des Stadtteils ins Haus einbinden, auch die Jugendlichen<br />

integrieren. Wir können den Garten und die Dachterasse in blühende<br />

Oasen urbaner Gastlichkeit und interkultureller Begegnung verwandeln,<br />

wir können den Generationenvertrag neu interpretieren, auf der<br />

Basis von Nachbarschaft und gegenseitigen Hilfsleistungen. <strong>Das</strong> alles<br />

kann jetzt Schritt für Schritt wachsen und gedeihen.“(EKIZ)<br />

Bedingungen der Übertragbarkeit<br />

Beim Zustandekommen des Generationenhaus West sind einige<br />

glückliche Umstände zusammengekommen. <strong>Das</strong> macht das Haus jedoch<br />

nicht zu einem einmaligen „Glücksfall“, der sich anderswo nicht<br />

wiederholen läßt. Aus den Elementen, die den Erfolg des Projekts<br />

ausmachten und aus den Empfehlungen der Beteiligten, was man<br />

noch verbessern könnte, lassen sich Möglichkeiten zur Replikation und<br />

Bedingungen der Übertragbarkeit zusammenstellen für Interessierte<br />

aus anderen Gemeinden oder Stadtteilen, die vom „<strong>Stuttgarter</strong><br />

<strong>Modell</strong>“ lernen und Ähnliches auch bei sich umsetzen wollen.<br />

Innovationsprojekte wie dieses brauchen die Beteiligung starker und<br />

hochmotivierter Persönlichkeiten und engagierter Visionäre die jedoch<br />

in ihren individuellen Handlungsfähigkeiten unterstützt werden müssen.<br />

Wenn Gruppierungen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen<br />

Bereichen, die keine Erfahrungen der Zusammenarbeit haben,<br />

zusammenkommen und eine Partnerschaft eingehen, sind Konflikte<br />

und Mißverständnisse strukturell eingebaut. Damit diese einerseits als<br />

strukturelle erkannt und nicht persönlich genommen oder an Persönlichkeitsmerkmalen<br />

der einzelen Beteiligten festgemacht werden, und<br />

andererseits die einzelnen Beteiligten die Fähigkeiten entwickeln den<br />

dabei unumgänglichen Streß auszuhalten und durchzustehen, braucht<br />

es strukturelle Prozeßunterstützung in Form von Zeit, professionelle<br />

Moderation, Reflektionsfreiräumen und individuellen Coachingangeboten.<br />

Der Wille zur Innovation muß auf oberster Ebene vorhanden sein. Die<br />

beteiligten Partner müssen jeweils mit denjenigen zu tun haben, die<br />

in den jeweiligen Bereichen tatsächliche Entscheidungsbefugnisse<br />

haben. Gleichzeitig müssen die mittleren und unteren Ebenen ins<br />

Innovationsgeschehen einbezogen und eingewiesen sein.<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 37 von 43


Es muß viel Zeit für die Annäherung der Beteiligten und für die Herstellung<br />

von Transparenz eingeplant werden. Es müssen offene<br />

Kommunikationsstrukturen ermöglicht und gefördert werden, in<br />

denen sowohl Vorbehalte und Ängste offen auf den Tisch gelegt werden<br />

können, wie an den gemeinsamen Zielen und Visionen gearbeitet<br />

werden kann. Partner sollten es für sich klar haben und es auch<br />

kommunizieren können, wo sie Gemeinsamkeiten und wo sie Unterschiede<br />

sehen, wie weit jede Partei gehen kann und will, und wo für<br />

die einzelnen die Grenzen gesetzt sind.<br />

Folgende Checkliste wird zur Beachtung empfohlen:<br />

• Alle Beteiligte von Anfang an am Planungsprozeß gleichberechtigt<br />

einbinden, niemanden vergessen oder ausschließen.<br />

• Partizipative Planungen dürfen keine pro Forma Veranstaltungen<br />

sein, sondern wirkliche Entscheidungen beinhalten.<br />

• Rahmenbedingungen und politische Intentionen offenlegen. Keine<br />

heimlichen Lehrpläne, versteckten Strategien, unklare Bedingungen,<br />

unbekannte Vorhaben.<br />

• Hierarchische Strukturen außen vor lassen. Planungstreffen<br />

kooperativ und konsensual gestalten, keine einschüchternden<br />

Rituale, keine Denkverbote. Keine Dominanz einer Kultur oder<br />

eines Sprachgebrauchs. Entspanntes Arbeitsklima, das Kreativität<br />

fördert.<br />

• Bei sektorenübergreifenden <strong>Partnerschaften</strong> viel Zeit für einen intensiven<br />

Kennenlern- und Annäherungsprozeß der unterschiedlichen<br />

Partner lassen und einplanen.<br />

• Finanzielle Planungssicherheit gewährleisten.<br />

• Kommunikationsspielregeln, Umgangsformen und Verfahrensweisen,<br />

Sprachgebrauch und Sprachregelungen ansprechen, aushandeln<br />

und vereinbaren.<br />

• Gleicher Zugang aller Beteiligten zu Informationen, Transparenz<br />

des Informationsflusses.<br />

• Supervision, Coaching und Prozeßbegleitung erweisen sich als<br />

struktureller Teil von Bürgerbeteiligung. Finanzmittel dafür einplanen.<br />

• „Kulturelle Übersetzer“, die sich in den verschiedenen Alltagskulturen<br />

und „corporate identities“ auskennen und vermitteln und übersetzen<br />

können einbinden. Diese müssen von allen anerkannt und<br />

akzeptiert werden.<br />

• Strukturelle Ungleichheiten wie unterschiedliche zeitliche und<br />

finanzielle Ressourcen der beteiligten Partner offenlegen und<br />

ausgleichen.<br />

• Verwaltungsangestellte für den Umgang mit Bürgern und Selbsthilfegruppen<br />

vorbereiten und fachbilden.<br />

• Beiträge der Beteiligten sichtbar anerkennen und wertschätzen,<br />

Erfolge gemeinsam feiern.<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 38 von 43<br />

„Man muß bei so einem Prozeß<br />

vergessen in welcher Partei man<br />

ist und in welcher Abteilung der<br />

Verwaltung man steht. Um zu<br />

einer wirklichen sachlichen Kooperation<br />

zu kommen, muß man<br />

sich der Sache unterwerfen.“<br />

(Edgar Kurz, Gebrüder Schmid<br />

Stiftung)<br />

„Daß wohlfahrtsstaatliche Aufgaben<br />

ehrenamtlich geliefert<br />

werden sollen, das ist eine<br />

Milchmädchenrechnung. Selbsthilfe<br />

ist nicht automatisch<br />

Ehrenamt. <strong>Das</strong> ist eine Motivationsfrage,<br />

man tut es für sich<br />

und den nächsten, für die eigene<br />

Vision, die eigenen Werte.<br />

<strong>Das</strong> ist aber nicht mit Ehrenamt<br />

gleichzusetzen. <strong>Das</strong> sind<br />

Präventionsleistungen. <strong>Das</strong> erspart<br />

der Stadt viele Probleme<br />

und viele Kosten. <strong>Das</strong> kann man<br />

nicht zum Nulltarif erwarten.“<br />

(Christa van Winsen, Prozeßbegleitung)


Zusammenfassend einige Ratschläge in den Worten der Beteiligten:<br />

„Innovationen müssen von oben gewollt sein. Aber sie lassen sich<br />

nicht durchsetzen, wenn das mittlere Management und die Verwaltungsangestellten,<br />

die sie umsetzen müssen nicht sorgfältig informiert<br />

und eingestimmt werden. Sie müssen die Ziele kennen und wissen,<br />

was auf sie zukommt und was von ihnen erwartet wird. Daß die Dinge<br />

anders laufen müssen als üblich und daß sie größere Spielräume zulassen<br />

dürfen, daß Vorschriften flexibel und kreativ ausgelegt werden<br />

müssen.“ (Prozeßbegleitung)<br />

„Die Prozeßbegleitung war wichtig. Es braucht eine Begleitung und<br />

Steuerung, um die strukturellen Probleme und Konflikte immer wieder<br />

zum Thema zu machen. <strong>Das</strong> können die Beteiligten nicht alleine. Dies<br />

darf von der Verwaltung nicht unterschätzt werden, da muß Zeit und<br />

Mittel dafür eingeplant werden. Es müssen strukturelle Bedingungen<br />

hergestellt werden, unter denen Konflikte auch da sein und ausgehandelt<br />

werden können, ohne daß es die Effektivität und den<br />

Zeitrahmen der Planung sprengt, und die Motivation der Beteiligten<br />

schwächt. Mit Mißverständnissen, Gerüchteküchen und Mißtrauen<br />

muß man bei so einem Prozeß rechnen. Es müssen Strukturen vorhanden<br />

sein, sie zu klären und aufzulösen. Es muß auch eine<br />

Planungssicherheit gewährleistet werden, daß das Projekt nicht durch<br />

irgendwelche Änderungen in der Stadt oder dem Gemeinderat gefährdet<br />

ist.“ (Jugendhilfeplanung)<br />

„<strong>Das</strong> nächste Mal sollte man eine klarere Projektstruktur vorgeben<br />

und die Zuständigkeiten zwischen Nutzern, Verwaltung, Politik,<br />

Vermittler und Stifter nachvollziehbar abklären. Wer spielt welche<br />

Rolle und bestimmt über was und welche Spielräume ergeben sich<br />

daraus, was ist der zeitliche Rahmen für Entscheidungen und bis<br />

wann müssen sie getroffen sein. Man könnte so etwas mit einem Diagram<br />

festhalten und vorgeben. Es sollte auch mehr schriftlich festgehalten<br />

werden, Protokolle machen, Vereinbarungen treffen, Regeltermine<br />

festlegen. Lieber einen Termin umsonst, als daß man sich<br />

erst wieder trifft, wenn was in Busch ist.<br />

Auf der anderen Seite muß man, wenn man Laien beteiligt, auch dafür<br />

sorgen, daß sie dieselben Möglichkeiten haben, sich als gleichberechtigte<br />

Partner einzubringen. Dazu gehört z.B auch Ressourcen einzuplanen,<br />

daß sie sich als Gruppe finden und konsolidieren können.<br />

Die Verwaltung bietet ihren Angestellten und ihren Einrichtungen<br />

Supervision und Teambegleitung an. Selbsthilfegruppen brauchen so<br />

etwas auch, daß sie mal eine Klausurtagung veranstalten können und<br />

ihre Positionen klären und unter sich auch ausgären können. Sie<br />

brauchen die Möglichkeit als Gruppe an ihren Zielen zu arbeiten. <strong>Das</strong><br />

muß man zur Verfügung stellen.“ (Jugendhilfeplanung)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 39 von 43


Empfehlungen für die Politik<br />

Bürgernähe und generationenübergreifende Ansätze können nicht als<br />

einzelne, isolierte Projekte realisiert werden, sondern müssen eingebettet<br />

sein in eine Politik, die mit diesen Zielen kongruent ist. Betroffenenbeteiligung,<br />

lernende Organisationen, Förderung von Selbsthilfegruppen<br />

erfordern von der Kommune ein stückweit aus ihren<br />

bürokratischen Strukturen auszusteigen und Raum für Selbstbestimmung<br />

und Entwicklungen an der Basis zuzulassen. Sie erfordern eine<br />

andere Art von Organisationsentwicklung und andere Förderkriterien.<br />

Es braucht andere Denk- und Handlungsmuster der Verwaltung und<br />

unterstützende Fortbildung und Supervision im wechselseitigen Umgang<br />

von Bürgerselbstorganisationen und Verwaltung. Ressourcen<br />

müssen umgeleitet, Prioritäten und Investitionen neu definiert werden.<br />

Auch bei dieser Umstrukturierung selbst ist es sinnvoll einen<br />

partizipativen Ansatz zu verfolgen und die Betroffenen zu Beteiligten zu<br />

machen, sowie sektorenübergreifende <strong>Partnerschaften</strong> einzubeziehen.<br />

Folgende Eckpunkte können dabei Orientierungshilfen abgeben:<br />

* Bürgerpartizipation als allgemeines Prinzip kommunaler Planung<br />

* Entbürokratisierung der Administration<br />

* Förderrichtlinien und Verwaltungsvorschriften, die Selbstverwaltung,<br />

vernetzte Organisationsstrukturen und Basisbeteiligung zulassen<br />

* Fortbildungen für die Verwaltung im Umgang mit Selbsthilfegruppen,<br />

sowie Fortbildungen von Selbsthilfegruppen im Umgang mit<br />

der Verwaltung.<br />

Zum Schluß einige Empfehlungen im Wortlaut:<br />

„Wenn der Erfolg dieses Hauses gefeiert wird und sich alle damit<br />

identifizieren, sollte klar gemacht werden, daß es nicht einfach vom<br />

Himmel gefallen ist. Da sind die Nutzer von Anfang an in den Planungsprozeß<br />

miteinbezogen worden. Daraus muß man die Konsequenzen<br />

ziehen und das woanders auch machen. Nicht daß es heißt,<br />

das ist jetzt unser Erfolgsobjekt, aber ansonsten machen wir weiter<br />

wie bisher, dann ist es nicht wirklich eine Innovation, sondern ein<br />

Aushängeschild. Ganz im Gegenteil, dieses Projekt muß auf andere<br />

Bereiche der Stadt ausstrahlen und eine Kette von Reformen und<br />

weiteren Innovationen nach sich ziehen.“ (EKIZ)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 40 von 43<br />

„Wenn man es mit anderen<br />

Häusern im selben Maßstab vergleicht,<br />

dann hält dieses Projekt<br />

durchaus einen Kostenvergleich<br />

aus. <strong>Das</strong> zeigt, Innovationen<br />

müssen nicht unbedingt teurer<br />

sein, wichtig ist der Freiraum im<br />

Planungsprozeß.“ (Christine<br />

Heizmann-Kerres, Hochbauamt)<br />

„Durch den intensiven Kommunikationsprozeß<br />

aller war es bei<br />

der Möblierung möglich, nach<br />

dem wirklichen Bedarf und den<br />

unterschiedlichen Aktivitäten im<br />

Haus vorzugehen und nicht<br />

einfach nach Schema F allen<br />

Beteiligten dieselben Mittel zuzuweisen.<br />

<strong>Das</strong> war ein sehr<br />

harmonischer Prozeß und wäre<br />

nicht möglich gewesen, wenn es<br />

strikte Regeln gegeben hätte,<br />

die nach abstrakten Prinzipien<br />

und nicht nach den Gegebenheiten<br />

vor Ort ausgerichtet<br />

sind.“ (Brigitte Gramlich,<br />

Jugendamt)


„Wenn bei jedem Bauvorhaben,<br />

gleichwohl ob es sich um ein<br />

privates oder ein öffentliches<br />

Projekt handelt, die Nutzer einbezogen<br />

wären, sähen unsere<br />

Städte anders aus.“ (Alexander<br />

Hoffmann, Hochbauamt)<br />

„Unter Professionellen gibt es oft Widerstände gegenüber einer<br />

Bürgerbeteiligung an Planungs- und Entscheidungsprozessen. Die<br />

Kollegen fühlen sich abgewertet: Wieso sollen die Bürger das Sagen<br />

haben, das ist doch unser Beruf. Was sie oft dabei jedoch vergessen<br />

ist daß auch professionelles Handeln erklärt, begründet und transparent<br />

gemacht werden muß. Wenn man beteiligen will, muß man<br />

sein Handeln auch übersetzen und erläutern. Daß bedeutet nicht, daß<br />

professionelles Know How und Erfahrung nichts mehr gilt, aber man<br />

muß gute Gründe haben und sie auch erklären und nachvollziehbar<br />

machen können dafür, die Dinge so und nicht anders entscheiden zu<br />

wollen. <strong>Das</strong> ist ungewohnt für die Verwaltung. Viele Konflikte in Beteiligungsprozessen<br />

entstehen dadurch, daß Dinge einfach gesetzt und<br />

nicht erklärt werden. Hier muß die Verwaltung lernen mehr zu erläutern<br />

und sich auch mal eines Besseren belehren zu lassen. Denn die<br />

Praxis hat auch Erfahrungen und Know How und von ihnen kann man<br />

auch lernen.“ (Jugendhilfe)<br />

„Wir begleiten ja auch Firmenteams in großen Projekten. Es ist absolut<br />

notwendig, die Leute, die in diesem Prozeß beteiligt sind, zu<br />

coachen. <strong>Das</strong> sind alles Persönlichkeiten, aber die haben natürlich<br />

auch ihre Schwächen. Hier muß man auch individuell unterstützen,<br />

denn an den Personen hängt es ja oft auch letztlich, wenn der Prozeß<br />

gelingen soll. Solche dynamischen und extrovertierten Persönlichkeiten,<br />

die man für so ein Hochleistungsteam in so einem Projekt unbedingt<br />

braucht, die müssen immer wieder auch als Person rangenommen<br />

und gestärkt werden, daß sie auch für sich Platz finden und<br />

durchatmen können.“ (Prozeßbegleitung)<br />

„Da hätte die Stadt in ihren Abteilungen ja schon mal signalisieren<br />

können, hier entsteht ein tolles <strong>neue</strong>s Projekt, seit mal für die offen.<br />

So aber haben wir um jede Mark, jedes Büro und jeden Vertrag<br />

kämpfen müssen. <strong>Das</strong> war so frustrierend und einschränkend, daß<br />

alles erkämpft werden mußte. Oft haben die erst mal dicht gemacht<br />

und es hat erst mal lange Verhandlungen gebraucht. Ich habe oft<br />

gedacht, die Verwaltungsvorschriften, die passen einfach nicht zu<br />

diesem Haus. Daran muß dann auch intern gearbeitet werden, das<br />

kann man nicht alles uns außenstehenden überlassen.“ (EKIZ)<br />

„<strong>Das</strong> eigenverantwortlich in Selbstorganisation arbeitende Generationenzentrum<br />

ist auf die ideelle, personelle und finanzielle Unterstützung<br />

durch Dritte angewiesen. <strong>Das</strong> Angebot der verschiedenen Träger<br />

und Aktiven richtet sich an alle Generationen und Menschen in den<br />

verschiedensten Lebenslagen - gerade auch sozial Schwache und<br />

Menschen aus gesellschaftlich randständigen Gruppen.<br />

Dies schließt einen kostendeckenden oder gar gewinnbringenden Betrieb<br />

nach aller Erfahrung aus. Insofern ist eine materielle und emo-<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 41 von 43


tionale Rahmung notwendig, durch städtische Zuschüsse sowie durch<br />

bürgerschaftlich engagierte MitbürgerInnen.“ (Konzeptpapier)<br />

„Es heißt ja von allen Seiten, dieses Projekt ist nur gelungen, weil<br />

man durch den Stifter einen Freiraum hatte von städtischen Reglements<br />

und Vorgaben. Da müßte doch die Stadt jetzt auch ein Interesse<br />

daran haben, von diesem Erfolg zu lernen und ihre Reglements<br />

so zu verändern, daß alle Planungen so erfolgreich verlaufen wie<br />

diese. Denn sie arbeiten ja mit Steuermitteln, und es wäre ja gut,<br />

wenn alle ihre Projekte so gelingen. Aus der Qualität dieses Projekts<br />

sollte die Stadt Konsequenzen ziehen für ihre eigenen Amtsstrukturen<br />

und für zukünftige Entscheidungsprozesse.“ (EKIZ)<br />

„Im Grunde müßte ein völlig <strong>neue</strong>r „interkultureller“ Fortbildungszweig<br />

entwickelt werden an der Schnittstelle zwischen Selbsthilfe und<br />

Administration. Damit die Verwaltung lernt, wie die Selbsthilfe denkt,<br />

in welche Fettnäpfen man im Umgang mit ihr treten kann und wie<br />

man echte partizipative Prozesse fördert. Umgekehrt müßten Selbsthilfegruppen<br />

ein Training darin bekommen, unter welchen Bedingungen<br />

die Administration arbeitet, warum sie so denken und handeln,<br />

wie sie es tun, und wie man Bürgeranliegen so formuliert und vermittelt,<br />

daß sie in Verwaltungshandeln transportiert werden können.<br />

Wir könnten so ein Fortbildungsinstitut aufmachen, da wäre sicher<br />

Bedarf. (EKIZ)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 42 von 43<br />

„Ein partizipativer Planungsprozeß<br />

ist zeitaufwendig, aber die<br />

Resultate sind überzeugend.<br />

Gremienarbeit und politische<br />

Ausschüsse sind auch zeitaufwendig.“<br />

(Gabriele Müller-Trimbusch,<br />

Bürgermeisterin)


„Dieses Haus mag vielleicht<br />

nicht allen professionellen Standards<br />

entsprechen. Viel wird<br />

hier auch improvisiert. Es ist<br />

gerade das Nicht Perfekte, daß<br />

die Stimmung so entspannt und<br />

fröhlich sein läßt. Dieselbe Art<br />

von Freude, das von einem<br />

selbstgemachten Geschenk ausgeht<br />

gegenüber einem Geschenk,<br />

daß im Kaufhaus gekauft<br />

wurde.“ (Edgar Kurz,<br />

Gebrüder Schmid Stiftung)<br />

„Man muß nur dafür sorgen, daß<br />

die Menschen sich das Gebäude<br />

selber anschauen. Es hat noch<br />

keinen gegeben, der Fuß in das<br />

Haus gesetzt hat ohne begeistert<br />

zu sein.“ (Gabriele Müller-<br />

Trimbusch, Búrgermeisterin)<br />

<strong>Neue</strong> <strong>Partnerschaften</strong> <strong>fürs</strong> <strong>neue</strong> <strong>Jahrtausend</strong>-<strong>Das</strong> <strong>Stuttgarter</strong> <strong>Modell</strong><br />

1sten Februar 2002. Seite 43 von 43

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