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Dr. Georg Schreiber 2009 Medien- preis

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Foto: Privat<br />

immer mehr Konzerte spielte und die Reisen immer<br />

länger wurden, hatte Andi eine Prüfung nach der anderen.<br />

Das Abitur stand vor der Tür, Attestpflicht hatte<br />

er auch schon, weil er zu oft gefehlt hatte. Irgendwann<br />

ging es nicht mehr. Was folgte, war der Morgen auf<br />

dem Dachboden. Andi stieg aus.<br />

„Es fällt mir normalerweise schwer, mich zu entscheiden“,<br />

sagt Andi heute, „aber das war eine meiner leichtesten<br />

Entscheidungen. Es war auch für Peter und Flo<br />

erleichternd, weil sie jemanden suchen konnten, der<br />

mitzieht. Sie wollten ja viel mehr Gas geben. Aber ich<br />

konnte da nicht mit.“<br />

Florian und Peter gaben Gas,<br />

und wie. Ende der 90er Jahre<br />

spielten sie im Schnitt 200<br />

Konzerte pro Jahr.<br />

Im Jahr 2000 unterschrieben sie ihren ersten Plattenvertrag. Seitdem<br />

haben sie sieben Alben veröffentlicht. Die letzten zwei davon landeten<br />

jeweils auf Platz eins der deutschen Albumcharts.<br />

Florian Weber sitzt in einem Café in München-Schwabing und bestellt<br />

eine Grapefruitschorle. Der Schlagzeuger der Sportfreunde Stiller ist<br />

heute berühmt. Das merkt man zum Beispiel daran, dass der Barchef<br />

des Lokals kurz an den Tisch kommt, sich vorstellt und Florians Hand<br />

schüttelt. Kurz darauf läuft in dem Café ein Song der Sportfreunde.<br />

Florian blickt kurz irritiert auf. „Hier ist es nicht so schlimm, wenn sie<br />

ein Lied von dir spielen“, sagt er. „Aber wenn du in einem Club mit<br />

vielen Leuten stehst, und dann alle ihre Köpfe zu dir drehen, um zu sehen,<br />

wie du dich verhältst, das ist schon saublöd.“<br />

Florian und Andi sind auch heute noch gut befreundet. Sie spielen zusammen<br />

in einer Hobby-Fußballmannschaft. Über die Trennung von<br />

damals sprechen sie nicht mehr. „Ich habe von Andi nie gehört, dass<br />

er seinen Ausstieg bereut“, sagt Florian. „Das nehme ich ihm auch voll<br />

ab. Es wäre einfach nicht sein Leben gewesen.“ Natürlich war Florian<br />

damals enttäuscht, als Andi von einem Tag auf den anderen die Band<br />

verließ. Überraschend kam es jedoch nicht. „Er hat schon früh gesagt,<br />

dass das nichts für ihn ist, er wollte nicht ewig auf Reisen gehen“, sagt<br />

Florian. „Ich glaube auch, dass er die Musik nicht so toll fand. Das war<br />

ihm zu einfach, zu trivial. Wir haben einfach drei, vier Akkorde durchgerotzt.<br />

Aber Andi stand eher auf Musik, die ein bisschen arty ist.“<br />

Dann erzählt Florian von dem gemeinsamen Urlaub der Band im Sommer 1996. Mit<br />

einem Golf fuhren sie nach Italien, machten Straßenmusik in Florenz, feierten, tranken.<br />

„Irgendwann hat Andi dann einen Ausbruch gehabt, weil wir immer unsere Witzchen<br />

gerissen und niveauarme Gespräche geführt haben. Bei euch geht’s sowieso immer nur<br />

ums Saufen, hat er gesagt. Und dann hat er sich ins Zelt gelegt mit seinen Büchern.“<br />

Andi und die Bücher. Sie liegen überall in seiner Wohnung. Auf der grauen Eckcouch,<br />

auf dem kleinen Wohnzimmertisch, vor dem überquellenden Bücherregal. Vier Bände<br />

„Nietzsches Werke“, James Joyces „Ulysses“, das „Fußball Unser“.<br />

Während Peter und Florian nach Andis Ausstieg von Auftritt zu Auftritt jagten und vor<br />

immer mehr schreienden Zuschauern spielten, suchte Andi genau das Gegenteil davon:<br />

Zurückgezogenheit und Stille. „Ich war nie ein Typ, der gerne im Mittelpunkt steht“,<br />

sagt er. „Bei Konzerten hätte ich mich am liebsten mit dem Rücken zum Publikum<br />

gestellt.“<br />

Andi machte das Abitur, begann Germanistik zu studieren.<br />

Sein Schwerpunkt: deutsche Literatur des Mittelalters. Als<br />

die Sportfreunde Stiller<br />

im Sommer 2006 durch<br />

Deutschlands Fußballstadien<br />

und Fernsehstudios<br />

zogen, verbrachte<br />

Andi seine Tage im Lesesaal<br />

für Handschriften<br />

der Bayerischen Staatsbibliothek<br />

und arbeitete an<br />

seiner Doktorarbeit. Zugezogene<br />

Vorhänge, alte<br />

Holztische, absolute Stille.<br />

Andi war glücklich.<br />

„Jahrelang bin ich da jeden<br />

Tag hingegangen<br />

und habe einfach mein<br />

Florian lernte Peter im Sportstudium kennen. Der wiederum spielte damals mit Andi in einer Band namens: Vertical Orange Car Crash.<br />

Italien-Urlaub 1996: Peter an<br />

der E-Gitarre, Andi an der<br />

Akustischen, Florian am<br />

selbst gebastelten Schlagzeug.<br />

Zeug gemacht. Das war<br />

so gemütlich da. Schade,<br />

dass das jetzt vorbei ist.“<br />

Ein Freitagmorgen, Anfang Juli <strong>2009</strong>: Andi Erhard sitzt auf<br />

einem Holzstuhl im Sozialbürgerhaus München-Sendling und<br />

wartet. Um neun Uhr hat er einen Termin in Zimmer 210,<br />

Abteilung Arbeitslosengeld II. Andi ist gekommen, um seinen<br />

Antrag auf Hartz IV abzugeben.<br />

Peter und Florian, die gerade unterwegs sind, um ihr neues<br />

Sportfreunde Stiller-Album zu vermarkten, wird er in einer Woche<br />

wieder sehen. Dann haben die drei ein Fußballspiel mit ihrer<br />

Hobbymannschaft. Bis dahin macht sich Andi schon mal<br />

auf Jobsuche. Stellen im wissenschaftlichen Bereich sind selten.<br />

Das weiß er. Bibliotheksassistent könnte er sich vorstellen,<br />

notfalls auch Postbote.<br />

Und jetzt? Bereut er es? „Das Studium, die Doktorarbeit, all<br />

das, was ich statt der Band getan habe, hat für mich total Sinn<br />

gemacht“, sagt er. „Und wenn man zufrieden ist, dann ist es<br />

auch nicht schwer zurückzublicken und zu sagen: „Da konnte<br />

ich einfach nicht mit, das war nicht mein Weg.“

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