Rückenschule
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<strong>Rückenschule</strong>
Definition<br />
Die <strong>Rückenschule</strong> (RS) ist eine Einrichtung der vorbeugenden Gesundheitspflege zur Prävention<br />
und Rehabilitation von Wirbelsäulenschäden.<br />
Es gibt Fehlhaltungen und fehlerhaftes Verhalten, z.B. beim Sitzen, Heben, Tragen und Bücken, die<br />
bei gegebener Veranlagung zu Rückenschäden führen können.<br />
In der RS werden wirbelsäulenschädliche Haltungen und Verhaltensweisen abgebaut und durch<br />
wirbelsäulenfreundliche ersetzt.<br />
Im Gruppenunterricht finden Informationen und Demonstrationen statt, die durch praktische<br />
Übungen ergänzt werden. Die Rückenschüler erlernen systematisch richtige Körperhaltungen und<br />
Bewegungen und führen diese nach entsprechender Einübung vor.<br />
Zielgruppen sind im Rahmen der sekundären Prävention Personen, die einen oder mehrere<br />
Risikofaktoren aufweisen und häufig unter Kreuzschmerzen, Ischias und Hexenschuss leiden. Hier<br />
sollen durch die RS Häufigkeit und Heftigkeit der von der Wirbelsäule ausgehenden Beschwerden<br />
reduziert werden.<br />
Es nehmen aber auch primär nicht Erkrankte, also vor allem Kinder und Jugendliche an der RS teil,<br />
damit sie die Rückenschäden gar nicht bekommen, im Sinne der Primärprävention: die<br />
<strong>Rückenschule</strong> gehört auch in die Schule.<br />
(aus Krämer in Nentwig u.a. 1993, 3)
Risikofaktoren für bandscheibenbedingte<br />
Erkrankungen<br />
Anlage<br />
Äußere Umstände<br />
Lebensalter<br />
� gehäuftes Auftreten von Bandscheibenschäden in der Familie<br />
� Wirbelsäulenverkrümmungen<br />
� niedrige Schmerzschwelle<br />
� Neigung zu muskulären Verspannungen und psychischen<br />
Fehlhaltungen<br />
� bandscheibenblastende Tätigkeiten im Beruf und in der Freizeit<br />
� Haltungskonstanz<br />
� fehlende körperliche Betätigung<br />
� zwischen 30 und 60 Lebensjahren, vor allem um die 40<br />
(aus Krämer in Nentwig u.a. 1993, 3)
Die 10 Regeln der <strong>Rückenschule</strong><br />
1. Du sollst Dich bewegen<br />
2. Halte den Rücken gerade<br />
3. Gehe beim Bücken in die Hocke<br />
4. Hebe keine schweren Gegenstände<br />
5. Verteile Lasten und halte sie dicht am Körper<br />
6. Halte beim Sitzen den Rücken gerade und stütze den Oberkörper ab<br />
7. Stehe nicht mit gestreckten Beinen<br />
8. Ziehe beim Liegen die Beine an<br />
9. Treibe Sport, am besten Schwimmen, Laufen oder Radfahren<br />
10. Trainiere täglich Deine Wirbelsäulenmuskeln<br />
(aus Krämer in Nentwig u.a. 1993, 3)
Die ersten<br />
Rückenschul-<br />
Modelle<br />
(aus Nentwig u.a. 1993, 151)
Inhalte eines Rückenschulprogramms am Beispiel<br />
einer berufsbezogenen <strong>Rückenschule</strong> im Baugewerbe<br />
(aus Dalichau u.a. 1998, 74)
Beispiele aus dem „Rückentraining für Auszubildende<br />
des Bauhandwerks“<br />
(aus Bau-BG Hannover 1997)
Neuere Fakten zum Rückenschmerz<br />
durch Evidenzbasierung<br />
im Überblick<br />
vgl. dazu:<br />
� http://www.backpain-europe.org<br />
� www.degam-leitlinien.de<br />
� www.aerztekammer-bw.de/25/15/medizin04/B01/3.pdf<br />
� Dalichau in Dalichau u. Scheele 2006, 46-74
Fakten zum Rückenschmerz im Überblick 1<br />
� Rückenschmerzen sind weit verbreitet, aber ...<br />
in den meisten Fällen haben sie eine harmlose Ursache, z.B. Rückenschmerzen nach<br />
Überlastung oder ungewohnter Belastung.<br />
� Rückenschmerzen sind lästig, aber ...<br />
sie gehen in vielen Fällen ohne besondere Behandlung von alleine zurück, zumindest soweit,<br />
dass die bisherigen Aktivitäten wieder ausgeführt werden können.<br />
� Verschleißerscheinungen können evtl. Beschwerden verursachen, aber ...<br />
in der Regel sind degenerative Veränderungen (Gelenkarthrosen, Abnutzungen der<br />
Wirbelkörper oder Bandscheiben) natürliche Folgen des Alterungsprozesses und sind so<br />
normal wie graue Haare. Sie haben in der Regel keine schmerzauslösende Bedeutung.<br />
� Bandscheibenvorfälle können Rückenschmerzen auslösen, aber ...<br />
nur ein kleiner Prozentsatz der Vorfälle verursacht tatsächlich Schmerzen. Auch Patienten mit<br />
einem schmerzhaften Bandscheibenvorfall haben ebenfalls eine gute Heilungsaussicht ohne<br />
Operation.<br />
� Es gibt Erkrankungen der Wirbelsäule, aber ...<br />
ernsthafte Störungen, wie z.B. Entzündungen, Infektionen oder Tumore sind sehr selten und<br />
können bei einer medizinischen Untersuchung diagnostiziert werden.<br />
(aus Kuhnt 2006, 153-154)
Fakten zum Rückenschmerz im Überblick 2<br />
� Röntgenbilder geben zwar Hinweise über den Zustand der Wirbelsäule, aber ...<br />
die körperliche Untersuchung ist aussagekräftiger als der unkritische Einsatz von bildgebenden<br />
Verfahren. Die Auswertung dieser bildgebenden Verfahren sollte unter Berücksichtigung der<br />
körperlichen Untersuchung erfolgen.<br />
� Kurzfristige Schonung bei Rückenschmerzen kann nötig sein, aber ...<br />
Bewegungsmangel oder langanhaltende Bettruhe sind nicht geeignet, Rückenschmerzen zu<br />
beseitigen. Sie können sogar zum weiteren Bestehen der Schmerzen beitragen.<br />
� Akute Rückenschmerzen können sehr schmerzhaft sein, aber ...<br />
auch in diesen Fällen sollte man nicht länger als ein oder zwei Tage im Bett bleiben.<br />
� Ein Hohlkreuz oder ein Rundrücken sind zwar nicht optimal, aber ...<br />
keine alleinige Erklärung für Rückenschmerzen. Ein großer Teil dieser Fehlhaltungen entstehen<br />
durch Haltungsschwächen und einseitige, monotone (Arbeits-) Haltungen.<br />
� Gelegentliche Rückenschmerzen gehören zum Leben dazu, aber ...<br />
die Schmerzen dürfen nicht chronisch werden. Die Chronifizierung wird am besten durch eine<br />
angemessene Einstellung zum Schmerz und durch das Fortführen der normalen körperlichen<br />
Aktivität vermieden<br />
(aus Kuhnt 2006, 153-154)
2005: Gründung der Konföderation der deutschen<br />
<strong>Rückenschule</strong>n (KddR)<br />
Gründungsmitglieder:<br />
� BBGS (Bundesverband staatl. Anerkannter Berufsfachschulen für Gymnastik u. Sport)<br />
� BdR (Bundesverband der deutschen <strong>Rückenschule</strong>n e.V.)<br />
� Deutscher GymB e.V. (Berufsverband staatl. Geprüfter Gymnastiklehrerinnen/-lehrer)<br />
� DVGS (Deutscher Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e.V.)<br />
� Forum Gesunder Rücken – Besser Leben e.V.<br />
� IFK (Bundesverband selbständiger Physiotherapeuten e.V.)<br />
� Seminar WS-RS-ST (Seminar Wirbelsäule-<strong>Rückenschule</strong>-Schmerztherapie<br />
� VPT (Verband Physikalische Therapie – Vereinigung für die physiotherapeutischen<br />
Berufe e.V.)<br />
� ZVK (Deutscher Verband für Physiotherapie – Zentralverband der<br />
Physiotherapeuten/Krankengymnasten e.V.)
Die „Neue <strong>Rückenschule</strong>“ sieht den Menschen in seiner Einheit aus Körper, Geist<br />
und Seele. Sie versucht die Rückengesundheit nach dem bio-psycho-sozialen Ansatz<br />
der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ressourcenorientiert zu fördern. Dieses Ziel<br />
kann nur multimodal und in einem interdisziplinären Team aus Ärzten, Psychologen,<br />
Therapeuten und Rückenschullehrern erfolgen.<br />
Durch die gemeinsame Arbeit der neun wichtigsten Rückenschulverbände in der<br />
KddR wurden einheitliche Ziele, Inhalte und Ausbildungsrichtlinien für die präventive<br />
<strong>Rückenschule</strong> geschaffen. Die angeschlossenen Verbände ermöglichen ihren<br />
Kursleitern somit erstmals ein standardisiertes Rückenschulkonzept, das neuesten<br />
wissenschaftl. Erkenntnissen entspricht.<br />
(aus Kuhnt 2006, 159)
� bio-medizinisches Modell<br />
Ursachen von Rückenschmerzen<br />
„Klassische <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� schlechte Körperhaltungen u. falsche<br />
Bewegungsmuster<br />
� Bandscheibenvorfall<br />
� Verschleißerscheinungen an den<br />
Bandscheiben u. Wirbelgelenken<br />
� arthro-muskuläre Dysbalancen<br />
„Neue <strong>Rückenschule</strong>“
Relative Druckänderungen in der<br />
Zwischenwirbelscheibe L3/4 am Lebenden<br />
Verschiedene Körperstellungen ohne und mit<br />
Belastung<br />
Verschiedene Haltungen im Stehen mit<br />
unterschiedlicher Anspannung der Muskulatur<br />
(nach Nachermson 1976 in Junghanns 1986, 52)
Durchschnittswerte des normalisierten<br />
Bandscheibendrucks im Stehen und beim Sitzen ohne<br />
Rückenunterstützung<br />
(nach Andersson 1975 in Junghanns 1986, 52)
Erklärungsansatz zur Entstehung des<br />
Bandscheibenvorfalls
Entstehungsmechanismen der arthromuskulären Dysbalance
Ursachen von Rückenschmerzen<br />
„Klassische <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� bio-medizinisches Modell<br />
� schlechte Körperhaltungen u. falsche<br />
Bewegungsmuster<br />
� Bandscheibenvorfall<br />
� Verschleißerscheinungen an den<br />
Bandscheiben u. Wirbelgelenken<br />
� arthro-muskuläre Dysbalancen<br />
„Neue <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� bio-psycho-soziales Modell<br />
� psychosoziale Faktoren, z.B. Depression,<br />
Angst, Arbeitsunzufriedenheit, -losigkeit<br />
� Einstellung zum Schmerz<br />
(Katastrophisieren, Furcht-<br />
Vermeidungsverhalten)<br />
� körperliche Faktoren, z.B.<br />
Bewegungsmangel, Bewegungsmonotonie,<br />
Zwangshaltung
„Risikofaktoren“ für Rückenbeschwerden
„Aufbaufaktoren“ für Rückenbeschwerden
Vorstellung von einer guten Körperhaltung<br />
„Klassische <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� funktionelle Aufrichtung der Wirbelsäule in<br />
Anlehnung an das Zahnradmodell n.<br />
Brügger<br />
„Neue <strong>Rückenschule</strong>“
Zahnradmodell n. Brügger (1990, 17)<br />
Halswirbelsäulenstreckung<br />
Brustkorbhebung<br />
Beckenkippung
„Falsch – Richtig“ - Dichotomie<br />
(aus Brügger 1990, 108)
„Falsch – Richtig“ - Dichotomie<br />
(aus Brügger 1990, 112)
„Falsch – Richtig“ - Dichotomie<br />
(aus Brügger 1990, 112)
Vorstellung von einer guten Körperhaltung<br />
„Klassische <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� funktionelle Aufrichtung der Wirbelsäule in<br />
Anlehnung an das Zahnradmodell n.<br />
Brügger<br />
„Neue <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� es gibt keine fixierte Körperhaltung,<br />
sondern nur eine dynamische<br />
Körperhaltung, bei der alle Körperabschnitte<br />
fortlaufend um das senkrechte Körperlot<br />
pendeln<br />
� keine Haltung ist so gut, dass sie längere<br />
Zeit eingenommen werden sollte<br />
� „Die beste Sitzhaltung ist immer die<br />
nächste!“
„Klassische <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� keine systematischen Maßnahmen<br />
Zielgruppenfindung<br />
„Neue <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� Einsatz von Indikationsbögen<br />
� Unterscheidung in präventive u.<br />
therapeutische <strong>Rückenschule</strong>,<br />
Kinderrückenschule, Betriebliche<br />
<strong>Rückenschule</strong>
„Klassische <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� Erlernen von bandscheibengerechten<br />
Haltungs- u. Bewegungsmustern<br />
� Ausgleich der arthromuskulären<br />
Dysbalancen durch funktionelle Gymnastik<br />
Übergeordnete Ziele<br />
„Neue <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� Stärkung der physischen u. psychosozialen<br />
Ressourcen<br />
� Verminderung von Risikofaktoren<br />
� Aufbau von und Bindung an<br />
gesundheitsorientierte Aktivität<br />
� Sensibilisierung für haltungs- u.<br />
bewegungsförderliche Verhältnisse
„Klassische <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� Anatomie u. Physiologie der Wirbelsäule<br />
� Risikofaktoren für den Rücken<br />
� funktionelle Haltungs- u.<br />
Bewegungsschulung<br />
� Funktionelle Wirbelsäulengymnastik<br />
� kleine Spiel- u. Übungsformen<br />
� Übungen zur Entspannung<br />
Inhaltsschwerpunkte<br />
� Körperwahrnehmung u. –erfahrung<br />
� Training der motorischen<br />
Grundeigenschaften<br />
� Entspannung u. Stressmanagement<br />
� kleine Spiele/Spielformen u. Parcours<br />
� Haltungs- u. Bewegungsschulung<br />
� Wissensvermittlung u. Information zur<br />
Förderung der Rückengesundheit<br />
� Strategien zur Schmerzbewältigung<br />
� Verhältnisprävention<br />
� Vorstellung von Life-Time-Sportarten<br />
� Gruppen- u. Einzelgespräche<br />
� Evaluation<br />
„Neue <strong>Rückenschule</strong>“
Gesundheitspädagogische Ausrichtung<br />
„Klassische <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� Risiko- u. Defizitorientierung<br />
� Krankheitsorientierung<br />
� „falsch – richtig“ – Dichotomie<br />
� sachorientiert<br />
� „Schulcharakter“<br />
� Patientenorientierung<br />
„Neue <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� Orientierung an Aufbaufaktoren<br />
(Salutogenese)<br />
� ressourcenorientierter Ansatz<br />
� handlungs- u. erlebnisorientiert<br />
� teilnehmer- u. kundenorientiert
„Klassische <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� vortrags- u. informationslastig<br />
� Einzelarbeit<br />
� Deduktive Lehrmethode: „vormachen –<br />
nachmachen“<br />
Methodik<br />
„Neue <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� Partner- u. Gruppenarbeit<br />
� Kursleiter als Moderator<br />
� Induktive Lernmethode: erarbeiten.<br />
ausprobieren
„Klassische <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� Begrenzung auf einen Kurs<br />
Dauer der <strong>Rückenschule</strong><br />
„Neue <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� Rückenschulinhalte werden in mehreren<br />
aufeinander aufbauenden Kursen angeboten
„Klassische <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� selten durchgeführt<br />
Evaluation<br />
„Neue <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� Einsatz standardisierter Evaluationsbögen<br />
� s. Indikationsbögen
Aus- u. Weiterbildung der Kursleiter<br />
„Klassische <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� sehr heterogen<br />
„Neue <strong>Rückenschule</strong>“<br />
� nach den Bundeseinheitlichen Richtlinien<br />
der Konföderation der deutschen<br />
<strong>Rückenschule</strong>n (KddR)
10 Empfehlungen zur Förderung der Rückengesundheit<br />
1. Bleiben Sie aktiv – Ihr Körper braucht Bewegung<br />
2. Vermeiden Sie Dauerstress – Zu viel Stress erhöht die Muskelspannung<br />
3. Pflegen Sie Ihre Muskeln – Ein arthro-muskuläres Gleichgewicht ist wichtig<br />
4. Halten Sie sich aufrecht-dynamisch - Bandscheiben leben von der Bewegung<br />
5. Heben und tragen Sie rückenfreundlich – Einsatz von Rumpf- und Beinmuskeln<br />
6. Bleiben Sie locker – Rückenschmerzen sind meist harmlos<br />
7. Ängstigen Sie sich nicht – Verschleißerscheinungen sind keine Krankheit<br />
8. Treiben Sie regelmäßig gesunden Sport – Freude an der Bewegung in einer<br />
Gruppe<br />
9. Denken Sie positiv – Lebensfreude fördert Aktivität<br />
10. Pflegen Sie einen gesunden Lebensstil – Einheit von Körper, Geist und Seele<br />
(aus Kuhnt 2006, 157)