Dr. Georg Schreiber 2009 Medien- preis
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FAST<br />
FAST ERWACHSEN, FAST GLÜCKLICH, FAST PERFEKT<br />
KLARTEXT<br />
DAS JUNGE MAGAZIN DER DEUTSCHEN JOURNALISTENSCHULE LEHRREDAKTION 47B NUMMER 1 <strong>2009</strong><br />
Gefangen im<br />
eigenen Land –<br />
jung sein<br />
in Palästina<br />
Seite 18<br />
Wie der Ex-Bassist<br />
der Sportfreunde<br />
das Rockstar-<br />
Leben verpasste<br />
Seite 10<br />
Die besten<br />
Ferien für<br />
100 Euro<br />
Seite 26<br />
Trip ohne Ende:<br />
Kann Kiffen den<br />
Verstand kosten?<br />
Seite 38<br />
Und: So wird<br />
man Vampir<br />
Seite 16
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aufeinander, um die Zukunft zu gestalten.<br />
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Connecting Global Competence
Chantal, 18, war ein<br />
Glücksfall: Ihre Freundin<br />
Nadja brachte sie zum<br />
Modeshoot mit. Erst war<br />
sie schüchtern – aber<br />
dann schaffte Chantal es<br />
mit großen Sprüngen<br />
sogar auf unser Cover.<br />
Seite 53<br />
Martin, 21, hat im Fotostudio<br />
sofort seinen MP3-<br />
Player aufgedreht. Als<br />
Profi-Model weiß er eben,<br />
wie man locker wird. Auf<br />
der Straße würde man ihn<br />
übrigens nicht wiedererkennen<br />
– mit Brille und<br />
gekämmten Haaren.<br />
Seite 50<br />
�<br />
Wir sind auch<br />
im Internet<br />
Das FAST MAGAZIN<br />
gibt’s gleichzeitig online.<br />
Wo dieses Zeichen steht,<br />
findest du im Netz neue<br />
Geschichten zum Thema:<br />
klartext-magazin.de/47b<br />
3<br />
Wem kann man glauben? Was<br />
machen die anderen<br />
eigentlich gerade?<br />
War früher vielleicht wirklich alles<br />
besser? Und was passiert morgen?<br />
Es geht los.<br />
Fast.<br />
Die Welt ist schnell, aufregend – und auf den ersten<br />
Blick ein ziemliches Durcheinander. Aber in<br />
dem Chaos verstecken sich Menschen und ihre Geschichten.<br />
Die erzählen wir in diesem Heft. �<br />
Und mit jeder Geschichte, die man kennt, ergibt<br />
das alles da draußen ein bisschen mehr Sinn. Auch<br />
wenn das vielleicht nur bedeutet, dass man jetzt<br />
endlich weiß, was Clown-Step eigentlich ist.<br />
Arne und Florian fanden heraus, wie es ist, gefangen<br />
im eigenen Land zu sein. Lisa und Martin sprachen<br />
mit jungen Müttern; Carina mit einem, der<br />
kiffte und dann Stimmen hörte. Und Alex traf<br />
Andi, der Rockstar hätte werden können, aber<br />
nicht wollte.<br />
Wie werde ich Vampir? Wer erledigt<br />
meinen Kram,<br />
wenn ich mal keine<br />
Lust habe? Warum weiß ich<br />
bei Liebesfilmen immer schon<br />
nach zwei Minuten, wie die Geschichte<br />
ausgeht? Wann kommst du? Oder<br />
bist du schon gekommen? Und jetzt?
4 Inhalt<br />
FAST Ausgabe 01 <strong>2009</strong><br />
Titelthema<br />
Weißt du, was du trägst?<br />
Unsere Models zeigen revolutionäre<br />
Accessoires by Che, Leo und Yassir<br />
Seite 48<br />
Titelthema<br />
Impressum<br />
Made in India<br />
Was herauskommt, wenn man sein<br />
Referat in Indien machen lässt<br />
Seite 28<br />
Wortplantage<br />
Für FAST schreiben drei<br />
Poetry-Slammer übers Reden<br />
Seite 36<br />
Kurvendiskussion<br />
Berühmte Kurven mal anders<br />
diskutiert<br />
Seite 60<br />
Wie werde ich Vampir?<br />
Beißen, saugen, Seele verkaufen –<br />
so könnte es klappen<br />
Seite 16<br />
KLARTEXT Nr. 18<br />
Ein Magazin der Lehrredaktion 47B<br />
der Deutschen Journalistenschule<br />
www.klartext-magazin.de<br />
Herausgeber:<br />
Deutsche Journalistenschule e.V.<br />
Altheimer Eck 3<br />
80331 München<br />
Telefon 089/2355740<br />
Fax 089/268733<br />
www.djs-online.de<br />
Redaktion & Layout:<br />
Martin Anetzberger<br />
Che Berberich<br />
Carina Braun (Bildredaktion)<br />
Lukas Eberle (Onlineredaktion)<br />
Sebastian Erb (Chefredaktion)<br />
Katharina Fuhrin (Art Direktion)<br />
Clemens Haustein<br />
Wer Fußballprofi werden will...<br />
...muss sich an strikte Regeln halten. So wie<br />
Patrick im Internat des VfB Stuttgart<br />
Seite 56<br />
Olivia Höner (Chefredaktion, V.i.S.d.P.)<br />
Florian Meyer (Onlineredaktion)<br />
Alexander Neumann (Chefredaktion)<br />
Arne Orgassa (Chef vom Dienst)<br />
Thomas Salter (Textchef)<br />
Samira Schellhaaß<br />
Lisa Srikiow<br />
Katharina Zabrzynski<br />
Beratung:<br />
Marc Deckert (Text)<br />
Maximilian Gaub (Online)<br />
Erol Gurian (Foto)<br />
Tom Ising (Layout)<br />
Carolin Schuhler (Konzept)<br />
Anzeigen:<br />
cross.com<br />
Tanja Leis<br />
Venusstraße 1<br />
82205 Gilching<br />
Telefon 08105/390799<br />
E-Mail: leis@cross-com.de<br />
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Seite 14<br />
<strong>Dr</strong>uck und Lithografie:<br />
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Peter-Anich-Straße 14<br />
I-39011 Lana (BZ)<br />
Tel.: 0039(0)473/49 85 00<br />
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Dank an:<br />
Nadja Attalai Achri, Katharina Bohndorf,<br />
Ulrich Brenner, Familie Cujko,<br />
Erik <strong>Dr</strong>eyer - Loft 506, Franz-Marc-<br />
Gymnasium Markt Schwaben, Chantal<br />
Geissler, PS Models, hair & make up:<br />
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Simon Sieber (ComiCaturist TM,<br />
bebop666 @gmx.de), Familie Schöffmann<br />
und Tanja Siller von der Kupferglocke<br />
in der Theresienstraße 128,<br />
Jasmin Srouji, Sven Szalewa, Team der<br />
DJS, Willi-Graf-Gymnasium München<br />
Titelthema<br />
Blaufahren<br />
Fast philosophisch: Sätze, die man<br />
so nur im Nachtbus hört<br />
Seite 72<br />
<strong>Dr</strong>ogentrip ohne Ende<br />
Wie es ist, wenn der Rausch<br />
einfach nicht mehr aufhören will<br />
Seite 38<br />
Rettet die Wahlen!<br />
Du weißt nicht, was du wählen sollst?<br />
Nach 13 Fragen bist du schlauer<br />
Seite 44
Mehr Respekt, bitte<br />
Junge Mütter haben zu kämpfen –<br />
vor allem mit ihrem Image<br />
Seite 66<br />
Titelthema<br />
Stiller Sportfreund<br />
Andi Erhard hätte Rockstar werden<br />
können. Wollte er aber nicht<br />
Seite 10<br />
Im Auge des Sturms<br />
Von Nazis angegriffen, im Gefängnis<br />
gelandet: Trotzdem kämpft Rapper<br />
QuietStorm weiter gegen Rechts<br />
Seite 30<br />
Musikologie<br />
Clown-Step, Krishna-Core, Neurofunk<br />
– verwirrt? Wir klären auf<br />
Seite 54<br />
Titelthema<br />
Party auf Pump<br />
Wir erklären die Wirtschaftskrise –<br />
in einer Kneipe<br />
Seite 34<br />
Happy End in fünf Schritten<br />
Bastle dir deinen eigenen Liebesfilm.<br />
Wir liefern die Bausteine<br />
Seite 24<br />
So tickt die Welt<br />
Sieben Menschen, sieben Zeitzonen,<br />
sieben Momente<br />
Seite 6<br />
5<br />
Im Land der begrenzten Möglichkeiten<br />
Jung sein in Palästina heißt vor allem<br />
früh erwachsen werden<br />
Seite 18<br />
So kommst du billig weg!<br />
Du hast 100 Euro? Das reicht für den<br />
perfekten Urlaub<br />
Seite 26<br />
Titelthema<br />
Rubriken<br />
Einblick:<br />
Sandra zeigt uns, was alles in ihrem Geldbeutel steckt Seite 8<br />
Upgrade:<br />
Vom Telefonhäuschen zur iZelle Seite 37<br />
Beziehungsweise:<br />
Liebe trotz(t) Fernbeziehung Seite 65<br />
Quiz:<br />
Wie redest duden? Seite 64<br />
Altklug:<br />
Was Günther Jauch gerne schon mit 18 gewusst hätte Seite 74<br />
Kreuzverhör:<br />
Der MP3-Player-Tausch: Metal versus R’n’B Seite 46<br />
Kolumne:<br />
Zwei nüchterne Betrachtungen zum Thema Alkohol Seite 70
6 Text: Samira Schellhaaß<br />
So tickt die Welt<br />
Samstagnachmittag, 15.03 Uhr in Deutschland. Zeit für<br />
Hobbys, die besten Freunde oder die Frage: Was machen<br />
die Menschen in anderen Ländern eigentlich gerade?<br />
Der Nationalvogel von Nicaragua heißt Guardabarranco.<br />
08:03<br />
San Miguelito, Nicaragua<br />
Enmanuel Salvador Sandobal Sirias, 20<br />
„Samstags trainiere ich eine kleine Fußballmannschaft aus unserem<br />
Dorf, die sich gerade neu gegründet hat. Wir fangen um acht Uhr morgens<br />
an zu spielen, weil es da noch nicht so heiß ist. Die Schuhe und<br />
Trikots müssen wir uns von anderen Jugendlichen leihen, weil wir dafür<br />
kein Geld haben. Den Pokal auf dem Bild würden wir gerne am<br />
Ende des Jahres gewinnen, es ist unser Dorfpokal.“<br />
12:03<br />
Dois Irmãos, Brasilien<br />
Lílian Brandt Stein, 19<br />
„Heute bleibe ich zuhause mit meinen besten Freundinnen Cláudia<br />
und Bruna. Wir haben Freitagnacht durchgefeiert und die beiden<br />
haben bei mir übernachtet. Wir sind gerade aufgestanden und<br />
warten, dass das Mittagessen fertig wird. Traditionell gibt es am Wochenende<br />
immer Fleisch vom Grill.“<br />
17 ist in Italien eine Unglückszahl. In Flugzeugen von „Alitalia“ fehlt deswegen die 17. Sitzreihe.<br />
15:03<br />
Lotzorai, Italien<br />
Antonello Murru, 17<br />
„Auf Sardinien isst die ganze Familie am Wochenende gemeinsam zu<br />
Mittag. Das nervt manchmal, weil ich am liebsten den ganzen Tag am<br />
Meer verbringen würde. Sobald ich kann, fahre ich zum Strand. Dort<br />
mache ich dann erst mal ein Nickerchen.“<br />
Brasilien nimmt flächenmäßig 47 Prozent des südamerikanischen Kontinents ein.
Südafrika hat elf offizielle Landessprachen, das ist Weltrekord.<br />
20:03<br />
Surat Thani, Thailand<br />
Niall Henry Davis, 19<br />
„Ich komme aus Großbritannien und bin als Backpacker für<br />
ein Jahr auf Weltreise. Heute bin ich mit dem Nachtzug in den<br />
Süden Thailands gefahren. Es gibt hier einen Partywaggon mit<br />
DJ und Bar. Ich habe gerade Linda aus Dänemark kennengelernt.<br />
Wir wollen jetzt die ganze Nacht durchtanzen!“<br />
7<br />
15:03<br />
Stellenbosch, Südafrika<br />
Kevin und Christian Malan, 17 und 18<br />
„Heute hatten wir vormittags Schule, danach sind wir nach<br />
Kapstadt ins Schwimmbad gefahren. Normalerweise fahren wir<br />
lieber ans Meer, aber das ist jetzt im Winter zu kalt. Unsere beiden<br />
Nachbarjungs Iwan und Niel haben wir mitgenommen.<br />
Christian hat vor ein paar Monaten die Führerscheinprüfung<br />
bestanden, seitdem müssen wir nicht mehr unsere Eltern nerven,<br />
wenn wir etwas mit Freunden unternehmen wollen.“<br />
17:33<br />
Gaza-Stadt, Palästinensergebiete<br />
Lina Sharif, 17<br />
„Ich lebe seit 17 Jahren in Gaza, aber heute mache ich das erste Mal mit<br />
meinen Freunden eine Bootstour. Es ist einfach toll! Hier in Gaza können<br />
wir nicht viele Ausflüge machen, wegen der strengen Grenzpolitik.<br />
Nur auf dem Meer können wir uns frei fühlen, denn dort sind die Grenzen<br />
nicht sichtbar. Und zehn Minuten mit dem Boot sind auch gerade<br />
noch bezahlbar. Das werde ich jetzt öfter machen!“<br />
In Indien sind Spielkarten rund. Die Motive stammen aus der Hindu-Mythologie.<br />
19:33<br />
Mumbai, Indien<br />
Krupali Raiyani, 18<br />
„Es hat angefangen zu regnen. Ich fahre mit ein paar Freunden durch<br />
die Gegend. Wir lieben es, wenn der Regen gegen die Scheiben prasselt.<br />
Jetzt haben wir uns Eis geholt und danach gehen wir noch ins Kino.<br />
Es ist ein richtig schöner Samstagabend!“<br />
In Thailand werden den Wochentagen verschiedene Farben zugeordnet: Der Samstag ist violett.<br />
Das Durchschnittsalter im Gazastreifen liegt bei 17,4 Jahren.
8 Einblick<br />
Konzept: Lisa Srikiow|Foto: Erol Gurian<br />
„Schwarzfahren würde<br />
ich nicht, deshalb habe<br />
ich auch so viele<br />
Fahrscheine dabei!“<br />
„Die ist nur für den<br />
Arzt interessant!“<br />
„Diese Karte brauche<br />
ich eigentlich nie.“<br />
„Außer Münzen<br />
habe ich sonst nie<br />
viel Bargeld dabei.“<br />
„Shoppen!“<br />
„Der ist nur zur<br />
Erinnerung! Genau wie<br />
das gemalte Herz.“<br />
„Klar, der Perso ist wichtig,<br />
um in Clubs reinzukommen.<br />
Ab und an werde ich<br />
ja schon noch kontrolliert!“<br />
„Jedes Mal, wenn ich mir einen<br />
Kontoauszug hole, hoffe ich<br />
nur, dass genug drauf ist!“<br />
Mehr als nur der Kontostand:<br />
Sandra, 17, zeigt uns ihren Geldbeutel.
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Auf dem ersten Mini-Album von Stiller spielte Andi Erhard noch Bass. Der Name der EP: „Macht doch was ihr wollt – ich geh’ jetzt“. Als hätte die Band etwas geahnt.
11<br />
Text: Alexander Neumann|Foto: Erol Gurian<br />
Stiller<br />
Sportfreund<br />
Andi Erhard war der erste Bassist der Sportfreunde<br />
Stiller. Bevor die Band den Durchbruch<br />
schaffte, stieg er aus. Bereut er es?<br />
Das Ende hatte sich schon abgezeichnet und kam dann doch ganz plötzlich. An<br />
einem kühlen Tag im Frühjahr 1997 saß Andi Erhard auf dem Bett im ausgebauten<br />
Dachboden seines Elternhauses. Vor ihm standen Peter Brugger und Florian<br />
Weber. Die beiden waren gekommen, um ihn zur Probe ihrer gemeinsamen Band<br />
Stiller abzuholen. Aber Andi wollte einfach nicht mehr.<br />
Er hatte keine Lust mehr, bis spät nachts Konzerte zu spielen, wenn er am nächsten<br />
Morgen eine Schulaufgabe schreiben musste. Er hatte keine Lust mehr, Hunderte<br />
von Kilometern zu fahren, um dann vor 20 Leuten aufzutreten. Andi war<br />
müde. Und irgendwie war dieses simple <strong>Dr</strong>ei-Akkorde-Geschrammel auch nicht<br />
ganz seine Musik. Peter und Florian versuchten ihn zu überreden, wenigstens das<br />
für den nächsten Tag geplante Konzert noch mitzuspielen. Aber Andi hatte sich<br />
entschieden. „Ich mache nicht mehr mit. Keinen Bock mehr.“<br />
Tags darauf, bei ihrem Konzert im Münchner Stromlinienclub, traten Sänger und<br />
Gitarrist Peter und Schlagzeuger Florian als Duo auf. Mit ihnen auf der Bühne<br />
stand statt eines Bassisten eine Raumschiff-Enterprise-Figur aus Pappe. Ein paar<br />
Monate später hatten sie einen neuen Bassisten, Rüdiger Linhof. Und bald auch<br />
einen neuen Namen: Sportfreunde Stiller. Dann wurden sie berühmt.<br />
Wer im Sommer 2006 das Radio einschaltete, hörte Peter, Florian und Rüdiger,<br />
wer den Fernseher anknipste, sah sie, und wer zu einem WM-Spiel ins Stadion<br />
ging, sang mit großer Wahrscheinlichkeit eines ihrer Lieder: „54, 74, 90, 2006“.<br />
Die Sportfreunde Stiller hatten die inoffizielle WM-Hymne der deutschen Fußballfans<br />
geschrieben. Der Song wurde ihr erster Nummer-Eins-Hit.<br />
Schon seit Jahren waren die „Sportis“ die Lieblingsband<br />
der deutschen Abiturienten. Jetzt waren sie die Lieblingsband<br />
der Deutschen.<br />
Wenn Andi Erhard in diesem Sommer abends ausging, wurde ihm immer wieder<br />
dieselbe Frage gestellt, von Freunden, von Bekannten, von Fremden, die seine Geschichte<br />
irgendwo gehört hatten: Bereust du, dass du damals ausgestiegen bist?<br />
An einem Samstagabend im Mai <strong>2009</strong> sitzt Andreas Erhard in seinem Apartment in München-Sendling<br />
und nimmt einen Schluck Rotwein. Kochnische, Espressomaschine, ein Poster<br />
der Rockband Dinosaur Jr. an der der Wand. So stellt man sich einen Single-Haushalt<br />
vor. Andi trägt Vollbart, die Haare sind fransig, die obersten Knöpfe seines Hemdes geöffnet.<br />
Kleine Falten sind in dem fein geschnittenen Gesicht des 38-Jährigen zu sehen. Mittlerweile<br />
hat er einen Doktortitel. Einen Job hat er nicht.<br />
Die Frage mit dem Bereuen. Jetzt soll er sie schon wieder beantworten. Aber Andi ist ein geduldiger<br />
Mensch. Den Mund leicht geöffnet, blickt er kurz ins Leere. Dann sagt er: „Ich<br />
habe noch kein einziges Mal gedacht, dass das ein Fehler gewesen sein könnte, wirklich<br />
nicht.“ Wirklich überraschend an dieser Antwort ist vor allem, dass man sie ihm glaubt.<br />
Der erste Sportfreunde Stiller-Song überhaupt war „Wunderbaren Jahren“. Auch schon früh mit dabei: „Lobby“ und „Fahrt ins Grüne“.<br />
Weitere Bandnamen, die bei der Gründung zur Debatte standen: „Bodden“ und „Hennings Koffer“.<br />
Es hatte alles als Spaßprojekt begonnen. Ende<br />
1995 beschlossen Andi, Peter und Flo eine Band<br />
zu gründen. Sie wollten sie Endkrass nennen,<br />
nur ein einziges Konzert als Trio spielen, anschließend<br />
alle Instrumente zertrümmern und<br />
die Band wieder auflösen. So weit der Plan. Anfang<br />
1996 standen sie dann auf der Bühne des<br />
Germeringer Jugendzentrums Knast. Aus dem<br />
Namen Endkrass war mittlerweile Stiller geworden.<br />
Sie spielten sieben Lieder, warfen<br />
danach ihre Instrumente auf den<br />
Boden und erklärten: „Wir lösen<br />
uns auf, das war’s.“<br />
Als sie von der Bühne gingen, kam ein aufgeregter<br />
Mann auf sie zu. „Ihr spinnt ja wohl“, sagte<br />
er. „Ihr müsst unbedingt weiter machen!“ Der<br />
Name des Mannes: Marc Liebscher. Er ist bis<br />
heute Manager der Sportfreunde Stiller.<br />
Innerhalb weniger Monate wurde aus dem<br />
Spaßprojekt eine ernsthafte Band. Marc Liebscher<br />
organisierte die Auftritte und die drei<br />
Jungs spielten, wo immer man sie ließ. München,<br />
Nürnberg, bald auch in Köln oder Hamburg.<br />
„Oft waren nur 20 Leute da, aber es war<br />
eine tolle Zeit“, sagt Andi. „Wir waren eine richtige<br />
<strong>Dr</strong>eiergemeinschaft. Unser Ritual nach den<br />
Konzerten war immer das gleiche: Ausziehen<br />
und einmal nackt durch die Stadt laufen. Egal<br />
wo wir sind.“<br />
Peter und Florian studierten zu der Zeit Sport<br />
an der Münchner Universität. Andi, damals<br />
Mitte 20, versuchte sein Abitur nachzumachen.<br />
Die drei lernten im Tourbus, traten abends auf<br />
und fuhren nachts zurück nach Hause. Für<br />
Schlaf blieb oft keine Zeit. Während die Band
Foto: Privat<br />
immer mehr Konzerte spielte und die Reisen immer<br />
länger wurden, hatte Andi eine Prüfung nach der anderen.<br />
Das Abitur stand vor der Tür, Attestpflicht hatte<br />
er auch schon, weil er zu oft gefehlt hatte. Irgendwann<br />
ging es nicht mehr. Was folgte, war der Morgen auf<br />
dem Dachboden. Andi stieg aus.<br />
„Es fällt mir normalerweise schwer, mich zu entscheiden“,<br />
sagt Andi heute, „aber das war eine meiner leichtesten<br />
Entscheidungen. Es war auch für Peter und Flo<br />
erleichternd, weil sie jemanden suchen konnten, der<br />
mitzieht. Sie wollten ja viel mehr Gas geben. Aber ich<br />
konnte da nicht mit.“<br />
Florian und Peter gaben Gas,<br />
und wie. Ende der 90er Jahre<br />
spielten sie im Schnitt 200<br />
Konzerte pro Jahr.<br />
Im Jahr 2000 unterschrieben sie ihren ersten Plattenvertrag. Seitdem<br />
haben sie sieben Alben veröffentlicht. Die letzten zwei davon landeten<br />
jeweils auf Platz eins der deutschen Albumcharts.<br />
Florian Weber sitzt in einem Café in München-Schwabing und bestellt<br />
eine Grapefruitschorle. Der Schlagzeuger der Sportfreunde Stiller ist<br />
heute berühmt. Das merkt man zum Beispiel daran, dass der Barchef<br />
des Lokals kurz an den Tisch kommt, sich vorstellt und Florians Hand<br />
schüttelt. Kurz darauf läuft in dem Café ein Song der Sportfreunde.<br />
Florian blickt kurz irritiert auf. „Hier ist es nicht so schlimm, wenn sie<br />
ein Lied von dir spielen“, sagt er. „Aber wenn du in einem Club mit<br />
vielen Leuten stehst, und dann alle ihre Köpfe zu dir drehen, um zu sehen,<br />
wie du dich verhältst, das ist schon saublöd.“<br />
Florian und Andi sind auch heute noch gut befreundet. Sie spielen zusammen<br />
in einer Hobby-Fußballmannschaft. Über die Trennung von<br />
damals sprechen sie nicht mehr. „Ich habe von Andi nie gehört, dass<br />
er seinen Ausstieg bereut“, sagt Florian. „Das nehme ich ihm auch voll<br />
ab. Es wäre einfach nicht sein Leben gewesen.“ Natürlich war Florian<br />
damals enttäuscht, als Andi von einem Tag auf den anderen die Band<br />
verließ. Überraschend kam es jedoch nicht. „Er hat schon früh gesagt,<br />
dass das nichts für ihn ist, er wollte nicht ewig auf Reisen gehen“, sagt<br />
Florian. „Ich glaube auch, dass er die Musik nicht so toll fand. Das war<br />
ihm zu einfach, zu trivial. Wir haben einfach drei, vier Akkorde durchgerotzt.<br />
Aber Andi stand eher auf Musik, die ein bisschen arty ist.“<br />
Dann erzählt Florian von dem gemeinsamen Urlaub der Band im Sommer 1996. Mit<br />
einem Golf fuhren sie nach Italien, machten Straßenmusik in Florenz, feierten, tranken.<br />
„Irgendwann hat Andi dann einen Ausbruch gehabt, weil wir immer unsere Witzchen<br />
gerissen und niveauarme Gespräche geführt haben. Bei euch geht’s sowieso immer nur<br />
ums Saufen, hat er gesagt. Und dann hat er sich ins Zelt gelegt mit seinen Büchern.“<br />
Andi und die Bücher. Sie liegen überall in seiner Wohnung. Auf der grauen Eckcouch,<br />
auf dem kleinen Wohnzimmertisch, vor dem überquellenden Bücherregal. Vier Bände<br />
„Nietzsches Werke“, James Joyces „Ulysses“, das „Fußball Unser“.<br />
Während Peter und Florian nach Andis Ausstieg von Auftritt zu Auftritt jagten und vor<br />
immer mehr schreienden Zuschauern spielten, suchte Andi genau das Gegenteil davon:<br />
Zurückgezogenheit und Stille. „Ich war nie ein Typ, der gerne im Mittelpunkt steht“,<br />
sagt er. „Bei Konzerten hätte ich mich am liebsten mit dem Rücken zum Publikum<br />
gestellt.“<br />
Andi machte das Abitur, begann Germanistik zu studieren.<br />
Sein Schwerpunkt: deutsche Literatur des Mittelalters. Als<br />
die Sportfreunde Stiller<br />
im Sommer 2006 durch<br />
Deutschlands Fußballstadien<br />
und Fernsehstudios<br />
zogen, verbrachte<br />
Andi seine Tage im Lesesaal<br />
für Handschriften<br />
der Bayerischen Staatsbibliothek<br />
und arbeitete an<br />
seiner Doktorarbeit. Zugezogene<br />
Vorhänge, alte<br />
Holztische, absolute Stille.<br />
Andi war glücklich.<br />
„Jahrelang bin ich da jeden<br />
Tag hingegangen<br />
und habe einfach mein<br />
Florian lernte Peter im Sportstudium kennen. Der wiederum spielte damals mit Andi in einer Band namens: Vertical Orange Car Crash.<br />
Italien-Urlaub 1996: Peter an<br />
der E-Gitarre, Andi an der<br />
Akustischen, Florian am<br />
selbst gebastelten Schlagzeug.<br />
Zeug gemacht. Das war<br />
so gemütlich da. Schade,<br />
dass das jetzt vorbei ist.“<br />
Ein Freitagmorgen, Anfang Juli <strong>2009</strong>: Andi Erhard sitzt auf<br />
einem Holzstuhl im Sozialbürgerhaus München-Sendling und<br />
wartet. Um neun Uhr hat er einen Termin in Zimmer 210,<br />
Abteilung Arbeitslosengeld II. Andi ist gekommen, um seinen<br />
Antrag auf Hartz IV abzugeben.<br />
Peter und Florian, die gerade unterwegs sind, um ihr neues<br />
Sportfreunde Stiller-Album zu vermarkten, wird er in einer Woche<br />
wieder sehen. Dann haben die drei ein Fußballspiel mit ihrer<br />
Hobbymannschaft. Bis dahin macht sich Andi schon mal<br />
auf Jobsuche. Stellen im wissenschaftlichen Bereich sind selten.<br />
Das weiß er. Bibliotheksassistent könnte er sich vorstellen,<br />
notfalls auch Postbote.<br />
Und jetzt? Bereut er es? „Das Studium, die Doktorarbeit, all<br />
das, was ich statt der Band getan habe, hat für mich total Sinn<br />
gemacht“, sagt er. „Und wenn man zufrieden ist, dann ist es<br />
auch nicht schwer zurückzublicken und zu sagen: „Da konnte<br />
ich einfach nicht mit, das war nicht mein Weg.“
Unser Beitrag zum Thema Innovation.<br />
In Summe.<br />
Der neue Panamera kommt.<br />
Summiert sich ganz schön, die Sportwagentechnik in der Premiumklasse:<br />
Das optionale 7-Gang Porsche Doppelkupplungsgetriebe (PDK), für Gang-<br />
wechsel ohne Zugkraftunterbrechung. Die adaptive Luftfederung von<br />
komfortabel bis sehr sportlich. Und die optionale Porsche Ceramic Composite<br />
Brake (PCCB) für Verzögerungswerte wie im Rennsport. Plus serienmäßige<br />
Benzindirekteinspritzung (DFI) und Auto-Start-Stop-Funktion. Ergebnis: mehr<br />
Effizienz, bessere Umweltbilanz.<br />
Porsche empfiehlt<br />
Hier erfahren Sie mehr – www.porsche.de oder Telefon 01805 356 - 911, Fax - 912 (EUR 0,14/min).<br />
Kraftstoffverbrauch l/100 km: innerstädtisch 16,4 · außerstädtisch 8,1 · insgesamt 11,1 · CO 2 -Emission: 260 g/km
Aufgemöbelt<br />
Endlich! Das erste eigene Zimmer.<br />
Jetzt muss es nur noch eingerichtet<br />
werden. Dieser formvollendete<br />
Hausrat kostet nur ein paar Euro.<br />
Bett Château des Étudiants<br />
Matratze auf edlen Rotweinkisten (leer) aus<br />
Fichtenholz massiv. Durch die lockere Anordnung<br />
der Kisten wird das Bett optimal belüftet.<br />
Die Einzelkomponenten lassen sich dem<br />
eigenen Weingeschmack anpassen und sind<br />
günstig bei jedem Weinhändler erhältlich.<br />
Bücherregal Steinbeißer<br />
Klassisch-schlichtes Design<br />
mit höchster Stabilität.<br />
Leichte Montage durch<br />
Modulbauweise. Material:<br />
weißer Ziegel und Holzauflage,<br />
matt lackiert.<br />
Beistelltisch Vino Castro<br />
Zwillingskonstruktion aus Weinkisten<br />
mit klarer, geometrischer<br />
Silhouette. Leicht zu verrücken und<br />
mit viel Stauraum im Inneren.
Leuchte Origami de Luxe<br />
Raffinierte Multiform aus 24 Pyramidenelementen.<br />
Der Lichtwurf ist gleichmäßig<br />
und dennoch strukturiert. Ein Eigenbau<br />
für anspruchsvolle Individualisten.<br />
Deko Art<br />
Die Jagdtrophäen brechen das minimalistische<br />
Gesamtkonzept. Auf<br />
spielerische Weise wird der Raum<br />
so noch geschmackvoller. Der<br />
Glaskopf ist eine Stilikone der 70er<br />
Jahre und ideal, um Kopfhörer aufzubewahren.<br />
Zusammen mit dem<br />
Designer-Bügeleisen verleiht er dem<br />
Zimmer eine subtile Retro-Note.<br />
15<br />
Konzept: Che Berberich, Clemens Haustein|Foto: Erol Gurian<br />
Schreibtisch Grand Portal<br />
Die restaurierte Zimmertür<br />
bietet eine extra große<br />
Arbeitsfläche. Leichtbau-<br />
Stützen aus Edelstahlrohr<br />
erlauben eine flexible<br />
Platzierung im Wohnareal.<br />
Türklinke kann zum Lichtschalter<br />
umgerüstet werden.<br />
Nix wie raus �<br />
von zuhaus<br />
Die besten Tipps von<br />
„A bis Z“ auf:<br />
klartext-magazin.de/<br />
47b/ausziehen<br />
Hocker Monte Christo<br />
Raumgreifender Kubus in Fesselballon-<br />
Optik. Die oktopusartigen Tuchausläufer<br />
am Ende des Hockers funktionieren als<br />
Fußwärmer. Die Bezüge sind waschbar.
16<br />
Text: Thomas Salter<br />
Wie werde ich<br />
<strong>Dr</strong>acula und Co. sind immer wieder für einen Kinohit oder Bestseller gut. „Twilight“ beweist<br />
aufs Neue: Blutsauger sind beliebt. Grund genug mal nachzuschauen, wie man das eigentlich wird.<br />
Der Klassiker<br />
1<br />
2<br />
3 4<br />
Bei Bram Stoker hat <strong>Dr</strong>acula seine Seele für ewiges Leben an den Teufel verkauft. Der Urvampir erschafft Seinesgleichen seither selbst. Er steht auf<br />
Frauen und überrascht sie im Schlaf (1). Dann trinkt er sie über mehrere Nächte hinweg leer (2). Das Opfer stirbt und wird beerdigt (3). Voilà, ein<br />
neuer Blutsauger schlüpft aus dem Grab (4). Doch Biss ist nicht gleich Biss: Männer verwandelt <strong>Dr</strong>acula lieber in insektenfressende Sklaven.<br />
Für Fortgeschrittene<br />
Der Quickie<br />
1<br />
Der Coitus Interruptus<br />
1<br />
1<br />
Vampir?Eine Anleitung<br />
2<br />
Vampire in der Serie „Buffy“ haben es schwer. Erst müssen sie ein Opfer suchen (1). Das ist nicht so leicht: In Häuser können sie nur, wenn sie eingeladen<br />
werden. Spontane Bettbesuche à la <strong>Dr</strong>acula fallen also weg. Dann müssen sie den Auserwählten fast leer trinken und mit ihrem eigenen Blut<br />
füttern (2). Anschließend ist es notwendig, dass das Opfer stirbt (3). Nur so kann es als Vampir wiederauferstehen (4). Nichts für blutige Anfänger.<br />
2<br />
„From Dusk Till Dawn“ zeigt die schnellste und simpelste unter den Ansteckungsmöglichkeiten: Natürlich, als erstes muss ein Opfer her (1). Dann<br />
reicht ein kleiner Biss, egal ob in den Arm oder den Hals (2). Die Verwandlung beginnt umgehend, kein Tod notwendig (3). Minuten später wachsen<br />
dem Opfer schicke Vampirzähne (4). Keine lange Wartefrist, keine lästige Übernachtung unter der Erde.<br />
2<br />
Auch für die Vampire bei „Twilight“ geht ohne Opfer gar nichts (1). Dann reicht ein kleiner Biss, aber Selbstkontrolle ist gefragt: bloß nicht leer trinken<br />
(2). Nur sehr willensstarke Trinker können dem Blutrausch widerstehen. Beim Beißen übertragen sie ein Gift (3). Das Gift verwandelt das Opfer<br />
dann in einen Vampir (4). Ist ein Mensch nur angeknabbert, kann man ihn noch retten. Dazu muss man nur das Gift wieder heraussaugen.<br />
3<br />
3<br />
3<br />
4<br />
4<br />
4<br />
„Vampire gibt �<br />
es wirklich“,<br />
sagt <strong>Dr</strong>. Mark Benecke und<br />
erzählt von Blutpartys. Was<br />
moderne Vampire machen, liest<br />
du auf klartext-magazin.de/47b/<br />
vampir
Ressourcen schonen<br />
Science For A Better Life<br />
Klima schützen<br />
Der Klimawandel gehört zu den großen globalen<br />
Herausforderungen unserer Zeit. Daher<br />
will Bayer aktive Beiträge dazu leisten, den<br />
„Climate Footprint“, der symbolisch für die<br />
negativen Auswirkungen menschlichen Handelns<br />
auf das Klima steht, zu verkleinern.<br />
Mit dem „Bayer Climate Program“ treibt<br />
das Unternehmen seine Aktivitäten für den<br />
Klimaschutz und den Umgang mit dem<br />
Klimawandel voran.<br />
So ist der „Bayer Climate Check“ ein<br />
neues Instrument zur CO2-Reduktion in<br />
Produktionsprozessen.<br />
Mit Hilfe der modernen Biotechnologie<br />
steigern wir die Widerstandsfähigkeit von<br />
Nutzpflanzen gegen Hitze und Dürre. Eine<br />
Chance für die Landwirtschaft, die Folgen<br />
des Klimawandels zu bewältigen.<br />
Zur Senkung des Energieverbrauchs in<br />
Büro- und Industriegebäuden haben wir<br />
gemeinsam mit Partnern das „EcoCommercial<br />
Building“ entwickelt. Auf Basis<br />
hocheffizienter Polyurethan-Dämmung und<br />
regenerativer Energien deckt es seinen<br />
Energiebedarf komplett selbst – ein in den<br />
verschiedenen Klimazonen der Erde anwendbares<br />
Konzept für Gebäude mit null<br />
Emissionen. www.klima.bayer.de
18<br />
Text: Florian Meyer, Arne Orgassa|Fotos: Florian Meyer, Arne Orgassa, Jasmin Srouji<br />
Im Land der<br />
begrenzten<br />
Möglichkeiten<br />
Achmad Aslan boxt: Seit er 13 Jahre<br />
alt ist, trainiert er fast jeden Tag.<br />
Jugendliche im Westjordanland<br />
verlieben<br />
sich, wollen feiern und<br />
sorgen sich um ihre<br />
Noten. Doch der<br />
Konflikt im Nahen<br />
Osten macht schon<br />
Kinder zu Erwachsenen.<br />
Es war eine warme Herbstnacht in Hebron, als er<br />
das letzte Mal unbeschwert lachen konnte.<br />
Achmad Aslan stand in der Mitte des Boxrings<br />
und wehrte die Schläge seines Gegners ab. Nur<br />
noch wenige Sekunden musste er gegen den Titelverteidiger<br />
durchhalten. Von den Rängen jubelten<br />
700 Zuschauer Achmad zu. Der Schweiß triefte<br />
aus seinem Gesicht, unter dem linken Auge brannte<br />
eine kleine Platzwunde. Nach zwölf Kampfrunden<br />
hielt der Ringrichter Achmads Hand in die<br />
Höhe. Sieg nach Punkten. Achmad war der neue<br />
Champion, Klasse Schwergewicht, im Westjordanland<br />
– mit 22 Jahren, er lachte vor Freude.<br />
Seither ist fast ein Jahr vergangen. Achmad sitzt<br />
mit seinem Cousin Mustafa Aslan, 18, und Freund<br />
Jichia Faialah, 21, in einem kleinen Trainingsraum<br />
eines Jungendzentrums in Ramallah. Es ist heiß.<br />
„Ich musste diesen Kampf gewinnen, für meine<br />
Familie, für mich, für meinen Traum“, sagt Achmad.<br />
Jahrelang hatte er mit seinen Freunden für<br />
diesen Triumph trainiert, abends, nach der anstrengenden<br />
Arbeit als Maurer. Doch von seiner<br />
Freude ist nichts mehr zu spüren,<br />
der Alltag hat ihn eingeholt.<br />
Als Junge sah er oft Boxkämpfe im Fernsehen,<br />
wollte es früh selbst ausprobieren. Mit 13 Jahren<br />
begann er täglich zu trainieren. Sein Ziel dabei immer<br />
vor Augen: Als Champion in andere Länder<br />
reisen, um dort zu kämpfen. Doch dieser Traum<br />
wird nicht in Erfüllung gehen. Schuld ist seine<br />
Herkunft. Achmad lebt im Westjordanland, im<br />
Flüchtlingslager Kalandia. Seine Familie wohnt<br />
hier seit 1967. Längst stehen keine Zelte mehr,<br />
Kalandia ist nun eine kleine Siedlung am Rand<br />
von Ramallah, im Schatten einer acht Meter hohen<br />
Betonmauer. Achmad nennt sie ein Bollwerk<br />
der Unterdrückung.
Jichia Faialah und die Cousins<br />
Achmad und Mustafa Aslan<br />
(von links) haben ihr Land<br />
noch nie verlassen.
20<br />
Israel ist seit 1948 ein unabhängiger Staat. Die Palästinenser leben<br />
unter eigener Regierung im Gazastreifen und Westjordanland.<br />
Treffpunkt: der Manarah Platz in Ramallah. Das Auswärtige<br />
Amt warnt Touristen vor Reisen in die palästinensischen Gebiete.<br />
Seit 2002 baut Israel die Mauer. Der Wall<br />
aus Stein, Beton und Stacheldraht schlängelt<br />
sich über die sandigen Hügel Israels, an<br />
vielen Stellen auch durch Gebiete, in denen<br />
Palästinenser leben. 759 Kilometer lang soll<br />
sie am Ende sein. So wollen die Israelis sich<br />
vor Selbstmordattentätern schützen, die<br />
sich in Cafés und Bussen in die Luft sprengen.<br />
Für die Palästinenser ist sie ein Wall, der<br />
ihr Land trennt, ihre Rechte einschränkt.<br />
Etwa 2,4 Millionen Palästinenser<br />
leben im Westjordanland. Mehr<br />
als die Hälfte davon sind Jugendliche.<br />
Das Flüchtlingslager Kalandia ist nur einen<br />
Steinwurf von der Mauer entfernt. Täglich<br />
erleben Achmad und seine Freunde, wie<br />
wenig unabhängig sie sind: Militärposten,<br />
Checkpoints, Ausweiskontrollen. „Wir sind<br />
Gefangene in unserem eigenen Land, haben<br />
nur eingeschränkte Bewegungsfreiheit“, sagt<br />
Jichia. Und doch versuchen er und seine<br />
Freunde ein normales Leben zu führen – in<br />
einem Land, in dem nur vorübergehend<br />
Waffenstillstand herrscht und der Konflikt<br />
zwischen Israelis und Palästinensern jeden<br />
Moment wieder ausbrechen kann. Sie haben<br />
gelernt, mit den Einschränkungen umzugehen.<br />
Sie haben gelernt, ihre Hoffnungen zu<br />
begraben.<br />
Das Flüchtlingslager am Rand<br />
von Ramallah bietet keinen Platz<br />
für Träumereien. 20000 Menschen leben<br />
in diesem Labyrinth aus staubigen Gassen,<br />
begrenzt durch graue Häuser mit Flachdach,<br />
meist ohne Fenster. Wegziehen will<br />
trotzdem keiner der drei. „Es ist wie bei einer<br />
sehr großen Familie“, sagt Achmad. Er<br />
ist stolz dort zu wohnen. „Wir passen gegenseitig<br />
auf uns auf.“<br />
Abgeschirmt: Die Mauer hat<br />
ehemalige Nachbarn voneinander<br />
getrennt. Sie teilt Jerusalem<br />
und Ramallah.<br />
Wenn die israelischen Patrouillen ins Camp kommen –<br />
zwei, drei Mal die Woche – warnen sie sich gegenseitig.<br />
Meist am frühen Morgen fahren die Soldaten durch die<br />
engen Gassen, klingeln die Anwohner aus ihren Betten,<br />
durchwühlen die Häuser und suchen nach Waffen. Sie<br />
wollen herausfinden, ob Anschläge geplant werden.<br />
„Vor ein paar Wochen haben sie an einem<br />
Morgen 26 Jugendliche einfach mitgenommen“,<br />
sagt Mustafa. Darunter einige seiner<br />
Freunde. Der Cousin von Achmad versucht seine<br />
Emotionen zu unterdrücken, doch die Mischung aus<br />
Trauer und Wut kann er nicht verstecken: „Wir wollten<br />
diese Schikane nicht einfach hinnehmen, haben mit<br />
Steinen geschmissen, sie angeschrien und gefordert<br />
aufzuhören.“ Genutzt hat es nichts. „Wir haben aufgehört<br />
Angst zu haben“, sagt Achmad. Lieber schmeißt er<br />
einen Stein, als sich zu verstecken. Aber auch das ist nur<br />
ein Versuch, auf seine Situation aufmerksam zu machen.<br />
Weder Achmad noch Mustafa oder Jichia haben<br />
es je geschafft, das Westjordanland zu verlassen. Und<br />
sei es nur für einen Boxkampf.<br />
Ghadeer Ladaa ist schon draußen gewesen,<br />
in Kuala Lumpur und Abu Dhabi, in<br />
Katar und Amman.<br />
Ghadeer ist 18 Jahre alt und studiert Maschinenbau. Sie<br />
spielt Fußball in der palästinensischen Jugendnationalmannschaft,<br />
einer Gruppe von 22 Mädchen aus den Palästinensergebieten<br />
und Jerusalem. Ghadeer ist ein zartes,<br />
schüchternes Mädchen. Neben dem Fußballplatz<br />
ist sie ruhig, hört aufmerksam zu, spricht leise. Doch<br />
wenn sie kickt, sprudelt sie vor Energie. Wenn sie sprintet,<br />
peitschen ihr die langen schwarzen Locken ins<br />
Gesicht.<br />
Vor zwei Jahren hat Ghadeer Ramallah zum ersten Mal<br />
verlassen. An jenem Tag klingelte ihr Wecker viel früher<br />
als sonst. Ihre Mannschaft sollte am Abend gegen die<br />
jordanischen Nachwuchsfußballerinnen antreten. Verschlafen<br />
stieg sie zu ihrer Mutter ins Auto, die sie zum<br />
Bus brachte.
Abgefilmt: Ghadeer Ladaa tritt<br />
in der Jugendsendung „Alli<br />
Sotak“ auf. Sie soll anderen<br />
Jugendlichen Mut machen.<br />
Ghadeer kickt in der palästinensischen<br />
Jugendnationalmannschaft.<br />
Um sieben Uhr fuhr die Mannschaft los, vorbei an<br />
dürren Olivenbäumen, durch das Hügelland. Viermal<br />
mussten sie an Checkpoints stoppen, an den<br />
Kontrollposten, die das Westjordanland in kleine Fetzen<br />
zerschneiden. Jedes Mal zeigte Ghadeer den israelischen<br />
Soldaten ihren Pass, beantwortete die immer<br />
gleichen Fragen: Wohin wollt ihr? Woher kommt ihr?<br />
Erst um sechs Uhr abends erreichten die Mädchen<br />
die jordanische Hauptstadt Amman – obwohl sie keine<br />
100 Kilometer von Ramallah entfernt liegt. Den<br />
Fußballerinnen blieb gerade genug Zeit, um ihre Taschen<br />
ins Hotel zu werfen und zum Sportplatz zu eilen.<br />
Ghadeer war erschöpft von der langen Fahrt. Das<br />
Spiel verloren sie 2:4.<br />
Seitdem ist Ghadeer viele Male ins Ausland gefahren,<br />
immer mit der Jugendmannschaft. Viele ihrer Freunde<br />
beneiden sie deshalb. Und doch fühlt sich Ghadeer<br />
eingesperrt: „Ich kann zwar in den<br />
arabischen Emiraten und in Malaysia<br />
kicken, in Jerusalem werde ich aber<br />
nie spielen können.“ Das Stadion ist nur 20<br />
Kilometer von ihrem Haus entfernt.<br />
Ghadeer hat den grünen Personalausweis, wie alle, die<br />
im Westjordanland geboren sind. Durch den Kontrollposten<br />
an der Stadtgrenze zwischen Jerusalem<br />
und Ramallah kommt sie mit dem grünen Pass nicht.<br />
Der einzige Weg, das Westjordanland zu<br />
verlassen, ist über die Grenze im Osten,<br />
über Jordanien.<br />
Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern reicht weit über hundert Jahre zurück.<br />
Wichtige Stationen nach dem Zweiten Weltkrieg: 1947 Die Vereinten Nationen empfehlen die Gründung eines arabischen und<br />
eines jüdischen Staates. 1948 Der Staat Israel wird gegründet, die Hauptstadt Jerusalem geteilt. 1956 Suezkrise: Frankreich,<br />
Großbritannien und Israel greifen Ägypten an, um den Suezkanal unter ihre Kontrolle zu bringen. 1967 Israel besetzt im<br />
Sechstagekrieg das Westjordanland, den arabischen Teil Jerusalems, den Gazastreifen und die Sinai-Halbinsel.<br />
1973 Jom-Kippur-Krieg Syrien und Ägypten greifen Israel an, um die besetzten Gebiete zurückzuerobern. Die Angreifer<br />
verlieren aber. 1978/79 Friedensabkommen: Israel gibt den Sinai an Ägypten zurück. 1987 - 1993 Erste<br />
Intifada: Bewaffneter Widerstand der Palästinenser. Selbstmordattentäter sprengen sich in israelischen Cafés und in<br />
Bussen in die Luft. In Gaza gründet sich die „islamische Widerstandsbewegung“, kurz Hamas. 1994 Oslo-<br />
Abkommen zwischen Israel und Palästinensern. Die Palästinenser hoffen auf einen eigenen Staat. 2000 Israel räumt den<br />
seit 1978 besetzten Südlibanon. 2000 - 2004 Zweite Intifada. 2002 Israel beginnt, eine Mauer um die<br />
Palästinensergebiete zu bauen. Die Israelis wollen sich vor Angriffen schützen. 2006 Krieg zwischen Israel und Kämpfern<br />
der Hisbollah in Libanon. Die Hamas gewinnt die Wahlen im Gazastreifen. 2007 Nach blutigem Bürgerkrieg im<br />
Gazastreifen übernimmt die Hamas die Macht. Das Westjordanland bleibt unter Kontrolle der Fatah, der<br />
„Bewegung zur nationalen Befreiung Palästinas“. 2008 Israel bombardiert Gaza, Soldaten marschieren ein, weil von dort aus<br />
Raketen auf israelische Städte abgeschossen werden. <strong>2009</strong> Israelische Truppen ziehen sich aus Gaza zurück.<br />
21<br />
„Das ist unser Leben“, sagt Ghadeer. Sie<br />
versucht den Konflikt und die Enge zu<br />
vergessen. Sie glaubt, dass palästinensische<br />
Jugendliche dieselben Wünsche<br />
und Hoffnungen haben wie Jugendliche<br />
in Europa, dieselben Probleme. Sie sorgen<br />
sich um ihre Noten, wollen abends<br />
länger weggehen und haben Liebeskummer.<br />
Diese scheinbar kleinen Sorgen werden<br />
vom Nahostkonflikt überschattet.<br />
Der Alltag im Westjordanland wiegt<br />
schwer und macht schon Kinder zu jungen<br />
Erwachsenen.<br />
„Wen stört das schon, wenn<br />
ich unglücklich verliebt bin<br />
oder Streit mit meiner besten<br />
Freundin habe?“, fragt Ghadeer.<br />
Ihre Eltern verstehen sie oft nicht.<br />
Sie sagen, Ghadeer solle sich nicht wegen<br />
solcher Kleinigkeiten aufregen. Niemand<br />
interessiert sich für die Probleme der Jugendlichen,<br />
wenn zur gleichen Zeit eine<br />
befreundete Familie ihr Haus verliert,<br />
wenn eine israelische Siedlung ausgebaut<br />
wird, ein Bekannter keine Arbeit findet<br />
oder Verwandte unter Terrorverdacht im<br />
Gefängnis sitzen.<br />
Um ihre Sorgen zu vergessen, spielt Ghadeer<br />
Fußball.<br />
Heute sind nur vier Mädchen zum Training<br />
der First Ramallah Group gekommen.<br />
Die Jungs müssen aushelfen und<br />
spielen mit: <strong>Dr</strong>ibbel-Übung, Passen,<br />
Stoppen und Übersteiger. Wenn Ghadeer<br />
am Ball ist, vergisst sie alles um sich herum,<br />
die schäbige Betonhalle, den Staub<br />
in den Ecken und den Taubendreck auf<br />
den Zuschauerbänken.<br />
Gaza-Streifen<br />
Mittelmeer<br />
Ägypten<br />
Ramallah<br />
Jerusalem<br />
Libanon<br />
Jordanien<br />
Westjordanland<br />
Totes Meer<br />
Syrien
22<br />
Seina Abu Hamdan (Mitte) will<br />
ein ganz normales Leben führen:<br />
Nach der Uni trifft sie ihre<br />
Freundinnen im Café.<br />
Die Ansichten über den Nahostkonflikt sind festgefahren. Nur wenige junge Palästinenser an<br />
der Bir Seit Universität wollen noch darüber nachdenken, wie er eigentlich entstanden ist.<br />
Pyalara ist eine palästinensische Organisation, die Jugendlichen eine Stimme geben will.<br />
Sie sollen ermutigt werden, über ihre Gefühle und Probleme zu reden.
Alli Sotak – � Sprich lauter<br />
Jede Woche sendet die Organisation<br />
Pyalara ein Fernsehmagazin für<br />
Jugendliche. Wir haben die Macher<br />
interviewt, das hörst du auf:<br />
klartext-magazin.de/47b/pyalara<br />
Vor dem Training hat Ghadeer ein Interview gegeben. Ein<br />
Fernsehteam von Pyalara besuchte sie zu Hause. Die gemeinnützige<br />
Organisation versucht den ganzen Nahen Osten auf<br />
die Situation junger Palästinenser aufmerksam zu machen.<br />
Ghadeers Beispiel soll Mut machen. Den Beitrag sendet<br />
Pyalara im 90-minütigen Magazin „Alli Sotak“, das jede<br />
Woche über den Satellitenkanal Palestine TV ausgestrahlt<br />
wird. „Alli Sotak“ heißt „Sprich lauter“. Jugendliche können<br />
in der Sendung über ihre Probleme reden, über ihre Ängste,<br />
Wünsche und Träume. „Alli Sotak“ gibt den jungen<br />
Palästinensern eine Stimme. �<br />
Nach dem Interview haben die Journalisten Ghadeer beim<br />
Fußballspielen gefilmt, sie war aufgeregt. Vor der Kamera ist<br />
ihr der Ball vom Fuß gesprungen. Jetzt ist das Fernsehteam<br />
verschwunden und Ghadeer dribbelt ihre Mitspielerinnen<br />
aus, spielt sichere Pässe.<br />
Seina Abu Hamdan hat vor Kameras keine Scheu. Sie will<br />
Moderatorin werden, am liebsten in ihrer eigenen Fernsehsendung.<br />
Noch schreibt die 18-Jährige für die Pyalara-Jugendzeitung<br />
„The Youth Times“, die einmal pro Monat erscheint.<br />
An diesem Morgen hat Seina Glück. Normalerweise steigt sie<br />
in eines der gelben Gruppentaxis, alte Ford-, Mercedes- und<br />
Hyundai-Kleinbusse, die sich schwerfällig durch die löchrigen<br />
Straßen quälen. Die Fahrt zur Uni ist langsam, anstrengend<br />
und staubig. Weil die Fenster offen stehen, verwuschelt der<br />
Wind die Frisur, Staubkörner fliegen in die Augen. Doch heute<br />
wird Seina von ihrer Mutter gefahren. Ihre mühsam hochgesteckten<br />
Haare bleiben in Form. Sie trägt noch schnell etwas<br />
Make-up auf, schließlich sind auch Jungs in ihrem Kurs.<br />
20 Kilometer vor Ramallah, auf einem kleinen Hügel neben<br />
dem Dorf Bir Seit, steht eine Gruppe moderner, heller<br />
Gebäude. Die Universität ist eine Oase inmitten von leerstehenden<br />
Häusern und Bauschutt, der an der Straße liegt. 8700<br />
junge Menschen studieren hier. Die Studienplätze sind begehrt,<br />
aber nicht billig. Rund 400 Euro kostet ein Semester.<br />
Am Osteingang des Campus steigt Seina aus<br />
und läuft mit ihren Freundinnen durch das<br />
Sicherheitstor. Viele Mädchen tragen ein Kopftuch, dazu<br />
einen kurzen Rock über einer dunklen, langen Hose. Seina<br />
trägt eine grau-blaue Jeans, ein kariertes, kurzärmeliges Hemd<br />
und rot-weiße Ballerinas.<br />
Im Hörsaal setzt sich Seina auf einen Stuhl in der ersten Reihe.<br />
Nur die Hälfte der Plätze ist belegt. Den Kurs über<br />
Marketing besuchen die Studenten freiwillig, es sind Sommerferien.<br />
Aber nächste Woche ist Zwischenprüfung, und deshalb<br />
darf Seina nichts verpassen. Den Kurs muss sie bestehen,<br />
im Herbst will sie ihr Studienfach wechseln, von Maschinen-<br />
Willst du �<br />
mich heiraten?<br />
„Ja, ich will“, schreibt Seina<br />
Abu Hamdan in einem Artikel<br />
für „The Youth Times“.<br />
Der Text ist zu lesen auf:<br />
klartext-magazin.de/47b/palaestina<br />
23<br />
bau zu Wirtschafslehre. „Wirtschaft fällt mir<br />
leichter“, sagt Seina. Sie will mehr Zeit neben<br />
der Uni haben für ihr Hobby, ihre<br />
Arbeit bei der Organisation Pyalara, fürs<br />
Fernsehen.<br />
Als die Stunde aus ist, huscht Seina als erste<br />
aus dem Hörsaal. Ihre Freunde warten in der<br />
Mensa, einer dunklen Halle mit leuchtenden<br />
Coca Cola- und Bounty-Werbetafeln.<br />
Arabische Popmusik dröhnt aus den Lautsprechern,<br />
so laut, dass man sich kaum<br />
unterhalten kann. Hier bespricht Seina sich<br />
mit ihren Freundinnen, hier kommt sie auf<br />
ihre Ideen für neue Artikel. Vor kurzem waren<br />
ihre Freundinnen besorgt. Seina hatte in<br />
einem Kommentar geschrieben, dass sie heiraten<br />
will. Viel zu früh, meinten die Freundinnen<br />
– Seina ist erst 18. „Viele haben meinen<br />
Artikel nicht richtig verstanden“, sagt<br />
sie lachend. Ihr Artikel sollte die Antwort<br />
auf den Text eines Kollegen sein. Er hatte geschrieben,<br />
dass junge Männer nicht heiraten<br />
wollen, weil es zu teuer sei: die Feier, die Geschenke<br />
an die Familie, das Kleid. Seina<br />
wollte das ernste Thema lustig aufgreifen.<br />
Doch für Scherze ist oft kein<br />
Platz. �<br />
„Viele Leute im Westjordanland nehmen alles<br />
ernst“, klagt Seina. Über Unterhaltsames,<br />
Musik, neue Klamotten, oder über Gefühle<br />
– darüber redet keiner. Seina will das in ihren<br />
Artikeln ändern: „Die Jugendlichen sollen<br />
wissen, was um sie herum geschieht. Sie<br />
sollen verstehen, dass man auch in einem<br />
Krisengebiet das Leben genießen darf.“<br />
Nicht nur der Konflikt zwischen Israelis<br />
und Palästinensern, auch die Eltern machen<br />
den Kindern das Leben schwer. Sie machen<br />
sich ständig Sorgen. „Eltern schauen immer<br />
nur in die Zukunft“, sagt Seina. „Sie wollen<br />
die angesehenste Ausbildung und den besten<br />
Job für ihre Kinder. Dabei vergessen sie<br />
oft, dass wir in der Gegenwart leben.“ Durch<br />
ihr Engagement will Seina ihre Generation<br />
wachrütteln. Seit der neunten Klasse geht sie<br />
deshalb fast jeden Tag in das Büro von Pyalara.<br />
Die Jugendlichen sollen nicht zu<br />
schnell erwachsen werden.<br />
Seina ist in Abu Dhabi geboren, in den<br />
Arabischen Emiraten. Erst mit neun Jahren<br />
zog sie nach Ramallah. Sie spricht fließend<br />
Englisch und hat einen blauen Personalausweis,<br />
mit dem sie die Checkpoints nach Jerusalem<br />
passieren kann. Sie könnte<br />
raus aus dem Westjordanland,<br />
könnte im Ausland studieren.<br />
Eigentlich wäre sie frei. Doch anstatt<br />
an eine Universität in den USA zu gehen<br />
oder in Europa zu arbeiten, ist Seina fest entschlossen,<br />
im Westjordanland zu bleiben.<br />
„Ich will versuchen, hier etwas zu bewegen“,<br />
sagt sie. „Hier ist ja meine Heimat.“
24<br />
Text: Martin Anetzberger, Katharina Zabrzynski<br />
Happy End<br />
in<br />
fünf<br />
Schritten<br />
Bastle dir deine eigene<br />
romantische Komödie!<br />
Eine Anleitung für<br />
Liebesfilme.<br />
Los geht es mit den zwei Hauptpersonen.<br />
Wer soll sich verlieben und warum<br />
überhaupt? In den dunkellila Kreisen<br />
stehen vier klassische Beispiele. Einfach<br />
eins aussuchen, dann geht es zu Schritt<br />
zwei.<br />
Liebe auf den ersten Blick ist ja schön<br />
und gut, aber für einen guten Film<br />
muss etwas Besseres her: In den rosa<br />
Schmetterlingen findest du vier Möglichkeiten,<br />
einfach eine aussuchen.<br />
Im nächsten Schritt muss der Film zeigen,<br />
wie schön es ist, wenn die beiden<br />
zusammen sind. Am besten geht das<br />
mit einer romantischen Szene. In den<br />
Wolken gibt es vier Beispiele.<br />
Und jetzt, unverzichtbar: die Krise. Die<br />
muss natürlich zum Anfang passen.<br />
Und je schöner Wolke Sieben war, desto<br />
heftiger wirkt die Krise.<br />
❤<br />
Und zu guter Letzt: das Happy End!<br />
Anfang<br />
Wette: ER wettet mit<br />
Kumpels, dass ER SIE<br />
rumkriegt/zur Ballkönigin<br />
macht. Wer mit<br />
wem um was wettet,<br />
lässt sich natürlich<br />
beliebig variieren.<br />
Täuschung: ER gewinnt<br />
SIE durch<br />
irgendeine Lüge/SIE<br />
spielt mit falschen<br />
Karten. Das bietet<br />
Stoff für späteren<br />
Streit.<br />
„Keinohrhasen“<br />
Konkurrenten: Beide<br />
können sich auf den<br />
Tod nicht ausstehen.<br />
Diese Variante ist immer<br />
gut, damit nicht<br />
sofort klar ist, dass sie<br />
zusammenkommen.<br />
Soziale Barriere: ER<br />
und SIE sollen es<br />
nicht einfach haben:<br />
SIE ist arm, ER ist<br />
reich/SIE ist schön,<br />
ER ist hässlich – viele<br />
Varianten möglich.<br />
„Eine wie keine“<br />
„Shopaholic“<br />
„Manhattan Lovestory“<br />
Schmetterlinge<br />
im Bauch<br />
Schicksalsgemeinschaft:<br />
ER und SIE geraten in<br />
eine Situation, die sie<br />
nur meistern können,<br />
wenn sie ein gutes<br />
Team bilden.<br />
Verbotene Frucht: Bisher<br />
hat ER jede gekriegt<br />
– SIE will ihn nicht. ER<br />
weiß: SIE ist die Richtige.<br />
Schließlich verliebt<br />
SIE sich doch in ihn.<br />
Die Heldentat: SIE gerät<br />
in Gefahr, er sieht es<br />
zufällig. ER rettet SIE<br />
und kann endlich beweisen,<br />
wie mutig und<br />
stark ER ist.<br />
Ungewöhnliche Umstände:<br />
Normalerweise<br />
ist ER/SIE unnahbar,<br />
aber jetzt ist alles anders.<br />
Beiden wird klar:<br />
Sie gehören zusammen.
Wolke 7<br />
Sie lassen sich von der<br />
Magie des Abends hinreißen<br />
und landen – gegen<br />
jede Vernunft – miteinander<br />
im Bett. Danach ist<br />
nichts, wie es mal war.<br />
Sie sitzen bei Pizza und<br />
Rotwein bei einem schicken<br />
Italiener. Die Augen<br />
funkeln im Kerzenlicht,<br />
sanfter Jazz klimpert im<br />
Hintergrund.<br />
Sie sind allein an einem<br />
Ort mit schönem Ausblick<br />
(ideal: Sonnenuntergang).<br />
Ein Blick in die<br />
Augen des anderen und<br />
die Welt um sie versinkt.<br />
Sie tanzen zur romantischen<br />
Melodie eng umschlungen<br />
und schauen<br />
sich dabei tief in die Augen.<br />
Wenn die Zeit jetzt<br />
nur stehen bliebe.<br />
Krise<br />
Bindungsangst: Auf<br />
einmal bekommt<br />
ER/SIE kalte Füße.<br />
Das Ganze kann<br />
nicht gut gehen.<br />
ER/SIE lässt den anderen<br />
sitzen.<br />
Missverständnis:<br />
ER/SIE versteht den<br />
anderen falsch, was<br />
dazu führt, dass der<br />
andere verletzt wird.<br />
ER/SIE macht<br />
Schluss.<br />
Wahre Identität:<br />
ER/SIE merkt, dass<br />
der/die andere nicht<br />
der/die ist, für den<br />
ER/SIE ihn/sie hält.<br />
ER/SIE lässt den anderen<br />
sitzen.<br />
Die Wette fliegt auf:<br />
Alles war perfekt,<br />
aber dann hört<br />
ER/SIE von der Wette.<br />
Sie streiten sich,<br />
ER/SIE lässt den anderen<br />
sitzen.<br />
Für alle Pessimisten:<br />
Einfach bei der<br />
Krise aussteigen,<br />
dann habt ihr ein<br />
schönes <strong>Dr</strong>ama.<br />
Happy End<br />
25<br />
❤Sie versöhnen sich und<br />
alles wird gut.<br />
❤Sie versöhnen sich und<br />
alles wird gut.<br />
❤Sie versöhnen sich und<br />
alles wird gut.<br />
❤Sie versöhnen sich und<br />
alles wird gut.
26<br />
Text: Clemens Haustein<br />
edelboarden Du wolltest immer schon<br />
eine der edelsten Städte<br />
Europas sehen? Zürich? Ist<br />
mit 100 Euro zu schaffen: Hin- und Rückfahrt per Mitfahrgelegenheit<br />
zum Beispiel von Frankfurt für 40 Euro.<br />
Bei www.couchsurfing.com findest du vor dem Trip eine<br />
kostenlose Bleibe. Und jetzt kommt’s: Skateboards und<br />
Fahrräder kosten bei „Züri rollt“ auch nichts. Damit bist<br />
du flexibel in der Stadt unterwegs. Am nächsten Tag<br />
geht’s in Europas größtes Spaßbad nach Pfäffikon. Die<br />
Bahnfahrt am Zürichsee entlang kostet 17,60 Euro (hin<br />
und zurück), die Tageskarte fürs „Alpamare“ 31,60 Euro.<br />
Dafür gibt es aber auch zehn verschiedene Riesen-<br />
Rutschen. Zurück in Zürich sind sogar noch 10,80 Euro<br />
übrig. Ein Teil davon dürfte beim Besuch des Lindt-<br />
Schokoladen-Fabrikverkaufs draufgehen...<br />
runterheizen!<br />
Mit deinen drei besten Freunden<br />
fährst du mit dem Wochenendticket<br />
nach Freiburg (9,25 Euro pro Person).<br />
Übernachtung in Freiburg im „Blackforest-<br />
Hostel“ (14 Euro). Am nächsten Tag (Sonntag)<br />
geht’s auf Europas längste Downhill-Roller-Strecke:<br />
Mit dem Bus zur Schauinslandbahn (2 Euro) und<br />
mit der Gondel hinauf (7,50 Euro). Dort einen<br />
Mountainbike-Roller (19 Euro) mieten und damit<br />
die acht Kilometer lange Downhill-Strecke runterheizen.<br />
Mit dem Bus wieder zurück nach Freiburg.<br />
Ihr übernachtet noch zweimal im „Blackforest-Hostel“<br />
und habt noch einen ganzen Tag, um auf den<br />
Münsterturm zu steigen. Mit dem Quer-durchs-<br />
Land-Ticket fahrt ihr wieder zurück (12,25 Euro).<br />
im wilden Osten<br />
Ihr fahrt zu viert mit<br />
dem Quer-durchs-Land-<br />
Ticket nach Berlin (hin<br />
und zurück 24,50 Euro). In Berlin im DDR-Retro-Hostel<br />
„Ostel“ einchecken (echter Plattenbau!).<br />
Übernachtung im „Pionierlager“ (9 Euro).<br />
Am nächsten Tag Berlin erkunden und wieder<br />
im „Ostel“ schlafen. Jetzt geht’s raus in die Natur:<br />
Zelt einpacken, mit der S-Bahn nach Erkner<br />
fahren (2,80 Euro), am Dämeritzsee zwei Kajaks<br />
mieten (33 Euro pro Person für drei Tage) und<br />
in See stechen. Abends an einem Zeltplatz anlegen<br />
(9 Euro Platzgebühr). Nach drei Tagen geht<br />
es von Erkner wieder zurück in die Zivilisation.<br />
Im „Ostel“ übernachten und von den restlichen<br />
90 Cent einen Schokoriegel kaufen.<br />
So kommst du<br />
billig weg!<br />
Für den perfekten Urlaub reichen<br />
100 Euro und eine gute Idee.<br />
zu Gast bei Elchen<br />
100 Euro �<br />
verdienen<br />
Wie du das am schnellsten<br />
schaffst, liest du auf<br />
klartext-magazin.de/47b/<br />
urlaub<br />
Du fliegst von Frankfurt-Hahn<br />
nach Göteborg<br />
(Tickets gibt es schon ab 11 Euro – rechtzeitig buchen!<br />
– Busfahrt von Frankfurt Hbf nach Hahn kostet<br />
12 Euro). Vom Airport geht es mit dem Bus direkt in die<br />
Wildnis nach Kungälv (2,50 Euro) und dann weiter auf<br />
dem Fernwanderweg „Bohusleden“. Übernachtung im<br />
Zelt (Wildzelten ist in Schweden erlaubt!) oder in den<br />
Vindskydds (Schutzhütten) am Weg. Verpflegung aus<br />
Deutschland mitbringen, den ersten Supermarkt gibt’s<br />
erst wieder nach fünf Tagen Wandern! Wenn du von keinem<br />
Elch angefallen wurdest, geht es von Uddevalla mit<br />
dem Bus zurück nach Göteborg (7,40 Euro). Endlich<br />
wieder duschen und in einem Bett schlafen! Übernachtung<br />
im Hostel gibt es ab 14 Euro. 5,40 Euro brauchst<br />
du für die Rückfahrt zum Flughafen – bleibt sogar noch<br />
Geld übrig für den letzten Abend.
GUTE IDEEN HALTEN<br />
LÄNGER ALS EIN LEBEN.<br />
150 Jahre <strong>Georg</strong> Knorr<br />
K N O R R - B R E M S E G R O U P<br />
Vor 150 Jahren prägte eine Idee den Beginn der industriellen Mobilität: Den Transport großer Gütermengen zwischen<br />
den Städten und wachsenden Industriestandorten voranzutreiben. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Als bedeutender<br />
Er� nder seiner Zeit entwickelte <strong>Georg</strong> Knorr zukunftsweisende Technologien wie die <strong>Dr</strong>uckluftbremse für<br />
Güterzüge und nahm entscheidenden Ein� uss auf die Entwicklung des Schienenverkehrs zum beherrschenden Transportmittel.<br />
Knorrs unternehmerische Visionen – der Grundstein zu dem, was Knorr-Bremse heute ist: weltweit führender<br />
Hersteller von Bremssystemen für Schienen- und Nutzfahrzeuge. | www.knorr-bremse.com |
28<br />
Text: Lisa Srikiow<br />
Made in India<br />
Wer zu faul ist, nervige Aufgaben selbst zu<br />
erledigen, lässt andere arbeiten. Das nennt man<br />
Outsourcen. Angeblich spart man damit Zeit<br />
und Geld. Klappt das auch bei Referaten?<br />
Betreff: Urgent Request from Germany<br />
------------------------------<br />
„Hi Anne, Thanks for briefing us.<br />
We can assist you in said task. However, we wont be able<br />
to provide you the results by Tuesday of next week.“<br />
------------------------------<br />
Betreff: Re: Endversion<br />
-----------------------<br />
„Vielen Dank!“<br />
-----------------------<br />
�<br />
Das Gesicht hinter<br />
den E-Mails<br />
Wir haben mit einer<br />
Mitarbeiterin der Agentur<br />
telefoniert: Mehr über ihren<br />
Arbeitsalltag hörst du auf<br />
klartext-magazin.de/47b/<br />
outsourcen
Betreff: Task for Germany<br />
----------------------------<br />
„Hey Anne,<br />
Not to worry, I have already assigned assistant to you. He will get in touch with you soon.<br />
Regards, Smitha.“<br />
----------------------------<br />
Betreff: Zwischenbericht<br />
-------------------------<br />
„Hallo Frau Schmidt,<br />
heute schiche ich Ihnen die Zusammenfassung mit<br />
noch einiger Informationen. Ich schicke die Endversion<br />
bis 16 Uhr MEZ. Ich tue auch einige passende<br />
Bilder in der Präsentation rein.“<br />
-------------------------<br />
Dienstag, 16.17 Uhr<br />
Die meisten Lehrer haben mittlerweile mitbekommen, wie einfach<br />
es ist, Hausaufgaben aus dem Internet runterzuladen. Webseiten<br />
wie schoolunity.de oder wikipedia.com sind also nicht mehr<br />
brauchbar. Indische Outsourcing-Agenturen garantieren maßgeschneiderte<br />
Dienstleistungen – eine Alternative für faule Schüler?<br />
Wir machen den Test: Unser Lockvogel, nennen wir sie Anne,<br />
macht sich auf die Suche. Die erste Agentur ist schnell gefunden,<br />
Anne füllt das Onlineformular mit ihrer Anfrage aus und wartet...<br />
Donnerstag, 13.17 Uhr<br />
Erst die dritte Outsourcing-Agentur antwortet. Getfriday.com hat<br />
sogar eine kostenfreie Hotline, Anne ruft sofort an. Die Unterhaltung<br />
auf Englisch ist zwar etwas mühselig, aber Herr oder Frau Smitha<br />
(Anne ist sich nicht ganz sicher) ist freundlich. Die Agentur<br />
würde den Auftrag übernehmen.<br />
Freitag, 12.45 Uhr<br />
Ein reger E-Mail-Verkehr beginnt: Anne gibt ein paar kurze Anweisungen<br />
zum Thema, das Referat soll sich mit den Unterschieden<br />
zwischen Männer- und Frauensprache beschäftigen – ein geeignetes<br />
Oberstufenthema. Der nächste Punkt ist die Bezahlung: zwölf<br />
Euro pro Stunde wollen die Inder haben. Nicht billig, aber Anne<br />
akzeptiert – ein Schulreferat sollte nicht allzu viel Zeit einnehmen.<br />
Montag, 9.10 Uhr<br />
Anne gibt ihr PayPal-Konto an, Kreditkarten nimmt die Agentur<br />
auch. Als die Bezahlung geklärt ist, geht alles sehr schnell. Smitha<br />
aus dem Support-Team antwortet zügiger – jetzt da der Auftrag gesichert<br />
ist.<br />
Montag, 11.30 Uhr<br />
Ein kurzer Schreckensmoment. Der bisherige Kontakt verlief auf<br />
Englisch, Anne will das Referat aber natürlich auf Deutsch haben.<br />
Schnelle Nachfrage bei Smitha.<br />
Dienstag, 11.45 Uhr<br />
Der persönliche Assistent Samik meldet sich zum ersten Mal bei<br />
Anne – auf Deutsch. Er verspricht, sich an die Arbeit zu machen.<br />
Betreff: Endversion<br />
-----------------------------------<br />
„Hi Anne,<br />
ich habe Ihnen schon einmal die Präsentation geschickt. Ich<br />
glaube, dass Sie das nicht erhalten haben. anbei schicke Ich Ihnen<br />
die Endversion noch einmal. Ich würde Ihnen gerne mitteilen,<br />
dass das Thema auch mein Interrese geweckt. Wenn Sie später<br />
auch Aufgaben für uns haben, würde ich mich sehr freuen.<br />
Herzlichen Dank und viel Glück zu Ihrer Präsentation.<br />
Für eine Eingangsbestätigung bedanke ich mich im Voraus.“<br />
-----------------------------------<br />
Dienstag, 17.17 Uhr<br />
Ein paar Stunden später folgt tatsächlich der erste Zwischenbericht<br />
mit Präsentation zum Thema Männer- und Frauensprache. Auf den<br />
ersten Blick sieht es nicht schlecht aus: Tabellen, Beispiele und auffallend<br />
wenige Fehler. Anne weist nochmal darauf hin, dass das<br />
Handout noch fehlt. �<br />
Mittwoch, 9.45 Uhr<br />
Samik antwortet schnell. Das Handout komme noch, auch die<br />
Powerpoint-Präsentation sei nur ein Muster.<br />
Freitag, 16.00 Uhr<br />
Auf die Minute genau kommt Samiks E-Mail mit der Endversion<br />
des Referats an. Der zweite Teil des Projekts beginnt. Anne lässt das<br />
Ergebnis von einer Deutschlehrerin korrigieren.<br />
Sonntag, 21.34 Uhr<br />
Das Urteil fällt eher enttäuschend aus: Eine Vier, höchstens eine<br />
<strong>Dr</strong>ei minus, würde Anne für ihr indisches Referat bekommen. Den<br />
Anforderungen einer gymnasialen Oberstufe wird es nicht gerecht:<br />
Die wissenschaftliche Grundlage fehlt, Quellen- oder Autorenangaben<br />
werden nicht aufgeführt. Samik hat wichtige Teile wie die Einleitung<br />
vergessen, die Gliederung ist unübersichtlich und in der<br />
Präsentation wimmelt es nur so von Kommafehlern. Das Fazit<br />
kommt gut weg, auch die inhaltlichen Angaben sind zum größten<br />
Teil richtig. Insgesamt bleibt das Referat aber zu allgemein.<br />
Outsourcen wird daher sicherlich nicht Schule machen: Fast zwei<br />
Wochen hat das Hin und Her gedauert. Die Wartezeit könnte ein<br />
Schüler vielleicht noch in Kauf nehmen – 96 Euro würde aber sicher<br />
niemand für eine Vier bezahlen!<br />
29<br />
Betreff: Persönlicher Assistant<br />
------------------------<br />
„Hallo Frau Schmidt,<br />
vielen Dank, dass Sie uns die Aufgabe erteilt haben. Mein<br />
Name ist Samik, und ich bin Ihr Assistent bei dieser Aufgabe.<br />
Ich fange in Kurzem mit der Aufgabe. Danach in 1 Stunde<br />
schicke ich Sie einen Zwischenbericht.“<br />
------------------------<br />
Betreff: German speaking assistant?<br />
-----------------------------<br />
„Hi Anne, Sure, we will assign you assistant who<br />
can provide services and do your task in German.<br />
Regards, Smitha.“<br />
-----------------------------
30<br />
Text und Fotos: Sebastian Erb|Comic: Simon Sieber<br />
Im Auge<br />
des Sturms<br />
QuietStorm rappt gegen Rechts, wird von<br />
Nazis angegriffen, kommt ins Gefängnis.<br />
Und kämpft weiter. So gut die Geschichte<br />
auch klingt – sie bleibt undurchsichtig.<br />
Er ist auf der Hut. Wenn auf dem Display „Unbekannter Anrufer“ steht , dann<br />
geht er nicht mehr dran. Wenn er einen Werbebrief bekommt, wird er nervös,<br />
denn dann weiß irgendjemand da draußen, wo er wohnt. Und trotzdem sagt<br />
Tibor Sturm: „Inzwischen fühle ich mich wohl in Berlin. Angst verspüre ich<br />
nicht mehr.“<br />
Ein junger Schwarzer, der von Nazis angegriffen wurde, sich gewehrt hat, sieben<br />
Monate im Gefängnis saß – das ist seine Geschichte. Und die hat<br />
QuietStorm, wie Tibor Sturm sich nennt, bekannt gemacht in der Szene der<br />
Antifaschisten und unter Rappern, die mit Gewalttexten nichts zu tun haben<br />
möchten. Manche nennen ihn eine Kämpfernatur. Sie finden ihn inspirierend,<br />
wie er trotz allem mit erhobenem Haupt durchs Leben geht. Er wird eingeschüchtert,<br />
erhält Morddrohungen und er gibt trotzdem nicht auf. In<br />
gewisser Weise wurde Tibor Sturm zum Symbol des Kampfes<br />
gegen Rechtsradikale. Und er fühlt sich wohl dabei.<br />
Wie verabredet wartet er an der U-Bahn-Haltestelle. Auch wenn er ein leuchtend<br />
rotes T-Shirt trägt, fällt er nicht weiter auf. Seine Augen versteckt er hinter<br />
einer schwarzen Sonnenbrille. Er schaut sich um. Tibor Sturm ist 34 Jahre<br />
alt, stämmig, 1,94 Meter groß, vielleicht auch 1,95 Meter. Wenn man genau<br />
hinschaut, sieht man auf Tibors rechtem Arm einige schwarze Striche. Ein<br />
großes Tattoo, dass sich den Oberarm hochzieht. Es ist ein Motiv des Künstlers<br />
H. R. Giger, der es für ein Tarot-Set schuf. Der Name des Motivs: „Der<br />
Tod“. Allerdings ist die Tätowierung noch nicht ganz fertig.<br />
Am 12. Februar, das Datum weiß er noch ganz genau, bekam Tibor den ersten<br />
Anruf. Die Rufnummer unterdrückt. „Wir werden das zu Ende bringen,<br />
was unsere Kameraden nicht geschafft haben“, sagte die Stimme. Und: „Stirb,<br />
Nigger“. Wegen der Morddrohungen gegen ihn wurde ihm eine sichere Woh-<br />
nung in München angeboten, mit Personenschutz, rund<br />
um die Uhr, jeden Tag. Doch das wollte er nicht. Zu der<br />
Zeit war er in Berlin – und blieb dort. Er hatte nur seine<br />
Sporttasche dabei, nicht viel mehr als ein paar Klamotten.<br />
Der Rest sei eingelagert, er komme da nicht dran.<br />
Achtmal ist er seitdem umgezogen, oft wusste er nicht,<br />
wo er nun schlafen sollte. Auf seinem Facebook-Profil<br />
steht der Satz: „FREEDOM IS..... Sometimes<br />
Harder than i thought....“.<br />
Über sein Leben zu reden, dafür nimmt Tibor sich viel<br />
Zeit. Über seine Geschichte. Er erzählt seine Geschichte<br />
aber so, wie es ihm passt.<br />
Ab und zu zündet er sich eine Pall-Mall-Zigarette an.<br />
Und dann sagt er plötzlich, er habe jetzt seinen wichtigen<br />
Termin. Er tippt die Adresse in sein Nokia Smartphone<br />
ein: Kunstzentrum Radialsystem, Holzmarktstr.,<br />
Nähe Ostbahnhof. Ein Dutzend Polizeiautos stehen<br />
dort, die Straße ist abgesperrt. Eine Polizistin fragt ihn<br />
nach seinem Ausweis. Er zeigt ihn ihr. Sie fragt ihn nach<br />
seiner Einladung. „Brauch’ ich nicht“, sagt Tibor Sturm<br />
und geht weiter. Und er braucht sie wirklich nicht.<br />
Sie kennen ihn hier, in der Backsteinhalle bekommt er<br />
einen reservierten Platz ganz vorne, zweite Reihe. Er<br />
streckt die Beine lang aus, gemütlich, er ist heute hier,<br />
weil er dazugehört. Auf der Rednerliste: Klaus Wowereit,<br />
der Regierende Bürgermeister von Berlin, SPD-Chef<br />
Franz Müntefering und Außenminister Frank-Walter<br />
Am Donnerstag kommt eine SMS : „(...) Ich habe gerade den wichtigsten Termin meines Lebens verpasst bekommen. Leider morgen um 18Uhr.“
Die Nazis wollen euch<br />
mit Musik ködern.<br />
Sein Kampf gegen Rechts:<br />
Tibor Sturm gibt Workshops<br />
in Schulen und Jugendzentren.<br />
31
„Afrodeutsch und sorgenfrei“ hat er einen seiner Songs genannt.<br />
Nigger!<br />
Was?<br />
Steinmeier, der Kanzler werden will. „Heimat Metropole“<br />
ist das Thema der Veranstaltung, aber das ist nicht<br />
so wichtig. <strong>Dr</strong>ei Kollegen vom Projekt „GangWay<br />
Beatz“ rappen, das interessiert Tibor schon eher. Er<br />
wippt im Beat mit. Danach gehen alle nach draußen; an<br />
der Spree ist es ein bisschen kühler, die Atmosphäre<br />
locker, es gibt Bier.<br />
Erko, der Rapper, der gerade noch auf der Bühne stand,<br />
sagt: „Das wichtigste ist, er ist unser Bruder. Er ist nicht<br />
allein.“ Eigentlich wollte Tibor mit Herrn Steinmeier reden<br />
und Herrn Müntefering, aber die sind in Gespräche<br />
vertieft. Dann klappt zumindest noch ein<br />
Foto mit dem Außenminister, ein Händeschütteln.<br />
Steinmeier strahlt, Tibor auch. Er<br />
ist dabei, er wird endlich ernstgenommen.<br />
Tibor war immer schon politisch, hat im Kommunalwahlkampf<br />
öffentlich seinen Kandidaten unterstützt.<br />
Doch obwohl er sie um Hilfe gebeten hat – vor den sieben<br />
Monaten Knast konnte ihn keiner seiner Bekannten<br />
aus der Politik bewahren.<br />
Tibor zieht eine Postkarte aus der Hosentasche, sie ist<br />
zerknittert und in der Mitte gefaltet. Seine Glückspostkarte<br />
ist das, sagt er, die hat er immer dabei. Vorne ein<br />
Porträt von ihm im Comic-Style, in Graffiti-Schrift<br />
steht da „Freiheit für Tibor“. Auf der Rückseite schreibt<br />
7 Monate!<br />
Tibor Sturm irgendwo in Berlin.<br />
Die Geschichte, wie er sie erzählt,<br />
lässt sich nicht nachprüfen.<br />
ein Thomas: „Lieber Tibor, solidarische Grüße und viel Kraft“. Von diesen Postkarten<br />
habe er bestimmt 1000 bekommen, sagt Tibor, dazu viele Briefe. Das<br />
gab ihm Hoffnung.<br />
Heute schildert Tibor den Angriff, der ihn ins Gefängnis brachte,<br />
so: Nürnberg, in der Nähe des Reichsparteitagsgeländes. Ein<br />
kalter, nasser Abend im Dezember 2005, er ging von einer Feier zurück<br />
zum Auto. Da hörte er Geschrei, sie riefen seinen Namen. Nazis. „Heute<br />
Nacht muss du sterben, Nigger!“. Er rannte weg, blieb dann stehen. In seinem<br />
Kopf blitzte auf: Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Der Kindergarten. Er<br />
war immer der schwarze Mann. „Ich wollte nicht mehr weglaufen“, sagt er. Also<br />
schlug er um sich. Griff nach einem Holzpfahl, den er am Boden fand und hämmerte<br />
ihn einem der sechs Angreifer auf den Schädel. Die Polizei kam. Vier<br />
Streifenwagen, acht Polizisten. Sie mussten ihn bändigen.<br />
Tibor zeigt mit seinem Zeigefinger ins Gesicht. Das Jochbein war gebrochen,<br />
die Gesichtshälfte doppelt so dick, sechs Zähne kaputt. „Ich hatte das Gefühl,<br />
jeden Moment stirbst du.“ Tibor ist überzeugt: Sie wollten ihn umbringen. Er<br />
fühlte sich dem Tod ganz nah. Der Prozess gegen die Angreifer stehe noch aus,<br />
sagt er. Der Justizsprecher in Nürnberg sagt, davon wisse er nichts.<br />
Das Problem mit Tibors Geschichte ist, dass nur er ihren Kern kennt. Auch viele<br />
aus seinem Umfeld kennen die Umstände nur vom Hörensagen. Anhand der<br />
Daten, die Tibor nennt, sind die Gerichtsakten nicht zu bekommen. Es gibt nur
die Geschichte, die Tibor erzählt. Und darüber schwieg Tibor lange Zeit.<br />
Selbst seinem Vater sagte er anderthalb Jahre nichts. Aus Scham? Aus Verdrängung?<br />
Oder weil vielleicht doch nicht alles so war, wie er selber irgendwann<br />
zu glauben begann?<br />
Als Tibor dem Mann auf den Kopf schlug, wurde der schwer verletzt, Schädelbruch,<br />
Kleinhirnquetschung. Deshalb landete Tibor vor Gericht, nicht<br />
als Zeuge, sondern als Angeklagter. Der Vorwurf: Notwehrexzess. Er habe<br />
zu stark zugeschlagen, zudem war er kampfsporterfahren. „Das war der eigentliche<br />
Grund für die Verurteilung“, sagt Tibor. Wie er selber sagt, nahm<br />
Tibor den Prozess nicht ernst, dachte die ganze Zeit, er würde nun freigesprochen.<br />
Lachte, antwortete nicht auf Fragen. „Ich war naiv“, gesteht Tibor<br />
zu. „Ich habe dazu beigetragen, dass die Strafe so war.“ Trotzdem sei<br />
das Urteil vielleicht „rechtlich korrekt, menschlich aber nicht nachvollziehbar.“<br />
Er bereut es nicht, sich nicht entschuldigt zu haben. „Ich habe<br />
mich nicht entschuldigt, dass ich Schwarzer bin.“<br />
Das ist die Geschichte, wie sie Tibor erzählt. Selbst wenn sie<br />
nicht so stimmen würde, er könnte sie gar nicht mehr anders<br />
erzählen. Es ist seine Geschichte. Ein Berliner Filmemacher<br />
hat einen Kurzfilm darüber gedreht, der auf vielen kleinen<br />
Festivals in Deutschland läuft. Auch der Film zeigt nur<br />
Tibors Sicht.<br />
Dass viele ihm sagten, er sei zu Unrecht im Gefängnis, er sei vom Opfer<br />
zum Täter gemacht worden, das hat ihm geholfen. Im Großen und Ganzen<br />
sei es zwar natürlich nicht schön gewesen im Gefängnis, sagt er. Aber<br />
es hätte schlimmer sein können. Er arbeitete als Koch, hatte deshalb eine<br />
Einzelzelle. Er hat dort gelernt, wie man Schweinebraten und Klöße<br />
macht. Und er hat viel nachgedacht über sein Leben. Über seine Kindheit.<br />
Beim Versuch Tibor zu verstehen, hilft es, etwas über seine Kindheit zu erfahren.<br />
Was ist das erste, an das er sich erinnern kann? „Das N-Wort. Das<br />
hat mich Zeit meines Lebens begleitet.“ Er war immer der Neger. Er fühlte<br />
sich minderwertig. „Ich musste mich täglich rechtfertigen, wo ich herkam.“<br />
Dabei war er doch ein ganz normaler Junge, der in einer Kleinstadt<br />
in der Nähe von Nürnberg aufwuchs, Einzelkind, die Mutter Zahnarzthelferin,<br />
der Vater im Immobiliengeschäft. Seinen leiblichen Vater kannte er<br />
nicht.<br />
Er war ein ganz normaler kleiner Junge. Bis er neun war, dachte er, er sei<br />
der einzige Schwarze auf der ganzen Welt. Ein Junge, der auf die Frage „Warum<br />
bin ich schwarz?“ die Antwort bekam: Weil Gott es so wollte. Ein Junge,<br />
der sich oft alleine fühlte. Als Opfer.<br />
Seine Herkunft, die war für ihn wie ein Puzzlespiel, das er nach und nach<br />
zusammensetzte. Mit 17 fand er schließlich heraus, wer sein leiblicher Vater<br />
ist, ein US-Soldat, der von seinem Sohn in Deutschland gar nichts wusste.<br />
Er rief ihn an, dessen Frau war dran, dann kein Kontakt mehr. Zwei<br />
Tage vor seinem 18. Geburtstag bekam er Post aus Brooklyn, New York.<br />
Mit 21 flog er hin. Heute habe er ein gutes Verhältnis zu seinem leiblichen<br />
Vater, den er Dad nennt, und auch zu seinem Stiefvater. Der sagt: „Das ich<br />
nicht sein leiblicher Vater bin, war nie ein Problem.“<br />
Seine Hautfarbe, die prägte Tibors Leben von Anfang an.<br />
Sie katapultierte ihn aus der Kindheit ins Erwachsenendasein.<br />
Eines der ersten Bücher, das er las: Kants „Rassentheorie“, da war er<br />
12 Jahre alt. Dann Nietzsches „Morgenröte“. Harter Stoff. Aber Tibor<br />
konnte nicht anders, als nach Antworten zu suchen, warum er anders war<br />
als andere, rein äußerlich. „Schneiden wir mal deinen Buschkopf wieder“,<br />
so redete früher die Friseurin mit ihm. Heute trägt Tibor die Haare kurzgeschoren.<br />
Musik gegen �<br />
Rechts<br />
Nicht nur QuietStorm<br />
singt gegen Rechts.<br />
Online hörst du die zehn<br />
besten Anti-Nazi-Songs:<br />
klartext-magazin.de/<br />
47b/gegenrechts<br />
Wenn Tibor redet, schwankt seine Stimme schnell von<br />
ernsthaft bis spaßig. Gerne sagt er „ganz geil“, dann<br />
kommt plötzlich eine Formulierung wie aus dem Soziologie-Lehrbuch.<br />
Und manches Mal zieht er beides zusammen<br />
in einen Ausdruck: „So ist eben der Status<br />
Quo im Business“. So redet Tibor. Lässig. So ist er auch,<br />
lässig, vielleicht manchmal zu sehr. So erzählt er seine<br />
Geschichte.<br />
Inzwischen hat Tibor in Berlin eine feste Wohnung. Er<br />
schläft immer lange, bis um elf Uhr mindestens, manchmal<br />
gibt er später Workshops. Das ist seine Hauptbeschäftigung,<br />
seit er den Brothers Keepers beigetreten ist,<br />
einer Vereinigung von Künstlern, die sich gegen Rassismus<br />
einsetzen. Xavier Naidoo und Samy Deluxe gehören<br />
dazu. Abends hat Tibor ab und zu einen kleinen<br />
Auftritt, für den Herbst planen sie eine Schultour durch<br />
Ostdeutschland. Und dazwischen denkt er sich neue<br />
Songs aus, die Ideen findet er im Leben, es geht um Obdachlose,<br />
Straßenjungen, Schwarze in Deutschland. Er<br />
will die Leute unterhalten, sagt er, aber sie sollen auch<br />
nachdenken über die Welt, in der sie leben.<br />
In der Jury des Musikwettbewerbs „Nazis aus dem Takt<br />
bringen“ sitzt er schon, jetzt will er noch in den Wahlkampf<br />
einsteigen. Er soll für Steinmeier einen Wahlkampfsong<br />
produzieren, vier Strophen plus Refrain. Er<br />
wird rappen und drei andere auch. Dazwischen Ausschnitte<br />
aus Steinmeier-Reden. Authentisch soll es sein<br />
und per Youtube unter die Leute kommen. „Du musst<br />
als Künstler eine Meinung haben, damit das Land geführt<br />
wird, wie du möchtest“, sagt Tibor. Er hat sich alle<br />
Parteiprogramme angesehen und gemerkt: Am besten<br />
passt zu ihm die SPD.<br />
Was Tibor gar nicht ausstehen kann: Rap, wie ihn Sido,<br />
Bushido oder Frauenarzt performen. Frauenverachtende<br />
Texte, Gewaltverherrlichung. Das sei doch Missbrauch<br />
von Rap, nur um mehr Platten zu verkaufen.<br />
„Es gibt viele Rapper, die nicht authentisch sind“, sagt<br />
Tibor Sturm.<br />
Bei seinen Workshops in Schulen und Jugendzentren<br />
will er den Schülern zeigen, welche Probleme es mit<br />
Rassismus gibt; er will, dass sie aufpassen, welche Musik<br />
sie hören. „Die Rechten finden immer wieder einen<br />
Weg, um mit Musik Leute zu ködern.“ Dagegen will er<br />
kämpfen. � Den großen Durchbruch als<br />
Rapper hat QuietStorm nicht geschafft, aber<br />
er hat eine besondere Gabe, junge Leute zu<br />
begeistern, sagen die, die ihn kennen. Es<br />
ist sein Kampf und der ist noch lange nicht<br />
vorbei.<br />
Dazu passt auch das Tattoo auf Tibors Arm. Er hat<br />
überlebt, deshalb hat er sich für den Tod als Figur entschieden.<br />
Aber der Umhang fehlt noch. Fünf Termine<br />
waren für die Tätowierung angesetzt, dreimal war er<br />
schon dort. Aber jetzt sitzt der Tätowierer im Gefängnis<br />
und kann das Kunstwerk nicht vollenden. Der Tod<br />
muss warten.<br />
33<br />
Als in der neunten Klasse die NS-Zeit auf dem Stundenplan stand, holte er sich Adolf Hitlers Buch „Mein Kampf“ fürs Referat. Das stand bei seinem Opa im Regal.
34<br />
Text: Katharina Zabrzynski|Fotos: Erol Gurian<br />
Party auf Pump<br />
Alle reden von der Finanzkrise, keiner versteht sie wirklich.<br />
Dabei lässt sie sich in fünf Minuten am Tresen erklären.<br />
1.<br />
Rudi hat eine Kneipe in München-Schwabing. Seine Stammkunden<br />
sind gesellig und trinkfest, aber nicht gerade zahlungskräftig.<br />
3.<br />
Die Kneipe wird zum Renner<br />
in der Stadt. Immer<br />
mehr Gäste drängen in<br />
Rudis Kneipe und trinken,<br />
als gäbe es kein Morgen.<br />
4.<br />
Schritt für Schritt erhöht Rudi die<br />
Preise. Trotzdem trinken die Gäste<br />
immer mehr. Um die Bezahlung<br />
müssen sie sich ja keine Gedanken<br />
machen. Rudis Umsatz steigt.<br />
2.<br />
Eines Tages hat Rudi eine<br />
außergewöhnliche Idee: Ab sofort<br />
können die Kunden alle<br />
Getränke anschreiben lassen.<br />
Das Motto: Trinken Sie jetzt<br />
und bezahlen Sie später. Damit<br />
will er den Umsatz steigern.<br />
5.<br />
Immer mehr Kneipen<br />
übernehmen<br />
Rudis Konzept.<br />
Auch der Kundenberater<br />
der lokalen<br />
Investmentbank hat<br />
von Rudis Erfolg<br />
gehört und wittert<br />
ein Geschäft.
6.<br />
Weil Rudi kein Bares mehr<br />
hat, bietet der Banker ihm einen<br />
Kredit mit niedrigen<br />
Zinsen an. Als Gegenleistung<br />
bekommt er die Bierdeckel<br />
mit den angeschriebenen Getränken.<br />
Der Plan des Bankers:<br />
die Bierdeckel verkaufen<br />
und viel Geld damit machen.<br />
9.<br />
Triple A (AAA) steht<br />
in der Finanzbranche<br />
für höchste<br />
Kreditwürdigkeit<br />
von Wertpapieren.<br />
Die Wertpapiere werden von Finanzpapier-Testern<br />
mit besten<br />
Noten bewertet. Der Investmentbanker<br />
bedankt sich mit<br />
lebenslangem Freibier.<br />
12.<br />
Rudi hat mit den Bierdeckeln<br />
prima verdient, weiß aber,<br />
dass die goldenen Zeiten<br />
vorbei sind. Er schließt den<br />
Laden und macht sich<br />
auf den Weg nach Mallorca.<br />
13.<br />
8.<br />
Die Party auf Pump ist vorbei:<br />
Die Wertpapiere verlieren<br />
98 Prozent an Wert. Der Bierund<br />
Schnapslieferant geht<br />
pleite, weil viele Kneipen dicht<br />
gemacht haben. Das Geld<br />
der Investoren, die SUFFDERI-<br />
VATE gekauft haben, ist futsch.<br />
Per E-Mail werden die Wertpapiere<br />
bei einer „seriösen“ usbekischen Versicherung<br />
abgesichert.<br />
14.<br />
Alter Wein in neuen Schläuchen:<br />
Tanja übernimmt die<br />
Kneipe. Die alten Kunden sind<br />
aber hoch verschuldet und<br />
müssen auf Bier verzichten.<br />
Der Staat rettet mit Steuergeldern<br />
die Banken – und damit<br />
auch den Job des Bankers.<br />
10.<br />
7.<br />
Keiner versteht die Abkürzungen<br />
der Wertpapiere. Aber dank<br />
Absicherung und exzellenter Bewertung<br />
werden sie ein Hit unter<br />
Investoren. Der Banker erhält<br />
einen sechsstelligen Bonus.<br />
35<br />
Der Banker sortiert die Bierdeckel<br />
und fasst sie mit anderen<br />
Schuldscheinen zu Wertpapieren<br />
zusammen. Jetzt heißen<br />
sie SUFFDERIVATE, FUTURE-<br />
SCHNAPSZERTIFIKATE und<br />
BIEROPTIONSSCHEINE.<br />
11.<br />
Eines Tages stellt der<br />
Banker fest, es sei an der<br />
Zeit, die ältesten Deckel<br />
von Rudis Kunden abzukassieren.<br />
Die Gäste<br />
können ihre Schulden<br />
aber nicht bezahlen.
36<br />
David Friedrich, 18<br />
stop.motion: das ist eine bilderkette zu so einer art pilgerstätte.<br />
ich steh auf ner bühne zitiere feierlich die strophen<br />
ca. über 100 leute leihen mir ihre ohren<br />
worte kleben,<br />
bleiben in<br />
den poren,<br />
haken sich fest.<br />
ich seh, dass es kleine, psychische narben hinterlässt.<br />
lasst! Lass, so lass los.<br />
stop motion. don’t fuck the rotation!<br />
zapp: reihenhaus, bäume weichen aus.<br />
zapp: wir brauchen mehr platz für noch weniger arbeitsplätze.<br />
stop.motion: das ist eine bilderkette zu so einer art pilgerstätte.<br />
stop.geh nicht! es ist kalt draußen.<br />
zur zeit wachsen nur alptrauben.<br />
stop.ich bemühe mich, doch ich komm<br />
nicht voran<br />
weils nicht grün ist. sondern rot. überholverbot.<br />
doch blinken bringt einen doch eh nur vom<br />
geraden weg ab.<br />
weg a ab.<br />
mein fotoapparat ist so alt, der passt nicht<br />
mal in einen h-milch tetra pak.<br />
stop.motion.<br />
ich baue bildhaft brücken über ebenen und<br />
überquere flüsse per zebrastreifen.<br />
bild.ich gehe den lyrischen<br />
jakobsweg<br />
und entdecke aufgaben, die auf das<br />
wachstum meiner leber scheißen.<br />
bild.die welt ist eine wortplantage. seid ihr<br />
mit mir auf der vorfahrtstraße?<br />
kein fein pixelfilter. plaketten<br />
von farbklecksen, total egal.<br />
bild.manchmal kommt man mit der bremse weiter als mit dem<br />
gaßpedal.<br />
stop.drive<br />
stop.motion.<br />
das ist eine bilderkette auf dem weg zu so einer art pilgerstätte.<br />
stop.motion.eine art diashow.<br />
ich sehe viele auf der bühne (klasse performence) doch lyrisch unterste<br />
economy.<br />
na kommen sie. da kommen die an und machen ein auf comedy.<br />
stop. sei nicht überheblich, lass dich unterhalten.<br />
ha ha ha ho he hi<br />
doch nimm zur abwechslung mal<br />
po e siiiiiiiiiiiiiideen<br />
sind mangelware,heutzutage machen slammer<br />
texte darüber, dass sie texte, was sie<br />
für texte machen,wie man am besten texte<br />
macht, was andere slammer für texte machen,<br />
oder darüber dass andere slammer<br />
texte darüber machen dass wiederum andere<br />
slammer texte machen und was die<br />
für texte machenwas ist das dann für ein<br />
text. das ist keine poesie, das ist<br />
poetik.tik.tik.tik<br />
stop.motion<br />
am baum des lebens wachsen nur noch leere hülsenfrüchte.<br />
sagt die eine zur anderen: ich lehre dir den übermensch!<br />
darauf die andere: du bist doch nur ne leere nuss!<br />
eine dicke hülle ohne inhalt. ein schönes leben ohne sinn.<br />
ein top aktuelles modernes farbiges G8 schulbuch, in dem nur<br />
scheiße drin steht.<br />
ein supergeiler cooler slammer, der nur texte darüber macht, dass<br />
er texte macht.<br />
stop motion.<br />
ich laufe durch eine versallee,<br />
es liegt erster schnee<br />
und ich sage dir: der zahn der zeit ist ein eifriges nagetier,<br />
ich sehe falten und falter und falltüren im winterfell.<br />
der eingang zur hinterwelt.<br />
schneebedeckte landschaften, kieselsteine auf den gehwegen<br />
ich trete an zum winterdienst, kehre die einfahrt mit dem schneebesen.<br />
anblick, der den atem raubt,<br />
warten auf<br />
den frühling, der den damm bricht,<br />
Ende vom Samenstau.<br />
Kaleb Erdmann, 18<br />
Ana Ryue, 17<br />
Ich will erzählen wie’s<br />
begann mit meinen reimintentionen -<br />
am anfang wollt ich nur meine Ikonen<br />
klonen<br />
doch dann kamen immer eigene ideen und langsam habe ich - eingesehen<br />
ich müsste eigentlich meinen eigenen weg<br />
gehen statt vor plattenläden rumzustehen<br />
ich hab mich also an<br />
mein schreibtisch gesetzt und hab mich gefragt wie entsteht eigentlich ein text?<br />
Ich nehm kein Blatt<br />
vor den Mund,<br />
sondern schreib drauf.<br />
Gedanken, Gefühle, in Worte gefasst, ich fass sie zusammen und schreib sie auf. Das Blatt als Truhe meines<br />
Worschatzes und der Stift als Bote.<br />
„Gefühle kann man nicht aufschreiben.“, sagst du.<br />
„Macht nichts.“, schreibe ich.<br />
Gefühle sind zum Leben da, und<br />
vielleicht wollen sie ja gar nicht, dass man<br />
soviel über sie redet.<br />
Und wenn ich sage, dass ich verliebt bin, weißt du was ich meine,<br />
ohne dass es Schmetterlinge im Bauch braucht oder Die-ganze-<br />
Wortplantage<br />
s<br />
<strong>Dr</strong>ei U20-Poetry-Slammer schreiben<br />
über den Kampf mit der Sprache.<br />
ich hatte mir das etwa so vorgestellt mit ideen ist es doch wie mit<br />
dem geld - sie liegen auf der straße man muss sie nur finden - aufsammeln<br />
zusammenbinden und bevor sie verschwinden sich nen text draus winden<br />
- aber - leicht gesagt doch - weit gefehlt weil, man sich immer fragt ob man die<br />
richtigen wählt<br />
denn wenn man einfach immer mehr gedanken zusammenschreibt<br />
ist man irgendwann leer oder überladen wie ein mastschwein<br />
wenn das<br />
passiert ist mit dem schreiben schnell schluss - hätt ich das nur mal - vorher<br />
gewusst - denn so hab ich ne stunde verträumt ausm fenster geschaut - dann -<br />
kaugummi kauend aus geklauten ideen 'nen text gebaut - was dabei rauskam war<br />
grausam - in einem wort lauwarm - ich begann zu zaudern - denn -<br />
ich wollt eigentlich zaubern aber schau an: zum schaudern.<br />
ich hab das ganze auch mal<br />
nem kumpel gezeigt der hat zuerst kritisch den kopf geneigt dann doch<br />
interesse gezeigt und letztendlich gemeint: gib mir fünf minuten einlesezeit.<br />
dann las er den text nur abschnittsweise lächelte auf zynische art und weise<br />
und sagte dann leise:<br />
dein text ist scheiße.<br />
mir wurde also klar ich brauch 'nen ganz neuen ansatz ich mach das ganz anders denn ich<br />
weiß ich kann das!<br />
glücklicherweise hab ich dann bald verstanden: man<br />
braucht zuerst einen grundgedanken. den muss man sich dann von allen seiten<br />
anschaun und ihn dann noch kräftig ausbaun<br />
behängen und schmücken wie ein<br />
tannbaum deshalb war ich die<br />
folgenden tage - schwer beschäftigt mit der themafrage. vielleicht einen text<br />
über den größten verbrecher aller zeiten<br />
george bush den zweiten? aber die<br />
idee hab ich dann schnell überwunden - hab einfach nich genug reime auf idiot<br />
gefunden<br />
außer vielleicht tod und so weit wollt ich nicht gehen - kann sonst<br />
morgen wolfgang schäuble auf video sehen.<br />
ich suchte immer weiter und weiter<br />
und nach einigem weiteren scheitern - brach schon der tag des slams an.<br />
und dann tat ich das was alle dichter je taten denen keine themen<br />
mehr<br />
blieben - ich hab nen text übers texteschreiben geschrieben.<br />
Welt-umarmen-können.<br />
Ich umarm lieber Dich, ohne was zu sagen. „Wir müssen doch<br />
nicht alles zerreden.“, sage ich, aber du willst wissen, was los ist.<br />
„Schau mir doch in die Augen.“, denke ich, aber dein Blick geht an<br />
mir vorbei ins Leere.<br />
Ich nehm kein Blatt vor den Mund,<br />
sondern schreib drauf. Schreib auf, dass ich dir nicht<br />
alles in Worten vor die Füße<br />
werfen will, dass ich dich<br />
nicht merken lassen will, wie<br />
es meinem Herz geht und<br />
dass ich dir keine Geschichte<br />
erzählen will von einem Mädchen,<br />
das nicht mehr wusste,<br />
was sie sagen soll.<br />
Wenn Blicke nicht reichen<br />
und sich nicht mal begegnen,<br />
wenn nicht mal aneinander<br />
vorbeigeredet wird, sondern<br />
überhaupt geredet wird, ohne<br />
dass einer von uns hinterher<br />
weiß, wie es weitergeht.<br />
Vielleicht ist es dann zu spät.<br />
Und muss ich jetzt sagen, der<br />
Zug ist abgefahren, die Zeit ist<br />
abgelaufen oder es ist vorbei,<br />
damit du mich verstehst? Reicht es dir nicht, dass du mich nicht<br />
anschaust, um zu merken, was du willst?<br />
Ich nehm kein Blatt vor den Mund, sondern<br />
schreib drauf. Schreibe und schreibe<br />
und schreibe, will nicht anders, kann<br />
nicht anders, meine Wörter als Trichter<br />
meines Herzens. Denn ohne sie könnte<br />
ich nicht sein.<br />
Aber soviel ich auch schreibe, soviel Tinte,<br />
die ich benutze, nicht verschwende, sie<br />
reicht nicht aus, um zu zeigen, wie es mir<br />
wirklich geht.<br />
Aber das ist gut so<br />
denn Dinge,<br />
die man nicht<br />
ausdrücken<br />
kann, haben<br />
meist am meisten<br />
Ausdruck.<br />
Und mein Herz ist froh darüber, dass es<br />
nicht jedes Gefühl an ein Wort verschwenden<br />
muss.<br />
Und jetzt hast du begriffen. „Leb wohl.“, denkst du und ich lese es<br />
in deinen Augen, die mich endlich anschauen.<br />
Unsere Autoren �<br />
beim Performen<br />
Wir haben einen Poetry<br />
Slam in München besucht.<br />
Das Video siehst du auf:<br />
klartext-magazin.de/<br />
47b/slam
Upgrade 37<br />
Thomas Salter, Lisa Srikiow|Foto: Erol Gurian<br />
Die iZelleKonzept:<br />
„Das kann ich auch“, dachte sich die Telefonzelle, als sie das neueste Smartphone sah.
2<br />
Text: Name Name Foto: Name Name<br />
Das erste Mal bemerkte Lars seine Verfolger in der U-Bahn. Von da an sah er sie überall.
Die Joints.<br />
Der<br />
Rausch.<br />
Die Blicke.<br />
Kiffen gehört für viele zum Alltag.<br />
Für Lars Schumann veränderte es die Welt.<br />
Diagnose: Schizophrenie.<br />
39<br />
Text: Carina Braun|Fotos: Erol Gurian<br />
THC, Delta-9-Tetrahydrocannabinol, ist der Hauptwirkstoff von Cannabis. In niedrigen Dosen wirkt er euphorisierend und entspannend.<br />
Der <strong>Dr</strong>ogentrip, der nicht verging,<br />
begann an einem Tag im Dezember.<br />
Lars Schumann kam von der Arbeit.<br />
Er war 21, Zivildienstleistender und vor<br />
wenigen Monaten von zuhause ausgezogen,<br />
vom Dorf ins nahe gelegene Hamburg.<br />
Lars war beliebt und selbstbewusst,<br />
einer, mit dem man was trinken gehen,<br />
aber auch reden konnte. Er war es gewohnt,<br />
im Mittelpunkt zu stehen. Mit<br />
vier Freunden hatte er eine WG nahe der<br />
Reeperbahn gegründet. Sie feierten die<br />
neue Unabhängigkeit, Alkohol und Gras<br />
waren zum täglichen Ritual geworden. Es<br />
war eine einzige, lange Party.<br />
Name von der Redaktion geändert.
40<br />
Heute, drei Jahre später, sitzt Lars in einem<br />
Sessel vor seinem Haus, blinzelt in<br />
die Sonne und versucht, sich zu erinnern,<br />
was seither passiert ist. Es ist ein<br />
guter Tag. Er kann sich konzentrieren<br />
und lange Gespräche führen, nur hin<br />
und wieder stockt er ein bisschen, wenn<br />
er nach Details sucht. Es ist ein guter<br />
Tag, denn es ist Donnerstag,<br />
und am Dienstag erst haben<br />
sie ihm seine Medikamente gespritzt.<br />
„Mein Depot ist voll“,<br />
sagt er und lächelt.<br />
Er ist ein kräftiger, nordischer Typ mit<br />
blauen Augen und rötlichem Sechstagebart.<br />
Dass er krank ist, sieht man ihm<br />
nicht an. Er hat etwas Ruhiges, Wetterfestes<br />
an sich und wählt seine Worte<br />
sorgfältig. Aber der Versuch, sich seiner<br />
Vergangenheit anzunähern, erschöpft<br />
ihn sichtlich. Noch immer kostet ihn<br />
die Krankheit Kraft.<br />
Was er am meisten vermisst, ist die alte<br />
Sicherheit: schlagfertig zu sein, andere<br />
mitreißen zu können. „Der Sunnyboy<br />
der Klasse“, hat ihm einmal eine Lehrerin<br />
ins Zeugnis geschrieben. Nun fällt<br />
es ihm oft schwer, Fremden gegenüberzutreten.<br />
„Es ist so eine Grundnervosität<br />
da“, erklärt er. „Ein Gefühl, dass<br />
andere bemerken, dass meine Einheit<br />
nicht stimmt.“ Gesten und Blicke<br />
nimmt er sich schnell zu Herzen. Er ist<br />
verletzlicher geworden.<br />
An jenem Abend im Dezember<br />
hatte er wie immer schon den<br />
ersten Joint geraucht, den täglichen<br />
„Feierabendpokal“ nach<br />
der Arbeit, und sich anschließend<br />
auf den Weg nach Hause<br />
gemacht. Aber etwas war anders<br />
dieses Mal. „Es war, als hätte ich etwas<br />
im Gesicht, auf das mich keiner aufmerksam<br />
machen wollte“, sagt er. In<br />
der Bahn starrten ihn die Leute an, als<br />
wollten sie ihn durchlöchern mit ihren<br />
Augen. Unsicherheit schlich in ihm<br />
hoch, er setzte Kopfhörer auf und versuchte,<br />
abzuschalten. Aber die Blicke<br />
hörten nicht auf. Nicht an diesem Tag,<br />
nicht am nächsten, nicht, als er wieder<br />
nüchtern war, und auch nicht die Woche<br />
darauf.<br />
Dopamin gehört zu den sogenannten „Glückshormonen“. Aktuelle Studien legen aber nahe, dass es auch eine Rolle bei Ängsten spielt.<br />
Schizophrenie stellt sich langsam<br />
ein. Anfangs sind es Kleinigkeiten: Farben,<br />
Gerüche, Geräusche. Die Lichter werden<br />
greller, die Gespräche lauter, die Blikke<br />
durchdringender. „Erst hat es mich nur<br />
irritiert“, erinnert sich Lars.<br />
Es war das Cannabis, sagt er rückblickend,<br />
das ihn damals in die Psychose trieb. Mit<br />
16 hatte er zum ersten Mal gekifft, dann<br />
war es zum Wochenend-Vergnügen geworden<br />
und nach dem Auszug von zuhause<br />
zur Alltäglichkeit. Erst rauchte er, weil die<br />
anderen rauchten, dann, um besser feiern<br />
zu können.<br />
In Menschenmengen war es am Schlimmsten – wenn er den Blicken nicht entgehen konnte.<br />
Gegen Ende des Jahres liefen ein paar Dinge nicht mehr so<br />
gut. Die Beziehung zur Freundin zerbrach. Er hatte das Fachabi<br />
verhauen und bekam Absagen auf seine Bewerbungen<br />
um einen Ausbildungsplatz. Nachts lag er wach und<br />
haderte mit seinen Gedanken. Da rauchte er<br />
auch, um Schlaf zu finden.<br />
Beim Kiffen schüttet das Gehirn Dopamin aus – ein Botenstoff,<br />
der für die Übertragung von Reizen zuständig ist. Der<br />
Körper produziert ihn eigentlich immer dann, wenn etwas<br />
eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordert, bei Gefahr oder<br />
Stress etwa. Auf kurze Zeit wirkt er aber auch berauschend:<br />
Der Mensch nimmt seine Umwelt sensibler und intensiver<br />
wahr. Doch wenn der Körper den Stoff nicht mehr abbaut,<br />
wird die Reizüberflutung zum Dauerzustand und aus dem<br />
Höhenflug eine Qual. Die Erkrankten leiden unter Wahrnehmungsstörungen,<br />
die ihnen völlig real erscheinen, und beziehen<br />
ihre ganze Umwelt auf sich. Oft rutschen sie in einen<br />
Verfolgungswahn. �
Auch Lars begann bald, sich vor den Menschen<br />
zu fürchten. Er entwickelte Strategien,<br />
um ihren Blicken aus dem Weg zu gehen.<br />
Er lief Umwege und mied öffentliche<br />
Plätze. Musste er Bahn fahren, versteckte<br />
er sich hinter einem Buch. „Wenn jemand<br />
einsteigt, schaut er sich meist nach einem<br />
freien Platz um“, erklärt er. „Aber ich war<br />
mir sicher, sie suchen mich.“<br />
Gesprächsfetzen, das Fernsehprogramm,<br />
selbst Autokennzeichen<br />
und Telefonnummern enthielten<br />
plötzlich verschlüsselte Botschaften,<br />
die nur ihn betrafen. Die Anzeichen<br />
verdichteten sich, dass er die Hauptrolle<br />
spielte in einer zweiten „Truman<br />
Show“ – dass er das Opfer totaler Überwachung<br />
war. Weil er niemandem mehr vertrauen<br />
konnte, verkroch er sich in sein<br />
Zimmer. Er litt unter Depressionen und malte wie ein Getriebener<br />
bedrückende Bilder auf Wände und Papier. Manchmal<br />
ging er tagelang nicht aus dem Haus, doch bald fanden die Verfolger<br />
subtilere Wege. Lars begann, Stimmen zu hören. Sie krochen<br />
in seinen Kopf, verspotteten und demütigten ihn, bis er<br />
kaum noch schlief.<br />
Damit sie seine Gedanken nicht belauschen konnten,<br />
drehte er die Musik laut auf. In einer Nacht im<br />
Mai standen die Mitbewohner in der Tür, weil sie<br />
aufgewacht waren von dem Lärm. Es war die<br />
Nacht, bevor sie ihn in die Klinik brachten. <strong>Dr</strong>ei<br />
Wochen verbrachte er in der geschlossenen Psychiatrie, blickte<br />
in leere Gesichter und sprach kaum noch. Aber bald begannen<br />
die Medikamente zu wirken. Heute sind die Wände in seinem<br />
Zimmer weiß. Es ist noch derselbe Raum, aber die Wahnbilder<br />
sind übertüncht. Was von der Psychose übrig blieb – stapel-<br />
Schizophrenie wird oft mit Persönlichkeitsspaltung verwechselt, ist aber eine Wahrnehmungsstörung. Im Kopf der Erkrankten entwickelt sich eine neue Welt.<br />
Löst Kiffen Schizophrenie aus?<br />
Ein Zusammenhang zwischen Schizophrenie und Cannabis gilt<br />
durch viele Studien inzwischen als gesichert. Welche Rolle die<br />
<strong>Dr</strong>oge jedoch konkret spielt, ist umstritten. Viele Wissenschaftler<br />
gehen davon aus, dass durchs Kiffen gerade in jungen Jahren bleibende<br />
Schäden entstehen, weil sich das Gehirn dann noch in der<br />
Entwicklung befindet und der Stoffwechsel langfristig gestört<br />
wird. Eine Schizophrenie ist zwar unwahrscheinlich, aber manche<br />
Menschen sind gefährdeter als andere: Sie bauen Dopamin langsamer<br />
ab. Wenn eine genetische Vorbelastung besteht, Cannabis und<br />
irgendwann noch Stress hinzukommen, kann die Krankheit ausbrechen.<br />
In einem sind sich die meisten Forscher einig: Je früher<br />
im Leben gekifft wird, desto größer die Gefahr einer Psychose.<br />
... oder die Schizophrenie das Kiffen?<br />
Andere Forscher glauben, dass die Psychose zuerst da war und die<br />
Erkrankten Cannabis konsumieren, um die Symptome zu unterdrücken<br />
und sich zu betäuben. Für eine Forschungsarbeit der Universität<br />
Hamburg wurden junge Schizophrenie-Patienten nach den<br />
Gründen für ihren <strong>Dr</strong>ogenkonsum befragt. Einige gaben an, dass<br />
beim Kiffen die Stimmen weggingen. Andere sagten, sie fühlten<br />
sich unter Cannabis aktiver und konzentrationsfähiger, sie könnten<br />
dann Sport machen oder Bücher lesen. In der <strong>Dr</strong>oge enthalten<br />
ist unter anderem der Stoff Cannabidiol, der kurzfristig zur Verbesserung<br />
der Krankheitssymptome führen kann.<br />
41<br />
weise Zeichnungen und Pläne voll wirrer<br />
Ideen – hat seine Mutter zu sich genommen,<br />
damit sie nicht mehr in seiner<br />
Nähe sind. Er hat sie sich nie angesehen.<br />
Das Schwierigste am Erinnern ist, dass<br />
er nicht weiß, wie weit er dabei gehen<br />
darf. Bilder jener Zeit, Orte, an<br />
denen er war – sie könnten einen<br />
erneuten Schizophrenie-Schub<br />
auslösen. Mit jedem Rückfall<br />
aber sinkt die Wahrscheinlichkeit,<br />
einmal ein Leben ohne Medikamente<br />
führen zu können.<br />
Und einen hatte er schon. Als er damals<br />
entlassen wurde, fühlte er sich fremd in<br />
seiner alten Welt. Er begann, wieder zu<br />
kiffen.<br />
„Ich glaubte, ich könnte mir so<br />
mein Leben zurück holen“, sagt<br />
er. Doch nach nur wenigen<br />
Monaten kamen die Stimmen<br />
zurück. Das zweite Mal in der geschlossenen<br />
Psychiatrie hat er als die<br />
dunkelste Zeit in Erinnerung. „Ich bin<br />
dort innerlich gestorben“, sagt er.<br />
Nur langsam hat er sich wieder ins Leben<br />
eingefügt, aber er ist nicht wieder<br />
derselbe geworden. Die Krankheit hat<br />
ihm viel Energie und ein Stück seiner<br />
Selbst geraubt. Er sagt, dass er kühler<br />
geworden ist und abgeklärter. Sie fehlt<br />
ihm, die Leichtigkeit von einst. „Es ist<br />
wie damals, als mein Großvater starb.<br />
Da geht immer etwas in einem verloren,<br />
was nicht wiederkommen wird.“<br />
Seit der zweiten Psychose hat er die Medikamente<br />
nicht mehr abgesetzt und<br />
auch das Kiffen sein gelassen. Viele seiner<br />
Freunde haben mit ihm aufgehört –<br />
aus Freundschaft oder aus Angst, ihnen<br />
könnte Ähnliches passieren.<br />
Lars lebt heute ein normales Leben und<br />
geht wieder zur Schule, aber er weiß,<br />
dass er immer gefährdet sein wird. Er<br />
hat sich die eigene Stimme in<br />
seinem Kopf genau eingeprägt,<br />
um sich an ihr zu orientieren,<br />
falls es mal wieder soweit ist.
42<br />
Vor kurzem hat er die Frequenz der<br />
Spritzen reduziert und bekommt sie<br />
jetzt nur noch alle drei statt alle zwei<br />
Wochen. Jede dritte Woche zeigt ihm<br />
aufs Neue seine Grenzen auf. Er ist<br />
dann unkonzentriert, schwerfälliger im<br />
Gespräch und schreibt schlechte Klausuren.<br />
In letzter Zeit liegt er abends wieder<br />
lange wach. Bei weniger als acht<br />
Stunden Schlaf pro Nacht wird es riskant,<br />
haben die Ärzte gewarnt.<br />
Trotzdem hofft Lars, in zwei oder drei<br />
Jahren ganz ohne Medikamente leben<br />
zu können. „Vielleicht normalisiert sich<br />
mein Gehirn dann wieder“, sagt er.<br />
Noch immer gibt es oft bedrückende<br />
Tage, aber auch Tage, an denen er etwas<br />
von der alten Energie fühlt. „Manchmal<br />
spüre ich wieder, dass ich ich bin.“<br />
Er geht wieder mit Freunden weg, aber<br />
alles ist ein bisschen ruhiger geworden.<br />
„Es ist ein anderes Feiern, an das ich<br />
mich erst gewöhnen musste“, sagt er.<br />
Seit er die Medikamente nimmt,<br />
wirkt auch der Alkohol nicht<br />
mehr wie früher. Manchmal hätte<br />
er gerne wieder einen echten<br />
Rausch.<br />
In gewisser Weise ist es aber ein intensiveres<br />
Leben. <strong>Dr</strong>außen sein, die<br />
ersten Sonnenstrahlen des Sommers<br />
genießen, frei sprechen<br />
können oder ins Freiluftkino<br />
gehen – Dinge, die einst selbstverständlich<br />
waren und die er heute bewusster<br />
genießt.<br />
Und irgendwann, wenn er vielleicht fünf<br />
Jahre ohne Medikamente geschafft hat,<br />
dann würde Lars auch noch einmal kiffen.<br />
Es wäre nicht so exzessiv wie früher,<br />
es wäre dann etwas Besonderes. Ein<br />
Neujahrsjoint vielleicht. Ein Joint<br />
zum Genießen. Er weiß, dass es unvernünftig<br />
klingt und andere den Kopf<br />
schütteln, wenn sie es hören, und eigentlich<br />
will er auch nicht mehr kiffen,<br />
selbst wenn er zehn oder zwanzig Jahre<br />
ohne Medikamente geschafft hat. Aber<br />
ganz ausschließen möchte er es nicht.<br />
Allein die Entscheidung, es zu tun oder<br />
zu lassen: Auch das ist ein bisschen zurückgewonnene<br />
Freiheit.<br />
Welche <strong>Dr</strong>oge � wirkt wie?<br />
Wie User ihre <strong>Dr</strong>oge erleben –<br />
und was Experten über die<br />
Spätfolgen sagen. Eine<br />
Animation dazu siehst du auf:<br />
klartext-magazin.de/47b/drogen<br />
Die Fluchtgedanken wurden stärker. Lars begann, Menschen zu meiden.<br />
Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die THC-Konzentration in den heutigen Züchtungen höher ist als früher.<br />
Oder ist es das Erwachsenwerden?<br />
Es gibt noch eine dritte Theorie, warum junge Schizophrenie-Patienten<br />
fast immer auch eine Cannabis-Vergangenheit<br />
haben: Jugendliche, die viel kiffen, werden demnach in ihrer<br />
sozialen Entwicklung gestört. Weil sie nicht lernen, mit Konflikten<br />
umzugehen und sich statt dessen mit <strong>Dr</strong>ogen ablenken,<br />
entwickeln sie keine Abwehrmechanismen gegen Lebenskrisen.<br />
Wenn dann die ersten großen Veränderungen<br />
kommen, werden sie von der Situation überfordert. Der<br />
Stress steigt, und mit ihm der Dopamin-Pegel. Fast immer treten<br />
Psychosen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren zum ersten<br />
Mal auf – die Zeit, in der die ersten großen Stressmomente<br />
anstehen: Auszug, Prüfungen, Liebeskummer.
PixelschubsE<br />
Von wegen! Frauke bringt Form ins<br />
kreative Chaos und gibt Layouts den<br />
letzten Schliff. Die Reinzeichnerin bei<br />
Pleon sorgt dafür, dass Bilder optimal<br />
wirken und sich keine Schusterjungen<br />
auf schöne Seiten verirren.<br />
Von der Entwicklung eines Corporate<br />
Designs bis hin zur Gestaltung aufwändiger<br />
Publikationen: Beim Marktführer<br />
arbeiten Spezialisten für Design, Foto<br />
und Illustration.<br />
www.pleon.com<br />
BEYOND COMMUNICATIONS
44<br />
Konzept: Che Berberich<br />
Rettet die Wahlen!<br />
Viele wissen<br />
nicht, für<br />
welche Partei sie<br />
stimmen sollen.<br />
Eine Orientierungshilfe.<br />
Start<br />
Achtung!<br />
Egal, bei welcher Partei du raus kommst:<br />
Sie vertritt wahrscheinlich nicht alles,<br />
was du vorher gewählt hast. Genau wie<br />
in echt eben.<br />
Egal. Hauptsache<br />
alle Downloads<br />
sind kostenlos<br />
und legal.<br />
Sollten<br />
16-Jährige<br />
wählen dürfen?<br />
Wählen bringt<br />
Chaos. Ich will<br />
Führung.<br />
Bist du für ein<br />
Rauchverbot<br />
in Gaststätten?<br />
Quatsch, die<br />
sind noch viel<br />
zu unreif. Nein, ich will<br />
rauchen,<br />
wo ich will.<br />
Klar, 18-Jährige<br />
sind auch<br />
nicht schlauer.<br />
Ja.<br />
Nur so werden<br />
die Unis besser.<br />
Findest du<br />
Studiengebühren<br />
richtig?<br />
Nein. Meine<br />
Eltern sind doch<br />
keine Millionäre.<br />
Ja,<br />
Rauchen<br />
stinkt.<br />
Braucht Deutschland<br />
einen<br />
allgemeinen<br />
Mindestlohn?<br />
Nein, dafür sind<br />
die meisten<br />
zu doof.<br />
Soll das Volk<br />
öfter selbst<br />
über Gesetze<br />
abstimmen?<br />
Ja, wir sind<br />
das Volk!<br />
Nein, das<br />
kostet nur<br />
Arbeitsplätze.
Gehst du in<br />
die Kirche?<br />
Dafür stehe ich<br />
doch nicht auf.<br />
Sollten Straßen<br />
und Plätze<br />
videoüberwacht<br />
werden?<br />
Ja, jeder Job<br />
verdient einen<br />
fairen Lohn.<br />
--><br />
Ja, das stoppt<br />
Assis und<br />
Schläger.<br />
--><br />
Fliegen ist zu<br />
billig. Kerosin<br />
muss besteuert<br />
werden.<br />
Sind wir alle<br />
Verbrecher?<br />
Nein!<br />
Ja, fast jeden<br />
Sonntag.<br />
Niemals.<br />
Kiffen macht<br />
lahm und hohl.<br />
No, I wanna<br />
fly away!<br />
Ja, Fliegen<br />
schadet<br />
dem Klima.<br />
Legalize<br />
Cannabis!<br />
Sollen Schwule<br />
und Lesben<br />
heiraten düfen?<br />
Free the<br />
weed, man.<br />
Höhere<br />
Steuern<br />
für Reiche!<br />
Nein. Die Ehe<br />
ist was für<br />
Mann<br />
und Frau.<br />
Nein. Reiche<br />
zahlen eh’<br />
schon für alle<br />
anderen mit.<br />
Ja. Liebe<br />
kennt keine<br />
Geschlechter<br />
Ja, die können<br />
sich’s leisten.<br />
Die<br />
Wehrpflicht<br />
gehört<br />
abgeschafft!<br />
Weg mit<br />
Hartz IV!<br />
Hartz IV ist<br />
gut, sollte aber<br />
erhöht werden.<br />
Nein.<br />
Wir brauchen<br />
Bürger in<br />
Uniform.<br />
Jawoll! Wir<br />
brauchen eine<br />
Berufsarmee.<br />
Und zwar<br />
sofort. Hartz IV<br />
ist menschenunwürdig.<br />
Mit 16 vor die �<br />
Wahl gestellt<br />
In Österreich dürfen 16-<br />
Jährige das Parlament<br />
mitbestimmen. Was das<br />
bringt und wie sie sich<br />
dabei fühlen, liest du auf:<br />
klartext-magazin.de/<br />
47b/parteien<br />
45
46 Kreuzverhör<br />
Text: Olivia Höner|Fotos: Erol Gurian<br />
Metal vs.<br />
Was hörst du eigentlich? Irini, 17, und Philipp, 18, wollten das genauer wissen<br />
und haben für drei Tage ihre MP3-Player getauscht.<br />
Das Ergebnis: Philipp kam beim Joggen aus dem Takt. Irini war inspiriert.<br />
Maximum The Hormone<br />
Nightmare<br />
Caliban<br />
Heaven Shall Burn<br />
Amoral<br />
Callejón<br />
System Of A Down<br />
Slipknot<br />
Scars On Broadway<br />
In Extremo<br />
Philipp:<br />
Auf Dauer würde mir die Musik auf die Nerven gehen. Für drei<br />
Tage war’s okay. Vielleicht würde ich ja sogar Geschmack dran<br />
finden, wenn ich öfter Hip-Hop hören würde.<br />
Irini:<br />
Also, diese J-Rock-Sachen waren schon eher ungewohnt.<br />
Da singt dann eine Frau ganz hoch und plötzlich fangen<br />
die Männer an zu grölen. Aber Philipp hatte wohl<br />
auch so seine Probleme mit meiner Musik. Er hat mir<br />
gesagt, dass er sehr oft lachen musste.<br />
Philipps Top 10 Irinis Top 10<br />
Akon<br />
Ryan Leslie<br />
T. I.<br />
Flo Rida<br />
Jack Johnson<br />
Timbaland<br />
Baby Bash<br />
Soulja Boy<br />
Milow<br />
Lady Gaga<br />
R’n’B<br />
Irini:<br />
Nach den drei Tagen hab’ ich Philipp gefragt,<br />
ob er mir die Red Hot Chili Peppers<br />
und Evanescence rüberziehen würde. Ich<br />
frag’ bestimmt noch mal jemanden, ob er<br />
seinen Player mit mir tauschen will.<br />
Philipp:<br />
Das ist ja auch zum Lachen. Wenn die singen „my dick is<br />
bigger than yours“ – ich weiß nicht. Dieses Rap-Gehabe<br />
find’ ich albern.
standfestigkeit wird jetzt in talanx gemessen.<br />
Mit der richtigen Aufstellung trotzt man<br />
auf Dauer allen Stürmen. Als eine der erfolgreichsten<br />
Versicherungsgruppen beweisen wir<br />
dies jedes Jahr aufs Neue. Für das Jahr 2008<br />
verzeichnen wir trotz vieler Großschäden<br />
ein gutes Resultat beim versicherungs -<br />
technischen Ergebnis. Die renommierten<br />
Rating-Agenturen Standard & Poor’ s und<br />
A. M. Best bescheinigen unserer Gruppe<br />
regelmäßig eine sehr gute Finanzkraft.<br />
Und wir wachsen weiter – in der Lebens-,<br />
Schaden/Unfall- und Rückversicherung und<br />
in Finanzdienstleistungen. Unsere Stand -<br />
festigkeit wurzelt in einer bewährten<br />
Strategie aus antizyklischem Verhalten,<br />
vorausschauendem Handeln und nach -<br />
haltigem Ausbau unserer Kapitalkraft. Mehr<br />
dazu erfahren Sie unter www.talanx.com.<br />
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muthmarken
48<br />
Konzept: Samira Schellhaaß|Fotos: Erol Gurian<br />
Weißt du,<br />
was<br />
du trägst?<br />
Politik ist nicht sexy? Von wegen!<br />
Designer greifen oft auf politische<br />
Symbole zurück. Welchen Hintergrund<br />
die Modeaccessoires haben, weiß<br />
jedoch kaum jemand.
Das Peacezeichen<br />
kennt jeder. Was<br />
aber kaum einer<br />
weiß: Die Striche setzen<br />
sich zusammen<br />
aus den Buchstaben<br />
„N“ und „D“ aus<br />
dem Winkeralphabet,<br />
das vom Militär<br />
zur Nachrichtenübermittlungzwischen<br />
Schiffen benutzt<br />
wird. „N“ und<br />
„D“ stehen für „nuclear<br />
disarmament“,<br />
die nukleare Abrüstung.<br />
Wer hat’s erfunden?<br />
Die Briten,<br />
genauer: der Künstler<br />
Gerald Holtom.<br />
Er entwarf das Symbol<br />
für eine Kampagne<br />
zur nuklearen<br />
Abrüstung in den<br />
50er Jahren. Nicht<br />
zu verwechseln mit:<br />
Mercedes-Stern.
Vom Terroristen zum<br />
Friedensnobel<strong>preis</strong>träger,<br />
wie kriegt man das<br />
unter einen Hut? Yassir<br />
Arafat wusste: Das geht<br />
nur mit einem großen<br />
Tuch. Der schwarz-weiße<br />
Lappen heißt eigentlich<br />
Kufiya. Heute gibt<br />
es ihn in allen Farben.<br />
In der arabischen Welt<br />
wird er traditionell zum<br />
Turban gewickelt. Im<br />
Nahostkonflikt hat sich<br />
das Tuch zum Symbol<br />
für den Kampf um die<br />
Unabhängigkeit Palästinas<br />
entwickelt. Nicht zu<br />
verwechseln mit: Halskrause,<br />
Hermès-Tuch.
Er hatte sein Leben<br />
dem roten Stern verschrieben:<br />
Leo Trotzki,<br />
Kommunist der ersten<br />
Stunde, Führer in der<br />
russischen Oktoberrevolution<br />
1917. Hier<br />
taucht der Kommunistenstern<br />
zum ersten<br />
Mal auf. In den 70er<br />
Jahren verunstalteten<br />
die Terroristen der<br />
Roten Armee Fraktion<br />
das Symbol mit Maschinenpistole<br />
und<br />
dem Kürzel RAF. Aber<br />
auch demokratische<br />
Länder wie Neuseeland<br />
haben einen roten<br />
Stern auf der Flagge.<br />
Nicht zu verwechseln<br />
mit: Davidstern.
Kubanischer Volksheld, Märtyrer<br />
der Linken und verdammt<br />
gutaussehend: So schafft man<br />
es weltweit auf T-Shirts und<br />
G-Strings. Dabei geraten schon<br />
mal die Details in Vergessenheit.<br />
Ernesto Che Guevara war<br />
kein Gutmensch. Wankelmütige<br />
Gefährten ließ er kurzerhand<br />
erschießen. Beim Versuch,<br />
in Bolivien ebenfalls eine<br />
Revolution loszutreten, wurde<br />
Che Guevara 1967 festgenommen<br />
und hingerichtet. Nicht<br />
zu verwechseln mit: Benicio<br />
del Toro, Fidel Castro.
Die Regenbogenfarben<br />
als Friedenszeichen<br />
gibt es schon seit<br />
den 60ern. Für einen<br />
Friedensmarsch in Italien<br />
hat Aldo Capitini<br />
1961 eine Flagge entworfen,<br />
die den umgekehrten<br />
Farbverlauf eines Regenbogens<br />
zeigt. Der<br />
Marsch ging 30 Kilometer<br />
weit, von Perugia bis<br />
Assisi. Von dort wurden<br />
die Regenbogenfarben<br />
als Friedenssymbol in<br />
die ganze Welt hinausgetragen.<br />
Nicht zu verwechseln<br />
mit: Regenbogenflagge<br />
der Schwulenund<br />
Lesbenbewegung.
54<br />
Konzept: Che Berberich, Thomas Salter<br />
Angewandte<br />
Musikologie<br />
Gothik<br />
Paradise Lost<br />
Grind-Core<br />
Napalm Death<br />
Black-Metal<br />
Samael<br />
Death-Metal<br />
Obituary<br />
Metal-Core<br />
Integrity<br />
Power-Metal<br />
Blind Guardian<br />
Groove-Metal<br />
Pantera<br />
Speed-Metal<br />
Metallica<br />
Nu-Metal<br />
Limp Bizkit<br />
Krishna-Core<br />
108<br />
<strong>Dr</strong>umfunk, Screamo, Miami Bass – noch<br />
nie gehört? Kein Wunder. Die Popmusik ist<br />
heute in tausend Unterarten<br />
aufgesplittert. Jede Band, jeder DJ denkt<br />
sich einen eigenen Namen für seine Musik<br />
aus. Eine richtige Wissenschaft, da noch<br />
durchzublicken. Musikologie eben.<br />
Nard-Core<br />
Rich Kids on LSD<br />
Skate-Punk<br />
Pennywise<br />
Thrash-Metal<br />
Slayer<br />
Mensch<br />
Math-Core<br />
Dillinger Escape Plan<br />
Post-Hardcore<br />
Refused<br />
Psychedelic-<br />
Rock Doors<br />
Stoner-Rock<br />
Kyuss<br />
Crossover<br />
Rage Against the Machine<br />
Fun-Punk<br />
Toy Dolls<br />
Hardcore<br />
Minor Threat<br />
Heavy Metal<br />
Black Sabbath<br />
Power-Pop<br />
Weezer Brit-Pop<br />
Oasis<br />
Blues<br />
B.B. King<br />
Screamo<br />
Envy<br />
Punk<br />
Ramones<br />
Beat<br />
Beatles<br />
West Coast<br />
Hip-Hop<br />
Indie<br />
The Smiths<br />
New Wave<br />
The Cure<br />
Emo<br />
Panic at the Disco<br />
Elektroclash<br />
Chicks on Speed<br />
Glam-Rock<br />
Kiss<br />
Hardrock<br />
AC/DC<br />
Rock<br />
Rolling Stones<br />
Rock’n’Roll<br />
Bill Haley<br />
Progressive<br />
Frank Zappa<br />
Rock<br />
Grunge<br />
Nirvana<br />
Crunk<br />
Lil Jon<br />
R’n’B<br />
Whitney Houston<br />
Disco<br />
Bee Gees<br />
Funk<br />
James Brown<br />
Soul<br />
Aretha Franklin<br />
Folk<br />
Bob Dylan<br />
N.W.A
Grime<br />
Dizzee Rascal<br />
Tech-Step<br />
Ed Rush<br />
Eurodance<br />
Two Unlimited<br />
Elektro<br />
Kraftwerk<br />
Gospel<br />
Al Green<br />
East Coast<br />
Hip-Hop<br />
EPMD<br />
Hip-Hop<br />
Grand Master Flash<br />
Reggae<br />
Bob Marley<br />
Dub<br />
Lee „Scratch“ Perry<br />
Rocksteady<br />
Justin Hinds<br />
Ska<br />
Skatalites<br />
Dark-Step<br />
Dylan<br />
G-Funk<br />
<strong>Dr</strong>. <strong>Dr</strong>e<br />
Miami Bass<br />
2 Live Crew<br />
Jazz<br />
John Coltrane<br />
Trip Hop<br />
Tricky<br />
Gangsta-Rap<br />
Ice-T<br />
Goa Trance<br />
Astral Projection<br />
House<br />
Jesse Sauders<br />
Clown-Step<br />
Clips<br />
Jazz-Step<br />
LTJ Bukem<br />
Acid-Jazz<br />
Galliano<br />
Hard-Step<br />
Adam F<br />
Trance<br />
Paul van Dyk<br />
Ambient<br />
Brian Eno<br />
2 Step<br />
Artful Dodger<br />
Big Beat<br />
Prodigy<br />
Ragga<br />
Wayne Smith<br />
Dancehall<br />
Yellowman<br />
Techno<br />
Jeff Mills<br />
Industrial<br />
Ministry<br />
<strong>Dr</strong>umfunk<br />
Paradox<br />
<strong>Dr</strong>um’n’Bass<br />
Goldie<br />
Liquid Funk<br />
Marcus Intalex<br />
Jungle<br />
Shy FX<br />
Maschine<br />
Neurofunk<br />
Teebee<br />
Ghetto-Tech<br />
DJ Assault<br />
Tech-House<br />
Laurent Wolf<br />
Schranz<br />
Chris Liebing<br />
Minimal<br />
Richie Hawtin<br />
Bist du � Musikologe?<br />
Teste dein Wissen und hör<br />
dich durch die ausgefallensten<br />
Musikstile auf:<br />
klartext-magazin.de/47b/<br />
musikologie<br />
Hardcore-<br />
Spiral Tribe<br />
Techno<br />
55<br />
2000<br />
1990<br />
1980<br />
1970<br />
1960<br />
1950
Regel 17<br />
Entschuldigungen für das<br />
Training nicht über<br />
Mitspieler oder per SMS<br />
Regel 10<br />
Keine unnatürlichen<br />
oder extremen<br />
Haarfärbungen<br />
Regel 8<br />
Das Leergut muss<br />
immer aufgeräumt<br />
werden<br />
Regeln aus dem Verhaltens-ABC des VfB Stuttgart für Jugendspieler.
Text: Lukas Eberle|Fotos: Erol Gurian, Florian Peljak<br />
Patrick trainiert im Internat für die erste Bundesliga –<br />
dieses Ziel bestimmt sein ganzes Leben.<br />
Heute bricht Patrick alle Vorschriften.<br />
Er reißt sich das Trikot vom Körper,<br />
um es später sogar falsch herum wieder<br />
anzuziehen. Er füllt leere Sprudelflaschen<br />
und benutzt sie als Wasserspritzen.<br />
Er brüllt so laut er kann immer<br />
wieder „Jawoll“ und „Das ist das<br />
Größte“. An den restlichen 364 Tagen im Jahr<br />
muss Patrick sein Trikot in der Hose tragen, das<br />
Leergut wegbringen und sich in Zimmerlautstärke<br />
unterhalten.<br />
Nur an diesem Tag im Sportpark des kleinen<br />
Münchner Vororts Aschheim spielen Regeln<br />
keine Rolle mehr.<br />
Patrick Maurer, 17, ist gerade deutscher Jugendmeister<br />
geworden, mit 3:1 hat sein Team den FC<br />
Wer Fußballprofi<br />
werden will,<br />
räume sein<br />
Leergut weg<br />
und schneide<br />
seine Haare<br />
kopfballgerecht!<br />
Bayern München besiegt. Später am Abend<br />
wird er noch die Bettruhe- und gleichzeitig die<br />
Alkoholverbotsregel brechen.<br />
Patrick hat den Traum von einem Leben als<br />
Fußballprofi. Seinem Traum ordnet er alles unter.<br />
Patrick lebt an fünf Tagen in der Woche abgeschottet<br />
und unnahbar im Fußball-Internat<br />
des VfB Stuttgart – zusammen mit Gleichgesinnten,<br />
für die alle eindeutige Vorschriften gelten.<br />
Die jungen Fußballer müssen früh Opfer<br />
bringen und akzeptieren dabei die<br />
Gefahr, nie etwas zurückzubekommen.<br />
Siege feiert Patrick bereits wie die Profis. Auch<br />
sonst lebt er in einer mindestens schon dreiviertelprofessionellen<br />
Fußballwelt. Beim Meister-<br />
57<br />
schaftsfinale wird die Nationalhymne gespielt.<br />
Die Fans singen Patricks Namen durch<br />
ihr Megafon ins Stadion. Und die Menschen<br />
mit dem Wort „Security“ auf ihren T-<br />
Shirts halten ihm in der Halbzeit den Weg zur<br />
Kabine frei. Dies alles gibt Patrick das Gefühl,<br />
schon in einer Art Bundesliga light zu spielen.<br />
Außerdem schaut ihm Uli Hoeneß zu, der Manager<br />
des FC Bayern. Er sieht, wie Patrick als<br />
Innenverteidiger jeden steilen Pass seiner Gegner<br />
abläuft. Wie er den Kopf beim Rennen immer<br />
leicht nach vorne beugt, als ob er damit<br />
eine unsichtbare Wand durchbrechen müsste.<br />
Als aufstrebender Nachwuchsfußballer genießt<br />
Patrick einen hohen Status. Das bekommen<br />
auch die Journalisten zu spüren, die über ihn be-
58 Regel 20<br />
Regel 21<br />
Im Internat<br />
herscht überall<br />
Hausschuhpflicht<br />
Regel 12<br />
Mahlzeiten werden<br />
gemeinsam begonnen<br />
und beendet<br />
Tattoos und<br />
Piercings sind<br />
nicht erlaubt<br />
Regel 6<br />
Diebstahl wird nicht<br />
geduldet. Wer stiehlt,<br />
verlässt den Verein<br />
Regel 10<br />
Die Haarlänge sollte<br />
das Fußballspielen<br />
nicht beeinträchtigen<br />
Ömer Toprak war kurz davor, ein Bundesligaspieler zu<br />
werden. Auf www.klartext-magazin.de steht, warum er<br />
heute als Maurer auf dem Bau arbeitet.
ichten wollen. Viele E-Mails und Telefonate<br />
mit dem VfB Stuttgart sind nötig, um<br />
den Kontakt herzustellen. Der Besuch bei<br />
ihm wird aber nur eine Stippvisite. Das<br />
Interview darf nicht mehr als eine halbe<br />
Stunde dauern. „Die Jungs sollen<br />
sich auf die Schule und das Training<br />
konzentrieren. Mehr gibt es<br />
bei den Profis auch nicht“, sagt der<br />
Pressesprecher Jens Marschall.<br />
Stuttgart, fünf Tage nach dem Titelgewinn:<br />
Patrick öffnet die Tür zum Besprechungsraum<br />
in der Geschäftsstelle des<br />
VfB. Er kommt direkt aus dem Fußball-<br />
Internat, das ein paar Meter von hier, direkt<br />
neben der Mercedes-Benz-Arena liegt.<br />
In diesem Internat lebte auch<br />
Mario Gomez, bevor er zum<br />
teuersten deutschen Fußballspieler<br />
wurde. Patrick gibt allen freundlich<br />
die Hand, dann setzt er sich aufrecht hin.<br />
Er wird während der nächsten 30 Minuten<br />
kein einziges Mal die Rückenlehne seines<br />
Stuhls berühren. Die Atmosphäre ist steif,<br />
der Umgang professionell. Auch der Vereinspädagoge<br />
Markus Rüdt und Jens Marschall<br />
sitzen am Tisch. Auf die Frage, ob<br />
man später noch in das Internat schauen<br />
könne, antwortet der Pressesprecher kurz:<br />
„Nein. Das ist die Privatsphäre der<br />
Spieler.“<br />
Und so kann Patrick von seinem Internatsleben<br />
nur erzählen. So wie er fast jedem<br />
nur davon erzählen kann. Vor einem Jahr<br />
zog er bei seinen Eltern in Ulm aus und in<br />
die VfB-Akademie ein. Die Junioren<br />
trainieren achtmal in der Woche,<br />
fahren im Winter ins Trainingslager nach<br />
Katar und müssen nach ihren Spielen zur<br />
Dopingkontrolle.<br />
„Am härtesten ist das Training im Winter,<br />
da müssen wir schon um acht Uhr morgens<br />
in den Kraftraum“, sagt Patrick. „Früher<br />
hat es mich schon gestört, dass ich wenig Freizeit<br />
habe. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt.<br />
Das ist eben mein Leben.“<br />
Sein Tagesablauf ist durchstrukturiert bis ins<br />
kleinste Detail. Er besteht hauptsächlich aus<br />
Training, Schule und Lernzeit. Freizeit gibt es<br />
auch – zu einem festgelegten Zeitpunkt: mittwochnachmittags.<br />
Und am Wochenende. Aber<br />
nur, wenn keine Spiele anstehen.<br />
„Die Jungs sind nicht hier, um eingesperrt zu<br />
werden“, sagt Markus Rüdt. „Aber wir geben<br />
schon einen Rahmen vor.“ Der ist eng. Der<br />
Klub erwartet von ihnen Ordnung,<br />
Selbstdisziplin und Professionalität, so<br />
steht es in der „Jugendkonzeption“.<br />
Jedes Jahr bekommt Patrick das neue Verhaltens-ABC.<br />
Darin steht, wen Patrick grüßen muss<br />
und wie, wann er zum Arzt gehen oder welche<br />
Kleider er zum Training anziehen muss.<br />
Genau 22 Regeln enthält dieser Knigge<br />
für junge Kicker. Sogar eine kopfballgerechte<br />
Frisur wird vorgeschrieben.<br />
Tapestreifen auf den Stutzen sind ebenso<br />
verboten wie SMS im Teambus. „Das<br />
mit den Handys halten wir alle ein, das sorgt<br />
sonst für großen Stunk“, sagt Patrick. „Wer im<br />
Bus telefoniert, muss bis zu 20 Euro Strafe<br />
bezahlen.“<br />
Mit Vorschriften kann Patrick mittlerweile aber<br />
umgehen. „Die Regeln kommen nur nach außen<br />
so krass rüber. Im Grunde kann ich gar keine<br />
schlimmen Dinge anstellen“, sagt er. Er würde<br />
nie Gefahr laufen, die Bettruhe um halb elf<br />
Uhr zu missachten. „Ich habe abends sowie keine<br />
Kraft mehr, um in Stuttgart einen drauf zu<br />
machen.“ Und wenn doch, dürfte er dort auch<br />
nur Cola bestellen. Neben Diebstahl ist zu viel<br />
Alkohol der schlimmste Verstoß. Wer klaut oder<br />
trinkt, fliegt sofort.<br />
„Da zeigt sich eben die Einstellung jedes Spielers.<br />
Alkohol gehört nicht zum Leistungssport“,<br />
sagt Patrick.<br />
Der Fußballer hat sich an das Schablonenleben<br />
und die Regeln gewöhnt. „Ich lebe einfach ganz<br />
normal, es ist nichts anderes als zuhause“, sagt<br />
er. Von der Tatsache abgesehen, dass ihn seine<br />
Patrick Maurer:<br />
Mit zwölf Jahren bekam er<br />
sein erstes Angebot vom<br />
VfB Stuttgart. Heute ist er einer der<br />
besten Nachwuchskicker in<br />
Deutschland und hat bereits zweimal für<br />
das Jugend-Nationalteam gespielt.<br />
Freundin Carolin nicht besuchen<br />
darf. Im Internat<br />
gilt Mädchenverbot.<br />
„Das ist schon schwer, aber<br />
das hat sich mit der Zeit<br />
eingespielt. Wir sehen uns<br />
eben am Wochenende in<br />
Ulm.“ An seinem rechten<br />
Handgelenk trägt Patrick<br />
ein Armband aus Holzelementen,<br />
auf denen kleine<br />
Marienbilder zu sehen<br />
sind. Sein Leben ist dem eines<br />
Mönchs gar nicht so<br />
unähnlich. Kumpels könne<br />
er auch nicht einladen, das<br />
sei schon ein Haken, sagt<br />
Patrick. „Wir sollten im<br />
Internat eben unter uns<br />
sein.“ Die wenige Zeit, die<br />
Patrick bleibt, braucht er<br />
sowieso zum Lernen.<br />
Das Abitur ist seine einzige Absicherung, falls es<br />
mit der Fußballkarriere nichts wird. Aus der<br />
VfB-Jugend schaffen es immer nur zwei bis drei<br />
Spieler ins Profiteam. „Die Jungs brauchen<br />
nicht denken, dass sie im Internat<br />
schon mit einem Fuß in der Bundesliga<br />
stehen“, sagt Rüdt. Patrick weiß das. „Natürlich<br />
habe ich Angst, dass es nicht klappt“,<br />
sagt er. „Vielleicht verletze ich mich schwer oder<br />
ich werde irgendwann nicht mehr besser. Es<br />
kann ja alles passieren.“�<br />
Zwei Bänderrisse hatte er schon. Doch über einen<br />
Plan B, eine Alternative zum Leben als Fußballprofi,<br />
will er sich keine Gedanken machen.<br />
„Deswegen mache ich ja mein Abitur.“<br />
An diesem Abend muss Patrick noch büffeln.<br />
„Morgen schreibe ich Chemie. Das liegt mir gar<br />
nicht. Die ganzen Alkohole und Fette, das muss<br />
ich auswendig lernen.“ Patrick geht in die zwölfte<br />
Klasse des Wirtemberg-Gymnasiums in Stuttgart.<br />
Es ist eine Eliteschule des Sports, Patrick<br />
kann seine Schulstunden flexibel um das Training<br />
legen – das Verpasste muss er dann aber<br />
nachholen. Er lernt dort zusammen mit<br />
Leichtathleten und Schwimmern, zu<br />
seinen Klassenkameraden zählen aber auch<br />
Nichtsportler. „Bei ihnen kommt vielleicht<br />
manchmal Neid auf“, sagt Patrick. „Wir Sportler<br />
haben Privilegien, wir können morgens fehlen,<br />
und beim Nachholunterricht sitzen wir alleine<br />
im Zimmer und bekommen mehr mit.“<br />
Unsere halbe Stunde ist vorbei. Der letzte Vorstoß,<br />
um noch irgendwie einen Blick ins Internat<br />
werfen zu können, wird abgeblockt.<br />
Wir haben eine CD mit<br />
Fotos vom Endspiel gegen die<br />
Bayern dabei. Bilder von den Momenten<br />
seines größten Erfolgs.<br />
Patrick könne sie auf seinen Laptop<br />
ziehen. Er freut sich und würde<br />
uns noch ins Internat einladen.<br />
„Netter Versuch“, sagt der<br />
Pressesprecher und nimmt die<br />
CD an sich. Vor der Geschäftsstelle<br />
gibt Patrick noch<br />
einmal allen die Hand.<br />
Er ist überrascht, weil er<br />
auch nicht wusste, dass<br />
wir nicht mit ins Internat<br />
dürfen. Dann läuft<br />
er allein zurück zu seinem<br />
Schreibtisch. Der<br />
Lernstoff für die Chemieklausur<br />
wartet.<br />
Der Ball macht, �<br />
was Camill will<br />
Ein Beinbruch zwang ihn<br />
zum Sitzsport. Heute ist<br />
Camill Hauser einer der<br />
besten Trickfußballer der<br />
Welt. Ein Portrait auf:<br />
klartext-magazin.de/47b/<br />
fußball
60<br />
Text: Katharina Fuhrin|Formeln: Andreas Fackler<br />
Kurvendiskussion<br />
Wir reden gerne über alles, was extrem<br />
ist. Uns interessieren Wendepunkte,<br />
Höhen und Tiefen. Im Prinzip machen<br />
wir nichts anderes, als ständig über<br />
Kurven zu diskutieren.<br />
Eisbach-Surfer<br />
Das ganze Leben ist nach dem Sinus-Prinzip aufgebaut, mit<br />
seinen Wende-, Extrem- und absoluten Nullpunkten. So wie<br />
die Funktion fEisbachwelle(x). Surfprofis aus Hawaii und Kalifornien<br />
sind schon angereist, weil sie mitten in München<br />
eine fast perfekte, berechenbare Welle finden. Aber: Ufer-<br />
Links
Foto: Getty Images<br />
Beth Ditto<br />
So sieht Erfolg aus, wenn man ihn zwischen<br />
zwei unrasierte Achse(l)n presst. Eine Erfolgskurve<br />
sozusagen. Sehr schöne, deutlich zu bestimmende<br />
Extrempunkte im Busen-, Bauchund<br />
Po-Bereich, die den Verlauf prägnant bestimmen.<br />
Interessant sind vor allem die Bereiche<br />
x=(Mode), x=(Musik) und x=(coole Freunde).<br />
Denn f BethDitto(x) erreicht trotz hoher Körperfettwerte<br />
den Status einer Stilikone, macht<br />
zusammen mit ihrer Graphenschar fnTheGossip<br />
Nummer1-Hits und liegt eng zu ihrer kurvenfreien<br />
Freundin g KateMoss.<br />
61
62<br />
Formel 1<br />
Achtung, dieser Kurve muss man sich mit größter Vorsicht<br />
annähern. Der Streckenabschnitt durch Monte Carlo übertragen<br />
in ein Koordinatensystem – das funktioniert einfach nicht<br />
als Funktion. Zu viele y-Werte! Genauso schwierig funktioniert<br />
die Kurve für die Formel-1-Fahrer, die sich einmal im<br />
Jahr über die haarnadelförmige Straße manövrieren. Manchen<br />
hat es da schon aus der Kurve gehauen, bei diesen extremen<br />
Wendepunkten und zahlreichen Attraktionen am Rand.<br />
Foto: dpa
Foto: ap<br />
Amy Winehouse<br />
Eine höchst problematische Kurve,<br />
die fast ausschließlich im negativen Bereich<br />
definiert ist. Mit etwas gutem<br />
Willen ist im Ursprung eine Normalparabel<br />
zu erkennen, die durch die Parameter<br />
Crack, Rum und Gefängnis<br />
allerdings deformiert wurde. Im Griechischen<br />
bedeutet der Begriff Parabel<br />
das „Daneben-Gehende“, also die Abweichung<br />
vom rechten Weg. Der hätte<br />
bei f AmyWinehouse durchaus bei x -->unendlich<br />
nach oben führen können. So<br />
zeigt ihre Kurve aber steil nach unten.<br />
63
64 Quiz<br />
Konzept: Che Berberich<br />
Wenn Werbetexter junge Leute ansprechen wollen, schreiben sie<br />
Sätze wie diesen: „Süße Candy-Ladies in poppigen Eiscreme-<br />
Farben verdrehen Beach-Promenaden-Jungs den Kopf.“ Die<br />
Texter schlagen dafür im Jugendsprache-Wörterbuch nach. Dort<br />
stehen die seltsamsten Dinge. Aber was sollen sie bedeuten?<br />
a) b)<br />
c)<br />
e)<br />
g)<br />
Wie redest duden?<br />
Auflösung: a) 1, b) 2, c) 2, d) 2, e) 1, f) 2, g) 3, h) 1<br />
d)<br />
h)<br />
f)
Als ich nach Argentinien gegangen bin, waren Isabelle und ich erst vier<br />
Monate zusammen. Trotzdem wollte ich nach dem Abi erstmal weg<br />
und Zivildienst im Ausland machen. Und da mir Südamerika schon<br />
immer total gefallen hat,<br />
habe ich in Argentinien<br />
18 Monate in einer Pfarrei<br />
gearbeitet.<br />
Wir haben gesagt,<br />
dass wir das schaffen<br />
wollen, obwohl uns<br />
klar war, dass wir uns<br />
zehn lange Monate<br />
nicht sehen werden.<br />
Ich war ja in der<br />
13. Klasse, habe ein<br />
Jahr nach Vinzenz<br />
Abitur gemacht. Der<br />
Abschied war der<br />
schlimmste Tag in<br />
meinem Leben. Am<br />
Flughafen habe ich<br />
nur geheult. Vinzenz<br />
erst, nachdem er hinter<br />
der Absperrung war.<br />
Stimmt, erst nachdem du mich nicht mehr<br />
gesehen hast. Unser großer Plan war, dass<br />
mich Isabelle gleich nach ihrem Abi im<br />
Juli für sechs Wochen besucht.<br />
Ich habe mir ein Maßband gekauft<br />
und ausgerechnet, wie viele<br />
Tage bis zu meinem Flug noch vergehen<br />
müssen. Jeden Tag habe ich<br />
dann einen Zentimeter vom Band<br />
abgeschnitten. So fiel das Warten<br />
etwas leichter.<br />
Beziehungsweise 65<br />
Text: Lukas Eberle, Lisa Srikiow<br />
11300 Kilometer zwischen dir und mir<br />
Kann die Liebe den ersten langen Auslandsaufenthalt überleben?<br />
Wir haben zwei getroffen, die sich eineinhalb Jahre treu geblieben sind.<br />
Vinzenz<br />
Isabelle<br />
Vinzenz<br />
Isabelle<br />
Vinzenz<br />
Gedankenaustausch über 11 300 Kilometer. Ihr Rekord<br />
In dieser Zeit haben wir drei Mal pro Woche<br />
telefoniert. Es war verdammt schwer,<br />
Isabelle alles bildlich zu erklären: meinen<br />
Freundeskreis, meine Umgebung oder meine<br />
Arbeit. Unsere Beziehung funktionierte zu 100 Prozent über reinen<br />
Gedankenaustausch. Mehr gab es nicht, keine gemeinsamen Erlebnisse<br />
und keinen richtigen Streit. Nur ein Telefon.<br />
Am meisten habe ich Vinzenz vermisst, wenn ich etwas<br />
Schönes oder Trauriges erlebt hatte. Dann hatte ich dieses<br />
Bedürfnis, das zu teilen. Deswegen habe ich versucht,<br />
es ihm per Telefon zu erzählen. Unsere<br />
Beziehung hat auch gehalten,<br />
weil wir gut im Telefonieren sind und<br />
uns mitteilen können. In den ersten<br />
vier Wochen habe ich 80 Euro vertelefoniert.<br />
Das längste Gespräch hat<br />
vier Stunden gedauert. Außerdem<br />
habe ich ihm Briefe geschrieben. Liebesworte<br />
auf Papier sind etwas ganz<br />
anderes als in einer SMS oder in einer<br />
E-Mail.<br />
im Telefonieren: vier Stunden.<br />
Wichtig war, dass ich versucht habe, Isabelle<br />
in Argentinien präsent zu machen. Ich habe<br />
viel über sie erzählt. Meine Freunde kannten<br />
sie schon, bevor sie zu Besuch kam.<br />
Bei meinem Besuch habe ich erlebt,<br />
wie sich Vinzenz verändert hat. Er ist<br />
viel lockerer geworden<br />
und ging mehr auf<br />
andere Menschen zu.<br />
Fast noch schlimmer<br />
als der erste Abschied<br />
war dann aber der<br />
zweite in Argentinien.<br />
Vinzenz blieb ja noch<br />
sechs Monate länger<br />
dort. Da wurden wir<br />
dann zum zweiten Mal<br />
getrennt. Wenn ich<br />
heute daran denke,<br />
heul’ ich immer noch<br />
fast.<br />
teilhaben lassen, das ging nur über das Telefon.<br />
Ich habe in Argentinien relativ<br />
schnell gewusst, dass unsere<br />
Beziehung halten wird.<br />
Ich habe gemerkt, was ich an<br />
Isabelle habe. Die argentinischen<br />
Mädchen sind zwar total lebensfroh, aber haben oft keinen Tiefgang.<br />
Mit Isabelle verstehe ich mich auf tiefster persönlicher Ebene.<br />
Das wurde mir erst durch die Fernbeziehung klar.<br />
Vinzenz wollte Isabelle an seinem Leben in Argentinien<br />
Isabelle<br />
Vinzenz<br />
Isabelle<br />
Vinzenz
66<br />
Text: Martin Anetzberger, Lisa Srikiow|Foto: Erol Gurian<br />
Mehr<br />
Respekt,<br />
bitte<br />
Junge Mütter haben es doppelt schwer. Sie müssen<br />
sich um ihre Kinder kümmern und hören ständig,<br />
sie seien dafür nicht reif genug.<br />
Rebecca hält ihre Tochter Hannah an der Hand,<br />
während sie mit ihr durch das Fotostudio geht. „Gefällt<br />
es dir hier?“, fragt sie. Die Kleine nickt. Sie weiß<br />
nicht, dass sie schon einmal mit ihrer Mutter in einem<br />
Fotostudio war. Damals, zwei Jahre zuvor, war<br />
Rebecca erst 18 Jahre alt und mit Hannah im neunten<br />
Monat schwanger.<br />
Jetzt will Rebecca festhalten, wie beide sich seither<br />
entwickelt haben. Die blonde Hannah fühlt sich<br />
schnell wohl und turnt auf der Lehne des Sessels herum.<br />
Eine Sekunde später flitzt sie mit ihrem Stoffpferd<br />
durch das Fotostudio. Rebecca schaut ihr gelassen<br />
zu.<br />
Junge Mütter wie Rebecca werden seltener in<br />
Deutschland. Im Jahr 2000 kamen noch rund<br />
29 000 Kinder zur Welt, deren Mütter jünger als 20<br />
waren. Heute sind es etwa 6 000 weniger.<br />
Ein <strong>Dr</strong>ittel der jungen Schwangeren treibt ab. Die,<br />
die ihr Kind bekommen, haben nicht selten mit<br />
Vorurteilen zu kämpfen.<br />
Angeblich wollen sie nur Stütze<br />
vom Staat, haben keine Lust, eine<br />
Ausbildung zu machen und hausen<br />
in verdreckten Einzimmerwohnungen<br />
– überfordert und asozial.<br />
„Es gibt viele ernsthafte und verantwortungsvolle Mädchen“, sagt dagegen<br />
Beraterin Hermine Baumann von Pro Familia. Sie spricht von Frauen<br />
wie Rebecca, Carmen und Nicole. Carmen kommt aus der Nähe von Hagen.<br />
Sie bekam ihr erstes Kind mit 19. Obwohl es ungeplant war, wollte<br />
sie nicht abtreiben. „Das wäre irgendwie Mord gewesen“, sagt sie. Mit 20<br />
wurde sie wieder schwanger – diesmal absichtlich: „Ich wollte immer zwei<br />
Kinder, die vom Alter her nicht so weit auseinander sind“, sagt Carmen.<br />
Die Ausbildung war schon abgeschlossen. Während sie davon erzählt,<br />
klappt ihre zweijährige Tochter die Schranktür auf und zu. Die Kleinen<br />
spielen Verstecken im Wohnzimmer. Carmen sagt ganz ruhig: „Katja, deine<br />
Schwester ist nicht im Schrank.“<br />
Nicole lebt im ostfriesischen Leer. Sie war 18, als sie schwanger wurde. Von<br />
Anfang an stand für sie fest, dass sie ihr Kind behalten will. „Ich bin stolz<br />
darauf, eine junge Mutter zu sein“, sagt Nicole. „Auch Teenager haben das<br />
Zeug dazu.“ Sie lebt heute mit der vier Monate alten Marie-Johanna in ihrer<br />
eigenen Wohnung. Wenn Nicole davon erzählt, schwingt auch ein bisschen<br />
Stolz mit.
Foto: Privat<br />
Rebecca, 18, im neunten Monat schwanger.
68<br />
Rebeccas Start als Mutter war schwieriger – als<br />
Zehntklässlerin am Gymnasium Tutzing bei München.<br />
Ihr Freund war gegen das Kind, stellte sie vor<br />
die Wahl: ich oder das Baby. „Es war die Hölle“,<br />
sagt sie heute. Nach drei schweren Tagen entschied<br />
sie sich gegen eine Abtreibung, gegen ihren Freund,<br />
für das Baby.<br />
Rebecca hatte anfangs mit den Gerüchten in ihrem<br />
Heimatdorf zu kämpfen. Manche Leute schauten<br />
sie schräg an; das Kind sei gar nicht von ihrem<br />
Freund, erzählte man sich. Dann schlug sich auch<br />
noch eine ihrer besten Freundinnen auf die Seite ihres<br />
Freundes. „Sie sagte, du bist wahnsinnig. Es ist<br />
viel zu früh für ein Kind“, erzählt Rebecca. „In den<br />
ersten Monaten hatte ich echte Depressionen.“<br />
Dennoch: Überfordert fühlte sie sich selten. Ihr<br />
Schuldirektor erlaubte ihr, ein Jahr in Mutterschaftsurlaub<br />
zu gehen. Die elfte Klasse durfte sie<br />
überspringen. Rebecca hörte auf zu rauchen und zu<br />
trinken. „Später habe ich mich wahnsinnig wohl gefühlt.<br />
Meine Haare waren toll, meine Haut war<br />
toll“, erzählt sie und lacht. Von da an stand nur<br />
noch Hannah im Vordergrund. Etwas Wichtiges<br />
verpasst habe sie nicht, sagt Rebecca.<br />
„Die Glücksgefühle mit meiner<br />
kleinen Hannah sind besser als<br />
jeder <strong>Dr</strong>ogenrausch.“<br />
In TV-Doku-Soaps und Gerichtsshows sehen Mütter<br />
unter 20 anders aus, haben erweiterte Poren im<br />
Gesicht und schlecht blondierte Strähnchen auf<br />
dem Kopf. So wie bei „Erwachsen auf Probe“, der<br />
umstrittenen Sendung, die im Juni bei RTL anlief.<br />
Junge Pärchen wurden vor laufender Kamera zu<br />
Versuchseltern gemacht: arbeiten, Wäsche waschen,<br />
Windeln wechseln – Partyleben ade.<br />
Für gecastete Teenager wie Tamara folgt eine unlösbare<br />
Aufgabe nach der anderen: Ihr Ziehbaby Lasse<br />
stinkt aus der Windel und hört einfach nicht auf<br />
zu schreien. Aber sie weiß nicht, wie sie Lasse beru-<br />
higen soll. Als der Kleine endlich schläft, greift sie<br />
entnervt zur Zigarette.<br />
Der Sender macht das Fehlverhalten zur Show, bedient<br />
das Klischee der jungen, überforderten Mutter<br />
– auf Kosten der Teilnehmer. RTL-Geschäftsführerin<br />
Anke Schäferkordt sieht das anders: „Die Sendung<br />
ist eine einzigartige Möglichkeit für Jugendliche<br />
mit Kinderwunsch, Verantwortung für Kinder<br />
zu übernehmen.“ Dabei lebt die Serie aber vor allem<br />
von ihren Negativbeispielen.<br />
Ein Kind bedeutet für jede Mutter eine Umwälzung, ganz andere Dinge<br />
werden wichtig. Selbst wenn die Freude über den Nachwuchs überwiegt –<br />
Ängste kommen, früher oder später. Hermine Baumann von Pro Familia<br />
hält es für normal, dass Mütter sich manchmal überfordert fühlen. Sie sehen<br />
sich auf die Mutterrolle reduziert. „Viele haben das Gefühl, noch andere<br />
Erfahrungen im Leben machen zu müssen“, sagt Baumann. Ob jung<br />
oder alt – auch einer 30-Jährigen kann die neue Aufgabe über den Kopf<br />
wachsen.<br />
„Es gibt kein perfektes Alter, um Mutter zu werden“, sagt Nicole aus Leer.<br />
„Vielleicht wäre ich in zehn Jahren weniger überrascht gewesen, aber alles<br />
wäre genauso neu wie jetzt.“<br />
Vor zwei Generationen war es noch üblich, jung<br />
Mutter zu werden. Mitte der 60er Jahre waren Frauen<br />
bei ihrem ersten Kind im Schnitt 23 Jahre alt.<br />
Wer mit 30 noch kein Kind hatte, galt schon als<br />
hoffnungsloser Fall, als alte Jungfer. Heute liegt das<br />
Durchschnittsalter bei 26 Jahren. Prominente über<br />
40, die ihre Kinder von bezahlten Leihmüttern austragen<br />
lassen, füllen die Seiten der Klatschmagazine.<br />
Rebecca hat den nächsten Schritt gewagt: Mit ihrem<br />
neuen Freund ist sie nach Offenbach gezogen, er<br />
studiert dort Kunst. Hannah ist natürlich dabei. In<br />
den ersten Monaten will Rebecca als Tagesmutter<br />
jobben oder ein Praktikum machen, bevor sie selbst<br />
mit dem Studium beginnt. Was sie studieren will,<br />
weiß sie noch nicht genau, aber eines ist sicher: Von<br />
ihrem Freund lässt sie sich nicht reinreden. Auch<br />
diese Entscheidung wird sie selbständig treffen.
Rebecca mit ihrer zweijährigen Tochter Hannah.
70 Kolumne<br />
Kein<br />
Spaß,<br />
keine<br />
Reue<br />
von Katharina Fuhrin<br />
Trinken oder nicht trinken? Zwei nüchterne<br />
Überlegungen zum Thema Alkohol.<br />
Ich kannte mal einen, der brach bei jeder Party, und er war auf sehr<br />
vielen Partys, kurz nach Mitternacht über den Rotweinvorräten zusammen<br />
und blieb dort liegen, bis die Letzten gingen und ihn mitnahmen.<br />
Manchmal fand sich auch niemand, und dann musste er<br />
dort auf den Kisten übernachten. Rund um den Mund hatte der Wein<br />
meistens eine violette, halbmondförmige Verfärbung hinterlassen.<br />
Das sah irgendwie sehr traurig aus.<br />
Ein anderer, den ich kannte, trank immer gerne Bacardi-<br />
Cola und fasste nach ein paar Gläsern allen Frauen<br />
unter ihre T-Shirts. Auch das sah irgendwie sehr traurig<br />
aus, wenn er dann eine Ohrfeige kassierte und ganz<br />
betroffen guckte.<br />
Über mich sagen Leute vielleicht, „ich kenne eine, die ist schon nach<br />
einem halben Glas Wein betrunken.“ Das mag sein. Und meistens<br />
werde ich nicht nur schnell betrunken, sondern auch schnell müde.<br />
Es gab schon früh Anzeichen dafür, dass mein Körper gut auf Rauschmittel<br />
anspringt. Mit acht Jahren habe ich mal den Eiskaffee meiner<br />
Mutter heimlich ausgetrunken, danach hatte ich Herzrasen und flatternde<br />
Muskeln. Von meinem ersten Glas Sekt an Silvester bin ich<br />
kurz nach den Knallfröschen und Silberfontänen eingeschlafen. Um<br />
das zu vermeiden, vermeide ich heute oft den Alkohol.<br />
Wenn ich nüchtern bleibe, bekomme ich meistens die Autoschlüssel<br />
in die Hand gedrückt und werde mit einer Cola an der Bar abgestellt.<br />
Ich versuche, trotzdem Spaß zu haben, wirklich. Aber wenn ich zu<br />
„Sweet Home Alabama“ mithüpfen soll, mache ich unweigerlich ein<br />
Gesicht, als hätte ich in die Zitronenscheibe in meiner Cola gebissen.<br />
Aber: Auch meine Zeit kommt, und zwar so sicher wie der Kopfschmerz<br />
nach Batida de Coco. Wenn am nächsten Tag meine Freundinnen<br />
anrufen, um sich ihre vagen Erinnerungen bestätigen zu lassen<br />
– ja, dann kann ich mich vielleicht an die eine oder andere Peinlichkeit<br />
erinnern. Und während die anderen noch hoffen, dass ihr Kater<br />
möglichst schnell vorbei geht, mache ich all die Dinge, die am<br />
Sonntag Spaß machen. Zum Beispiel ordentlich frühstücken gehen –<br />
mit dem netten Typen, mit dem ich mich den ganzen Abend über unsere<br />
peinlichen Freunde amüsiert habe.<br />
Viel<br />
Spaß,<br />
viel<br />
Reue<br />
von Thomas Salter<br />
Darwin, der alte Klugscheißer, hat in dem sympathischen Durcheinander,<br />
das wir Natur nennen, die Ordnung entdeckt. Das klingt<br />
schrecklich langweilig. Aber eigentlich heißt das ja nur, dass selbst in<br />
Darwins Ordnung das Chaos seinen Platz findet. Zum Beispiel Alkohol:<br />
Ich habe einmal gelesen, der Mensch fing an, Pflanzen gären zu<br />
lassen, um so sein Trinkwasser zu desinfizieren. Der beste Weg, um<br />
sich vor Mikroben und Keimen zu schützen, war es also, die Leber<br />
zum Schwellen und das Hirn zum Schrumpfen zu bringen. Verrückt.<br />
Ich liebe Chaos. Vielleicht trinke ich deswegen so gerne einen über<br />
den Durst. Es gibt keinen leichteren Weg, aus der alltäglichen Ordnung<br />
auszubrechen, als mit einem ordentlichen Rausch in der Fresse.<br />
Ich beobachte mich dann selbst, wie ich die verrücktesten Sachen mache.<br />
Ich rede Schwachsinn und benehme mich, als hätte ich keinerlei<br />
Erziehung genossen. Ja, wenn ich genau darüber nachdenke, ist es genau<br />
das: Ich werde zu einem kleinen, unanständigen, nach Bier riechenden<br />
Kind.<br />
Aber die Natur wäre nicht die Natur, wenn sie einen<br />
derart sorglosen Spaß nicht mit einem rostigen Haken<br />
versehen hätte. Fasst man tags darauf die Ergebnisse<br />
eines durchzechten Abends zusammen, ist die Bilanz<br />
meist ganz mies.<br />
Der Kopf: leer, bis auf Kopfschmerzen und ein schlechtes Gewissen.<br />
Der Geldbeutel: leer, bis auf sechs Pfandmarken. Der Magen: leer, jedoch<br />
ohne Bedürfnis, Essen länger als drei Minuten bei sich zu behalten.<br />
Wie kann die Natur so grausam sein? Warum muss auf glücklichen<br />
Überschwang immer schmerzhafte Nüchternheit folgen? Es gibt Insekten,<br />
die Alkohol nie abbauen. Wenn sie also in mein Bierglas fallen<br />
und einen großen Schluck nehmen, werden sie nie wieder nüchtern.<br />
Natürlich wissen sie diese Vergiftung nicht zu schätzen. Sie haben<br />
ja auch keinen lästigen Verstand, den sie sich wegsaufen können.<br />
Die Evolution gab uns Menschen also den Kater, damit wir nicht immer<br />
betrunken sein wollen. Wir sollen ein Gleichgewicht halten zwischen<br />
Spaß und Pflicht. Und das finde ich zwar etwas langweilig, aber<br />
absolut in Ordnung.
DIE DEUTSCHE JOURNALISTENSCHULE DANKT<br />
ALLEN INSERENTEN UND FÖRDERERN<br />
DIESES ABSCHLUSSMAGAZINS UNSERER ZEIT-<br />
SCHRIFTENAUSBILDUNG DER KLASSE 47B<br />
HERZLICH FÜR DIE UNTERSTÜTZUNG.<br />
AOK BAYERN - DIE GESUNDHEITSKASSE<br />
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<strong>Dr</strong>. <strong>Georg</strong> <strong>Schreiber</strong><br />
<strong>Medien</strong>-<br />
<strong>2009</strong><strong>preis</strong><br />
Die Gesundheitsreform<br />
sieht vor, dass künftig alle<br />
gesetzlichen Krankenkassen<br />
insolvenzfähig sind. Auch<br />
für die landesunmittelbaren<br />
Krankenkassen, die derzeit<br />
noch als insolvenzunfähig<br />
gelten, soll die Insolvenzfähigkeit<br />
hergestellt werden.<br />
Gleichzeitig werden die<br />
bestehenden Bundesverbände<br />
als solidarische Haftungsverbünde<br />
der jeweiligen<br />
Kassenart aufgelöst. Die<br />
Haftungsgebäude der Landes-<br />
und Spitzenverbände<br />
passen nicht mehr in die<br />
von der Politik gewünschte<br />
neue Struktur mit einem<br />
Wettbewerb für Printmedien,<br />
Hörfunk und Fernsehen!<br />
Zugelassen sind Beiträge junger Jour -<br />
nalistinnen und Journalisten bis 35 Jahre<br />
zu den Themen Gesundheit und Soziales,<br />
die <strong>2009</strong> in einer in Bayern erscheinenden<br />
Zeitung bzw. Zeitschrift veröffentlicht<br />
oder von einem Rundfunksender<br />
mit Sitz in Bayern ausgestrahlt worden<br />
sind. Beiträge aus den elektronischen<br />
<strong>Medien</strong> außerhalb Bayerns sind zulässig,<br />
wenn sie einen thematischen Bezug zum<br />
Freistaat haben.<br />
Im Printbereich wird zudem ein bundesweiter<br />
Sonder<strong>preis</strong> ohne Altersbeschränkung<br />
vergeben.<br />
Der <strong>Medien</strong><strong>preis</strong> ist mit insgesamt<br />
25.500 Euro dotiert.<br />
Informationen und Anmeldung:<br />
Internet: www.aok-medien<strong>preis</strong>.de<br />
e-mail: presse@by.aok.de<br />
Telefon: 089 62730-146<br />
AOK Bayern, Zentrale, Pressestelle<br />
Carl-Wery-Str. 28, 81739 München<br />
Ausgeschrieben von der AOK Bayern in<br />
Zusammenarbeit mit den Nachwuchsjournalisten<br />
in Bayern (NJB) e.V. - unterstützt<br />
von der Deutschen Journalistenschule<br />
(DJS) e.V. München.
72<br />
Belauscht von: Lukas Eberle, Lisa Srikiow<br />
Blaufahren<br />
Wer im Nachtbus einschläft, fährt bis zur Endstation.<br />
Dagegen hilft nur ausgiebige Konversation.<br />
Gesprächsfetzen um 5 Uhr morgens.<br />
„Die ganze Zeit hat er mich heute Mausi genannt. Das hat mich total genervt.“<br />
„Bei mir ist heute ein<br />
Bett frei.“<br />
...<br />
„Aber weißt du<br />
noch, wo du<br />
wohnst?“<br />
„Tschau Bine.“<br />
...<br />
„Ich glaub’ die Bine muss<br />
kotzen, so schnell wie die läuft.“<br />
„Ich schlaf’ heut’ unterm<br />
Tisch, Alter.“<br />
„Ich sag’ immer: Man darf extrem sein, aber man darf es nicht übertreiben.“<br />
„Inzwischen sieht er total hässlich aus, mit Zahnspange und so. Früher war er<br />
nicht so übermäßig hässlich, aber jetzt, mit seinen aufgesprungenen Lippen.“<br />
„Ich hab’ noch mehr<br />
getrunken als er.“<br />
...<br />
„Ja, aber du bist auch<br />
größer als er.“<br />
„Die Ex von deinem besten Freund ist tabu. Das ist einfach so. Leider.“
Foto: Zepsis<br />
„Der Andi ist total assi.<br />
Trotzdem steht sie auf ihn.“<br />
...<br />
„Ja, weil sie auch assi sein will.“<br />
„Ich hasse so was: Gucci ist Shit, Louis Vuitton ist Shit, Prada ist Shit! Arrrhgg!“<br />
„Mannomann, was meinst<br />
du, wenn du ihm mal<br />
nachts begegnest?“<br />
...<br />
„Was hat der für<br />
einen Oberarmumfang?“<br />
...<br />
„Ich glaub’, 56 oder 57<br />
Zentimeter.“<br />
„Welche ist die<br />
Eklige?“<br />
...<br />
„Die Mittlere.“<br />
„Ich glaub’, wir hätten hier raus<br />
gemusst.“<br />
...<br />
„Und wo fahren wir jetzt hin?“<br />
...<br />
„Direkt in die Hölle, Alter.“<br />
„Mein Rücken hat ein paar Mal geknackst beim Tanzen.“<br />
„Das ist diese Beste-Freund-Schiene.<br />
Das ist doch scheiße.“<br />
„Einer hat mir<br />
an den Arsch gegrapscht,<br />
dann hab’ ich mich umgedreht<br />
und dann standen<br />
da ganz viele Männer.<br />
Ich konnte ja nicht allen<br />
eine klatschen.“<br />
„Nur mit meiner Gedankenkraft kann ich meinen Arm heben.“<br />
„Ich wette, du bekommst<br />
dein Studium nicht besser<br />
hin als ich.“<br />
...<br />
„Was hattest du für eine<br />
Note?“<br />
...<br />
„1,8.“<br />
...<br />
„Das schaff’ ich auf jeden<br />
Fall.“<br />
...<br />
„Ich wiederhole: 1,8.<br />
Und das in einem<br />
Ingenieursstudium!“<br />
...<br />
„Ach so.“
74 Altklug<br />
Text: Olivia Höner<br />
Was ich gerne schon<br />
mit 18 gewusst hätte<br />
Das Abitur hatte er schon, Glück bei den Mädchen noch nicht: Günther Jauch, 1976.<br />
Ich hätte gerne gewusst, was Mädchen wirklich<br />
beeindruckt. Das weiß ich heute besser.<br />
Und was wäre das?<br />
dieses Mal mit Günther Jauch.<br />
(er legt den Kopf ein bisschen schief, so wie er das im Fernsehen auch immer macht)<br />
Man kann es ganz schwer erklären. Es ist eine<br />
Mischung aus lässig sein, aber sich doch so<br />
wichtig machen, dass man überhaupt wahrgenommen<br />
wird. Das hinzukriegen ist ganz<br />
schwierig. Weil es nur so ein ganz schmaler Grat<br />
ist.<br />
Woher wussten Sie mit 18, dass Sie den <strong>Dr</strong>eh noch nicht raus hatten?<br />
Wenn ich zum Beispiel in einer Kneipe im großen<br />
Gedränge etwas zu trinken bestellt habe<br />
und um mich herum haben auch zwei, drei Leute<br />
was bestellt, dann kam immer ein Glas zu wenig.<br />
Weil sich niemand mehr daran erinnerte,<br />
dass ich auch etwas bestellt hatte. Zumindest bei<br />
weiblichen Bedienungen war das so. Da habe<br />
ich gemerkt, dass mir irgendwas fehlt. Aber ich<br />
habe dann viele Jahre daran gearbeitet.<br />
Was haben Sie gemacht?<br />
Das ist natürlich geschwindelt, ich habe nicht<br />
daran gearbeitet. Ich war bis 18 so ziemlich der<br />
Kleinste, zumindest Schmächtigste in der Klasse<br />
und bin dann erst gewachsen. Das war die eine<br />
Sache. Aber ich war eben auch furchtbar unsicher.<br />
Die Sicherheit ist erst sehr spät gekommen.<br />
Wie denn? Verraten Sie uns Ihr Geheimnis?<br />
(Jetzt kratzt er sich am Kopf)<br />
So seltsam es auch klingt: Wenn man nicht alles<br />
persönlich nimmt, ist man gleich sicherer. Es<br />
bringt doch nichts zu sagen: „Ich kann nichts<br />
dafür, die Welt meint es einfach nicht gut mit<br />
mir.“ Man sollte das Ganze statistisch nehmen:<br />
„Heute habe ich verloren, morgen werde ich gewinnen.<br />
Und wenn ich morgen nicht gewinne,<br />
dann wird es übermorgen sein.“ Wer diese etwas<br />
amerikanisch klingende Aufstehparole verinnerlicht,<br />
wird sich nicht so schnell einschüchtern<br />
lassen.<br />
Und wenn ich übermorgen und überübermorgen auch nicht gewinne?<br />
Es gibt keinen Menschen ohne jeden Erfolg. Ich<br />
habe entweder Erfolg in der Arbeit oder in der<br />
Liebe oder im Umgang mit Tieren oder im Spielcasino.<br />
Ein Mensch ohne Erfolg ist für mich genauso<br />
unglaubwürdig wie einer, der von sich behauptet:<br />
Ich habe überall Erfolg. Beides kann<br />
nicht stimmen.<br />
Foto: DJS-Archiv
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