Dr. Georg Schreiber 2009 Medien- preis
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70 Kolumne<br />
Kein<br />
Spaß,<br />
keine<br />
Reue<br />
von Katharina Fuhrin<br />
Trinken oder nicht trinken? Zwei nüchterne<br />
Überlegungen zum Thema Alkohol.<br />
Ich kannte mal einen, der brach bei jeder Party, und er war auf sehr<br />
vielen Partys, kurz nach Mitternacht über den Rotweinvorräten zusammen<br />
und blieb dort liegen, bis die Letzten gingen und ihn mitnahmen.<br />
Manchmal fand sich auch niemand, und dann musste er<br />
dort auf den Kisten übernachten. Rund um den Mund hatte der Wein<br />
meistens eine violette, halbmondförmige Verfärbung hinterlassen.<br />
Das sah irgendwie sehr traurig aus.<br />
Ein anderer, den ich kannte, trank immer gerne Bacardi-<br />
Cola und fasste nach ein paar Gläsern allen Frauen<br />
unter ihre T-Shirts. Auch das sah irgendwie sehr traurig<br />
aus, wenn er dann eine Ohrfeige kassierte und ganz<br />
betroffen guckte.<br />
Über mich sagen Leute vielleicht, „ich kenne eine, die ist schon nach<br />
einem halben Glas Wein betrunken.“ Das mag sein. Und meistens<br />
werde ich nicht nur schnell betrunken, sondern auch schnell müde.<br />
Es gab schon früh Anzeichen dafür, dass mein Körper gut auf Rauschmittel<br />
anspringt. Mit acht Jahren habe ich mal den Eiskaffee meiner<br />
Mutter heimlich ausgetrunken, danach hatte ich Herzrasen und flatternde<br />
Muskeln. Von meinem ersten Glas Sekt an Silvester bin ich<br />
kurz nach den Knallfröschen und Silberfontänen eingeschlafen. Um<br />
das zu vermeiden, vermeide ich heute oft den Alkohol.<br />
Wenn ich nüchtern bleibe, bekomme ich meistens die Autoschlüssel<br />
in die Hand gedrückt und werde mit einer Cola an der Bar abgestellt.<br />
Ich versuche, trotzdem Spaß zu haben, wirklich. Aber wenn ich zu<br />
„Sweet Home Alabama“ mithüpfen soll, mache ich unweigerlich ein<br />
Gesicht, als hätte ich in die Zitronenscheibe in meiner Cola gebissen.<br />
Aber: Auch meine Zeit kommt, und zwar so sicher wie der Kopfschmerz<br />
nach Batida de Coco. Wenn am nächsten Tag meine Freundinnen<br />
anrufen, um sich ihre vagen Erinnerungen bestätigen zu lassen<br />
– ja, dann kann ich mich vielleicht an die eine oder andere Peinlichkeit<br />
erinnern. Und während die anderen noch hoffen, dass ihr Kater<br />
möglichst schnell vorbei geht, mache ich all die Dinge, die am<br />
Sonntag Spaß machen. Zum Beispiel ordentlich frühstücken gehen –<br />
mit dem netten Typen, mit dem ich mich den ganzen Abend über unsere<br />
peinlichen Freunde amüsiert habe.<br />
Viel<br />
Spaß,<br />
viel<br />
Reue<br />
von Thomas Salter<br />
Darwin, der alte Klugscheißer, hat in dem sympathischen Durcheinander,<br />
das wir Natur nennen, die Ordnung entdeckt. Das klingt<br />
schrecklich langweilig. Aber eigentlich heißt das ja nur, dass selbst in<br />
Darwins Ordnung das Chaos seinen Platz findet. Zum Beispiel Alkohol:<br />
Ich habe einmal gelesen, der Mensch fing an, Pflanzen gären zu<br />
lassen, um so sein Trinkwasser zu desinfizieren. Der beste Weg, um<br />
sich vor Mikroben und Keimen zu schützen, war es also, die Leber<br />
zum Schwellen und das Hirn zum Schrumpfen zu bringen. Verrückt.<br />
Ich liebe Chaos. Vielleicht trinke ich deswegen so gerne einen über<br />
den Durst. Es gibt keinen leichteren Weg, aus der alltäglichen Ordnung<br />
auszubrechen, als mit einem ordentlichen Rausch in der Fresse.<br />
Ich beobachte mich dann selbst, wie ich die verrücktesten Sachen mache.<br />
Ich rede Schwachsinn und benehme mich, als hätte ich keinerlei<br />
Erziehung genossen. Ja, wenn ich genau darüber nachdenke, ist es genau<br />
das: Ich werde zu einem kleinen, unanständigen, nach Bier riechenden<br />
Kind.<br />
Aber die Natur wäre nicht die Natur, wenn sie einen<br />
derart sorglosen Spaß nicht mit einem rostigen Haken<br />
versehen hätte. Fasst man tags darauf die Ergebnisse<br />
eines durchzechten Abends zusammen, ist die Bilanz<br />
meist ganz mies.<br />
Der Kopf: leer, bis auf Kopfschmerzen und ein schlechtes Gewissen.<br />
Der Geldbeutel: leer, bis auf sechs Pfandmarken. Der Magen: leer, jedoch<br />
ohne Bedürfnis, Essen länger als drei Minuten bei sich zu behalten.<br />
Wie kann die Natur so grausam sein? Warum muss auf glücklichen<br />
Überschwang immer schmerzhafte Nüchternheit folgen? Es gibt Insekten,<br />
die Alkohol nie abbauen. Wenn sie also in mein Bierglas fallen<br />
und einen großen Schluck nehmen, werden sie nie wieder nüchtern.<br />
Natürlich wissen sie diese Vergiftung nicht zu schätzen. Sie haben<br />
ja auch keinen lästigen Verstand, den sie sich wegsaufen können.<br />
Die Evolution gab uns Menschen also den Kater, damit wir nicht immer<br />
betrunken sein wollen. Wir sollen ein Gleichgewicht halten zwischen<br />
Spaß und Pflicht. Und das finde ich zwar etwas langweilig, aber<br />
absolut in Ordnung.