Dr. Georg Schreiber 2009 Medien- preis
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36<br />
David Friedrich, 18<br />
stop.motion: das ist eine bilderkette zu so einer art pilgerstätte.<br />
ich steh auf ner bühne zitiere feierlich die strophen<br />
ca. über 100 leute leihen mir ihre ohren<br />
worte kleben,<br />
bleiben in<br />
den poren,<br />
haken sich fest.<br />
ich seh, dass es kleine, psychische narben hinterlässt.<br />
lasst! Lass, so lass los.<br />
stop motion. don’t fuck the rotation!<br />
zapp: reihenhaus, bäume weichen aus.<br />
zapp: wir brauchen mehr platz für noch weniger arbeitsplätze.<br />
stop.motion: das ist eine bilderkette zu so einer art pilgerstätte.<br />
stop.geh nicht! es ist kalt draußen.<br />
zur zeit wachsen nur alptrauben.<br />
stop.ich bemühe mich, doch ich komm<br />
nicht voran<br />
weils nicht grün ist. sondern rot. überholverbot.<br />
doch blinken bringt einen doch eh nur vom<br />
geraden weg ab.<br />
weg a ab.<br />
mein fotoapparat ist so alt, der passt nicht<br />
mal in einen h-milch tetra pak.<br />
stop.motion.<br />
ich baue bildhaft brücken über ebenen und<br />
überquere flüsse per zebrastreifen.<br />
bild.ich gehe den lyrischen<br />
jakobsweg<br />
und entdecke aufgaben, die auf das<br />
wachstum meiner leber scheißen.<br />
bild.die welt ist eine wortplantage. seid ihr<br />
mit mir auf der vorfahrtstraße?<br />
kein fein pixelfilter. plaketten<br />
von farbklecksen, total egal.<br />
bild.manchmal kommt man mit der bremse weiter als mit dem<br />
gaßpedal.<br />
stop.drive<br />
stop.motion.<br />
das ist eine bilderkette auf dem weg zu so einer art pilgerstätte.<br />
stop.motion.eine art diashow.<br />
ich sehe viele auf der bühne (klasse performence) doch lyrisch unterste<br />
economy.<br />
na kommen sie. da kommen die an und machen ein auf comedy.<br />
stop. sei nicht überheblich, lass dich unterhalten.<br />
ha ha ha ho he hi<br />
doch nimm zur abwechslung mal<br />
po e siiiiiiiiiiiiiideen<br />
sind mangelware,heutzutage machen slammer<br />
texte darüber, dass sie texte, was sie<br />
für texte machen,wie man am besten texte<br />
macht, was andere slammer für texte machen,<br />
oder darüber dass andere slammer<br />
texte darüber machen dass wiederum andere<br />
slammer texte machen und was die<br />
für texte machenwas ist das dann für ein<br />
text. das ist keine poesie, das ist<br />
poetik.tik.tik.tik<br />
stop.motion<br />
am baum des lebens wachsen nur noch leere hülsenfrüchte.<br />
sagt die eine zur anderen: ich lehre dir den übermensch!<br />
darauf die andere: du bist doch nur ne leere nuss!<br />
eine dicke hülle ohne inhalt. ein schönes leben ohne sinn.<br />
ein top aktuelles modernes farbiges G8 schulbuch, in dem nur<br />
scheiße drin steht.<br />
ein supergeiler cooler slammer, der nur texte darüber macht, dass<br />
er texte macht.<br />
stop motion.<br />
ich laufe durch eine versallee,<br />
es liegt erster schnee<br />
und ich sage dir: der zahn der zeit ist ein eifriges nagetier,<br />
ich sehe falten und falter und falltüren im winterfell.<br />
der eingang zur hinterwelt.<br />
schneebedeckte landschaften, kieselsteine auf den gehwegen<br />
ich trete an zum winterdienst, kehre die einfahrt mit dem schneebesen.<br />
anblick, der den atem raubt,<br />
warten auf<br />
den frühling, der den damm bricht,<br />
Ende vom Samenstau.<br />
Kaleb Erdmann, 18<br />
Ana Ryue, 17<br />
Ich will erzählen wie’s<br />
begann mit meinen reimintentionen -<br />
am anfang wollt ich nur meine Ikonen<br />
klonen<br />
doch dann kamen immer eigene ideen und langsam habe ich - eingesehen<br />
ich müsste eigentlich meinen eigenen weg<br />
gehen statt vor plattenläden rumzustehen<br />
ich hab mich also an<br />
mein schreibtisch gesetzt und hab mich gefragt wie entsteht eigentlich ein text?<br />
Ich nehm kein Blatt<br />
vor den Mund,<br />
sondern schreib drauf.<br />
Gedanken, Gefühle, in Worte gefasst, ich fass sie zusammen und schreib sie auf. Das Blatt als Truhe meines<br />
Worschatzes und der Stift als Bote.<br />
„Gefühle kann man nicht aufschreiben.“, sagst du.<br />
„Macht nichts.“, schreibe ich.<br />
Gefühle sind zum Leben da, und<br />
vielleicht wollen sie ja gar nicht, dass man<br />
soviel über sie redet.<br />
Und wenn ich sage, dass ich verliebt bin, weißt du was ich meine,<br />
ohne dass es Schmetterlinge im Bauch braucht oder Die-ganze-<br />
Wortplantage<br />
s<br />
<strong>Dr</strong>ei U20-Poetry-Slammer schreiben<br />
über den Kampf mit der Sprache.<br />
ich hatte mir das etwa so vorgestellt mit ideen ist es doch wie mit<br />
dem geld - sie liegen auf der straße man muss sie nur finden - aufsammeln<br />
zusammenbinden und bevor sie verschwinden sich nen text draus winden<br />
- aber - leicht gesagt doch - weit gefehlt weil, man sich immer fragt ob man die<br />
richtigen wählt<br />
denn wenn man einfach immer mehr gedanken zusammenschreibt<br />
ist man irgendwann leer oder überladen wie ein mastschwein<br />
wenn das<br />
passiert ist mit dem schreiben schnell schluss - hätt ich das nur mal - vorher<br />
gewusst - denn so hab ich ne stunde verträumt ausm fenster geschaut - dann -<br />
kaugummi kauend aus geklauten ideen 'nen text gebaut - was dabei rauskam war<br />
grausam - in einem wort lauwarm - ich begann zu zaudern - denn -<br />
ich wollt eigentlich zaubern aber schau an: zum schaudern.<br />
ich hab das ganze auch mal<br />
nem kumpel gezeigt der hat zuerst kritisch den kopf geneigt dann doch<br />
interesse gezeigt und letztendlich gemeint: gib mir fünf minuten einlesezeit.<br />
dann las er den text nur abschnittsweise lächelte auf zynische art und weise<br />
und sagte dann leise:<br />
dein text ist scheiße.<br />
mir wurde also klar ich brauch 'nen ganz neuen ansatz ich mach das ganz anders denn ich<br />
weiß ich kann das!<br />
glücklicherweise hab ich dann bald verstanden: man<br />
braucht zuerst einen grundgedanken. den muss man sich dann von allen seiten<br />
anschaun und ihn dann noch kräftig ausbaun<br />
behängen und schmücken wie ein<br />
tannbaum deshalb war ich die<br />
folgenden tage - schwer beschäftigt mit der themafrage. vielleicht einen text<br />
über den größten verbrecher aller zeiten<br />
george bush den zweiten? aber die<br />
idee hab ich dann schnell überwunden - hab einfach nich genug reime auf idiot<br />
gefunden<br />
außer vielleicht tod und so weit wollt ich nicht gehen - kann sonst<br />
morgen wolfgang schäuble auf video sehen.<br />
ich suchte immer weiter und weiter<br />
und nach einigem weiteren scheitern - brach schon der tag des slams an.<br />
und dann tat ich das was alle dichter je taten denen keine themen<br />
mehr<br />
blieben - ich hab nen text übers texteschreiben geschrieben.<br />
Welt-umarmen-können.<br />
Ich umarm lieber Dich, ohne was zu sagen. „Wir müssen doch<br />
nicht alles zerreden.“, sage ich, aber du willst wissen, was los ist.<br />
„Schau mir doch in die Augen.“, denke ich, aber dein Blick geht an<br />
mir vorbei ins Leere.<br />
Ich nehm kein Blatt vor den Mund,<br />
sondern schreib drauf. Schreib auf, dass ich dir nicht<br />
alles in Worten vor die Füße<br />
werfen will, dass ich dich<br />
nicht merken lassen will, wie<br />
es meinem Herz geht und<br />
dass ich dir keine Geschichte<br />
erzählen will von einem Mädchen,<br />
das nicht mehr wusste,<br />
was sie sagen soll.<br />
Wenn Blicke nicht reichen<br />
und sich nicht mal begegnen,<br />
wenn nicht mal aneinander<br />
vorbeigeredet wird, sondern<br />
überhaupt geredet wird, ohne<br />
dass einer von uns hinterher<br />
weiß, wie es weitergeht.<br />
Vielleicht ist es dann zu spät.<br />
Und muss ich jetzt sagen, der<br />
Zug ist abgefahren, die Zeit ist<br />
abgelaufen oder es ist vorbei,<br />
damit du mich verstehst? Reicht es dir nicht, dass du mich nicht<br />
anschaust, um zu merken, was du willst?<br />
Ich nehm kein Blatt vor den Mund, sondern<br />
schreib drauf. Schreibe und schreibe<br />
und schreibe, will nicht anders, kann<br />
nicht anders, meine Wörter als Trichter<br />
meines Herzens. Denn ohne sie könnte<br />
ich nicht sein.<br />
Aber soviel ich auch schreibe, soviel Tinte,<br />
die ich benutze, nicht verschwende, sie<br />
reicht nicht aus, um zu zeigen, wie es mir<br />
wirklich geht.<br />
Aber das ist gut so<br />
denn Dinge,<br />
die man nicht<br />
ausdrücken<br />
kann, haben<br />
meist am meisten<br />
Ausdruck.<br />
Und mein Herz ist froh darüber, dass es<br />
nicht jedes Gefühl an ein Wort verschwenden<br />
muss.<br />
Und jetzt hast du begriffen. „Leb wohl.“, denkst du und ich lese es<br />
in deinen Augen, die mich endlich anschauen.<br />
Unsere Autoren �<br />
beim Performen<br />
Wir haben einen Poetry<br />
Slam in München besucht.<br />
Das Video siehst du auf:<br />
klartext-magazin.de/<br />
47b/slam